Kompetent mit Spannungen und Krisen in der therapeutischen Beziehung umgehen - Antje Gumz - E-Book

Kompetent mit Spannungen und Krisen in der therapeutischen Beziehung umgehen E-Book

Antje Gumz

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Beschreibung

Spannungen und Krisen in der therapeutischen Beziehung ("alliance ruptures") ereignen sich zwangsläufig im Verlauf jeder Psychotherapie und sind Anzeichen einer Verstrickung in schwierige Interaktionsmuster. Sie bieten die Chance für eine korrektive emotionale Erfahrung, bergen gleichzeitig aber ein hohes Risiko für vorzeitige Therapieabbrüche und schlechte Therapieergebnisse. Therapeuten und Therapeutinnen gelingt es oft nicht ausreichend, konstruktiv mit der Verstrickung umzugehen. Antje Gumz skizziert Konzepte und Forschungsbefunde, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Thematik beziehen. Sie beschreibt hilfreiche Techniken und innovative didaktische Methoden wie das allianzfokussierte Training und einen Test zum Messen interpersoneller Fähigkeiten von Therapeuten. Fallbeispiele veranschaulichen die Inhalte.

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Herausgegeben von

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Antje Gumz

Kompetent mit Spannungen und Krisen in der therapeutischen Beziehung umgehen

Techniken und didaktische Konzepte

Mit 2 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Paul Klee, Abstraktes Ballett, 1937/akg-images

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2566-6401

ISBN 978-3-647-99958-6

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1 Vorbemerkung

2 Die therapeutische Beziehung – Theorien und Befunde

2.1 Übertragung, Gegenübertragung, projektive Identifizierung

2.2 Szenisches Verstehen

2.3 Repetitive Beziehungsmuster – warum wird übertragen?

2.4 Therapeutische Allianz und Realbeziehung

2.5 Spannungen und Krisen in der Therapiebeziehung (Alliance Ruptures)

2.6 Quantitative und qualitative Forschungen zur Therapiebeziehung

2.7 Fazit

3 Techniken für den Umgang mit Spannungen und Krisen in der Therapiebeziehung

3.1 Eine gute Basis schaffen

3.2 Eine achtsame Beobachterposition einnehmen

3.3 Eine Spannung oder Krise wahrnehmen

3.4 In die Metakommunikation einsteigen

3.5 Generelle Haltungen und Techniken

3.6 Was ist eine gute Übertragungsdeutung?

4 Didaktische Konzepte

4.1 Interpersonelle Fähigkeiten von Psychotherapeuten

4.2 Zeitgemäße Lehrformate

5 Fallbeispiele

5.1 Herr Kranz: »Da haben Sie ganz recht, Frau Doktor!« Eine von übergroßem Respekt gekennzeichnete Übertragungsbeziehung

5.2 Frau Aron: »Wenn ich Sie anstecke, bin ich doch schuld.« Das Thematisieren der Ausfallhonorarregelung als Trigger für eine negative Mutterübertragung

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten und Patientinnen hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich die Leserin, der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Spannungen und Krisen in der therapeutischen Beziehung stellen im Therapieprozess eine besondere Herausforderung dar. Sie können Anlass zur Vertiefung positiver emotionaler Erfahrungen sein, wenn sie Klärungen und Lösungen erlauben, sie können aber auch zu Therapieabbrüchen und emotionalen Verhärtungen führen. Die therapeutische Beziehung stellt in der psychodynamischen Therapie ein »kuratives Mittel« dar – ein fundamentales Agens und Movens. Die Arbeit an repetitiven Beziehungsmustern – den Übertragungs-Gegenübertragungs-Konstellationen – baut auf einer Reihe von Erklärungsmodellen auf, die schließlich ein szenisches Verstehen erlauben. Die Autorin gibt einen weiten Überblick über die wichtigsten Modelle, die spezifische interpersonelle Inszenierungen verständlich machen. Auch der realen therapeutischen Beziehung wird eine bedeutsame Rolle zugewiesen. Kritische Situationen im Therapieprozess mit abrupten Verschlechterungen der therapeutischen Allianz (»Alliance Ruptures«) können durchaus Ausgangspunkte von Veränderungen im positiven Sinne darstellen. Ausgehend von dem vierphasigen Modell zur Auflösung solcher Erschütterungen der Beziehung nach Safran und Muran entstand nicht nur ein Therapieverfahren, sondern auch ein Trainingsverfahren für Therapeutinnen und Therapeuten zur Fokussierung der Alliance Ruptures. Für die Wirksamkeit der therapeutischen Beziehung und ihrer Belastbarkeit durch kurzfristige Verschlechterungen angesichts aktualisierter negativer Beziehungsmuster sprechen vielfache quantitative und qualitative Forschungsergebnisse. Es gibt unterschiedliche Perspektiven auf die therapeutische Beziehung, aber nur eine haltgebende, sichere Basis, einen sicheren Beziehungsort, an dem schwierige Beziehungsmuster durchlebt werden können und ein Beziehungsneuanfang ermöglicht wird.

Die Autorin gibt aus reicher klinischer Erfahrung technische Hinweise, wie die therapeutische Beziehung achtsam gestaltet werden kann. Spannungen und Krisen müssen wahrgenommen werden, kritische Momente lassen sich nicht durch spezifische Interventionen, sondern nur durch klare und authentische Haltungen meistern. Das Thematisieren der gemeinsam erlebten Beziehung kann eine korrektive zwischenmenschliche Erfahrung vermitteln. Die Betonung liegt dabei auf dem Hier und Jetzt und nicht auf dem Verweis auf vergangene, möglicherweise missglückte Beziehungen.

Ein Kapitel bezieht sich auf die Frage, wie interpersonelle Fähigkeiten den Therapiekandidaten und -kandidatinnen vermittelt werden können. Hilfreiche Präsenz kann erlernt und verbessert werden. Dazu gibt es zeitgemäße Lehrformate unter Einbeziehung von Videotechnik und Supervision. Eindrückliche Fallbeispiele beschließen das Buch, in dem es der Autorin erfolgreich gelingt, klassisches psychodynamisches Wissen mit modernen Konzepten sowie innovativen Forschungs- und Lehrmethoden zu verbinden.

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

1 Vorbemerkung

Spannungen oder mehr oder weniger ausgeprägte Krisen in der therapeutischen Beziehung ereignen sich häufig und zwangsläufig. Sie sind Momente besonderer Herausforderung, in denen Therapeutinnen und Therapeuten emotional besonders involviert sind. Ihre Auflösung kann eine korrektive emotionale Erfahrung ermöglichen. Sie bergen aber auch ein hohes Risiko für vorzeitige Therapieabbrüche und schlechte Therapieergebnisse.

Bevor Sie mit dem Lesen des Buches beginnen, möchte ich Sie einladen, sich eine kleinere Spannung oder größere Krise, die Sie selbst in einer Therapiesituation erlebt haben, vor Augen zu führen. Wenn Sie mögen, wählen Sie eine für Sie besonders herausfordernde oder emotional belastende Situation mit einer Patientin oder einem Patienten aus, die Ihnen spontan in den Sinn kommt. Wie fühlten Sie sich in dieser Situation? Gab es einen oder mehrere Auslöser, an die Sie sich erinnern? Was war Ihr Beitrag an der Entstehung der Spannung oder Krise? Wie sind Sie damit umgegangen? Mit welchen Haltungen und Techniken haben Sie gearbeitet? Welche theoretischen Perspektiven haben Sie dabei begleitet, worauf konnten Sie zurückgreifen? Mündete die Situation in eine Sackgasse oder einen Therapieabbruch oder war die Krise eher nützlich für den Therapiefortschritt?

In den folgenden Kapiteln skizziere ich Konzepte, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven auf die therapeutische Beziehung und auf das Entstehen und die Auflösung von Spannungen und Krisen in der therapeutischen Beziehung beziehen. Ich beschreibe viele parallel verwendete Begrifflichkeiten unseres Fachs, ausgehend von Freuds Begriff der Übertragung (1912/2000) bis hin zum Begriff der Alliance Ruptures von Safran und Muran (1996), welcher seit zwei Jahrzehnten therapiemethodenunabhängig zunehmend verwendet wird. Ich versuche, die Begrifflichkeiten ein wenig zu vergleichen und zu ordnen und gebe einen Überblick über ausgewählte Forschungsbefunde. Im dritten Kapitel beschreibe ich Techniken, die für den Umgang mit Spannungen und Krisen in der Therapiebeziehung hilfreich sein können. Schließlich gehe ich im vierten Kapitel auf moderne didaktische Konzepte ein, besonders auf die Arbeit mit Videoaufzeichnungen und Rollenspielen. Ich beschreibe eine Methode, interpersonelle Fähigkeiten von Therapeuten zu messen, sowie eine Trainingsmethode für den Umgang mit Spannungen und Krisen in der Therapiebeziehung, das allianzfokussierte Training. Im fünften Kapitel veranschauliche ich die Inhalte anhand von zwei Fallbeispielen. Vielleicht können Sie Ihr eigenes Fallbeispiel dazu nutzen, das Gelesene mit Ihren eigenen Erfahrungen abzugleichen und um Ihre Ideen zur ergänzen.

Für angehende und auch erfahrenere Psychotherapeuten ist es unerlässlich, Fähigkeiten zu üben und auszubauen, die zu einem gelingenden Umgang mit Krisen in der Therapiebeziehung beitragen. Mich begleitet das Thema »Spannungen und Krisen in der Therapiebeziehung« nicht nur seit Beginn meiner Ausbildung als Therapeutin, sondern seit vielen Jahren auch als psychodynamische Psychotherapieforscherin und in der Lehre und Supervision.

Die Arbeit mit der Übertragung und Gegenübertragung ist das Herzstück der psychodynamischen Therapiemethoden. Unter dem Begriff »psychodynamische Psychotherapie« fasse ich, Hofmanns (2000) Vorschlag folgend, alle therapeutischen Vorgehensweisen zusammen, die sich aus psychoanalytischen Wurzeln entwickelt haben, wie die analytische und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und deren methodische Varianten. Ein Großteil meiner Forschungen und damit nachfolgender Gedanken stammt aus meiner praktischen Arbeit, und hier speziell auch aus der Arbeit mit Videoaufzeichnungen. Ich habe die Arbeit mit Videoaufnahmen von Therapiesitzungen zur Schulung der diagnostischen und therapeutischen Fähigkeiten im Umgang mit der Übertragung und Gegenübertragung kennen- und sehr schätzen gelernt. Ich komme darauf im vierten Kapitel zurück. Ich hoffe, dass Ihnen das Büchlein Anregung für Ihre Arbeit geben kann, und wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.

2 Die therapeutische Beziehung – Theorien und Befunde

Seelische Heilung ist nur über Bezogenheit möglich, also darüber, dass wir in Beziehung treten. In allen Therapiemethoden gilt eine gute therapeutische Beziehung als notwendige Basis für eine effektive Arbeit. In der Frage jedoch, was genau eine gute therapeutische Beziehung ist und wie diese hergestellt werden kann, gibt es keinen wissenschaftlichen und klinischen Konsens. Die Begriffsdefinitionen und so auch die Operationalisierungen sind uneinheitlich. Der entscheidende Unterschied der therapeutischen Verfahren liegt in der Antwort auf die Frage, ob die therapeutische Beziehung primär als eine stabile Größe aufgefasst wird, die die Basis der therapeutischen Arbeit bildet, oder aber als veränderliche Größe, die Inhalt der therapeutischen Arbeit ist. In den psychodynamischen Verfahren und in der Gesprächspsychotherapie ist die therapeutische Beziehung seit jeher ein wesentliches Agens, also ein kuratives Mittel.

In den folgenden Abschnitten skizziere ich einige theoretische Perspektiven, auf die ich beim praktischen Umgang mit Spannungen und Krisen in der Therapiebeziehung und auch in der Lehre sehr gern zurückgreife.

2.1 Übertragung, Gegenübertragung, projektive Identifizierung

Für psychodynamische Verfahren ist die Arbeit an Übertragungs-Gegenübertragungs-Konstellationen spezifisch. Die Begriffe »Übertragung« und »Gegenübertragung« stehen dafür, dass die therapeutische Beziehung zum Inhalt der therapeutischen Arbeit wird. Übertragung meint, dass Wünsche, Befürchtungen, Affekte, Denk- und Verhaltensmuster, die durch Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen der Kindheit entwickelt wurden und ursprünglich den früheren Bezugspersonen galten, in gegenwärtigen Beziehungen – und so auch in der therapeutischen Beziehung – aktualisiert werden (Freud, 1912/2000). In der Übertragungsbeziehung werden sie damit direkt erlebbar und können bearbeitet werden.

Moderne Übertragungskonzepte gehen davon aus, dass sich die Vergangenheit des Patienten nicht unabhängig vom Therapeuten aktualisiert, sondern dass wir als Therapeutinnen und Therapeuten in das aktuelle Beziehungsgeschehen – und so auch in schwierige Beziehungsmuster – unmittelbar involviert und verstrickt werden. Wir werden also – unwillkürlich und zwangsläufig – Teil eines für die jeweilige Dyade spezifischen Beziehungsmusters (Gumz, Villmann, Bergmann u. Geyer, 2008).

Mit Gegenübertragung meinen die meisten Therapeuten heute die emotionale Antwort des Therapeuten auf die Übertragung des Patienten. Gegenübertragung zeigt sich in Stimmungen, Fantasien, Mimik, Handlungen und anderen Phänomenen, entweder analog zum Inhalt der Übertragung oder als Gegenübertragungswiderstand zur Abwehr der Wahrnehmung von Übertragung oder Gegenübertragung. Man kann zwischen komplementärer (Identifikation mit den Objekten des Patienten) und konkordanter (Identifikation mit Selbstanteilen des Patienten) Gegenübertragung unterscheiden (Racker, 1959; siehe Fallbeispiele, Abschnitte 5.1, 5.2).

Diese Definition der Gegenübertragung existierte in der Vergangenheit noch nicht (Körner, 2018). Etwa bis 1945 versuchten die Analytiker und Analytikerinnen jener Zeit, ihre Gegenübertragung zu kontrollieren. Die Gegenübertragung galt als Übertragungsreaktion des Analytikers, als neurotische Reaktionsbereitschaft und damit als Störvariable, die tunlichst aus der therapeutischen Beziehung fernzuhalten sei. Für diese Übertragungsreaktionen der Therapeuten – also für all das, was Therapeuten unweigerlich als Wiederholung ihrer früheren Beziehungserfahrungen und aktuellen Lebenslage in die therapeutische Beziehung einbringen – wird heute häufig der Begriff »Eigenübertragung« verwendet (Bettighofer, 2020).