Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten - Dr. Georg Beseler - E-Book

Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten E-Book

Dr. Georg Beseler

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Beschreibung

Dr. Georg Beseler war ein deutscher Jurist, Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und des Verfassungsausschusses. In diesem Band hat er sich hauptsächlich zur Aufgabe gestellt, das Verhältnis des Strafgesetzbuchs zu den Rechtssystemen, auf deren Grund es erwachsen ist, darzulegen und den Inhalt desselben nach den während der Revision entstandenen Materialien zu erläutern. Dafür standen ihm unter anderem die Akten des Königlichen Justizministeriums zur Verfügung. Eines seiner wichtigsten Ziele war es, die im Gesetzbuch aufgestellten Rechtsgrundsätze auf dem Wege der Kasuistik nicht weiterzuentwickeln, um einer befriedigenden Lösung einer sich aus der Praxis herausbildenden wissenschaftlichen Jurisprudenz nicht vorzugreifen. Die vorliegende Ausgabe wurde sprachlich so überarbeitet, dass die wichtigsten Begriffe und Wörter der aktuellen Rechtschreibung entsprechen.

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Seitenzahl: 1017

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Kommentar über das Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten

 

DR. GEORG BESELER

 

 

 

 

 

 

 

Kommentar über das Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten, G. Beseler

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849662448

 

Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851. In: Deutsches Textarchiv https://www.deutschestextarchiv.de/ beseler_kommentar_1851, abgerufen am 27.07.2022.. Der Text wurde lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz CC-BY-SA-4.0. Näheres zur Lizenz und zur Weiterverwendung der darunter lizenzierten Werke unter https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de. Der Originaltext aus o.a. Quelle wurde so weit angepasst, dass wichtige Begriffe und Wörter der Rechtschreibung des Jahres 2022 entsprechen.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Vorrede.1

Erstes Kapitel. Geschichte der Entstehung des Strafgesetzbuchs.3

Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.16

Das Strafgesetzbuch.55

Einleitende Bestimmungen.55

Erster Teil. Von der Bestrafung der Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen.77

Erster Titel. Von den Strafen.77

Zweiter Titel. Von dem Versuch. 131

Dritter Titel. Von der Teilnahme an einem Verbrechen oder Vergehen.145

Vierter Titel. Von den Gründen, welche die Strafe ausschließen oder mildern.167

Fünfter Titel. Vom Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und vom Rückfall.199

Zweiter Teil. Von den einzelnen Verbrechen und Vergehen und deren Bestrafung.208

Erster Titel. Hochverrat und Landesverrat.208

Zweiter Titel. Beleidigungen der Majestät und der Mitglieder des Königlichen Hauses.233

Dritter Titel. Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten.236

Vierter Titel. Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte.238

Fünfter Titel. Widerstand gegen die Staatsgewalt.242

Sechster Titel. Vergehen wider die öffentliche Ordnung.256

Siebter Titel. Münzverbrechen und Münzvergehen.273

Achter Titel. Meineid.281

Neunter Titel. Falsche Anschuldigung.289

Zehnter Titel. Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen.290

Elfter Titel. Verbrechen in Beziehung auf den Personenstand.293

Zwölfter Titel. Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit.294

Vierzehnter Titel. Zweikampf.328

Fünfzehnter Titel. Verbrechen und Vergehen wider das Leben.333

Sechzehnter Titel. Körperverletzung.356

Siebzehnter Titel. Verbrechen und Vergehen wider die persönliche Freiheit.376

Achtzehnter Titel. Diebstahl und Unterschlagung.394

Neunzehnter Titel. Raub und Erpressung.428

Zwanzigster Titel. Hehlerei437

Einundzwanzigster Titel. Betrug.445

Zweiundzwanzigster Titel. Untreue.455

Dreiundzwanzigster Titel. Urkundenfälschung.459

Vierundzwanzigster Titel. Bankrott.473

Fünfundzwanzigster Titel. Strafbarer Eigennutz.488

Sechsundzwanzigster Titel. Vermögensbeschädigung.506

Siebenundzwanzigster Titel. Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen.509

Achtundzwanzigster Titel. Verbrechen und Vergehen im Amt.530

Dritter Teil. Von den Übertretungen.555

Erster Titel. Von der Bestrafung der Übertretungen im Allgemeinen.555

Zweiter Titel. Übertretungen in Beziehung auf die Sicherheit des Staates und die öffentliche Ordnung.565

Dritter Titel. Übertretungen in Beziehung auf die persönliche Sicherheit, Ehre und Freiheit.568

Vierter Titel. Übertretungen in Beziehung auf das Vermögen.573

Das Einführungsgesetz vom 14. April 1851.576

Erster Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen.576

Zweiter Abschnitt. Bestimmungen über die Kompetenz und das Verfahren in Strafsachen.600

Vorrede.

Ich habe es mir bei der Ausarbeitung dieses Kommentars, den ich gegenwärtig dem Publikum vollendet übergebe, hauptsächlich zur Aufgabe gestellt, das Verhältnis des Strafgesetzbuchs zu den Rechtssystemen, auf deren Grund es erwachsen ist, darzulegen und den Inhalt desselben nach den während der Revision entstandenen Materialien zu erläutern. Die vollständige Benutzung dieser letzteren Hilfsquelle war eine notwendige Bedingung der ganzen Arbeit; ich würde dieselbe schwerlich unternommen haben, wenn nicht die Akten des Königlichen Justizministeriums in liberalster Weise mir zur Verfügung gestellt worden wären.

Bei dem reichen Stoff, welcher mir zu Gebote stand, war es oft schwer, das rechte Maß in der Auswahl dessen, worauf Bezug zu nehmen war, zu treffen. Im Allgemeinen hat mich dabei die Ansicht geleitet, dass zwar nichts Wesentliches übergangen werden dürfe, dass es aber gerade jetzt, wo das Gesetzbuch eben erst in Wirksamkeit getreten ist, mehr darauf ankomme, die wichtigsten Momente in übersichtlicher Darstellung zusammen zu fassen, als es auf eine vollständige Erschöpfung des Gegenstandes anzulegen. Daher habe ich namentlich bei der Benutzung der amtlichen Quellen Alles, was nur noch eine geschichtliche Bedeutung zu haben und zum Verständnis des Gesetzbuchs nichts beizutragen schien, bei Seite liegen lassen; im Einzelnen bin ich aber, ohne den dogmengeschichtlichen Zusammenhang aus den Augen zu setzen, immer darauf bedacht gewesen, diejenigen Aktenstücke besonders hervorzuheben, in denen die betreffende Lehre ihre eigentliche Begründung und Feststellung gefunden hat. Wo es irgend tunlich war, habe ich dann die entscheidenden Stellen wörtlich aufgenommen, und dadurch dem Leser Gelegenheit zur eigenen Anschauung und Prüfung gegeben.

Wenn nun auch mit dem Kommentar zunächst ein praktischer Zweck verfolgt worden ist, so bin ich doch nicht darauf ausgegangen, die im Gesetzbuch aufgestellten Rechtsgrundsätze auf dem Wege der Kasuistik weiterzuentwickeln, und mich voreilig an einer Aufgabe zu versuchen, deren befriedigende Lösung erst von einer aus der Praxis sich herausbildenden wissenschaftlichen Jurisprudenz erwartet werden kann. Um die Einheit und Konsequenz einer solchen Rechtsentwicklung zu sichern, wird es freilich unerlässlich sein, dass die Vorschrift der Verfassungs-Urkunde erfüllt und ein oberster Gerichtshof für die Monarchie bestellt werde.

Es ist mir bei meiner Arbeit von verschiedenen Seiten sehr wesentliche Unterstützung zu Teil geworden, und ich freue mich, dafür öffentlich meinen Dank aussprechen zu können. Die beste Förderung fand ich aber in der Erinnerung an die Verhandlungen der Kommission der zweiten Kammer über das Strafgesetzbuch, an denen ich Teil zu nehmen die Ehre hatte, und welche so wesentlich zu dem Abschluss dieses bedeutenden Werkes der Gesetzgebung beigetragen haben.

Greifswald den 9. November 1851.

G. Beseler.

Erstes Kapitel. Geschichte der Entstehung des Strafgesetzbuchs.

§. I. Die erste Revision

Bis zur Beteiligung des Staatsrats; 1826-1836. — Die Entwürfe von 1827, 1830, 1833 und 1836.

Wie wenig die Behandlung, welche das Strafrecht im Allgemeinen Landrecht T. ii. Tit. 20. gefunden, selbst in den entscheidenden Kreisen befriedigt hat, ergibt sich aus dem Umstande, dass man sich bald nach der Veröffentlichung des Landrechts veranlasst sah, über einzelne wichtige Verbrechen neue Gesetze zu erlassen. So erschien, abgesehen von dem Edikt vom 20. Okt. 1798 über unerlaubte Verbindungen, am 30. Dez. 1798 die Zirkular-Verordnung über die Injurien und am 26. Febr. 1799 die Verordnung über den Diebstahl. Die bestimmte Absicht eine Revision des Tit. 20. vorzunehmen, sprach sich aber bei der Veröffentlichung der neuen Kriminal-Ordnung aus, indem festgesetzt ward, dass diese den ersten Teil des allgemeinen Kriminalrechts für die Preußischen Staaten ausmachen, der zweite Teil aber die Strafgesetze enthalten solle. a)

Die politischen Ereignisse verhinderten jedoch die Ausführung dieses Planes erst die später beschlossene allgemeine Revision der Gesetze führte auch zu einer neuen Bearbeitung des Strafrechts.

Nachdem der König durch Kabinetts-Order vom 28. Jan. 1826 den vom Justizminister Grafen v. Danckelman vorgelegten allgemeinen Plan für das Revisionswerk gebilligt hatte, ward in der, an denselben Minister gerichteten Kabinetts-Order vom 24. Juli 1826 genauer festgestellt, in welcher Richtung die Arbeit zu leiten sei, und namentlich hervorgehoben, dass es nicht die Absicht sei, eine neue Gesetzgebung an die Stelle der bestehenden treten zu lassen, ebenso wenig aber, in das Landrecht und die Gerichtsordnung nur die späteren Ergänzungen und Abänderungen einzuschalten; dass es vielmehr darauf ankomme, beide Gesetzbücher einer gründlichen Prüfung zu unterwerfen, und nach dem Resultate derselben sie zu berichtigen, zu ergänzen, zu erläutern und zu vervollkommnen. b) — Gegen diese Anweisung machte der Justizminister, insoweit sie sich auf die Strafgesetze bezog, Einwendungen und erklärte, dass eine Revision des Allgemeinen Landrechts unzureichend und die Abfassung eines neuen Strafgesetzbuchs notwendig sei, — eine Ansicht, der der König nachgab, obgleich er nicht unterließ, auf die Schwierigkeit des Unternehmens aufmerksam zu machen. c)

In diesem freieren Sinne wurde nun die Sache in Angriff genommen, wenn auch in der offiziellen Sprache nur von einer Revision der Strafgesetze die Rede war. Die Gerichtshöfe wurden durch ein Reskript des Justizministers vom 26. Dez. 1825 zur Abgabe von Gutachten veranlasst; die Revision der Strafgesetze aber wurde zum ersten Pensum des ganzen Revisionswerks gemacht und zunächst dem Kammergerichtsrat Bode übertragen. Bode arbeitete einen „Entwurf des Kriminalgesetz-Buches für die Preußischen Staaten“ aus, und versah denselben mit Motiven, welche in drei Bänden (Berlin 1827-29. 4.), als Manuskript gedruckt sind; der vierte Band (Berlin 1828) über die Verbrechen gegen das Vermögen ist vom Oberlandesgerichtsrat Schiller. Diese letztere Arbeit, welche sich der Ordnung des Landrechts anschließt, ist unbedeutend, ohne Schärfe und tiefere Einsicht; sie lässt die freie Beherrschung des Materials vermissen und bietet fast nur ein kritisches Räsonnement über die Satzungen des Allgemeinen Landrechts. Sehr achtungswert sind dagegen die Leistungen Bodes, welcher den ersten tüchtigen Grund zu der Reform des Preußischen Strafrechts gelegt hat; er übt eine scharfe und doch besonnene Kritik, ist mit der wissenschaftlichen Bearbeitung des gemeinen deutschen Kriminalrechts wohl bekannt, benutzt die Gutachten der Gerichtshöfe mit Umsicht und Geschick, und findet in den für andere deutschen Staaten bestimmten Gesetzgebungen einen Anhalt für seine Vorschläge. Besonders das Bayerische Strafgesetzbuch und die Entwürfe für Sachsen und Hannover hat er benutzt; dagegen trifft ihn der Tadel, dass er das Französische oder, wie wir es lieber nennen wollen, das Rheinische Recht zu wenig berücksichtigt, ja mit einer gewissen Ungunst behandelt hat. — Dieser Bodesche Entwurf nun wurde unter der Leitung des Justizministers Grafen v. Danckelman in der Gesetz-Revisions-Kommission d) überarbeitet, und ist in dieser neuen Gestalt als Manuskript gedruckt, unter dem Titel:

Entwurf des Straf-Gesetz-Buches für die Preußischen Staaten. Erster Teil. Kriminal-Straf-Gesetze. Berlin 1830. 4. Schon der Titel des in 529 §§. abgefassten Entwurfs weist auf einen zweiten Teil hin, der die Polizei-Strafgesetze enthalten sollte; auch für diesen hat Bode später auf Grund des Tit. 20. einen Entwurf mit Motiven ausgearbeitet, als Manuskript gedruckt Berlin 1833. 4.

Das Revisionswerk war also im guten Gange; das zeigt sich deutlich genug, wenn man den Entwurf von 1830 mit dem Titel 20. T. ii. des Allgemeinen Landrechts vergleicht. Man sieht es diesem Titel an, (er zählt 1577 §§.) wie wenig zur Zeit seiner Abfassung die deutsche Gesetzgebung für höhere Aufgaben auf dem Gebiet des Strafrechts geübt war; man findet bald, dass die reformatorischen Bestrebungen der neueren Kriminalisten, namentlich Feuerbachs noch keinen Einfluss darauf hatten gewinnen können. Die Sprache ist breit und schleppend; den Begriffsbestimmungen fehlt es häufig an Klarheit und Schärfe, sie führen nicht zu festen Rechtsprinzipien, sondern umspannen eine Menge einzelner Vorschriften, in denen die möglichste Vollständigkeit der Kasuistik angestrebt wird. Polizeiliche Rücksichten machen sich, selbst in der Anordnung vorbeugender Maßregeln, in Belehrungen und Warnungen überall geltend; allgemeine Strafzumessungsgründe setzen dem richterlichen Ermessen zu enge Schranken; die Todesstrafe, selbst mit grausamen Schärfungen, kommt noch häufig vor; in dem System der Freiheitsstrafen fehlt die Konsequenz, wenn hier überhaupt von einem Systeme die Rede sein kann, — selbst die Terminologie ist nicht immer gleich; die Persönlichkeit, der Stand der Verbrecher sind von entschiedenem Einfluss auf die Anwendung der Strafen. — Der Entwurf von 1830 hat sich von diesen Mängeln durchweg freigehalten; er ist klar und bestimmt in seinen Vorschriften, auf das Wesentliche gerichtet. Die körperliche Züchtigung ist aus der Reihe der Strafen verschwunden, unter den Freiheitsstrafen im Allgemeinen ein angemessenes Verhältnis hergestellt; Zwangsarbeit und Zuchthausstrafe haben den Verlust bestimmter Ehrenrechte, die Amtsentsetzung hat die Unfähigkeit zu öffentlichen Ämtern von Rechtswegen zur Folge, außerdem gibt es keine Ehrenstrafen. Für Personen von gebildetem Stande blieben jedoch, wenn auch nur für die selteneren Fälle, Festungsstrafe und Festungsarrest vorbehalten, auch ward die Strafe der Vermögenskonfiskation in das Gesetzbuch aufgenommen.

Während aber Alles die rasche und glückliche Vollendung des Revisionswerks hoffen ließ, trat noch im Jahre 1830 mit dem Tode des Grafen v. Danckelman, zum Teil auch wohl in Folge der politischen Ereignisse eine neue Wendung für dasselbe ein; die Leitung der Sache kam in die Hände des Herrn v. Kamptz. Man kann diesem Manne die Verdienste, welche er sich namentlich um die Sammlung und Bearbeitung der Provinzialrechte erworben hat, ungeschmälert lassen, und doch der Ansicht sein, dass er für die Durchführung einer Reform im Strafrecht sehr wenig geeignet war. Nach seiner Ansicht bedurfte der Tit. 20. T. ii. des Allg. Landrechts eigentlich nur einer Ausbesserung im Einzelnen, und er hat das Seinige getan, den Entwurf von 1830 in diesem Sinne zurückzurevidieren. Dazu kam seine oberflächliche und zerfahrene Produktivität, die es ihm schwer machte, eine reife Arbeit zu liefern, und dann seine bekannte politische Richtung, welche in Fragen, die mit den sogenannten demagogischen Umtrieben zusammenhingen, fast die Gestalt von fixen Ideen annahm. Unter diesen Einflüssen nun wurde eine Umarbeitung des Entwurfs von 1830 vorgenommen und von dem Minister selbst mit Motiven versehen, als Manuskript gedruckt unter dem Titel:

Revidierter Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Königl. Preußischen Staaten. Erster Teil. Kriminal-Strafgesetze. Berlin 1833. 4. Hier treten schon wieder die allgemeinen Zumessungsgründe auf, ferner die polizeilichen Strafvorschriften, welche geeigneten Orts eingestreut sind; Festungsstrafe und Festungsarrest kommen allgemein für Personen zur Anwendung, welche zu den höheren oder gebildeteren Ständen gehören, Hochverrat ist ein Unternehmen, welches darauf abzielt, eigenmechtig die Verfassung des Staats zu ändern u. s. w. Diese Änderungen genügten dem Herrn v. Kamptz jedoch nicht; noch ehe der revidierte Entwurf Gegenstand weiterer Beratungen wurde, arbeitete er ihn von Neuem um, und ließ diese Arbeit in 797 §§. unter folgendem Titel drucken:

Revidierter Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Königlich Preußischen Staaten. Berlin 1836. 8.

Diese Oktavausgabe, von der Quartausgabe des Jahres 1833 wohl zu unterscheiden, ward ohne Motive veröffentlicht; die Abänderungen sind überhaupt in der Vorrede als nicht sehr erheblich bezeichnet; sie stellen sich aber bei einer genaueren Vergleichung als sehr bedeutend heraus. Zu den früher aufgestellten gesetzlichen Strafarten ist die körperliche Züchtigung, die Ortsverweisung und der Verlust gewerblicher Rechte hinzugekommen; auch im Fall der Freisprechung durch einen Preußischen Gerichtshof soll, wenn sie in Folge Betrugs oder falschen Zeugnisses herbeigeführt worden, die Wiederaufnahme der Untersuchung und Bestrafung nicht ausgeschlossen sein. Die polizeilichen Strafvorschriften haben sich in dieser Ausgabe vermehrt, die Bestimmungen über Hochverrat, verbotene Verbindungen u. s. w. alles Maß überschritten e). Es ist von großem Nachteil für das Revisionswerk gewesen, dass es gerade an diesen Entwurf von 1836 gebunden ward; viele und schöne Kräfte haben in dem weiteren Gange der Verhandlungen verwandt werden müssen, um nur die an dem Entwurf von 1830 vorgenommenen Abänderungen wieder zu beseitigen.

Fußnoten:

a) Patent wegen Publikation der neuen Kriminal-Ordnung vom 11. Dez. 1805. „— — Wir haben daher nötig befunden, alle in den Gesetzessammlungen zerstreuet befindliche Verordnungen welche das Verfahren im Kriminalprozesse betreffen, revidieren, eine neue Kriminal-Ordnung entwerfen und dabei auf die veränderte Verfassung die gehörige Rücksicht nehmen zu lassen. Dies ist geschehen; und da die allgemeinen Strafgesetze jetzt auch revidiert werden, und künftig nicht mehr einen Teil Unsres allgemeinen Landrechts ausmachen, sondern als ein besonderes Gesetzbuch abgedruckt und publiziert werden sollen; so haben Wir resolviert, die Kriminalordnung und die Strafgesetze als ein Ganzes anzusehen, und unter dem Titel: Allgemeines Kriminalrecht für die Preußischen Staaten, abdrucken zu lassen; wovon die Kriminal-Ordnung den ersten, die Strafgesetze aber den zweiten Teil ausmachen sollen.“

b) Die Kab.-Order vom 24. Juli 1826 ist abgedruckt bei v. Kamptz, aktenmäßige Darstellung der Preußischen Gesetz-Revision (Berlin, 1842). S. 295-298.

c) S. die K.-O. v. 14. Nov. 1826 bei v. Kamptz a. a. O. S. 298-300.

d) Die Mitglieder dieser Kommission waren: der Direktor im Justizministerium v. Kamptz, der Geh. Ober-Justizrat Sack, der Geh. Ober-Revisionsrat Fischenich und der Kammergerichtsrat Bode.

e) Beispielsweise führe ich einige Bestimmungen an. §. 150. Wer in der Absicht, hochverräterische oder die Erhaltung des Staats sonst gefährdende Grundsätze oder Gesinnungen, welche hochverräterische Entwürfe oder Gesinnungen hervorrufen oder befördern können, anzuregen oder zu verbreiten, und wer in öffentlichen oder amtlichen Schriften oder Reden, solche Grundsätze, Gesinnungen und Unternehmungen zu rechtfertigen, oder die Anhänglichkeit und Treue für den Landesherrn, den Staat oder die Verfassung zu mindern versucht, soll nach der Schwere seines Verbrechens mit zweijähriger Arbeitshaus- bis zu sechsjähriger Zuchthausstrafe belegt, und, wenn er ein öffentlicher Beamter ist, seines Amtes jedenfalls entsetzt werden. — §. 192. Eine verbotene Gesellschaft oder Verbindung ist schon dann als vorhanden anzusehen, wenn sie auch nur aus zwei Mitgliedern besteht.

§. II. Die zweite Revision

Arbeiten der Staatsrats-Kommission und des Staatsrats; 1838-42. Der Entwurf von 1843.

Die Revision des Strafrechts war mit dem Abschluss des Entwurfs von 1836 so weit vorgeschritten, dass sie zur weiteren Verhandlung an den Staatsrat gebracht werden konnte. Es musste aber Bedacht darauf genommen werden, das für die Arbeiten der Gesetzgebung im Allgemeinen vorgeschriebene Verfahren abzukürzen und zu beschleunigen, wenn nicht eine unverhältnismäßige Verwendung von Arbeitskraft und Zeit für dieses Werk stattfinden sollte. Zu diesem Behuf schlugen die beiden Justizminister v. Kamptz und Mühler in einem gemeinschaftlichen Bericht an den König vor, dass eine besondere Kommission aus den beiden Justizministern, dem Minister des Innern und mehreren Mitgliedern des Staatsrats gebildet werde, welche den Entwurf von 1836 zu prüfen und festzustellen habe. Diese Immediat-Kommission solle die Funktionen des Staatsministeriums, der Staatsrats-Abteilungen und der Fassungs-Kommission in sich vereinigen; dem Staatsministerium bleibe es vorbehalten, über einzelne Punkte ausnahmsweise zu beraten; die Arbeit der Kommission aber sei an das Plenum des Staatsrats zu bringen, jedoch nur, damit in demselben über allgemeine, von der Kommission besonders zu bezeichnende Grundsätze verhandelt werde. f) — Dieser Vorschlag erhielt unter dem 4. Febr. 1838 die Genehmigung des Königs, und es wurden zugleich die Mitglieder der Immediat-Kommission ernannt. g)

Die Kommission begann am 6. März 1838 ihre Beratungen über den vorgelegten Entwurf und beendete sie am 10. Dez. 1842. Den Vorsitz führte der Präsident des Staatsrats, Freih. v. Müffling; Referent war anfangs der Geh. Ober-Revisionsrat Jähnigen, seit der 15. Sitzung aber der Landgerichtsrat Bischoff. Die über die Verhandlungen aufgenommenen Protokolle sind gedruckt unter dem Titel:

Beratungs-Protokolle der zur Revision des Strafrechts ernannten Kommission des Staatsrats. Berlin 1839-42. 3 Bände in 4.

Das gesamte, für die legislative Bearbeitung bestimmte Material ist hier einer umsichtigen, gründlichen, ins Einzelne genau eingehenden Prüfung unterzogen worden. Die von v. Kamptz in dem Entwurf vorgenommenen Abänderungen, wurden fast durchweg im Sinne einer freieren und gesunderen Jurisprudenz beseitigt; die Leistungen der Kommission namentlich für die Aufstellung schärferer Begriffsbestimmungen, für die größere Genauigkeit des Ausdruckes sind jeder Anerkennung wert.

Die Arbeiten der Kommission wurden stückweise, sowie einzelne Abschnitte vollendet waren, in den Staatsrat gebracht, der sich mit einer ausführlichen Erörterung, besonders der allgemeinen Fragen, vom 11. Dez. 1839 bis zum 21. Dez. 1842 in 51 Sitzungen beschäftigte. Referent war auch hier Bischoff. Diese Verhandlungen nun, die mit großer Einsicht und Unabhängigkeit geführt wurden, enthalten für die Geschichte der Strafgesetzgebung in Preußen und für das Verständnis der Hauptgesichtspunkte, welche dabei in Betracht kamen, ein wichtiges Material. Über die Bestrafung der im Auslande begangenen Verbrechen, über das System der Freiheitsstrafen, über Meineid, Verleumdung, Diebstahl und manche andere Gegenstände haben die lehrreichsten Erörterungen stattgefunden.

Der aus diesen Beratungen hervorgegangene Entwurf wurde mit wenigen Abänderungen vom Könige genehmigt, h) und den im Frühjahr 1843 versammelten Provinzial-Landtagen zur Begutachtung vorgelegt, auch mit allerhöchster Genehmigung auf dem Wege des Buchhandels zur öffentlichen Kenntnis gebracht. i)

Fußnoten:

f) Immediat-Bericht der beiden Justizminister vom 7. Nov. 1837 im Auszuge in der Revision des Entwurfs des Strafgesetzbuchs von 1843. Band I. (Berlin, 1845.) Beilage I. S. VIII. u. IX.

g) K.-O. v. 4. Febr. 1838 an den Staatsrat a. a. O. Beil. III. S. XI. — Diese Mitglieder waren außer den beiden Justizministern und dem Minister des Innern und der Polizei der General v. Müffling, der wirkl. Geh. Rat Sethe, der wirkl. Geh. Ober-Regierungsrat Köhler, der wirkl. Geh. Legationsrat Eichhorn, der Geh. Ober-Justizrat Düesberg, der Regierungs-Präsident Graf v. Arnim. — Später traten noch hinzu: der Geh. Ober-Finanzrat Eichmann, der wirkl. Geh. Ober-Justizrat Ruppenthal, der Justizminister v. Savigny, der Geh. Ober-Finanzrat Bornemann.

h) K. -O. v. 9. Jan. 1843 als Beilage zum 3. Bande der Beratungsprotokolle gedruckt.

i) Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten nach den Beschlüssen des Königlichen Staatsrats. Anhang: 1) Entwurf des Gesetzes über die Einführung des Strafgesetzbuchs. 2) Entwurf des Gesetzes über die Kompetenz der Gerichte zur Untersuchung und Bestrafung der Verbrechen und Vergehen in dem Bezirke des Appellationshofs zu Köln. Berlin. In Kommission bei Veit u. Comp. 1843. 8.

§. III. Die dritte Revision

Bis zur Vorlage an den vereinigten ständischen Ausschuss; 1843-1847. Die Entwürfe von 1845 und 1847.

Den acht Landtagen ward der Entwurf zugleich mit einer ausführlichen Denkschrift und mit 64 Fragen, deren Beantwortung besonders gewünscht wurde, von der Staatsregierung vorgelegt; sie begnügten sich aber nicht mit der Beantwortung dieser Fragen, sondern verbreiteten ihre Anträge und Erinnerungen über den Entwurf in seinem ganzen Umfange; ja die Rheinischen Stände, für ihre besonderen Rechtsinstitutionen und namentlich für das Schwurgericht besorgt, legten ihrerseits der Regierung einen neuen Entwurf mit Motiven vor. Zugleich gingen von den Oberpräsidenten von Schlesien, Sachsen, Posen und der Rheinprovinz Gutachten ein, welche sich an die Erinnerungen der betreffenden Stände anschlossen.

Wenn auf diese Weise schon ein wichtiges Material zur weiteren Prüfung zusammen kam, so hatte die Veröffentlichung des Entwurfs auch in weiteren Kreisen ein lebhaftes Interesse dafür erregt, welches sich in zahlreichen kritischen Arbeiten betätigte. Außer den zum Teil sehr beachtungswerten Zeitungsartikeln lassen sich 64 selbstständige Schriften und Abhandlungen aufführen, welche sich mit einer Prüfung des Entwurfs beschäftigen, und von denen die meisten gedruckt, manche aber auch nur handschriftlich in den Akten des Justizministeriums vorhanden sind. Zu den wichtigsten von diesen Momenten gehören: k)

Abegg, Dr., Professor an der Universität zu Breslau, kritische Betrachtungen über den Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten vom Jahre 1843. Neustadt a. d. Orla, 1844. 8. — XVI. u. 556 S.

Eversmann, Prokurator bei dem Appellations-Gerichtshofe zu Köln, über das neue Strafgesetzbuch. Handschriftlich.

Herrmann, Dr., Professor an der Universität zu Kiel, Preußens neue Strafgesetzgebung. In der Halleschen Allg. Literatur-Zeitung, 1843. S. 481-511.

Martin, Dr., Großherz. Sachsen-Weimar-Eisenachscher Geh. Justizrath, Bemerkungen zu dem ersten Teile des Entwurfs (§. 1-140). Handschriftlich.

Mittermaier, Dr., Geh. Rat und Professor zu Heidelberg, Schreiben an den Justizminister v. Savigny, enthaltend Bemerkungen über den Entwurf. Handschriftlich.

Derselbe, über den Entwurf, in seinem Werk: die Strafgesetzgebung in ihrer Fortbildung, Zweiter Beitrag. Heidelberg, 1843. S. 114-140.

Plathner, Ober-Landesger.-Assessor, Beurteilung des Entwurfs. Berlin, 1844. 8. — VI. u. 309 S.

(Ruppenthal) Bemerkungen über den Entwurf des Preuß. Strafgesetzbuches und dessen Begutachtung durch den Rheinischen Provinzial-Landtag. Von einem Freunde der Rheinischen Rechts-Institutionen. Heidelberg, 1843. 8. — 128 S.

Schnaase, Ober-Prokurator in Düsseldorf, Bericht an den Justizminister v. Savigny, den Entwurf betreffend. Handschriftlich.

Schüler, Dr., Ober-Apellationsgerichts-Rat zu Jena, kritische Bemerkungen zum ersten Teil des Entwurfs. Leipzig, 1844. 8. — 115 S.

Schwarze, Dr., Beisitzer und Mitglied des Königlich Sächsischen Appellationsgerichts zu Dresden, Kritik des Entwurfs, im Archiv des Kriminalrechts. Halle, Beilageheft zu 1843. 8. — 183 S.

v. Strampff, Ober-Landesgerichts-Vize-Präsident zu Naumburg, kritische Briefe über den Entwurf des Strafgesetzbuchs. Berlin, 1844. 8. — 473 S.

Temme, Kriminalgerichts-Direktor, Kritik des Entwurfs. Berlin, 1843. 8. — Th. I. X. u. 219 S. — T. ii. X. u. 413 S.

Zachariä, Dr., Professor an der Universität zu Göttingen, Bemerkungen über den Entwurf, in zwei Abteilungen. Handschriftlich.

Das gesamte in den Erinnerungen der Stände und in den öffentlichen Schriften und anderen Mitteilungen enthaltene Material ward nun durch Königliche Kabinetts-Order l) dem Justizminister v. Savigny zur Prüfung und Beurteilung überwiesen, mit dem Auftrage eine Zusammenstellung der wichtigsten Monita zu veranlassen und die für nötig befundenen Abänderungen des Entwurfs, bei der am 4. Febr. 1838 eingesetzten Staatsrats-Kommission in Antrag zu bringen. Der erste Teil dieser Aufgabe, die Zusammenstellung und Prüfung des Materials, ward in einer Arbeit des Geh. Justizrats Bischoff gelöst, welche zu den bedeutendsten Leistungen auf dem Gebiet der Gesetzrevision gehört.

Revision des Entwurfs des Strafgesetzbuchs von 1843. 3 Bde. Berlin, 1845. 4.

Übersichtlich und klar werden die gegen den Gesetzentwurf erhobenen Bedenken dargelegt; an die Prüfung derselben knüpft sich regelmäßig eine Erörterung der allgemeinen, in Betracht kommenden Rechtsfragen an und indem die Fassung des Entwurfs mit dem gewonnenen Resultat zusammengehalten wird, gelangt der Revisor dahin, entweder den Entwurf aufrecht zu erhalten oder die nötigen Abänderungen zu beantragen. Aus dieser Bearbeitung ging eine neue Gesetzes-Vorlage hervor.

Revidierter Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Vorgelegt von dem Ministerium der Gesetz-Revision. Berlin, 1845.

Die Immediat-Kommission m) befasste sich mit der Prüfung dieses Entwurfs vom 18. Okt. 1845 bis zum 9. Juli 1846.

Verhandlungen der Kommission des Staatsrats über den revidierten Entwurf des Strafgesetzbuchs. Berlin, 1846. 4.

Gleich zu Anfang der Sitzungen wurde hier, wie schon früher im Staatsrate, aber ebenso vergeblich der Versuch gemacht, den Fortgang des Revisionswerks zu unterbrechen, indem die bekannten Gründe gegen die Kodifikation vorgebracht, und statt deren die Reform einzelner Teile des Strafrechts und zwar nach dem Bedürfnis der einzelnen Landesteile, die ein verschiedenes Strafrecht hatten, empfohlen ward. Dagegen wurden aber, besonders von dem Minister v. Savigny, die Gründe für die Abfassung eines allgemeinen Strafgesetzbuchs hervorgehoben, und insbesondere noch darauf hingewiesen, dass die Staatsregierung durch die den Rheinischen Ständen im Landtagsabschiede von 1843 gegebene Erklärung in dieser Hinsicht gebunden sei. Die Kommission ging im weiteren Verlaufe ihrer Verhandlungen auf solche allgemeine Erörterungen weniger ein, wenn sie dieselben auch nicht ganz unterließ, sondern beschäftigte sich vorzugsweise mit Fassungsfragen, indem sie jedoch nicht selten unter Verwerfung der Abänderungen des revidierten Entwurfs zu dem von 1843 zurückkehrte.

Die Frage jedoch, wie der Entwurf sich zu dem Rheinischen Rechte und namentlich zu dem Rheinischen Gerichtsverfahren stellen werde, musste immer wieder hervortreten, sie musste sich aber mit ganz besonderem Nachdruck zur Berücksichtigung darstellen, als von der Staatsregierung beschlossen ward, den Entwurf des Strafgesetzbuchs nicht wieder dem Staatsrate, sondern dem vereinigten ständischen Ausschuss vorzulegen. In den ersten Stadien der Revision war das Rheinische Strafrecht überhaupt wenig berücksichtigt worden; erst die Verhandlungen der Rheinischen Provinzialstände, der von ihnen vorgelegte Entwurf und die Erinnerungen Rheinischer Juristen hatten bei der Revision von 1845 eine mehr eingehende Würdigung gefunden. Sie genügte aber noch nicht den Anforderungen der Rheinischen Rechtsinstitutionen; namentlich die Frage, wie die Tätigkeit der Geschwornen nach dem Gesetzbuch zu stehen kommen werde, konnte noch nicht als erledigt erscheinen; man musste die Fassung des Gesetzbuchs nach diesem Gesichtspunkt wiederholt prüfen, und auch auf weit eingreifendere Bestimmungen in dem Einführungsgesetz und der Kompetenzordnung Bedacht nehmen, als sie in den Entwürfen von 1843 zu finden waren. Durch diese Bedenken ward im Jahre 1847 eine Reihe neuer Verhandlungen in der Immediat-Kommission hervorgerufen, die sich zum Teil an eine Denkschrift des wirklichen Geh. Raths Ruppenthal und an ein darüber abgegebenes besonderes Votum des Justizministers v. Savigny anschlossen. Man entschied sich, noch einige Rheinische Juristen zu den Verhandlungen zuzuziehen, und diese: der Geh. Justizrat Simons, der Appellations-Senats-Präsident Madihn, der Appellationsrat v. Ammon und der Appellationsrat Grimm nahmen in den Verhandlungen und durch besondere Vorschläge und Denkschriften das Interesse der von ihnen vertretenen Rechtsinstitutionen energisch wahr. Sie erreichten damals bei weitem nicht Alles, was sie wünschten; aber ihre Vorschläge sind später in gebührender Weise benutzt worden. Die Verhandlungen der Kommission und die darauf bezüglichen Arbeiten der Rheinischen Juristen finden sich in dem folgenden Aktenstück:

Fernere Verhandlungen der Kommission des Staatsrats über den revidierten Entwurf des Strafgesetzbuchs. Berlin, 1847. 4.

Aus diesen Verhandlungen ging hervor:

Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten nebst dem Entwurf des Gesetzes über die Einführung des Strafgesetzbuchs und dem Entwurf des Gesetzes über die Kompetenz und das Verfahren in dem Bezirke des Appellationsgerichtshofs zu Köln. Zur Vorlegung an die vereinigten ständischen Ausschüsse bestimmt. Berlin, 1847. 4.

dazu:

Motive zum Entwurf des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten und den damit verbundenen Gesetzen vom Jahre 1847. Berlin, 1847. 4.

Fußnoten:

k) ein vollständiges Verzeichnis sämtlicher über den Entwurf erschienenen Schriften und Artikel findet sich in der Revision des Entwurfs von 1843. (Berlin, 1845.) Band I. Beil. V. S. XIV-XIX.

l) R. O. v. 24. Nov. 1843, abgedruckt a. a. O. als Beil. IV. S. XIII.

m) Die angef. K.-O. hatte als neue Mitglieder in die Kommission berufen: den wirkl. Geh. Ober-Justizrat v. Boß und den Kammergerichts-Präsidenten v. Kleist, zu denen später der Geh. Ober-Justizrat Jähnigen hinzutrat. — Vorsitzender war jetzt der Präsident des Staatsrats, Minister v. Rochow, Referent wiederum der Geh. Justizrat Bischoff.

§. IV. Die vierte Revision

Verhandlungen des vereinigten ständischen Ausschusses. Der Entwurf von 1850. Die Kommissionsarbeiten der Kammern. 1847-51.

Der vereinigte ständische Ausschuss ward auf den 17. Jan. 1848 einberufen; vorher aber trat die vorberatende Abteilung zusammen, um über den vorgelegten Entwurf des Strafgesetzbuchs ein vorbereitendes Gutachten zu entwerfen, was in 26. Sitzungen zu Stande gebracht wurde. Die Abgeordneten Naumann und Freih. v. Mylius fungierten als Referent und Korreferent, eine Stellung, welche sie auch bei den Ausschussverhandlungen selbst einnahmen. Nachdem der Gesetzentwurf hier in 33 Sitzungen beraten war, ward der Ausschuss am 6. März 1848 geschlossen. n)

Die Verhandlungen, mit Einsicht und Talent geführt, haben gegenwärtig zum Teil nur noch ein historisches Interesse. Fragen, welche damals die Gemüter aufs Lebhafteste beschäftigten, wie die über die Todesstrafe und deren Schärfung, über die Zulässigkeit der körperlichen Züchtigung, — sind jetzt erledigt; die Einführung des öffentlich-mündlichen Gerichtsverfahrens und der Schwurgerichte in der ganzen Monarchie haben den damals oft schroff hervortretenden Gegensatz zwischen den Rheinischen Rechtsinstitutionen und dem Gerichtswesen der übrigen Provinzen im Wesentlichen beseitigt. Doch ward jene allgemeine Reform des gerichtlichen Verfahrens im Sinne der germanischen Rechtsbildung eben in den Verhandlungen des vereinigten ständischen Ausschusses der Verwirklichung um ein Großes näher geführt; es braucht in dieser Beziehung nur auf die von der Staatsregierung endlich nachgegebene Dreiteilung der strafbaren Handlungen, so wie auf die Annahme der zeitigen Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte, im Gegensatz zu der eigentlichen Ehrlosigkeit hingewiesen zu werden, — Bestimmungen, deren Aufnahme in das Strafgesetzbuch die Rheinischen Juristen in der Staatsratskommission noch vergeblich vorgeschlagen hatten.

Auch für die genauere Begriffsbestimmung der einzelnen Verbrechen, so wie für die gerechtere Strafzumessung wurde in den Verhandlungen Manches von Bedeutung geleistet; der Ausschuss selbst stellte aber den unmittelbaren Erfolg seiner Arbeiten in Frage, indem er es für notwendig erklärte, dass das Strafgesetzbuch nicht eher erlassen werde, bevor eine neue Kriminalordnung von dem vereinigten Landtag beraten sei.

Indessen zogen überhaupt die politischen Bewegungen der folgenden Zeit die Aufmerksamkeit von dem Strafgesetzbuch ab, und erst im Jahre 1850 beschäftigte man sich im Justizministerium ernstlich mit der Wiederaufnahme des Werkes. Die Verhandlungen des vereinigten ständischen Ausschusses konnten nun zum Zweck einer nochmaligen Revision des Entwurfs benutzt werden, während die großen Veränderungen in der Gerichtsverfassung gleichfalls eine wiederholte Prüfung notwendig machten. Aus diesen Arbeiten ging der Entwurf des Strafgesetzbuchs hervor, welcher zugleich mit dem Entwurf des Einführungsgesetzes in der Sitzung vom 3. Jan. 1851 von dem Justizminister Simons, auf Grund einer Allerhöchsten Ermechtigung vom 10. Dez. 1850, der zweiten Kammer vorgelegt wurde. o) Diese ernannte zur Vorberatung und Berichterstattung eine Kommission von 21 Mitgliedern, welche unter Mitwirkung des Geh. Justizrats Bischoff als Vertreters des Justizministeriums beide Entwürfe einer genauen Prüfung unterzog. Die von der Kommission in Vorschlag gebrachten Abänderungen p) wurden nach Ausgleichung einiger Differenzpunkte von dem Justizminister adoptiert und die so amendierten Gesetzentwürfe von der zweiten Kammer im Ganzen angenommen; q) dasselbe geschah später auf den Vorschlag der Justizkommission r) auch in der ersten Kammer. Am 14. April 1851 erfolgte die Königliche Sanktion, und so ward durch das eintrechtige Zusammenwirken der drei Faktoren der Gesetzgebung ein bedeutendes Werk glücklich vollendet, auf dessen Vorbereitung seit 25 Jahren so ausgezeichnete Kräfte verwandt worden waren.

Fußnoten:

n) Das vollständige Material der Verhandlungen, sowohl der vorbereitenden Abteilung als auch des vereinigten ständischen Ausschusses, findet sich in dem vom Kanzleirat Bleich herausgegebenen Werke: Verhandlungen des im Jahre 1848 zusammenberufenen vereinigten ständischen Ausschusses. Berlin, 1848. 4 Bände in 8.

o) Die das Strafgesetzbuch betreffenden Kammerverhandlungen und sämtliche darauf bezüglichen Aktenstücke sind jetzt abgedruckt in folgendem Werk: Verhandlungen der ersten und zweiten Kammer über die Entwürfe des Strafgesetzbuchs für die Preußischen Staaten und des Gesetzes über die Einführung desselben vom 10. Dez. 1850. Nebst den Kommissions-Berichten und sonstigen Aktenstücken. Berlin, 1851. Verlag der Dezker'schen Ober-Hofbuchdruckerei. — Es fehlen jedoch die dem Entwurf des Strafgesetzbuchs beigegebenen Motive, welche abgedruckt sind in den Anlagen zu den Verhandlungen der zweiten Kammer Nr. 23. S. 163 ff. und besonders veröffentlicht, Berlin 1851 in der Dezker'schen Ober-Hofbuchdruckerei.

p) Berichterstatter waren die Abg. Von Patow, Bürgers, Storch, Schnaake, von Zander, Heffter

q) Die erste Beratung fand statt in der Sitzung vom 27. März, die zweite Abstimmung in der Sitzung vom 5. April 1851.

r) In der Sitzung vom 12. April 1851.

Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.

§. V. System und Charakter des Strafgesetzbuchs.

Zu den Fortschritten, welche durch das politische Leben und die Wissenschaft während der letzten Jahrzehnte in Deutschland hervorgerufen sind, darf unbedenklich die richtigere Einsicht in das Wesen und die Aufgabe der Gesetzgebung gerechnet werden. Es gibt nur noch wenige unter den zum Urteil Berufenen, welche sich mit der Aufstellung bestimmt formulierter Gegensätze beruhigen, und etwa in der Beantwortung der Frage: ob Kodifikation oder nicht — die Entscheidung darüber abzugeben geneigt sind, welche Tätigkeit die Gesetzgebung im Allgemeinen zu entwickeln habe. Der Begriff der Kodifikation hat seine bestimmtere Feststellung gewonnen und ist in die richtige Beziehung zu den tatsächlichen Verhältnissen des Staates und des Lebens sowie zu der Rechtserzeugung überhaupt gebracht worden. Die Lehre namentlich, dass es der Gesetzgebung obliege, aus den Abstraktionen des Naturrechts heraus ein System neuer Rechtssätze und Rechtsinstitute zu schaffen, kann als wissenschaftlich überwunden und als veraltet angesehen werden; aber auch diejenigen, welche der Gegenwart jede Berechtigung zu einer freien Reform unseres krausen Rechtswesens absprechen möchten, stellen sich immer bestimmter als die Anhänger einer politischen Schule dar, deren Ziele und Bestrebungen dem modernen Staatswesen selbst, wie es sich bei uns seit den Zeiten des großen Kurfürsten gestaltet hat, entgegen treten, und mit der wissenschaftlichen Opposition gegen eine oberflächliche Gesetzmacherei nicht verwechselt werden dürfen.

Für Preußen war die Erlassung eines neuen Strafgesetzbuchs eine Notwendigkeit geworden, weil die verschiedenen Rechtssysteme, welche in der Monarchie zur Anwendung kommen, für diesen Gegenstand einer Reform dringend bedurften, was nicht allein in Beziehung auf das Allgemeine Landrecht und das gemeine deutsche Recht der Fall war, sondern auch in Beziehung auf das Rheinische Recht, welches abgelöst von der in Frankreich fortschreitenden Rechtsentwicklung und namentlich von dem Gesetze vom 28. April 1832 unberührt, in der starren Strenge der kaiserlichen Strafsatzungen gebunden lag. Die notwendige Reform aber auf die Revision der verschiedenen Rechtssysteme in ihrer Besonderheit zu beschränken, ward schon damals, als noch die Gerichtsverfassung eine wesentlich verschiedene war, für unzulässig und unpolitisch gehalten, weil es gerade bei dem Strafrecht als einem Teile des öffentlichen Rechts nicht bloß darauf ankommt, die Gebote der Gerechtigkeit in Beziehung auf die einzelnen Staatsbürger zu verwirklichen, sondern auch der Staat selbst mit seinen Anforderungen befriedigt werden muss, und die Rechtseinheit sich von der Staatseinheit hier nicht wohl trennen lässt. Dass aber das lange und sorgfältig vorbereitete Werk gerade jetzt hat zur Vollendung kommen können, ist umso wichtiger, da die Erfüllung der Hoffnungen auf die Herstellung einer größeren Rechtsgemeinschaft für ganz Deutschland in neuester Zeit wieder in die Ferne gerückt worden ist.

Darf man aber auch die Erlassung eines Strafgesetzbuchs für die Preußische Monarchie als ein unabweisliches Bedürfnis ansehen, dessen Befriedigung von der Staatsgewalt zu erwarten war, so bleibt doch noch die Frage zu beantworten, wie denn diese Aufgabe durch das jetzt vollendete Gesetzbuch gelöst sei; denn nicht jede Neuerung, auch wenn sie an und für sich gerechtfertigt erscheint, ist darum eine Verbesserung. Eine Untersuchung aber, welche sich nach dieser Seite hin richtet, wird schon dann zu einem gewissen Abschluss gelangen, wenn die wichtigsten Momente bezeichnet werden, welche bei der Ausführung des Werkes vorzugsweise maßgebend sein mussten, und wenn sich dann nachweisen lässt, dass die Gesetzgebung auf sie die gebührende Rücksicht genommen hat. — Wirft man von diesem Standpunkt aus einen Blick auf das Revisionswerk, so ergibt sich zunächst, dass es der Gesetzgebung im Allgemeinen oblag, das bestehende Recht, wie es in seiner verschiedenartigen Entfaltung in Preußen zur Anwendung kam, als den gegebenen Stoff zu verwenden, aus dem der neue Bau zu errichten war. Es mussten aber dabei die Fortschritte der Gesetzgebung und der Wissenschaft, wie sie in Deutschland und bei verwandten Völkern zu erkennen waren, stets in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt und zur Veredlung des eigenen Rechts benutzt werden. Das ganze Werk endlich durfte von dem bestimmten Staate Preußen und von seinen besonderen Bedürfnissen und Anforderungen nicht losgebunden gedacht, sondern musste in klarer Anschauung der Verhältnisse auf diesen Punkt gerichtet werden. Das Preußische Heerwesen z. B. verlangte die sorgfältigste Berücksichtigung.

In der Tat zeigt nun der Gang, welchen die Revision des Strafrechts genommen hat, dass die angegebenen Momente dabei in gebührender Weise zur Geltung gekommen sind. Das Allgemeine Landrecht bildete den Ausgangspunkt für die Gesetzgebung, deren Aufgabe zunächst an dessen Inhalt geprüft ward; man zog aber auch die Ergebnisse, welche die Wissenschaft des gemeinen deutschen Strafrechts und die neueren deutschen Gesetzgebungen darboten, zur freiesten Benutzung heran, und gewährte endlich dem Rheinischen Recht in seiner logischen Durchbildung und seinen formellen Vorzügen, bei der Fassung der letzten Entwürfe den ihm gebührenden Einfluss. So ist es geschehen, dass ein Werk hergestellt werden konnte, welches sich einer seltenen Zustimmung erfreut, während die unweise Vernachlässigung des einen oder des anderen jener hervorgehobenen Momente den entgegengesetzten Erfolg herbeigeführt haben würde. Freilich durften jene verschiedenen Elemente nicht unvermittelt nebeneinander ruhen; die Arbeit musste, um ein Ganzes zu werden, einen bestimmten Charakter gewinnen, und dass sie diesen erlangt hat und in konsequenter Durchführung bestimmter leitender Ideen wie aus einem Gusse erscheint, sichert ihr hauptsächlich ihren Wert und versöhnt selbst mit manchen Einzelheiten, die wohl jeder — mit mehr oder weniger Recht — daran auszusetzen finden wird.

Was nun zunächst das System betrifft, welches sich in der Anordnung und Verteilung des Stoffes erkennen lässt, so ist dasselbe als einfach und übersichtlich zu loben, so dass auch die für die Auslegung des Gesetzbuchs leicht zu Zweifel Anlass gebenden Marginalien füglich weggelassen werden konnten. Zuerst kommen einige einleitende Bestimmungen, welche um deswegen nicht, wie es noch in dem Entwurf von 1847 geschehen war, in dem ersten Teil untergebracht werden konnten, weil sie sich nicht bloß auf die Verbrechen und Vergehen, sondern auch auf die Übertretungen beziehen — eine Unterscheidung, welche im Übrigen für das System konsequent durchgeführt worden ist. — Der erste Teil handelt dann von der Bestrafung der Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen, und umfasst im Wesentlichen diejenigen Bestimmungen, welche man in den Lehrbüchern der deutschen Kriminalisten und auch in einigen deutschen Strafgesetzbüchern (dem Sächsischen und Hannoverschen) in dem s. g. allgemeinen Teile findet. Während nun die im ersten Titel enthaltenen Vorschriften über die Strafen genau und bis ins Detail ausgeführt sind, bieten die übrigen Titel nur wenige, in großen Zügen aufgestellte Grundsätze dar, deren innerer wissenschaftlicher Zusammenhang in dem Gesetzbuche selbst nicht äußerlich dargestellt ist, — was eben nicht, um einen Tadel auszusprechen, bemerkt wird, da es nicht die Aufgabe eines Gesetzbuchs ist, ein wissenschaftliches System vollständig zu entwickeln. Die allgemeinen Lehren über Zurechnung und Verschuldung haben hier keinen Platz gefunden, und namentlich der vierte Titel — Von den Gründen, welche die Strafe ausschließen oder mildern — schließt sich ohne Übergang und Vermittlung an die vorhergehenden Bestimmungen über den Versuch (Titel II.) und über die Teilnahme (Tit. III.) an, während im fünften Titel vom Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und vom Rückfalle gehandelt wird. Dabei ist denn im vierten Titel durch einen in der Kommission der zweiten Kammer gemachten Zusatz eine kleine Abweichung von dem ursprünglich angelegten System veranlasst worden, indem man es für nötig hielt, einige allgemeine Bestimmungen über die Fälle aufzunehmen, in denen Verbrechen oder Vergehen nur auf Antrag einer Privatperson bestraft werden (§. 50-54.). Da die beiden ersten §§. zu den Vorschriften über die Verjährung gehörten, so glaubte man, um nicht denselben Gegenstand an verschiedenen Stellen behandeln zu müssen, auch die drei letzten (§. 52-54.) hier wohl einfügen zu dürfen. Dagegen enthält der erste Teil keine Bestimmung darüber, in welcher Beziehung er seinem Inhalte nach zu den Übertretungen steht, und auch der diesen gewidmete dritte Teil gibt darüber keinen allgemeinen und unmittelbaren Aufschluss. Die Erörterung dieser wichtigen Frage bleibt der näheren Erwägung des ersten Titels des dritten Teiles vorbehalten.

Der zweite Teil handelt von den einzelnen Verbrechen und Vergehen und deren Bestrafung. Zuerst kommen die Verbrechen und Vergehen gegen den Staat, insofern dessen Existenz, Integrität, Würde, Sicherheit und Ordnung dadurch gefährdet wird. Hochverrat und Landesverrat, obgleich dem Begriffe nach bestimmt auseinandergehalten, sind in demselben Titel (I.) zusammengestellt; ebenso die Beleidigung der Majestät und der Mitglieder des Königlichen Hauses (Tit. II.). Der dritte Titel ist den feindlichen Handlungen gegen befreundete Staaten gewidmet, und fasst die in den beiden vorhergehenden Titeln aufgeführten Handlungen zusammen, insofern sie nach außen hin gerichtet, strafbar sind, während sie im Entwurf von 1847 jenen beiden Titeln einverleibt waren, zugleich mit dem Hochverrat und Landesverrat gegen den deutschen Bund, worüber in das Strafgesetzbuch keine besonderen Bestimmungen aufgenommen worden sind. — Neu und durch die veränderte Staatsverfassung hervorgerufen ist der vierte Titel von Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte, wogegen die früher besonders hervorgehobenen Verbrechen, welche sich auf Hoheitsrechte und Regalien beziehen, gegenwärtig ihre besondere Bedeutung verloren haben, und die Strafbestimmungen über unerlaubte Verbindung im sechsten Titel unter den Vergehen wider die öffentliche Ordnung ihren Platz finden konnten. Dass der siebente Titel — Münzverbrechen und Münzvergehen, — von der Urkundenfälschung abgetrennt und hierhergestellt worden ist, muss als eine wesentliche Verbesserung angesehen werden, ebenso wie die falsche Anschuldigung (Tit. IX.) sich besser als ein selbständiges Verbrechen hinter dem Meineid ausnimmt, als zusammengeworfen mit der Verleumdung, wie es noch der Entwurf von 1850 hatte. Der Meineid selbst (Tit. VIII.), die Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen (Tit. X.) und die Verbrechen in Beziehung auf den Personenstand (Tit. XI.) bilden dann den Übergang von den gegen den Staat gerichteten Verbrechen und Vergehen auf diejenigen, welche die Persönlichkeit verletzen, zu denen wenigstens in der Regel die gegen die Sittlichkeit (Tit. XII.) auch gehören. An die Verletzungen der Ehre (Tit. XIII.) schließt sich der Zweikampf an (Tit. XIV.), auf diesen folgen die Verbrechen und Vergehen wider das Leben, die Körperverletzungen und die Verbrechen und Vergehen wider die persönliche Freiheit (Tit. XVII.). Dann werden in den neun folgenden Titeln (XVIII-XXVI.) die Verbrechen und Vergehen gegen das Vermögen abgehandelt, wobei nur zu bemerken, dass bei dem Raube und der Erpressung (Tit. XIX.) zu der Verletzung des Vermögens auch die Persönlichkeit hinzutritt, und bei der Untreue (Tit. XXII.) es sich nicht bloß von Handlungen zum Nachteil von Sachen, sondern auch von Personen handelt. Der Tit. XXVII. ist noch besonders den gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen (Brandstiftung, Überschwemmung u. s. w.) gewidmet, und Tit. XXVIII. den Verbrechen und Vergehen im Amte. Die Stellung dieses letzten Titels rechtfertigt sich dadurch, dass er der einzige ist, dessen Inhalt, ohne durch die Beschaffenheit der strafbaren Handlungen bestimmt zu sein, durch die Persönlichkeit derjenigen, die sie begehen, seine Bedeutung bekommt, und also mehr anhangsweise, als im Zusammenhange des Systems zu behandeln war.

Werfen wir nun noch einen Blick auf das System des zweiten Teils zurück, und lassen einmal die weniger bestimmt ausgeprägten Formen unberücksichtigt, so stellt sich hier eine in der Natur der Sache begründete Dreiteilung dar, auf welche die einzelnen Arten der Verbrechen und Vergehen zurückgeführt werden können: es sind solche, welche entweder gegen den Staat oder gegen die Person oder gegen das Vermögen begangen werden. Diese Einteilung hätte nun durch weitere Unterabteilungen leicht in ein systematisches Netzwerk zerlegt werden können, welches auch äußerlich die verschiedenen Kategorien bestimmter hätte hervortreten lassen. Man fand für ein solches Verfahren einen Vorgang in dem Rheinischen Strafgesetzbuch, setzte sich aber dadurch der Gefahr aus, die Übersichtlichkeit des Systems zu beeintrechtigen, und der Auslegung durch die Überschriften ein Material an die Hand zu geben, welches im Gesetzbuch selbst enthalten, der unbefangenen Würdigung der eigentlichen Strafsatzungen Hindernisse bereiten kann, während es der Wissenschaft ein Leichtes ist, die weitere Entfaltung des Systems im Geiste des Strafgesetzbuchs auszuführen.

Wenn aber, wie gezeigt, bei der Feststellung der Titelfolge eine gewisse Freiheit in der Würdigung der hauptsächlich zu beachtenden Momente bewahrt worden, so ist dies noch mehr geschehen bei der Behandlung der in den einzelnen Titeln vorkommenden Verbrechen und Vergehen. Hier findet sich kein gleichmäßiges Verfahren, etwa in der Art, dass nach der Strafbarkeit der Handlungen zuerst die leichtere und dann die schwerere käme oder umgekehrt, sondern nach der besonderen Beschaffenheit des gerade vorliegenden Stoffes ist bald die eine bald die andere Methode angewandt worden. Doch lassen sich gewisse Regeln erkennen, die hierbei befolgt worden sind.

1) Wo neben dem vollendeten Verbrechen gewisse Versuchshandlungen, Anstiftung u. s. w. besonders mit Strafe bedroht werden, da ist von dem vollendeten Verbrechen ausgegangen, an welches sich dann die anderen Formen der strafbaren Handlungen anschließen. So bei dem Hochverrat (Tit. I.) und dem Meineid (Tit. VIII.)

2) Wenn das strafbare Verschulden auch bei der Vollendung der Tat seine im Gesetz festgestellte Abstufung hat, die sich nicht als bloße Qualifikationen darstellt, so ist von den schwereren Fällen auf die der minderen Verschuldung übergegangen. Man vergleiche den Tit. VII., Münzverbrechen und Münzvergehen, Tit. XV., Mord und Totschlag, und überhaupt die Fälle, wo außer der vorsätzlichen Handlung auch die fahrlässige ausdrücklich unter Strafe gestellt ist.

3) Wenn eine strafbare Handlung durch das Hinzutreten besonderer erschwerender Umstände eine gesetzliche Qualifikation erhält, ohne dadurch den Charakter zu verlieren, den das einfache Verbrechen oder Vergehen an sich trägt, so wird dieses zuerst abgehandelt, und dann erst die schwerere Form desselben. So bei der Körperverletzung (Tit. XVI.), dem Diebstahl (Tit. XVIII.), der Hehlerei (Tit. XX.), dem Betruge (Tit. XXI.) — Die Verletzungen der Ehre (Tit. XIII.) können hier nicht in Betracht kommen, weil die einfache Beleidigung nur als Übertretung gerügt wird, und also im zweiten Teil sich nicht findet.

Der dritte Teil handelt von den Übertretungen. Bei der ersten Revision wurde neben dem Kriminalstrafgesetzbuch die Erlassung eines besonderen Polizeistrafgesetzbuchs beabsichtigt, und der Entwurf von 1830 enthält daher von Polizeivorschriften nichts. Der Justizminister v. Kamptz folgte aber auch hier dem Vorgange des Allgemeinen Landrechts, und streute, statt den inzwischen ausgearbeiteten Entwurf des Polizeistrafgesetzbuchs zu benutzen, in die einzelnen Titel des Strafgesetzbuchs besondere Polizeivorschriften ein, ein Verfahren, welches schon in der Staatsrats-Kommission Bedenken erregte, aber in dem Entwurfe von 1843 doch noch beibehalten ist. Erst die Revision von 1845 schaffte hier Wandel, und stellte die Polizeivergehen im dritten Teil zusammen, s) was auch im Entwurf von 1847 beibehalten ward und in das Strafgesetzbuch übergegangen ist, nur dass hier statt des Wortes Polizeivergehen die Bezeichnung: Übertretungen sich findet.

Im ersten Titel: Von der Bestrafung der Übertretungen im Allgemeinen — werden nun einige allgemeine Grundsätze über den Begriff der Übertretungen, die Strafen derselben u. s. w. aufgestellt; die folgenden Titel führen dann die einzelnen Handlungen mit den gesetzlichen Strafen auf. Dabei ist im Wesentlichen dasselbe System befolgt worden, wie im zweiten Teil hinsichtlich der Verbrechen und Vergehen. Der zweite Titel handelt von den Übertretungen in Beziehung auf die Sicherheit des Staates und die öffentliche Ordnung; der dritte Titel von den Übertretungen in Beziehung auf die persönliche Sicherheit, Ehre und Freiheit, der vierte endlich von den Übertretungen in Beziehung auf das Vermögen.

Wenn nun an diese Betrachtungen über das System des Strafgesetzbuchs noch einige Bemerkungen über dessen Form und Gehalt angereiht werden, so wird es kaum der ausdrücklichen Erklärung bedürfen, dass es hierbei auf keine eingehende Kritik des Gesetzbuchs abgesehen sein kann. Der Kommentar wird freilich bei der Erwägung des Einzelnen es später auch nicht vermeiden, den legislativen Wert der gesetzlichen Vorschriften einer Prüfung zu unterziehen, falls dazu die Veranlassung sich darbieten sollte; aber als seine nächste und wichtigste Aufgabe wird immer festgehalten werden, einen Beitrag zu dem richtigen Verständnisse des Gesetzbuchs aus diesem selbst, unter Benutzung der amtlichen Vorarbeiten zu liefern. Hier kann es jedenfalls nur darauf ankommen, mit einigen Zügen die Eigentümlichkeit dieses Werkes zu charakterisieren. Zu diesem Behuf ist zunächst das Bestreben hervorzuheben, die einzelnen Bestimmungen in möglichst klarer und einfacher Sprache so hinzustellen, dass sie an sich verständlich, auch dem Laien es möglich machen, sich Kenntnis davon zu verschaffen, welche Handlungen strafbar und mit welchen Strafen sie bedroht sind. Wäre es in dieser Hinsicht vielleicht wünschenswert gewesen, dass der Gesetzgeber sich in der Fassung seiner Vorschriften mehr noch, als es geschehen, an das Publikum und nicht so häufig an den Richter gewandt hätte, so lässt sich doch daraus nicht der Vorwurf ableiten, der so manche ältere Gesetzgebungen trifft, dass überhaupt nur auf das Verständnis des Juristen gerechnet sei. Dies kann hier umso weniger zutreffen, da in den letzten Stadien der Revision mit höchster Sorgfalt dahin gestrebt worden ist, dem Gesetzbuch eine solche Fassung zu geben, dass es sich dem Verfahren vor den Schwurgerichtshöfen anpasse, was nicht bloß dadurch geschieht, dass einzelne Vorschriften in Fragen an die Geschwornen aufgelöst werden können, sondern auch die formelle Haltung im Allgemeinen bestimmen muss.

Außer diesem Zuge, in dem überhaupt ein Fortschritt der neueren Gesetzgebung und die Einwirkung einer volkstümlichen Gerichtsverfassung erkannt werden kann, ist noch ein anderer hervorzuheben, welcher wenigstens den übrigen deutschen Strafgesetzbüchern gegenüber diesem Preußischen einen bedeutenden Vorzug sichert. Das ist die Beschränkung auf diejenigen Vorschriften, welche erforderlich sind, um das Verständnis und die Durchführung des legislatorischen Willens zu sichern, unter dem Fernhalten aller solcher Bestimmungen, welche sich entweder als die notwendigen Folgesätze der aufgestellten Prinzipien von selbst ergeben, oder als die allgemeinen Voraussetzungen von denen auch der Gesetzgeber auszugehen hat, anzusehen sind, und deren Hineinziehen in das Gesetzbuch selbst dasselbe mit Gemeinplätzen oder mit einem ungefügigen wissenschaftlichen Apparat belastet. Man ist vielmehr mit dem bestimmten Bewusstsein des Gegensatzes gegen die ältere Gesetzgebung des Landrechts darauf ausgegangen, die Aufgabe des Gesetzgebers nicht über ihre natürlichen Grenzen hinauszurücken, und hat es eines Teils vermieden, in ein Gebiet der Vorstellungen und Anschauungen hinüberzugreifen, über welche der Gesetzgeber doch keine Macht hat, anderen Teils aber der Jurisprudenz in ihrer wissenschaftlichen und praktischen Fortbildung das Vertrauen erwiesen, die ihr zukommende Rechtsentwicklung ihr auch zu überlassen und sie nicht durch das ängstliche Vorausbestimmenwollen alles Einzelnen unnötiger Weise zu hemmen und zu beschränken. Dass diese ganze Tendenz die richtige, und dass sie im Allgemeinen mit Einsicht und Maß verfolgt worden, unterliegt keinem Zweifel; ob nicht in einzelnen Fällen diese Bescheidung des Gesetzgebers vielleicht etwas zu weit gegangen, z. B. §. 40 die Bestimmungen über Ausschließung der Strafe wegen Unzurechnungsfähigkeit zu fragmentarisch gefasst sind, wird später bei den besonderen Erörterungen noch näher zu erwägen sein.

Gewisse Momente aber gibt es, an denen sich das hier im Allgemeinen Angeführte klar und bestimmt darlegen und zur Anschauung bringen lässt, und für deren angemessene Berücksichtigung doch das Gesetzbuch selbst, eben wegen seiner bezeichneten Haltung, nicht die rechte Gelegenheit bietet. Es gehören dahin die Freiheit des richterlichen Ermessens, namentlich in Beziehung auf allgemeine Zumessungsgründe; die allgemeine Bedeutung der im Gesetz zugelassenen mildernden Umstände; die allgemeinen Grundsätze über die Verschuldung, namentlich über Vorsatz und Fahrlässigkeit. Diese Lehren schon in der Einleitung zum Gegenstande einer näheren Erörterung zu machen, erscheint umso angemessener als das Verständnis des Gesetzbuchs im Allgemeinen dadurch wesentlich gefördert werden dürfte.

Fußnoten:

s) Die Rechtfertigung dieser Änderung des Systems findet sich: Revision des Entwurfs von 1843. Bd. I. (Berlin, 1845.) S. 4 und 5.

§. VI. Das richterliche Ermessen.

Die freie Stellung, welche das Strafgesetzbuch denjenigen einräumt, welche mit der Handhabung der Strafrechtspflege betraut sind, ist teils durch die Beschaffenheit der Gerichtsverfassung bedingt, welche jetzt bei uns die allgemein geltende geworden, teils ist sie die notwendige Folge der Gesamtanschauung, welche bei der Abfassung des Gesetzbuchs maßgebend gewesen ist. In ersterer Beziehung ist namentlich auf die Stellung der Geschworenen hinzuweisen, welche ihren Wahrspruch nur nach bestem Wissen und Gewissen, ohne die Hinzufügung von Entscheidungsgründen abzugeben haben. Auch die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist eine solche, dass ihre richtige Lösung nicht durch die absoluten Vorschriften des Gesetzes allein gesichert erscheinen kann, sondern der freien Erwägung des verständigen und gewissenhaften Beamten Vieles überlassen werden muss. Das Gesetzbuch selbst schreibt die Verfolgung der im Auslande begangenen Verbrechen (§. 4.), so wie die Wiederaufnahme des Strafverfahrens in Beziehung auf die im Auslande nicht aberkannten Ehrenrechte (§. 24.) nicht unbedingt vor, sondern gewährt nur die Befugnis dazu, und überlässt die Entscheidung dem pflichtmäßigen Ermessen der zuständigen Behörden. Auch wird sich später zeigen lassen, dass in einem praktisch viel wichtigeren Fall, bei der Verfolgung der Ehrverletzungen gegen Behörden u. s. w. (§. 102 u. 103.) die Absicht des Gesetzes nicht dahin geht, eine solche unter allen Umständen von Amtswegen einleiten zu lassen, sondern die Beschaffenheit des besonderen Falls und namentlich die Rücksicht auf das öffentliche Interesse hier entscheidend sein muss. Überhaupt wird es gut sein, wenn man sich bei uns häufiger, als es oft noch geschieht, den Grundsatz römischer Staatsweisheit in seinem tieferen Sinne mehr vergegenwärtigt: Minima non curat Praetor.

Was von der Aufgabe der Staatsanwaltschaft gesagt worden, ließe sich auch in besonderer Beziehung auf die Tätigkeit der Anklagekammer weiter ausführen. Wenn hier aber von dem richterlichen Ermessen gehandelt wird, so ist doch zunächst nur an das Ermessen des erkennenden Richters gedacht worden, und wie dieses nach dem Strafgesetzbuch zu stehen kommt, soll nun näher untersucht werden. Wenn dabei im Allgemeinen von dem Satze ausgegangen werden kann, dass das Gesetzbuch im Vergleich mit dem Allgemeinen Landrecht und den früheren Entwürfen dem Richter eine freiere und würdigere Stellung einräumt, so bedarf diese Behauptung doch in Einer Beziehung einer Beschränkung. Was nämlich die Wahl des Richters zwischen verschiedenen Strafarten betrifft, so ist seine Befugnis jetzt eine wesentlich beschränkte. Es steht ihm namentlich nicht zu, unter verschiedenen Freiheitsstrafen eine Auswahl zu treffen oder in anderen Fällen, als da, wo das Gesetz es zulässt, anstatt einer Freiheitsstrafe auf Geldstrafen zu erkennen. Auch in der Aberkennung der Ehrenrechte ist eine wichtige Beschränkung eingetreten, und während früher in den Fällen, wo ein Mangel ehrliebender Gesinnung sich kundgegeben hatte, der Richter den Verlust der Nationalkokarde auszusprechen hatte, ist es ihm jetzt nur überlassen, bei bestimmten, im Gesetz genau bezeichneten Vergehen die Ausübung der Ehrenrechte auf Zeit zu untersagen. Diesen Beschränkungen der richterlichen Amtsbefugnis gegenüber, die im Interesse der bürgerlichen Freiheit und der Gleichheit vor dem Gesetz gemacht worden sind, zeigt sich aber im Übrigen das richterliche Ermessen erweitert und von lästigen Schranken befreit. Über die Frage, wann der Richter ein strafbares Verschulden anzunehmen berechtigt ist, und nach welchen Grundsätzen er namentlich zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu unterscheiden hat, wird unten (§. VIII.) noch eine besondere Erörterung folgen; hier soll zunächst der Fall besonders betrachtet werden, wenn ein strafbares Verschulden im Allgemeinen vorliegt und vom Richter die Höhe des Strafmaßes zu bestimmen ist, — also die Zumessungsgründe zu erwägen sind. Diese sind aber gegenwärtig umso bedeutungsvoller, da das Strafgesetzbuch gerade in Beziehung auf das Strafmaß eine große Freiheit gewährt, und nur in wenigen Fällen absolute Strafen ausspricht, oft aber jedes Minimum weglässt, oder das Maximum nur nach den allgemeinen, im Gesetz aufgestellten Grenzen (Gefängnis bis zu fünf Jahren, zeitige Zuchthausstrafe bis zu zwanzig Jahren) bestimmt. Bei der Strafzumessung macht es denn auch keinen wesentlichen Unterschied, ob ein Verbrechen oder Vergehen vorliegt, ein Wahrspruch der Geschworenen oder das richterliche Erkenntnis die Schuld feststellt, da im ersteren Fall wohl die Art der Strafe — bei mildernden Umständen, Versuch, Teilnahme, — nicht aber das Maß derselben von dem Wahrspruch bedingt wird.

Wenn nun das Gesetzbuch selbst sich jeder unmittelbaren Einwirkung auf die richterliche Entscheidung über die Zumessungsgründe enthalten und es sogar vermieden hat, nach dem Vorgange des Hessischen Strafgesetzbuchs t) , allgemeine Zumessungsgründe nur als Anweisung für das richterliche Ermessen aufzustellen, so ist das eine allerdings sehr tief greifende Abweichung von dem früheren Rechte. Aber auch bei der Revision hat man in den verschiedenen Stadien derselben gerade über diesen Gegenstand sehr geschwankt; eine geschichtliche Darstellung wird daher am besten geeignet sein, die wichtigsten hier in Betracht kommenden Momente hervorzuheben und namentlich die Gründe ans Licht zu stellen, welche zuletzt dahin geführt haben, dass man nach dem Vorgange des Rheinischen Rechts darauf verzichtete, die Aufgabe des Gesetzgebers mit der des Richters zu vermischen.

Das Allgemeine Landrecht hat, wie schon von Bode sehr gut nachgewiesen worden, u) , diese Lehre in sehr mangelhafter Weise abgehandelt. Es hat nämlich die Zumessungsgründe im engeren Sinne, welche sich innerhalb des von dem Gesetz aufgestellten Strafmaßes bewegen, von den s. g. Milderungs- und Schärfungsgründen, welche ein Überschreiten dieser Grenzen durch Verminderung oder Erhöhung der gesetzlichen Strafe zulassen, nicht gehörig unterschieden, wodurch eine Verwirrung und Unklarheit in den gesetzlichen Vorschriften herbeigeführt worden, welche für die Rechtsanwendung von den nachteiligsten Folgen gewesen ist. Namentlich erscheint es zweifelhaft, ob die in den §. 18. 22. 51. 52. 62. des Tit. 20. T. ii. enthaltenen Bestimmungen zu den Gründen der ersten oder der zweiten Kategorie zu rechnen sind. Der erste Revisor beseitigte nun durch die Teilung des Stoffes diesen Mangel einer genauen Begriffsbestimmung, und schlug dann unter Zugrundelegung von §. 18. 23-25. des Tit. 20. T. ii. des Allg. Landrechts eine Reihe allgemeiner Strafzumessungsgründe vor, welche aber in der Gesetz-Revisions-Kommission verworfen wurden, so dass der Entwurf von 1830 ohne solche Zumessungsgründe ist. Der Entwurf von 1833. (§. 95-98.) hat dieselben aber wieder aufgenommen, und der von 1836. (§. 101. und 104.) die Zahl noch um einige vermehrt. In der Staatsrats-Kommission machten sich über die Zweckmäßigkeit solcher Bestimmungen verschiedene Ansichten geltend. v) Von der einen Seite wurde bemerkt, es verstehe sich von selbst, dass das Ermessen des Richters innerhalb der gesetzlichen Grenzen durch die besonderen Umstände der Tat geleitet werden müsse. Welche Umstände aber hierbei in Betracht kämen, darüber müsse die Doktrin, der gesunde Menschenverstand und das Leben den Richter belehren. — Darauf wurde erwidert, eine analytische Entwickelung der Bestimmungen über Zumessung, Milderung und Schärfung der Strafe lasse sich nicht vermeiden, wenn nicht nur dem Richter dieser Unterschied angedeutet, sondern auch der notwendige Satz ausgedrückt werden solle, dass die Anwendung der Strafgrade nicht bloß auf richterlicher Willkür beruhe. Überdies gehe die Theorie bei den Gesichtspunkten der Zumessung von höchst verschiedenen Ansichten aus, die sich auf die Strafrechts-Entwicklung gründen, indem der eine Rechtslehrer bloß die Größe des Schadens, der andere bloß die Gefährlichkeit der Handlung berücksichtigen wolle. Das Gesetz müsse also dem Richter andeuten, wonach er zumessen solle, und die gänzliche Fortlassung der Vorschriften über Zumessung sei daher nicht zulässig. Der Deutlichkeit wegen sei es denn gut, es nicht bei der Angabe des Grundsatzes bewenden zu lassen, sondern denselben auch näher zu entwickeln.

Diese letztere Ansicht siegte in der Kommission, und daraus gingen für den Entwurf von 1843 folgende Vorschriften hervor:

§. 106. „Wenn die im Gesetz auf ein Verbrechen angedrohte Strafe verschiedene Grad hat, oder dem Richter die Wahl zwischen mehreren Strafarten überlassen ist, so hat derselbe den Strafgrad oder die Strafart nach den Umständen zu bestimmen, durch welche sich die Strafbarkeit des Verbrechers erhöhet oder vermindert.“

§. 107. „Die Strafbarkeit des Verbrechers erhöhet oder vermindert sich hauptsächlich, je nachdem:

1) durch seine Tat mehr oder weniger Rechte verletzt wurden;

2) die Verletzung einen höheren oder niederen Grad erreicht hatte;

3) die Tat unter Umständen begangen wurde, wodurch die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung mehr oder weniger gefährdet war;

4) die Tat an befriedeten Orten, insbesondere in Kirchen oder landesherrlichen Schlössern verübt wurde;

5) zur Begehung des Verbrechens die Religion oder religiöse und kirchliche Gebräuche vorgeschützt oder gemissbraucht worden sind;

6) mehr oder weniger Pflichten für den Verbrecher vorhanden waren, die Tat zu unterlassen;

7) der Verbrecher mehr oder weniger fähig war, diese Pflichten oder die Strafwürdigkeit seiner Handlung zu erkennen;

8) der äußere Anreiz zum Verbrechen für ihn mehr oder minder groß war;

9) er aus mehr oder minder bösartigem Antrieb die Handlung beging;

10) derselbe mit mehr oder weniger Überlegung zur Ausführung der Tat schritt; oder

11) größere oder geringere Hindernisse dabei überwand;

12) der Verbrecher durch seinen bisherigen Lebenswandel einen höheren oder geringeren Grad von Verderbtheit und Neigung zu Verbrechen zu erkennen gegeben hat, oder schon früher wegen Verbrechen verurteilt ist, oder nicht;

13) er das Verbrechen in der Untersuchung geleugnet oder dasselbe eingestanden hat; insbesondere ist zu berücksichtigen, wenn das Geständnis vor der Überführung freiwillig abgelegt worden ist.“

§. 108. „Bezeichnet das Gesetz bei einem Verbrechen Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen oder vermindern, so ist auf diese zunächst Rücksicht zu nehmen.“

§. 109. „Zur Verurteilung in den höchsten und niedrigsten Grad der gesetzlichen Strafe ist nicht erforderlich, dass alle oder auch nur mehrere der die Strafbarkeit erhöhenden oder vermindernden Gründe (§. 107. und 108.) zusammentreffen.“

Gegen diese Bestimmungen des den Provinzialständen vorgelegten und durch den Buchhandel veröffentlichten Entwurfs wurden aber viele Bedenken laut; von den verschiedensten Seiten wurden sie als kasuistisch und überflüssig angefochten, und auch die wiederholte Revision, welche von dem Ministerium für die Gesetz-Revision ausging, trug auf die Streichung derselben an. „Soweit sie richtig sind,“ heißt es in der amtlichen Schrift w) , „gehören sie zur Doktrin, die dem Richter nicht fremd sein darf, welchem ein Spielraum für die Abmessung der Strafe anvertraut wird. Vermeidet man dergleichen Bestimmungen im Strafgesetzbuche gänzlich, so gibt man dem Richter die Macht, vieles Tatsächliche selbständig zu eruieren. Dies ist aber ganz zulässig, und auch schon nach dem Code pénal der Fall. Der Entwurf will abstrakte Regeln aufstellen, da es doch Sache des Richters ist, von jedem einzelnen Falle eine konkrete Anschauung zu gewinnen. Der Richter hat gleichsam einen moralisch-juridischen Krankheitsfall zu würdigen, und befindet sich dabei in einem ähnlichen Verhältnis, wie der Arzt, dem man auch nicht durch Aufzählung aller möglichen Symptome von Krankheiten die richtige Methode für die Behandlung des einzelnen Falles vorschreiben kann. Glaubt man aber durch jene Spezialvorschriften eine Schutzwehr gegen Missgriffe des Richters zu errichten, so sind doch jene Vorschriften weder erschöpfend, noch nützen sie dem Richter, der das Rechte nicht selbst weiß und will. Der §. 106. insbesondere, in seiner formellen Bedeutung, welche hier allein in Betracht kommt, sagt nichts weiter, als: der Richter kann tun, was ihm in jedem einzelnen Falle vom Gesetze erlaubt ist. Er ist also ebenso entbehrlich, wie der §. 108., der mit ihm steht und fällt.“ — —

„Der §. 107. wird vorzugsweise als nutzlos und bei Geschworenengerichten unausführbar angegriffen und zwar mit Recht. Erschöpfend können und sollen die dreizehn Zumessungsgründe nicht sein, dies liegt in der Natur der Sache. Sie enthalten durchweg gewisse faktische Momente. Gibt aber das Gesetz solche faktische Momente dem Richter an, so müssen auch die Fragen darüber den Geschwornen vorgelegt werden. Und doch werden sich die meisten Nummern gar nicht einmal in Fragen einkleiden lassen, welche mit Ja oder Nein beantwortet werden können, z. B. ob und welcher Anreiz zum Verbrechen Statt fand, ob und wie große Hindernisse bei Ausführung der Tat überwunden werden mussten. Wohin man gelangt, wenn man einmal im Gesetzbuche die Zumessungsgründe spezifiziert, das beweisen die zahlreichen Erinnerungen gegen die einzelnen Nummern des §. 107, welche dem einen nicht genügend und erschöpfend, dem anderen nicht durchweg richtig und untereinander übereinstimmend zu sein scheinen. Enthält sich das Gesetz solcher Bestimmungen nicht gänzlich, so provoziert es allerdings selbst immer neue Spezialitäten und Verwickelungen. Es wird hier genügen, von jenen gegen die einzelnen Nummern gerichteten Erinnerungen die von den Ständen ausgegangenen beiläufig anzuführen. In Nr. 4. beantragt der Westfälische Landtag eine Beschränkung der „landesherrlichen Schlösser“ auf das zur Zeit des verübten Verbrechens vom König bewohnte Schloss. Schlesien will hier (in Nr. 4.) noch der Amtslokale gedacht wissen; Brandenburg möchte in Nr. 10. den Strafgrad noch davon abhängig machen, ob der Verbrecher mit mehr oder weniger List und Verwegenheit zur Tat schritt.“ —

„Der Entwurf von 1830. hatte keine solche Aufzählung von Zumessungsgründen aufgenommen. Dies lässt sich nur billigen, obgleich auch andere neuere Gesetzbücher sich der Aufstellung allgemeiner Grundsätze über die Zumessung, mit oder ohne Kasuistik, mit oder ohne Unterscheidung des subjektiven und des objektiven Moments der Strafbarkeit, zugewendet haben. x) — — Aus diesen Gründen sind in dem revidierten Entwurf die §§. 106-109. nicht aufgenommen worden. Auch ist im speziellen Teil durchweg an dem Grundsatze festgehalten, bloße Zumessungsgründe nicht aufzuführen.“

Diese Ansicht wurde auch in den weiteren Stadien der Revision festgehalten, und der Richter ist bei dem Schweigen des Gesetzbuchs auf „die Doktrin, den gesunden Menschenverstand und das Leben“ zur Herstellung des richtigen Strafmaßes innerhalb der gesetzlichen Grenzen in jedem einzelnen Fall verwiesen.

Fußnoten:

t) Strafgesetzbuch für das Großherzogtum Hessen, Art. 118 ff.

u) Motive von dem von dem Revisor vorgelegten Ersten Entwurf des Kriminal-Gesetzbuchs für die Preußischen Staaten. Band I. (Berlin, 1827.) S. 192 ff.

v) Beratungs-Protokolle. I. Teil. (Berlin, 1839.) S. 126 ff.

w) Revision des Entwurfs des Strafgesetzbuchs von 1843. I. Band. (Berlin 1845). S. 227-29.

x) Sächs. Kriminalgesetzb., Art. 42 ff. — Württemb. Art. 107 ff. — Braunschweig. §. 63 ff. — Hannov. Art. 91 ff. — Hess. Art. 118 ff. — Bad. Entw. §. 142 ff.

§. VII. Die mildernden Umstände.

Noch in dem Entwurfe von 1843. findet sich eine Reihe von Vorschriften über die Fälle, wo eine Milderung der Strafe unter das im Gesetz bestimmte Maß oder eine Schärfung über dasselbe hinaus eintreten darf. Zu den Milderungsgründen wird außer dem jugendlichen Alter (§. 112. und 113.) gerechnet: die Reue (§. 114.), Befehl oder Auftrag zur Verübung der Tat durch eine Respektsperson (§. 115.), Gewalt und Drohung, insofern sie die Zurechnung an sich nicht aufheben (§. 116.), und die Berücksichtigung des milderen ausländischen Gesetzes (§. 117.). Als Strafschärfungsgründe werden das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen (§. 118-22.) und der Rückfall (§. 123-26.) aufgeführt. — Der Entwurf von 1847. und das Gesetzbuch selbst sind von der Zusammenstellung solcher allgemeiner Milderungs- und Schärfungsgründe abgegangen. Was zunächst die letzteren betrifft, so kann auch in der Tat das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen gar nicht unter dem Gesichtspunkt der Strafschärfung aufgefasst werden, ja bei der s. g. idealen Konkurrenz sowohl wie bei der s. g. realen Konkurrenz tritt unter Umständen eher eine Strafmilderung ein; der Rückfall aber ist füglich in seiner selbständigen Bedeutung aufzufassen und zu behandeln, wenn auch da, wo er berücksichtigt wird, allerdings eine Erhöhung der ordentlichen Strafe stattfindet. Unter den angeführten Milderungsgründen übt nun das jugendliche Alter nach den Bestimmungen des Gesetzbuchs gegenwärtig einen verschiedenen Einfluss auf die Bestrafung aus, indem es, je nachdem Unterscheidungsvermögen angenommen wird oder nicht, die Strafe mildert oder ausschließt. Auf die milderen Bestimmungen auswärtiger Gesetze ist aber überhaupt keine Rücksicht mehr genommen worden, und Reue, Befehl und Gewalt oder Drohung, welche die Zurechnung nicht ausschließen, können wohl bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, aber eine eigentliche Strafmilderung zu rechtfertigen sind sie nicht geeignet. Es lässt sich hier allgemein anwenden, was in Beziehung auf den Befehl zur Verübung der Tat in einer amtlichen Schrift y) treffend bemerkt wird: Soweit sich solche Vorschriften nicht von selbst verstehen, können sie zu großen Missgriffen Veranlassung geben. Was damit gesagt werden soll, lässt sich nicht recht definieren, und was gesagt ist, hilft nicht weit.

Das Strafgesetzbuch enthält also außer den im vierten und fünften Titel des ersten Teils gegebenen Vorschriften keine allgemeinen Bestimmungen über diejenigen tatsächlichen Umstände, welche eine Erhöhung oder Verminderung der gesetzlichen Strafe zur Folge haben können. Was in dieser Hinsicht vorgesehen werden musste, um nicht durch zu starre Satzungen und überhaupt durch die Vernachlässigung der Individualität der besonderen Fälle gegen die höheren Anforderungen der strafenden Gerechtigkeit zu verstoßen, das ist in den besonderen Bestimmungen des zweiten Teils über die einzelnen Verbrechen und Vergehen ausgesprochen worden.