Komplizierte Trauer - Hansjörg Znoj - E-Book

Komplizierte Trauer E-Book

Hansjörg Znoj

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Beschreibung

Der Verlust einer nahestehenden Person oder eines Intimpartners hat unmittelbar starke Auswirkungen auf die Lebensumstände. Er fordert eine hohe Anpassungsleistung und kann zu einer chronischen psychischen Störung führen. Andererseits verkomplizieren bereits existierende Probleme den Trauerprozess und können die bestehenden Störungen intensivieren. Der Band fasst die wichtigsten Befunde der Trauerforschung zusammen und erläutert das Vorgehen bei der Therapie einer komplizierten Trauerreaktion. Dieser Leitfaden richtet sich primär an Therapeuten und andere Fachkräfte, die mit trauernden Menschen konfrontiert werden. Er erläutert anhand von Beispielen das klärungs- und bewältigungs- orientierte Vorgehen. Zudem geht er auf die Bedeutung der Ressourcen- und Problemaktivierung ein, um die mit dem Verlust verbundenen Gefühle verarbeiten zu können. Die Neuauflage des Bandes greift aktuelle Forschungsergebnisse auf und berücksichtigt die neuen Diagnosemöglichkeiten beim Vorliegen einer komplizierten Trauer. Praxisorientiert wird aufgezeigt, wie die Behandlung von begleitenden Symptomen individuell angepasst und die Unterstützung bei der Verarbeitung des schweren Verlustes erfolgen kann.

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Hansjörg Znoj

Komplizierte Trauer

2., überarbeitete Auflage

Fortschritte der Psychotherapie

Band 23

Komplizierte Trauer

Prof. Dr. Hansjörg Znoj

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief

Begründer der Reihe:

Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

Prof. Dr. Hansjörg Znoj, geb. 1957. 1980–1987 Studium der Klinischen Psychologie in Bern. 1992 Promotion. 1993–1996 Forschungsaufenthalt an der University of California, San Francisco. Ausbildung in strategischer Kurzzeittherapie und systemischer Beratung am Mental Research Institute MRI, Palo Alto. 2001 Habilitation. 2002–2006 Assistenz-Professor an der Universität Bern. Seit 2006 a. o. Professor für Klinische Psychologie und Mitdirektor des Instituts für Psychologie an der Universität Bern. Forschungsschwerpunkte: Verarbeitung schwerer Lebensereignisse, Folgen chronischer Erkrankungen, Psychotherapieprozessforschung, Verarbeitung von sozialen Verlusten.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Tel.: +49 551 99950 0

Fax: +49 551 99950 111

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Internet: www.hogrefe.de

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

2., überarbeitete Auflage 2016

© 2004 und 2016 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2720-1; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2720-2)

ISBN 978-3-8017-2720-8

http://doi.org/10.1026/02720-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

1 Beschreibung von Trauerformen

1.1 Die Trauerreaktion

1.2 Definition der Trauerreaktion

Annahmen und Mythen

1.2.1 Erklärungsmodelle der Trauer

1.3 Die komplizierte Trauerreaktion

1.3.1 Diagnose

1.3.2 Epidemiologische Daten

1.4 Verlauf und Prognose

1.5 Differenzialdiagnostische Aspekte

Abgrenzung zu affektiven Störungen

Abgrenzungen zu posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS)

Abgrenzungen zu anderen Angststörungen

1.6 Komorbidität

Posttraumatische Belastungsstörung

Depression

Andere Angststörungen

Substanzmissbrauch

Suizid und andere Risiken

Schizophrenie

1.7 Diagnostische Verfahren und Dokumentationshilfen

2 Störungstheorien und Störungsmodell

2.1 Funktion der verstorbenen Person für das Individuum

2.1.1 Verlust des Lebenspartners

2.1.2 Verlust eines Kindes

2.1.3 Verlust von einem (oder von beiden) Elternteil(en)

2.1.4 Andere Verluste (Trennungen, Scheidungen, materielle Güter)

2.2 Der normale Verlauf der Trauer und Trauerverarbeitung

2.3 Die Trauerarbeit beeinträchtigende Faktoren

Kontrollüberzeugungen

Dysfunktionale Gedanken

Rumination

Mangelnde soziale Unterstützung, Verstärkerverlust

Inhibitorische Prozesse (Verdrängung, Verleugnung, Vermeidung)

2.4 Entstehung der komplizierten Trauer

2.5 Das Aufschaukelungsmodell der komplizierten Trauer

2.6 Symptome der komplizierten Trauer

3 Diagnostik und Intervention

3.1 Erstgespräch

3.2 Differenzialdiagnose

3.3 Problemanalyse und weitere diagnostische Maßnahmen

3.3.1 Problemanalyse

3.3.2 Klinische Fragebögen

3.3.3 Tagebücher

3.3.4 Plan- und Schemaanalyse

3.5 Indikation

Komorbidität von Depression

Komorbidität von posttraumatischen Belastungsstörungen

4 Behandlung und therapeutische Unterstützung

Beziehungsgestaltung

4.1 Behandlungsmethoden

4.1.1 Klärungsorientierte Vorgehensweise

4.1.2 Bewältigungsorientierte Vorgehensweise

4.1.3 Ressourcenaktivierung

4.1.4 Problemaktivierung

4.2 Wirkungsweise der Methoden

Wirksamkeit von trauerspezifischen Interventionen

Effektivität der Therapie für komplizierte Trauer

Klärende Interventionen

Metaanalysen

4.3 Effektivität und Prognose

4.4 Therapieplanung

4.5 Durchführung der Therapie

Allgemeine Prinzipien des therapeutischen Vorgehens

5 Erfolgskriterien und mögliche Entwicklungen

5.1 Persönliches Wachstum

Transformation und Entwicklung

Emotionale Stabilisierung

Reaktivierung gesellschaftlicher und persönlicher Normen

5.2 Spiritualität und religiöse Gefühle

6 Weiterführende Literatur

7 Literatur

Anhang

Beratungsangebote und Selbsthilfegruppen

Karte: Leitfaden für das Erstgespräch

|1|Einführung

Fallbeispiel: 49-jährige Mutter (geschieden und berufstätig)

Es ist ein Riesenunterschied zur Zeit der Krankheit und des Todes meiner Tochter und zu heute. Die erste Zeit war der Schmerz alles beherrschend. So groß, dass der Körper eine einzige, große, schmerzende Wunde war und die Gefühle und Gedanken darin gefangen waren. Man martert sich selber mit dem einen Wort „WARUM“. (Habe heute begriffen, dass es darauf nie eine Antwort geben wird). Dazu kommt die große Frage, ob nicht eine andere Heilungsmethode Erfolg gehabt hätte. Diese Frage geistert auch heute noch manchmal in meinem Kopf herum.

Dann kam der Tag, wo ich merkte, dass die Beziehung zu meinem Sohn an einem gefährlichen Punkt angekommen war und dass er dringend Hilfe brauchte, genau wie ich. Das war der erste Schritt in unser heutiges Leben. Ich holte Hilfe bei meinem Hausarzt und ganz langsam kam ich von weit unten, Schritt für Schritt ans Licht. Ich merkte wieder, dass andere Leute auch Sorgen hatten, konnte endlich meinem Sohn helfen, seine Trauerarbeit zu beginnen und plötzlich konnten wir zusammen weinen, lachen usw. Das Leben hatte uns wieder; bewusster, zufriedener, glücklicher (mit weniger Forderungen).

Den Tod meiner Tochter empfinde ich heute noch als unfair und gemein, doch ich bin auch dankbar für die Zeit, die wir zusammen hatten. Sieben Jahre haben wir genossen, gelitten, gehofft und in dieser Zeit für unser Leben viel gelernt, durch die Krankheit meiner Tochter. Sie bleibt eine großartige Erinnerung von 0 bis 7 Jahre. Ich fühle sie und spüre sie noch heute, doch sieben Jahre Distanz bedeutet „entfremden“ und auch das ist sehr schmerzlich.

Ich schreibe in der Ich-Form, da ich nur für mich sprechen kann, denn jeder Verlust wird anders empfunden. Trauer und Freude ist so vielfältig, wie es Menschen auf der Erde gibt!

Bei diesen vielen Fragen und während diesem Schreiben ist mein Körper wieder voll am flimmern und die Tränen bahnen sich auch ihren Weg. Traurig, dass es immer noch weh tut? Nein – nur erstaunt, dass die Verarbeitung nie aufhört und wir in dunklen Momenten immer mit Schicksalsschlägen hadern werden und das wird, so lange wir leben, so sein.

Die zweite Auflage dieses Leitfadens trägt den Entwicklungen in den letzten 10 Jahren Rechnung. Trauer und Trauerreaktionen wurden in der Wissenschaft stärker als zuvor beforscht und debattiert, es wurden zahlreiche |2|Forschungsergebnisse besonders für komplizierte oder prolongierte Formen der Trauer publiziert und in der jüngsten Revision des DSM (Diagnostic Statistical Manual) der APA (American Psychiatric Association, 2013) wurde die prolongierte Trauer als Diagnose zwar nicht aufgenommen, aber immerhin hinsichtlich ihrer Kriterien als Zustand, der weiterer Studien bedarf, unter dem Begriff „Persistent Complex Bereavement Disorder“ eingeordnet. Damit wurde einerseits anerkannt, dass es in der Folge eines Verlustes zu psychischen Störungen kommen kann, andererseits wollte man offensichtlich die Trauer und ihre Reaktionsformen nicht pathologisieren.

Dieser Leitfaden richtet sich an Fachleute aus dem Gesundheitsbereich, die mit trauernden Menschen konfrontiert sind und Kriterien benötigen, die für oder gegen eine Therapie sprechen. Der Leitfaden soll die notwendigen therapeutischen Hilfsmittel bereit stellen, damit eine Therapie, falls notwendig, gelingen kann.

Obwohl es nur in seltenen Fällen notwendig ist, Trauerreaktionen therapeutisch zu begleiten oder Folgen eines menschlichen Verlustes psychologisch heilend zu behandeln, besteht ein großer Bedarf an Information. Übersichten zur Forschung auf dem Gebiet der Trauer zeigen die Komplexität des Themas auf und zugleich räumte die Forschung mit althergebrachten Vorstellungen auf, die im Zusammenhang mit der Verarbeitung einer Trauer genannt wurden (Stroebe, Hansson, Stroebe & Schut, 2001). Der vorliegende Band versucht, die wichtigsten Befunde der Trauerforschung praxisnah zu vermitteln. Die vielen Facetten und Formen der menschlichen Trauer erfordern ein individualisiertes und zugleich empirisch abgestütztes therapeutisches Vorgehen. Gefordert ist zudem eine starke Sensibilität für die Bedürfnisse trauernder Menschen, welche sich Hilfe suchend an Fachkräfte wenden. Das Trauern selbst ist keine „Krankheit“, sondern ein natürlicher Vorgang, der neben großer Belastung auch positive Erfahrungen zulässt. Der Tod eines nahestehenden Menschen ist das einzige kritische Lebensereignis, für welches ein angeborenes Bewältigungsformat besteht. Trauern (zu können) ist zugleich Ausdruck des Verlustes wie auch die Bewältigung desselben. Es ist zu hoffen und aktiv zu fördern, dass Trauernde, die unter der hohen psychischen Belastung zu zerbrechen drohen, auch die Lebenskraft erleben können, die auf eine Zeit der Trauer folgt. Der Verlust einer nahestehenden Person oder eines Intimpartners verlangt eine hohe Anpassungsleistung. Langfristig wirkt sich dies weniger gravierend aus, als oft angenommen wird, aber es gibt Hinweise dafür, dass ein Verlust das Risiko für psychische und somatische Erkrankungen erhöht (Stroebe, Schut & Stroebe, 2007). Zudem existieren Situationen und Umstände, die die Verarbeitung eines Verlustes behindern.

Auf drei Aspekte, die in der Literatur bisweilen unzureichend behandelt werden, möchte dieser Band besonders eingehen. Diese drei Aspekte der Trauer sind (a) die Multidimensionalität der Trauer, (b) die starke Prägung |3|der individuell gefühlten Trauer durch kulturelle Bedingungen und (c) die inhärente Adaptivität des Trauerns, welches zugleich Ausdruck des Schmerzes als auch der Anpassung und Weiterentwicklung ist. Aus dieser Betrachtungsweise folgt, dass eine Therapie einer schweren oder komplizierten Trauerreaktion notwendig individualisiert werden muss. Eine Trauerreaktion kann sich ebenfalls nach Trennungen oder Verlusten von Möglichkeiten oder Fähigkeiten einstellen wie sie sich beispielsweise nach Hirnverletzungen zeigen. Auch wenn in diesem Band darauf nicht explizit eingegangen wird, lassen sich doch viele Prinzipien der therapeutischen Intervention generalisieren (z. B. Hofer, Grosse Holtforth, Frischknecht & Znoj, 2010). Dieser Leitfaden soll sowohl Laien als auch professionellen Helfern unterschiedliche Möglichkeiten zur Behandlung von begleitenden Symptomen und zur Verarbeitung eines schweren Verlustes aufzeigen.

|4|1 Beschreibung von Trauerformen

1.1 Die Trauerreaktion

Der Begriff „Trauer“ ist besetzt von kulturellen Überlieferungen, die meist nicht dem individuellen Erleben entsprechen. Vielfach wird „Trauer“ metaphorisch als Bild einer ruhigen Winterlandschaft, eines Bächleins unter einer Eiskruste oder als entblätterter Baum umschrieben.

Diese Bilder sollen die Kontinuität des Lebens und die Trauer als einen Teil des Sterbens und Werdens in der Natur versinnbildlichen. Dieses Trauern gibt es so nicht; es ist ein Mythos, der wenig Raum für individuelle Gefühle zulässt. Gesellschaftliche Rituale sollen helfen, individuelle Gefühle zu fassen und in sozial akzeptierte Bahnen zu lenken. Weder Betroffene (aktuell Trauernde) noch potenziell Helfende (Familie, Freunde, Seelsorger, Ärzte oder Psychotherapeuten) sind vor solchen Vorstellungen gefeit. Gesellschaftliche Trauerformen und im Verlust erlebte Gefühle und entsprechende psychische Zustände sind nicht gleichzusetzen. Auch entspricht das „Trauern“ nicht dem Gefühl der Traurigkeit. Trauernde sind nicht immer in der Lage, sich traurig zu fühlen; das eigene Erleben wird oft als diskrepant zu den eigenen Vorstellungen und den gesellschaftlich geforderten Zuständen erlebt. Existierende Normen beinhalten zeitliche und örtliche Beschränkungen. Unter die zeitlichen Beschränkungen fallen beispielsweise „Schonzeiten“ des Arbeitgebers und zeitlich begrenzte Bestattungsrituale, unter die örtlichen Beschränkungen fallen Friedhöfe, Aufbahrungsorte und rituelle Begegnungsstätten.

Trauernde befinden sich in der Regel in sozialen Verbänden, die ihrerseits Forderungen stellen. Eine Mutter, welche um ihren verstorbenen Mann trauert, hat Kinder, welche ernährt und gepflegt werden müssen und in ihrer Trauer gestützt werden sollen. Zusätzlich ist sie mit neuen Aufgaben konfrontiert, in die sie sich selbst erst einarbeiten muss. Neben den zahlreichen organisatorischen Aufgaben, welche unmittelbar mit dem Verlust zusammenhängen, stellen sich unter Umständen finanzielle Engpässe ein; allfällige Vorwürfe von Verwandten können zusätzliche Schwierigkeiten bedeuten. Diese Vielzahl von Anforderungen erlaubt oft gar nicht, sich der eigenen Gefühlslagen bewusst zu werden, geschweige denn, für sich selbst zu sorgen.

Die folgenden Beispiele zeigen Äußerungen von Menschen, die ihr Kind verloren haben:

„Ein Teil in mir ist gestorben. Ich werde den Verlust das ganze Leben mit mir herumtragen.“

|5|„Für mich ist es, als hätte man mir ein Stück aus meinem Herzen herausgerissen.“

„Dem Tod waren fast fünf Jahre Behandlung vorangegangen. Schlimm: Das dauernde auf und ab, die Ungewissheit, das Hoffen und Bangen. Erlebnis des Todes war für mich und meine Frau sehr traumatisch, kein Gefühl von Erlösung, weder für sie (die verstorbene Tochter), noch für uns.“

„Andere (Bekannte) bekamen Kinder und ich brachte es nicht einmal fertig, in einen Kinderwagen zu schauen.“

„Es ist Wahnsinn.“

„Meine Gefühle sind abgestumpft.“

„Ich habe viel weniger Vertrauen in die Menschheit.“

„Ich bin enttäuscht von mir, habe Schuldgefühle.“

„Erlebe vor allem Hass und keinen Glauben.“

„Ich war erleichtert, als A. starb. Ich konnte nicht mehr sehen, wie sie die Kräfte verliert und nicht mehr lächelt. Ich habe gewusst, dass sie bei Gott in guten Händen ist.“

„Trauer, Wut und Zorn auf mich, die Ärzte und alle Beteiligten, dass ihm nicht mehr geholfen werden kann – in der ersten Zeit fiel ich total aus dem gewohnten Rhythmus heraus – Erleichterung, dass seine Qualen, Schmerzen und Leiden ein Ende haben.“

„Heute liebe ich ihn, wie als er noch lebte. Habe aber mein eigenes Leben wieder gut eingerichtet.“

Es gibt keine genormte Trauerreaktion. Dennoch lassen sich Grundzüge der Trauerreaktion beschreiben. Die oben zitierte Aussage: „Ein Teil in mir ist gestorben, ich werden den Verlust das ganze Leben lang mit mir herumtragen“, erscheint übertrieben, wenn es sich beim Verlust um einen entfernten, kaum bekannten Verwandten handelt. Als Aussage einer Mutter (64-jährig) bezüglich ihres jüngst verstorbenen Kindes erscheint uns jedoch auch die Fortführung des Gedanken – nämlich den Verlust das ganze Leben mit sich herumzutragen – zumindest verständlich, wenn auch nicht unbedingt nachvollziehbar.

Die Trauer dauert länger, als dies allgemein unter Laien und Fachpersonen angenommen wird. Im Gegensatz zur Auffassung, dass eine Trauer „aufgelöst“ werden muss, bevor man sich wieder neuen Aufgaben oder Bindungen zuwenden kann, wird heute vertreten, dass das Erleben eines Verlustes in die persönliche Welt „eingebaut“ werden soll. Der Verlust soll akzeptiert werden und es kann dem oder der Trauernden selbst überlassen sein, wie stark die Beziehung zur verstorbenen Person aufrechterhalten bleibt.

Die emotionale Belastung, die durch den Verlust einer nahestehenden Person ausgelöst wird, kann sich verschiedenartig äußern. Es kommen intensive Emotionen von Angst, Wut, Schuld und Trauer, aber auch Gefühle der emotionalen Leere, Kälte und Zustände von Erleichterung oder Einsamkeit |6|vor. Auf der Verhaltensebene lassen sich Apathie, Hysterie, Betäubungsverhalten (Medikamente, Alkohol, Drogen), extensives Reizsuchen (auch sexuell), Selbstverletzungen (bis zum Suizid), Ess- und Schlafstörungen beobachten. Auf der kognitiven Ebene zeigen sich inhaltlich Verleugnung (nicht wahrhaben wollen) oder eine verzerrte Sichtweise auf die Realität, formal Gedankenleere und Gedankenrasen. Somatisch kann sich eine Trauer in Schmerzen, in motorischer Unruhe und Herz-Kreislaufstörungen äußern. Bei sehr intensiver Trauer können emotionale Regulationsvorgänge nachhaltig gestört werden. Dies beeinträchtigt die adaptive Funktion des emotionalen Erlebens; Trauernde verhalten sich deshalb nicht immer situationsadäquat in sozialen Kontexten. Langfristig kann dies zu psychischen Störungen führen. Eine Komplizierung der Trauer kann sowohl durch externale als auch personale Umstände erfolgen.