Klimakrise und Gesellschaftstheorie - Helmut Willke - E-Book

Klimakrise und Gesellschaftstheorie E-Book

Helmut Willke

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Beschreibung

Sowohl der sich stetig verstärkende Klimawandel als auch das damit zusammenhängende weltweite Artensterben sind im Bewusstsein der meisten Politiker:innen angekommen. Trotzdem wird noch immer zu wenig unternommen, um der globalen ökologischen Krise effektiv zu begegnen. Helmut Willke analysiert das bisherige Scheitern globaler Umweltpolitik aus gesellschaftstheoretischer Perspektive. Seine Analyse zeigt, inwiefern dieses Scheitern darauf zurückzuführen ist, dass die sozialen Teilsysteme »Wissenschaft«, »Wirtschaft« und »Politik« jeweils eigenen, sich gegenseitig ausschließenden Teillogiken folgen. Nur wenn es gelingt, diese Teillogiken und das damit zusammenhängende systematische Ausblenden bestimmter Aspekte der ökologischen Katastrophe zu überwinden, kann globale Umweltpolitik gelingen.

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Helmut Willke

Klimakrise und Gesellschaftstheorie

Zu den Herausforderungen und Chancen globaler Umweltpolitik

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Sowohl der sich stetig verstärkende Klimawandel als auch das damit zusammenhängende weltweite Artensterben sind im Bewusstsein der meisten Politiker:innen angekommen. Trotzdem wird noch immer zu wenig unternommen, um der globalen ökologischen Krise effektiv zu begegnen. Helmut Willke analysiert das bisherige Scheitern globaler Umweltpolitik aus gesellschaftstheoretischer Perspektive. Seine Analyse zeigt, inwiefern dieses Scheitern darauf zurückzuführen ist, dass die sozialen Teilsysteme »Wissenschaft«, »Wirtschaft« und »Politik« jeweils eigenen, sich gegenseitig ausschließenden Teillogiken folgen. Nur wenn es gelingt, diese Teillogiken und das damit zusammenhängende systematische Ausblenden bestimmter Aspekte der ökologischen Katastrophe zu überwinden, kann globale Umweltpolitik erfolgreich sein.

Vita

Helmut Willke, Prof. Dr., lehrte Soziologie, Global Governance und Staatstheorie an der Universität Bielefeld und der Zeppelin Universität Friedrichshafen.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

1.

Einleitung

2.

Ökologische Ausblendungen – die Eigenlogik sozialer Teilsysteme

2.1

Die ökologischen Ausblendungen der Wirtschaft

2.2.

Die ökologischen Ausblendungen der Politik

2.3

Die ökologischen Ausblendungen der Wissenschaft

2.4

Die ökologische Verblendung der Gesellschaft

3.

Zyklopische Visionen der ökologischen Krise

3.1.

Wie beobachtet das globale Finanzsystem die ökologische Krise?

3.2.

Zur Rolle des globalen Wissenschaftssystems in der ökologischen Krise

3.3

Die ökologischen Ausblendungen der globalen Entwicklungspolitik

4.

Elemente einer globalen Umweltpolitik

4.1.

Kollektive Intelligenz

4.2.

Global Governance

4.3

Hybride Steuerung der Umweltpolitik

4.4.

Ein Zwischenschritt – Kontextsteuerung

5.

Einblendungen – Überlagerung der Systemlogiken

5.1.

Ökonomie

5.2.

Wissenschaft

5.3.

Politik

6.

Ausblick – Eine Institution globaler Umweltpolitik

Literatur

1.Einleitung

Die Welt ist aus den Fugen.1 Ihr werden viele Tode vorausgesagt. Zustandsbeschreibungen und Prognosen haben eine Anmutung von Apokalypse.2 Je nach Fachrichtung und betroffenem gesellschaftlichen Funktionssystem sind es unterschiedliche Katastrophen, aber alle spezialisierten Teilsysteme sind sich sicher, dass das von ihnen prognostizierte Ende das Nächstliegende sei. Biologen3 sehen ein finales Artensterben und die Disruption der Naturkreisläufe; Umweltaktivisten den ökologischen Kollaps der Welt; die Wirtschaft sieht die Erschöpfung essentieller Ressourcen; die Militärs die Proliferation von Atomwaffen, die nicht immer in ihren Silos verbleiben werden; die Computerwissenschaftler erwarten den Zusammenbruch der globalen digitalen Infrastrukturen durch Cyberattacken; die Entwicklungspolitik ein Auseinanderbrechen der Welt in Superreiche und hoffnungslos Verarmte, was zu desaströsen Migrationsströmen führt; die Finanzwissenschaftler den großen finalen Börsencrash durch globale Bubbles und digitale Währungen; die Gesundheitssysteme das Ende durch neuartige Pandemien, Zivilisationskrankheiten, Überalterung und den Zusammenbruch der Gesundheitssysteme; und die Risikoforscher beschreiben das Ende der Welt durch bislang unbekannte systemische Risiken, welche selbst die zarten Ansätze von Resilienz überfordern.

Alle diese (und viele weitere) Endzeitszenarien sind real, leiden aber auch unter Ausblendungen. Dies liegt daran, dass jedes Teilsystem der Gesellschaft notwendigerweise zahlreiche Aspekte seiner Umwelt ausblendet, weil es nach seiner eigenen, funktional differenzierten Logik operiert. Was dabei zu kurz kommt, ist die Einheit der Vielfalt. Die Teile blenden aus, dass die Welt als Gesamtsystem sich nicht einer Teillogik fügt, sondern dass sie alle funktional differenzierten Logiken unter ihrem Dach vereinen und irgendwie kompatibel halten muss.

Spezialisten sind in ihren professionellen Denkmustern verfangen, und Funktionssysteme kennen nur ihre je eigene Logik, die sie ihrer Weltsicht zugrunde legen. Dies ist keine Kritik, sondern konstatiert nur die Folgen der funktionalen Differenzierung jedes komplexen, modernen Gesellschaftssystems. Weil diese Dynamik, für sich genommen, ein System in seine Einzelfunktionen zerreißen müsste, bildet es übergreifende integrative Mechanismen, Formen und Institutionen aus, die den Zusammenhalt des Ganzen zur Aufgabe haben und dafür sorgen, dass das System insgesamt überlebt. Differenzierung heißt in diesem Zusammenhang, dass jedes Funktionssystem seine eigene Operationslogik, seinen Leitcode und sein Medium ausbildet und somit blind und taub wird für die Logiken, die Codes und die Medien anderer Funktionssysteme. Integration bedeutet demgegenüber, dass die im Systemganzen herrschenden Interdependenzen nicht über Vermischung, sondern über ›dritte‹ Systeme in Form struktureller Kopplungen moderiert werden, um das Paradox einer gleichzeitigen Schließung und Öffnung zu entfalten.4

Betrachtet man die ökologische Krise, fällt auf, dass sich die gesellschaftliche Kommunikation über Ökologie meist nicht in der Sprache von Personen abspielt, sondern in der Operationslogik der betroffenen Funktionssysteme, d.h. in der Sprache der Medien generalisierter Kommunikation: vor allem Macht (Politik), Geld (Ökonomie), Wissen (Wissenschaft), Glaube (Religion) und Moral (Lebenswelt). Es sind diese gesellschaftlichen Kommunikationsmedien, die systemisch verdichtete, routinisierte und komprimierte Kommunikationen produzieren und damit die Grammatik der Selbststeuerung der gesellschaftlichen Funktionssysteme definieren. Jedes der gesellschaftlichen Teilsysteme kommuniziert über Ökologie in einer anderen Sprache und ist somit zunächst für alle anderen Subsysteme unverständlich. Es rekonstruiert das Umweltproblem mit den Mitteln seiner eigenen Logik und sieht nur das, was es im Rahmen dieser Logik sehen kann. Die Teilsysteme sind somit blind für die Sichtweisen der anderen, nehmen jedoch für sich in Anspruch, ›das Problem‹ hinreichend thematisiert und verstanden zu haben.

In der klassischen Form der nationalstaatlich organisierten modernen Gesellschaft übernimmt klassischerweise die Politik die Funktion der Instanz, welche diese unterschiedlichen Weltsichten, Konstruktionen und Problembeschreibungen zusammenführt. Sie ist das Einzige der vielen Funktionssysteme, das für die Gesellschaft insgesamt verantwortlich ist. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, kollektiv verbindliche Entscheidungen (in Demokratien im Parlament) zu treffen und durchzusetzen. Somit kann sie allen anderen Teilsystemen in Form von Gesetzen legitimerweise Vorgaben machen und Beschränkungen auferlegen. Diese Beschränkungen sind unabdingbar, um die zentrifugale Dynamik der spezialisierten Funktionssysteme einzugrenzen und auf diejenigen Optionen zu limitieren, die mit den Prämissen der Gesamtgesellschaft vereinbar sind.5 So beschränkt die Politik ein prinzipiell schrankenloses Wachstum der Ökonomie insbesondere durch Steuern, Standards und Regulierungen. Ebenso beschränkt sie den prinzipiell unbegrenzten Forscherdrang des Wissenschaftssystems durch (ethisch begründete) Forschungsgrenzen und setzt selbst der Freiheit des Kunstsystems – etwa durch Regeln gegen Pornographie oder Rassismus – gewisse Grenzen. Gleiches gilt für jedes gesellschaftliche Funktionssystem. Diese Kompetenz des (modernen) politischen Systems macht den Nationalstaat handlungsfähig, gemäß dem Prinzip der Souveränität nach außen, und der Legitimität nach innen. Sie versetzt die Nationalstaaten in die Lage, Strategien zu entwerfen, Programme zu implementieren und politische Ziele zu erreichen.

Die ökologische Krise ist allerdings nicht auf einzelne Nationalstaaten begrenzt, sondern das Paradigma einer globalen Krise. Weil einzelne Staaten anders operieren als globale Systeme, sind die Unterschiede zwischen den Operationsmodi der nationalstaatlich organisierten Gesellschaften einerseits und globalen Kontexten – bis hin zu einer Art Weltgesellschaft und Weltpolitik – andererseits von zentraler Bedeutung für alle Einschätzungen und Behandlungen der ökologischen Krise. Die Nationalstaaten sind die einzigen Akteure, die für ihre Territorien verbindlich handeln und beispielsweise ökologische Programme implementieren können. Ihre Reichweite ist jedoch auf das jeweilige Territorium begrenzt und erreicht daher eine ökologische Krise mit globalen Ursachen und Folgen gerade nicht.

Die Nationalstaaten sind gefangen im Dilemma lokaler Steuerungskompetenz bei globaler Problemkonstellation. Komplementär dazu erreichen globale Akteure zwar die passende Ebene und den passenden Kontext einer globalen ökologischen Krise, aber ihnen fehlen die Kompetenzen für Steuerung und Implementierung. Beide komplementären Dilemmata belegen ein seit Jahrzehnten andauerndes Versagen aller relevanten Akteure, tatsächlich wirkende Maßnahmen gegen den fortschreitenden Verfall der ökologischen Stabilität einzuleiten. Die Nationalstaaten wollen, aber können nicht; die globalen Akteure können, aber dürfen nicht. Und so schleppt sich die Welt durch die zunehmende Dichte lokaler Krisen und Katastrophen in der wohl vergeblichen Hoffnung, dass die große Katastrophe, die das Weltmodell des Club of Rome bereits Ende der 1960er Jahre für die Mitte des 21. Jahrhunderts vorausgesagt hat,6 irgendwie vermieden werden kann.

Es geht in diesem Text weder um Anklagen noch um Schuldzuweisungen noch um Panikmache. Vielmehr möchte ich gesellschaftstheoretisch fundierte Zusammenhänge erläutern, die verständlich machen können, warum die Welt, die Nationalstaaten und ihre Funktionssysteme scheinbar unbeeindruckt einer Dynamik zusehen, die für alle Beteiligten gut erkennbar zum ökologischen Kollaps führt. Bildlich gesprochen, rast ein gewaltiger Komet auf die Erde zu und droht, sie zu zerstören. Gleichzeitig berechnet die Ökonomik nur den Wert seiner seltenen Erden, die Wissenschaft ist fasziniert von seiner Herkunft und Trajektorie, die Politik interessiert sich nur dafür, in welchem Land er zuerst einschlägt, das Gesundheitssystem sorgt sich nur um mögliche biologische Verunreinigungen durch unbekannte Lebensformen und das Religionssystem betrachtet den Kometen als interessante Botschaft der Götter. Niemand ist jedoch in der Lage, die Situation insgesamt zu erfassen.

Auch die unterschiedlichen Disziplinen des Wissenschaftssystems leiden jeweils unter ihren Verengungen und den daraus folgenden Ausblendungen. Analysen und Debatten zur ökologischen Krise haben häufig eine einseitig naturwissenschaftliche Färbung, weil es schließlich um ›die Natur‹ geht. Zugleich geht es jedoch ebenso um gesellschaftlich determinierte, also politische, ökonomische, technologische und kulturelle Einwirkungen auf die Natur, welche die Rede von einem Anthropozän rechtfertigen.7 Wenn es jedoch gesellschaftliche Verhältnisse und Dynamiken sind, welche die ökologische Krise geformt und heraufbeschworen haben, dann scheint es unerlässlich, intensiver und umfassender als bislang die Gesellschaftswissenschaften zu nutzen, um die Besonderheiten dieser Krise zu verstehen. Vor allem gilt es, besser zu verstehen, warum die Welt (repräsentiert durch nationale, transnationale und globale Akteure) nahezu teilnahmslos dabei zuschaut, wie sie sich selbst ruiniert und sich ohne zu bremsen auf einen Abgrund zubewegt.

In einer Epoche der akuten Selbstgefährdung gesellschaftlicher Systeme ist es an der Zeit, die immer feiner ziselierten Detailforschungen in vielen Disziplinen mit Forschungsperspektiven zu ergänzen, welche die systemischen Merkmale und Zusammenhänge der beteiligten Gesellschaften und ihre globalen Vernetzungen im Blick haben. Damit rücken zwei komplementäre Gesichtspunkte unseres Verständnisses moderner Gesellschaften ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Zum einen die Folgen ihrer funktionalen Differenzierung, zum anderen die Leistungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz eines politischen Mehr-Ebenen-Systems, das von der lokalen Ebene bis zu Global Governance reicht. Diese beiden Momente bestimmen maßgeblich sowohl Definitionen und Konturen der ökologischen Krise, wie auch die Möglichkeiten, mit dieser Krise umzugehen und in Richtung möglicher Lösungen voranzukommen.

Im Folgenden werden die unterschiedlichen Dilemmata entfaltet, welche die Tragik der ökologischen Ausblendung konstituieren und im Anschluss Lösungsvorschläge entwickelt. Im nun folgenden zweiten Kapitel werden die eingeschränkten Sichtweisen der Funktionssysteme analysiert, die ihre je unterschiedlichen Rekonstruktionen der ökologischen Krisen pflegen. Das dritte Kapitel wechselt auf die globale Ebene. Hier werden die Folgen der beschränkten Handlungsmöglichkeiten lokaler Akteure angesichts einer globalen Krise beschrieben. Im vierten Kapitel untersuche ich dann die Elemente einer globalen Umweltpolitik und behandle im fünften Kapitel Möglichkeiten, gegenüber den Ausblendungen der Teilsysteme, Einblendungen überlagerter Systemlogiken ins Spiel zu bringen. Das sechste Kapitel beschließt das Buch mit einem kurzen Ausblick auf eine mögliche Institution, mithilfe derer globale Umweltpolitik gelingen könnte.

2.Ökologische Ausblendungen – die Eigenlogik sozialer Teilsysteme

Alle funktionale Differenzierung komplexer Systeme läuft auf eine Spezialisierung der Teilbereiche hinaus. Die Spezialisten, ob in Organismen, Institutionen, Organisationen oder Gesellschaften, fokussieren sich auf eine Teilaufgabe und verlieren das Ganze aus den Augen. Weil dies aber das Gesamtsystem gefährden müsste, leistet das System, solange es besteht, die Re-Integration des Ganzen entweder durch einen Spezialisten für das Ganze oder durch ein von Interdependenzen orchestriertes Zusammenspiel der Teile.

In modernen Gesellschaften ist das politische System der Spezialist für das Ganze. Dies eröffnet den Funktionssystemen die legitime Möglichkeit, sich ganz auf ihre spezifischen Aufgaben zu konzentrieren. Der Nutzen des evolutionären Sprungs zu funktionaler Differenzierung liegt darin, dass die Teile effizienter und effektiver werden und das Gesamtsystem leistungsfähiger wird, solange es seinen Zusammenhang wahren kann und nicht von der Dynamik der Teile auseinandergerissen wird. Die Kosten der Arbeitsteilung bestehen darin, dass die Spezialsysteme primär ihrer eigenen Logik folgen und ohne Rücksicht auf das Ganze operieren.

Das Resultat ist eine prekäre Balance zwischen der Eigendynamik der Funktionsbereiche einerseits und den systemischen Interdependenzen, die einen Zwang zur Rücksichtnahme ausüben, andererseits. Die »Große Transformation« hin zu modernen Gesellschaften machte daraus die historische Auseinandersetzung zwischen einer eigenlogischen kapitalistischen Marktwirtschaftsdynamik und den Versuchen einer Gesellschaftssteuerung durch die Politik.8 Diese Auseinandersetzung hält bis heute an. Sie weitet sich in global vernetzten Wissensgesellschaften aus zu einem Überlebenskampf demokratischer Politik gegen übermächtige Funktionssysteme, die sich als laterale Weltsysteme9 der Steuerungskompetenz der Nationalstaaten zu entwinden suchen. Gegenüber einem globalen Finanzsystem oder einer Weltwirtschaft sind die einzelnen Nationalstaaten in einer schwachen Position. Dennoch müssen ihre politischen Systeme den Mythos ihrer Steuerungskompetenz aufrechterhalten, um im Sinne einer Output-Legitimität ihre Existenzberechtigung zu belegen.

Unter diesen Bedingungen verfolgen die Funktionssysteme moderner Demokratien unbeirrt und weitgehend unbehelligt von der Politik ihre spezifischen Eigeninteressen. Sie maximieren in der Logik einer »Tragödie der Gemeinschaftsgüter«10 ihren Eigennutzen und blenden die Folgen für das Ganze der Gesellschaft aus. Die Ambition eines Wachstums ohne Grenzen befällt alle Funktionssysteme, ob Ökonomie oder Sport, ob Wissenschaft oder Gesundheitssystem. Sie beobachten die Welt nach den Kriterien ihrer Teilrationalität und blenden alles andere als irrelevant oder gar störend aus.

Das Universitätssystem ist ein Paradebeispiel für diese Zusammenhänge. Jede Disziplin hält sich selbst völlig selbstverständlich für die Wichtigste und für die Krone der Wissenschaft. Jede Disziplin beobachtet die Welt aus dem engen Blickwinkel ihrer Leitkriterien und missversteht dies für das Ganze. Jede Disziplin möchte wachsen und expandieren und möglichst weitere Unterdisziplinen hervorbringen, am besten auf Kosten konkurrierender Disziplinen.

In größeren Unternehmen und anderen Organisationen gelten dieselben Prinzipien. Jedes Ressort und jede Division hält sich für den Nabel der Welt, für diejenigen, die das Ganze eigentlich tragen und zusammenhalten. Die Forschungsabteilung weiß dies, weil es auf Innovationen ankommt, das Finanzressort ebenso, weil am Ende die Zahlen zählen, und der Vertrieb ist sicher, dass immer die Kunden entscheidend sind.

Die resultierenden Ausblendungen müssten zu einer kollektiven Blindheit führen, würde nicht eine Instanz eingreifen, die das Interesse des Ganzen vertritt. In Unternehmen könnte dies der Eigentümer/Vorstand/CEO sein, im Universitätssystem budgetäre Zwänge oder eine Präsidialabteilung.

In modernen Gesellschaften vertritt die Politik das Interesse des Ganzen als Gemeinwohl. Aber schon der schillernde Begriff des Gemeinwohls zeigt an, wie schwer es die Politik hat, der Fülle unterschiedlicher Ausblendungen eine Idee des Ganzen als Kompossibilität der Teile entgegenzusetzen. Tatsächlich ist die Politik, insbesondere die Politik moderner Demokratien, in der Defensive. Gegenüber den ostentativen Erfolgen der Spezialisten ist sie angekränkelt vom Zweifel an der eigenen Relevanz und Leistungsfähigkeit als Akteur in globalisierten Kontexten. Sie leidet an einer Aura des Scheiterns, welche in nahezu allen Felder der Politik mit Händen zu greifen ist. Das Scheitern der großen Pläne und Programme der demokratischen Politik ist die neue Normalität. Es beruht auf einer Überlastung und Überforderung der Politik durch Problemkonstellationen, die als globale Zusammenhänge nur durch internationale/globale Kooperationen angemessen behandelt werden können, und genau deshalb die nationalstaatlichen Akteure als irrelevant und inkompetent erscheinen lassen.

Die ökologischen Ausblendungen bilden die wohl bedrohlichste Herausforderung der Gegenwart, und damit die Problematik, an der sich das Schicksal der Demokratien entscheidet. Überlassen sie dieses Feld den Populisten und Ignoranten, dann scheitern sie an ihrer zentralen Verantwortung. Ein solches Scheitern ist inzwischen nicht mehr bloße Hypothese, sondern tatsächlich ein wahrscheinlicher Gang der Dinge. Niemand weiß, was dies für die Zukunft moderner Gesellschaften bedeutet. Ein erster Schritt zur Beantwortung dieser Frage wäre, zunächst einmal besser zu verstehen, woraus diese Ausblendungen resultieren, und wie konstruktiv mit ihnen umgegangen werden könnte.

2.1Die ökologischen Ausblendungen der Wirtschaft

Wie beobachtet die Wirtschaft als gesellschaftliches Funktionssystem die ökologische Krise, und wie kommuniziert sie darüber? Was blendet sie aus, wenn sie ökologische Informationen aufnimmt und in Kommunikationen verarbeitet?

Auf die kompakteste Formel reduziert lässt sich in einer systemtheoretischen Sicht sagen, dass das Wirtschaftssystem die ökologische Krise in der Logik der Preise beobachtet und in der Sprache der Preise darüber kommuniziert. Dies führt dazu, »dass Probleme in die Form von Kosten gebracht werden.«11 Damit werden Maßnahmen zur Bekämpfung der Umweltkrise zu einer Frage des Preises. Ein Indikator dafür ist die Debatte um eine Bepreisung von CO₂-Ausstoß und dem damit verbundenen Emissionshandel. Maßnahmen zur Bewältigung von Umweltproblemen werden von der Ökonomie, d.h. von Unternehmen und Konsumenten, in den Kategorien von Preisen und Kosten prozessiert. Beispielhaft dafür ist die Einführung von Emissionszertifikaten zur Reduzierung klimaschädlicher Gase, insbesondere Kohlenstoffdioxid. Wenn der Ausstoß von CO₂ Kosten verursacht, weil Unternehmen dafür Zertifikate erwerben müssen,12 dann ›versteht‹ das ökonomische System (inklusive der Konsumenten), dass es angezeigt und lohnend wäre, auf umweltfreundlichere Produktionsweisen, alternative Energien und ökologische Konsumformen umzusteigen. Es geht hier nicht um die Details dieser Debatte, sondern darum, in welchen Kategorien das Wirtschaftssystem zur ökologischen Krise Stellung bezieht, darüber kommuniziert und daraus eigene Maßnahmen und Strategien ableitet.

Für die folgenden Argumentationen ist es wichtig zu sehen, dass es hier nicht um die individuellen Präferenzen, Vorstellungen und Absichten von Personen geht, sondern darum, aus der je spezifischen Operationslogik eines gesellschaftlichen Funktionssystems (im Rahmen moderner, funktional differenzierter Gesellschaften) die systemische Konfiguration ›seiner‹ (d.h. der von diesem Teilsystem wahrgenommenen) Umweltkrise zu rekonstruieren, also die dem Funktionssystem mögliche, von seiner Logik zwingend vorgegebene Weltsicht zu beleuchten, um verstehen zu können, warum jedes Teilsystem der Gesellschaft seine eigene Sichtweise auf die Umweltkrise hat, seine eigene Diagnose stellt und darauf in seiner eigenen Logik reagiert.

Die Trennung der Logiken von Personen einerseits und von Sozialsystemen andererseits ist eine entscheidende Weichenstellung jeder genuin systemtheoretischen Analyse. Dies bedeutet in keiner Weise eine Geringschätzung von Personen, wie die Kritik oft unterstellt, sondern schlicht die Anerkennung einer zweiten Realität neben derjenigen von Personen: Nämlich die Realität systemischer Dynamiken, in denen nicht die Motive und Interessen von Personen die Hauptrolle spielen, sondern die Reproduktionsbedingungen eines sozialen Systems.13 Eine teilsystemspezifische Kommunikationsform entsteht, indem themenzentrierte Kommunikationen sich immer stärker aufeinander beziehen, also rekursiv und selbstreferentiell werden. Die Fortsetzung dieser Kommunikationen verstrickt sich zunehmend in Pfadabhängigkeiten, die von den Pfaden des Kommunikationssystems vorgesehen sind und auf diese Weise gesteuert werden, weil man in weiteren Kommunikationen auf vergangene Kommunikationen Bezug und Rücksicht nehmen muss – schon um nicht immer wieder neu anfangen und alles neu bestimmen zu müssen.

Wenn wir von diesen bescheidenen Anfängen der kommunikativen Verselbständigung sozialer Themenkomplexe den gewaltigen Sprung in moderne, funktional differenzierte Gesellschaften machen, dann ergibt sich folgendes Bild. Die großen Themenkomplexe des gesellschaftlichen Lebens wie Regieren, Wirtschaften, Heilen, Glauben, Lernen, Forschen, Lieben, Kreieren (Kunst) und sogar Sport treiben (Sportsystem) bilden in langen gesellschaftsgeschichtlichen Prozessen Spezialthemen, Spezialsemantiken (Begrifflichkeiten) und schließlich Spezialsprachen aus, die sich immer deutlicher von anderen Semantiken unterscheiden, selbstreferentiell auf sich selbst Bezug nehmen, sich durch spezifische Bedeutungen von externen Bezugnahmen abschotten und sich am Ende zu operativ geschlossenen Kommunikationssystemen verdichten.

Dieses »am Ende« lässt sich historisch ziemlich genau bestimmen. Es ist, mit Max Weber gesprochen, die Vollendung der funktionalen Differenzierung frühmoderner Gesellschaften im Übergang zur Neuzeit, als sich im Protestantismus und Calvinismus auch noch die religiöse Lebensführung der Rationalisierung unterwarf und damit das vorneuzeitliche Modell der Gemeinschaft durch die Form der arbeitsteiligen Gesellschaft abgelöst wurde. In der Folge trennen sich die gesellschaftlichen Funktionsbereiche immer deutlicher, spezialisieren sich damit auf eine bestimmte Funktion und auf bestimmte Leistungen für ihre Gesellschaft. Sie bilden eigene spezialisierte Organisationen und Rollenduale aus (z.B. Lehrer/Schüler, Produzent/Konsument, Wähler/Gewählter, Priester/Gläubiger, Arzt/Patient), etablieren eigene Kommunikationsmedien als Spezial- und Hochleistungssprachen, und schärfen ihre Eigenlogik, indem sie diese unter eine extrem selektive ›Leitdifferenz‹ stellen, die das meiste ausschließt und nur ganz Spezifisches als systemisch relevant markiert.14

Dabei bleibt etwa eine Managerin in einem Wirtschaftsunternehmen selbstverständlich zunächst eine Person, mit bestimmten persönlichen Eigenschaften, Meinungen und Interessen. Sie ist aber eben zugleich Akteurin in einer Organisation des Wirtschaftssystems und kommuniziert in dieser Rolle genauso selbstverständlich im Korsett der Logik des Wirtschaftssystems, also in der Logik von Markt, Wettbewerb, Profit, Wachstum und Risiko. Würde sie das nicht tun, sondern ihren persönlichen Idiosynkrasien folgen, wäre ihre Karriere schnell zu Ende.

Dass soziale Systeme wie Familien, Organisationen, Kirchen, Institutionen, Kulturen und ganze Gesellschaften eigendynamisch und eigen-sinnig werden, ist nicht erst eine Beobachtung der Systemtheorie. Der Institutionalismus in seinen verschiedenen Ausprägungen ist Beleg dafür, dass verfestigte soziale Gebilde wie Institutionen, Kulturmuster oder Regelsysteme den Optionenraum möglichen Handelns definieren und damit zugleich eröffnen und einschränken. Ein Familienverband, z.B., eröffnet viele Möglichkeiten der wechselseitigen Unterstützung und Solidarität, verlangt andererseits eine Eingrenzung der externen Kontakte auf nicht-familiäre Beziehungen. Institutionen und andere soziale Systeme bilden im Laufe ihrer Geschichte einen eigenen ›Sinn‹, eine eigene Logik und damit eine Eigendynamik aus, innerhalb derer sich die Kommunikationen und das Handeln der Mitglieder oder Betroffenen einrichten müssen. Mary Douglas hat dies aus anthropologischer Sicht besonders eindringlich beschrieben.15

Wenn eine Person einem System beitritt, beispielhaft in der Ökonomie etwa durch einen Arbeitsvertrag, dann verspricht sie, ihre persönlichen Absichten hintanzustellen und sich nun an die Kriterien und Programme des Systems zu halten. Sicherlich genießt die Person inzwischen einen gesetzlich gesicherten Freiraum innerhalb des stählernen Gehäuses der Organisationen, welcher bedeutet, dass sie nicht »mit Haut und Haaren« dem System ausgeliefert ist. Dennoch gilt, dass innerhalb der legitimen Programme des Systems die Personen nun der Systemlogik unterworfen sind und damit die Operationslogik sozialer Systeme nicht von personalen Kriterien bestimmt wird, sondern von den Bedingungen der Möglichkeit des Fortbestandes und der Reproduktion des sozialen Systems. Die daraus folgenden Dilemmata haben auf der Seite der Person vor allem in der soziologischen Rollentheorie unter Stichworten wie Rollenvielfalt, Rollenambiguität und Rollenkonflikte Aufmerksamkeit gefunden,16 sowie in der modischen Kategorie der »work-life-balance«. Auf der Seite der sozialen Systeme hat nicht nur die soziologische Systemtheorie die kategoriale Unterscheidung von Person und Organisation betont, sondern besonders deutlich auch die Management- und Beratungsliteratur etwa in der Unterscheidung von Personalentwicklung und Organisationsentwicklung.17

Zu den Besonderheiten sozialer Systeme gehört, dass sie ihre Welt je nach Zugehörigkeit zu einem Funktionssystem nach unterschiedlichen Leitdifferenzen codieren und darüber sich selbst und ihre Welt rekonstruieren. Die unterschiedlichen Leitdifferenzen der Funktionssysteme ordnen als basale binäre Codes den Optionenraum ihrer Bereiche als spezialisierte Leistungsfelder der Gesellschaft. Sie klassifizieren und sortieren die Fülle anfallender Kommunikationen nach den Relevanzkriterien der Leitdifferenzen und füttern so die nachgeordneten Programme mit dem Material, das die Reproduktion der Funktionssysteme als Kommunikationssysteme in Gang hält. Mit Luhmann gesprochen ist diese Leitdifferenz für die Ökonomie das Dual von Zahlung/Nichtzahlung, für die Politik Macht/Ohnmacht, für die Wissenschaft wahr/unwahr, für das Gesundheitssystem gesund/krank, und so weiter für alle ausdifferenzierten Funktionssysteme.18 Die Leitdifferenzen sind die Auslöser für Entscheidungen im System. Obwohl es Menschen sind, die Entscheidungen treffen, richten sich die Entscheidungen nach den Codierungen und Kriterien des Systems und sind genau in diesem Sinne Systementscheidungen. Entscheidet z.B. eine Managerin eines großen Konzerns, eine kleine Start-up-Firma zu kaufen, dann entscheidet sie nicht nach ihrem eigenen Geldbeutel oder ihren Vorlieben, sondern nach der ökonomischen Logik ihrer Firma, d.h. auf der Basis eines Rentabilitätskalküls. Tut sie dies nicht, dann steigt das Risiko, dass die Firma aus dem Markt ausscheidet. Und weil dies in ökonomischen Transaktionen generell so läuft, reproduziert sich das Wirtschaftssystem in seiner spezifischen Operationsform, obwohl die Operationen auf Entscheidungen von Personen beruhen.

Der Markt steuert sich selbst, benötigt also keine externen Instanzen der Steuerung. Er funktioniert, »ohne dass jemand das Sagen hat«.19 Die Marktteilnehmer als Elemente des Marktes beobachten sich zwar wechselseitig, sie verfolgen aber in den Marktbeziehungen ihre eigenen Interessen. Sie handeln berechtigterweise egoistisch, der Markt setzt keinen Altruismus voraus. Aus der wechselseitigen Beobachtung und der wechselseitigen Unterstellung, dass alle Marktteilnehmer rational egoistisch handeln, um über Vertragsbeziehungen freiwillig in Austausche zum wechselseitigen Nutzen einzutreten, resultieren die wichtigsten Gesamteigenschaften des Marktes: Ermöglichung effizienter Austauschtransaktionen und damit Wohlfahrtsschöpfung durch Optimierung des Gesamtnutzens. Dies ist die Wirkungsweise von Adam Smiths ›unsichtbarer Hand‹.

Wenn der Markt in dieser Weise funktioniert, dann gilt nach Ansicht von Ökonomen das »Arrow-Theorem«. Es postuliert, dass unter den genannten Bedingungen der Markt als Steuerungsmodell ein Pareto-Optimum der Allokation von Ressourcen herstellt. Man muss sich vor Augen halten, dass dies eine erstaunliche Leistung ist. Der Markt als Steuerungsmodell realisiert ein Ziel, dass niemand vorgibt und das die einzelnen Marktteilnehmer gerade nicht selbst verfolgen (sie verfolgen ihre egoistischen Eigeninteressen), das ihnen aber insgesamt nützt, weil sie alle etwas davon haben, nämlich einen gemeinsamen Wohlfahrtsgewinn durch eine optimale Verteilung und Nutzung der vorhandenen Ressourcen.

Soziale Systeme operieren nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Umwelt, die als Umwelt erhebliche Relevanz für das System hat. Allerdings ist diese Umwelt nicht irgendwie objektiv gegeben, sondern sie wird als externe Größe intern repräsentiert und nach den Kriterien und Leitdifferenzen des Systems rekonstruiert. Die Grundidee von Selbstreferenz lässt sich am anschaulichsten an den Fällen der lebenden Zelle und des mentalen Systems von Menschen darstellen. In einer lebenden Zelle laufen Myriaden von auto-katalytischen Produktionsprozessen ab, in denen die Zelle die Komponenten produziert, aus denen sie besteht. Diese »hyperzyklische« Selbstreferenz hat Manfred Eigen im Modell des Hyperzyklus beschrieben20 und Maturana für den Fall von Organismen zur Idee der Autopoiese fortgeführt.21 Wichtig ist, dass in beiden Fällen, ob Zelle oder Organismus, operative Geschlossenheit nicht Autarkie meint, also selbstverständlich Einflüsse der Umwelt wirken und etwa Nahrung, Energie oder Daten aus der Umwelt Eingang in das System finden. Es gilt, dass alle diese externen ›Dinge‹ oder Ereignisse nach den vom System gesetzten Kriterien selegiert und ausschließlich in internen Operationen und damit in der Logik des Systems im System verarbeitet werden. Eine Zelle oder ein Frosch nimmt also nicht irgendetwas aus seiner Umwelt auf, sondern nur das, was die Systeme wahrnehmen können, benötigen und zulassen.

Vielleicht noch deutlicher wird dies am Beispiel des mentalen Systems. Denn es ist ziemlich offensichtlich, dass Gedanken nicht einfach von außen – etwa per Nürnberger Trichter – in das Gehirn hineinkommen. Vielmehr wird das Gehirn ausschließlich mit Nervenimpulsen gefüttert, die ihrerseits ausschließlich von den vorhandenen Sinnesorganen produziert werden. Schon das Gehirn des Frosches bekommt nur das zu ›sehen‹, was das Auge des Frosches zu liefern in der Lage ist.22 Beim Menschen liegen die Dinge nicht anders. Gedanken bilden sich in den neuronalen Netzwerken des mentalen Systems nach der Logik dieses Systems; denkbar ist nur, was sich in der Logik des mentalen Systems darstellen lässt. Da von außen keine fertigen Gedanken angeliefert werden, sondern nur relativ einfach gebaute Nervenimpulse, ist die ganze Konstruktionsarbeit, die dann zu Gedanken, Gedankengebäuden und etwa zu Theorien führt, dem mentalen System selbst überantwortet und nur in dessen spezifischer Operationsweise zu verstehen.

So wie jeder Mensch seine Außenwelt in seinem Kopf mit sich herumträgt, und diese Außenwelt nichts feststehendes Objektives ist, sondern ein persönliches mentales Modell, so modelliert ein soziales System seine Umwelt in der Logik seiner spezifischen Operationsform. Das Wirtschaftssystem scannt seine Umwelt mit einer Brille, die nur Beobachtungen gemäß dem eigenen Code zulässt, also danach fragt, ob ein Ereignis Zahlungen ermöglicht oder verhindert. Dies heißt auch, dass alle Ereignisse in der Umwelt der Wirtschaft in das Medium des Geldes übersetzt werden und ihre Relevanz anhand ihres Einflusses auf Geldströme beurteilt werden.23

Jede funktionale Differenzierung eines komplexen Systems, sei dies eine Organisation oder eine Gesellschaft, ist aus der Sicht des Gesamtsystems ein ambivalenter Vorgang, bringt also Vorteile und Nachteile. Der Vorteil liegt in einer erheblichen Leistungssteigerung der Teile durch Reduktion, Spezialisierung und Fokussierung. Der entscheidende Nachteil besteht darin, dass jedes Funktionssystem zunächst alle weiteren Rücksichten auf das Gesamtsystem ausblendet und monomanisch nur seine eigenen Ziele verfolgt. Mit Eintritt der Gesellschaft in die Moderne und mit funktionaler Differenzierung befreit sich das ökonomische Kalkül von den traditionellen Bindungen der Familie, der Freundschaft, der Moral, der Religion oder der Herrschaft. In die Dynamik funktionaler Differenzierung ist demnach mit dieser Entfesselung das Problem eingebaut, dass die Teile im Prinzip ein unbegrenztes Wachstum anstreben, wenn sie nur ihrer eigenen Logik folgen und Rücksichten auf das Gesamtsystem ausblenden. In einer differenzierungstheoretischen Sicht fällt auf, dass die radikalisierte Autonomie der Funktionssysteme nicht zu einer nachhaltigen Selbstschädigung geführt hat, weil die Teilsysteme eigene interne Reflexionskompetenz aufgebaut haben, die es ihnen ermöglicht, ihre eigene Zügellosigkeit etwa in der Produktion negativer Externalitäten als allgemeines Operationsprinzip zu sehen, dessen selbstzerstörerische Dynamik nur durch wechselseitige Selbstbindung und Selbstbeschränkung zu kompensieren ist. Überlebensfähig ist das Ganze eines differenzierten Systems daher nur, wenn eine Instanz vorhanden ist, welche in der Lage ist, die Teile darauf zu verpflichten, sich selbst mit Rücksicht auf das Ganze zu beschränken. In Unternehmen ist dies der Eigentümer oder der Gesamtvorstand, in modernen Gesellschaften die Politik als Hüterin des ›Gemeinwohls‹. Bereits hier sei angemerkt, dass auf globaler Ebene mangels einer funktionierenden Weltgesellschaft genau diese Instanz fehlt und daher das Zusammenspiel der Nationalgesellschaften als Teile des globalen Kontextes in Formen der ›Global Governance‹24 defizitär und dysfunktional für das Ganze ist.

Die Politik setzt auf der Grundlage ihrer Kompetenzkompetenz25 Rahmenbedingungen für die spezialisierten Funktionssysteme, welche diese in ihre Programme einarbeiten – die Ökonomie z.B., indem sie Steuern und Abgaben in ihren Preisen berücksichtigt oder die Kosten von Regulierungen – auch ökologischen – einpreist. So kann trotz der zentrifugalen Dynamik der funktionalen Differenzierung die Kompatibilität der Teile im Ganzen erreicht und eine Reintegration der Gesellschaft gesichert werden.26 Die schöne Ordnung der Dinge im Rahmen einer funktional differenzierten modernen Gesellschaft hängt davon ab, ob die Funktionssysteme als Teile des Ganzen tatsächlich fähig sind, mit zwei Augen, also mit zwei Standpunkten, also perspektivisch zu beobachten, also aus der Parallaxe von Innensicht und Außensicht, Selbstbeobachtung und Fremdbeobachtung ein durch Differenzen angereichertes Bild ihrer Welt zu konstruieren. Diese Verdopplung ihrer Weltsicht ermöglicht eine Einstellung der Tiefenschärfe der Reflexion, die ihrerseits ermöglicht, den eigenen Standort durch Rückschluss genauer zu bestimmen. Zweiäugiges Beobachten hält die Funktionssysteme davon ab, sich selbst als unbedingt und die Welt als lineare Extension ihrer eigenen Operationslogik zu betrachten.

Die komplizierte Dialektik von operativer Schließung und überbrückender Kopplung lässt aber, wie ein Blick auf die Unzahl massiver Probleme in modernen Gesellschaften zeigt, viel Raum für Fehlanpassungen, Dominanzstreben, Korruption und Verzögerungen. Theoretisch, und streng genommen, ist gemäß den Verfassungen moderner Demokratien die Politik das einzige System mit Kompetenzkompetenz und einer Verantwortung für die Gesellschaft insgesamt. In der Praxis setzen sich allerdings die Funktionssysteme wechselseitig vielfältige Grenzen und nutzen ihre Einflussmöglichkeiten, über die sie aufgrund ihres spezifischen Mediums verfügen – die Ökonomie über Geld, die Politik über Macht, das Wissenschaftssystem über Wissen und das Religionssystem über Glauben.

Ein krasses Beispiel für die destruktive Kollusion von Geld und Macht bietet im Jahr 2021 der demokratische Senator von West Virginia Joe Manchin. Um sein gigantisches Investitions- und Sozialprogramm durch den US-Senat zu bringen, benötigte Präsident Biden alle fünfzig Senatorenstimmen der Demokraten, weil alle Republikaner (vor allem aus Angst vor Trump) geschlossen dagegen stimmten. Als einziger Demokrat verweigerte Manchin seine Zustimmung und gefährdete so das Gesamtpaket. Der Grund dafür ist, dass das Vorhaben des Präsidenten primär auf eine Energiewende zielt und erneuerbare Energieformen favorisiert, um den drohenden Kollaps des Weltklimas zu verhindern. Manchin aber ist Lobbyist der alten Energieträger und Virginia ein Zentrum der Kohleindustrie. Nun stellt sich heraus, dass Manchin von der Kohle-, Gas- und Ölindustrie massiv gesponsert wird, mehr Geld von diesen Industrien erhält als jeder andere Senator. Manchin selbst gründete 1988 eine Energie-Handelsfirma, die er später seinem Sohn übergab, aus der er heute noch 71% seines investiven Einkommens in Millionenhöhe bezieht.27

Weil sich unzählige solcher Fälle belegen lassen, gehen viele Beobachter, auch Wissenschaftler, davon aus, dass nicht die Politik den Primat in der Gesellschaft einnimmt, sondern die Ökonomie: »Das Geld regiert die Welt.« Sobald die Politik nicht mehr als Spitze einer hierarchischen Ordnung die Gesellschaft dominiert, gerät die Demokratie als politische Steuerungsform in die Defensive. Mit dem Erstarken des Kapitalismus kämpfen Politik und Ökonomie um Macht und Einfluss auf die Gesellschaftssteuerung und es wird zur Schicksalsfrage moderner Demokratien, ob die Politik die Ökonomie oder die Ökonomie die Politik dominiert. Inzwischen ist die Situation komplizierter, weil auch das Wissenschaftssystem, das Finanzsystem, das Gesundheitssystem, das Erziehungssystem, das Religionssystem und weitere Teilsysteme mit eigener Steuerungskompetenz und ihren Ressourcen Einfluss auf die Politik gewinnen und deren Primat in Frage stellen. Die manifesten Folgen sind eine Steuerungskrise der Politik und eine Legitimationskrise der Demokratie. Seit den 1970er Jahren wird die Dramatik der Situation durch das Stichwort der Unregierbarkeit (moderner Demokratien) signalisiert.

»An zunehmender funktionaler Differenzierung zerbricht diese Form der Selbst-Thematisierung, bis schließlich heute die Einheit des Gesellschaftssystems sachlich kaum noch zu bestimmen ist, weil sie alles übergreift, was immer Menschen verbindet. Die Teilsystemperspektiven werden hochgradig autonom und damit unfähig, Gesellschaft als Ganzes zu repräsentieren. Auch der Versuch, einem ausgezeichneten Teilsystem, dem für Politik, dann dem für Wirtschaft, den gesellschaftlichen Primat und damit die Repräsentation des Ganzen zuzuweisen, vermag heute nicht mehr voll zu überzeugen«.28

Die Debatte um Unregierbarkeit ist zwar abgeflaut,29 aber wohl nur, weil die Steuerungskrise zur Normalität geworden ist und selbst noch die globale Finanzkrise keine substanziellen Reformen hervorgebracht hat. Der drohende ökologische Kollaps ist der Anstoß einer neuerlichen Debatte um die Fähigkeit der Politik, die Aufgabe der Gesellschaftssteuerung zu meistern. Die Unregierbarkeitsdebatte hatte einseitig auf eine Überlastung der Politik durch eine Anspruchsspirale gesetzt und als Therapie ebenso einseitig eine Entlastung der Politik durch Deregulierung, Entstaatlichung, Privatisierung und eine Dominanz des Marktes empfohlen. Die mit Reagan und Thatcher einsetzende konservative und marktfundamentalistische Wende praktizierte diese Therapie, die sich in den 1990er Jahren bis zur Finanzkrise 2007/2008 zum »Washington Consensus«30 einer weltweit dominanten »neo-liberalen«31 Ideologie verdichtete. Sowohl Diagnose als auch Therapie müssen aus einer steuerungstheoretischen wie aus einer demokratietheoretischen Sicht als defizitär und marktgläubig angesehen werden. Vor allem aber verzichtet dieser Ansatz darauf, eine mögliche Stärkung politischer Steuerungskompetenz und eine Leistungssteigerung der Demokratie durch neue Verfahren und Architekturen überhaupt in den Blick zu nehmen.

Für die Ökonomie ergeben sich aus den Schwächen demokratischer Politik große Freiräume für die Durchsetzung eigener Interessen. Auf eine Formel zusammengepresst, ist das generalisierte Interesse der Ökonomie Wachstum. Solange Wachstum produktiv und wohlstandsfördernd für eine Gesellschaft ist, lässt sich dagegen wenig einwenden. Problematisch und potenziell destruktiv wird es dort, wo eine Gesellschaft im Allgemeinen und ihre Ökonomie im Besonderen an »Grenzen des Wachstums« stoßen. Seit dem Bericht des Club of Rome ist darüber eine heftige, bis heute kontroverse Debatte entbrannt, die allerdings mit den deutlicher werdenden Anzeichen eines drastischen Klimawandels neue Dynamik und Dringlichkeit gewinnt. Es zeichnet sich ab, dass die Ökonomie sich selbst gefährdet und ihre eigenen Existenzgrundlagen vernichtet, wenn nicht entscheidende Korrekturen der Wachstumspfade vorgenommen werden. Die Anstöße dazu kommen sowohl aus der Ökonomie wie aus der Politik und allen anderen Funktionssystemen, die mit einer substanziellen Gefährdung der Ökonomie auch sich selbst gefährdet sehen. Daraus erwächst eine breit gestreute Ansammlung von Stimmen, die vor dem globalen Kollaps warnen und Veränderungen fordern. Aber die Stimmen konvergieren nicht zu einem wirkungsmächtigen Chor, vielmehr produzieren sie vielfältige Dissonanzen, weil jedes Funktionssystem, ob Ökonomie, Politik, Wissenschaft oder Gesundheitssystem nicht sieht, was es nicht sieht, die eigenen Ausblendungen ignoriert und weiterhin nur ihre jeweils eigene Perspektive zum Maßstab möglicher Maßnahmen macht.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die schärfsten Widerstände gegen ökologie-freundliche Maßnahmen und Strategien von denjenigen ökonomischen Akteuren (vor allem: Unternehmen, Banken, Investmentfirmen, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Beratungsfirmen und Ratingagenturen) kommen, die bei einer ökologischen Wende Verluste erleiden würden oder gar ihr Geschäft aufgeben müssten. Das oben genannte Beispiel eines von der Kohle-, Gas- und Ölindustrie gekauften Senators spricht Bände, lässt sich aber zu der in vielfältigen Forschungen gefestigten Einsicht ausweiten, dass ein massiver Lobbyismus, der durch ökologische Reformen gefährdeten Industrien und Wirtschaftszweige dafür sorgt, dass große Teile der Wirtschaft weiterhin ihre Ausblendungen und die Folgen für die globale Ökologie ignorieren können. Dieser Lobbyismus wirkt nicht nur in die Politik hinein, sondern mit erheblichen Konsequenzen auch in die Wissenschaft und die Medien.

Hier wiederholt sich ein Muster, das in einem geradezu diabolischen Zynismus von der Tabakindustrie jahrzehntelang praktiziert worden ist. Heute kann man wissen, dass die Tabakindustrie Gutachten gekauft, Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen bestochen und Medien großformatig irregeführt und dabei den Tod von Millionen von Rauchern bewusst in Kauf genommen hat. Beispielhaft hat sich hier die ökonomische Logik der Erhaltung von Zahlungsströmen gegen alle anderen Kriterien des Entscheidens durchgesetzt. Die Ausblendung medizinischer, wissenschaftlicher, ethischer oder moralischer Kriterien war radikal und wurde von Politik und Rechtssystem32 als Instanzen des Gemeinwohls nicht korrigiert. Auch die Waffenindustrie und die Zucker-Getränkeindustrie in den USA haben sich mit denselben Methoden gegen alle gesellschaftliche und medizinische Vernunft mit bedenkenlosen Manipulationen, Bestechungen und gekauften Gutachten durchgesetzt. Michael Mann nennt diese Industrien »die Architekten von Desinformation und Irreführung.«33

Allerdings haben die politischen Systeme aus diesen gesellschaftlichen Katastrophen kaum Konsequenzen gezogen. Auch in Deutschland blüht der Lobbyismus ungebremst. Autoindustrie und Energieversorger haben jahrelang dafür gesorgt, dass politische Programme gegen umweltschädliche Produkte und Produktionsprozesse unterbleiben. Selbst der gigantische ›Dieselskandal‹ hat in der Politik nicht nachhaltig zu einem Umdenken geführt, und er hat die Autoindustrie erst dann zu Konsequenzen gezwungen, als die Kosten des Skandals für betroffene Firmen bestandsgefährdende Ausmaße erreicht haben. Damit ist der Hebel benannt, der in einem Kontext ökonomischer Rationalität zu neuen Kalkülen führt: Die Beeinflussung der Kostenrechnung und damit der Zahlungsströme. Paradebeispiel dafür ist die Bepreisung von CO₂, also die ›Bewirtschaftung‹ einer der Hauptursachen für den Klimawandel. Auch die gegenwärtig beschleunigte Umstellung der Autoindustrie von Verbrennungsmotoren zu Elektromotoren folgt einem klassischen ökonomischen Kalkül, wenn die Industrie erwartet, dass immer weniger Kunden Autos mit Verbrennungsmotoren kaufen werden, dagegen immer mehr Kunden Elektroautos kaufen, also Märkte, Erwerbschancen und Wettbewerb sich dorthin verlagern werden.

Für externe Beobachter mögen die Entscheidungen der ökonomischen Akteure als unmoralisch, skandalös oder destruktiv erscheinen, aber solche Beurteilungen verkennen, dass diese Entscheidungen zwingend einer ökonomischen Logik folgen, die systemfremde Kalküle ausblendet. Eine Beeinflussung der Kalküle von außen wird vom System (hier: der Wirtschaft) nur zur Kenntnis genommen, wenn sie in der Sprache des Systems, im Fall der Ökonomie also in der Sprache der Preise erfolgt. Moralische Appelle, z.B., sind daher ebenso vergeblich wie wissenschaftliche Argumente oder politische Rügen. Erst wenn moralische, wissenschaftliche, politische oder andere Argumente sich über Transformationsmechanismen auf Zahlungsströme auswirken oder auswirken könnten, werden ökonomische Akteure hellhörig. Appelle gegen Kinderarbeit bewirken wenig; ein Kaufboykott wegen Kinderarbeit bewirkt viel.

Jedes Teilsystem der Gesellschaft leistet sich so eine eigene, systemspezifische Version ökologischen Ausblendung. Die Gesellschaft als Ganze, als Zusammenhang der Subsysteme, sieht sich mit einer Vielzahl an Versionen des ökologischen Problems konfrontiert. Diese Versionen sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Codierung zunächst »lost in translation« und erst dann füreinander instruktiv, wenn aufwändige Übersetzungsmechanismen eingerichtet sind. Luhmann spricht hier von »struktureller Kopplung« operativ geschlossener Systeme.34 Besser wäre der Begriff »transferentielle Kopplung«,35 weil es bei der Übersetzungsarbeit nicht um Strukturanpassung oder Einwirkungen auf Strukturen geht, sondern darum, die Geschäftsprozesse eines Teilsystems mit Programmen anzureichern, welche in zwei Logiken sprechen – etwa Gesetze (politisch gesetzte Normen), die Kosten oder andere Formen von Zahlungen vorschreiben und daher von der Ökonomie in ihrer Logik beobachtet und beachtet werden können.36

Das ökologische Problem der Gesellschaft selbst ist ein nur im Rahmen einer Gesellschaftstheorie rekonstruierbares Konstrukt,37 welches gewissermaßen als künstliche Fusion aller vorliegenden Teilbeschreibungen zu verstehen ist. Auch deshalb lässt sich schwer sagen, was die ökologische Krise ›eigentlich‹ ist, und wie die vielen Teilbeschreibungen der Krise als politische, ökonomische, wissenschaftliche und moralische zusammenhängen und zusammen gesehen werden können. Wir kommen auf diese Frage im vierten Kapitel zurück.

Für Unternehmen und Organisationen der Wirtschaft sind nicht nur unmittelbar preisbezogene Indikatoren von Bedeutung, sondern mit wachsendem Wohlstand der potenziellen Kunden auch indirekt auf Kaufentscheidungen wirkende Faktoren wie Ansehen, Prestige, Renommee, Glaubwürdigkeit, Vertrauen oder Übereinstimmung mit der dominanten Konsumkultur. Hinsichtlich der ökologischen Krise werden Faktoren wie Nachhaltigkeit, ›grüne‹ Produkte und Produktionsformen, Verwendung biologisch unbedenklicher Materialien und alternativer Energiequellen und Recycling immer wichtiger, auch für Wettbewerbsfähigkeit und ökonomischen Erfolg. Die weit verbreitete korporative Strategie des »green-washing« belegt, wie relevant diese Themen sind, auch für Firmen, die selbst darauf keinen Wert legen oder den neuen Anforderungen noch nicht genügen können.

Für das ökologische Szenario der Wirtschaft eröffnen sich damit erweiterte Optionen. Abzusehen und bereits unterwegs ist eine weitreichende Stratifikation von Branchen, Firmen und ganzen Volkswirtschaften entlang der Dimension von Ökologie-feindlich bis Ökologie-förderlich. Branchen wie die Kohle-, Gas- und Erdölindustrie, Bergbau und Abbau von Rohstoffen, Agrarindustrie oder industrieller Fischfang, Container-Schifffahrtunternehmen, und ähnliche Firmen sehen sich am extremen Ende der Skala der ökologisch destruktiven Aktivitäten. Ihr herkömmliches Geschäftsmodell beruht auf der rücksichtslosen Ausbeutung natürlicher, endlicher Ressourcen. Es liegt auf der Hand, dass mit ihrem Geschäftsmodell ihre Existenz bedroht ist, sobald ihnen gegenüber ökologisch förderliche Standards/Anforderungen wirksam würden. Genauso selbstverständlich und ökonomisch rational ist es für diese Akteure, dass sie sich mit allen zur Verfügung stehenden legalen und einer Reihe illegaler Mittel gegen ökologische Ansprüche wehren und dass sie versuchen, diejenigen Akteure, Organisationen und Institutionen zu beeinflussen, welche solche Ansprüche formulieren und durchsetzen könnten. Ein Bericht von Forschungsinstituten zur Ölindustrie stellt heraus, wie stark die tatsächlichen Strategien der Ölfirmen von ihren Selbstverpflichtungen bzw. Ankündigungen abweichen (siehe die folgende Abbildung 1).38

Abbildung 1:Differenz Produktion/Einsparung fossiler Brennstoffe

Quelle: The Production Gap Report 2021 (http://productiongap.org/2021report), S. 3

Am anderen Ende der Skala gibt es eine Reihe von Branchen und Firmen, deren Geschäftsmodell und Erfolg darauf beruht, dass sie aktiv ökologisch förderliche Strategien verfolgen, Vorreiter im ökologischen Umbau der Ökonomie sind und insbesondere damit auch belegen, dass es möglich ist, Ökonomie und Ökologie unter einen Hut zu bringen. Umweltfreundliche (biologische) Landwirtschaft, nachhaltige Textilienproduktion, »fair-trade«-Bio-Produktionsketten, Software-Firmen, Windkraftanlagen oder große Solarenergie-Anlagen sind Beispiele für erste Schritte dieses Umbaus der Ökonomie. Ihr Problem ist nach wie vor, dass sie im Kontext der Gesamtökonomie Tropfen auf einen heißen Stein sind, also in der Regel nur Nischen besetzen. Sie werden dafür kritisiert, dass sie (bislang) keine Blaupause für die Gesamtökonomie bieten können.39