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Das erfolgreiche Handbuch: Hilfen für Gesprächshelfer Wie verhält sich ein Gesprächshelfer, Therapeut oder Moderator, wenn zwei oder mehr Personen erklärtermaßen in eine Sackgasse der Kommunikation und ihrer Beziehungen zueinander geraten sind? Oder wenn schwierige Sach- und Beziehungsprobleme gelöst werden müssen, sei es bei Paaren und in Familien oder auch in Arbeitsgruppen und Gremien? Um dann weiterzuhelfen und die Beteiligten miteinander in ein klärendes Gespräch zu führen, entwickelt dieses Handbuch Leitlinien und praktische Ratschläge aus kommunikationspsychologischen Einsichten und mit vielen hilfreichen Beispielen. Keine Tricks oder Spielchen, sondern kundige Anleitungen, um Beziehungsstörungen zu erkennen und in gemeinsamer Anstrengung zu überwinden.
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Seitenzahl: 393
Veröffentlichungsjahr: 2013
Christoph Thomann · Friedemann Schulz von Thun
Klärungshilfe 1
Handbuch für Therapeuten, Gesprächshelfer und Moderatoren in schwierigen Gesprächen
Unter Mitarbeit von Christiane Naumann-Bahayan
I Einleitung
1. Was ist «Klärungshilfe»?
2. Zum Hintergrund unserer Erkenntnisse
Schwierige Gespräche mit Paaren und Kleingruppen
II Das Vier-Felder-Modell der Klärungshilfe
1. Selbstklärung
2. Kommunikationsklärung
3. Persönlichkeitsklärung
4. Systemklärung
5. Zusätzliche Aspekte
Moderation
Belehrung
III Einige Gesichtspunkte zur Moderation von Gesprächen
1. Grobstruktur eines Gesprächsverlaufs
1. Phase: Kontakt und Situationsklärung
2. Phase: Thema herausfinden
3. Phase: Die Sichtweise jedes Einzelnen
4. Phase: Gestalteter Dialog und Auseinandersetzung
5. Phase: Vertiefung, Prägnanz der Gefühle oder: sachliche Problemlösung
6. Phase: Verstandesmäßiges Nachvollziehen und Einordnen, Vereinbarungen und Hausaufgaben
7. Phase: Die Situation abschließen
2. Einige generelle Leitprinzipien der Moderation
Hier und Jetzt hat Vorrang
Die Beziehung zum Klärungshelfer hat Vorrang
Widerstände haben Vorrang
Störungen haben Vorrang
Dem Klärungshelfer muss wohl in seiner Haut sein
Mitfließen
3. Methoden der Moderation
Starten und Steuern
Unterbrechen und Abbremsen
Abschließen und Stoppen
4. Zwei grundsätzliche Aspekte der Moderation
Strukturierung und Oberhandsicherung
IV Selbstklärung
1. Einleitung
2. Beispiel 1: Ein unverheiratetes Paar kommt zum ersten Gespräch
3. Beispiel 2: «Ich weiß auch nicht, wie ich das sagen soll»
4. Einige allgemeine Leitprinzipien für die Hilfe zur Selbstklärung
Empathie
Den Klienten Glauben schenken
Sich mit dem Widerstand verbünden
5. Methoden und Interventionen zur Förderung der Selbstklärung
«Einfache» Fragen
Aktives Zuhören
Zusammenfassen
Drastifizierendes Zuhören
Kontrasuggestion
Auf die Ebene der konkreten Erfahrung wechseln
Die Botschaft des Körpers ermitteln
Verbale Hinweise aufgreifen
Schlüsselsätze als Ausgangspunkt der Selbstklärung
Dialog der Ambivalenzen
Symptome als Ausgangspunkt der Selbstklärung
Bildersprache, Analogien und Metaphern
V Kommunikationsklärung
1. Einleitung
2. Interventionsmethoden
Zur Aussage auffordern
Zur Reaktion auffordern
Den direkten Kontakt wiederherstellen
Doppeln
Verständnisüberprüfung
Zuhörübung
Gesprächsdiagnose
Ich-Du-Kernsätze austauschen
Das «Lehrgespräch» anhand exemplarischer Probleme
Rollenspiele
Kommunikationstheater mit Zuschauern
VI Persönlichkeitsklärung
1. Einleitung
2. Persönlichkeitstheoretischer Wegweiser
Die vier Grundstrebungen: Nähe – Distanz, Dauer – Wechsel
Sonnen- und Schattenseiten der Grundstrebungen
Ansichten vom Menschen und der Welt
Pathologische Übersteigerungen
Gesellschaftlich betonte Werte
Umgang mit Verstimmungen und Krisen
3. Vom Persönlichkeits- zum Beziehungsmodell
«Heimatgebiet» und aktueller «Standort»
Färbung der Gefühle in den verschiedenen Quadranten
Faszination des Gegenpoles bei der Partnerwahl
Schattenprojektion auf den Partner
Verkraftungsprinzip
Polarisierung
Annäherung über «Umwegschlaufen»
Umgang mit antisymbiotischen Tendenzen
Nebenbeziehungen
4. Diagnose und Interventionsmethoden
Unterschiedliche Arten, Kontakt zum Klienten zu gewinnen
«So kann überhaupt kein Klima entstehen»: Prozessbegleitende Diagnose während der ersten Sitzung
«Ich will immer machen, dass die anderen zufrieden sind»: Beispiel für eine Persönlichkeitsklärung
VII Systemklärung
1. Einleitung: Der zwischenmenschliche Teufelskreis
2. «Und das geht jetzt rundherum, rundherum . . . bis die 30 Jahre voll sind.»
Die erste Sitzung: Die ehelichen Teufelskreise
Die zweite Sitzung: Zusätzliche Motoren und Hausaufgaben
Die dritte Sitzung: Der Versuch, einen Teufelskreis aufzulösen
3. Diagnose von dyadischen Beziehungssystemen
Symptome von Teufelskreisen erkennen
Fallen rechtzeitig erkennen
Das Grundschema
Systemisch zuhören, einordnen und nachfragen
Teufelskreis zusammenfassen, aufzeichnen und bestätigen lassen
4. Systemische Interventionen
Die Bearbeitung eines Teufelskreises durch Gespräche und Skulpturen
Paradoxe Ansätze
Hausaufgaben
Das Umklappen in einen Engelskreis
VIII Aufklärung und Wertevermittlung
1. Einleitung
2. Methoden der Aufklärung und Wertevermittlung
«Angereichertes Doppeln»
Aktives Zuhören und Zusammenfassen mit verändertem Bezugsrahmen
Umdeutungen
Kleine Lektionen am Rande des Gespräches
Bilder und nonverbale Demonstrationen
3. Die drei Ebenen der Klärungshilfe
Literatur
«Das Gespräch ist aus, wir brauchen den dritten Mann dazu» – Resignation und Hoffnung zugleich liegen in diesem Satz eines Ehemannes, der damit das Thema des Buches formuliert: Wie verhält sich ein kundiger und neutraler Gesprächshelfer1, wenn zwei oder mehrere Personen erklärtermaßen in einer Sackgasse der Kommunikation und ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen gelandet sind und aus eigenen Kräften nicht mehr herauskommen; die «eigenen Kräfte» häufig gar alles zu verschlimmern drohen?
Sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich tritt der «Klärungshelfer» in Aktion, wenn das «Miteinander» von Menschen gestört ist, die im täglichen Leben miteinander zu schaffen haben (und einander ebenso zu schaffen machen!). Was dabei die Störung ausmacht und wodurch sie bedingt ist, ist in jedem Fall sehr verschieden und bereits Teil der Klärungsarbeit. Fast immer spielen undurchschaute und unausgedrückte Gefühle und Werthaltungen eine Rolle, oft aber auch eine komplizierte oder verworrene sachstrukturelle Lage, besonders bei Arbeitsgruppen im beruflichen Bereich. Beziehungs- und Kooperationsgruppen durch Klärungshilfe – dies scheint in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens mehr und mehr geboten und auch zunehmend akzeptiert.
Dabei vermeidet das Wort «Klärungshilfe» den Begriff der «Therapie», um Beziehungs- und Sachprobleme aller Art mit einzuschließen. Die Praxis, die wir mit diesem Handbuch anvisieren, betrifft nicht nur den fast klassischen Bereich der Ehe und Familie, sondern ebenso Wohngruppen, Gremien und Kollegien, Arbeitsgruppen und teilweise politische Fraktionen.
Nicht immer ist das Kind schon halb in den Brunnen gefallen. Besonders in größeren Unternehmen wird es zunehmend üblich, bei gewichtigen Zusammenkünften aller Art, wo die zielführende Bewältigung organisatorischer, sachlicher, menschlicher und zwischenmenschlicher Angelegenheiten nötig ist, einen «Externen» hinzuzuziehen, also jemanden, der außerhalb des Systems steht und nicht selbst in das Netzwerk von Interessen und Meinungen, Gefühlen und Beziehungen verstrickt ist. Die hier zu leistende Prozesssteuerung ist die Aufgabe von Moderatoren oder Organisationsentwicklungshelfern – wenn sie ihre Sache gut machen, so kann es für die Sache und für die Menschen ein wahrer Segen sein. Denn wer hat nicht schon erlebt, dass solche Sitzungen unerquicklich verlaufen sind: zäh und langatmig, turbulent und durcheinander, endlos und ineffektiv–, sodass auch diejenigen immer wieder Recht zu bekommen scheinen, die jegliche Mitbestimmung und Mitbeteiligung als «endloses Gequassel, bei dem sowieso nichts herauskommt» abtun. Tatsächlich scheint uns, dass «Basisdemokratie» ohne professionelle Moderation wenig Überlebenschancen besitzt.
Die Gesprächshelfer und Moderatoren, Organisationsberater und Vermittler (wie immer sie sich angesichts des jeweiligen sozialen Kontextes nennen mögen) kommen bei ihrer Arbeit notwendigerweise in die Situation, dass Menschen aneinander geraten oder den klärenden Kontakt vermeiden.
Zuweilen mag sich der Gesprächshelfer dabei fühlen wie ein hypnotisiertes Kaninchen, das zwischen zwei sich anzischenden Giftschlangen sitzt. Ein Teil der Lähmung, die das Kaninchen spürt, mag aus der Kinderzeit herrühren, wenn Vater und Mutter sich gestritten haben.
Der erwachsene Klärungshelfer kann lernen, nun nicht gleich den Kopf einzuziehen oder sich als Schiedsrichter zu versuchen, sondern mit Menschenkenntnis, Einfühlung und gut sortiertem Pannenwerkzeug den Kontrahenten zu helfen, miteinander «klar»zukommen. Diese Rolle stellt hohe Anforderungen an seine menschliche Integrität und seine professionelle Kompetenz. Ein Handbuch wie dieses ersetzt keine umfassende berufsbegleitende Weiterbildung, die nach ganzheitlichen Prinzipien auszurichten wäre – das heißt zum einen «Kopf, Herz und Hand» gleichermaßen anzusprechen hätte und zum anderen sehr viel Gewicht darauf legen müsste, das geeignete Vorgehen und das angemessene Kommunikationsideal aus dem Charakter einer jeweiligen Gesamtsituation abzuleiten: Die Moderation einer Vorstandsbesprechung ist keine Familientherapie, die Begegnung von Stadträten und gewählten Politikern im Kommunalbereich erfordert anderes als die Teamentwicklung in einem Krankenhaus mit ärztlichem, psychologischem und pflegerischem Personal.
Seit Erscheinen dieses Buches hat einer von uns, Christoph Thomann, viele Konfliktmoderationen speziell im beruflichen Bereich durchgeführt und erforscht. Diese Erfahrungen und Konzeptionen wurden 1998 von ihm in einem zweiten Band, «Klärungshilfe: Konflikte im Beruf». (rororo sachbuch 60462) veröffentlicht.
Wie gliedert sich das Gesamtwerk «Klärungshilfe» in diesen beiden Bänden? Im vorliegenden Band1 demonstrieren wir die wichtigsten Prinzipien und Methoden an der «klassischen» Grundsituation: ein Paar, eine Frau und ein Mann, beim Klärungshelfer. Dies ist ein didaktisch überschaubarer Rahmen, um das kleine und große Einmaleins der Klärungshilfe darzulegen. Der Folgeband 2 von Christoph Thomann basiert auf Konfliktmoderationen in beruflichen Teams. Er stellt somit eine konzeptuelle und methodische Erweiterung in doppelter Hinsicht dar, nämlich Berufskontext (statt privat) und mehrere Konfliktbeteiligte (anstatt nur zwei).
Seit dem Erscheinen dieses Buches 1988 hat sich auf dem Gebiet der Gesprächshilfe bei Konflikten viel und Erfreuliches getan. In Deutschland hat die Mediationsbewegung an Boden gewonnen und Publikationen und Ausbildungsgänge hervorgebracht, die von der vorliegenden «Klärungshilfe» profitiert haben (s. z.B. Besemer, 1995).
Alexander Redlich veröffentlichte 1996 seine «Konfliktmoderation». (Redlich, 1996) mit besonderer Berücksichtigung der Gruppe (des Teams) bei der Bearbeitung von Konflikten.
Klärungshilfe, Mediation, Konfliktmoderation: all diese Ansätze kreisen um ein gemeinsames Anliegen und weisen in Bezug auf ihre Entwicklungsgeschichte und ihre Eigenarten durchaus relevante Unterschiede auf. Einen systematischen Vergleich finden Sie in dem ausgezeichneten Aufsatz von Redlich und Mironov (2003). Unsere «Klärungshilfe» geht zweifellos am weitesten, was die Bearbeitung innerseelischer und zwischenmenschlicher Hintergründe des Konfliktgeschehens angeht: (Innere) Wahrheit geht vor Schönheit (im Gesprächsverhalten). Was richtiger und «besser» ist, entscheidet sich nicht zuletzt an den Umständen (dem Setting), den Eigenarten des Klienten und des Gesprächshelfers. Gut, wenn er/sie nicht (allzu) festgelegt ist.
Und für den Leser gilt hier wie auch sonst: Prüfet die Geister und behaltet das Beste!
Wie sind wir zu den Erkenntnissen gelangt, die wir in diesem Handbuch zusammengetragen haben?
Beide waren wir jahrelang als Kommunikationshelfer unterwegs gewesen, in Schulkollegien und wirtschaftlichen Arbeitsgruppen, im Kommunalbereich, Krankenhaus und in der Erwachsenenbildung. Einer von uns, Christoph Thomann, hatte in seiner Praxis zusätzlich viel mit Paaren zu tun. Der andere, Friedemann Schulz von Thun, war als Professor an einer Universität zusätzlich theoretisch interessiert: Lässt sich eine «Theorie der Klärungshilfe» entwickeln, die das Handeln eines kompetenten Gesprächshelfers zu erklären in der Lage ist und zugleich einen Orientierungsrahmen für einen Ausbildungsgang bieten kann?
So haben wir uns für ein Forschungsprojekt zusammengetan. Thomann kam für mehrere Monate von Bern nach Hamburg, um dort am Psychologischen Institut Gespräche mit Paaren, Familien und Wohngemeinschaften zu führen, die aufgrund eines Hinweises in der «Bild-Zeitung» dieses Sonderangebot der Universität wahrnahmen:
«Wer hat Ärger in der Familie oder im Arbeitsteam? – Uni-Psychologen wollen im Rahmen ihrer Forschung Hilfe bieten. Wer Gespräche über gestörte Beziehungen sucht, kann sich… anmelden.»
Wir haben die «Bild-Zeitung» um diese redaktionelle Notiz gebeten, da wir an einer Klientel interessiert waren, die möglichst wenig mit Universität und «Psychoszene» zu tun haben sollte. Tatsächlich meldeten sich überwiegend Paare und Familien, die in sehr einfachen Verhältnissen lebten.
Unsere Rollenaufteilung war meist derart, dass Christoph Thomann die Gespräche führte und Friedemann Schulz von Thun im selben Raum am Schreibtisch saß, sich Notizen machte und nach Ende des Gesprächs eine gemeinsame Auswertung leitete: Wie haben die Klienten, wie der Gesprächshelfer selbst das Gespräch erlebt, was schien dabei besonders günstig oder auch ungünstig, was ist den anderen anwesenden Forschern während des Gesprächs in den Sinn gekommen?
Auf diese Weise wurden nahezu 50Sitzungen auf Tonband und (überwiegend auch) auf Video gespeichert, zusätzlich wurden Protokolle angefertigt und später Nachbefragungen durchgeführt (Koliha, 1983). All diese Aufzeichnungen dienten als Grundlage für die weitere Auswertungsarbeit, die Herr Thomann im Rahmen seiner Dissertation in den nächsten beiden Jahren, zusammen mit vielen Studenten und Praktikanten1, vorgenommen hat. Der wissenschaftlich interessierte Leser möge die Originalarbeit einsehen (Thomann, 1985).
In allen Gesprächen wurde harte Beziehungsarbeit geleistet, und manchmal waren alle Beteiligten nahe daran, «die Flinte ins Korn zu werfen». Die Gespräche waren so schwierig, wie die Menschen es waren und die Situationen, in die sie sich verstrickt hatten. – Zuerst kommt ein junges Paar, unverheiratet und etwas freudlos an jenem Alltag leidend, der der ersten Verliebtheit gefolgt ist, sodass nun «gar nichts mehr läuft». Sie kommen einander nicht mehr näher und voneinander nicht mehr los.
Dann kommt eine Familie mit zwei Kindern. Die Frau ist ausgezogen, der Mann hat immer wieder getrunken – nun ist es nach einigen Wochen die erste Zusammenkunft auf «neutralem Boden». «Wir kriegen kein Gespräch zustande!», sagt die Frau, und er fragt skeptisch den Klärungshelfer: «Wir sind ja hier so eine Art Versuchskaninchen – können Sie uns überhaupt helfen?» – Alle vier wünschen sich ein «richtiges Familienleben», der Weg dorthin scheint noch weit.
Oder dann kommt ein älteres Ehepaar. Für den Mann ist es etwas ehrenrührig, sich zu «so etwas» hinzubegeben: «Wenn ich 35 wäre, würde ich eher das Haus hier abbauen, als mich hier hinsetzen!» Doch er ist entschlossen, diese Gespräche zu Stunden der Wahrheit werden zu lassen: «…dass man wirklich mal das ausspricht, was man sonst nicht ausspricht!» Die Frau sagt, sie weine oft aus heiterem Himmel und möchte nur «nett und ruhig und lieb leben» – weiter wollte sie nichts im Leben, aber dazu brauche sie Verständnis. Der Mann:
«Wenn ich zu dir spreche, spreche ich immer Klartext – nur du kriegst es in den falschen Hals – und zwar in den negativen Hals.»
Beide fürchten um die Harmonie ihres gemeinsamen Lebensabends. Er hat angefangen, heimlich zu trinken – und sie wird immer verbitterter:
«Und wenn Sie jetzt mit so einer Frau Jahrzehnte zusammenleben: Es ist bei uns kein Flöten, kein Lachen, kein Singen, da lässt man die Unterlippe hängen bis auf die Holzschuh.»
Den Klärungshelfer nimmt der Mann im ersten Gespräch genauestens unter die Lupe.
«Wenn Sie einen Patzer gemacht hätten, hätten Sie einen Backs gekriegt!»,
sagte er in der Nachbesprechung. – Was denn so ein Patzer gewesen wäre? Neugierige, intime Fragen zum Beispiel.
Beim nächsten Paar hegen Mann und Frau abgrundtiefes Misstrauen gegeneinander. Eifersüchtig hat er sie kontrolliert. Umso mehr hat sie ihm verheimlicht. Bis er eines Tages heimlich eine Abhöranlage in das Telefon einbaut, um ihre Gespräche abhören zu können. Sie möchte nun mit den Kindern ausziehen, er droht ihr mit Selbstmord.
«Ihr seid beide gute Streiter!», sagt der Klärungshelfer, und etwas später zum Mann:
«Sie müssen in Ihr Herz schauen lassen, um sie zu überzeugen.»
Auch beim nächsten Paar sieht es bös aus:
Er trinkt und verspielt Geld ins Uferlose, sie nimmt in ihrer Empörung kein Blatt vor den Mund. In die Spielhallen sei sie ihm nachgelaufen, immer wieder. Er hingegen beklagt sich mit vehementen Anklagereden, dass sie ihm das Leben zur Hölle mache: ewig diese Vorschriften, und der letzte Kuss vor viereinhalb Jahren: «Was soll ich mit so einer Frau – sie gibt mir nichts!»
Beim nächsten Ehepaar klagt der Mann;
«Wir sind uns im Prinzip völlig einig, aber wir können uns nicht verstehen.»
Während sie sich berufsmäßig «nach oben gearbeitet» haben, rutscht die Beziehung nach unten ab.
«Ich schlucke lieber zehnmal runter, als dass ich aus der Haut fahre», sagt er, aber alle vier Monate gibt es eine Großexplosion. Wie ist das, wenn der Mann abends nach Hause kommt? Der Klärungshelfer spielt die Szene mit der Frau einmal im Rollenspiel durch. Beim ersten Mal spielt sie ihren Mann, beim zweiten Mal sich selbst (laut denkend), beim dritten Mal wieder ihren Mann, nur, wie sie sich ihn wünscht.
Wer all diesen Sitzungen beiwohnt oder sie auf Videoband anschaut und dabei dem Klärungshelfer über die Schulter sieht, dem mag zunächst der Kopf schwirren angesichts der Vielfalt der Ereignisse: Mal hört der Helfer lange geduldig zu, mal unterbricht er sogleich und schlägt etwas ganz Neues vor. Dann wieder lässt er die beiden miteinander reden, ohne einzugreifen. Plötzlich macht er kleine Zeichnungen oder nimmt herumliegende Gegenstände, um etwas aufzubauen. Meistens sitzt er zwischen den Klienten, in Form eines «Mercedessterns», dann aber hockt er sich vorübergehend neben den einen Klienten, später auch neben den anderen, um stellvertretend für sie etwas zu sagen. – Die Vielfalt verwirrt, solange wir uns keinen Reim darauf machen können, solange wir kein ausgereiftes Verständnis davon haben, worin «Klärungshilfe» in ihrem Wesen besteht. Um zu diesem Verständnis zu gelangen, scheint es zunächst geboten, die Vielfalt theoriegeleitet zu ordnen. Nach eingehender Analyse der Sitzungen sind wir zu einem Ordnungsschema gelangt, das wir unter der Überschrift «Vier-Felder-Modell der Klärungshilfe» im nächsten Kapitel vorstellen. Dieses Schema dürfte allgemeine Gültigkeit beanspruchen, obwohl wir nur einen einzigen Klärungshelfer detailliert untersucht haben. Aber dieser darf durch seine Ausbildung und seine langjährige Praxis als ein typischer Repräsentant jenes verinnerlichten Wissensbestandes gelten, der im Rahmen der Humanistischen Psychologie und der Systemischen Kommunikationstherapie handlungsleitend geworden ist. Es gibt noch viele andere Wege nach Rom, aber auf diesem lässt sich bereits einiges entdecken und lernen.
Was tut der Klärungshelfer in all den schwierigen Gesprächen? Dem unbedarften Zuschauer solcher Sitzungen begegnet eine verwirrende Vielfalt von Verhaltensweisen und Interventionen des Klärungshelfers. Mal ist er mehr auf den Einzelnen konzentriert, und das Geschehen erinnert streckenweise an eine Einzeltherapie, freilich im Beisein des oder der anderen; ein anderes Mal mehr auf die Beziehung, das System, wobei der Brennpunkt der Aufmerksamkeit auf der Art des «Miteinanders» liegt. Mal werden Regeln und Gesetzmäßigkeiten herausgearbeitet, nach denen sich im täglichen Leben die individuellen Reaktionen und Interaktionsmuster bestimmen, dann wieder wird direkt im «Hier und Jetzt», am Prozess des Gegenwärtigen, gearbeitet.
Diese Sichtweise legt eine Einteilung der Arbeitsschwerpunkte in vier Felder nahe:
Vier-Felder-Tafel der Klärungshilfe
In den Zeilen werden die Aspekte Individuum– System, in den Spalten die Aspekte Prozess– Struktur unterschieden. Unter dem Stichwort «Prozess» werden solche Vorgänge zusammengefasst, die sich punktuell ereignen, sei es im «Hier und Jetzt» oder in der Rückbetrachtung wichtiger Schlüsselszenen «Dort und Damals». Mit «Struktur» sind die über Jahre hinweg «geronnenen» Prozesse gemeint, die sich in Persönlichkeitscharakteristika und Interaktionsmustern verfestigt haben. Aus dieser Zwei-mal-zwei-Zuordnung ergeben sich vier Felder, die wir im Folgenden genauer betrachten wollen und die das Gliederungsprinzip für das vorliegende Buch abgeben.
Der erste Quadrant betrifft den Prozess des einzelnen Klienten, sei es im Hier und Jetzt oder im Dort und Damals. Zum Beispiel: Was geht hier und jetzt in mir vor? Was genau will ich eigentlich? Oder: Was war damals mit mir los, als ich sagte: «Das ist ja nicht zum Aushalten mit dir!»? Wo «inneres Kuddelmuddel» herrscht, oder wo der Mensch verstummt ist und selbst nicht mehr weiß, was mit ihm los ist, da ist es Aufgabe des Klärungshelfers, ihn wieder in Kontakt mit sich selbst zu bringen. Nicht nur beim Neurotiker steht das Gesagte in einem fraglichen Verhältnis zum Gemeinten, also zu dem, was innerlich noch unausgedrückt vorhanden ist. Die «Sprechblase» ist nicht selten ein Kompromissprodukt zwischen dem, was ich sagen möchte, was man sagen sollte und dem, was man besser nicht sagt. Und während wir sprechen, haben wir manchmal ein Gefühl dafür, ob das, was wir von uns geben, wirklich «stimmt» – aber nicht im moralischen Sinne der Wahrheit und Lüge, sondern im Sinne der inneren Stimmigkeit. Ist diese vorhanden, treten an die Seite der Worte nicht selten starke Gefühle (der Rührung, der Verletztheit, der Traurigkeit, des Zorns usw.). Es ist, als ob diese Gefühle sagen wollten: Ja, genauso ist es, jetzt ist es aus dem Herzen gesprochen! Da wir vielfach auch Angst haben vor solchen Gefühlen (und der damit verbundenen Verletzlichkeit), haben wir uns oft eine Art zu reden angewöhnt, die uns diese Gefühle erspart – dann geben wir Sprechblasen als leblose Kunstprodukte von uns, die innerlich nicht gedeckt sind und auch beim Gegenüber nichts bewegen.
Hilfe zur Selbstklärung ist Hilfe zur Authentizität. Und Authentizität ist in nahen Beziehungen sowohl ein Ziel in sich selbst als auch eine Voraussetzung für Beziehungsklärungen.
Betrachten wir nun den zweiten Quadranten, wo der punktuelle Prozess sich nicht mehr bloß auf den Einzelnen richtet, sondern die Beziehung, das «System» in seinem dialogischen Hin und Her betrifft. Hier stellt sich die «Transportfrage»: Wie kann ich das, was ich für mich selbst (mehr oder minder) klar habe, auch vermitteln? Zuweilen wissen die Klienten ganz genau, was in ihnen vorgeht und was sie sagen möchten (Hilfe zur Selbstklärung also überflüssig), aber sie haben Mühe, es «herauszubringen» und dem anderen so zu vermitteln, dass es ihn wirklich erreicht und dass er es nicht in den falschen Hals bekommt. Wörtlich sagte eine Klientin: «Innerlich habe ich einen klaren Fluss, aber heraus bringe ich ein trübes Rinnsal!»
Ist der Klärungshelfer im ersten Quadranten gleichsam die Hebamme einer klaren Aussage, so geht es nun darum, die zutage geförderte Botschaft zu transportieren und in den «richtigen Hals» gelangen zu lassen. Es geht also um Förderung des Kontaktes und des zwischenmenschlichen Dialoges.
Im dritten Quadranten (Individuum/Struktur) geht es um die Aufhellung der Persönlichkeitsstruktur und der individuellen Eigenarten; im therapeutischen Kontext ebenso um die Aufhellung und Nachbearbeitung biographischer Schlüsselszenen. Die Frage lautet für jeden Gesprächspartner: Was bin ich für einer, wie bin ich zu dem geworden, welche persönlichen Gesetze sind mir eigentümlich? Diese Aufhellung der Persönlichkeit hat nicht erstrangig den Selbstzweck, dass sich der Klient besser kennen lernt; sondern es hat – durch das ständige Dabeisein des oder der anderen – hauptsächlich den kommunikativen Aspekt «Wisse, dass ich so einer bin und so und so ‹funktioniere›!». Das Wissen um die persönlichen Eigenarten, Bedürfnisse und «Macken» des anderen erleichtert es dem Partner, nicht alles auf sich zu beziehen (und dann unter Umständen sehr verletzt zu sein), sondern die Verhaltensweisen, die ihm widerfahren, auch als Ausdruck der persönlichen Eigenarten des anderen zu begreifen; kommunikationspsychologisch ausgedrückt: Er wird in die Lage versetzt, mehr mit dem «Selbstoffenbarungs-Ohr» zu hören und weniger mit dem empfindlichen «Beziehungs-Ohr». (Schulz von Thun, 1981).
Ging es beim ersten Quadranten um die Klärung der Innenwelt zu einem gegebenen Zeitpunkt, so geht es im dritten Quadranten um die regelhaft wiederkehrenden Muster einer gewordenen Persönlichkeit.
Im Kontext der Berufswelt liegt der Akzent statt auf der Persönlichkeitsklärung mehr auf der Rollenklärung: Wie definiere ich meine Rolle, was sehe ich als meine Aufgabe an (und was nicht), und wie ist meine Art, diese Rolle zu gestalten?
Im vierten Quadranten (System/Struktur) geht es um die Interaktionsstruktur, die sich im Laufe der Zeit eingespielt und zu Regelhaftigkeiten verfestigt hat. Was passiert also, wenn die im Quadranten drei ermittelten Persönlichkeitsstrukturen aufeinander prallen? Hier geht es um die Klärung der Frage: Was läuft bei uns ab? Oft sind es Teufelskreise, die ein leidvoll gewordenes System aus sich selbst heraus am Leben erhalten. Aufgabe des Klärungshelfers ist es hier, solche regelhaft wiederkehrenden Interaktionsstrukturen zu erahnen, herauszuarbeiten und sie unter Umständen in einer prägnanten Form zu präsentieren. Ging es im Quadranten zwei um die Förderung eines klaren Dialoges, um die Ermöglichung eines authentischen Gespräches im Zustand der Betroffenheit, so geht es im Quadranten vier eher darum, sich zu distanzieren und die täglichen Abläufe gleichsam vom «Feldherrenhügel» aus zu betrachten. Diese Betrachtung kann dazu dienen, den eingeschliffenen Gesetzmäßigkeiten der Interaktion nicht mehr blind zu unterliegen, sondern ihrer Herr zu werden.
Wir sind nun in der Lage, das Vier-Felder-Schema der Klärungshilfe inhaltlich zu füllen und damit die vier hauptsächlichen Klärungsbereiche zu benennen, mit denen es der Helfer zu tun bekommt:
Die vier Klärungsfelder
Im Verlauf des Forschungsprojektes hat es sich gezeigt, dass mit diesen vier Feldern der Klärungshilfe das Handeln des Klärungshelfers in seinen wichtigen Ausschnitten noch nicht hinreichend beschrieben ist. Wir haben uns deshalb veranlasst gesehen, zwei weitere Aspekte (und entsprechend zwei weitere Kapitel) hinzuzunehmen: die Moderation und die Belehrung.
Zunächst einige Worte zur Moderation. Um überhaupt zu den beschriebenen Klärungsaktivitäten zu kommen, ist es unerlässlich, dass die Steuerung des Geschehens vom Anfang bis zum Ende in der Hand des Klärungshelfers liegt. Dieser setzt den Anfang, definiert das Ende und strukturiert mehr oder weniger das Dazwischenliegende. Uns ist aufgefallen, dass unerfahrenen Gesprächshelfern die Situation leicht entgleiset – es fehlt dann nicht an Einfühlsamkeit, sondern an der ordnenden Hand! Für eine klare Struktur zu sorgen, ist besonders am Anfang wichtig: Wie ist der zeitliche, örtliche, inhaltliche und finanzielle Rahmen? Wie lautet der Auftrag? Welche Vorgehensweisen scheinen angesichts dieser Vorbedingungen angemessen? Es wird bereits deutlich, dass Moderation der inhaltlichen Klärungsarbeit vorgeordnet ist. Wie wir sehen werden, hat sie einen strukturellen und einen beziehungsmäßigen Aspekt.
Indem der Klärungshelfer die Situation strukturiert, hat er die Oberhand über das Geschehen – und sollte sie nach unserer Auffassung auch haben! Immer wieder kommt es vor, dass ihm die Oberhand von einem oder mehreren Klienten streitig gemacht wird. Dagegen muss er sich wappnen, um seinen Auftrag erfüllen zu können.
Wir werden im nächsten Kapitel mit den Prinzipien und Leitgedanken beginnen, die für die Moderation eines Sitzungsverlaufes bedeutsam sind.
Je länger wir die Sitzungsprotokolle studierten und je mehr wir in das Material eindrangen, umso weniger ließ sich – wenn sie je vorhanden war – die Fiktion des wertfreien Moderators und Klärungshelfers aufrechterhalten. Überdeutlich trat zutage: Der Klärungshelfer ist auch Lehrer, Belehrer und Wertvermittler. Das Wort Neuorientierung besagt also, dass es in der Klärungshilfe nicht einfach um ein rein formelles, sozusagen technisch wertfreies Herstellen und Wiederherstellen von Kommunikation, Klarheit und Kontakt geht. Es geht um Werte, Weltanschauungen und Lehrinhalte, die mal «hinter» den einzelnen Interventionen stehen und das gesamte Klima beeinflussen und auch mal direkt gesagt werden.
Wir gehen davon aus, dass viele Überzeugungen, Werthaltungen und Alltagstheorien (zum Beispiel «Ein Mann weint nicht») leiderzeugend sind, das heißt den Umgang mit sich selbst und anderen Menschen erschweren. Solche falschen Vorstellungen sind im Laufe der Lebensgeschichte per Indoktrination in die Menschen hineingekommen; deswegen haben wir im Projektteam – mit ein wenig Augenzwinkern und Ironie – von «humanistischer Re-Indoktrination» gesprochen, um den Bereich der Belehrung und Wertevermittlung vonseiten des Klärungshelfers sprachlich zu markieren.
Zum Teil sind es wirklich kleine Lektionen und «Predigten», die der Klärungshelfer bei Gelegenheit von sich gibt. Zum großen Teil aber ist seine Wertewelt als heimliches Begleitgepäck in allen seinen Interventionen enthalten! «Klären und Lehren» erweisen sich als untrennbare Einheit. Deswegen halten wir es für eine wichtige Voraussetzung für jeden Klärungshelfer, dass er seine «missionarische» Seite kennt, seine Wertewelt und sein «Lehrgebäude» in Sachen der Zwischenmenschlichkeit entwickelt und bewusst verfügbar hat. Darin eingeschlossen sei die Bewusstheit, dass allzu viel «Predigen» auch ein Hinweis darauf sein kann, dass der Klärungshelfer, indem ihm die missionarischen Pferde durchgehen, unbewusst seine eigenen Angelegenheiten verfolgt und dem Klienten aufdrückt. Diese Gefahr im Auge, halten wir jedoch ein gewisses Maß an Einflussnahme, Belehrung und «Re-Indoktrination» nicht nur für unvermeidlich, sondern auch für wünschenswert. Im Kapitel VII haben wir einige missionarische Inhalte zusammengestellt sowie Beispiele für die expliziten und impliziten Vermittlungsformen.
So hat sich das Vier-Felder-Schema der Klärungshilfe zu einem dreistöckigen Gebäude erweitert. Das Fundament bildet die Vermittlung der Wertewelt, im Erdgeschoss sind die vier Felder der Klärungshilfe, und das Dach ist für die Moderation reserviert. Dieses «Klärungshilfehaus» bildet von nun an die Grundstruktur des vorliegenden Handbuchs, mit folgender Kapitelfolge:
Das «Klärungshilfehaus» und die Kapitelfolge
Die Moderation schwieriger Gespräche ist ein Thema für sich und bildet nicht den Schwerpunkt des vorliegenden Handbuches. Es gibt darüber gute Literatur, zum Beispiel Kleben u.a., 1984, oder Schnelle, 1982.
Wenn wir hier trotzdem ein Kapitel dafür vorsehen, dann aus der Einsicht heraus, dass Klärungshilfe ohne einen geordneten Gesprächsverlauf nicht möglich ist, und dafür ist der Klärungshelfer zuständig. Für eine systematische Gesamtdarstellung verweisen wir auf die oben genannte Literatur und bringen in diesem Kapitel einige Aspekte, die uns im Umgang mit Paaren und Kleingruppen wichtig geworden sind.
Nehmen wir folgende Situation:
Eine fünfköpfige Familie hat sich zur Beratung angemeldet. Es erscheinen, mit viertelstündiger Verspätung, Herr und Frau S. sowie die Zwillinge Lars und Sven. Zwei Wochen vor diesem Termin erfolgte eine telefonische Voranmeldung durch Frau S., die im Laufe dieses Gesprächs einiges über die Problematik und aktuelle Situation der Familie mitgeteilt hat. Der Klärungshelfer möchte anfangs auf diese Vorinformation eingehen, wird aber davon abgehalten, da Herr S. gleich lossprudelt und eine lange Vorrede hält. Im Bemühen, zunächst einmal die Nöte aufzunehmen, die ihm da entgegenschlagen, gelingt es dem Klärungshelfer nicht zu rekapitulieren, wie Frau S. im telefonischen Erstkontakt die Entstehung der jetzigen Situation erklärte. Ein erstes Moderationsprinzip wäre hier, dass alle anderen Familienmitglieder genau wissen sollen, was bis jetzt gelaufen ist, bevor der inhaltliche Gesprächskontakt aufgenommen wird.
Indem gleiche Voraussetzungen für alle geschaffen werden, vermeidet der Klärungshelfer, zum Geheimnisträger oder auch – in den Augen der Restfamilie – zum Verbündeten desjenigen zu werden, der sich als Erstes gemeldet und bereits seine Sicht der Dinge mitgeteilt hat. Im Laufe der Vorrede von Herrn S. erfährt der Klärungshelfer weiter, dass eine ältere Tochter Katja heute noch verspätet nachkommen will. Frau S. möchte etwas Entschuldigendes zur Verspätung vorbringen, als die beiden Söhne beginnen, sich lautstark um vorhandene Klötze zu streiten.
Im Klärungshelfer kommt gewisse Nervosität auf. Schon die anfängliche viertelstündige Verzögerung hat ihn geärgert, und auch das Gezeter der beiden Kinder regt ihn auf. Vielleicht ist er aber ein höflicher Mensch, und vielleicht denkt er auch, ein professioneller Gesprächshelfer1 sollte sich zurückhalten können und seine Fassung bewahren. Er übergeht also großzügig die Verspätung, ignoriert den Streit der Söhne und die Abwesenheit der Tochter, um doch noch zum Wesentlichen, dem Anliegen der Familie, durchzudringen. Dies gelingt ihm auch während der Sitzung, allerdings immer wieder von Störmanövern der Zwillinge aufgehalten und in einem – nach seinem Gefühl – entscheidenden Augenblick vom Hereinplatzen der Tochter unterbrochen.
Nach der Stunde fühlt er sich völlig erschöpft, nach weiteren drei Terminen entscheidet er sich, «den Fall» abzugeben, da es ihn zu viel Nerven und Kraft kostet.
Was ist hier unter dem Moderationsaspekt schief gegangen? Moderation betrifft zunächst die Planung und Gestaltung des gesamten äußeren Rahmens.
Dazu gehören sowohl die räumlich-zeitlichen Vereinbarungen wie auch alle vertraglichen Übereinkünfte, zum Beispiel finanzieller oder thematischer Art zwischen Berater und Klienten. Kommt eine Familie eine Viertelstunde zu spät und entgegen ihrer Anmeldung unvollständig, so sollten Ursache und Konsequenzen dieser kleinen «Erstvertragsbrüche». (nach mündlicher Absprache) ruhig und offen angesprochen werden, ohne dabei in einen anklagenden Unterton zu verfallen.
Ziel ist dabei, optimal Klarheit im Umgang miteinander zu erreichen, was in deutlichem Gegensatz zum sonstigen Verhaltensstil der Familienmitglieder stehen mag und erste Veränderungen durch eindeutige Grenzsetzung bewirken kann. Denn Grenzen sind realer Bestandteil dieser Situation, räumliche (Raum einer Klinik, Beratungsstelle…), zeitliche (nachfolgender Termin) und – nicht weniger entscheidend – psychische Belastbarkeitsgrenzen.
Keine Grenzen vorzugeben heißt, die üblichen Regeln des Systems zur vollen Entfaltung kommen zu lassen, wie in diesem Beispiel auch geschehen, und damit qualitativ neue Erfahrungen zu verhindern.
In der Moderationsaufgabe nimmt der Berater überwiegend zwei Rollen wahr:
Er ist zugleich Gastgeber und Regisseur des Geschehens. Überbetont er die Gastgeberrolle, so läuft er Gefahr, sich in Höflichkeits- und Versorgungsgesten zu verlieren, verhält er sich von Anfang an nur als strukturgebundener Regisseur, kann es sein, dass er Widerstände und Ängste seiner Klienten vor Fremdbestimmung ungewollt verstärkt.
Er hat also die schwierige Doppelaufgabe, zu jedem Einzelnen in einer Atmosphäre des Wohlwollens Kontakt aufzunehmen und gleichzeitig die Bedingungen der Kontaktgestaltung erstens selbst zu definieren und zweitens immer wieder abzusprechen und die gemeinsam «abgesegneten» durchzusetzen.
Gelingt es ihm nicht, seine Bedingungen zu realisieren, verschenkt er eigene Handlungsfähigkeiten und Energie. Als Regisseur muss er in der Lage sein, die Rahmenbedingungen für veränderte und veränderbare Spielkonstellationen zu gestalten und dabei störende Außenfaktoren wie zum Beispiel Verspätungen oder Unklarheiten über den Sitzungsablauf auszuschalten. Nur so wird eine Korrektur der alten Rollenvorgaben möglich. Moderation hat demnach viel mit einem Gefühl für die Reihenfolge zu tun; das heißt, dass bestimmte Dinge noch nicht dran sind oder dass andere Dinge auf jeden Fall vorher besprochen werden müssen. Um dieses Gefühl für die Reihenfolge zu schulen, geben wir hier einen Ablaufplan, der sich für viele Sitzungen bewährt hat und den der Gesprächshelfer mindestens im Hinterkopf haben sollte, sodass er gewahr wird, wann und aus welchem Grunde er davon abweicht.
«Wie geht es Ihnen hier und jetzt, und was ist außerdem noch wichtig?» Der Klärungshelfer stellt mit jedem Anwesenden einzeln Kontakt her, um sowohl die therapeutische Beziehung herzustellen als auch die Wahrheit der Situation anzusprechen, herauszufinden, ob jeder Anwesende überhaupt hier sein will und wie stark seine Motivation ist und was mögliche Hindernisse sind. Er stellt dazu offene Fragen:
«Wie kam diese Sitzung zustande? Wer hat telefoniert? (Wenn der Klärungshelfer nicht selber die telefonische Anmeldung entgegennahm.) Was weiß der Klärungshelfer dadurch bereits? Welche Bedenken sind da, und wie kommt das? Und wie ist es jetzt, trotzdem hier zu sein?»
Bei der Beantwortung hört der Klärungshelfer aktiv zu, versucht zu verstehen und geht auf die Widerstände real ein, das heißt, sie werden nicht therapiert, sondern gewöhnlich verhandelt. Zum Beispiel:
«Sie haben heute nur eine halbe Stunde Zeit für die Sitzung. Das ist für mich zu kurz, daher betrachte ich es als Vorbesprechung, sodass wir nicht zu tief hineingeraten, und ich bitte Sie zu schauen, dass ich in einer halben Stunde die Sitzung beende. Ich möchte nicht, dass Sie zu spät zu Ihrer Verabredung kommen. Normalerweise brauche ich für eine solche Sitzung anderthalb Stunden, im Minimum aber eine ganze Stunde. Ist Ihnen das auch sonst zu lange, oder können Sie nur heute nicht?»
In dieser Anfangsphase dreht es sich auch darum, alles Organisatorische, Administrative und Geschäftsmäßige zu regeln, sozusagen einen mündlichen Kontrakt (Arbeitsbündnis) herzustellen. In diesen Fragen begegnen sich Klienten und Klärungshelfer als Geschäftspartner: Der Klient ist Auftraggeber. Hier geht’s um Geld und Qualität, Angebot und Nachfrage, «Lieferbedingungen» und Kooperationsgrundlagen. Das zu verleugnen, wäre die Grundlage für spätere Enttäuschungen und Missverständnisse, denn die Illusionen von heute sind die Katastrophen von morgen. Wird hingegen vorher die Wahrheit der Situation angesprochen und als Ausgangslage einbezogen, sind die Grenzen, Einschränkungen und Behinderungen, wie zum Beispiel Geld, Abhängigkeit, Einseitigkeit und Hierarchie, in der Beziehung zwischen Klärungshelfer und Klienten nicht mehr störend. Der gemeinsame Kontrakt enthält nicht nur das Äußere (wann, wo, wie lange, wie teuer), sondern stellt auch das «Wie» zur Diskussion. Der Klärungshelfer muss dabei seine Ansprüche und Grenzen einbringen und vertreten. Wenn ein Klient sagt:
«Ich mache schon mit, wenn ich nicht mein Innerstes nach außen kehren muss», oder
«Ich will kein Seelenstriptease», oder
«Ich war mal bei so einem Psychologen wie Sie, und das hat mir gar nicht gefallen»,
dann lernt der Gesprächshelfer den Hintergrund dieser Ansprüche oder Bedenken kennen und lässt sie unter Umständen Teil des Kontraktes werden. Etwa wie folgt:
«Gut, wenn ich Sie jemals an diesen Psychologen erinnere, mit dem Sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, dann müssen Sie mir das sofort sagen. Das ist wichtig, damit Sie nicht wieder dem Gleichen ausgeliefert sind, was Ihnen schon damals nicht gut getan hat.»
Moderationsaufgabe des Klärungshelfers in der 1.Phase: Dafür sorgen, dass alles angesprochen und geklärt wird, was als Gesprächsvoraussetzung wichtig ist (Wahrheit der Gesamtsituation). Noch keine Klärungsarbeit, sondern die Situation selbst erhellen und genau differenzieren. Der Klient soll als Auftraggeber seine Vorstellungen, Erwartungen und Befürchtungen zum Ausdruck bringen können.
«Was möchten Sie heute besprechen?»
«Was möchten Sie verändern?»
«Um was geht es Ihnen, was möchten Sie in dieser Sitzung?»
«Wenn es nur nach Ihnen ginge, was würde hier geschehen?»
Eine Frage in diesem Sinne richtet der Klärungshelfer an jeden Klienten einzeln, sodass er nachher eine Anzahl von Anliegen hat, die er mit den Klienten zusammen in eine Bearbeitungsreihenfolge bringt, die weitgehend von den Klienten bestimmt wird.
Kann sich der Klärungshelfer mit einem Anliegen oder Thema nicht einverstanden erklären, wird das zuerst verhandelt, bis alle Anwesenden dazu ja sagen können.
Mit dem ersten Anliegen wird sogleich begonnen. Es bildet das Thema der Sitzung und ist für die folgenden Phasen inhaltlich der rote Faden. In Ausnahmefällen kann auch ein anderes Thema als das von den Klienten angesprochene vorrangig zum Thema der Sitzung werden, zum Beispiel: Die Klienten können sich nicht auf ein Thema einigen, dann kann gerade dies zum Thema gemacht werden.
Oder:
Dem Klärungshelfer fällt auf, dass die Entscheidungsfindung auffällig unpartnerschaftlich oder gar pathologisch stattfindet. Dann kann er von sich aus dies zum Thema machen.
Grundsatz: Das Hier und Jetzt, was sich also im Moment gerade abspielt, hat als Thema – vor dem Abgemachten– Vorrang, vor allem, wenn es dessen Bearbeitung beeinflusst oder stört. «Was willst du in die Ferne schweifen, das Gute liegt so nah.» Warum will man zum Beispiel ein vergangenes Ereignis hervorholen, wenn gerade jetzt etwas schief läuft, «negative» Gefühle da sind oder dem Klärungshelfer etwas auffällt, das eventuell charakteristisch und grundlegend für die Struktur der Beziehung ist?
Zurück zu den Wünschen der einzelnen Klienten. Nehmen Sie sie sehr ernst! Sowohl inhaltlich als auch in der genauen Formulierung, zum Beispiel wenn jemand in der ersten Sitzung sagt «Ich verstehe ihn einfach nicht, möchte aber, dass es für ihn möglich wäre, mit mir zu leben», dann sollte man für diesen Satz gleichsam einen Speicherplatz im eigenen Gedächtnis reservieren, um auch in späteren Sitzungen jeweils darauf zurückkommen zu können, und sei es nur, um zu überprüfen, ob der alte Auftrag immer noch aktuell ist, oder ob er sich inzwischen gewandelt hat.
Bei einer Serie von mehreren Sitzungen stellt der erste Auftrag immer wieder einen Anhalts- und Vergleichspunkt dar, an dem sich der Klärungshelfer orientieren kann.
Moderationsaufgaben des Klärungshelfers in der 2.Phase:
Dafür sorgen, dass jeder sein Anliegen für die Sitzung herausbringt.
Eine Einigung über das Thema der Stunde herbeiführen.
Das gewählte Thema zum roten Faden der Sitzung machen.
«Können Sie mal genau erzählen, was es für Sie ist?»
«Wie kam es dazu?» «Was hängt damit zusammen?»
«Können Sie mehr und konkreter darüber sprechen?»
Jetzt beginnt also die inhaltliche Klärungsarbeit. Ein konkretes Thema oder Problem wird behandelt. Jeder der Anwesenden darf sich dazu äußern, bis er das Gefühl hat, er hätte alles Wichtige gesagt und werde zumindest vom Klärungshelfer verstanden. Dieser hört zu, versucht zu verstehen, unterbindet jede Interaktion zwischen den Klienten («Du lügst, das war nicht so, das stimmt gar nicht usw.») mit dem Hinweis, dass im Moment nur einer nach dem anderen dran ist und jeder seine subjektive Sichtweise darstellt. Der Klärungshelfer versucht dabei, besonders hellhörig für die Gefühle der Klienten zu sein und sie ihm eventuell durch Spiegeln bewusst zu machen. Diese tiefere Ebene des Zuhörens und Verstehens stellt gleichzeitig den «Tiefen-Kontakt» zum Klienten her.
Ziel dieser Phase ist es nicht nur, die verschiedenen Positionen der Klienten abzustecken, sondern auch, sie für die kommende Kommunikationsklärung fähig zu machen. Durch Zuhören und geduldiges Verstehen werden ihre Ohren geöffnet, ihre gegenseitige Zuhörbereitschaft vergrößert. Wer sich verstanden fühlt, kann auch andere verstehen.
Diese Phase ist erst abgeschlossen, wenn der Klärungshelfer überprüft hat, dass er alle anwesenden Klienten möglichst vollständig verstanden hat. Dabei ist es gut möglich, dass er dazu dem einen viel mehr Zeit widmen muss als dem anderen. In dieser Selbstklärung vermeidet der Klärungshelfer vorerst jede Konfrontation, sondern lässt die Klienten «sprudeln» oder hilft ihnen, sich auszudrücken. Er setzt dabei die im Kapitel Selbstklärung behandelten Methoden ein.
Dabei wird das ursprüngliche Thema nicht zu sklavisch eingehalten, sondern hier lässt der Klärungshelfer den roten Faden locker. Meistens kommen hier zusätzlich Sekundärthemen ins Spiel, die für die betroffenen Klienten unmittelbar mit dem Hauptthema zusammenhängen. Der rote Faden kann sich demnach vorübergehend verdoppeln oder verdreifachen.
Moderationsaufgaben des Klärungshelfers in der 3.Phase:
Er hat dafür zu sorgen, dass jeder der Anwesenden seine subjektive Sichtweise eines Problems vorbringen kann, und zwar so lange, bis er das Gefühl hat, restlos verstanden zu sein;
Interaktionen zwischen den Klienten zu unterbinden, auch um sie
langsam zu gegenseitigem Zuhören und Verstehen hinzuführen.
«Was sagen Sie dazu, wie reagieren Sie darauf?»
«Wie ist es für Sie, wenn Ihr Partner…, wie er eben sagte?»
«Fragen Sie ihn mal, ob das für Ihn wirklich so ist, wie Sie es vermuten.»
Wenn der Klärungshelfer verstanden hat, wie die einzelnen inhaltlichen Sichtweisen und Gefühle zum Thema liegen (und die anderen gleichfalls zugehört haben), das Klima durch das Verstehen des Klärungshelfers ruhig und akzeptierend geworden ist, ist die Zeit für die direkte Kommunikation zwischen den Klienten gekommen.
In der Kommunikationsklärung geht es darum, dass sich die Klienten gegenseitig mitteilen können und einander zuhören, damit sich ein Dialog entwickelt und sich im Idealfall jeder vom anderen verstanden fühlt. Belastende Ereignisse sollen auf eine Art miteinander behandelt werden, dass es für jeden ein positives Erlebnis wird. Diesen Dialog zwischen den Klienten lässt der Gesprächshelfer frei laufen, solange er nach den Kriterien der Kommunikationspsychologie kontaktfördernd verläuft. Wenn hingegen die Kommunikation in den alten Sackgassen zu landen droht – und der Klärungshelfer ist geschult, schon die Vorboten solcher Sackgassen auszumachen–, dann unterbricht, hilft, ergänzt, vertieft, konkretisiert, quadriert er gemäß der Interventionspsychologie des Kommunikations-Klärungs-Quadranten (Kap. V).
Moderationsaufgaben des Klärungshelfers in der 4.Phase:
Darauf achten, dass sich die Klienten gegenseitig mitteilen und einander zuhören;
unterbrechen, wenn Verständigung nicht gelingt, und Hilfstechniken zur Verbesserung der Kommunikation einsetzen;
sich innerlich Inhalte und Besonderheiten im Ablauf der Verständigung merken.
Je nachdem, ob es sich eher um einen therapeutischen oder eher um einen beruflichen Kontext handelt, folgt nun eine Vertiefungsphase der Gefühle und ihrer Verstrickungen oder eher eine sachliche Problemlösephase. Zur Moderation der Problemlösung verweisen wir auf Th. Gordons «Methode III». (Gordon, 1972, S.186).
Im therapeutischen Kontext kommt oft irgendwann der Punkt, wo «mehr Reden» nicht «mehr Verstehen und Klären» zur Folge hat. Dann gilt es von den Worten und vom Verstandesmäßigen wegzukommen, sodass, was vorher erkannt und ausgetauscht wurde, nun noch gefühls-verdeutlichend erlebt wird, um es sich unauslöschbar «in die Seele zu schreiben». Dabei liegt die Betonung nicht auf dem Verändern und Missionieren, sondern auf dem Akzeptieren der Gegebenheiten. Die Mittel dazu sind: Zeichnungen, Bilder, Skulpturen, Analogien, graphische Darstellungen und Materialisationen von Gefühlszuständen (siehe Kapitel IV).
Thema einer solchen Darstellung kann sein, was sich in den Phasen 3 und 4 als alltagsrelevant, gefühlsmäßig wichtig und weichenstellend für die Handlung erwiesen hat. Zum Beispiel:
«Wir sind so unterschiedlich wie zwei Welten. Beide haben ihre Berechtigung und könnten einander ergänzen.» Oder:
«Ich bemühe mich immer, meine Wünsche angemessen verkleinert vorzubringen. Wenn du sie dann noch zurechtstutzt, bin ich empört.»
Oder:
«Wir kommen sonst gut aus, nur die Geschichte mit dem ältesten Sohn trennt uns wirklich. Ich kann dich da einfach nicht begreifen.»
In dieser Phase gilt der Grundsatz: «Ein Bild ist tausend Worte wert – und erreicht die Gefühle besser.» Im zweiten Teil dieser Phase hat dann auch der Ausblick auf eine mögliche Änderung Platz. Auch mit analogen Mitteln kann nach der Bewusstwerdung und Akzeptierung des Gegebenen ein Ausblick in eine Wunschzukunft gewagt werden:
«Wie möchten Sie es denn am liebsten haben? Wie wäre der ideale Zustand für Sie? Und wie müssten Sie sich selber ändern, damit er eher möglich ist?»
Solche Wunschsituationen können auch verhaltensmäßig in einem Rollenspiel ohne Anspruch auf Echtheit oder Realität geprobt werden.
Moderationsaufgaben des Klärungshelfers in der 5.Phase:
Ermöglichung gefühlsverdeutlichender Prozesse durch erfahrbare Darstellung der aktuellen Situation (Zeichnungen, Skulpturen, drastische Wortbilder…).
Wenn Bewusstheit und Akzeptieren des Gegebenen über analoge Mittel erreicht ist, zum konkreten Veränderungswunsch übergehen.
Hier geht es darum, das bis jetzt von verschiedenen Standpunkten aus als widersprüchlich und gefühlsmäßig als wahr oder falsch Empfundene kognitiv zu verstehen.
Ziel ist es, dass die Klienten ihr egozentrisches Erleben mit dem Blick aufs Ganze ergänzen können und alle Betroffenen eine gemeinsame Theorie über ihre Schwierigkeiten entwickeln. Diese Theorie sollte nicht einem die Schuld zuschieben, jemanden als krank oder bösartig erscheinen lassen. Wichtig ist, dass diese gemeinsame Theorie ihrer Schwierigkeiten alltagsrelevant ist, also nicht nur eine «Therapiesitzungsrealität» hat. Ferner muss sie veränderungsermöglichend wirken. Wenn die Klienten dieses systemische Modell der Wirklichkeit kennen und alle es als für sich selber gültiges akzeptieren, kann der Klärungshelfer für die Zeit zwischen den Sitzungen Verschreibungen oder Hausaufgaben als therapeutische Intervention einsetzen.
Moderationsaufgaben des Klärungshelfers in der 6.Phase:
Die Klienten darin unterstützen, eine veränderungsoffene und alltagsrelevante, gemeinsame Theorie ihrer Schwierigkeiten zu entwickeln.
Der Lösung des sachlichen Aspektes des Themas/Problems einen Schritt näher kommen.
Bevor man auseinander geht, sollte eigentlich jeder noch einmal die Gelegenheit haben zu sagen, wie das Gespräch für ihn war, wie er sich im Augenblick fühlt, mit welcher Stimmung er jetzt den Raum verlässt und was noch offen ist. Der Moderator sollte selbst bei Zeitdruck zumindest ein kurzes Blitzlicht zum Schluss vorsehen und sich dabei unter Umständen selbst einbeziehen. Der Moderator sollte unbedingt klären, wie man verbleibt. Und zwar inhaltlich, was gegangen ist, und vor allem, was (noch) nicht drankam. Aber auch: Wie soll es weitergehen? Wer unternimmt als Nächster was, damit der Klärungsprozess weitergeht?
Moderationsaufgaben des Klärungshelfers in der Phase 7:
Dafür sorgen, dass die Klienten nicht unnötigen und negativen Ballast mitschleppen, sondern ihn noch an Ort und Stelle loswerden können.
Durch abschließendes Blitzlicht noch einmal Kontakt zu jedem herstellen.
Organisatorische Verabredungen treffen für eine eventuelle nächste Sitzung.
Das Hier und Jetzt, was also in jedem Moment der Sitzung vor sich geht, darf den thematischen Ablauf immer unterbrechen oder in eine andere Richtung lenken. Es hat immer Vorrang, sicher in der Beachtung und Akzeptierung, vielleicht auch in seiner Behandlung. Da die Klärungshilfe nicht zielorientiert oder lösungsorientiert, sondern prozessorientiert angelegt ist, liegt es bereits in dieser Grundlage, dass die Klarheit des Prozesses Vorrang hat vor dem Erreichen eines Endpunktes. Störungen, Probleme oder Konflikte im Hier und Jetzt haben den Vorrang vor sonstiger Problembehandlung.
Weiterhin hat die Beantwortung der Klientenfragen
«Was läuft jetzt eigentlich?»
«Was machen wir hier genau?»
«Was hat der Klärungshelfer mit uns im Sinn?»
in jedem Moment Vorrang vor der inhaltlichen Klärung. Wird auf diese Fragen nicht eingegangen, wirken sie aus dem Untergrund bei der Klärungsarbeit (zum Beispiel als «Bockigkeit», Zögern, Misstrauen, «geistige» Abwesenheit und Abgelenktheit usw.).
«Darauf eingehen» heißt nicht, dass solche verfahrenstechnische Fragen mit dem Klienten in extenso diskutiert werden sollen, sondern ihr Motiv muss verstanden und möglichst direkt befriedigt oder beantwortet werden.
Die Beziehung zwischen Klienten und dem Klärungshelfer ist von größter Wichtigkeit. Ohne sie läuft nichts. Wird sie auch nur in einem Nebensatz oder in einem Nebenwort in Richtung auf
Sich-nicht-verstanden-Fühlen
kein Vertrauen haben oder
sich hier nicht öffnen können
erwähnt, ist sie daher sofort Hauptthema. Der Klärungshelfer kann dabei Kritik einstecken, lässt sich hinterfragen und betreffen und «schnappt» nicht ein. Er kann hinter Vorwürfen der Klienten ihre Not, ihre Hoffnung und ihr Bemühen sehen, sich auszudrücken und verstanden werden zu wollen. Vielleicht ist es nicht übertrieben zu sagen, dass der Klient in dieser Hinsicht König ist. Das heißt aber auch nicht, dass der Klärungshelfer sich verleugnen muss, nur noch «nach der Geige des Klienten tanzen» soll. Er geht sofort auf die therapeutische Beziehung ein, wenn sie ihm nicht «lupenrein» erscheint. Dabei versucht er, sie subjektiv aus dem Klienten heraus zu verstehen, und bleibt als Klärungshelfer er selber.
Besondere Beachtung gilt dabei den Widerständen des Klienten. Als ein therapeutisches Grundprinzip heißt es für den Klärungshelfer, niemandem seinen Widerstand zu nehmen, denn solange er ihn hat und zeigt, braucht er ihn noch zur Erhaltung seines Gleichgewichtes. Der Widerstand verhindert und verdeckt nicht nur, sondern schützt auch und gibt Sicherheit. Er muss vom Klärungshelfer akzeptiert und in der Realität respektiert werden. Der Klärungshelfer verbündet sich oft mit den Widerständen der Klienten (s. S. 87 ff).
Widerstände sind nur eine Form von Störungen, die in der Sitzung vorrangig beachtet werden müssen. Die Betonung liegt hier auf «müssen», denn gleichgültig, ob der Klärungshelfer dies tut oder nicht, hat alles, was stört, in der Tat bereits Vorrang.
Die Frage ist nur, ob man eine Störung als lästige Fliege betrachtet, die es wegzuscheuchen gilt, oder ob man sie als willkommenen Boten aus dem Hier und Jetzt ansieht. Unter diesem Aspekt ist eine Störung immer Träger einer unterdrückten Wahrheit und Ausdruck «der anderen Seite» und kann zur momentanen Klarheit entscheidend beitragen. Der Klärungshelfer heißt sie willkommen, weil er dann weiß, woran er ist, und auf der breiteren Grundlage einer größeren Realität weiterarbeiten kann.
Das ist der erste Grundsatz. Wenn er nicht für sich sorgen kann, kann er auch nicht für andere sorgen, sie nicht zur Heilung oder Selbstheilung führen.
«Dem Klärungshelfer muss wohl sein» heißt nicht, dass er sich dauernd im «Badewannen-Entspannungszustand» oder Feriengefühl «suhlen» muss, um arbeitsfähig zu sein. Aber er kann seine eigenen Störungen als wichtig und vorrangig beachten und alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um sie zu beseitigen. Zum Beispiel:
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