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Während in den ersten beiden Bänden die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben der ehemaligen Hochkönigin Genevier nach Artus' Tod geschildert wurde, gibt der letzte Band der Trilogie als Abschluss einen tiefen Einblick in die Riten des Gralsordens. Das spiegelt sich besonders in der Szene um Ygrains Tod wider. Auch fragt man sich, wie Genevier alle Schicksalsschläge verkraften konnte?! Sie musste den Tod der Männer miterleben, die sie liebte. Immer wenn sie einen Hafen der Ruhe gefunden hatte, schlug das Schicksal erbarmungslos zu. In ein völliges Seelentief fiel sie, als sie durch einen Sturz vom Pferd ihr ungeborenes Kind verliert. Der Kampf mit dem Usurpator Doran fordert dann noch einmal ihre gesamte Kraft.
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Seitenzahl: 255
Veröffentlichungsjahr: 2018
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KÖNIGIN GENEVIER
Eine Frau kämpft für das Recht
Band 03
von
KÖNIGIN GENEVIER
Eine Frau kämpft für das Recht
Herausgeber: ROMANTRUHE-Buchversand.
Cover: Romantruhe (Bildrechte: shutterstock).
Satz und Konvertierung:
ROMANTRUHE-BUCHVERSAND.
© 2018 Romantruhe.
Alle Rechte vorbehalten.
Die Personen und Begebenheiten der
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Ähnlichkeiten mit lebenden oder
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Burg SAN SALVADOR DE VERDERA an der heutigen span./franz. Grenze – hoch in den Pyrenäen über dem Badeort Port de la Selva – ist nachweisbar die alte Gralsburg des Amfortas. Urkunden, Templergeschichte von Castello, wie auch Wegbeschreibungen geben eine klare Antwort. Das bedeutet nicht, dass andere Forscher Unrecht haben, denn dort wo Zweige der Gralsfamilien lebten, sind diese natürlich auch als Gralsburgen zu bezeichnen. Doch hier lebte nach dem Tode des Artus die ehemalige Hochkönigin. Aufgrund von Band 1 haben Archäologen die Fundamente des DIANA-Tempels unter dem berühmten Kloster San Pere de Rodes gefunden.
Zu den geschilderten Ereignissen in Band 3 – der große Kampf mit Doran – ist überliefert:
Um 484 brachen barbarische Horden aus dem Bereich der griechischen Inseln in EMPORDA ein und verwüsteten das Land. Sie plünderten und mordeten und machten auch vor der alten Stadt Emporion nicht Halt.
Ein großes Heer – bestehend aus Kriegerinnen einer Pyrenäenburg, sowie verbündeten Rittern aus Amorica (Klein-Britannien) und einer Schiffsflotte – drängte die Eroberer endlich zurück.
Dies deckt sich mit der in Alt-Emporda überlieferten Geschichte, dass Donna Genebra in einem verwegenen Kampf Doranos, den Anführer der Barbaren, ins Meer zurückschlug und so die Dörfer des Plimizolo vor der Versklavung bewahrte.
Genebra wird heute bei den katharischen Zweigen der Bevölkerung immer noch hoch verehrt.
Frank Bruns – Museumspädagoge
»Doran hat anderes mit ihr vor!«, ertönte eine Stimme.
Verdammt – durchzuckte es Genevier. Da war sie doch tatsächlich einer Vorhut dieses Usurpators in die Hände gefallen.
Sie spürte einen stechenden Schmerz zwischen den Beinen, dann wurde ihr Körper angehoben. Tränen traten ihr in die Augen, sie biß sich so heftig auf die Unterlippe, dass diese blutete.
»Na – wie gefällt dir das?«, kam es höhnisch.
Genevier war nicht fähig zu antworten. Der Schmerz im Vaginalbereich nahm ihr den letzten Atem.
Der plötzliche Lärm und die erschreckten Schreie führten dazu, dass sie sämtliche verbliebenen Kräfte aufwandte, um die Augen zu öffnen.
Was sie mit verschleiertem Blick sah, konnte sie nicht glauben. »Oh Diana…«, hauchte sie.
Ygrain fuhr wie eine Rachegöttin zwischen die Griechen. Ihr Schwert schlug tödliche Furchen in die Reihen der Männer, die kaum wussten, wie ihnen geschah. Dann ertönte mit mächtiger Stimme ein Schlachtruf, den Genevier nur zu gut kannte.
»Pelrapere!«
Einer Urgewalt gleich ritt Feirifis alles nieder, was ihm im Wege stand.
Ohnmacht umfing Genevier.
Als sie wieder zu sich kam, sah sie als erstes das besorgte Gesicht Arianes.
»Große Göttin – sie kommt zu sich!«
»Ygrain hat sie gerade noch rechtzeitig gefunden«, vernahm die Königin wie durch Watte die Stimme Sherazedas.
Sherazeda? – Das konnte doch nicht sein!
Genevier versuchte mit aller Macht einen klaren Blick zu bekommen. Da beugte sich auch schon das schöne, von pechschwarzen Haaren umrahmte Gesicht über sie.
»Hallo, große Königin. Eigentlich hatte ich mir den Besuch hier nicht so dramatisch vorgestellt.«
Genevier versuchte sich aufzurichten, doch die Muskeln versagten den Dienst.
»Langsam«, gebot Alyshia und zog die Decke wieder ordentlich über Geneviers Körper.
Die Stimme der Königin klang matt und rau, als sie fragte: »Wieso bist du hier?«
Da trat Ygrain vor. »Genau genommen hast du Sherazeda dein Leben zu verdanken. Sie begegnete einer griechischen Galeere vor dem Hafen vom Emporda. Das wäre zwar nichts Ungewöhnliches, aber sie glitten so nah aneinander vorbei, dass Sherazedas Steuermann den Schurken Orest erkannte. Er machte seiner Herrin Meldung und Sherazeda beschloss, Timaios darauf hinzuweisen. Im Palast traf sie auf Feirifis und Blanche. Nun Feirifis zählte eins und eins zusammen. Blanche nahm den geheimen Weg durch den Brunnen. Da wir wussten, dass du mit Erec an der Küste unterwegs warst, bin ich mit einem Trupp los. Wir ritten das Ufer von Emporion aus an und trafen mit Feirifis zusammen. Keinen Moment zu früh.«
Genevier schloss ermattet die Augen.
Sherazeda sah die Tränen auf ihrem Antlitz. Sie beugte sich zu Genevier herab.
»Wo ist Sir Erec?« Sie ahnte etwas.
»Tot«, flüsterte Genevier.
Lastendes Schweigen hing über dem Krankenzimmer.
Alyshia gab der Königin ein Beruhigungsmittel. Kurz danach schlief sie ein.
Es war schon später Nachmittag, als sie wieder erwachte.
Sie fühlte zwar noch jeden Muskel, jede Sehne, aber sie konnte wenigstens wieder klar denken. Als sie aufstehen wollte, trat ihr eine äußerst energische Alyshia entgegen.
Erst zum Abend gestattete ihr die Ärztin einen kurzen Rundgang.
In der Vorhalle traf sie auf Ygrain. Genevier drückte sie fest an sich.
»Ich danke dir für mein Leben«, flüsterte sie.
Die Heerführerin wehrte ab. »Es ist nicht mein Verdienst. Danke Sherazeda, Feirifis und Blanche, die so rasch gehandelt haben.«
Genevier nickte. »Das werde ich noch tun. Aber nun müssen wir über die neue Lage beraten…«
Ygrain schüttelte den Kopf.
»Du schonst dich! Feirifis hat alles im Griff. Außerdem ist da ja noch dein phönizischer Freund.«
Genevier lehnte sich nachdenklich an die Steinwand. »Ich hoffe, sein Plan gelingt.«
Dann richtete sie den Blick traurig auf Ygrain. »Habt ihr Erec gefunden?«, wollte sie leise wissen.
Die schöne Keltin schüttelte den Kopf. »Nein! Bist du sicher, dass er tot ist?«
»Der Pfeil traf ihn genau in die Mitte des Halses. Ich sah ihn vom Pferd stürzen.«
»Das bedeutet nichts. Erec ist robust. Mehr Sorgen bereitet mir, dass er Dorans Mannen in die Hände gefallen ist.«
In Genevier flammte ein Fünkchen Hoffnung. »Wie viele von den Bastarden haben überlebt?«
Ygrain zuckte die Achseln. »Ich hoffe keiner. Aber genau weiß man das nicht.«
Genevier fasste Ygrain fest am Arm. »Ihr Schiff! Was ist mit dem Schiff? Sie könnten Doran warnen!«
»Feirifis hat es verbrannt. Keine Sorge. Sie konnten höchstens in den Sumpf am Plimizol flüchten.«
Plötzlich überkam wieder Schwäche die Königin. Ygrain konnte sie eben noch auffangen.
Am nächsten Mittag fühlte sich Genevier wieder kräftig genug, den Kriegsrat einzuberufen. Daran nahmen auch Feirifis und Blanche teil.
Feirifis und Genevier begrüßten sich nun besonders herzlich.
»Ich war in dem Glauben, du seiest ermordet worden«, sagte die Königin unter Tränen.
Der schwarze Mann lachte. »Beinahe wäre es soweit gewesen. Aber die Götter wollten es anders. Auch hier hatte Doran seine Hand im Spiel. Weißt du übrigens, dass dieser Usurpator damals Childerich eine Flotte zur Verfügung gestellt hat?«
»Nein – das wusste ich nicht. Ich kannte bis vor kurzem nicht mal seinen Namen.«
Plötzlich ertönte vom Hauptturm das durchdringende Hornsignal.
Genevier zuckte zusammen. »Was hat das zu bedeuten?«
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und kam laut und polternd.
»Was ist denn das hier für ein Kindergarten?! Kann man euch denn nie allein lassen? Genevier! Mein Wickelkind! Wo bist du?«
Genevier traute ihren Ohren nicht.
»Boltar!«, schrie es aus ihr heraus.
Wie ein Dinosaurier enterte der Wikinger trompetend die Halle. Unter dem rechten Arm trug er Fässchen Rum, dass er nun donnernd auf den Eichentisch stellte. Ein Wunder, dass das Fass nicht in tausend Stücke zerbarst. Dann wollte er Genevier an sich reißen.
Eine helle, aber keinen Widerspruch duldende Stimme ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren.
»B o l t a r ! Wir hatten abgesprochen, dass du dich leise verhältst!«
Dann tauchte die kleine Gestalt der Sprecherin hinter dem Riesen auf.
»Sanderah!«, rief Genevier und eilte auf die Freundin und zweite Heerführerin zu. Sie umarmten sich ausgelassen.
Boltar räusperte sich, was sich so anhörte, wie ein mittleres Erdbeben. »Und ich?«
Mit einem Blick auf seine ihn ernst anschauende Gattin meinte er: »Ich bin ganz vorsichtig.«
Dann riss er die Königin an sich, dass man ihre Rippen knirschen hörte.
»Genevier! Mein Liebling. Ich hörte unten im Hafen, du seiest in Schwierigkeiten.«
Als er Genevier wieder auf den Boden herab ließ, musste sie erst einmal tief Luft holen. Ihr noch geschwächter Körper hatte mit dieser stürmischen – für Boltar sehr zart ausfallenden Begrüßung – zu kämpfen.
Da trat Sanderah vor.
»Wir trafen unterwegs einen uns bekannten Phönizier, der uns mitteilte, er solle zu Herbans Flotte bei den Inseln des Nebels stoßen. Er berichtete uns alles. Er war von Timaios unterrichtet. Da hat Boltar sogleich den Hafen von Emporion angelaufen.«
Genevier musste sich erst einmal setzen.
»Uiih!«, entfuhr es ihr. Dann strahlten ihre Augen. »Bei so viel Freunden, kann Doran uns nichts anhaben.«
Da fiel Boltars Blick auf Feirifis. Er kniff die Augen zusammen. Dann brummte er – was sich wie das entfernte Donnern einer Lawine anhörte: »Ich kenne euch nicht persönlich, aber der Beschreibung nach müsst ihr der Bruder des Ritters Parcival sein, den man nun den Priesterkönig Johannes nennt.«
»Ich bin es«, erklärte Feirifis und drückte Boltar so kräftig die Pranke, dass dieser laut auflachte.
»Ha! Endlich ein Mann, der einen Händedruck verteilen kann!«
Sanderah umarmte Genevier und meinte dann, in die Runde schauend: »Es sieht nach Kriegsrat aus.«
»Doran hat seine Vortruppen bereits unterwegs. Wir wissen nicht, von wo überall sie auftauchen werden oder bereits eingeschleust sind. Außerdem besteht der Verdacht, dass sie mit Chlodwig gemeinsame Sache machen.«
»Der Merowinger?« Boltar zog die Stirn kraus. Dann schlug er mit der linken Faust in die rechte Handfläche. »Diesem Bas…« – sogleich fing er sich und senkte die Lautstärke.
»Bastard – dem sollten wir das Fell gerben.«
Genevier legte ihm die Hand auf den mächtigen Arm. »Nicht so voreilig. geliebter Freund! Es gibt keine Beweise und an zwei Fronten können wir nicht kämpfen.«
»Also – was dann?«
Die Königin nahm an der großen Tafel Platz und forderte Boltar und Sanderah auf, sich gleichfalls zu setzen.
»Timaios von Emporion hat Patrouillen ausgesandt. Längs der Küste bis Escalla. Wir tun dies ab sofort in Richtung Cadaques und Rosaria. Jeweils Reitertrupps zu zwanzig Reitern – beziehungsweise Reiterinnen. Wir sind inzwischen so viele Verteidiger hier, dass dies kein Problem ist.«
Feirifis und Blanche stimmten zu.
Der König von Vorderindien blickte Genevier an. »Wenn es dir recht ist, stelle ich die Männer Sir Erecs unter mein Kommando.«
Die Königin schwieg einen Moment, dann festigte sich ihr Blick wieder. »In Ordnung!«
Es wurden noch einige grundsätzliche Abwehrmaßnahmen besprochen, doch eigentlich konnte die Besatzung von San Salvador nur abwarten.
Der Tag verging.
Als sich die Sonne dem Horizont zu neigte, entdeckte ein Spähtrupp unter der Führung Ygrains Sir Erecs Leiche.
Der nächste Morgen zeigte sich trübe. Tiefdunkle Wolken ballten sich am Himmel. Nieselregen fiel.
Genevier fror, als sie dem Heiligen Hain zustrebte. Sie hatte kaum geschlafen und die rotgeränderten Augen wiesen aus, dass sie um den geliebten Freund geweint hatte.
Sie durchschritt das Diana-Tor.
Scharfer Wind trieb ihr den Regen ins Gesicht und ließ ihr Haar wehen. Ihre bloßen Füße berührten die kleinen Pfützen, die sich zwischen den Pflastersteinen des Hauptweges gebildet hatten. Doch durch die Thermeströmung in dem Rohrsystem, das unter dem Weg hinweg führte, fühlte sich das Regenwasser warm an.
Trotzdem bereitete der Wind Gänsehaut und zerrte an ihrem dünnen Tempelkleid.
Tränen verschleierten erneut ihren Blick.
Der Wind verfing sich in den Pinien und es war ihr, als riefe Erec ihren Namen.
Genevier beschleunigte ihren Schritt und sah bald die weißen Marmorsäulen des Tempels durch das Grün schimmern. Wie aus weiter Ferne vernahm sie den Gesang der Priesterinnen, die einen Frühgottesdienst zelebrierten.
»Oh Diana – große Göttin – Mutter allen Seins…«, vernahm sie die wunderbaren Stimmen.
Durch Gesang und Wind drang das Rauschen der Wellen, die gegen das Cap Creus getrieben wurden und sich an den mächtigen Felsen brachen.
Genevier stieg die Stufen zum Tempel empor. Der Wind ließ Haar und Kleid wehen.
»Oh große Göttin, wir empfangen deine Liebe…«, vernahm Genevier den Chor der Priesterinnen.
Ihre Hand ergriff den schweren Bronzegriff des Tores. Doch da versagten ihr die Beine den Dienst.
»Oh Diana…«, schluchzte sie. »Wo war deine Liebe? Weshalb hast du mir wieder den Mann genommen, dem ich mein Herz geschenkt habe?«
Die Tränen rannen wie Sturzbäche über ihre Wangen. Kraftlos sank sie vor dem Tempeltor zusammen.
So wurde sie von Ariane – der Seekönigin – gefunden.
»Genevier – oh Baal, Herrscher des Himmels und der Erde – was ist mit dir?«
Die Kauernde öffnete die geröteten Augen und blickte die Freundin an. Dann streckte sie die Arme nach ihr aus und zog sie fest an sich. Hilflos bebte ihr Körper im Weinkrampf.
In Ariane vollzog sich ein Wechselbad der Gefühle. Sie hatte im Verlauf der Jahre verlernt, Regungen wie Liebe, Vertrauen oder Mitleid zu empfinden. Doch nun, da sie die sonst so stolze, kampfesmutige Herrin von San Salvador in ihren Armen hielt, wie ein Kind, das den Schutz der Mutter sucht, schwappte ihr Herz über. Sie drückte die Freundin fest an sich, küsste ihre Stirn und flüsterte: »Oh Genevier – du hättest beinahe für mich auf grausame Art dein Leben verloren. Ich… ich weiß nicht, wie ich das je ausgleichen kann. Es wird uns ein Leben lang verbinden.«
Sie richtetet den Blick zum Himmel. »Ihr Götter – wer immer ihr sein mögt – wie auch immer man euch nennt – weshalb treibt ihr solches Spiel mit uns Menschen?! Weshalb musste diese Frau ihre frische Liebe wieder verlieren?«
Da spürte sie Geneviers festen Händedruck.
»Mache dir keine Vorwürfe«, flüsterte sie. Ihre Stimme klang rau und fremd. »Dich trifft keine Schuld.«
Ariane schluckte. »Doch! Mich allein trifft alle Schuld. Wäre ich nicht hier an Land gegangen, hätte Doran meine Spur nicht aufnehmen können. Auf See wusste ich, was zu tun ist und habe mehrmals der Flotte des Tyrannen die Stirn geboten. Doch hier bringe ich nur Unglück.«
Nach einer kurzen Pause fügte sie leise hinzu:
»Wir werden San Salvador heute noch verlassen.«
Genevier richtete sich ruckartig auf.
Sie ergriff Ariane bei den Schultern.
»Nein! Das werdet ihr nicht tun!«
Ariane schüttelte die Königin ab.
»Doch ! Wir werden von Timaios ein Schiff erbitten und…«
Genevier unterbrach sie nun energisch. »Willst du alle die Menschen, die bisher alle Unbill auf See überlebt haben, wieder neuen Gefahren aussetzen? Denk an die Kinder, die endlich ein Zuhause gefunden haben !«
Ariane stand auf. »Wir kommen schon durch. Viel schlimmer ist, dass wir all die Menschen, denen wir unsere neue Sicherheit verdanken, in Gefahr gebracht haben!«
Genevier ergriff halb kniend Arianes Hände. »Du hast gesehen, wie viele Freunde da sind. Wir werden gemeinsam Doran besiegen.«
Ariane warf, tief die Luft in die Lungen saugend, den Kopf in den Nacken. »Und wie viel von deinen Freunden sollen dabei sterben?«
Genevier stand nun auf und schaute aus ihren rotgeränderten Augen die Seekönigin an. »Es spielt keine Rolle, ob ihr geht oder bleibt. Doran weiß es nicht und wird unsere Burg bekämpfen. Euer möglicher Tod noch bevor ihr ein Schiff erhalten würdet – brächte keine Wende in den Ereignissen.«
Ariane schluckte und als sie nun den Blick auf Genevier richtete, glitzerten Tränen auch in ihren Augen. Langsam sank sie vor der Königin in die Knie. Sie umfasste ihre Beine mit beiden Armen und drückte den Kopf an ihren Schoß. »Oh Genevier – was soll ich nur tun?«
Die Königin ging in die Hocke und legte ihre Hände auf beide Wangen Arianes. »Bleib mit deinen Leuten hier auf dem Mont Salvage. Hier sind wir sicher. Es ist nicht so einfach, diese Burg zu erstürmen:«
Arianes Gesicht zeigte sich nun tränennass. »Aber wenn Doran nun Geiseln außerhalb der Burg nimmt?«
Genevier erinnerte sich, dass der Sarazene Nirwan so etwas vor Jahren getan hatte. Sie mochte nicht daran denken. »Warten wir’s ab. Feirifis und Timaios werden von außen für Sicherheit sorgen.«
Im Verlauf des Tages entwickelte sich ein wahres Unwetter über dem Cap Creus.
Der Orkan pfiff um die Türme von San Salvador. Äste und Zweige flogen durch den Heiligen Hain und den Burghof.
Durch dieses Getöse hallte am frühen Nachmittag die Fanfare der Turmwächterin.
Sogleich wurden Torwachen und Mannschaften in Alarmzustand gesetzt. Genevier und Ygrain eilten auf die Plattform des Hauptturmes. Selenah – die Wächterin – hatte sich in den schützenden Unterstand zurückgezogen, da man sich in den Sturmböen hier oben kaum aufrecht halten konnte
Selenah deutete nach Osten. »Ein Reiter. Allerdings muss das nicht bedeuten, dass er allein ist.«
Ygrain kniff die Augen zusammen. »In unserer momentanen Lage rechne ich mit allen möglichen Fallen. Ist es sicher, dass der Reiter den Weg zum Mont Salvage eingeschlagen hat?«
»Ich sah ihn an der achten Kehre. Ab da kann er noch nach Cadaques abweichen. Allerdings müsste er dann dort auf dem Kamm bald zu sehen sein. Ist er das nicht, reitet er den Berg zu uns hinauf.«
Genevier sog die Luft durch die Zähne ein.
»Ygrain, bleib bitte mit hier oben, bis ihr Sicherheit habt, welchen Weg der Reiter nimmt und ob ihm noch andere folgen. Ich informiere Eileen und Blanche.«
Der Reiter nahm den Weg zur Burg.
Ygrain ließ sogleich das Tor schließen und die Brücke hochziehen. »Dorans Drohung zwingt uns dazu«, sagte sie zu Hannah, der Kommandantin der Torwachen.
Genevier und Blanche bestiegen den vorderen, der Zugbrücke zugewandten Wehrgang.
Bald erschien der Reiter. Er trug eine einfache Rüstung, bestehend aus Brustpanzer und Helm über einer Mönchskutte. Die Lanze zierte das verwaschene Banner Roms.
»Das ist Bruder Jonas – der zweite Schreiber des Bischofs von Rom.«
Ygrain runzelte die Stirn. »Hatte nicht Papst Felix seinen Besuch angekündigt?«
Genevier atmete tief durch. »Das wäre ein ungünstiger Zeitpunkt. Doran könnte ihn abfangen.«
Ygrain ließ die Brücke absenken und das Tor öffnen.
»Bruder Jonas«, begrüßte Genevier den Mönch freundlich, aber auch mit erstauntem Blick. »Ich hoffe, ihr bringt keine schlechten Nachrichten?«
Der relativ junge Mann stieg von seinem müden Klepper – anders konnte man dieses Pferd kaum bezeichnen – und drückte der Herrin des Mont Salvage die Hände. »Wie man’s nimmt. Felix II kann leider den Besuchstermin nicht einhalten. Er sitzt in Avignon fest. Ein Streit mit Chlodwig. Mal wieder. Der Papst lässt euch aber herzlich grüßen. Er hat mich mit dem Ritt beauftragt, weil…«
Er unterbrach sich selbst durch ein humorvolles Gelächter – »…weil ich so unauffällig langweilig aussähe, meinte der Papst. So kam ich ungehindert durch alle Merowingerkontrollen.«
Da musste auch Genevier lachen. Jonas wirkte wie ein unbekümmerter Jüngling. Oft wurde er nicht beachtet. Dabei fand seine Intelligenz kaum einen Gegenpol am päpstlichen Hof.
Genevier führte den Besucher in die Halle.
»Es erleichtert mich, dass Felix nicht kommt. Wir befinden uns in einem bedrängten Zustand.« Sie gab dem Mönch einen knappen Bericht.
»Oh je!«, rief er aus. »Dann kann ich froh sein, nicht auf diese Mordgesellen gestoßen zu sein.«
Die Königin zuckte die Achseln. »Wir wissen nicht, ob sich dieses Gesindel hier herumtreibt. Aber wir sind vorsichtig. Vielleicht kann Herban mit seiner Flotte den Angriff im Keim ersticken.«
Eine junge Priesterin brachte Brot und Wein.
Während Jonas herzhaft zugriff, meinte er: »Ich hab’s nicht eilig. Wenn ihr also noch einen Schwertarm brauchen könnt…«
»Das nehme ich dankend an«, erklärte Genevier.
Der Orkan nahm zum Abend hin weiter zu. Genevier gab Ygrain den Auftrag, die Burg entsprechend zu sichern. Die Wachen des Hauptturm wurden verdreifacht.
»Achtet auf Notsignale vom Meer und aus der Ebene«, mahnte sie.
Als die neunte Stunde der zweiten Tageshälfte anbrach, war es nicht mehr möglich, den Schutz der Räumlichkeiten zu verlassen. Noch rechtzeitig hatte Genevier eine Botin zum Diana-Tempel gesandt und die Priesterinnen aufgefordert, das Tempeltor gut zu verschließen und dort zu bleiben.
Es ging schon auf Mitternacht zu.
Genevier saß in ihrer Kemenate und vervollständigte den Wirtschaftsplan für die kommenden Wochen. Der Sturm fauchte im Kamin. Glut wirbelte durch den Raum und selbst die Kerzenflamme flackerte ab und zu bis kurz vor’s Verlöschen, wenn eine Böe direkt das ovale Fenster des Turmzimmers traf. Obwohl die Phönizier Meister in der Fensterverglasung waren – solchen Windstößen hielten die Verfugungen dann doch nicht stand.
Die Herrin des Mont Salvage rollte den Plan zusammen und schloss das schwere lederne Haushaltsbuch.
Um sich zur Ruhe zu legen, dazu war sie innerlich zu unruhig. Sie griff zu dem schweren Wollumhang und hatte eben vor, die Kemenate zu verlassen, als es leise klopfte. Beinahe hätte das Tosen des Sturmes das Geräusch übertönt.
Genevier öffnete und schaute in das bleiche Antlitz Arianes.
»Entschuldige… ich… darf ich hereinkommen?«, stotterte die Seekönigin.
Genevier zog eine Augenbraue leicht hoch und fragte besorgt: »Du siehst verstört aus. Ist etwas passiert?«
Ariane schüttelte rasch den Kopf. »Nein, nein – es ist nur…«
Sanft ergriff Genevier ihren Arm und zog sie in den Raum. »Komm! Setz dich an den Kamin.«
Die Königin warf den Umhang wieder in die Ecke und nahm Ariane gegenüber in dem ledernen Feldsessel Platz. »Was bedrückt dich?«
Ariane atmete tief durch, doch man merkte ihr an, dass sie innerlich erregt war.
»Ich denke an Doran, diesen Usurpator. Wird er San Salvador angreifen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete die Königin. »Doch wir haben starke Freunde. Feirifis oder Blanche würden uns sofort in Kenntnis setzen, wenn eine der griechischen Galeeren auftauchen sollten.«
Mit flackerndem Blick schaute die Seekönigin ihr Gegenüber an. »Dieses Wetter wäre doch ideal für ihn. Niemand würde es merken.«
Genevier schüttelte energisch den Kopf. »Die See kocht. Selbst ein abgefeimter Schurke wie Doran würde es nicht wagen, bei solchem Seegang die Bucht von Rosaria oder Cadaques anzulaufen. Viele Untiefen würden seine Schiffe zerschmettern lassen, ehe er auch nur Land gesehen hätte.«
Ariane ergriff Geneviers Hände und drückte sie in Verzweiflung fest. »Oh Genevier – ihr bringt euch alle für mein Volk in höchste Gefahr! Ich… ich weiß nicht…« Sie sank zu Boden und küsste der Königin innig die Hände.
Genevier schluckte. »Ariane – erniedrige dich nicht. Es ist Dianas Wille, dass wir zusammengetroffen sind.«
Ariane schaute mit tränennassen Augen auf.
»Diana«, hauchte sie. »Ich trage ihr Gewand, doch bin ich noch nicht im Glauben an sie verwurzelt.«
Genevier streichelte ihr die Wange. »Ihr verehrt Baal. Im Grunde seid ihr damit von Diana gar nicht so weit entfernt. Es sind verschiedene Namen für immer die selben Götter. Enki, Enlil, Inanna, Dumuzi, Marduk und wie sie alle heißen mögen. Im Ägyptischen sind es Re, Ischtar, Horus oder auch Isis oder Osiris… im Ende benennen sie ein und die selbe Götterfamilie. Inanna, Ischtar, Isis, Astarte und Diana sind alle ein und die selbe Person. Der Unterschied zwischen unserer und den anderen Verehrungen liegt vermutlich darin, dass wir näher am Ursprung sind. Wir nennen unsere Göttin Diana. Wir wissen aber, dass ihr ursprünglicher Name Inanna war. Weiter sehen wir sie zwar als Göttin, aber nicht ungreifbar entrückt. Wir wissen, dass diese Frau einst sehr real war. Nur, sie stammte nicht von diesem Planeten und war uns im Wissen weit voraus. Doch das Wichtigste, das sie uns hinterlassen hat, ist ihre Lehre von Liebe und Verzeihen, aber auch vom furchtlosen Handeln. Besonders den Frauen hat sie gesagt: Fürchtet euch nicht. Nehmt notfalls das Schwert.«
Ariane schwieg einige Sekunden, ehe sie erwiderte: »Also ein Vorbild für uns Frauen.«
Genevier nickte. »Richtig. Vor allem aber gab sie den Frauen den Rat des selbstlosen Zusammenhaltes mit auf den Weg.«
Ariana atmete wieder tief. Sie wischte sich über die Augen und fragte dann: »Es gibt unter euch einen von Diana überlieferten Schwur.«
Genevier legte den Kopf etwas schräg. »Was meinst du?«
»Ich hörte von einem Schwur, der besagt, dass gegenüber einer Kameradin oder Freundin angewendet, man für sie in den Tod geht.«
Die Königin schüttelte nun energisch den Kopf. »Nein – so ist das nicht richtig. Dieser Schwur besagt, dass man die andere schützt. Vor jeder Gefahr. Immer für sie da ist – mit Rat und Tat.«
»Ja – notfalls mit dem Leben.«
Die Königin zögerte etwas, denn eine Ahnung stieg in ihr auf.
»Ich weiß, dass du den Schutzengelkuss meinst. Zwischen zwei Schwestern ausgetauscht bedeutet er, dass jede die andere notfalls auch mit ihrem Leben verteidigen wird. So ist das. Doch diesen Schwur zu leisten braucht wirklich intensiver Überlegung. Solchen Schwur darf man nie leichtfertig geben. Er beinhaltet im Namen der Göttin eine lebenslange Verantwortung für den anderen.«
Die Seekönigin nickte nun. »Deshalb bin ich zu dir gekommen. Ich habe gut überlegt. Du hast mir und meinem Volk mehrmals das Leben gerettet. Ohne auf die eigene Gefahr zu achten, gibst du uns ein Zuhause und eine Zukunft. Es ist an der Zeit, dir mein Leben zu geben. Lass mich fortan dein Schutzengel sein.«
Genevier hatte es geahnt und es lief ihr heiß und wieder kalt den Rücken herunter.
Sie stand auf und erklärte mit fester Stimme: »Nein – du wirst diesen Schwur für mich nicht abgeben!«
Arianes Augen bekamen ein gefährliches Glitzern. »Denkst Du, ich wüsste nicht was ich tue?«
Die Herrin des Mont Salvage fuhr sich verzweifelt mit beiden Händen durch das lange seidige Haar. »Doch! Eben weil ich dir glaube, dass du es weißt, will ich es nicht! Wir wären ewig verbunden! Denk an dein Volk. Es braucht dich mehr als ich.«
»Genevier – Königin des Mont Salvage!« Ariane ergriff erneut fest ihre Hände. Die Hände, die sich so feingliedrig anfühlten und doch so mächtig das Schwert zu führen vermochten.
»Nein – bitte nicht.«, flüsterte die Königin. Ihr Busen hob und senkte sich im nervösen Atem.
»In der Lehre Dianas heißt es, dass niemand der Gemeinschaft diesen Kuss ablehnen darf. Nicht wahr?«
Genevier schluckte trocken. Ihr Hals fühlte sich rau an.
»Stimmt das?«, fragte Ariane energisch.
Genevier richtete sich kerzengerade auf. Sie überragte die Seekönigin dabei ein wenig.
»Ja – das stimmt. Daher kann ich dich nur bitten, es nicht zu tun oder dein Vorhaben gründlich…«
Ihre Stimme versagte etwas. »…gründlich zu überdenken.«
»Das habe ich getan«, kam es fest zurück. Leise fuhr Ariane fort. »Doch soll es nicht unter einem Zwang geschehen. Daher erbitte ich nur von dir, dass ich dir diesen Kuss geben darf.«
Mit diesen Worten schritt sie langsam zur Tür. Kurz davor blieb sie stehen und wandte den Kopf zu Genevier zurück. »Es muss nicht jetzt sein. Auch ohne diesen Schwur werde ich ohne Zögern für dich mein eigenes Leben opfern.«
Geneviers Augen füllten sich in einem mächtigen Schub mit Tränen. Nur völlig verwaschen sah sie Ariane im Schein des flackernden, von einer Sturmböe angefachten Kaminfeuers.
Sie musste mehrfach schlucken, ehe sie leise und rau die Worte heraus brachte.
»Bitte warte. Geh’ so nicht fort. Ich…«
Ariana ließ die rechte Hand von der schweren Bronzeklinke gleiten und wandte sich Genevier zu.
Diese machte zwei Schritte auf sie zu. Fest umarmte sie die Seekönigin. Mit zitternder Stimme flüsterte sie: »Das Freundschaftsband zwischen uns wird niemals zerreißen.«
Ariane drückte die Herrin des Mont Salvage fest an sich. »Das wird es nicht!«
Beide blickten sich nun fest in die Augen.
»Lass mich auch dir den Schwur leisten«, bat Genevier.
So flochten sie das Band im Namen der großen Göttin. Es ergab sich von selbst, dass beide bald eng umschlungen die Kostbarkeit der Zuneigung spürten. Und zum ersten Mal, seit dem Genevier wieder einmal vom Schicksal einer Liebe beraubt worden war, verspürte diese das volle Glück. Wie die Überlieferung weiß, hat es niemals einen Bruch zwischen Ariane und Genevier gegeben. Selbst dann nicht, als sie auf große Entfernung getrennt wurden. Ebenso, wie im Reiche Sherazedas, breitete sich auch am Hofe der Seekönigin der Grundgedanke der Lehre Dianas aus.
Genevier und Ariane knieten voreinander. Sie hielten gegenseitig ihre Hände ganz fest.
»Ich möchte gerne eine vollwertige Priesterin der Diana werden«, flüsterte die Seekönigin. »Nicht nur ihr Kleid tragen.«
»Wenn es deine feste Überzeugung ist«, erwiderte die Herrin des Mont Salvage leise, »dann werden wir dich in den Tempel aufnehmen. Doch nun Lass uns in die Halle gehen. Ich kann sowieso nicht schlafen.«
Sie erhob sich und zog Ariane sanft mit.
In der Halle prasselte ein gewaltiges Kaminfeuer. Beinahe alle Priesterinnen hatten sich hier versammelt.
Auch Blanche war da. Sie hatte wieder den Weg durch den Brunnen genommen.
»Die Promenade von Emporion steht unter Wasser«, berichtete sie. »Feirifis hat unser Schiff in den inneren Hafenbereich gebracht. Doch es sieht so aus, als gäbe es eine gefährliche Nacht. Wir überlegen, ob das Schiff auf der offenen See nicht sicherer aufgehoben wäre.«
Genevier wiegte den Kopf. »Denkt an die Untiefen. Ihr säßet rasch auf einem Felsen oder einer Sandbank fest. Doch der innere Hafen gilt als sehr sicher.«
Ein mächtiges Donnergrollen ließ die Wände scheinbar vibrieren. Zahlreiche Blitze warfen durch die Bogenfenster grelle Reflexe.
Da ertönte das Hornsignal vom Turm.
Wenig später tauchte Eileen auf. »Der Alkalde von Cadaques gibt das Notzeichen. Wir wissen nicht was passiert ist. Doch die Feuer flackern von zwei Punkten herüber.«
»Diana!«, rief Genevier. »Wir haben kaum eine Chance, bei diesem Sturm Hilfe zu bringen. Signalisiert zurück und fragt was passiert ist. Die beiden Schwestern, die im Ort unten leben, kennen doch unsere Zeichenschrift.«
Eileen – deren Kleid vom Regen fast durchweicht war und mehr von ihren Formen frei gab, als eine gewisse Grundmoral es tun sollte – eilte wieder auf den Turm.
Da dröhnte erneut ein Donnerschlag durch die Burg, dann zuckte es grell auf und ein gewaltiger Knall ließ alles erbeben.
»Himmel! Was war das?«, rief jemand aus den Reihen der Männer und Frauen, die sich in der Halle aufhielten.
Da kam auch schon Katja angerannt. »Es hat in die Esche des Heiligen Hains eingeschlagen«, keuchte sie. »Ygrain…«
Genevier schluckte. »Was ist mit Ygrain?« Sie fasste Katja fest bei den Schultern.
»Der Baum ist auf sie gestürzt!«
Die Königin wurde aschfahl. Doch dann fing sie sich und rief. »Los! Wir müssen ihr helfen!«
Auch mehrere Ritter und Boltar sprangen auf.
Katja wollte abwehren, doch Genevier war zu realistisch, um sich nicht die Ausmaße des Unglücks vorzustellen.
»Diana wird es uns verzeihen!«
Dann rannten sie los.
Allen voran stürmte Boltar, der Wikinger. Der Sturm fegte sie fast von den Füßen.
Genevier hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, sich ein Cape überzuwerfen. Ihr Kleid flatterte und riss an verschiedenen Stellen. Doch sie merkte es nicht. Die Angst um die Freundin stand in ihrem Gesicht.
Katja und Sanderah folgten dem nordmännischen Hünen dicht auf. Knapp vor dem Diana-Tor blieb Boltar stehen. Er warf den Kopf nach hinten, so dass sein Zopf wie eine Troddel flog.
»Zeig’ mir den Weg!«, schrie er gegen den Wind zu Katja. Diese drängte sich an ihm vorbei.
So hetzten sie die Stufen hinauf.
Auf der höher gelegenen Ebene des Heiligen Hains vermochten sie kaum gegen den Sturm anzukämpfen. Katja stürzte zweimal, ehe sie die Baumgruppe vor dem Tempel erreichten. Zwei Eichen und vier Eschen standen dort im Halbrund.
Standen?!
An einer der Eschen – der mächtigsten – war die Krone wie ein Strohalm abgeknickt und lag grotesk, einem überdimensionalen Schirm gleich, neben dem Stamm.
»Oh große Göttin!« Doch der Sturm verwehte den Aufschrei der Königin.