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Dieses Buch ist eine Einführung in die kraftvolle Sprache des Unterbewusstseins und ein Vorschlag für eine ressourcenorientierte Haltung zum Leben. Hier finden wir Inspirationen für ein neues Lebenskonzept, in welchem wir durch Übernahme von mehr Selbstverantwortung auf eine nächste Bewusstseinsstufe gelangen können. Alessandra Bodmer schlägt einen Richtungswechsel der eigenen Lebenseinstellung vom Mangel in die Fülle vor und zeigt, wie man den Zugang zur inneren Urkraft und den Schätzen im eigenen Unterbewusstsein finden kann. Sie greift Wissen aus alten Kulturen auf, welches sich über Jahrhunderte bewährt hat, und kombiniert dieses mit neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie mit Werkzeugen aus der Wirtschaft. Dabei entführt sie uns immer wieder in die bildhafte und symbolische Welt der Träume und der Märchen, als Metaphern für unsere eigenen persönlichen und kollektiven Entwicklungsprozesse. Mit klarer Sprache fasst sie die wichtigsten Erkenntnisse aus ihrer beruflichen Erfahrung der letzten fünfundzwanzig Jahre zusammen. In ihren NOVApru Kursen bietet Alessandra Bodmer Frauen und Männern an, sie durch diese wundersame und befreiende Reise zur Potenzialentfaltung und zum inneren Gleichgewicht zu begleiten.
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Seitenzahl: 503
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Copyright NOVAPRU naturnah GmbH
Special Edition Juni 2023
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Umschlaggestaltung: Anja Neumann, Laufweite, Horgen, Schweiz
Korrektorat: Judith Niederberger, Lakritza GmbH, Aarau, Schweiz
Für meine beiden wunderbaren Söhne Robin & Alec
Vorwort
Einführung
Was ist Persönlichkeitsentwicklung?
Ressourcenorientierung führt zu Resilienz
Persönliche Resilienz und familiäres Gleichgewicht
Inneres Gleichgewicht und Potenzialentfaltung
Das Yin-und-Yang-Prinzip
Ein Wort an die Frauen
Ein Wort an die Männer
Ein Wort an Eltern
Die drei Königreiche des Bewusstseins
Zusammenhänge zwischen Gehirn und Bauch verstehen
Wie unsere Wahrnehmung der Welt entsteht
Angst versus Intuition
Prägungen der Kindheit und die individuelle Ahnengeschichte
Epigenetik als wissenschaftliche Basis für die persönliche Prägung des Menschen
Das Gesetz der Resonanz, Sympathie und Antipathie
Die Macht von Respekt, radikalem Verzeihen, Mut, Demut und Dankbarkeit
Archetypen als Quelle der Inspiration für Transformation und Vision
Die ureigene Lebensvision bewusst gestalten
Träume – hilfreiche Botschaften aus dem individuellen Unterbewusstsein
Licht und Schatten ins Bewusstsein bringen und integrieren
Konflikte als Lernangebot des Lebens nutzen
Die Schöne aus dem Myrtenbaum (römisches Märchen)
Märchen, Mythen und Sagen – Weisheiten aus dem kollektiven Ur-Fundus der Welt
Der Drache als Symbol für das göttliche Potenzial in uns
Die Prinzessin in der Drachenburg (norddeutsches Märchen)
König Lindwurm (Märchen aus Schleswig-Holstein)
Die vier Grundarchetypen im Märchen
Das männliche Prinzip
Der König
Die weisse Schlange (germanisches Märchen)
Erklärungen zur archetypischen Rolle des Königs in der heutigen Zeit
Der Krieger
Gawain und der grüne Ritter (angelsächsisches Märchen)
Erklärungen zur archetypischen Rolle des Kriegers in der heutigen Zeit
Der Magier
Wie Gwydion seinen Neffen befreite (walisisches Märchen)
Erklärungen zur archetypischen Rolle des Magiers in der heutigen Zeit
Der Liebende
Amor und Psyche (griechische Mythologie)
Erklärungen zur archetypischen Rolle des Liebenden in der heutigen Zeit
Das weibliche Prinzip
Die Liebende
Tam Lin (schottisches Märchen)
Erklärungen zur archetypischen Rolle der Liebenden in der heutigen Zeit
Die Kriegerin
Das Heldenmädchen (chinesisches Märchen)
Erklärungen zur archetypischen Rolle der Kriegerin in der heutigen Zeit
Die Magierin
Frau Holle und der Holunderbusch (germanisches Märchen)
Erklärungen zur archetypischen Rolle der Magierin in der heutigen Zeit
Die Königin
Die kluge Königin (dänisches Märchen)
Erklärungen zur archetypischen Rolle der Königin in der heutigen Zeit
Gleichgewicht und Wohlfahrt für unsere Gesellschaft
Sich neu erfinden und wie Phönix aus der Asche wieder auferstehen
Die drei Federn des Vogels Phönix (ägyptisches Märchen)
Wie Phönix die Prinzessin rettete (altrussisches Märchen)
Drei Märchen zur Partnerwahl und Elternschaft
Vom Mädchen, das nur einen Klugen heiraten wollte (Märchen von der Elfenbeinküste)
Bist du nicht mein Vater und bin ich nicht dein Sohn? (schwedisches Märchen)
Die Gänsemagd (hessisches Märchen)
Anwendung in der Praxis
Der Lehrgang der Lebensfülle
Seelische Entlastung und Regulierung mit Selbstmanagement-Methoden
Durch bewusste Bewegungsabläufe ins körperliche Gleichgewicht kommen
Nahrung für den Geist und die Gestaltung der persönlichen Lebensvision
Blockaden, Phobien, tiefsitzende Ängste und Traumen auflösen
Danksagung
Biographie der Autorin
Literaturverzeichnis & Bildernachweis
Technologisch haben wir uns im letzten Jahrhundert extrem entwickelt, psychisch und mental hinken die meisten von uns jedoch noch deutlich hinterher. Durch die jahrelange Auseinandersetzung mit den verschiedensten Disziplinen der Psychologie glaube ich unerschütterlich an die Kraft und Entfaltungsmöglichkeiten unserer Seele aus dem Unterbewusstsein. Unser Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wir leben in einer Zeit, in welcher es der nächste Schritt sein darf, dass wir unser Potenzial mehr entfalten und nutzen, um die nötigen Veränderungen für die Zukunft angehen zu können.
Wir leben in veränderungsreichen Zeiten, die uns die Möglichkeit geben, viel Neues zu kreieren und als Menschen sowohl individuell als auch im Kollektiven zu wachsen. Jeder Mensch hat Ängste, hinderliche Glaubenssätze und Verhaltensmuster, die er in seinem ganz persönlichen Rucksack zu tragen hat, es gibt keine Ausnahmen. Wenn wir jedoch ins Gleichgewicht kommen, dann sind wir in unserer vollen Kraft und können etwas bewirken.
Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat die Wissenschaft mit der Entwicklung verschiedener medizinischer und psychologischer Methoden viele Lösungen gefunden, wie wir mit den Herausforderungen des Lebens umgehen könnten. Die meisten davon basieren jedoch auf dem Defizit, welches durch die beiden Weltkriege entstanden ist. Erst in den letzten Jahrzehnten haben sich vor allem in den Wissenschaften der Psychologie und der Neurologie nach und nach mehr ressourcenorientierte Einsatzmöglichkeiten entwickelt. Gerade in der heutigen Zeit glaube ich, dass es für unser eigenes Wohl, wichtig wäre, aus der entstandenen Konsumhaltung und dem Hedonismus auszusteigen, mehr wieder zu sich zu kommen, Selbstverantwortung zu übernehmen und eine klare Vision zu haben, wie jeder von uns sein Leben gestalten möchte. Eine klare und bewusste Lebensaufgabe zu haben, kann uns sowohl als Individuum als auch gesellschaftlich zu einer Wiedergeburt verhelfen. Jetzt ist die Zeit reif, dass wir einen Phönix-Prozess durchlaufen, um uns selbst, wie der berühmte «Baron von Münchhausen», an den Haaren aus dem eigenen Sumpf ziehen zu können. Die Wiedergeburt ist bereits im Gange, wir spüren sie alle, wissen aber noch nicht genau, wo sie hinführen wird.
Obwohl wir Menschen die Tendenz haben, uns erst dann zu bewegen, wenn wir massiv unter Druck sind, braucht es nicht immer unbedingt eine phänomenale Krise, um sich neu zu erfinden. Auch im Kleinen und individuell kann eine Neuorientierung schon sehr viel bewirken, wie zum Beispiel ein Jobwechsel, eine neue Beziehung, heiraten, die Geburt eines Kindes, dieses, wenn es erwachsen ist, wieder ins Leben loszulassen oder einfach auch nur eine Weiterbildung oder ein Buch, welches uns besonders anspricht. All diese alltäglichen Prozesse helfen uns, nach und nach zu reifen und auf allen Ebenen, nicht nur körperlich, sondern auch geistig und seelisch, erwachsen zu werden
Es gibt viele Gründe und Möglichkeiten im Leben Erneuerung und Wachstum zu betreiben. Wie auch die Rahmenbedingungen und die Natur der Veränderungen sind, lohnt es sich auf jeden Fall, einen Moment innezuhalten, eine Standortbestimmung zu machen und sich Schritt für Schritt zu überlegen, wie es weitergehen soll. So schaffen wir bessere Grundlagen, um nachhaltige und wirksame Entscheidungen zu treffen. Schliesslich geht es jedes Mal um die Gestaltung des eigenen Lebens, da lohnt es sich, genauer zu überlegen, was man als nächstes tun und wie man die eigene Zukunft gestalten möchte. «So wie man sich bettet, so liegt man», wir kennen alle das berühmte Sprichwort.
Sich bei anstehenden Veränderungen im Leben Gedanken dazu zu machen, zu reflektieren und etwas zu planen, bevor man einfach weitermacht, wie bisher, macht also Sinn. Die eigenen Bedürfnisse richtig wahrnehmen, kann man nur, wenn man sich die Zeit dafür nimmt und lernt, bewusst auf die innere Stimme zu hören. Mit der inneren Stimme ist jedoch nicht die Angst vor der Zukunft oder der Veränderung gemeint, sondern das bewusste Zuhören ins Innere, welche Schritte jetzt, ungeachtet der Angst, als nächstes sinnvollerweise anstehen könnten. Antworten darauf finden wir in unserem Unterbewusstsein. Viele Menschen haben diese intuitive Verbindung und Begabung, sich von innen führen zu lassen, verloren. Wir sind im Alltag durch alles Mögliche abgelenkt und sind oft so sehr im Hamsterrad oder von verlockenden Angeboten aufgehalten, dass die natürlichste Art, eine Entscheidung zu treffen, verschüttet wurde und wir den Zugang zu unserer inneren Stimme nicht mehr nutzen können. Sie ist jedoch eines der wertvollsten und wichtigsten Werkzeuge, die unser Körper uns zur Verfügung stellt, wenn wir lernen, es richtig zu nutzen.
Dieses Buch soll daran erinnern, dass auch wir Teil der Natur sind und diese uns ganz viele Möglichkeiten gibt, von ihr zu lernen, um uns wieder vermehrt selbst zu helfen. Anstatt zum Beispiel die körperliche, geistige und seelische Verantwortung für unser Wohlbefinden an ein abstraktes gesellschaftlich konstruiertes Gesundheitssystem zu delegieren. Das Ziel wäre, sich wieder vermehrt an die eigenen inneren Ressourcen zu erinnern, anzunähern und aus eigener Kraft Heilung und Gleichgewicht zu aktivieren. Beide Kräfte sind in unserem Unterbewusstsein zu finden. Das nennt man Resilienz und Selbstregulierungsfähigkeit. Diese Fähigkeiten bewusst aufzubauen, ist nicht nur im höchsten Masse zufriedenstellend und sinnstiftend, sondern für jeden von uns möglich. Dieses Buch soll die Möglichkeit bieten, sich zuhause in aller Ruhe Gedanken darüber zu machen und Schritt für Schritt sich an das Thema herantasten zu können. Es soll auch als Entscheidungsgrundlage dienen, ob man danach weitere Schritte machen möchte und bereit ist, die wundersame Reise ins innere Selbst tatsächlich anzutreten.
Natürlich ersetzt die Theorie niemals die praktische Erfahrung und den Prozess als Individuum in einer gemeinsam lernenden und gut geführten Gruppe. Damit etwas wirklich nachhaltig in unser Körpersystem integriert werden kann, müssen nicht nur der Geist, sondern auch der Körper und vor allem die Seele in diese Reise mit einbezogen werden. Wenn wir uns dabei vergleichen, reflektieren und mit anderen darüber austauschen können, wird diese Wirkung wesentlich vertieft und kann nachhaltig integriert werden.
Wenn man gut auf sich selbst hören kann und gelernt hat, auf die eigene Intuition zu achten, kann man sich darauf verlassen, dass die Seele und das eigene Unterbewusstsein einen an den richtigen Ort führen werden. Denn es ist so, dass unser Unterbewusstsein, bei gesunden Voraussetzungen, eine natürliche STOP-Funktion eingebaut hat, die gar nicht zulässt, dass man etwas macht, was nicht im Sinne unseres persönlichen Lebensweges ist.
Schiefgehen kann es nur dann, wenn man bereits ernsthaft krank oder körperlich oder seelisch nicht achtsam genug mit sich selbst umgegangen ist, von einer schwierigen Situation überrascht und überwältigt wurde oder etwas Unrealistisches erzwingen wollte. Auch hierzu möchte ich einen stehenden Begriff zu Hilfe nehmen: «die goldene Mitte». Ich weiss, das hört sich erst mal langweilig an. Auf jeden Fall habe ich das gedacht, als ich es zum ersten Mal gehört habe. Das Leben hat mich jedoch gelehrt, dass dieses Wortbild doch eine Wahrheit in sich trägt.
Die Freiwilligkeit, sich auf die Reise zum inneren Selbst zu begeben, ist jedoch eine nötige Voraussetzung, damit es klappt. Es kann allerdings auch sein, dass unser Unterbewusstsein, ohne dass wir es explizit merken, in unserem Sinne bereits beschlossen hat, dass sich etwas verändern sollte, ohne dass wir im Kopf uns bewusst dafür entschieden haben. Je bewusster wir sind, desto besser arbeitet unser Gehirn mit unserem Unterbewusstsein zusammen. Wir haben auf jeden Fall die Möglichkeit, diese beiden mehr und mehr miteinander zu verbinden. Es ist jedem Menschen erlaubt, sich zu entwickeln, und jeder und jede von uns hat ein Recht auf die Entfaltung des eigenen Potenzials. Du wirst während der Lektüre dieses Buches einen kleinen Geschmack davon bekommen, wie es sich anfühlen könnte, sich auf diese innere Reise einzulassen.
Es war mir ein Anliegen, das Thema Unterbewusstsein von möglichst verschiedenen Seiten zu beleuchten, um damit den Reichtum und das sich darin verborgene Potenzial aufzuzeigen. Der Hauptfokus liegt jedoch auf der Entwicklung unserer Seele und den psychologischen Prozessen, denen wir Menschen im Laufe des Lebens alle auf ganz unterschiedliche Art begegnen. Im Mittelpunkt stehen die Themen der Potenzialentfaltung und des inneren Gleichgewichts. Beim Gleichgewicht handelt es sich um die beiden stärksten Pole, die in uns wirken, nämlich und das weibliche und das männliche Prinzip. Diese beiden Kräfte sollten sich ergänzen, so betten sie uns ein in das grosse Ganze.
Als Grundlage für die Erklärung dieser inneren Prozesse verbinde ich sowohl neuste wissenschaftliche Erkenntnisse wie auch altes, empirisch bewährtes Wissen aus verschiedenen Kulturen miteinander. Diese Vorgehensweise erlaubt ein breites Spektrum an Sichtweisen und dient dazu, das Verständnis für die menschliche Entwicklung der letzten Jahrhunderte Schritt für Schritt herzuleiten.
Viele Menschen haben leider die Tendenz, in ihrem Leben auf das, was negativ und schwierig ist, zu fokussieren. Es liegt ein wenig in der Natur der Sache, denn das ist es, was uns weiterbringen soll. Die Auseinandersetzung mit dem, was wir lieber vermeiden wollen, motiviert uns herauszufinden, was wir wirklich wollen. Ein natürlicher Prozess, der in der Regel unbewusst abläuft. Alles, was Angst macht und schwierig ist, scheint uns regelrecht zu faszinieren und trotzdem wünschen wir uns alle ein glückliches und erfolgreiches Leben. Ein Paradox, welches wir uns womöglich unnötigerweise selbst einbrocken?
Die Menge der Negativnachrichten, mit denen wir uns täglich berieseln und zuschütten lassen, ist beträchtlich. In der heutigen Zeit mit all den schon fast «normal» gewordenen Einflüssen von aussen, hinterfragen wir gar nicht mehr, ob wir das wirklich wollen oder brauchen. Macht es Sinn, sich so oft und so intensiv ablenken zu lassen? Tut es uns gut und ist es in dieser Dosis wirklich förderlich für das Leben? Bringt uns das wirklich weiter? Wir sind so sehr abgelenkt von den wesentlichen Dingen, dass wir gar nicht mehr wissen, welches diese wirklich sind. Um ein zufriedenes und sinnvolles, erfülltes Leben führen zu können, haben sich im Grunde die Voraussetzungen nie wirklich geändert. Möchte man durch inneres Wachstum eine bessere Lebensqualität erlangen, gelten immer noch dieselben Regeln wie eh und je. Damit wir uns dessen jedoch wieder bewusstwerden können, braucht es die aufmerksame Auseinandersetzung mit sich selbst und positive Vorbilder, an denen wir uns orientieren können.
Wenn wir von Vorbildern sprechen, ist es gut zu verstehen, dass einer der wichtigsten Prozesse im Leben jedes Einzelnen von uns die seelische, geistige Entbindung der eigenen Eltern und das Überdenken deren Wertevorstellung ist. Um in die eigene Kraft zu kommen und ein wirklich erwachsenes und selbstverantwortliches Leben führen zu können, brauchen wir die Auseinandersetzung mit diesen Themen, um einen Perspektivenwechsel vollziehen zu können. Dieser natürliche Prozess findet bei den meisten von uns zum ersten Mal in der Pubertät statt und ist ein grosser und wichtiger Entwicklungssprung, um in das eigene selbständige Leben zu kommen. Viele von uns durchlaufen, ungefähr in der Lebensmitte, noch ein zweites Mal einen ähnlichen Prozess, in welchem wir uns vertiefter mit den Werten unserer Eltern oder auch den kollektiven Werten der Gesellschaft auseinandersetzen und an der Differenzierung – wer wir schliesslich wirklich sein wollen – wachsen dürfen. Dafür müssen wir herausfinden, was uns persönlich wichtig ist, welche Bedürfnisse uns zu mehr Lebenssinn führen und was dazu beiträgt, dass wir in die volle Entfaltung unseres Potenzials und in die eigene Kraft kommen. Erst dann werden wir so richtig fähig, die Zukunft bewusst zu gestalten.
Bei vielen ist diese eigene innere Kraft auch im Erwachsenenalter noch überschattet von den Eltern. Die Mutter- und Vaterfigur, die wir als Kinder vorgelebt bekommen haben, sind immer noch sehr präsent. Denn je näher wir emotional und wertetechnisch das Leben unserer Eltern nachahmen, desto weniger haben wir uns gelöst und können als Erwachsene freie Menschen sein, die in die eigene Kraft kommen und etwas Neues bewirken können. Das ist das Gesetz der Evolution. Wir sind dann zwar körperlich erwachsen und haben uns möglicherweise geistig durch Bildung weiter als unsere Eltern entwickelt, seelisch sind wir jedoch immer noch mehrheitlich ein Abbild unserer Eltern und bewegen uns in den uns damals vorgelebten Rahmen, die wenig eigenen Gestaltungsspielraum zulassen. Die Seele ist jedoch genau das, was jeden von uns einzigartig macht, in der Kombination mit bewussten und unbewussten Erfahrungen und Talenten.
Um an diese heranzukommen, braucht es Differenzierung und teilweise Neuorientierung gegenüber dem, was uns geprägt hat, damit wir eine gesunde Selbständigkeit und Authentizität aufbauen können. Sich innerlich, seelisch von der eigenen Mutter oder vom Vater lösen zu können, bedeutet jedoch nicht, die Beziehung zu ihnen abzubrechen. Der Prozess besteht darin, sich bewusst zu werden, was die Generation der Eltern definiert; was unsere Generation von der vorgängigen differenziert und welches Wachstum darin verborgen liegt, um in die nächste Bewusstseinsstufe zu kommen. Das ist es, was uns erlaubt, symbolisch gesprochen, das eigene «Königreich» aufzubauen, in welchem wir selbst führen, bestimmen und weise regieren können. So kommen wir nicht nur unseren Talenten näher, sondern auch dem individuellen Lebenssinn. Erst dann können wir unsere wahre Lebensaufgabe angehen; möglichst losgelöst von kollektiven Konventionen, transformiert als autonome und verantwortungsvolle Wesen, die Veränderungen angehen und etwas Bedeutendes in Gang bringen können. Solche Menschen braucht die heutige Zeit. Je mehr es davon gibt, desto eher werden wir die Herausforderungen der Gegenwart in eine gute und sinnvolle Zukunft führen können.
Je nachdem wie sehr unsere Eltern im Gleichgewicht waren und uns aus der Gelassenheit heraus als Kind ins Leben begleiteten, konnten sie uns auch vorleben, wie man ein gutes und zufriedenes Leben lebt und dabei wirksam sein kann. Natürlich sind Eltern nie perfekt, das wäre ja auch langweilig und eine andere Art von Herausforderung. Das Traurigste jedoch wäre, dass es dann für uns nichts mehr zu lernen gäbe! Dabei hilft es, sich eine Extremform von Idealvorstellung von Eltern ganz allgemein auszumalen, um zu sehen, wo es noch Potenzial gäbe.
Hatten unsere Eltern Rahmenbedingungen, die dazu geführt haben, dass sie ihr Leben öfter auf der dunkeln Seite ausgelebt haben, weil sie mit grossen Herausforderungen konfrontiert, gestresst, depressiv, krank oder mit sonstigen schwierigen Dingen belastet waren, müssen wir den Weg in die eigene konstruktive Selbständigkeit selber beharrlich, Schritt für Schritt, meistens hart erarbeiten. Aber auch das Gegenteil ist der Fall. Wurden wir zu sehr verwöhnt und Schwierigkeiten von uns ferngehalten, werden wir unselbständig und wenig resilient. Hier zeigt sich also bereits die erste Situation, in welcher die «goldene Mitte» sich als sinnvoll erweist.
Auch wenn das manchmal verlockend ist, macht es wenig Sinn, unseren Eltern die Schuld für unsere eigene Situation zu geben, wenn gewisse Dinge schiefgelaufen sind, denn es gibt immer für alles einen guten Grund. In der Wut, der Trauer oder dem Frust zu verharren, bringt uns nicht weiter, sondern blockiert die Entwicklung und konstruktives Wachstum. Das heisst natürlich nicht, dass Eltern aus der Verantwortung genommen werden können. Denn sie sind selbst für ihr eigenes Seelenheil und, solange wir kleine Kinder sind, für uns verantwortlich. Es liegt jedoch an jedem von uns, für sich selbst zu entscheiden, was wir aus den Voraussetzungen, die wir mit auf den Weg bekommen haben, machen wollen. Für das eigene Seelenheil und die Entwicklung zur eigenen ausgeglichenen Persönlichkeit ist es besonders wichtig, auch schwierige Dinge verzeihen zu können, sonst werden wir von der eigenen Wut, Trauer oder den Schuldgefühlen sinnbildlich aufgefressen und regredieren, anstatt uns weiterzuentwickeln und in die Entfaltung zu gehen.
Wenn die Mutter oder auch der Vater ihr eigenes Potenzial nicht ausleben und uns inneres Gleichgewicht und Gelassenheit nicht vorleben konnten, dann liegt es mit grosser Wahrscheinlichkeit daran, dass sie es selbst nicht mit auf den Weg bekommen haben. Nur wenige von uns sind wirklich im Lot. Wie schnell ist es passiert, dass wir vom Leben, von einem Trauma, einer Geburt oder dem Tod eines nahen Menschen, aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Es ist immer wieder eine Herausforderung, sich selbst wieder ins Lot zu bringen. Das Leben, unser Körper, unser Geist und vor allem unsere Seele scheint jedoch regelrecht danach zu streben. Ich möchte sogar sagen, dass darin der Hauptsinn des Lebens liegen könnte. Sowohl für Männer wie für Frauen.
Ausgeglichene und gelassene Mütter, die einzig in dieser Rolle aufgehen und dafür geschaffen sind, sind eher selten zu finden. Vor allem das Leben als moderne Frau bietet so einige Möglichkeiten, ins Ungleichgewicht zu fallen. Die Doppelbelastung, körperlich Kinder auf die Welt zu bringen und trotzdem beruflich auf der so hart erarbeiteten geistigen Ebene weiterhin mitmachen zu können, ist ein grosser Spagat, der viel Unterstützung, Planung und Training benötigt, um ihn auf eine sinnvolle Art umsetzen zu können. Je mehr wir unter Druck stehen, desto grösser ist die Gefahr, dass wir aus dem Gleichgewicht rausfallen können. Heute leben wir in Zeiten, in welchen auch Mütter ihr Potenzial ausleben dürfen und wollen, ohne sich nur auf die «Produktion» von Nachwuchs konzentrieren zu müssen. Das hat natürlich wiederum Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft. Da die meisten von uns jedoch sich von den Gefühlen, Werten, Glaubenssätzen und Mustern der Eltern und Grosseltern noch nicht gelöst haben, hinterfragen wir diese Dinge nur wenig oder gar nicht. Wir lassen uns von der kollektiven Vorstellung eines «normalen» Lebens einfach steuern und müssen dann die Konsequenzen dafür tragen.
Dasselbe gilt auch für Männer und Väter. Auch für Männer ist es wichtig, ob sie im Gleichgewicht sind und bleiben können. Ob wir einen Vater hatten, dem es gelang, sein Gleichgewicht zu finden und uns das zu vermitteln, hat einen grossen Einfluss auf unsere Entwicklung. Selbstverständlich ist die Beziehung zwischen den Eltern auch ein wichtiger Faktor. Wir Menschen beeinflussen einander gegenseitig bewusst oder unbewusst. Ist die eine Seite einer Ehe aus dem Gleichgewicht, wird es für die andere schwierig, über eine längere Zeit das Gleichgewicht weiterhin aufrecht zu erhalten. Es muss also Entwicklung stattfinden. Das heisst, dass wir uns genauso von den Verhaltensweisen, Gefühlen, Glaubenssätzen und Mustern unserer Väter lösen müssen wie von jenen der Mütter, um wirklich in eine neue, eigene Kraft zu kommen.
Ein Lebenskonzept zu finden, welches uns nicht immer wieder ins Ungleichgewicht bringt, weil wir zu viel auf einmal wollen, ist gar nicht so einfach. Dieses Buch hat zum Ziel, einige Mittel und Wege aufzuzeigen, bewusster werden zu lassen und sich selbst besser zu verstehen. Zu realisieren, was es bedeutet, das eigene Potenzial auszuleben, um den persönlichen Weg überhaupt angehen zu können.
Solange wir jedoch von Glaubenssätzen, Mustern und Ängsten überschüttet sind, die uns hindern, an unser wahres Selbst heranzukommen, können wir diese Einzigartigkeit nicht erkennen und bewegen uns im Nebel des kollektiven Bewusstseins. Dieses Buch ist für all die Menschen, die sich für ein bewussteres und erfülltes Leben entscheiden möchten und sich für die eigene Entwicklung interessieren. Solche, die das Leben verstehen wollen und nach einer für sie sinnvollen Aufgabe suchen, weil sie es müde sind, diesem von aussen aufgesetzten gesellschaftlichen Druck gerecht werden zu müssen. Menschen, die vielleicht sogar aktiv zu diesem phänomenalen Wandel, der in unserer Gesellschaft gerade stattfindet, etwas Konstruktives beitragen wollen.
Mir selbst ist das ein Anliegen und das Thema, welches mich schon seit meiner Kindheit beschäftigt. In all meinen Lern- und Wanderjahren gab es mehrere Zitate von grossen Persönlichkeiten, die mich immer wieder begleitet und motiviert haben, weiterzumachen. Hier die drei prägendsten, die auch direkt mit dem Inhalt dieses Buches zu tun haben.
Bettina von Arnim, geborene Brentano, war die Frau von Achim von Arnim, der nebst Joseph von Eichendorf als einer der wichtigsten Schriftsteller aus der deutschen Romantik galt. Bettina selbst gehört zu den grossen weiblichen Ausnahmen dieser Zeit, denn auch sie gilt als prägende Autorin der Romantik.
«Selber denken ist der höchste Mut. Wer wagt, selbst zu denken, wird auch selbst handeln.»
Bettina von Arnim, Schriftstellerin, Zeichnerin, Komponistin und Vertreterin der Romantik 1785–1859
Ich habe über zwanzig Jahre lang Führungskräfte in verschiedensten Positionen begleitet. Dafür habe ich in meinen Seminaren oft mit den Führungsqualitäten des grossen Seefahrers Christoph Kolumbus als Metapher gearbeitet. Ganz zu Beginn des Films «1492 – Die Eroberung des Paradieses» wird folgender Satz von ihm zitiert:
«Kein Ergebnis menschlichen Fortschritts wird durch ungeteilte Zustimmung erzielt, und jene, die aufgeklärter sind als andere, sind auch dazu verurteilt, diesem Licht zu folgen, allen Widerständen zum Trotz.»
Christoph Kolumbus, italienischer Seefahrer 1451–1506
Hildegard von Bingen war eine herausragende Persönlichkeit aus dem frühen Mittelalter und fasziniert mich schon seit Jahren. Ihre ganzheitliche Herangehensweise an das Leben, wie sie anderen Menschen geholfen hat und die Art, wie sie unbeirrt ihren eigenen Weg gegangen ist, finde ich bemerkenswert. Dieses Zitat spricht mich deshalb ganz besonders an, weil es nicht nur sehr treffend, sondern auch wunderbar poetisch ausgedrückt ist und aus unserer Verletzlichkeit als Menschen ein Versprechen für das Schöne, welches daraus entstehen kann, widerspiegelt.
«Die Kunst der Menschwerdung besteht darin, die Wunden in Perlen zu verwandeln.»
Hildegard von Bingen, Äbtissin, Dichterin, Komponistin, natur- und heilkundige Universalgelehrte 1098–1179
«Persönliches Wachstum ist Zugewinn an Bewusstheit, Zugewinn an Verhaltens-Optionen, Zugewinn an Ich-Stärke, Zugewinn an Durchlässigkeit, letzten Endes ein Mysterium.» C. G. Jung
Persönlichkeitsentwicklung soll einen Menschen stärken, bewirkt Wachstum und erhöht die persönliche Resilienz, also Widerstandsfähigkeit im Sinne von verbesserter Lebensfähigkeit. Durch bewusste und sorgfältig geführte Persönlichkeitsentwicklung können wir ein anderes Bewusstsein entwickeln und kommen so in einen neuen Level der Menschwerdung. Potenzialentfaltung befähigt, einen erfüllten, zufriedenen und wirksamen Lebensweg zu gehen. Die daraus entstehende Resilienz befähigt uns zu einem leichteren Umgang mit Herausforderungen, die das Leben uns stellt.
Leider erkenne ich immer wieder, dass viele Menschen Angst vor dem Wort Psychologie haben. Sie haben die Vorstellung, man müsse ein wesentliches Problem haben oder gar lebensunfähig sein, um sich mit psychologischen Themen auseinanderzusetzen. Dies ist natürlich nicht der Fall, das ist ein weit verbreiteter Irrtum aufgrund fehlender Aufklärung. Deshalb möchte ich hier eine kleine historische Herleitung anfügen, damit besser verstanden wird, was mit Potenzialentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung gemeint ist. Das hilft, diese konstruktive Richtung der Psychologiewissenschaften, besser zu verstehen. Was die meisten bereits kennen, ist die Psychotherapie. Sie fokussiert darauf, Menschen zu helfen, wieder Fuss zu fassen, wenn diese den gesunden Zugang zu sich selbst verloren haben, mit Traumen konfrontiert wurden oder in schwierige Lebenssituationen geraten sind.
Persönlichkeitsentwicklung hat jedoch einen völlig anderen Ansatz: Sie hilft, gesunden Menschen ihr Potenzial zu entfalten, und sorgt für eine sinnstiftende und erfolgreiche Lebenserfahrung. Sie beschreibt den andauernden Prozess, den alle Menschen durchschreiten dürfen. Ist man damit jedoch alleine gelassen, ist das Ergebnis ungewiss und langwierig. Durch sorgfältige, professionelle Begleitung findet dieser Prozess bewusst geführt und vor allem ressourcenorientiert und zielführend statt. Dies trägt dazu bei, dass in einem definierten Zeitraum bei der Person eine merkliche Erweiterung des Selbstbewusstseins und der Selbstregulierung stattfinden kann. Dies wiederum erhöht die Möglichkeit, ein zufriedenes, erfolgreiches und wirksames Leben führen zu können, merklich.
Als Wirtschaftspsychologin hat man, ähnlich wie ein Sportcoach, zum Ziel, jemanden auf eine konstruktive Art zu seinem optimalen inneren Gleichgewicht zu bringen. So wird die Person auf eine natürliche Art robuster und leistungsfähiger. Das bewirkt, dass das Potenzial eines Menschen zum Vorschein gebracht wird. Der Fokus sollte dabei immer auf Ressourcenorientierung und auf einer zukunftsgerichteten Haltung liegen. Ich habe jahrelang Führungskräfte dabei begleitet, ihre eigenen Ressourcen besser nutzen zu können und sie befähigt, das Potenzial ihrer Mitarbeitenden hervorzubringen, damit diese sinnvoller eingesetzt werden konnten. Hier also eine historische Herleitung, die zeigt, was alles dazu geführt hat, dass diese innovative und zukunftsgerichtete Variante der Psychologiewissenschaft sich entwickeln konnte.
Die Geschichte der Psychologiewissenschaften ist noch relativ jung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts haben sich die Ursprünge der Tiefenpsychologie entwickelt. Eingeführt wurde der Begriff durch den Schweizer Arzt und Psychiater Eugen Bleuler 1857– 1939. Später wurde er geprägt vom österreichischen Arzt und Neurologen Sigmund Freud 1856–1939 und Begründer der Psychoanalyse. Seine beiden Schüler und Kollegen, Alfred Adler 1870–1937, Begründer der Individualpsychologie, und Carl Gustav Jung 1875–1961, Begründer der analytischen Psychologie, haben im Laufe der Freundschaft mit Sigmund Freud die Zusammenarbeit abgebrochen und ihre eigenen Psychologierichtungen entwickelt. Alle diese Herangehensweisen an die menschliche Seele, sind jedoch aus ärztlicher Perspektive entstanden mit dem Ziel, ein Defizit zu behandeln, und sind Therapieformen. C. G. Jung hat jedoch im Laufe der Jahre realisiert, dass die Auseinandersetzung mit dem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein nicht nur Heilung, sondern auch Persönlichkeitsentwicklung und Potenzialentfaltung bedeuten kann. Er hat dies den Individuationsprozess genannt.
Ungefähr zur selben Zeit hat sich parallel zur Psychologie auch die Disziplin der Pädagogik und Didaktik, also wie der Mensch am besten lernt, weiterentwickelt. Diese Theorien wurden bei uns vor allem von den Pädagogik-Pionieren Rudolf Steiner 1861–1925 und Maria Montessori 1870–1952 geprägt. Auch hier spielen die seelischen Bedürfnisse des Menschen eine grosse Rolle und werden bewusst aktiv in Betracht gezogen. Die beiden Pädagogen hatten jeweils einen leicht unterschiedlichen Ansatz. Bei beiden ging es jedoch darum, die natürliche Neugierde und Lernfähigkeit von Kindern zu erhalten und die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die Entfaltung der Persönlichkeit und Lernfähigkeit zu schaffen. Das Ziel dabei war, dass sich die menschliche Seele ideal entwickeln und entfalten kann. Die Erkenntnis, dass es wesentlich darauf ankommt, wie unsere Seele und unser Geist geformt werden, basiert auf psychologischen und neurologischen Erkenntnissen.
Das bestätigt auch die Sozial- und Arbeitspsychologie. Kurt Levin 1890–1947, Begründer der experimentellen Sozialpsychologie, die deutsche Psychoanalytikerin Ruth Cohen 1912–2010, Begründerin der themenzentrierten Interaktion TZI, und Elisabeth Kübler Ross 1926–2004,eine schweizerisch-US amerikanische Psychiaterin und Sterbeforscherin, hatten alle einen grossen Einfluss auf die damals völlig neue Disziplin der Arbeitspsychologie, aus der im 20. Jahrhundert die Betriebs- und heute die Wirtschaftspsychologie entstanden ist. Natürlich muss hier auch der Begründer der Transaktionsanalyse, Eric Berne 1910–1970, ein kanadisch-US-amerikanischer Psychiater, erwähnt werden, der mit seinem Dramadreieck – welches in meinen Kursen erklärt und angewendet wird – einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis von Menschen geleistet hat. Es ging immer darum, den Menschen und seine typischen und unreflektierten Verhaltensweisen besser zu verstehen. Das Ziel war es herauszufinden, welches die optimalen Rahmenbedingungen sind, um geistig und seelisch zu gedeihen und auf eine natürliche Art arbeitsfähiger zu werden.
Zusätzlich hat sich, ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Sportpsychologie entwickelt. Dieser Begriff wurde erstmals eingeführt von Pierre Baron de Coubertin 1863–1937, einem französischen Pädagogen, Historiker und Sportfunktionär. Er war massgebend für die Wiederbelebung der Olympischen Spiele 1896. Auch im Sport wird das Unterbewusstsein für die mentale Steuerung, um eine bessere Leistung bringen zu können, genutzt. Das kann gut auch für die Vorbereitung auf Prüfungen übertragen werden und gute Führungskräfte nutzen es, um ihre Mitarbeitenden im Arbeitsalltag zu Höchstleistungen zu beflügeln. Man könnte also sagen, dass es grundsätzlich zwei Richtungen in der Psychologie gibt. Die eine ist aus dem Defizit entstanden und die andere mit dem Ziel, die vorhandenen Ressourcen optimal zu nutzen. Der Fokus der ressourcenorientierten Methoden liegt also auf dem, was alles noch MÖGLICH ist und nicht was fehlt oder verschüttet ist, lässt aber das Zweite nicht ausser Acht.
Persönlich bin ich überzeugt, dass gerade in diesen veränderungsreichen Zeiten, in welchen wir leben, die Auseinandersetzung mit sich selbst eine der effektivsten Lösungen für eine gute Transformation der Gesellschaft und ein sinngeprägtes Leben für den einzelnen Menschen ist. Dazu müssen wir verstehen, dass wir unserem Leben selbst aktiv Sinn geben müssen. Nur dann können wir etwas bewegen. Sei es auch im Kleinen bei uns selbst und in der näheren Umgebung wie der Familie, der Partner- und Freundschafen, oder im Grösseren mit einer aktiven Rolle in der Gesellschaft.
Marie Luise von Franz, eine der berühmten Frauen aus dem Kreise C. G. Jungs, hat 1964 dazu schon folgendes geschrieben:
Heute leiden mehr und mehr Menschen, besonders diejenigen, welche durch ihre Arbeit in die Städte [oder vor den Computer] gebannt sind, unter einer gelangweilten Leere [oder Angst]. Es ist, als ob man immer auf etwas warten würde, das nicht kommt. Kino, Sportanlässe, politische Aufregungen, lenken uns eine Weile ab, aber immer wieder kehrt man doch von ihnen wieder müde und enttäuscht in die Öde der eigenen Wohnung zurück. Das einzige lebenswerte Abenteuer kann für den modernen Menschen nur noch innen zu finden sein. In der Ahnung, dass das so ist, wenden sich heute viele Yoga und anderen östlichen Lehren zu; aber das ist eigentlich kein Abenteuer, denn da übernimmt man ja nur das schon erkannte Wissen der Inder und Chinesen, aber man begegnet nicht direkt dem eigenen inneren Zentrum.
Marie Luise von Franz, Altphilologin und Psychotherapeutin, Mitarbeiterin von C. G. Jung aus «Der Mensch und seine Symbole», Erstausführung 1964 herausgegeben.
Sie meint damit, dass wir diese innere Reise und das damit verbundene ganz persönliche und intime Abenteuer durchleben müssen, um ein ganzer und freier Mensch mit Persönlichkeit werden zu können. Wenn das nicht so ist und wir einfach nur bestehende Konstrukte von der eigenen oder aus anderen Kulturen übernehmen, ohne diese zu hinterfragen und zu verstehen, werden wir nur an der Oberfläche des eigentlichen Lebens bleiben können. Wir haben dann zwar vielleicht auf der geistigen Ebene oder auch auf der körperlichen Ebene, beim Yoga, etwas verstanden, das Eigentliche, nämlich die Integration auf seelischer Ebene, findet damit jedoch nicht automatisch statt oder braucht sehr viel Zeit.
Erst die vertiefte Auseinandersetzung und Reflektion setzt diesen Prozess nachhaltig in Gang. Die persönliche Erfahrung und der Vergleich in der Gruppe oder innerhalb der Gesellschaft vervollständigt dieses Geschehen und erlaubt eine authentische und individuelle Integration der gewonnen Erkenntnisse. Dadurch werden wir fähig, die volle Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen.
Persönlichkeitsentwicklung kann man auch als eine Art «Training für die Seele» bezeichnen; Fitness und Wachstum zugleich. Es verhält sich ähnlich wie mit dem Muskelaufbau beim Körper oder dem gebildeten Geist. Der Mensch ist ein Übungstier. Viele von uns üben verschiedene Sportarten aus, um ihren Körper gesund und fit zu halten. Das hat in unserer Gesellschaft einen Körperkult hervorgebracht, den man in der Antike höchstens bei den olympischen Athleten oder Gladiatoren und Krieger gefunden hat.
Manche empfinden mehr ihren Geist als das wichtigste Gut, welches sie besitzen, stellen den Intellekt auf die höchste Entwicklungsstufe des Menschen, sind ehrgeizig, wollen sich beruflich profilieren. Lösen dafür Sudokus, spielen Schach, schreiben Gedichte oder machen andere Übungen, um ihr Gehirn bewusst ein Leben lang zu trainieren.
Was jedoch noch nicht sehr verbreitet ist, sind Menschen, die verstanden haben, dass unsere Seele der tiefgreifendste Schlüssel für ein nachhaltiges Wohlbefinden im Leben ist. Erst wenn wir unsere wahren Beweggründe, Muster, Glaubenssätze und Motive aus dem Unterbewusstsein ausfindig machen und verstehen, können wir, schwierige, ungewollte Gefühle, Muster, Glaubenssätze und Stressfaktoren, die uns Energie abziehen, neuprogrammieren.
Die meisten von uns tragen die Folgen einer mangelorientierten Gesellschaft mit sich herum. Hier ein paar typische Themen, die uns seelisch beeinflussen und in ein Mangeldenken leiten, anstatt in die Ressourcenorientierung.
Mangelorientierte Haltung bewirkt:
Dass man das Leben grundsätzlich als anstrengend und schwierig empfindet
Man geht davon aus, nicht zu genügen, Fehler zu machen und immer aufpassen zu müssen, nicht krank zu werden
Lernen, Leisten und Arbeiten wird als Druck empfunden, ist mit dieser Haltung ein Muss und kann deshalb gar keinen Spass machen
Perfektionismus und Kontrolle sind an der Tagesordnung. Auch muss man sich täglich informieren, was alles Schreckliches auf der Welt passiert, um für das Schlimmste gewappnet zu sein
Man ist der Meinung, regelmässig zum Arzt und anderen mächtigen Therapeuten gehen zu müssen, um zu kontrollieren, ob man nicht schon irgendwie krank geworden ist vor lauter Druck
Eine leistungsorientierte Gesellschaft fördert eine konsumorientierte Haltung, in welcher man, um bestehen und mithalten zu können, der oder die Beste sein muss, in dem, was man tut, am meisten verdienen sollte, ein grosses Auto besitzen, ein tolles Haus etc. etc.
Dass man nie wirklich genügen kann und deshalb sich das Leben so anfühlt, als wäre es eine riesige Prüfung und ein ewiger Kampf
Diese Lebenshaltung basiert auf dem Mangel und fördert das Bedürfnis, noch mehr machen oder besitzen zu müssen. Sie ist sehr verbreitet in unserer Gesellschaft und wird durch den Kapitalismus und unsere Konsumfreudigkeit bewusst gefördert. Die Angst, nicht zu genügen, das, was uns eigentlich glücklich machen würde, nicht zu besitzen, oder nicht perfekt zu sein, wird dann zur täglichen Bedrohung.
Nur wem es gelingt, diese Bedrohungen für sich aus dem Raum zu schaffen, ist wirklich resilient. Studien über besonders resiliente Menschen haben ergeben, dass nicht immer die Umstände es ausmachen, wie ein Mensch sich entwickelt, sondern andere Faktoren eine Rolle spielen. Warum auch ein junger Mensch aus schwierigen Verhältnissen eine starke Resilienzfähigkeit entfalten kann, hat andere Gründe. Zum Beispiel braucht es laut Studien für ein Kind nur einen starken Menschen mit einer positiven Grundhaltung zum Leben, im Umfeld oder in der Ahnenreihe, damit es seine Resilienz aktivieren kann. Ein wohlwollender Mensch, der bei sich ist und Gelassenheit vorleben kann, genügt bereits. Ist das nicht interessant?
Aus diesem Grund möchte ich hier zu einem bewussten Perspektivenwechsel in eine Haltung der Fülle und der Lebensfreude einladen:
Nehmen wir mal probehalber die andere Haltung ein – nämlich die der Fülle. Grundsätzlich hat jeder von uns jederzeit bis ins höchste Alter die Möglichkeit, sich selbst immer wieder neu und positiv zu programmieren und somit die eigene Resilienz zu erhöhen.
Hier also eine Aufzählung von Punkten, die zu einer ressourcenorientierten Lebenshaltung führen:
Ich achte auf meine seelischen, geistigen und körperlichen Bedürfnisse und gebe ihnen entsprechend Raum
Ich gehe mit mir und anderen wertschätzend und respektvoll um und muss nicht alles alleine machen
Ich bin dankbar für das, was ich habe, und bin zufrieden damit
Ich kann alles lernen, was ich mich interessiert und weiterbringt
Das Leben ist ein Abenteuer und ich habe Vertrauen in meine Intuition und die Menschen in meinem engsten Kreis
Wir sind alle hier, um zu lernen und an unseren Erfahrungen zu wachsen
Mit Geduld, einer konstruktiven Haltung, der nötigen Ausdauer und Hartnäckigkeit ist fast alles möglich
Diese positiven Glaubenssätze fördern eine ressourcenorientierte Haltung gegenüber dem Leben. Unser Gehirn ist die Schaltzentrale für unsere bewusste Existenz. Das ist der Computer, der unser Leben steuert. Je mehr wir über uns selber wissen und uns in unserer eigenen Komplexität erkennen und verstehen, desto mehr können wir unser Potenzial nutzen und es entfalten.
In meinen Kursen wende ich verschiedene Methoden aus der Motivations-, Positiv- und Arbeitspsychologie gezielt an, um das persönliche Wachstum der Teilnehmenden und eine ressourcenorientierte Haltung bei ihnen zu erreichen. Zusätzlich setze ich körperliches Training ein, damit auch das Gehirn flexibel bleibt und das Gelernte besser verarbeiten kann. Damit erreichen die Teilnehmenden über eine Zeitdauer eines Jahres ein neues Level an Bewusstsein und können danach Dinge erreichen, von denen sie bisher nicht einmal zu träumen gewagt haben.
All das habe ich natürlich zuerst an mir selbst ausprobiert. Der Weg in unser Innerstes, der geführte Individuationsprozess, wie es C. G. Jung genannt hat, ist eine abenteuerliche, faszinierende Reise, die jede und jeder von uns antreten kann. Gut geführt, erlaubt eine solche Reise ein achtsames und bewusstes Vordringen in die verschiedenen Bewusstseinsebenen. Wenn diese Reise auf sorgsame, wertschätzende und respektvolle Art geschieht, wird das vorhandene Potenzial freigesetzt. Dabei hat unsere Seele ein eingebautes STOP-System und lässt immer nur so viel Entwicklung zu, wie uns möglich ist zu bewältigen. Es ist ganz ähnlich, wie wenn wir uns auf eine grosse Reise vorbereiten, auf einen Triathlon oder die Besteigung des Mount Everest. Wir müssen trainiert sein, um das Ziel erfolgreich erreichen zu können.
Wir leben zum guten Glück in einer sehr gut informierten Zeit, in welcher wir dank der neusten Erkenntnisse der Wissenschaft, aber auch durch empirisches Wissen aus der Vergangenheit die Möglichkeiten haben, neue Ufer auch in unserer Seele zu entdecken.
7 Geschenke der Persönlichkeitsentwicklung
1. Du vertiefst deine Verbindung mit dir selbst und anderen
2. Du erhöhst deine eigene innere Heilkraft, Resilienz und Lebensenergie
3. Du bekommst geistige Erkenntnis und seelisches Wachstum für mehr Sinnhaftigkeit im Leben
4. Du kommst in ein neues Bewusstsein und wirst wirksamer
5. Du entwickelst mehr Innere Sicherheit, Führung und Zufriedenheit
6. Du entfaltest mehr Mut und Demut und kommst ins Gleichgewicht
7. Du bekommst mehr Weitsicht und entwickelst eine klare Vision deiner Lebensaufgabe
Damit du für dich selbst eine erste Einschätzung machen kannst, welche persönlichen seelischen Voraussetzungen du für eine gute Resilienz und ein inneres Gleichgewicht mitbringst, habe ich eine Liste von Kriterien, die zur Entwicklung einer gesunden Widerstandskraft führen, zusammengestellt. Diese soll dir helfen, dir Gedanken über deine aktuelle Lebenssituation, deine familiären und sozialen Voraussetzungen zu machen. Das gibt dir dann die Grundlage dafür zu entscheiden, ob du für dich persönlich etwas verändern möchtest.
Erst mal jedoch die Definition des Wortes Resilienz. Es hat seinen Ursprung im lateinischen Wort «resilire», welches «zurückspringen, abprallen» bedeutet. Das Wort wird als seelisch-psychische und körperlich-physische Widerstandsfähigkeit und Robustheit verstanden. Im praktischen Leben bedeutet dies, eine gesunde und ausgewogene Lebensvitalität zu haben, aber vor allem auch die Fähigkeit, Herausforderungen und persönliche Krisen zu bewältigen. Es beschreibt die Anlage, in schwierigen Situationen auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zurückgreifen zu können und für die eigene Entwicklung und das Wachstum zu nutzen. Mit Resilienz verwandt sind die körperliche Widerstandfähigkeit, in der Medizin «Salutogenese» genannt, Worte wie «Coping», welches mehr in der Wirtschaft im Sinne von mentaler Kraft genutzt wird. Aber auch das klassische Wort «Autopoiesis», welches aus dem Griechischen stammt und Selbsterhaltung bedeutet. Wenn ein Mensch nur wenig Resilienz entwickelt hat, ist er seelisch, körperlich oder geistig verwundbarer als andere. Resilient zu sein bedeutet also, besonders viel Lebenskraft zu haben, seine Energien am richtigen Ort für Sinnvolles einzusetzen und ein ausgeglichenes und somit wirkungsvolles Leben führen zu können.
Für einen gesunden Aufbau von Resilienz braucht es eine gewisse «magische» Anschauung des Lebens, die eine entsprechende Ressourcenorientierung und Lebensfreude überhaupt erlaubt. Eine grundsätzlich positive Grundhaltung ist die Basis aller Lebensfähigkeit, denn sie fördert die gesunden Anteile in unserem Wesen und gibt uns Kraft, uns immer wieder neu zu erfinden.
Wir wissen alle, wie sich solche magischen Momente im Leben anfühlen. Zum Beispiel wenn wir verliebt sind und uns dabei in der Seele eines anderen Menschen wiedererkennen; oder wenn wir ein neugeborenes Kind in den Armen halten; ein wonnevolles Lachen aus dem Herzen kommend hören; Kinder beim Ameisen zählen zuschauen, wie sie vollumfänglich im Hier und Jetzt sind; zwei alte Menschen sehen, die glücklich auf einer Bank sitzen und sich die Hände halten, und so weiter.
Wenn uns solche Situationen glücklich machen oder zum Schmunzeln bringen, dann wissen wir genauer, was mit einer magischen Anschauung des Lebens gemeint ist. Wenn es uns gelingt, ganz im Augenblick zu sein, im Hier und Jetzt, eins mit uns selbst und unserer Umgebung – in diesen Momenten sind wir im Einklang mit Körper, Seele und Geist und deshalb glücklich.
Auch Momente des Erfolges in der Arbeit, des Glücks in der Partnerschaft oder der Familie – wissen wir intuitiv – haben etwas von dieser Magie an sich. Wenn wir in einer lauen Sommernacht den Sternenhimmel beobachten und eine Sternschnuppe uns überrascht. Wenn wir Tiere in der Natur beobachten, dem Plätschern eines Bächleins zuhören. In der Forschung, wenn ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin eine neue Erkenntnis erlangt oder eine Entdeckung gemacht hat, ist das ein magischer Moment. Solche Momente prägen unser Dasein für immer und man vergisst sie nie, denn sie erfüllen unser Leben mit grosser Freude und Sinnhaftigkeit. Sie zaubern automatisch ein Lächeln auf unser Gesicht und lösen gute, tiefe und positive Gefühle gegenüber dem Leben aus. Es sind Momente im Hier und Jetzt.
Im Gegensatz wissen wir auch sofort, was gemeint ist, wenn wir Geschichten von Konflikten, Leistungs- Perfektions- und Gewinnmaximierung hören oder selbst erleben. Wir spüren dann sofort, wie die Stimmung sich verändert und die Energie im Raum sinkt, weil wir Angst bekommen vor dem Unbekannten oder Unberechen baren, was uns bevorsteht. Es kann aber auch sein, dass ein Wutausbruch eines Vorgesetzten oder einer Kollegin uns an Erfahrungen aus der Kindheit erinnert und die damalige Angst oder das Unverständnis in unserem Unterbewusstsein wieder getriggert wird. Die meisten von uns haben die destruktive Kraft, die Konflikte haben, schon oft am eigenen Leibe erfahren. Niemand mag sie und je nach dem, was für eine Geschichte wir haben, verunsichert sie uns mehr oder weniger und lässt einen Film aus der Vergangenheit vor unserem inneren Auge ablaufen. Was macht also Resilienzfähigkeit aus? Wenn du einen oder mehrere der folgenden Aspekte nicht bestätigen kannst, macht es Sinn, eine Standortbestimmung zu deinem Energiehaushalt vorzunehmen.
1. Positive und gesunde Rollenvorbilder und Grundhaltung zum Leben
2. Ein gutes Selbstwertgefühl
3. Ausgeprägte Eigeninitiative und Handlungsfähigkeit
4. Übernahme von Selbstverantwortung
5. Gute Selbstregulierungsfähigkeit
6. Gesunde Konfliktfähigkeit und Bewältigungsstrategien
7. Positive Erfahrungen der Selbstwirksamkeit
8. Handlungsperspektiven auch in Stresssituationen und bei Herausforderungen
9. Konstruktiver und unterstützender Freundeskreis bzw. ebensolches soziales Netzwerk
10. Gegenwarts- und Zukunftsorientierung, im HIER und JETZT leben können
11. Gesellschaftliche, berufliche und familiäre Akzeptanz und Geborgenheit
Die persönliche Grundlage für seelische Resilienzfähigkeit stellt sich grösstenteils über diese zwölf Punkte zusammen. Es gibt aber auch die körperliche und die geistige Resilienz. Weiter darf man nicht ausser Acht lassen, dass alle unsere vier Grosseltern und die gesamte Ahnenreihe, auf beiden Seiten, ebenfalls dazu beitragen, wie resilient wir bereits in der Basis sind. Die gute Nachricht besteht jedoch darin, dass wir, falls die Voraussetzungen nicht besonders gut sind, trotzdem durch seelisch, geistige und körperliche Entlastung und bewusster Aufbauarbeit unsere Wider standskraft wesentlich vergrössern können. Dies wird in den Kapiteln über unsere Prägungen, wie die Wahrnehmung entsteht, und über die Epigenetik genauer erklärt.
«Willst Du den Körper heilen, musst Du zuerst die Seele heilen.» Platon 427–348 v. Chr.
Gerne möchte ich hier auf drei grosse Persönlichkeiten aus der Antike, dem Mittelalter und der Moderne zurückgreifen, die bereits die Kraft der Seele erkannt und in ihrer Zeit versucht haben, sie zu nutzen. Wir sind von ihnen geprägt. Auf viele ihrer Werte und Aussagen baut unser europäisches Denken noch heute auf.
Zum Beispiel für den antiken griechischen Philosophen Platon war die Seele unsterblich. Seine spirituelle Ansicht zum Leben war, dass es ein universelles Prinzip gäbe, welches dem Körper Leben einhaucht, dieses selbst aber immateriell sei. Auf jeden Fall sah er einen Teil der Seele, der «tätige Geist», als unsterblich an – wenn auch nur als eine Art kosmisches Prinzip, das sich nach dem menschlichen Tod von jeder Individualität lösen würde. Vielleicht meinte er damit auch, dass wir mit unserem Geist ein Vermächtnis für die nächsten Generationen hinterlassen können.
Interessanterweise ging er jedoch davon aus, dass Seelen tatsächlich wandern und wiedergeboren werden können. Auch wenn über die Jahrhunderte unterschiedlich interpretiert, beeinflusste seine Philosophie das gesamte christliche Denken vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Den ersten Beweis für die Unsterblichkeit der Seele entwickelte Platon aus einem zyklischen Wiederkehren der Seelen. Die Lebenden werden zu Toten und aus diesen werden neue Lebende geboren. Damit könnte auch die Ahnenreihe gemeint sein. Einzig die Seele überdauert dieses Vergehen und Werden, meinte er, und wandert zwischen den Körpern und dem Reich der Seelen hin und her. Wie es wirklich ist, weiss bis heute noch keiner von uns genau. Es könnte metaphorisch gemeint sein, oder auch in einem realeren Sinne. Wichtig finde ich hier, auf diese Wechselwirkung zwischen Seele, Geist und Körper hinzuweisen, die schon Platon als ein Naturgesetz bezeichnet. So wie seelische Faktoren dazu beitragen können, dass körperliche Erkrankungen ausbrechen, kann umgekehrt der Geist, das Denken eines Menschen, seine Psyche und seinen Körper beeinflussen. Für Platon ist der Mensch ein Geist- oder eben ein Seelenwesen, dem es im Wesentlichen im Laufe seines Lebens um das Erkennen der Wahrheit und um das Erlangen von Weisheit gehen sollte.
Durch die Konzentration auf die Entwicklung der Seele über philosophische Bildung, meinte er, könne die Seele den Körper beherrschen – als Überwindung der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit. Er ging davon aus, dass es Ideen und die Gedanken sind, die die eigentliche Wirklichkeit ausmachen, und nicht materielle Objekte. Aus diesem Grund legte er besonderen Wert auf Tugendhaftigkeit.
Die von ihm geförderten Tugenden waren:
Weisheit
als Kombination von Wissen gepaart mit Erkenntnissen aus der Lebenserfahrung
Tapferkeit
im Sinne von Mut und Unerschrockenheit; sich nicht vom Wesentlichen ablenken lassen
Besonnenheit,
die sich in Geduld und Vernunft ausdrückt, keine voreiligen Schlüsse und Handlungen zu vollziehen. Gelassenheit also als Lebensziel.
Gerechtigkeit
ausgedrückt in Objektivität, Wertschätzung und einer wertfreien Haltung
Wer ein gutes Leben führen wolle, sollte sich in diesen vier Tugenden schulen und sie anwenden. Er war der Meinung, dass innere Freiheit nicht aus dem «Wählen-Können» besteht, sondern, dass wir das eigene Sein in seiner höchsten Möglichkeit, also der inneren Ganzheit, verstehen und danach streben sollten. Er war also für die Potenzialentfaltung des Menschen und definierte das Denken als Dialog zwischen der Vernunft mit sich selbst. Heute nennen wir das Selbstreflektion.
Ein positives Wertekonstrukt, welches das Gute in uns fördert und uns daran erinnert, was dazu beiträgt, wie wir ein zufriedenes und ausgeglichenes Leben führen können, sah er sozusagen als die Basis einer gesunden Gesellschaft. Diese zeitlosen Werte, wie sie damals von Platon entworfen wurden, sind immer noch aktuell und können auch heute noch als sinnvolle Grundlage für ein funktionierendes Lebenskonzept dienen.
Die zweite Persönlichkeit, die ich hier einführen möchte, ist die berühmte Äbtissin, Dichterin, Musikerin, Natur- und Heilkundige Hildegard von Bingen. Auch sie ist zum selben Schluss wie Platon gekommen und hat Folgendes gesagt:
«Drei Pfade hat der Mensch in sich: die Seele, den Leib und die Sinne.»Hildegard von Bingen 1098–1179 n. Chr.
Sie meinte damit, wer bereit ist, sich verletzlich zu zeigen, wird zugleich auch bescheidener, offener und ehrlicher sich selbst gegenüber. Sie hat ihr ganzes Leben, ihre Forschung und ihre Texte dem Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist gewidmet. Auch sie wollte dem Leben Sinn geben, durch die Verwirklichung der eigenen Talente und einer Spiritualität, die erlaubt, mit sich selbst und seiner Umwelt zufrieden zu sein. Das zeigt die Vielfalt an Wissenschaften, mit denen sie sich auseinandergesetzt hat.
Hildegard erhielt mit 42 Jahren (also ungefähr in der Lebensmitte) von einer inneren – sie bezeichnete sie, als göttliche – Stimme den Befehl, das niederzuschreiben und zu veröffentlichen, was ihr durch diese mystische Stimme offenbart wurde. Ob es stimmt oder nicht, können wir nicht wirklich wissen. Es ist auch nicht so relevant. Falls sie es sich als Strategie ausgedacht hat, war es auf jeden Fall sicher eine besonders intelligente Art, sich in dieser Zeit Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Sie liess sich von niemandem einschüchtern und ging ihren eigenen Weg. Ihre wesentlichen naturheilkundlichen Werke entstanden im Laufe weniger Jahre. Darin findet man Rezepte und Rat, deren Wirkung später von der modernen Wissenschaft bestätigt und noch heute in der Pharmaindustrie eingesetzt wird. Auch findet man in Drogerien und Apotheken noch Produkte, die direkt von den Rezepten von Hildegard abstammen, aber auf moderne Art verarbeitet und haltbar gemacht werden.
Sie war die erste Vertreterin der deutschen mittelalterlichen Mystik. Mit all ihren Fähigkeiten und wissenschaftlichen Errungenschaften zählt sie zu den einflussreichsten Gestalten des 12. Jahrhunderts. Sie war sehr mit sich selbst, ihrer Gemeinschaft und der Natur verbunden und hat über das Wesen der Elemente, der Mineralien, Pflanzen und Tiere viele Texte geschrieben.
Sie erklärte aufgrund ihrer göttlichen Eingebungen Ursachen und Behandlungen von Krankheiten und konnte damit vielen Menschen ihrer Zeit helfen. Viele ihrer Texte galten Jahrhunderte lang als verschollen oder wurden geheim gehalten und erst 1920 wieder entdeckt. Hildegard hat sogar eine eigene Schrift erfunden, die «Lingua ignota», was so viel wie «unbekannte Sprache» heisst. In der Zeit, in der sie lebte, wurde Mystizismus jedoch mehr und mehr mit skeptischen Augen angesehen, was später leider zur Inquisition ausartete. Deshalb war es schon zu ihren Lebzeiten ratsam, Vorkehrungen zu treffen, damit nicht jedermann Zugang zu diesen Schriften haben konnte. Diese «Geheimschrift» war also eine Mischung aus teils mittelhochdeutschen, teils lateinischen Wörtern. Ihr Wissen wurde heute in aktuellen Büchern zusammengefasst und hat immer noch dieselbe Bedeutung, wie vor über tausend Jahren. Auch zeigt Hildegard uns, wie kraftvoll es sein kann, eine Lebensvision zu haben und unser Tun fokussiert in eine zu Richtung lenken. Sie lehrt uns, wie man nach Gleichgewicht und Harmonie strebt und damit Sinn und Erfüllung im Leben finden kann.
Wie in der Ayurvedischen und der Traditionellen Chinesische Medizin TCM ist die Heilkunde Hildegards eine holistische, den ganzen Menschen betrachtende und umfassende Heilkunde, die neben dem Körper auch Geist und Seele berücksichtigt. Auch wenn dieser Ausdruck in Europa nicht so verbreitet ist wie TCM, bezeichnet man ihre Medizin als TEM, was Traditionelle Europäische Medizin bedeutet.
Dabei werden Fähigkeiten und Eigenschaften wie Selbstregulation, Selbstbewusstsein und die Entwicklung der Talente aus dem Inneren als wichtige Grundlagen für ein erfülltes Leben beschrieben. Diese intrinsische Entwicklung sollte idealerweise auf allen drei Ebenen stattfinden dürfen – körperlich, geistig und seelisch –, damit sie nachhaltig sein kann. Denn erst die Entfaltung auf diesen drei Ebenen macht uns zum ganzen Menschen, der sein Potenzial leben kann.
Die dritte Persönlichkeit stammt aus der Moderne. Maria Montessori 1879–1952, die berühmte Ärztin und Reformpädagogin, hat einiges später dieselben Erkenntnisse wie folgt ausgedrückt:
«Dabei [beim Lernen und der Vermittlung von Wissen] geht es nur darum, dass das Wesentliche im Kind nicht erlöscht wird, sondern dass man ihm ermöglicht, all seine Talente, die ihm von Natur aus gegeben sind, frei zu entfalten.»
«Moralische Erziehung [die Vermittlung von Werten und Prinzipien] ist die Quelle jenes spirituellen Gleichgewichts, von dem alles andere abhängt und das mit jenem körperlichen Gleichgewicht oder Gleichgewichtssinn verglichen werden kann. Ohne sie ist es unmöglich, aufrecht zu stehen oder sich in eine andere Position zu bewegen.»
«Persönliche Gesundheit hängt mit Selbstbeherrschung und der Anbetung des Lebens in all seiner natürlichen Schönheit zusammen – Selbstbeherrschung bringt Glück, erneuerte Jugend und ein langes Leben.»
All diese Zitate, auch wenn die Sprache zeigt, dass sie nicht aus unserer Zeit stammen, machen jedoch klar, dass das Bedürfnis nach Potenzialentfaltung, Sinn, Selbstregulierung und Gleichgewicht nicht erst unsere Generation beschäftigt haben, sondern dass das Streben danach grundsätzlich in der Natur des Menschen liegt. Egal in welchen Zeiten wir leben, seien sie eher ruhig oder turbulent und unsicher, wie wir sie heute haben.
Wichtig als Erkenntnis für uns alle erscheint mir hauptsächlich zu verstehen, dass wir uns nicht zu sehr an dem, was von aussen auf uns zugetragen wird, orientieren, sondern in uns hineinschauen, um zu sehen, was für Schätze wir in unserem Inneren finden und bergen können.
In einer lauten und verunsichernden Zeit, wie der unsrigen, finde ich es besonders wichtig zu erkennen, dass wir zufriedener werden, wenn wir unsere innere Welt erkunden und bilden, anstatt uns zu sehr an der globalen Presse, der virtuellen Welt, dem künstlichen Leistungsdruck, dem Konsumverhalten und den kapitalistischen Grundlagen der Wirtschaft zu orientieren. Eine Investition in die eigene Seele, den Körper und den Geist, die Reise zum inneren Selbst ist nie verschwendet und fördert die Lebenskraft, anstatt die Lebensenergie zu entziehen.
Wenn wir also ins innere Gleichgewicht kommen wollen, ist es sinnvoll, sich zu überlegen, was das Wesentliche im Leben für jeden einzelnen von uns bedeutet. Was macht es aus, dass wir zufrieden und erfüllt sind, aus unseren Fehlern lernen und besser werden können?
Die Leistungsgesellschaft wird bereits in der Familie geboren, in der Schule kultiviert und an der Arbeit verlangt. Perfektionismus und Exzellenz, von aussen aufgedrückt, funktioniert jedoch nie. Das ist einer der Gründe, warum es zurzeit so viele Depressionen und Burnouts in unserer Gesellschaft gibt. Die Menschen rennen Trends hinterher, anstatt sich zu fragen, was sie wirklich brauchen, um zufrieden zu sein. Nur was von Innen sich entfalten kann, ist wirklich nachhaltig und echt. Dieses aus den Tiefen des inneren Selbst kommende Interesse am Leben nennt man intrinsische Motivation. Sie entsteht in folgenden Ablaufstufen:
1. Selbsterfahrung experimentieren und Lebenserfahrung sammeln
2. Selbsterkenntnis durch Vergleich, Beobachtung und Überlegung
3. Selbstverständnis anhand von Reflexion, einzeln, zu zweit oder im Vergleich in der Gruppe
4. Selbstbewusstsein so tief in alle Bewusstseinsebenen, wie es geht
5. Selbstregulation regelmässig und konsequent, integriert als positives Entwicklungsmuster
6. Selbstverantwortung bewusst in möglichst vielen Bereichen übernehmen
7. Selbständigkeit auf allen drei Ebenen: Körper, Seele und Geist
Offensichtlich dürfen wir heute auch gemeinsam ein neues, zukunftsgerichtetes und konstruktives, erfolgreiches männliches UND weibliches Bewusstsein entwickeln. Das zeigen die aktuellen Entwicklungen in der Gesellschaft zu diesen Themen. Dass es eine gewisse Fluidität zwischen den Geschlechtern gibt, war jedoch schon immer so und wird mit grosser Wahrscheinlichkeit auch immer so sein. Nur wenn wir vom Männlichen reden, dann werfen wir immer noch tendenziell automatisch alles in einen Topf, was wir historisch geprägt als männlich wahrnehmen, und umgekehrt, wenn wir vom Weiblichen reden, meinen wir die historisch und von Filmen und Bücher geprägte Art, wie Frauen in der Vergangenheit kollektiv dargestellt und wahrgenommen wurden. Sobald man sich das jedoch etwas genauer überlegt, kann es ja gar nicht sein, dass alle nach Stereotypen funktionieren. Es gibt stärkere und weniger starke Ausprägungen. Die Natur ist nie so radikal in ihren Ausführungen, wie wir sie in unserm Kopf schubladisieren. Das Leben funktioniert schlichtweg nicht so. Es ist ein bunter Fächer an Vielfalt und Reichtum. Wir Menschen möchten verstehen und haben deshalb die Tendenz, zu kategorisieren und zu schubladisieren, um der Komplexität und Überforderung etwas entgegenzuhalten.
Was der Natur und ihren Gesetzen jedoch eher näherkommt, ist, dass wir alle Anteile in uns tragen, mehr oder weniger ausgeprägt und mehr oder weniger kultiviert oder verschüttet. Darauf ist auch C. G. Jung in seinen Forschungen über Symbolik, Alchemie und indigene Völker gekommen.
Es ist mir wichtig, hier zu erwähnen, dass das berühmte Yin-und-Yang-Symbol, welches wir heute ebenfalls versuchen in männliche und weibliche Aspekte zu drücken, ursprünglich gar nicht den Geschlechtern zugeordnet war. Lao-Tse hat damit nur die beiden archaischen Spannungsfelder oder Pole ausdrücken wollen, die in uns allen enthalten sind. Erst Konfuzius hat die dunkle und die helle Seite den Geschlechtern zugeordnet. Mehr dazu im Kapitel über die Archetypen.
Es geht jedoch in all diesen Varianten immer um das Gleichgewicht von Körper, Seele und Geist. Wichtig ist, dass wir sie kennen und das entsprechende Gegenstück in einem Lebenspartner oder einer Lebenspartnerin finden können. Dinge und Haltungen können sich auch im Laufe eines Lebens verändern. Das Leben ISTVeränderung. Auch wenn wir Menschen gerne Stabilität bevorzugen und lieber wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Veränderung und Stabilität sind genau eines dieser Gegensatzpaare, die ein solches Spannungsfeld darstellen. Ohne Spannungsfelder gibt es kein Leben, denn erst durch dieses Spannungsfeld entsteht Energie und daraus entsteht wiederum Leben.
Immer wenn wir an etwas festhalten wollen und statisch werden, in unserem Denken, im körperlichen Verhalten oder seelisch in der Angst verharren, dann kommen die Probleme, Konflikte und Krankheiten an die Oberfläche. Sobald wir wieder in den Fluss kommen, kommt auch unser Körper wieder in Bewegung, die Situation beruhigt sich wieder, wir werden leichter, präsenter und können unsere Zukunft in der Gegenwart wieder bewusster gestalten. Das ist die Idee des sogenannten Flows, ein Begriff geprägt von Mihaly Csikszentmihalyi, der damit einen beglückten mentalen Zustand völliger Vertiefung und Aufgehens in der Tätigkeit, die man gerade ausübt, beschrieben hat.
Das ist es auch, was man mit Tai-Chi oder Qi Gong-Training erreichen möchte. Nach achtzehn Jahren Training hat mein Körper dies einverleibt und ich kann mich mit be stimmten Bewegungen selbst innert Kürze wieder zurück in den Zustand des Gleichgewichts bringen, damit nicht nur mein Geist wieder zur Ruhe kommt, sondern jede Zelle in mir drin danach strebt, den Fluss in Bewegung zu halten.
Auch unsere Sprache und die Worte, die wir benutzen, zeigen oft auf, wo wir uns geistig und seelisch gerade befinden. Fühlen wir uns in einer Sackgasse gefangen, verbalisieren wir es meistens auch so. Dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass wir uns gerade in einem bestimmten Lebensbereich statisch verhalten. Meistens sind wir dann aus irgendeinem Grund in der Vergangenheit steckengeblieben und hängen dort in einer Schlaufe fest. Erst wenn wir seelisch verstehen, was wir lösen müssen, um wieder in Bewegung zu kommen, kann der Stau aufbrechen und wieder in den Fluss kommen.
Die Grundgesetze scheinen immer dieselben zu sein. Es geht darum, in Bewegung und in der Veränderung zu bleiben, nichts zu erzwingen oder mit Machteingriffen durchsetzen zu wollen. Dabei dreht sich alles um die Achtsamkeit, Demut, Mut und das richtige Tempo. Alles im Leben scheint immer eine Frage des Gleichgewichts zu sein.
Sobald wir in die Angst kommen, werden wir starr und unser Unterbewusstsein übernimmt die Steuerung aufgrund dessen, was es bereits kennt, sei es nun sinnvoll oder nicht. Oft verwirren wir uns in diesen Augenblicken selber und wirken nach aussen unsicher, unkontrolliert und unberechenbar. Gelingt es, in der eigenen Mitte zu bleiben und möglichst wertfrei an ein Thema heranzugehen, kommen die Lösungen viel einfacher und von alleine im richtigen Augenblick.
Beispiele:
Wenn ein Mann sich gerne mehr um seine Kinder kümmern möchte und trotzdem die Anerkennung einer Karriere oder die Sicherheit eines Einkommens haben möchte, ist die Frage, wie er sich, zusammen mit seiner Frau, organisieren muss, damit sie gemeinsam ein Gleichgewicht erreichen können, welches für beide stimmig ist.
Wenn eine Frau unbedingt Kinder haben möchte, ist die Frage, wie sie alles unter einen Hut kriegt, damit sie körperlich, seelisch und geistig im Gleichgewicht bleibt. Wie lange kann sie beruflich eine Auszeit nehmen, ohne den Anschluss zu verpassen, ohne dass ihre geistigen Bedürfnisse zu kurz kommen und so, dass sie trotzdem auch ihren Bedürfnissen als Mutter noch gerecht werden kann?