Klima muss sich lohnen - Achim Wambach - E-Book

Klima muss sich lohnen E-Book

Achim Wambach

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Beschreibung

Achim Wambach analysiert die unterschiedlichen Maßnahmen der Klimapolitik und die Marktmechanismen, die dahinter wirken – manchmal gegenteilig oder ganz anders als von der Politik beabsichtigt oder den Verbrauchern erwartet. Dabei kommt er zu überraschenden Ergebnissen: Solaranlagen können wirtschaftlich sinnvoll sein, nicht aber klimapolitisch. Und der Bezug von Ökostrom bewirkt keinen CO2-Rückgang, weniger Autofahren hingegen schon, zumindest aktuell noch. Der Volkswirt macht deutlich, dass wir den Klimaschutz umstellen müssen: weniger moralische Appelle an den Einzelnen und sein schlechtes Gewissen, dafür bessere politische Rahmenbedingungen und mehr Vertrauen in Märkte, die dazu führen, dass Klimaschutz sich wirtschaftlich lohnt. Achim Wambachs Buch lichtet das undurchsichtige Gewirr klimapolitischer Einzelmaßnahmen und gibt der Leserin und dem Leser Kriterien an die Hand, um zu bewerten, was dem Klima wirklich nützt. Ein ökonomisch-ökologischer Kompass in der Klimapolitik.

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Achim Wambach

Klima muss sich lohnen

Ökonomische Vernunft für ein gutes Gewissen

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: ©Alewiena_design/shutterstock

E-Book-Konvertierung: ZeroSoft, Timişoara

ISBN Print: 978-3-451-39358-7

ISBN E-Book (EPUB): 978-3-451-82855-3

ISBN E-Book (PDF): 978-3-451-82856-0

Inhalt

Einleitung: Schlechtes Gewissen im Gewirr der Klimapolitik

Aufbruch in die sozial-ökologische Marktwirtschaft

1. Europa auf dem Weg zur Klimaneutralität

Europäischer Emissionshandel: Verschmutzung teuer machen

Klimalastenteilung: Jedes Land nach seinen Möglichkeiten

Emissionshandel in Deutschland: Die marktwirtschaftliche Lösung

2. Unter dem Brennglas: 5 x Klimapolitik für die Gemeinde

Bezug von Ökostrom bewirkt keinen CO2-Rückgang

Ausgleichszahlungen für Flugreisen wirken umso mehr, je mehr innereuropäisch geflogen wird

Solaranlagen auf den Gebäuden der Gemeinde können wirtschaftlich Sinn machen

Umstellung der Fahrzeugflotte auf Elektrofahrzeuge: Ein erstes Signal

Bau eines Radschnellwegs und weiterer Infrastruktur: Ein wichtiger Beitrag zur Energiewende

3. Die Akteure im Hintergrund: Mit Märkten Nachhaltigkeits-ziele erreichen

Markt oder Staat? Wir brauchen beides

Gute Regeln für ein gutes Ergebnis: Märkte aktiv gestalten

4. Unter dem Brennglas: 5 x Klimapolitik für den Bund und die EU

Schnellerer Ausbau von Solar- und Windenergie benötigt Standorte, nicht Subventionen

Kohleausstieg 2030 durch CO2-Preise

Unterschiedliche Strompreise im Norden und Süden

Kooperationen, keine Kartelle, für den Klimaschutz

Die Taxonomie den Märkten überlassen

5. Empfehlungen für die Klimapolitik und ihre Ordnung

Auf dem Weg zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft

Krieg in der Ukraine: Hohe Energiepreise als New Normal

Europa auf dem Fahrersitz

Klimaklub, nicht Klimafestung

CO2-Preis als Leitinstrument der Klimapolitik – auch im EU-ETS 2

Deutschland: Das Land der Denker

Innovationen, Innovationen, Innovationen

Marktdesign zum Ausbau einer nachhaltigen Wirtschaft

Klimapolitik vor Ort: Begleitung des Strukturwandels

Klimapolitik für die Menschen – sozial ausgewogen

6. Klimaschutz für jeden Einzelnen: Gutes Gewissen im Dschungel der Klimapolitik

Aktive Klimaschutzmärkte – Klimaschutz muss sich lohnen

Nicht aktive Klimaschutzmärkte – Klimaschutz sollte sich lohnen

Der Blick nach vorne – Klimaschutz wird sich lohnen

Danksagung

Literaturhinweise

Über den Autor

Einleitung: Schlechtes Gewissen im Gewirr der Klimapolitik

Ein zufälliger Fund auf Twitter machte mich stutzig. Eine Recherche hatte ergeben, dass der Begriff „Carbon Footprint“ 2003 tatsächlich durch einen Mineralölkonzern populär geworden war, nämlich durch das britische Unternehmen BP. Der Footprint war Teil einer größer angelegten Werbekampagne, um das Image des Konzerns zu verbessern. BP stand ursprünglich für British Petroleum und wurde in „Beyond Petroleum“ umgedeutet. Das alte Logo wich einer stilisierten Blume. Dann folgte ein TV-Werbespot, in dem Londoner Passanten gefragt wurden, ob sie ihren CO2-Abdruck kennen. Der Spot endete mit dem Appell: „Wir können alle etwas tun, um weniger zu emittieren.“

BP war mit seiner Kampagne erfolgreich: Das Konzept des „Fußabdrucks“ verbreitete sich rasant. Die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen über den Carbon Footprint vervierfachte sich innerhalb von fünf Jahren; Zeitungen übernahmen den Begriff, und Unternehmen wie Regierungsorganisationen boten auf ihren Webseiten Rechner an, um den individuellen Fußabdruck zu ermitteln. BP hatte eigens für die Kampagne einen solchen Rechner entwickelt. Und es stimmt: Jeder von uns hinterlässt einen CO2-Fußabdruck, etwa bei Flugreisen, beim Heizen oder durch die Nutzung von Autos mit Verbrennungsmotor. Und inzwischen überlegen immer mehr Menschen, wie sie ihren Fußabdruck reduzieren können, zum Beispiel durch die Installation von Solaranlagen auf Dächern, durch den Kauf eines Elektrofahrzeugs oder indem sie, wann immer möglich, die Bahn nutzen, anstatt zu fliegen.

BP hat viel Geld für diese Werbekampagne ausgegeben. Warum? Warum investiert ein Mineralölunternehmen, das seine Gewinne mit Ölförderung und dem Betrieb von Tankstellen erzielt, in eine Kampagne zur Bekämpfung des Klimawandels? Und warum ausgerechnet BP, das nach einer Studie des Climate Accountability Institute von 2019 zu den sechs Rohstoffunternehmen weltweit zählt, deren Produkte seit 1965 am meisten zum CO2-Ausstoß beigetragen haben? Ein entscheidender Grund war wohl, dass die Betonung des persönlichen Fußabdrucks die Verantwortung auf den Einzelnen verlagert und damit den Handlungsdruck auf Politik und Unternehmen verringert. Denn die unterschwellige Botschaft lautet, jeder fange am besten erst mal bei sich selbst an, bevor er Forderungen an andere stelle. Es ist natürlich schwerer, ein Unternehmen wie BP zu kritisieren, wenn man ein schlechtes Gewissen hat, weil man gerade mit dem Flugzeug nach Mallorca gereist ist und damit klimaschädliche Emissionen produziert hat.

Diese Betonung der individuellen Verantwortung ist eine Besonderheit der Klimapolitik. Bei anderen Politikfeldern ist dies anders. Nehmen wir zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit, eines der größten strukturellen Probleme in Europa. Im Januar 2022 waren etwa 14 Prozent der zwischen 15- und 24-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt in der EU erwerbslos. Im Vergleich zum Durchschnitt aller Erwerbstätigen war die Rate der Jugendarbeitslosigkeit damit mehr als doppelt so hoch. In Griechenland war sie mit 31 Prozent am höchsten, in Deutschland mit knapp 6 Prozent am niedrigsten, unter anderem deshalb, weil unser System der dualen Berufsausbildung für viele junge Menschen eine Brücke in den Arbeitsmarkt bildet. Wer ist nun für eine Arbeitsmarktpolitik verantwortlich, die sich auch um Jugendliche kümmert? Die Antwort ist klar: Das ist die Aufgabe der Regierung, und nicht jedes Einzelnen. Aber warum eigentlich nicht? Kann nicht jeder etwas zur Reduktion der Jugendarbeitslosigkeit beitragen? Man könnte etwa sein Auto bei einem Unternehmen kaufen, das besonders viele Jugendliche ausbildet; man könnte mit dem Zug fahren, falls die Deutsche Bahn AG mehr Jugendliche ausbildet als die Autokonzerne; man könnte den Arbeitgeber danach auswählen, ob er auch Jugendliche einstellt; man könnte von den Gemeinden verlangen, Jugendvollbeschäftigung anzustreben. Denn genau so wird über die Verantwortung des Einzelnen in der Klimapolitik diskutiert.

Tatsache ist, dass in vielen Politikbereichen das Handeln des Einzelnen, der Unternehmen und des Staats zusammenwirken. Dieses Buch zeigt für die Klimapolitik, wie diese unterschiedlichen Ebenen zusammenhängen. Denn wenn wir sichergehen wollen, dass das, was wir als Individuen machen, auch die gewünschte Wirkung zeigt, müssen wir zunächst das Gesamtgeflecht der Klimapolitik verstehen. Erst dann können wir beurteilen, welche Rolle jede und jeder Einzelne, jedes Unternehmen, jede Gemeinde, die Staaten und die EU spielen.

Die zentralen Fragen sind dabei: Was hilft, was schadet? Und da ist vieles unklar, übrigens auch in meiner Familie. Neulich stand eine Dienstreise nach Wien an, der Flug war schon gebucht. Als meine Kinder dies hörten, äußerten sie Protest: Ich könne doch auch mit der Bahn nach Wien fahren und solle aus Klimaschutzgründen Flüge vermeiden. Mein Argument, dass innereuropäische Flüge doch im europäischen Emissionshandel seien, stieß nur auf verständnisloses Kopfschütteln. Dies war der Anfang von vielen Gesprächen in der Familie über Klimapolitik, ihre Instrumente und ihr Zusammenspiel.

Denn aus einer guten Absicht heraus zu handeln, heißt nicht zwangsläufig, auch etwas Gutes zu bewirken. Oder, wie es der Soziologe Max Weber ausdrückte: „Wir müssen uns klarmachen, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen […] Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein.“ Während die Gesinnungsethik das Handeln nach der Absicht bewertet – eine Handlung ist gut, wenn man mit ihr etwas Gutes beabsichtigt –, bewertet die Verantwortungsethik die Handlung nach ihren Folgen – eine Handlung ist gut, wenn etwas Gutes daraus folgt.

Dieses Buch schlägt sich auf die Seite der Verantwortungsethik. Es ist entstanden aus vielen Vorträgen und Diskussionen mit Schülern, Studenten, Wissenschaftlern, Unternehmern, Politikern und der interessierten Öffentlichkeit.1 In diesen Diskussionen habe ich viel gelernt, und auch gemerkt, dass es schnell zu Missverständnissen kommen kann, weil das Thema uns alle beschäftigt und betrifft. Deshalb sei vorneweg betont, dass das Ob der Klimapolitik nicht zur Disposition steht, ganz im Gegenteil: Das Ziel von Paris, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst auf 1,5 Grad zu beschränken, ist gesetzt. Die Europäische Union hat beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden und ihre Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Auch das ist gesetzt.

Das Wie zur Erreichung dieser Ziele ist aber viel unklarer, und darum geht es in diesem Buch. Was macht die EU, was sollte sie machen? Was sollen und können die Staaten machen, was die Gemeinden, was die Unternehmen, und was jeder Einzelne von uns? Dieses „Wie“ entscheidet, ob uns die Energiewende gelingen wird und ob dafür überhaupt demokratische Mehrheiten gewonnen werden können. Wenn sie nämlich zu vielen Arbeitsplatzverlusten und hohen Preisbelastungen führt, kann die Begeisterung dafür auch schnell wieder kippen.

Diesen letzten Punkt sollte man nicht unterschätzen: Als die französische Regierung im November 2018 aus klimapolitischen Gründen den Benzinpreis um drei Cent und den Dieselpreis um sieben Cent anheben wollte, führte dies zu landesweiten Protesten. Die Demonstranten trugen gelbe Warnwesten, die bald das Markenzeichen dieser „Gelbwesten-Bewegung“ wurden. Am Ende nahm die Regierung die Preiserhöhung zurück und leitete weitere Sozialmaßnahmen ein. Die Energiewende wird aber nicht ohne Kosten zu haben sein. Deshalb muss bei Klimaschutzmaßnahmen konsequent darauf geachtet werden, dass teure Ineffizienzen vermieden und ineffektive Maßnahmen nicht länger verfolgt werden.

Dieses Buch erklärt, welche politische Ebene welchen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten muss, und analysiert, was wirkt und was kontraproduktiv ist. Und es macht deutlich, was dies für jeden Einzelnen von uns bedeutet. Dafür wird herausgearbeitet, wie die Wirkung von klimapolitischen Instrumenten und unseren Handlungen wirtschaftlich zusammenhängt. Denn am Ende geht es darum, wie wir Gutes tun können, um Gutes zu bewirken.

Aufbruch in die sozial-ökologische Marktwirtschaft

Auch wenn die Coronapandemie die Nachrichten dominierte – rückblickend wird man 2021 wohl als ein sehr entscheidendes Jahr für die Klimapolitik in Europa bezeichnen. Zu Beginn des Jahres war dies noch nicht abzusehen. In ihrer Neujahrsansprache erwähnte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Klimapolitik mit keinem Wort. Dabei hatte sie diese im Vorjahr noch in den Vordergrund gerückt und betont, all ihre Kraft dafür einzusetzen, „dass Deutschland seinen Beitrag leistet – ökologisch, ökonomisch, sozial –, den Klimawandel in den Griff zu bekommen“. Um diese „Menschheitsherausforderung“ zu bewältigen, müsse auch „alles Menschenmögliche“ unternommen werden, so Merkel Anfang 2020. Ein Jahr später hatte jedoch eine andere Menschheitsherausforderung, nämlich die Coronapandemie, alles andere zunächst verdrängt.

Im März 2021 fällte dann aber das Bundesverfassungsgericht ein historisches Urteil und ermahnte die Bundesregierung, weitreichendere Maßnahmen zur Senkung der Emissionen vorzulegen. In der Urteilsbegründung hieß es, die bisherigen Maßnahmen würden „eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit“ begründen. Mit anderen Worten: Heute müsse mehr getan werden, damit zukünftige Generationen nicht (noch) mehr tun müssen.

Die Europäische Kommission legte im Juli 2021 unter der Bezeichnung „Fit for 55“ ein Maßnahmenpaket für ihren „European Green Deal“ vor. Die 55 im Titel verweist darauf, dass die EU beabsichtigt, bis 2030 die Emission von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Wert im Jahr 1990 zu reduzieren.

Der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) veröffentlichte im August 2021 den ersten Teil seines sechsten Sachstandsberichts, der auf fast 4.000 Seiten die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Grundlagen, Ursachen und Ausmaß des Klimawandels zusammenführt. Er beschreibt eindrücklich, dass der Klimawandel menschengemacht ist und schneller und folgenschwerer verläuft als jemals zuvor. So steigt der Meeresspiegel in dem Szenario mit sehr niedrigen Treibhausgasemissionen bis 2100 bereits um 0,28 bis 0,55 Meter. Mit den Annahmen an die internationalen Bemühungen zum Klimaschutz in diesem Szenario ist es wahrscheinlich, dass im 21. Jahrhundert die globale Erwärmung nicht um mehr als zwei Grad Celsius zunimmt. In dem Szenario mit sehr hohen Treibhausgasemissionen würde der Temperaturanstieg 3,3 bis 5,7 Grad betragen, und der Meeresspiegel um 0,63 bis 1,01 Meter steigen. In diesem Szenario würden sowohl Temperatur wie auch Meeresspiegel über 2100 hinaus weiter ansteigen.

Im Dezember 2021 trat in Deutschland schließlich eine neue Bundesregierung ihre Arbeit an – mit Beteiligung der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Im vorausgegangenen Wahlkampf hatten fast alle Parteien den Klimaschutz als wichtigste Aufgabe betont. Eine weitere Entwicklung im Jahr 2021 wurde in der Öffentlichkeit hingegen weniger bemerkt: Der Preis für klimaschädliche Emissionen im europäischen Zertifikatehandel stieg auf mehr als das Vierfache: Lag er 2020 zeitweilig noch unter 20 Euro, stieg er 2021 auf über 80 Euro pro Tonne CO2.

Im Februar 2022 veröffentlichte der IPCC auch noch den zweiten Teil seines Sachstandsberichts zu „Folgen des Klimawandels, Anpassung und Verwundbarkeit“. Die zuständige Arbeitsgruppe stellte fest: „Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet.“ Der dritte und letzte Teil erschien im April 2022. Unter dem Titel „Minderung des Klimawandels“ bewertet er die Fortschritte bei der Emissionsbegrenzung und zeigt Wege auf, die Emissionen weiter zu verringern. Er zeigt eindrücklich, dass mit den bisher angekündigten Klimaschutzbeiträgen der Länder das 1,5-Grad-Ziel wahrscheinlich nicht erreicht wird. Selbst das 2-Grad-Ziel könne dann nur erreicht werden, wenn nach 2030 massiv Emissionen reduziert würden. Hinter den drei Berichten mit insgesamt 10.537 Seiten stehen der Sachverstand von 740 Fachleuten aus 90 Ländern und sieben Jahre Arbeit.

Es besteht kein vernünftiger Zweifel mehr daran, dass Handlungsbedarf besteht. Das Ob ist also geklärt – aber nicht das Wie. Denn die Energiewende wirft ganz grundsätzliche Fragen auf: Wie erreicht man, dass mehr saubere Energie und weniger verschmutzende Energie produziert wird? Wer bezahlt dafür, und wer sollte dafür bezahlen? Was kann jeder Einzelne beitragen? Welche Rolle spielt der Staat und welche spielen der Markt und der Wettbewerb? Und schließlich die Kernfrage der Klimapolitik: Wie bekommt man den weltweiten Klimawandel in den Griff, obwohl man doch nur lokal agieren kann?

Die Klimapolitik besteht aus vielen Bausteinen, und wie bei einem Puzzlespiel kommt es auf die richtige Kombination der Teile an, damit ein sinnvolles Ganzes entsteht. Wenn man nur ein Puzzleteil betrachtet, lässt sich das Gesamtbild nicht erkennen und häufig passen Teile nicht zueinander. Genau das ist in der Klimapolitik oft der Fall: Einzelne Maßnahmen überraschen in ihrer Wirkung, manchmal verursachen sie sogar das Gegenteil dessen, was erwartet wird oder erwünscht ist. Das werden wir später im Einzelnen sehen. Setzt man die Einzelmaßnahmen jedoch richtig zusammen, dann ist das Ergebnis mehr als die Summe seiner Teile. Dies gilt im Kleinen, in privaten Entscheidungen und auf kommunaler Ebene, aber auch in der nationalen und internationalen Klimapolitik.

Klimaschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die auf verschiedenen Ebenen angegangen werden muss: global, europäisch, national und regional. Das Klima schert sich nicht darum, wo die klimaschädlichen Emissionen stattfinden. Um die Klimaerwärmung stoppen zu können, ist jede Weltregion und jedes Land gefordert. Die USA haben angekündigt, bis 2050 klimaneutral zu werden, China möchte dies bis 2060 erreichen. Die EU strebt Klimaneutralität ebenfalls bis 2050 an und gibt ihren Mitgliedsstaaten den Rahmen für eigene Maßnahmen vor. Mit dem European Green Deal hat die EU-Kommission die Themen Klimaschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihrer politischen Agenda gerückt. Die Bundesrepublik Deutschland hat angekündigt, sie wolle bereits 2045 klimaneutral sein, und verabschiedete dazu 2019 ein Klimaschutzgesetz. Nach der Intervention des Bundesverfassungsgerichts wurde dieses Gesetz 2021 angepasst und enthält nun noch strengere Zielvorgaben. Die neue Bundesregierung, in der auch die Grünen mitregieren, will gar das Wirtschaftsmodell Deutschlands umgestalten, von einer sozialen Marktwirtschaft zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft.

In diesem institutionellen Geflecht bewegen sich Unternehmen, Kommunen und Privatpersonen, die alle einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen. Es ist daher unabdingbar, die Wechselwirkungen zwischen den Maßnahmen dieser verschiedenen Ebenen in den Blick zu nehmen.

Im Folgenden untersuchen wir diese Wechselwirkungen anhand konkreter Beispiele: Zuerst geht es um die Effekte von Entscheidungen auf der lokalen Ebene: Ökostrom beziehen, Kompensationen für Flugreisen bezahlen, Solaranlagen auf Gebäuden installieren, Elektrofahrzeuge anschaffen, Radschnellwege ausbauen. Dann schauen wir uns die nationale und internationale Ebene an: Ausbauziele für erneuerbare Energien, Kohleausstieg, smarte Strompreise, Klima-Taxonomie. Auf den ersten Blick sind dies alles sinnvolle Maßnahmen. Aber was passiert genau, wenn diese Maßnahmen ergriffen werden? Was bewirken sie und welchen Beitrag leisten sie tatsächlich zur Erreichung der Klimaziele?

Um diese Fragen zu beantworten, ist eine volkswirtschaftliche Perspektive notwendig, denn entscheidend sind die Märkte und Mechanismen im Hintergrund. Hier kommt der europäische Emissionshandel ins Spiel und der nationale CO2-Emissionshandel, den Deutschland 2021 eingeführt hat. Demnächst spielt vielleicht auch noch ein zweiter europäischer Emissionshandel eine Rolle, den die EU-Kommission im Rahmen des European Green Deals plant. Jede einzelne Maßnahme greift zudem auf weitere Märkte zurück, wie etwa den Markt für Grünstromherkunftsnachweise oder den für Kompensationen etwa für Flugreisen.

Bevor wir die einzelnen Maßnahmen näher untersuchen, schauen wir uns deshalb zunächst diese Märkte an. Diese haben es in sich: Eingriffe auf der einen Marktseite – zum Beispiel durch weniger Verbrauch – wirken sich auf die Preise aus und beeinflussen damit das Verhalten anderer Marktteilnehmer. Wenn wir beispielsweise weniger Öl auf den Weltmärkten kaufen, fallen die Preise, und andere Länder kaufen mehr davon. Wir werden sehen, dass es viele Märkte gibt, die uns dabei helfen, die Klimaziele in Deutschland und in Europa zu erreichen. Eine gute Klimapolitik sollte diese Märkte unterstützen, indem sie die Voraussetzungen dafür schafft, dass diese entsprechend wirken können. Vor allem aber sollte sie sich nicht auf Nebenschauplätzen verrennen. Die konsequente Bepreisung von CO2-Emissionen ist dafür wesentlich – über den jetzigen europäischen Emissionshandel, den geplanten neuen Emissionshandel und über einen CO2-Preisausgleich für Importe: Schmutziges Verhalten muss teurer werden, und das entlang der ganzen Wertschöpfungskette. Dann spüren wir auch in den Preisen bei jedem Einkauf, bei jeder Reise und bei jeder größeren Anschaffung, welche Entscheidung mehr oder weniger klimafreundlich ist. Gutes Gewissen und günstige Preise fallen zusammen. Die CO2-Preise sorgen dafür, dass der Einsatz für das Klima wirkt und effizient ist. Verschmutzung wird da eingespart, wo es am einfachsten geht. Das Erste macht den Klimaschutz wiederum kopierfähig – viele Länder in der Welt werden nur dann mitmachen, wenn sie sehen, dass es sich lohnt und sie nicht dadurch überfordert werden. Die soziale Marktwirtschaft, die uns so weit gebracht hat, wird dann als sozial-ökologische Marktwirtschaft ein Erfolgsmodell werden.

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1 Für das Buch wurde der besseren Lesbarkeit geschuldet die Schreibform des generischen Maskulinums verwendet.

1. Europa auf dem Weg zur Klimaneutralität

Klimaschädliche Emissionen entstehen zumeist dann, wenn etwas verbrannt wird, insbesondere Erdöl, Erdgas und Kohle, also fossile Energieträger. Außerdem werden bei einigen Produktionsprozessen, wie zum Beispiel bei der Zementherstellung, klimaschädliche Gase frei. Schließlich entstehen sie auch in der Landwirtschaft, besonders bei der Tierhaltung und durch Düngung. Die EU-Kommission unterscheidet bei ihren Maßnahmen zur Senkung der Emissionen folgende Sektoren: Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft.

Wenn wir uns Deutschland anschauen, so macht hier die Energiewirtschaft den größten Anteil an klimaschädlichen Emissionen aus: Die vielen Kohle- und Gaskraftwerke waren 2020 für gut 30 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Der Anteil des Sektors Industrie beträgt knapp 25 Prozent: Die Unternehmen haben teilweise eigene Kraftwerke; sie verbrennen Kohle, Öl und Gas, zum Beispiel für die Produktion von Stahl; teilweise entstehen Emissionen auch bei der Umwandlung von Stoffen im Produktionsprozess. Der weitaus größte Teil der Emissionen im Industriesektor entfällt auf die Herstellung von Stahl und Zement sowie auf die Grundstoffchemie. Der Anteil des Verkehrs liegt bei 20 Prozent. Verursacht werden die Emissionen durch all die vielen Autos und LKWs mit Verbrennungsmotor, die Diesel oder Benzin verbrauchen, durch Flugzeuge, die Kerosin verbrennen, und durch Züge, die auf nicht elektrifizierten Bahnstrecken noch mit Diesel fahren. Im Sektor Gebäude, der etwa 15 Prozent zu den Gesamtemissionen beiträgt, sind die Verursacher insbesondere Öl-, Gas- und Kohleheizungen. Die Landwirtschaft ist für knapp 10 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Diese klimaschädlichen Emissionen haben die Verursacher und auch uns Konsumenten lange Zeit nichts gekostet. Wie kann man nun die Emissionen in die Marktwirtschaft einbinden und mit einem Preis versehen, sodass Angebot und Nachfrage die Reduktion der Emissionen steuern und wir unsere Klimaziele erreichen?

Europäischer Emissionshandel: Verschmutzung teuer machen

Die EU hat sich dazu folgendes System überlegt: Für Emissionen aus der Stromerzeugung, aus der energieintensiven Industrie und aus dem innereuropäischen Flugverkehr, die in Europa insgesamt etwa 40 Prozent der Emissionen ausmachen, wurde 2005 ein Emissionshandel eingeführt: das „EU Emission Trading System“ (EU-ETS). Dieser Handel funktioniert folgendermaßen: Jeder, der in den genannten Bereichen Emissionen verursacht, muss dafür ein Zertifikat haben. Jedes Zertifikat gilt für eine Tonne CO2. Wenn also ein Gaskraftwerk in einem Jahr 1 Mio. Tonnen CO2 freisetzt, braucht es dafür eine Million Zertifikate. Diese Zertifikate bekommen Unternehmen teilweise von der Regierung geschenkt. Damit will man verhindern, dass Unternehmen, um die Kosten zu umgehen, ihre Produktion ins außereuropäische Ausland verlagern oder sie reduzieren und Unternehmen aus anderen Ländern die Produktion übernehmen – was für das Klima genauso schlecht wäre. Diese freien Zuteilungen sollen aber ab 2026 jedes Jahr um 10 Prozent zurückgehen, so sehen es zumindest derzeit die Pläne der EU-Kommission vor. Unternehmen, bei denen die Gefahr der Verlagerung nicht besteht, wie etwa Stromerzeuger, müssen diese Zertifikate kaufen, beispielsweise an der European Energy Exchange (EEX) in Leipzig. Nicht benötigte Zertifikate kann man an dieser Energiebörse auch wieder verkaufen.

Der Preis für ein Zertifikat – häufig auch CO2-Preis genannt – lag Anfang 2022 bei etwa 80 Euro pro Tonne CO2 (siehe Abbildung). Dieser Preis und seine künftige Entwicklung sind maßgeblich für das Verhalten eines Unternehmens. Denn es stellt sich die Frage: Ist es günstiger, mit Emissionen und den entsprechenden Zertifikaten zu produzieren, oder aber sauber ohne Emissionen und Zertifikate, oder sollte das Unternehmen lieber ganz auf die Produktion verzichten? Wenn sich das Unternehmen für den Standort Europa entschieden hat, dann ist es für die Entscheidung, ob es lieber sauberer oder schmutziger produziert, egal, ob es die Zertifikate geschenkt bekam oder kaufen musste. Da Zertifikate frei handelbar sind, können sie wie bares Geld eingesetzt werden. Ein Unternehmen kann zum Beispiel am Anfang des Jahres alle Zertifikate, die es bekommen hat, verkaufen, und dann nur zukaufen, wenn es welche benötigt.

Die folgende Abbildung zeigt den Preis für ein Emissionszertifikat im EU-ETS seit 2010. Waren die Preise ursprünglich noch sehr niedrig, ist seit 2021 ein starker Preisanstieg zu beobachten. Der Krieg in der Ukraine und die Sorge vor einem Wirtschaftseinbruch haben die Preise nur leicht zurückgehen lassen.

Der europäische Emissionshandel wurde 2005 eingeführt, um die Ziele des internationalen Klimaschutzabkommens von Kyoto zu erreichen. Alle Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), also die EU-Mitgliedsstaaten plus Norwegen, Island und Liechtenstein, haben sich dem EU-Emissionshandel angeschlossen. Allerdings trat Großbritannien nach dem Brexit zum 1. Januar 2021 aus, dort ist jetzt ein nationales Emissionshandelssystem in Kraft.

Preisentwicklung der EU-Emissionszertifikate

Quelle: Ember, Carbon Pricing, https://ember-climate.org/data/carbon-price-viewer/ (Abruf am 02.05.2022)

In den Anfangsjahren war der Preis im EU-ETS sehr niedrig. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 lag er unter 20 Euro, lange Zeit sogar unter 10 Euro pro Tonne CO2