Kommunikation - Oliver Bidlo - E-Book

Kommunikation E-Book

Oliver Bidlo

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Beschreibung

Die vorliegende Einführung hat vor allen Dingen zwei Anliegen: Sie will eine echte Einführung für Studierende oder anderweitig Interessierte und Motivierte sein, die sich einen zügigen, aber gleichwohl fundierten Ein- und Überblick über ausgewählte Aspekte von Kommunikation verschaffen wollen. Es liegt in der Natur der Sache, dass es wesentlich mehr Punkte gibt, die man in dieser Einführung nicht findet, als man dezidiert vorfindet. Was man allerdings entdecken kann, und hierin liegt zugleich der Anspruch dieser Einführung, sind über die herkömmlich gelehrten und mitunter auch arg verstaubten Ansichten (z.B. Sender-Empfänger-Modell, "Man kann nicht nicht kommunizieren") hinausgehende Perspektiven. Dazu gehören insbesondere Ansätze, die das Verhältnis von digitaler und unmittelbarer Kommunikation problematisieren.

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Seitenzahl: 152

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Der Autor

Dr. Oliver Bidlo, Kommunikationswissenschaftler, Soziologe und Germanist, arbeitet als freier Forscher, Verleger, Autor und unterrichtet in den Bereichen Soziologie, Wissenschaftstheorie und Kommunikation an verschiedenen Hochschulen und Universitäten. Er ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, der Martin Buber-Gesellschaft sowie der Deutschen Tolkien Gesellschaft.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung, die über den Rahmen des Zitatrechtes bei vollständiger Quellenangabe hinausgeht, ist honorarpflichtig und bedarf der schriftlichen Genehmigung des Verlages.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Einleitung

Über Kommunikation

Vom Sender zum Empfänger und wieder zurück?

Alles ist Kommunikation, oder?

Von Ohren und Schnäbeln

Die Unwahrscheinlichkeit und Fallibilität der Kommunikation

5.1 Gerold Ungeheuer

5.2 Niklas Luhmann

5.3 Abschluss

Kommunikation als Interaktion zwischen den

Bühnen

Kommunikation als Dialog und Diskurs – Von der Dialogphilosophie zur Kommunikologie

7.1 Martin Bubers Dialogphilosophie

7.2 Vilém Flusser

7.2.1 Kommunikation und Existenz

7.2.2 Dialog und Diskurs

7.3 Synthese

Abschluss: Von analog zu digital

Literaturverzeichnis

Vorwort und Einleitung

Eine Einführung zu schreiben, die allein mit einem Begriff – hier der „Kommunikation“ – betitelt ist, mag auf der einen Seite ein Leichtes sein, findet doch gerade keine Ein- oder Abgrenzung statt und man kann nahezu alles beliebig einbeziehen. Zum anderen führt dies nahezu zu einem „Ding“ der Unmöglichkeit, finden sich doch schon allein bei einer oberflächlichen Suche und Betrachtung unzählige Attributionen von Kommunikation und entsprechende Internetseiten, die hier scheinbar erste Erklärungen anbieten, z.B. zur Krisenkommunikation, gewaltfreier, sozialer Kommunikation, Kommunikation in sozialen Feldern, Organisationen, zu Konflikten, mit Mitarbeitern, von Führungskräften usw. Und so wie sich die Felder aufspalten, in denen Kommunikation spezifiziert wird, so wird sie dann in unmittelbare, nonverbale, digitale, mediale und weiteren Ausprägungen unterschieden. Die je eigenen Wirkungen, Möglichkeiten und Grenzen dieser Kommunikationsformen werden aber meist nur sehr rudimentär besprochen und problematisiert. Häufig bleibt es bei einer groben Einteilung von mittelbarer und unmittelbarer Kommunikation. Darauf soll später eingegangen werden.

Die vorliegende Einführung hat nun vor allen Dingen zwei Anliegen: Sie will eine echte Einführung für Studierende oder anderweitig Interessierte und Motivierte sein, die sich einen zügigen, aber gleichwohl fundierten Ein-und Überblick über ausgewählte Aspekte von Kommunikation verschaffen wollen. Es liegt in der Natur der Sache, dass es wesentlich mehr Punkte gibt, die man in dieser Einführung nicht findet, als man dann dezidiert vorfindet. Was man allerdings entdecken kann, und hierin liegt zugleich ein bescheidener Anspruch dieser Einführung, sind über die herkömmlich gelehrten und mittlerweile auch mitunter arg verstaubten Ansichten z.B. eines Sender-Empfänger-Modells oder auch dem fast schon klassisch zu nennenden Axiom zur Kommunikation von Paul Watzlawick et al. „Man kann nicht nicht kommunizieren“ hinausgehende Perspektiven. Auch wenn die traditionellen Modelle ebenfalls einen Platz in dieser Einführung einnehmen werden – das Sender-Empfänger-Modell als negativ abgrenzendes Beispiel (vgl. Kapitel 2) und Watzlawicks et al. Vorstellung von Kommunikation (vgl. Kapitel 3) als Wegbereiter moderner Perspektiven auf Kommunikation –, so sollen darüber hinaus weitere wichtige Ansätze in den Fokus gestellt werden. Dabei werden die einzelnen Perspektiven auf Kommunikation auch in ihrer Reichweite und Funktion reflektiert. Darüber wird dann – so die Hoffnung und der appelative Impuls – deutlich, dass es kein „Schweizer Taschenmesser“ an Kommunikationstheorie gibt, mit dem alle Reichweiten und Formen von Kommunikation gleichermaßen anschaulich gemacht, analysiert und (z.B. im Sinne eines Theorie-Praxis-Transfers) problemlösend eingesetzt werden können.

Das – wenn man so will – Motiv für diese „Kommunikation. Einführung“ liegt zuvorderst in der eigenen Lehre begründet und dort in einem doch immer wieder irritierenden Umstand. Als Dozent an vielen verschiedenen Hochschulen und Universitäten, in zudem ganz unterschiedlichen Fächern wie Soziale Arbeit, Pflege und Gesundheit, Soziologie, Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Kommunikation, Organisationsentwicklung oder auch Kriminologie fielen mir zwei Sachen ins Auge. 1.) Nahezu alle Fächer hatten ein Modul, einen Modulteil oder ein Grundlagenseminar „Kommunikation“, in dem „Kommunikation“ als (Basis-)Kurs gelehrt wurde. Wenn dann 2.) in meinen Seminaren (dazugehörigen Hausarbeiten), die mal Soziologie, mal Wissenschaftstheorie, Kriminologie/Profiling, Propädeutik, Mitarbeiterbeteiligung oder empirische Sozialforschung umfassten, die Sprache auf „Kommunikation“ und Kommunikationsmodelle kam, kannten die Studierenden nahezu ausschließlich Formen und Varianten des Sender-Empfänger-Modells und hatten hier und dort natürlich noch etwas von Watzlawick oder von Schulz von Thun gehört. Besonders das heute in den Kommunikationswissenschaften nur noch negativ abgrenzende (und verstaubte) Sender-Empfänger-Modell von Shannon und Weaver war den allermeisten ein Begriff und wurde mitunter für die Beantwortung der ein oder anderen Frage in diesem Bereich immer wieder herangezogen. Problematisch ist das insofern, als die wesentlich wichtigeren und für den Menschen grundlegenderen Funktionen der Kommunikation wie Beziehungsaufbau, Identitätsentwicklung oder existentielle Anerkennung durch ein solches Sender-Empfänger-Modell erst gar nicht in den Blick kommen. Und gerade jene Aspekte sind es, die in den allermeisten o.g. Fächern und Fachbereichen wesentlich zentraler sind als die Frage nach einer „funktionierenden“ Informationsübertragung von Sender zum Empfänger.

So besitzt, zugegeben, diese Einführung in gewisser Hinsicht einen aufklärerischen Impuls, um den Lesern1 „neuere“ Modelle – und damit sind nicht immer zwangsläufig zeitlich neuere Ansätze zu verstehen, da die Ansätze z.B. von Goffman, Ungeheuer, Buber oder Luhmann selbst bereits als Klassiker bezeichnet werden (können) – anzuzeigen, die nicht nur anders sind, sondern Kommunikation besser beschreiben, analysier- und verstehbar machen. Denn auch der Wandel der Kommunikation z.B. zunehmend hin zu einer medial-digital vermittelten Form wirft alte, aber auch neue Fragen auf, die es heute in allen gesellschaftlichen Feldern zu beantworten gilt: Was ist der Unterschied zwischen analoger und digitaler Kommunikation, was macht Kommunikation mit uns? Welche Wirkung hat ein unmittelbares Gespräch im Vergleich zu digitalen Formen der Kommunikation, wie z.B. einem Videochat? So wird bereits an diesen heute gewöhnlichen Fragen deutlich, dass Kommunikation sich wandelt und das der Wandel von Kommunikation zumeist auch mit einem Medienwandel einhergeht. Auch wenn diese Einführung im Bereich der Kommunikation damit ein weiteres Feld öffnet – das der Medientheorie –, das hier kaum beschritten werden kann, so bilden die Medien der Kommunikation – die Sprache, der menschliche Körper, das Smartphone oder allgemein die digitalen Medien – unweigerlich Referenzpunkte, zumindest aber eine Hintergrundfolie, die es mitzudenken gilt.

Ob nun durch die disruptiven Veränderungen, die sich durch die Digitalisierung und Mediatisierung der Kommunikation und vor allem der Dynamisierung dieser Prozesse ergeben, ein Sender-Empfänger-Verständnis von Kommunikation revitalisiert wird, kann und soll hier im weiteren Verlauf des Bandes nicht konkret untersucht werden. Aber zweierlei ist in diesem Zusammenhang unerlässlich zu erwähnen: Zum einen hat die zunehmende Mediatisierung und Digitalisierung der Kommunikation zu qualitativen Veränderungen in der Kommunikation geführt und stellt überdies immer wieder die Frage: Was unterscheidet koleibliche face-to-face Kommunikation (also die Kommunikation unter physisch Anwesenden) von einer mediatisierten Form der Kommunikation (z.B. via Videochat)?

Zum anderen erweitert dies das Feld, über das zu sprechen ist, wenn von „Kommunikation“ gesprochen wird. Und von „Kommunikation“ wird in nahezu jedem geistes- und gesellschaftlichen Studiengang – wie erwähnt – entweder explizit beispielsweise über ein „Basismodul Kommunikation“ oder ein Grundlagenseminar „Kommunikation“ gesprochen oder es ist implizit Thema in Feldern der Organisationsentwicklung, des Marketings oder der (Konflikt-)Beratung. Kommunikation ist also studienrelevant und das nicht nur in praktischem Anspruch über Referate, Hausarbeiten, adäquat formulierte Mails oder weitere Formen, sondern überdies fachspezifisch, wenn es um Kommunikation mit Patienten, Kunden, Klienten, Projektpartnern, Schülern usw. geht.

Daher gibt es unterschiedliche Gründe, sich mit Kommunikation – auch im Studium und darüber hinaus – zu beschäftigen. Zum einen, weil Wissen über Kommunikation – über Begriffe, Modelle und Namen – unmittelbar prüfungsrelevantes Wissen darstellen kann. Zum anderen, weil solches Wissen ein Instrument der Analyse und Reflexion über Situationen im Alltag, Beruf oder Privaten sein kann und im Rahmen eines gelungenen Theorie-Praxis-Transfers auch sein sollte. Lose und beispielhaft sollen daher im Verlauf eines Kapitels Beispielsituationen beschrieben werden, wie mit den genannten Modellen und Theorien Kommunikationskonflikte oder Besonderheiten von Kommunikation erkannt und benannt werden können.

Kommunikation, und das soll an späterer Stelle thematisiert werden, ist sowohl die Lösung als auch das Problem.

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern das generische Maskulinum verwendet. Entsprechende Begriffe gelten grundsätzlich für alle Geschlechter.

1. Über Kommunikation

Kommunikation ist wichtig, so heißt es zumindest allenthalben. Aus diesem Grund gibt es die zuvor erwähnten Kommunikationsseminare oder Teilvorlesungen, die sich mit „Kommunikation“ auseinandersetzen. Warum aber gibt es diese genau? Gehen wir hier zunächst nochmals einen Schritt zurück. Kommunikation ist etwas, dass der Mensch nicht etwa erst in der Hochschule lernt, sondern ganz im Gegenteil mit der eigenen Bewusstwerdung, Eindrucks- und Ausdrucksfähigkeit beginnt. Man kann darüber streiten, ob ein Säugling schon kommuniziert (was sicherlich viele bejahen würden); nichtsdestotrotz stehen wir von Beginn an in Kommunikation, sind eingewoben in Sprache, stehen in einem Fluss von Zeichen und lernen Zug um Zug selbst Zeichen zu produzieren.

Zur Kommunikation gehört das (wechselseitige) Verstehen. Daher sind Menschen im Alltag immer auch Hermeneuten, betreiben Hermeneutik verstanden als die Kunst des Verstehens. Zeichen- und Symbolsysteme, in der Regel die Sprache, aber auch das gesamte nonverbale Kommunikationsrepertoire sowie auch weitere Symbolsysteme wie die Mode, das Schminken, Tätowierungen oder das Frisieren der Haare müssen „gelesen“ und verstanden werden. Dabei sind Zeichen und Symbole in der Regel nicht aus sich selbst heraus verstehbar, sondern besitzen eine Semantik, eine Bedeutungsebene, die der Einzelne von Geburt an fortlaufend über die Teilnahme an kommunikativen Situationen, der Wahrnehmung, Beobachtung solcher Situationen nach und nach erlernt. Es spinnt sich ein Bedeutungs- und Relevanzsystem, das dem Einzelnen als Referenzpunkt für das Verstehen dient. Er ist und wird immer mehr Teil einer Sprach-und Interaktionsgemeinschaft. Bedeutung ist dergestalt etwas, das nicht aus dem Nichts und vor allem nicht aus dem Einzelnen heraus wie aus einer Singularität entsteht, sondern zuvorderst auf der Grundlage der schon (vor)gegebenen Bedeutung, abgelegten Erfahrungen und einer über die Zeit sich ausbildenden Praxis entsteht. Die Sprache ist hier von der Perspektive vom Menschen, der in einer Gemeinschaft als Bedeutung erzeugendes Wesen eingefasst ist und darüber erst als Menschen zu bestimmen ist (anthropologische Perspektive).

Ein Beispiel für die kommunikative Konstruktion der Wirklichkeit und die Macht einer Sprach- und Interaktionsgemeinschaft kann man in dem Begriff „Ting/Thing“ erkennen. In dem Begriff zeigt sich das englische „Thing“ und das deutsche „Ding“. Ursprünglich allerdings entstammt das „Thing“ oder auch „Ting“ dem Altnordischen und Germanischen. Dort bezeichnete es eine Zusammenkunft, Rats-, Volks- oder Gerichtsversammlung oder Besprechung einer Gruppe, eines Dorfes, Verbundes oder Volkes. Im Thing wurden Aspekte, die die Gruppe bzw. Gemeinschaft betreffen, besprochen, abgewogen und mithin letztlich bedeutet. D.h. die Pläne, Ansichten und Deutungen von etwas wurden kommunikativ mit Bedeutung versehen.

Abbildung 1: Germanische Ratsversammlung – Relief der Marc-Aurel-Säule, Rom.

So lässt sich das „Ding“ im Deutschen (und im Englischen das „Thing“) als etwas verstehen, das noch nicht genau bestimmt ist, das noch nicht – durch ein Thing bzw. eine Sprach- und Interaktionsgemeinschaft – mit Bedeutung versehen und damit in den Wissenskanon der Gemeinschaft eingeordnet wurde. Es muss folgerichtig zunächst gemeinschaftlich kommunikativ geklärt bzw. semantisch aufgeladen und eingeordnet werden. Erst dann, so könnte man sagen, erhält das Ding eine Bezeichnung, unter der es dann intersubjektiv verstehbar wird. Umgekehrt ist das von Immanuel Kant so bezeichnete „Ding an sich“ – in dieser Hinsicht übrigens redundant – dann etwas, was zurückbleibt, wenn man alle subjektiven Zuschreibungen, Anhaftungen und Anschauungen abzieht.2 Auch wenn das „Ding“ heute eher auf die

kommunikative und informative Kompetenz des Sprechers verweist und weniger den tatsächlichen Kanon der Sprach- und Interaktionsgemeinschaft anzeigt, lässt sich an diesem Beispiel gut veranschaulichen, dass es die Menschen selbst sind, die den Dingen (und Sachverhalten) ihren Namen geben. Dabei erzeugen sie nicht selbst und in einem Akt der Neuschöpfung die Bedeutung. Es ist vielmehr ein Netz aus praktischen Handlungen und Interaktionen und dem soziohistorischen Kontext, aus dem sich Begriffe und Bezeichnungen bilden, stabilisieren und im Rahmen der Prozesse sozialen Wandels auch verändern. Die Bedeutung als Ausdruck der Semantik stellt eine Seite von Kommunikation dar, eine weitere Seite handelt von der Situation, von der Form der Kommunikation.

So wurde und wird kommunikationshistorisch zwischen leiblich ko-präsenter face-to-face Kommunikation – sprich die Kommunikation unter physisch anwesenden Personen –, die als ursprüngliche Kommunikationssituation aufgefasst wird, und medienvermittelter Kommunikation unterschieden. Mit dem Aufkommen und der Etablierung der neuen Medien, die auch physisch immer näher an den menschlichen Körper heranrückten,3 wandelte sich auch das Verständnis dessen, was unter sozialer Kommunikation verstanden wurde. Auch wenn der Mensch schon spätestens seit der Etablierung eines Post-und später eines Telefonsystems die Möglichkeit hatte, mit nicht Anwesenden zu kommunizieren, war (und ist noch immer) die leiblich ko-präsente Kommunikation die paradigmatische Form der sozialen Kommunikation. Dies musste in früherer Zeit kaum betont werden, da die Menschen trotz der Nutzung von Telefon, Zeitung und selbst des Fernsehers in der Regel unmittelbar miteinander kommunizierten.

Menschen sprachen z.B. mit anderen anwesenden Menschen und in diesem Zusammenhang wurde dann von kommunikationstheoretischer Seite immer auch die Vielfalt der Kommunikationskanäle betont: Verbale wie nonverbale Kommunikation, Gestik und Mimik, all dies war und ist in unmittelbarer sozialer Kommunikation enthalten und wirksam. Nicht selten wird daher in diesen unmittelbaren Formen der Kommunikation der Begriff des Authentischen aufgeworfen. Authentizität, die Echtheit und Wahrhaftigkeit einer Person und des von ihr Gesagten ist rückgekoppelt an den Körper, der letztlich Träger, Produzent sowie Rezipient von Kommunikation ist. Als Gegenbegriff hatte sich im 20. Jahrhundert der Begriff der Massen(medien)kommunikation, aber auch die aufkommende Mensch-Maschine-Kommunikation (Interaktion) und Kybernetik etabliert. In diesem weiten Feld der Massenmedienkommunikation wurden – auch vor dem Hintergrund z.B. der Propagandaforschung – das Radio und das Fernsehen als Massenmedien behandelt.4

In diesem Kontext wurde in der Regel nicht von sozialer Kommunikation gesprochen und man musste dies auch nicht, da einsichtig war, dass diese Formen der Kommunikation anders als unmittelbare face-to-face-Kommunikation abliefen. Es gab keinen Feedback-Kanal oder aber – bei der Mensch-Maschine-Kommunikation – keinen ‚wirklichen‘ Gesprächspartner (vgl. Bidlo 2018b: 173 ff.). Unter sozialer Kommunikation wurde daher zwar nicht immer explizit, so doch implizit die unmittelbare Kommunikation verstanden, die leiblich ko-präsente Form von Kommunikation. Nun ist diese Betrachtung insofern wichtig, weil ein solcher Blick auf Kommunikation diese eben nicht nur als eine reine Informationsübertragungstechnik versteht – das wird die wiederkehrende Kritik am Sender-Empfänger-Modell (vgl. Kapitel 2) sein –, sondern ein Mehr darin sieht. Zunächst klassisch für ein rein informationstechnisches Verständnis von Kommunikation ist das Modell von Shannon und Weaver (s. ausführlicher Kapitel 2), d.h. ein Sender-Empfängerbzw. Transportmodell von Kommunikation. Ein Sender übermittelt eine Nachricht zu einem Empfänger, dafür wird die Nachricht kodiert über einen Kanal übertragen und später vom Empfänger dekodiert, der dann die Nachricht erhält bzw. vorliegen hat. Schnell wurde ein solches Kommunikationsmodell erweitert bzw. auch dahingehend kritisiert, dass Kommunikation doch mehr sei als nur Nachrichtenübertragung. Zunächst müssen die Menschen, die miteinander kommunizieren einander intentional, also absichtsvoll zugewandt sein. Kommunikation dient jedoch nicht nur der reinen Informationsübermittlung, sondern besitzt ein oben angedeutetes Mehr, dient z.B. auch dem Identitätsaufbau (z.B. Mead 1993, Flusser 2002, 2003), des Absicherns von wechselseitigem Verständnis, der Selbstverwirklichung und letztlich der wechselseitigen Anerkennung (Resonanz) des Menschen als Menschen. In dieser Sichtweise auf Kommunikation ist sie für den Menschen eine grundsätzliche Handlung, die den Menschen erst zu dem macht oder werden lässt, was er ist. Der Mensch kommuniziert, um sich seiner Existenz zu vergewissern, ja um seine menschliche Existenz erst einmal zu begründen.5 In der Dialogphilosophie Martin Bubers wird der Mensch erst zu einem Menschen in einem echten Dialog mit einem anderen Menschen. Und es versteht sich nahezu von selbst, dass Buber hier die Unmittelbarkeit u.a. als vorauszusetzenden Rahmen einfordert (Buber 1962). Karl Jaspers spricht sogar von existentieller Kommunikation (Jaspers 1956). Denn menschliche Existenz ist auf den anderen gerichtet, daher ist Kommunikation das Greifen nach dem Anderen in seiner Ganzheit. Diese existentielle Kommunikation ist Daseinskommunikation, in der man erst das eigene Sein mit dem Anderen hervorbringt. Jaspers schreibt zur existentiellen Kommunikation.

„Existentielle Kommunikation ist nicht vorzumachen und nicht nachzumachen, sondern schlechthin in ihrer jeweiligen Einmaligkeit. Sie ist zwischen zwei Selbst, die nur diese und nicht Repräsentanten, darum nicht vertretbar sind. Das Selbst hat seine Gewißheit in dieser Kommunikation als der absolut geschichtlichen, von außen unerkennbaren. Allein in ihr ist das Selbst für das Selbst in gegenseitiger Schöpfung. In geschichtlicher Entscheidung hat es durch Bindung an sie sein Selbstsein als isoliertes Ichsein aufgehoben, um das Selbstsein in Kommunikation zu ergreifen“ (Jaspers 1956: 51, Herv. i. Org.).

Die oben angesprochene Ganzheit des Eigenen und Anderen findet sich zuvorderst in der unmittelbaren Begegnung. Soziale Kommunikation impliziert daher genau das: Die Anwesenheit der Kommunikationspartner, zumindest aber wird die Kommunikation unter Anwesenden als höher oder „wertvoller“ verstanden, eben als echte, authentische Kommunikation angesehen.

Der Soziologe Alfred Schütz hat die face-to-face Situation ebenfalls als die soziale Situation gekennzeichnet, in der zwei Menschen, wie er es nennt, ihre Bewusstseinsströme parallelisieren können:

„Ich erfahre einen anderen Menschen unmittelbar nur dann, wenn er mit mir einen gemeinsamen Sektor des lebensweltlichen Raums und der Weltzeit teilt. Nur dann erscheint mir der andere in seiner Leiblichkeit: sein Körper ist für mich ein wahrnehmbares und auslegbares Ausdrucksfeld, das mir sein bewußtes Leben erschließt. Nur dann ist es mir möglich, daß mein Bewußtseinsstrom und sein Bewußtseinsstrom in echter Gleichzeitigkeit verlaufen können: er und ich altern zusammen. Die Begegnung (face-to-face situation) ist die einzige soziale Situation, die durch zeitliche und räumliche Unmittelbarkeit gekennzeichnet ist. Sowohl der Stil als auch die Struktur der sozialen Beziehungen und Handlungen, die in dieser Situation stattfinden, sind dadurch wesentlich bestimmt“ (Schütz und Luckmann 1994: 90-91).

In den 1950er und anschließenden Jahren erlebte nun die Reflexion über Medienkommunikation, ihre Funktion und Reichweite eine Hochphase und verdichtete sich zu einer Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse. Die beiden von Prokop (1972 und 1973) herausgegebenen Sammelbände „Massenkommunikationsforschung: 1. Produktion“ und „Massenkommunikationsforschung: 2. Konsumtion“ können hier beispielhaft genannt werden. Sie vereinen eine Vielzahl von Beiträgen, die sich dem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Habermas 1990) zuwenden und darüber gesellschaftliche Veränderungen, Machtkonzentrationen und den Einfluss der Massenmedien auf die Rezipienten ausweisen. In einem direkten Zusammenhang stehen hier der Ende der 1970er Jahre angestoßene Bürgerfunk und die offenen Kanäle, in denen Bürger „Medien“ machen usw. Die medienpädagogische Idee dahinter war zum einen, den Menschen einen Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen und über das praktische Tun Kenntnisse über die (produktive wie rezeptive) Wirkungsweise zu vermitteln. Zum anderen ermöglichte ein solcher Bürgerrundfunk eine lokale und regionale Partizipation der Bürger an der Meinungsbildung.