Kleiner Bruder - Ibrahima Balde - E-Book

Kleiner Bruder E-Book

Ibrahima Balde

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als sein Kleiner Bruder verschwindet und alles darauf hindeutet, dass er die gefährliche Reise nach Europa angetreten hat, macht sich Ibrahima auf die Suche. Und erfährt am eigenen Leib, was der Traum von einem Leben in Europa für so viele junge Männer in Afrika bedeutet: Unsicherheit, Gewalt, Ausbeutung, Einsamkeit, Verzweiflung. Ibrahima wird geschlagen, erniedrigt, verkauft, doch zur gleichen Zeit erlebt er den Zusammenhalt, die Hoffnung und die felsenfeste Zuversicht einer Schicksalsgemeinschaft, und schafft es schließlich nach Spanien, wo er seine eigene Stimme findet, um die Geschichte seiner Verlorenheit in eine Rettung zu verwandeln.

Ein Zeugnis, das unter die Haut fährt. Ein Stück Literatur, das berührt durch seine Unmittelbarkeit und Schönheit. Kleiner Bruder gewährt die Innenansicht auf die Fluchterfahrung, in einer Sprache, die staunen macht.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 135

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel

Ibrahima Balde Amets Arzallus

Kleiner Bruder

Die Geschichte meiner Suche

Aus dem Baskischen von Raul Zelik

Suhrkamp

Zur optimalen Darstellung dieses eBook wird empfohlen, in den Einstellungen Verlagsschrift auszuwählen.

Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

Um Fehlermeldungen auf den Lesegeräten zu vermeiden werden inaktive Hyperlinks deaktiviert.

Die baskische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Miñan bei Susa literatura, Zarautz.Die Übersetzung dieses Buches wurde ermöglicht durch eine Förderung des Etxepare Basque Institut.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2021

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5142.

Erste Auflage 2021suhrkamp taschenbuch 5142Deutsche Erstausgabe© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2021© Amets Arzallus, 2019© Ibrahima Balde, 2019

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Kartengestaltung: © by Araguas Yanaita, 2020Umschlagfoto: Ohlamour Studio / Stocksy

eISBN 978-3-518-76807-5

www.suhrkamp.de

Widmung

Tausend Dank an die Verwandten und Freunde, die uns auf dem Weg geholfen haben.

Kleiner Bruder

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Erster Teil

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

Zweiter Teil

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

Dritter Teil

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XIX

XX

XXI

XXII

XIII

XXIV

Informationen zum Buch

Dieses Buch ist mit Ibrahima Baldes Stimme und von Amets Arzallus’ Hand verfasst.

Ich hatte keine Zeit, schreiben zu lernen. Wenn du Aminata zu mir sagst, weiß ich, dass das mit A beginnt, und wenn du Mamadou sagst, denke ich, dass es mit einem M anfängt. Aber verlange nicht von mir, einen ganzen Satz zu bilden, ich würde sofort durcheinanderkommen. Wenn du mir hingegen ein Werkzeug bringst, einen Schraubenschlüssel zum Beispiel, und ihn auf diesen Tisch legst, werde ich dir sofort sagen können, »Das ist ein Dreizehner« oder »Das ist ein Vierzehner«. Und wenn der ganze Tisch voll ist mit Schraubenschlüsseln und du mir die Augen verbindest, werde ich dir, sobald ich den Schlüssel in den Händen halte, sagen können, »Das ist ein Achter«.

Erster Teil

I

Ich wurde in Guinea geboren, aber nicht Guinea-Bissau oder Äquatorialguinea. Es gibt noch ein anderes Guinea, eines, das Conakry als Hauptstadt hat. Es grenzt an sechs Länder. Drei werde ich dir nennen: Senegal, Sierra Leone und Mali. Dort geschah es, dass ich geboren wurde.

Ich gehöre zur Ethnie der Fula, und unsere Sprache ist das Pular, aber ich spreche auch Malinke. Mit dem Susu komme ich ebenfalls klar. In Guinea werden fünfundzwanzig Sprachen gesprochen. Und Französisch. Sechsundzwanzig. Das kann ich auch, weil ich es in der Schule gelernt habe. Aber ich bin Fula, und auf Pular kenne ich alle Worte. Auf Susu mehr als tausend, auf Malinke ein bisschen weniger als auf Susu. Ich weiß nicht, wie viele Worte ich auf Französisch beherrsche.

Auf Susu sagt man für Brot tami, Vater ist baba. Auf Malinke heißt Mutter na, und für Schmerzen sagt man dimin. Als sie mich zur Welt gebracht hat, ist meine Mutter fast gestorben, weil ich zu dick war, und sie hat viel Blut verloren. Für Blut sagt man auf Pular yiiyan und für Welt aduna.

Ich wurde in Conakry geboren, weil mein Vater dort lebte, aber sobald ich auf der Welt war, sind wir ins Dorf zurückgekehrt, nach Thiankoi. Thiankoi ist weit vom Meer entfernt und in der Nähe von Kankalabé. Die Region heißt Mamou, und die Präfektur Dalaba. Bis ich fünf Jahre alt war, lebte ich dort mit meiner Mutter. Mein Vater kam in der Regenzeit, im März, um Mama beim Bestellen des Landes zu helfen. Nach mir kamen noch drei weitere Geschwister zur Welt.

Wir hatten zu Hause zwölf oder dreizehn Kühe, und ich habe meiner Mutter mit dem Vieh geholfen. Manchmal hat sie mich zum Wasserholen geschickt, puiser de l’eau. Ich habe auch andere Arbeiten gemacht, die Wäsche gewaschen und beim Trocknen auf sie aufgepasst. Das sind mehr oder weniger die Erinnerungen, die ich an die Zeit mit meiner Mutter habe. Als ich fünf war, kam der Vater, um mich zu holen.

II

Mein Vater verkaufte Schuhe. Er verkaufte sie auf der Straße, aber es waren Hausschuhe, des repose-pieds. Das Haus ist kein Ort, um zu rennen. Der Verkaufsstand war fünfhundert Meter von unserer Wohnung entfernt und bestand aus einem am Straßenrand aufgestellten Tisch. Dort verbrachte mein Vater den ganzen Tag. Manchmal kam jemand vorbei, und sie begannen sich zu unterhalten, zuerst über die Hausschuhe, dann über Geld. Dann war mein Vater sehr zufrieden. Aber die Freude hält nicht lange an. Und nachdem sie über das Geld gesprochen hatten, holte mein Vater zwei Stücke Bambus unter dem Tisch hervor und machte in jedes ein kleines Loch. Ein Stück behielt mein Vater, das andere nahm der Käufer mit. Die Größe des Lochs zeigte die Höhe der Schulden an. Vater hatte viele solcher Bambusstücke unter seinem Tisch. Er sagte öfter, dass er die Schuhmacherei eines Tages aufgeben und anfangen werde, Flöte zu spielen, doch er verkaufte weiter Schuhe.

Ab und an ging er weg, um zu beten, und ich blieb allein am Stand zurück. Leute kamen und schauten sich unsere Schuhe an. Aber ich sagte ihnen, »Ich kann dir nichts verkaufen, der Alte ist nicht da, ich muss hier auf ihn warten«. Ich kannte mich mit der Farbe des Geldes nicht gut aus und wusste nicht, wie viel jeder Schein wert war. Ich war noch sehr klein. Also warteten wir auf den Alten. Der Alte ist mein Vater, er heißt Mamadou Bobo Balde.

Von meinem fünften bis zum dreizehnten Lebensjahr lebte ich mit dem Vater in Conakry. Zwischen fünf und dreizehn sind acht Zahlen, aber von Conakry in unser Dorf ein bisschen mehr, ungefähr vierhundertdreißig. Zu viele, um allein zu fahren. Mit den Hausschuhen kann man nicht so weit laufen. Das sagte der Vater immer zu mir; dass ich nicht ankommen würde. Deshalb blieb ich bei ihm, an unserem kleinen Tisch am Straßenrand, ohne die Mutter zu sehen.

Aber ich hatte einen Freund, er war älter als ich und liebte mich sehr. Er sagte zu mir, dass ich ihn um alles bitten solle, was ich brauche. Manchmal bat ich um Schuhe, und er gab sie mir. Andere Male fragte ich nach etwas zu essen, und er brachte mir etwas. Er kümmerte sich um mich wie um einen kleinen Bruder. Dieser Freund hieß Muhtar. Einmal bat ich ihn, einen Brief an meine Mutter zu schreiben, und er schrieb ihn. Wir gingen zusammen zum Busbahnhof von Conakry und gaben ihn jemandem, damit er ihn ins Dorf mitnehme. Ich weiß nicht, ob er mit dem Fahrrad oder dem Bus fuhr, aber ich weiß, dass er ankam. Die Ferne ist für einen Brief kein Problem.

Ich denke viel an meine Mutter. Sie heißt Fatimatu Diallo, und seit Monaten habe ich nicht mit ihr gesprochen. Sie weiß nicht einmal, dass ich in Europa angekommen bin.

III

Mir gefällt es nicht, das zu sagen, aber ich hatte Angst vor meinem Vater. Wenn er befahl, »Ibrahima, mach das nicht«, machte ich es nicht. Doch manchmal vergaß ich es und tat es doch. In diesem Fall hatte der Vater eine Gewohnheit. Er lockerte den Gürtel und sagte, »Ibrahima, leg dich auf den Boden«. Ich antwortete »dakor«, und er gab mir fünf Schläge. Oder zehn. Ich verstand sehr gut, warum er mich schlug, und versuchte das nächste Mal es nicht wieder zu tun.

Mein Vater war niemals in die Schule gegangen, und deshalb ärgerte er sich so, wenn ich nicht ging. Abends fragte er mich immer, »Ibrahima, bist du heute in der Schule gewesen?«. Und ich antwortete, »Ja, ich war dort«. Oder aber, »Nein, Vater, ich bin nicht in der Schule gewesen, ich habe mit Freunden Fußball gespielt«. Doch bevor ich antwortete, wusste der Vater schon Bescheid, weil ich mit schmutziger Hose heimgekommen war. Nachdem er vom Abendgebet zurückgekehrt war und das Haus betreten hatte, sagte er dann zu mir, »Ibrahima, du weißt Bescheid«. Ich legte mich auf den Boden, und er nahm den Gürtel ab. Fünf Schläge gab er mir. Oder zehn. Bis mir der Rücken brannte. Danach zog er den Gürtel wieder an, sprach ein Gebet, und wir gingen schlafen.

Ich liebte meinen Vater. Und mein Vater liebte mich.

Am Morgen weckte er mich immer. Er kam zu mir und sagte, »Ibrahima, Zeit zum Aufwachen«. Ich stand auf, betete und ging in die Schule. Die Schule war alles andere als einfach, das Einzige, was sie uns beibrachten, war Französisch. Französisch und drei andere Sachen. Erstens: Wie man eine Straße überquert, »Du schaust nach links und nach rechts und dann gehst du hinüber«. Daran erinnere ich mich. Zweitens lernten wir, Respekt vor anderen Leuten zu haben. Man muss andere Menschen respektieren, parce que c’est comme ça, so ist das. Und drittens … habe ich vergessen, ich erinnere mich nicht, aber ich glaube, es war wichtig. Diese drei Dinge habe ich in der Schule gelernt.

Es war eine staatliche Schule, doch ich ging vor dem Ende der sechsten Klasse ab, weil ich keine Unterstützung hatte. Unterstützung bedeutet Geld, und Geld wird immer gebraucht. Ich wollte weiter in die Schule gehen, aber es war unmöglich.

IV

Mein Vater war ein guter Mann, aber er litt an einer Krankheit, der Diabetes. Ständig mussten wir ins Krankenhaus, und wenn wir ins Krankenhaus gingen, konnten wir nicht an unserem Stand stehen. Dann verkauften wir viel weniger und hatten kein Geld.

Der Vater begann mir schwierige Fragen zu stellen, »Ibrahima, wie sollen wir das jetzt machen? Ich bin nicht gesund, und du bist noch ein Kind«. Ich antwortete, »Papa, ich werde die Schule verlassen und Geld verdienen«. Aber das wollte er nicht. »Du bist noch klein«, sagte er, »für dich ist es zu früh, du wirst das später machen.« Aber dieses Später kommt nicht immer.

An einem Nachmittag kam ich um sechzehn Uhr null null von der Schule zurück. Ich ging nach Hause, wusch mich ein wenig und ging auf die Straße zu meinem Vater hinunter. Aber an diesem Tag war er anders als sonst. »Ibrahima, mir ist kalt«, sagte er. »Dakor«, antwortete ich, »ich werde heimlaufen und dir eine Jacke holen, gib mir drei Minuten.« »Beeil dich«, sagte er. Ich brachte ihm eine Jacke und einen Stuhl, und er setzte sich. Ich begann, die Waren zusammenzuräumen, denn an diesem Tag war der Vater anders als sonst.

Als wir nach Hause kamen, fragte er mich, ob ich Hunger hätte. »Nein, mir geht es gut«, antwortete ich ihm. »Dann werde ich in die Moschee gehen, beten und gleich wieder zu Hause sein.« »Dakor«, sagte ich, »ich werde hier auf dich warten.« Als er heimkam, fragte er, ob ich gebetet hätte. Ich sagte ja, obwohl das gelogen war.

Seitdem habe ich mich oft an diese Lüge erinnert. Ich sagte ihm nicht die Wahrheit, weil die Wahrheit sehr traurig war. Während er beten war, hatte ich nachgedacht. »Wenn ich keinen Vater mehr habe, ist es mit meinem Leben vorbei. Er ist der Einzige, der mir helfen kann, der ein bisschen Geld hat, um mir die Schule zu zahlen.« Über all das dachte ich nach. Aber ich sagte meinem Vater nichts. Wir beteten noch einmal und gingen dann ins Bett. Es würde gleich einundzwanzig null null sein. Um dreiundzwanzig null null wachte mein Vater wieder auf. Ich schlief nicht. »Ich habe schlimme Kopfschmerzen«, sagte er. Er gab mir einen Tausend-Francs-Schein und schickte mich los, um ein Medikament zu holen. »Paracetamol«, sagte er. Als ich auf die Straße hinunterging, war alles dunkel, alle Geschäfte hatten geschlossen. Ich ging die Straße hinunter, ungefähr drei kilo weit, aber hatte kein Glück. Ohne Paracetamol kehrte ich nach Hause zurück. »Macht nichts«, sagte der Vater, »es wird schon wieder weggehen«, aber als ich ihn berührte, kochte er. So lagen wir eine Weile beieinander. Dann schlief ich ein.

Um sechs Uhr morgens wachte ich auf. Ich merkte, dass mein Vater schlief. »Papa«, sagte ich, »es ist schon Morgen, normalerweise weckst du mich, aber heute hast du mich nicht geweckt.« Er antwortete nicht. Dreimal wiederholte ich, was ich gesagt hatte, und er antwortete nicht. Dann klopfte ich mit der Fingerkuppe an sein Bett, um zu sehen, ob er wach war, aber er bewegte sich nicht. Ich legte meine Hand auf seinen Hals, und es war, als würde man Eis berühren. Ich tastete den ganzen Körper ab. Alles Eis. »Vater«, sagte ich wieder, »es ist schon Morgen, du weckst mich immer, aber heute hast du mich nicht geweckt.« Er antwortete nicht, und ich begann mich zu fürchten.

Ich weiß nicht, was man in so einer Situation tun musste, und lief schreiend aus dem Haus, »faabo, faabo«. In unserer Sprache bedeutet das »Ich brauche Hilfe«. Die Nachbarn kamen und fragten mich, »Ibrahima, was ist los?«. »Mein Vater ist in Schwierigkeiten«, erklärte ich ihnen, »geht hinein und ihr werdet sehen.« Ein Nachbar rief einen anderen, und dieser andere den nächsten. Bevor ich mich versah, war viel Bewegung in unserem Haus. Schließlich machte sich jemand auf den Weg, um den Imam zu holen. Als er kam, schaute er sich erst meinen Vater und dann mich an. Danach noch einmal meinen Vater. Dann wandte er sich an mich und sagte, »Ibrahima, du musst mit mir kommen«. »Ich kann nicht«, antwortete ich, »ich muss hierbleiben.« »Nein, Ibrahima, du musst mit mir kommen, hier kannst du nicht bleiben«, beharrte der Imam. »Ist mir egal«, antwortete ich, »was auch passiert, ich werde bei meinem Vater bleiben.«

Ich hatte das Gefühl, dass sie mir etwas verbargen, und sagte: »Ich bin es, der aus dem Haus gegangen ist, um Hilfe zu holen. Ich glaube, wenn etwas passiert ist, muss ich wissen, was das Problem ist.« Sie sagten, dass mein Vater gestorben sei.

V

Heute weiß ich, dass jemand, wenn er stirbt, eiskalt wird. Oder dass er erst kalt wird und dann stirbt – da bin ich mir nicht sicher. Ich wollte zu meiner Mutter fahren, um ihr das zu erklären; und um mir Ratschläge geben zu lassen. Zum Beispiel, »Mutter, was mache ich jetzt mit meinem Leben?«.

Ich hatte einen alten Onkel in Conakry, er war der große Bruder meines Vaters, und zu ihm ging ich. Dass der Vater gestorben sei, sagte ich ihm, und dass ich zur Mutter ins Dorf fahren wolle, aber er antwortete mir, dass er kein Geld habe. »Oke«, sagte ich und kehrte nach Hause zurück. Unser Zuhause war sehr klein, nur ein einziges Zimmer. Es gab auch keine Küche. Nur eine Ecke, um zu beten, und ein Bett, um sich hinzulegen. Ich schlief auf dem Boden, auf einer Matte.

Der Vater zahlte jeden Monat einhunderttausend Guinea-Francs für die Miete. Einhunderttausend guineische Francs sind zehn Euro. Ja, zehn. Wenn man das so sagt, scheint es einfacher, aber für mich war es überhaupt nicht einfach. Wie sollte ich unsere Miete zahlen? Und wie das Busticket, um zu meiner Mutter zu fahren? Ich setzte mich auf die Treppe und dachte über diese beiden Fragen nach. Vor allem über die zweite. Und es gab noch einen dritten Gedanken, den ich nicht loswurde: meinen Vater und seinen eisigen Tod. In diesem Augenblick weinte ich.