Kopf Geld Jagd - Florian Homm - E-Book

Kopf Geld Jagd E-Book

Florian Homm

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Beschreibung

Sein Ruf ist legendär. Sein Leben ein Abenteuer. Seine Häscher gnadenlos. Florian Homm. Ein Zweimeterhüne. Ein Plattmacher. Ein skrupelloser Hedgefonds-Manager. Die Fratze des neuen Turbo-Kapitalismus. Einer, der mit gerade einmal 26 Jahren für südamerikanische Regierungen und Vermögende Millionen bewegte. Einer, der kaltherzig Unternehmen filetierte und die besten Stücke weiterverkaufte. Einer, der etliche Villen, zwei Flugzeuge und mehrere Hundert Millionen Dollar Vermögen besaß und trotzdem eines nicht hatte: genug – stattdessen ständig getrieben nach immer mehr. Wie im Rausch pflügte Florian Homm mit brutaler Effizienz durch sein Leben, das im kleinen Oberursel begann und ihn über Harvard ins Herz der Finanzmärkte führte. Gleichermaßen brillant und charismatisch beginnt er seinen kometenhaften Aufstieg im härtesten Business der Welt. Im Laufe seiner Karriere verdiente er am Bankrott der Bremer Vulkan-Werft, sanierte den Fußballklub Borussia Dortmund und wurde in Venezuela niedergeschossen. Doch auch dann, dem Tod nur knapp entronnen, gibt es für Florian Homm nur eine Richtung: die Flucht nach vorne. Bis ihn sein rücksichtsloses Leben plötzlich einholt. Die Geschichte eines genialen Finanzjongleurs, eines Gesuchten, eines Gejagten, des berüchtigtsten Enfant terrible der europäischen Finanzwelt. Dies ist seine Geschichte.

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Seitenzahl: 506

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Für meine Tochter Isabellaund meinen Sohn Conrad.

Florian Homm

KOPFGELDJAGD

Wie ich in Venezuelaniedergeschossen wurde,während ich versuchte,Borussia Dortmundzu retten

FBV

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

5. Auflage 2023

© 2013 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Almuth Braun

Redaktion: Werner Wahls

Korrektorat: Annegret Schenkel

Coverfoto: Eva Feilkas

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

Bildteil, S. 12: Steffen Kugler, picture-alliance/dpa

Bildteil, S. 13: Christof Koepsel, Bongarts/Getty Images

Bildteil, S. 14: Lars Baron, Bongarts/Getty Images

Bildteil, S. 16: www.our-school-liberia.com

ISBN Print 978-3-89879-788-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-358-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-414-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

DANKSAGUNG

An erster Stelle möchte ich meiner Exfrau danken, die nicht nur meine Verrücktheit und Unbeständigkeit zwei Jahrzehnte lang ertrug, sondern auch unsere beiden Kinder fast im Alleingang großzog. Ihre Güte und Weisheit war eine Inspiration, ein positiveres und wahrhaftigeres Leben zu führen. Ich vergebe ihr das Jahr in der Scheidungshölle, in dem sie mich weitaus mehr terrorisierte als meine ärgsten Feinde in der Unternehmenswelt. Auch danke ich meinem Sohn Conrad und meiner Tochter Isabella für das schönste Wochenende, das ich im letzten Jahrzehnt erlebt habe. Es ist fantastisch, wie beide mir verziehen haben. Ich bin stolz auf euch, Kinder! Ich danke meiner einzigartigen Mutter, die mich so liberal und unabhängig erzogen hat, wie man sich nur denken kann, und die dadurch meinen starken Ehrgeiz und Erfolgswillen angeregt und genährt hat. Ihr alle habt mich inspiriert, mit meiner Vergangenheit ins Reine zu kommen und dieses Buch zu schreiben. Besonderer Dank geht an meine verstorbene Schwester Barbara. Ihr Leitspruch »No Risk – No Fun« und Ihr Lebenswille hat mich schon immer tiefgründig beeinflusst. Barbara und Necko würden in der aktuellen Situation nur eine Empfehlung aussprechen: Konfrontiere Deine Feinde, tue viel Gutes und mach es richtig.

Meine besondere Dankbarkeit gilt auch Christian Jund, meinem mutigen und visionären Verleger, der die Courage hatte, es mit so einem infamen, überaus kontroversen Charakter wie mir aufzunehmen. Ich danke Georg Hodolitsch, dass er das Beste aus mir herausgeholt hat. Liebe Almuth, vielen Dank für Deine schönen Worte. Ich danke der gesamten K-Familie für ihre Unterstützung dabei, dieses Buch auf den Markt zu bringen. Howard Marks alias Mr. Nice, du hast mir gezeigt, wie man wieder aufsteht, wenn man am Boden liegt. Du hast meine verrückte Mission verstanden, hast gelächelt und deine Weisheit mit mir geteilt. Ich danke DM für die Hilfe bei der Formulierung der »zweiten Dimension«, die dieses Buch ungemein verbessert hat, und ich danke GM dafür, uns zusammengebracht zu haben.

Ich bedanke mich ebenso besonders bei Herrn Rentrop und Herrn Thomas Schwoerer für ihre exzellenten Ideen.

Ein spezieller Dank geht an mein transatlantisches Rechtsberaterteam für sein Fachwissen, seine Geduld und seine psychische Unterstützung.

Nachhaltig positiv beeinflusst hat mich die Präsidentin von Liberia, die Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson Sirleaf, eine der größten Frauen unserer Zeit. Sie vermittelt ein Gefühl von Entschlossenheit, den Benachteiligten und Unglücklichen zu helfen. Botschafter Thomas McKinley motivierte und drängte mich zehn Jahre lang unaufhörlich, dort zu helfen, wo es am nötigsten war. Sie sind die geistigen Eltern des Liberia Renaissance Educational Complex. Sie haben mich auch zu einem besseren Menschen gemacht. Marcel und Olivia haben Hervorragendes dabei geleistet, den liberianischen Traum am Leben zu erhalten. Ihnen allen gilt mein Dank.

Giorgio hat mir gezeigt, was in Freundschaften wichtig ist, weil er so ein treuloser Bastard ist und mich sogar noch böswillig hintergangen hat, als ich ihm sein armseliges Leben gerettet hatte. Durch dich habe ich zwei großartige Freunde gefunden. Sogar für Giorgio bete ich und wünsche ihm das Beste.

DR, du größter Verräter unter den unbedeutenden Menschen. Ich habe dich zum Millionär gemacht. Du warst ein Teil meiner Familie, und ich habe deine Eltern gastfreundlich in meinem Haus aufgenommen. Gedankt hast du es mir mit Hass und Boshaftigkeit. Ich habe dich sogar aus einem deutschen Strafverfahren herausgehalten und dir deinen Betrug vergeben. Danke, dass du mir gezeigt hast, wie ich nicht sein will. Wusstest du, dass die Jungfrau Maria im Koran öfter erwähnt wird als im Neuen Testament? Entsprechend der Lehre Marias und meinen persönlichen Überzeugungen bete ich für dich und segne dich. Dir zu vergeben, fällt mir nicht leicht.

Ich darf nicht vergessen, zwei Journalisten zu danken. Ihre einseitigen und böswilligen Berichte, die auf idiotischen Annahmen, schlechter Recherche und billiger Sensationsgier beruhten, ragten weit aus der Masse heraus: Herr T. von Bloomberg schrieb einen auf empörende Weise unzutreffenden Artikel, in dem er meinen Geburtsort sowie meine Abschlüsse am Harvard College und an der Harvard Business School in Zweifel zog und behauptete, ich hätte nie für Deutschland Basketball gespielt. Die zweite unrühmliche Erwähnung gilt der Financial Times Deutschland, wobei ich von einem langen und offenen Gespräch mit Herrn B. tief beeindruckt war. Der hervorragendste und amüsanteste Artikel, der je über mich geschrieben wurde, erschien ebenfalls in der Financial Times Deutschland und stammt aus der Feder zweier erstklassiger investigativer Journalisten: Sven Clausen und Christian Höller. In verschiedenen Artikeln wurde ein monströs-eindimensionales Bild von mir geschaffen, und half dabei, eine weltweite Menschenjagd zu starten, die jedes Menschenrecht verletzte und den formalen Rechtsweg in Amerika und Europa behinderte. Liebe Journalisten, Eure Pfuschereien haben mich angeregt, die Sache richtigzustellen, was hoffentlich wiederum auch andere Kollegen veranlassen wird, ihrer investigativen Arbeit künftig professioneller nachzugehen. Ich habe für Sie gebetet. Ich hoffe aufrichtig, dass Sie Ihre boshafte Energie in Zukunft auf christlichere Weise kanalisieren können.

Ich danke meinem Freund Uhlemann, der mir als Einziger aus meiner 10.000 Kontakte umfassenden persönlichen Datenbank ein sicheres Obdach anbot, um den Sturm abzuwarten. Kevin, danke für deine Gebete. JD und Marco, danke, dass ihr ein halbes Jahrzehnt lang versucht habt, mit mir in Kontakt zu kommen. Bitte habt Verständnis, dass meine Situation sehr herausfordernd ist. Christian, ich freue mich auf den Tag, an dem wir wieder in Marokko Schach spielen können. Bleib stark und bleib der Gewinner in deinem heldenhaften Kampf gegen M. S. Dear Jacob, den ehemaligen Mossad-Agenten, Anwalt und Mini-Tycoon. Du hast dich als einer der wenigen wahren Freunde erwiesen, auch noch nachdem ich nicht mehr nützlich für dich war. Hakki, deinem Wort konnte man immer vertrauen, und das ist deine Stärke. Danke.

Sascha und Guillermo. Ihr gehört zu den wenigen bei ACMH die authentisch, dankbar und kompetent waren. Was will man mehr?

Ich danke Ciaran und Donna dafür, dass sie das wohltätige Projekt Maximum Impact Medicine (MIM) mit größter Entschlossenheit vorangetrieben haben. Setzt euch immer hohe Ziele! Ihr werdet das Leben von Tausenden, vielleicht Millionen retten und verbessern. Solange es Menschen wie euch gibt, die für eine bessere Welt kämpfen, besteht für uns alle Hoffnung.

Ich danke meinen »revolutionären« Freunden dafür, dass sie mich während vieler angespannter Momente geschützt und geführt haben. Ich danke meinem keltischen Freund, dass er mein Herz für die Gottesmutter Maria, für Gott und die wunderbaren Botschaften von Christus geöffnet hat.

Gott hat meiner Seele eine zweite Chance gegeben. Er hätte mich leicht bei einem halben Dutzend Gelegenheiten zu sich rufen können und ließ mich trotzdem am Leben. Gott, ich bereue und bin ungeheuer dankbar. Abschließend meine Schutzengel: Ihr habt Überstunden gemacht und viel zu wenig Anerkennung erhalten. Ich liebe euch. Bleibt bei mir und behaltet weiter meinen Rücken im Auge.

INHALT

Vorwort des Autors

Einleitung

Teil I – Anfänge

1. Eine reizende Familie

2. Sturm und Drang

Teil II – Aufstieg

3. cum laude

4. NYC

5. Ein Junghai wetzt die Zähne

Teil III – Raubzüge

6. Abenteuerkapitalismus

Teil IV – Zerfall

7. Haie im Blutrausch – vom Exzess zum Niedergang

8. Eine Lanze für die »Heuschrecken«

9. Der Tanz um das Goldene Kalb fordert seinen Preis

10. Liberia

Teil V – Nebelwald

11. Auf der Flucht

12. Dichtung und Wahrheit

13. Über den Wolken

14. Pläne für eine sinnstiftende Zukunft

Nachwort – Monate später

Der Autor

VORWORT DES AUTORS

Diese Geschichte beruht auf Tatsachen. Um mögliche juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden und Dritte zu schützen wurden gewisse Namen und Orte geändert.

Der Autor dieses Buches steht in dem Ruf, ein berüchtigter Finanzjongleur zu sein. Seine Lebensgeschichte ist daher ein gefundenes Fressen für die üblichen Kritiker. Was ist leichter, als einen Menschen in Verruf zu bringen, der von Regierungsbehörden und Privatpersonen verklagt wird und für dessen Ergreifen ein Kopfgeld ausgesetzt ist? Jeder kann mit dem Finger auf ihn zeigen – und ich bitte sogar darum. Die Klischees über Hedgefondsmanager, zum Beispiel, sind so beschaffen, dass sie zu solchen Reaktionen geradezu einladen. Doch wie sagte Andy Warhol so treffend: »Achte nicht darauf, was man über dich schreibt. Miss nur die Länge des Textes.« Der größte Misserfolg wäre es, ein Buch zu schreiben, das überhaupt keine Reaktionen, Meinungen oder Kontroversen auslöst. Zahlreiche Drohungen und Verdammungen sind somit unvermeidlich. So ist der Mensch eben beschaffen.

Anders als manch andere Lebensgeschichte ist dieses Buch weder der Versuch einer Selbstrechtfertigung noch steht dahinter die Absicht, ein paar lumpige Dollars zu verdienen. Ich bin zwar ohne jeden Zweifel selbstbesessen, dennoch versuche ich, nicht den Selbstgerechten zu mimen. Insgesamt gebe ich zweifellos das Bild eines abgefeimten, habgierigen Spekulanten ab. Das ist in Ordnung, denn ein guter Ruf ist eine schwere Bürde, und meiner ist bereits hoffnungslos ruiniert. Ich kann es mir leisten, ehrlich zu sein. Und was die Nachwelt angeht, halte ich es mit Groucho Marx: »Warum sollte ich mich um die Nachwelt scheren? Was hat die Nachwelt je für mich getan?«

Dieses Buch handelt im Wesentlichen von Wandlung, von unserer Fähigkeit, aus der eigenen Geschichte zu lernen, und von der Fähigkeit, unsere Torheiten aus der richtigen Perspektive und mit einer gewissen Selbstironie zu betrachten.

Noch ein Letztes: Es wird dringend davon abgeraten, irgendeine der in diesem Buch beschriebenen Handlungen nachzuahmen.

Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher.

Albert Einstein

EINLEITUNG

Ist das Leben nicht viel zu kurz, um sich selbst zu begrenzen?

Friedrich Nietzsche

18. September 2007

Als ich mir auf dem privaten Flughafen von Palma de Mallorca zwischen den Flugzeugen anderer Magnaten, die auf Mallorca leben oder Urlaub machen, den Weg zu meiner Pilatus PC-12 bahnte, fühlte ich mich ausgelaugt, erschöpft und fertig. Am Abend zuvor hatte ich meiner treuen persönlichen Assistentin Daniela 50.000 Euro, meinem ecuadorianischen Hausbetreuer Giovanni 20.000 Euro und meinem Zimmermädchen 20 Euro als Dankeschön und Abschiedsgeschenk überreicht. Ich hatte meinen Abgang mit preußischer Genauigkeit geplant und seit 48 Stunden nicht geschlafen. Der frühmorgendliche Himmel hatte die Farbe von hellem Aquamarin und eine frische mediterrane Brise wehte mir ins Gesicht.

Die Sicherheitsüberprüfung am Flughafen war an diesem Morgen wie üblich sehr oberflächlich. Niemand interessierte sich näher für meinen Ausweis oder mein Gepäck. Die Sicherheitsleute kannten mich gut. Sie wussten zudem, dass ich den Status eines akkreditierten Diplomaten genoss und eine eingehende Überprüfung ein politischer Fauxpas gewesen wäre.

Ich setzte eine respektierliche Miene auf, als mich der verschlafene Kollege der Flugsicherheitswache zum Flugzeug eskortierte. In meiner Unterwäsche, meinem Aktenkoffer und meiner Zigarrenkiste hatte ich insgesamt 500.000 Dollar versteckt. Mein »Kurier« und Freund Giorgio, der mich begleitete, hatte noch mehr bei sich – ungefähr 700.000 Dollar. Aber das ist sein Job. Er bekam 30.000 Dollar für weniger als eine Stunde Arbeit. Giorgio ist ein ehemaliger Unternehmer, der zu gierig wurde und sein respektables Geschäft in einen Geldwäscheautomaten für ein paar sehr unangenehme Zeitgenossen verwandelte. Nach einer unfreiwilligen Zeit der Besinnung beschloss Giorgio, kein Mafioso mehr sein zu wollen, und wurde mein Berater. Er ist auf die Bewältigung heikler persönlicher und geschäftlicher Herausforderungen sowie die Lösung von Problemen spezialisiert, die zumeist darin bestehen, dass ich bedroht werde oder einen Informationsvorsprung brauche, bevor ich eine umfangreiche Investition tätige oder in großem Stil Aktien leerverkaufe. Giorgio sorgt außerdem dafür, dass mein Italienisch nicht zu sehr einrostet.

Was wir da taten, war völlig legal – wir bewegten lediglich mein Bargeld innerhalb von Spanien von einem Ort an einen anderen. Ich hatte die Belege meiner Schweizer Bank über die Bargeldabhebung bei mir, für den Fall, dass die Guardia Civil und ihre Drogenhunde im Rahmen einer Zufallsüberprüfung auftauchen und das diplomatische Protokoll ignorieren sollten. Wir waren auf dem Weg nach Valencia, wo sich unsere Spuren verwischen würden. Wie das Geld anschließend nach Kolumbien geschafft werden sollte, war noch nicht ganz klar.

Als wir das Flugzeug bestiegen und in die maßgefertigten weißen Ledersessel sanken, kam mir ein Gedanke. »Wolfi«, sagte ich zum Piloten, »warte noch einen Augenblick. Ich muss mit meinem Anwalt sprechen.« Wolfi hat schwarze Locken, eine beeindruckende, sehr muskulöse Figur und ist äußerst kampferprobt. Wenn nötig, würde er ohne mit der Wimper zu zucken Rotkäppchen verspeisen. Sein Gehalt besserte er auf, indem er sich sensible Informationen beschaffte und sie zum Vorteil seines persönlichen Anlageportfolios nutzte. Er arbeitet seit mehreren Jahren für mich, von denen ich die letzten beiden mehr mit ihm in der Luft als mit meinen Kindern am Boden verbracht habe. Wolfis Flugkünste machen Baron von Richthofen alle Ehre. Er hat mich durch isländische Schnee- und afrikanische Sandstürme geflogen. Er ist in Frankreich in Maisfeldern und in Mali auf Kiespisten gelandet. Er ist ein Schürzenjäger und ein dreister, eingebildeter Hurensohn, aber dabei zuverlässig, kompetent und vertrauenswürdig.

Ich wählte die Nummer von Adam Kravitz in Miami. Adam ist mein Freund und seit mehr als einem Jahrzehnt mein Anwalt. Er ist hochintelligent, liebt es, zu argumentieren, und kennt sich in Geschichte aus. Außerdem ist er fähig und loyal – zwei maßgebliche Eigenschaften, die alle diejenigen besitzen, die eng mit mir zusammenarbeiten. »Adam, ist mein Rücktritt im PR Newswire? Ist die Pressemeldung raus?« Als ich seine Stimme hörte, merkte ich, dass er hellwach war – in Miami war es zu dem Zeitpunkt halb eins in der Nacht. Wie üblich sagte er mir, ich solle mich entspannen. »Florian, warst du je mit meiner Arbeit unzufrieden?« Ich wollte ihm nicht die Genugtuung meiner Zufriedenheit verschaffen und beließ es bei einem »Danke«. Dann bat ich Wolfi, loszufliegen.

Die Pressemitteilung, die Adam verfasst hatte, gab meinen Rücktritt als Chief Investment Officer und größter Anteilseigner meines Hedgefonds Absolute Capital Management Holding Plc. aufgrund unüberbrückbarer Differenzen mit der Unternehmensführung bekannt. Die an der Londoner Börse notierte Gesellschaft mit rund einem Dutzend Niederlassungen auf vier Kontinenten verwaltete mehr als drei Milliarden Dollar an Kundengeldern schwerreicher Privatpersonen, Family Offices und Institutionen.

Die Nachricht meines plötzlichen Abgangs war an diesem Tag die meistgelesene Wirtschaftsnachricht von Bloomberg weltweit. Sie schlug bei ACMH wie eine Bombe ein. Am selben Tag brach der Aktienkurs um 88 Prozent ein. Ich hatte mein Mobiltelefon an diesem frühen Morgen in das Hafenbecken von Palma geworfen und mich von diesem mediterranen Paradies verabschiedet. Von nun an würde mich mit Ausnahme von Giorgio niemand mehr auffinden. Selbst Adam wusste nie, wo ich mich gerade aufhielt. Ich zog mich ganz ins Privatleben zurück – weit weg von der ganzen unerträglichen Meute. Mein Endziel war Cartagena de Indias in Kolumbien, wo mein verdienter zweiter Ruhestand beginnen würde.

*

Das Manager Magazin hatte mich kurz zuvor in die Rangliste der 300 reichsten Menschen Deutschlands aufgenommen und mein Nettovermögen auf rund eine halbe Milliarde Dollar beziffert. Damit lag es gar nicht so falsch. Ich besaß Schlösser, Paläste, Landgüter, Luxusapartments und reiste mit Privatjets, einer Jacht mit vier Schlafzimmern, einem Schnellboot, einem Rolls-Royce-Cabriolet und einem individuell ausgestatteten, aufgemotzten Mercedes-Cabriolet der S-Klasse. Ich besaß eine herausragende Gemäldesammlung alter Meister; mein Bargeld- und Wertpapiervermögen betrug mehrere Hundert Millionen Dollar. Ich war sogar Besitzer eines rund 900 Quadratmeter großen Nachtklubs auf Palmas Meerpromenade – des Paseo Marítimo. Ich war ein Babymagnat.

Seit dem Jahr 2004 war ich zudem ein akkreditierter Diplomat Liberias bei der UNESCO in Paris. Ich hatte Kontakt mit Politikern wie Schimon Peres und Guido Westerwelle, mit internationalen Magnaten wie Señor Rico und mit Stars und Prominenten wie Michael Douglas und Boris Becker. Außerdem war ich Deutschlands bekanntester Finanzinvestor und erschien zur besten Sendezeit im Fernsehen und in großen Zeitungen und Zeitschriften.

Ich galt aufgrund meiner Erfolgsbilanz als unorthodoxer Einzelgänger und wurde wegen meiner aggressiven Leerverkäufe als »Der Plattmacher« bezeichnet. Ein deutscher Industrieller, dessen Unternehmen ich attackierte, nannte mich den »Antichristen der Finanzen« und der Chairman eines großen Nahrungsmittelkonzerns bezeichnete mich als »Nazi aus dem Norden, der für die Juden in New York arbeitet«. Umgekehrt bezeichnete mich ein englischer Journalist als Robin Hood, nachdem ich zwei Millionen Euro gestiftet hatte, um wichtige Mitarbeiter von ACMH zu halten. Einige Monate zuvor hatte ich schlappe 33 Millionen Euro an Wertpapieren in die Fonds gesteckt, um während einer Marktkorrektur ihre Stabilität zu garantieren. Ich hatte eine siebenstellige Summe für wohltätige Zwecke gespendet. Kapitalmarktexperten beschrieben mich als eine Mischung aus Mike Tyson und Einstein, Jekyll und Hyde, den Klaus Kinski des Hedgefondsmanagements, einen amoralischen funktionalen Psychopathen, Frank Copperwood und als den Paten von Mallorca. Im Jahr 2006 wurde ACMH im Rahmen des Hedge Fund Review European Awards mit der Auszeichnung »Best Hedge Fund Group« und »Best Fund« geehrt. Treu meinen Prinzipien nahm ich an dieser Festivität nicht teil – nur Warmduscher verschwenden wertvolle Zeit mit Feiern. Unternehmen fürchten mich. Ich hatte sogar die multiple Sklerose besiegt. Ich war ein Wolf unter Schafen.

Vor meinem Rücktritt waren die Dinge allerdings nicht mehr ganz so gut gelaufen, wie es von außen den Anschein hatte. Im Jahr 2005 musste ich wegen eines Vergehens Bußgelder in Höhe von 40.000 Euro an die deutsche Börsenaufsicht BaFin zahlen und wurde wegen Marktmanipulation zu einer 18-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Im November 2006 wurde ich in Caracas, Venezuela, Opfer eines brutalen Raubüberfalls, den ich nur knapp überlebte. Mein Vater und ich hatten seit 25 Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Ein Jahr zuvor war meine Schwester an multipler Sklerose gestorben. Mein Bruder hatte seit der Scheidung meiner Eltern jeden Kontakt zu mir abgebrochen. Meine Kinder kannten mich nicht. Ich war bei keinem zwölften Geburtstag meiner Kinder anwesend. Die Scheidung von meiner Frau Susan, die emotionale Vernachlässigung und unwiderrufliche Zerrüttung geltend machte, wurde Anfang 2007 rechtskräftig.

Jeder neutrale Beobachter würde sofort mein vollständiges Versagen auf dem Gebiet Freunde und Familie diagnostizieren. Wenn es um meine eigene Person geht, bin ich aber kein neutraler Beobachter. Angesichts meines gestörten familiären Hintergrunds und meiner germanischen Krieger-Gene rangierte eine zufriedene Familie auf meiner Interessenliste offen gesagt ganz unten – wenn überhaupt. Ich halte es da eher mit Charles de Gaulle: »Je besser ich die Menschen kennenlerne, desto mehr stelle ich fest, dass ich Hunde liebe.« Ich besaß vier.

Trotz der Scheidung hatten Susan und ich unsere Beziehung nicht völlig abgebrochen und versuchten uns zu versöhnen, wobei eines der vielen Probleme darin bestand, dass sie sich wesentlich intensiver bemühte als ich. In dieser Phase hatte ich meine russische Geliebte, eine ehemalige Table-Dancerin, Model und Barbesitzerin, in einer historischen Villa in der Innenstadt von Palma einquartiert, die sich einen kurzen Fußmarsch von meinem Büro entfernt befand. Diese Frau war der lebende Beweis dafür, wie tief ich gesunken war. Sie war eine falsche Blondine mit falschen Titten, falschen Fingernägeln und ohne jedes Hirn. Alles, was sie besaß, war ein cleverer instinktiver Sinn dafür, sich selbst an den Höchstbietenden zu verschachern. Wenigstens hatten wir etwas gemeinsam. Sie behandelte das Personal wie Schuldknechte aus dem mittelalterlichen Russland, bemalte ihre Fingernägel mit grellen, schrecklichen Mustern und holte ihre Mutter und ihre fünfjährige Halbschwester ins Haus. Was Alter und Charakter betrifft, hätte ihre Mutter besser zu mir gepasst, aber sie hatte einfach nicht den geschmeidigen und kurvenreichen Körper eines 27-jährigen Unterwäschemodels. Mein Geschmack und meine Psyche waren zu diesem Zeitpunkt reichlich primitiv geworden.

Ich hatte die Familien getauscht und war einen hirnlosen Pair Trade eingegangen. Ein Pair Trade ist eine Finanztransaktion, bei der ein Investor im selben Sektor eine Long- und eine Short-Position eingeht und erwartet, dass die Long-Position bessere Ergebnisse erzielt als die Short-Position, sodass er einen Gewinn erzielt. Ich war long Miss Table Dance – Moskaus billigste Ware –, ihre Mutter und die fünfjährige Tochter ihrer Mutter, und ich war short Susan Devine – Klasse, Hingabe, wahre Liebe, eine 18-jährige Ehe und meine Kinder. Über meine Einfältigkeit musste ich selber lachen. Dieser Trade war eindeutig ein Verlustbringer. Selbst die fünf Millionen Euro teure Villa war eine Hütte verglichen mit meinem früheren Anwesen. Der Pool war mini und es gab weder einen Tennisplatz noch einen Zoo noch ein 750 Quadratmeter großes Gästehaus oder einen Orangenhain. Der einzige Platz, von dem aus ich den Hafen richtig sehen konnte, war die geräumige, aber heruntergekommene Dachterrasse. Ich befand mich auf rasanter Talfahrt.

Ich wusste, dass dieser Trade hirnrissig war, als ich ihn einging, war aber zu dämlich oder zu geil, um gleich die Reißleine zu ziehen. Allerdings war ich immer noch rational genug, um das Verhältnis zu beenden, sobald der erste Zucker abgeschleckt war. Die Affäre dauerte ungefähr drei Monate, und ich hatte sie zeitlich perfekt abgestimmt. Kurz vor meinem Abschied im September gab ich Miss Moskau den Laufpass, allerdings nicht ohne ihr eine Abfindung zu zahlen. Nachdem ich sie verabschiedet hatte, hörte sie nicht auf, darum zu betteln, dass ich ihr eine Wohnung kaufe. Außerdem beteuerte sie, sie würde auch dann mit mir zusammenbleiben, wenn ich ein armer Mann sei. Die Logik dieses Paradoxons amüsierte mich und machte mich zugleich perplex. Sie verglich ihren Trennungsschmerz mit dem Verlust ihrer Lieblingspuppe aus Kindertagen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatte eine Freundin aus dem Hochadel mir dabei geholfen, die Villa einer äußerst unzugänglichen und reservierten Erbin eines der größten Industrievermögen Europas zu mieten. Beide verziehen mir nie, dass ich meinen Müll in die Villa schleppte, aber damit konnte ich leben. Sorry, Mädels, blöd gelaufen. Diese eine Episode ist der Beweis für den schwer verwirrten geistigen und moralischen Zustand, in dem ich mich zu jenem Zeitpunkt befand.

Ich hatte eine Affäre mit Carmen begonnen, einer 27-jährigen, jüngeren, frischeren und größeren Ausgabe von Pamela Anderson. Eines Tages kam ich im Morgengrauen nach einer Nacht, in der ich mit ihr durch verschiedene Klubs gezogen war, auf mein Anwesen in Palma zurück. Die Sonne ging gerade auf und die klare Frühlingsluft, die sanft von den Hügeln herunterwehte, strich mir leicht über das Gesicht. Ich war nicht angetrunken. Zwar hatte ich die ganze Nacht getanzt und herumgealbert, aber gegen Mitternacht hatte ich aufgehört zu trinken. Ich war auch nicht müde. Ich hatte ein Geschäftsfrühstück und einen Flug nach London arrangiert und mir blieb gerade genug Zeit, um eine Runde zu schwimmen und mich zu rasieren. An das, was als Nächstes geschah, kann ich mich nicht mehr vollständig erinnern. Ich verlor mein Bewusstsein und krachte auf einer schmalen Landstraße, die ich schon viele Hundert Mal zuvor entlanggefahren war, mit 100 Stundenkilometern frontal gegen eine Mauer.

Der Unfall war kein Zufall. Ich wusste, dass ich zwei Jahrzehnte an Liebe und tiefer Freundschaft schändete. Ich hatte unserer Verbindung jedes Fundament entzogen. Ich löschte die Erinnerung an meine Seelengefährtin mit einem Pin-up-Girl, einer ehemaligen Stripperin. Carmen hatte ihre natürlichen und künstlichen Attribute stets zu ihrem Besten zu nutzen gewusst. Sie war clever genug gewesen, um eine Meile von meinem Nachtklub auf dem Paseo Marítimo entfernt eine eigene Bar zu besitzen. Kann ich ihr irgendetwas vorwerfen? Natürlich nicht! Sie machte einfach ihr Ding und ich fuhr darauf ab. So dachte ich zumindest eine Zeit lang.

Susan dagegen ist stets eine hingebungsvolle und fürsorgliche Seele gewesen. Sie ist ein Geber und kein Nehmer. Irgendwann in ihrer Jugend hatte sie beschlossen, ihr Hirn zu entwickeln und ihre Seele zu pflegen – anstatt sich Silikon in die Brust zu spritzen – und die größte »Lancaster-Bibliothek« der Welt aufzubauen. Sie beherrscht fünf Sprachen und kauft Wurst für ausgesetzte Straßenhunde. Muss ich mehr über sie sagen?

Gott verachtete mich dafür, dass ich seine Mini-Maria, seine Lichtträgerin und meine Spurensucherin – einige der Namen, die ich Susan während unserer Beziehung gab – verletzte. An diesem Morgen war Gottes Zorn so unverkennbar wie mein eigener Todeswunsch. Ich hatte meine Seele erbärmlich verkommen lassen. Ich hatte mich dem Mammon unterworfen. Ich war primitiv und liebte das Vulgäre. Ich war geblendet von Reichtümern, Macht und egoistischen Vergnügungen. Ich spürte Gottes Verachtung. Ich wusste, dass ich vollkommen falsch handelte, und suchte unbewusst die Selbstzerstörung. Mein Autopilot steuerte auf den Hades zu. Ich war schwach und ließ mich treiben. Nichts konnte meine Abwärtsspirale aufhalten. Mein Schicksal war besiegelt.

Das Auto erlitt einen Totalschaden. Meine Beine waren zermalmt. Ich hätte tot oder zumindest verkrüppelt sein müssen. Es dauerte eine Stunde, bis man mich aus dem Auto geschweißt hatte. Der Meniskus meines linken Knies war zertrümmert. Die Windschutzscheibe war zersplittert, aber auf wundersame Weise kam ich mit einigen gebrochenen Rippen und kleineren Schnittverletzungen im Gesicht davon. Wie zahlreiche Male zuvor, war das ein Wunder. Ich lebte. Meine Zeit war noch nicht gekommen. Warum? Keine Ahnung. Ich hatte ganz gewiss alles versucht, um meiner jämmerlichen Existenz hier und jetzt ein Ende zu setzen.

Sobald meine Exfrau davon Wind bekam, dass ich herumhurte und meilenweit von einer Versöhnung entfernt war, war alle verbliebene Liebe verpufft. Und dann kamen die Wirtschaftsprüfer und Anwälte ins Spiel. Susan zeigte sich sehr unerfreut und wer konnte ihr das verdenken? Gegen Mitte des Sommers hatte ich mich von meiner vorübergehenden körperlichen und geistigen Verwirrung vollständig erholt. Ich war genauso schmierig und korrupt wie immer.

Nachdem Susan Mallorca verlassen und in die Staaten zurückgekehrt war, organisierte ich einen Coup, um »unsere« beeindruckende Kunst- und Antiquitätensammlung aus »unserer« Villa in Palma wegzuschaffen. Ich hatte Gemälde und Zeichnungen italienischer und niederländischer Meister in die Ehe eingebracht. Natürlich wuchs die Sammlung im Verlauf unserer Ehe ganz erheblich, sodass Susan moralisch berechtigt war, Ansprüche darauf zu erheben. Doch ich hing an den Kunstwerken und wusste außerdem um ihren Wert. An besseren Tagen hatten wir die gesamten Gemälde und Antiquitäten einer Stiftung übertragen, die zu 100 Prozent Susan gehörte, falls die multiple Sklerose mich besiegen sollte. Zum Zeitpunkt des geplanten Coups lebte ich bereits mit meiner russischen Affäre, hatte aber noch einen gültigen Mietvertrag und die Schlüssel zu unserem Anwesen in Palma. Auch die prächtige Villa sowie drei Gästehäuser mit insgesamt mehr als 2.200 Quadratmetern Wohnfläche und 4,5 Hektar Grund liefen auf Susans Namen. Nach meiner Logik war es weitaus günstiger, jede weitere Diskussion über die Gemäldesammlung zu führen, nachdem die wertvollsten Stücke in einem Safe in Zürich untergebracht waren, über den ich die Kontrolle besaß.

Der Coup war für Anfang September geplant. Ich hatte ein Umzugsteam aus der Schweiz organisiert und dem Hauspersonal einen Tag freigegeben. Das würde eine leichte Sache werden. Mein Playmate saß in meinem S-Klasse-Cabrio, strich sich gedankenlos durch die Haare und überprüfte ihr Makeup, als ich das Haus betrat. In dem Moment traf mich der völlig unerwartete und fesselnde Anblick meiner Ex, die die monumentale Freitreppe in die Empfangshalle hinabschritt. Was ich nicht sah, waren die Rembrandts, Vernets, Dalís, die Impressionisten und Expressionisten. Die wüsten Seeschlachtszenen, die Boucher-Imitationen und neoklassischen Porträts hingen noch immer an den neun Meter hohen Wänden des Vestibüls, aber sie waren viel zu groß, als dass ein normales Umzugsunternehmen sie hätte transportieren können. Alle Kunstwerke, die transportabel waren und deren Wert eine sechsstellige Summe überschritt, waren verschwunden. Susan hatte mich offensichtlich mit meinen eigenen Waffen geschlagen. Niemand kannte mich so gut wie sie. Und um es noch schlimmer zu machen, hatte sie das Recht, mit ihrem Eigentum zu tun und zu lassen, was sie wollte.

Angriff ist üblicherweise die beste Verteidigung. Also fuhr ich sie an, wie sie dazu käme, »meine« Sachen zu entfernen. »Wie kannst du Kunstwerke stehlen, die mir schon lange gehörten, bevor wir überhaupt ein Paar waren? Hast du überhaupt kein Gewissen?« Nach der ersten Tirade drohte ich ihr mit einer Flut von Anwälten, die die tatsächliche Eigentümerschaft vor internationalen Gerichten ausfechten würden. Während ich sie wegen des Diebstahls von Kunstwerken heruntermachte, die mir meine Mutter geschenkt hatte, und hinzufügte, ich würde niemals so etwas Niederträchtiges tun, klingelte es an der Haustür. Der Schweizer Umzugswagen parkte direkt vor der Villa. Auf dem Bildschirm des Video-Sicherheitssystems erschien das Gesicht des Fahrers. Er fragte nach Dr. Homm und bat um die Erlaubnis, eintreten zu dürfen. »Jetzt sitze ich wirklich in der Scheiße«, war mein erster Gedanke, als ich ihm das Tor öffnete. Ich hätte keine lächerlichere Figur abgeben können. Susan und ihr älterer Bruder Kevin, der sich in ihrer Begleitung befand, rannten zum Eingang, um zu sehen, was los war. Sie sahen nicht nur den Umzugswagen und die Umzugsleute, sondern auch mein russisches Betthäschen in ihrem engen Minirock.

Die Umzugscrew war völlig verwirrt. Sie hatte den Auftrag, ungefähr 30 Gemälde von Museumsqualität zu transportieren. Ich trat als Eigentümer auf, aber der Transportauftrag lautete auf Susans Namen. Auf diese Weise hätte ich vor Gericht immer argumentieren können, dass wir gemeinsam beschlossen hätten, die Gemälde in die Schweiz zu bringen. Dann hätte Aussage gegen Aussage gestanden. Das hätte ich schon hinbekommen.

Unglücklicherweise riss meine Ex dem Fahrer wie eine wütende Kobra den Auftragsbeleg aus der Hand, überflog die Einzelheiten und warf mir einen derart vernichtenden Blick zu, dass selbst eine amoralische Kreatur wie ich vor Scham rot wurde. Falls sie ganz fies werden wollte, dachte ich, konnte sie mich wegen versuchten Kunstraubs verklagen. Das war eine schwere Straftat, auf die satte zehn Jahre Gefängnis standen. Ich war ausgeknockt worden wie ein Anfänger von einem Großmeister. Diese Frau kannte mich einfach zu gut. Sie hatte meine Absichten perfekt vorausgesehen.

Susan rannte zurück ins Haus. Ich jagte ihr hinterher und versuchte, ihr den Beleg zu entreißen. Unterdessen flippte Kevin völlig aus und hüpfte auf und ab wie ein Zulu-Krieger und schrie aus Leibeskräften: Policía, policía. Ich hatte Kevin immer gemocht, aber diese Reaktion fand ich äußerst erheiternd und zugleich ziemlich abgedreht. Vielleicht wirkte ich bedrohlich und außer mir, aber ich würde ihnen gewiss nicht den Kopf abreißen wie ein wütender Werwolf. Zumindest war das nicht meine Absicht.

Ich hatte mit dem Aktienleerverkauf und der Plünderung von Unternehmen viel Geld verdient. Man muss ziemlich unsensibel und aggressiv sein, um auf diesem Gebiet erfolgreich zu sein. Diese Szene war im Vergleich dazu harmlos. Zwar ist es mir noch nie wichtig gewesen, beliebt zu sein, aber meine Analyse der Situation – und wenn man mir irgendetwas nachsagen kann, dann, dass ich hoch analytisch bin – sagte mir, dass ich Susan und ihren Bruder ganz gewiss nicht zusammenschlagen würde, um an diesen Beleg zu kommen. Plötzlich kam mir die ganze Hässlichkeit der Situation zu Bewusstsein. Die wertvollsten Antiquitäten waren für immer verloren und für meine Ex war ich nun nichts anderes mehr als ein gewöhnlicher Dieb. Ich beschloss, die Verluste einzustecken – die wichtigste Investitionsregel – und das Ganze abzuschreiben.

Während Kevin seine rituellen Stammestänze perfektionierte, fiel mir auf, dass meine Ex mindestens 15 Pfund abgenommen hatte, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Unsere Trennung hatte ihr eindeutig gutgetan. Wahrscheinlich motzte sie sich für den Single-Markt auf. Nichtsdestotrotz wirkte Susan wie ein sinnliches, distanziertes Supermodel Mitte dreißig, sehr appetitlich und mit einem Hauch von Weisheit und Reife. Ihre Bewegungen und ihre Wut hatten ihren ausgeprägten Wangenknochen eine natürliche Röte verliehen. Seit Jahren hatte sie nicht mehr so sexy ausgesehen. Allerdings war das nicht der beste Zeitpunkt, um sich mit einem solchen Thema zu beschäftigen.

Als sie weg war, instruierte ich meine 24/7-Infrastruktur aus Anwälten, Wirtschaftsprüfern und Assistentinnen. Es dauerte weniger als 30 Minuten, bis wir alle Aktienoptionen los waren, die noch nicht ausgeübt und von Susans zweitem Bruder Philip, ihrem Rechtsanwalt, auf unsere Kinder übertragen worden waren. Auf diese Weise sparte ich viele Millionen Euros. Am Ende erschienen die Tagesverluste nicht mehr so dramatisch. Außerdem konnte ich immer neue Bilder kaufen.

Nach dem Debakel beschloss meine Mutter plötzlich, dass die Kunstwerke, die sie mir vor Jahrzehnten geschenkt hatte, nur Dauerleihgaben gewesen waren, die innerhalb von 24 Stunden abgerufen werden konnten. Das war natürlich lächerlich. Uschi wollte einfach nicht, dass Susan ein beträchtlicher Teil der Homm-Sammlung in die Hände fiel. Da ich nicht bereit war, mich mit dieser erbärmlichen Episode länger zu beschäftigen oder einen aufwendigen Prozess gegen meine Ex zu führen, den ich wahrscheinlich sowieso verlieren würde, stellte ich Uschi einen großzügigen Scheck aus, um sie für den schmerzlichen Verlust zu entschädigen. Meine Mutter war glücklich – sie hatte sich in dem Gefühl ihrer eigenen Großzügigkeit gesonnt, indem sie ihrem Sohn einige wertvolle Kunstwerke aus dem Familienbesitz geschenkt hatte, und wurde nun auch noch dafür bezahlt. Am Ende hatten mich sowohl meine Ex als auch meine Mutter beschissen.

Susan Elaine Devine. Es war ihre Schuld, dass die letzten 18 Jahre die glücklichsten und ausgeglichensten meines Lebens gewesen waren. Sie hatte mich zu großartigen Kindern genötigt (angesichts meiner eigenen Kindheit wollte ich nie Kinder haben) und war eine tolle, liebevolle Mutter. Außerdem trug sie maßgeblich zum Aufbau meines ersten börsennotierten Unternehmens VMR bei. Wie beschämend für sie, dass sie versuchte, aus mir einen besseren, glücklicheren und reicheren Mann zu machen! Die zusätzlichen Aktien, die sie mir in der dritten Scheidungsverhandlung abpresste, würden nach meinem Rücktritt von ACMH ziemlich wertlos sein. Dieser kurze Gedanke hob meine Stimmung. So ist nun einmal die Natur des moralischen Bankrotts.

Das moralische Knäuel vermengte sich seit einiger Zeit mit einem wachsenden Gefühl der beruflichen Frustration, das schnell zu einer völligen und elenden Desillusionierung mutierte. Neben dem nervenaufreibenden und zeitaufwendigen Krieg mit meiner Ex verbrachte ich meine Zeit damit, ACMH-Kollegen abzuwehren, die mich attakierten – vor allem JR und sein Handlanger, D. Mein plötzlicher Rückzug aus der Welt der Hochfinanz und der High Society würde sicherlich Wellen schlagen. Einige Leute, die ihr Geld ACMH anvertraut hatten, waren durchaus zu einer unberechenbaren und unangenehmen Reaktion in der Lage, wenn sie den Wert ihrer Geldanlagen aufgrund meines kurz bevorstehenden Rücktritts einbrechen sahen. Eine völlig einseitige negative Medienberichterstattung auf Basis dreister Lügen sowie verzerrter Wahrheiten waren unvermeidlich, aber das war im Wesentlichen ein Nebenschauplatz.

Das grundlegende Problem bestand darin, dass ich mein Universum satt hatte. Als die gesamte westliche Finanzwelt die Motoren aufdrehte und auf den großen Boom setzte, erlebte ich meinen ganz persönlichen Urknall. Ich hatte geplant, aus ACMH ein Unternehmen zu machen, das über meine Beteiligung am Tagesgeschäft hinaus Erfolg haben würde, aber genau wie es für den großen Finanz-Voodoo galt, war auch diese Show zu Ende. Es war kein Trumpf mehr im Hut, und anstatt des phänomenalen Rausches, der die Show bis dahin gewesen war, begann sie nun, mich zu verschlingen. Ich wurde Zeuge meines eigenen Verfalls, der so weit gediehen war, dass ich physisch nicht einmal mehr in der Lage war zu lächeln – so wie das obszöne Spiegelbild eines Clowns, der seine grinsende Maske nicht mehr ablegen kann. Gewiss war alles besser, als sich mit irgendwelchen oberflächlichen Nachtpflanzen abzugeben und meine Wachstunden mit brutal illoyalen Parasiten zu verbringen. Nun gut, fast alles – Selbstmord kam für mich nicht in Frage. Ich habe bei mehr als einem halben Dutzend Gelegenheiten mit dem Tod geflirtet und glaubte damals nicht an das Geschwätz vom Leben nach dem Tod. Himmel und Hölle befinden sich genau hier auf der Erde und ich kenne mich an beiden Orten gut aus.

Ich hatte die meisten meiner Ziele auf den Gebieten Bildung, Sport, Sex, Reichtum, Macht, Abenteuer und Ruhm erreicht. Ich habe mein Land als Sportler vertreten. Ich erwarb einen Abschluss am Harvard College und an der Harvard Business School. Ich war für mehr als zwei Jahrzehnte ein wichtiger Kapitalmarktteilnehmer gewesen, hatte einige Hundert Millionen Dollar verdient und war in meinem Berufszweig berühmt-berüchtigt. Ich war ein erbarmungsloser, gebildeter, wenn auch ein wenig psychopathischer Finanzinvestor der Oberschicht, ein akkreditierter Diplomat, der sieben Sprachen beherrscht und eine Überlebensmentalität wie aus einem Hardcore-Getto hat, gepaart mit dem Auftreten eines Jetset-Playboys. Mein Leben war äußerst intensiv und technisch betrachtet erfolgreich. Dabei fühlte ich mich leerer als eine aufgeblasene Sexpuppe.

Auch wenn ich moralisch völlig bankrott war und auch wenn die Mauer der Frustration nun über mir einstürzte, konnte ich zumindest noch als sympathischer Hallodri durchgehen? Das fragte ich mich, und ich kam nach kurzem Nachdenken zu dem Schluss, dass ich nichts anderes als ein Arschloch war.

*

In der Nacht vor meinem Rücktritt hatten Giorgio und ich mehrere Stunden gebraucht, um die 1,2 Millionen Dollar in Schweizer Franken, Euros und Dollar in meiner Unterwäsche, meinen Zeitschriften, Anzugtaschen, in meiner Brieftasche, meinem Aktenkoffer und den Zigarrenkisten zu verstauen. Ich platzte vor Geld buchstäblich aus den Nähten. Ein wenig Taschengeld würde an meinem neuen Aufenthaltsort gelegen kommen. Solange es sich um Scheine über tausend Schweizer Franken oder 500-Euro-Scheine dreht, ist das alles kein Problem. 100.000 Euro lassen sich leicht in einer großen Brieftasche unterbringen. Das sind lediglich 200 eng aufeinandergepresste 500-Euro-Scheine. Aber versuchen Sie das mit 200.000 Dollar. Dafür brauchen Sie einen ganzen Schuhkarton. Ich trug sehr enge Calvin-Klein-Unterwäsche mit einem sehr starken Elastikbund, und so konnte ich das ganze Geld rund um meine Taille, an beiden Seiten meiner Genitalien und sogar zwischen meinen Pobacken einklemmen. Das Endergebnis ließ meine Taille und meinen Genitalbereich um gut fünf Zentimeter anschwellen. Ich bin außerordentlich eitel und fand, dass ich nicht nur wie weit über 50 aussah, sondern zudem zu einer Art Michelin-Männchen mutiert war.

Als das Flugzeug abhob, war ich zutiefst aufgewühlt und mein Kopf befand sich in einem dichten Nebel. Alles, was ich wusste, war, dass ich mich einfach ändern musste, um zu überleben, aber der Kollateralschaden, den ich hinterließ, war ganz erheblich. Ich brach alle Verbindungen zu meiner bisherigen Existenz ab – Kollegen, Kunden, Bekannte, Freunde, Betthäschen, Hunde, Familien und Kinder – und vernichtete in diesem Prozess mein gewaltiges Vermögen.

André Gide hatte das treffend auf den Punkt gebracht: »Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.« Ich hatte keine Ahnung, ob ich die Küste je wiedersehen würde.

TEIL I

ANFÄNGE

1. EINE REIZENDE FAMILIE

Kein Preis ist zu hoch für das Privileg, sich selbst zu gehören.

Friedrich Nietzsche

Dein Heim gilt als vorbildliches Heim, dein Leben als vorbildliches Leben. Doch all diese Pracht, einschließlich deiner selbst … Es ist, als sei all das auf Treibsand gebaut. Es könnte ein Moment kommen, ein Wort gesprochen werden, und sowohl du als auch die gesamte Pracht werden einstürzen.

Henrik Ibsen

Mein Zuhause war nie ein vorbildliches Zuhause. Es war von Anfang an zerrüttet.

Mütterlicherseits lassen sich die Familienwurzeln bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen und schließen Peter Joseph Valckenberg ein, berühmter Weinexporteur und Bürgermeister der Stadt Worms (1813–1837), die zu den Freien Städten des Heiligen Römischen Reiches gehörte. Neben seinem Bürgermeisteramt war er ein cleverer Unternehmer, der die Weinberge rund um die Wormser Liebfrauenkirche erwarb und den dort angebauten und damals schon berühmten Wein, die Liebfrauenmilch, ins Ausland exportierte.

Im Stammbaum dieser mächtigen und einflussreichen Familie, die ihren Ursprung in Rheinland-Pfalz und Franken hat, sind auch einige Adlige vertreten. Ein Familienwappen beschreibt einen feuerspeienden Drachen, der ein Schild hält, das seltsamerweise mit einem Davidsstern verziert ist. Als ich einst in Boston einen Wappenring für meine damalige Frau anfertigen ließ, fragte mich der armenische Juwelier, ob ich den Judenstern behalten wolle, ob ich nicht eher das christlichere Pentagramm als geeignetere Alternative für ein nichtjüdisches Paar vorzöge. Meine Frau und ich sahen uns an und fingen gleichzeitig an zu lachen – und entschieden uns für den Davidsstern. Wir wollten die Geschichte nicht verzerren, nur um irgendeinen Anschein zu wahren.

War es möglich, dass Bürgermeister Valckenberg jüdische Ursprünge hatte? Necko würde sich im Grab umdrehen, wenn er mich jetzt hören könnte. Valckenberg wäre gewiss nicht der erste Deutsche mit jüdischen Vorfahren, der sich in den Industrieadel einkaufte und dabei seine jüdische Herkunft vergaß. Wir besitzen einige merkwürdige Familienporträts, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Dachboden unserer Nachbarn aufgetaucht sind und auf denen die wunderbare mexikanische Großmutter meiner Mutter Uschi abgebildet ist, die Maria Eva Peres hieß und kurz nach dem Ersten Weltkrieg ohne große Umstände aus dem ursprünglichen Familienstammbaum entfernt wurde. Meine Exfrau war davon überzeugt, dass meine Mutter und ich zum Teil jüdisches Blut haben.

Neben wohlhabenden Patriarchen mit versteckten semitischen Wurzeln gibt es Generationen von Warenhändlern, Textil- und Kohlebarone, ein Parlamentsmitglied, einen ehemaligen Widerstandskämpfer, der für die Alliierten spionierte, sowie eine zentrale Figur in Hitlers Nazideutschland: den Einzelhandelsmagnaten und Träger einer olympischen Goldmedaille – meinen Großonkel Dr. Josef Neckermann. Necko, wie wir ihn nannten, wurde mein Vorbild und war zudem mein De-facto-Großvater.

Meine Großeltern mütterlicherseits sowie meinen Onkel Mockel lernte ich nie kennen, weil sie 1948 entweder bei einem Autounfall starben oder Opfer eines Mordanschlags durch amerikanische Soldaten wurden. Genaues weiß man nicht. Meine Großmutter, Neckos Schwester, war Berichten zufolge eine elegante und attraktive Frau. Sie war in einer privilegierten Umgebung aufgewachsen, umsorgt von Hausmädchen, Köchen und Privatlehrern. Meine Großmutter war offen, gefühlsbetont und bodenständiger als mein Großvater. Beide liebten das gute Leben. Meine Großeltern führten eine offene Ehe, was damals ein völlig unvorstellbares Konzept war. Ihre Tagebücher und Briefe enthüllen jedoch eine intensive und glückliche Beziehung. Sie waren liberal, extrem tolerant und nachsichtig. Ihre Kinder genossen alle Privilegien und kannten kaum Einschränkungen. Zweifellos überschütteten ihre Eltern sie mit Liebe.

Mein Großvater, Dr. Hans Lang, promovierte in Jura und verschob in den Dreißigerjahren Waffen für die Opposition. Er schrieb zwei Artikel, in denen er die Nazis scharf kritisierte, und als Folge davon verlor er seine Anwaltslizenz. In seinen frühen Dreißigern zog er von Bayern nach Berlin und arbeitete erfolgreich als Textilproduzent und Großhändler. Nach dem Anschluss im Jahr 1938 wurde er ins logistische Hauptquartier der Reichswehr in Berlin berufen, wo er bis 1945 blieb. Verwandten zufolge hat er anscheinend die Alliierten während des gesamten Kriegs von einem heimlichen Kommunikationsstandort in Hofheim aus mit hochsensiblen Informationen versorgte. Er wurde nie eingezogen. Seine Sprachkenntnisse (Russisch, Ungarisch, Polnisch, Italienisch, Spanisch, Englisch, Griechisch und Serbokroatisch), sein großes Organisationstalent und seine breit gefächerten internationalen Kontakte waren für die Nazis einfach zu wichtig, um sie auf dem Schlachtfeld zu verschwenden. Diesen rätselhaften, opportunistischen Agent provocateur hätte ich gerne kennengelernt; er war sicher ein interessanter Mann.

Noch am selben Tag, an dem die Alliierten in seiner Heimatstadt einmarschierten, wurde er entnazifiziert. Normalerweise dauerte das bei einem hochrangigen Technokraten Monate, wenn nicht gar Jahre. Necko wurde zum Beispiel als Kriegsverbrecher verurteilt. Selbst nach seiner Haftentlassung unterlag er noch mehrere Jahre strengen Reise- und Arbeitsbeschränkungen. Mein Großvater wurde jedoch gleich nach dem Krieg zum hochrangigen Verbindungsoffizier zwischen dem Versorgungssystem der alliierten Mächte und den südlichen und mitteldeutschen Kommunen Deutschlands ernannt. In der Autobiografie meiner Tante (Kristin Feireiss, Wie ein Haus aus Karten, Ullstein Verlag) las ich, dass er einer der größten deutschen Schwarzmarkthändler seiner Zeit gewesen sein soll.

Meine Mutter und verschiedene Verwandte vermuten, er habe während des größten Teils des Krieges als Spion für die Alliierten gearbeitet, vor allem die Amerikaner, was seine umgehende Entnazifizierung und seine bemerkenswerten Privilegien nach dem Krieg erklären würde. Seine »offiziellen« Unternehmen erwirtschafteten Millionen. Es ist anzunehmen, dass seine heimlichen Geschäfte noch profitabler waren. »Er lebte ein sehr gefährliches Leben«, meinte seine Mutter, und seine Tochter Tini sagte: »Mein Vater hatte zahlreiche mächtige Feinde.« Genau wie ich versuchte er, seine persönlichen Risiken abzusichern. Während ich mit der dunklen Seite paktierte, mächtigen kurdischen Führern und später der IRA, zählte mein Großvater den Frankfurter Polizeipräsidenten zu seinen »bevorzugten« Geschäftspartnern, um sich abzusichern. Ein Partner, dem ein Vermögen geboten wurde, verbrachte dafür drei Jahre im Gefängnis, um meinen Großvater herauszuhalten.

Der deutsche Schwarzmarkthandel war entsprechend der alliierten Zonen aufgeteilt. Die Franzosen waren im Westen aktiv, die Engländer im Norden und die Amerikaner in Mittel- und Süddeutschland. Da die Russen, was das Warenangebot betraf, nicht viel zu bieten hatten, waren in der Ostzone alle Gruppen vertreten. Nur wenige Deutsche genossen im Schwarzmarkthandel eine herausragende Stellung, schon gar nicht als unabhängige Händler. Angesichts seines umfassenden Logistikverständnisses und seiner Kontakte zu hochrangigen Vertretern des amerikanischen Versorgungssystems fiel es meinem Großvater naturgemäß leicht, amerikanische Waren an seine Landsleute zu verhökern. Das würde auch erklären, wie ein Mann, dessen Imperium vom Krieg zerstört wurde, in nur drei Jahren zu einem Nabob aufsteigen konnte. Er trug Mäntel aus russischem Zobel, fuhr die teuersten Autos und lebte in einer palastartigen Residenz. Ohne den geringsten Zweifel war Hans Lang ein Magnat, der am Rande oder sogar jenseits der Legalität lebte – genau wie ich.

Wenige Jahre nach dem Krieg machte der Schwarzmarkt unter finanziellen Aspekten gut ein Drittel der gesamten Wirtschaftsaktivität aus. Zuverlässigen Quellen zufolge waren seine Hauptkonkurrenten nicht andere deutsche Schwarzmarkthändler, sondern Schwarzmarktorganisationen, die von amerikanischen Militärs der mittleren Führungsebene und von Angehörigen der Special-Operations-Einheiten in München, Heidelberg, Würzburg, Nürnberg, Stuttgart und Frankfurt geleitet wurden. Diese Organisationen beschäftigten Deutsche nur für niedere Arbeiten, zum Beispiel Verpackung und Einzelvertrieb. Hans Lang hatte seine eigene Organisation mit großen Warenlagern und anderen kleineren Vertriebseinrichtungen in der gesamten amerikanischen Besatzungszone. Beide Gruppen beschafften einen Großteil ihrer Waren von anderen ähnlichen Einrichtungen. Das führte regelmäßig zu Konflikten und nicht selten kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Zwar war mein Großvater nicht schutzlos, dennoch verlor er bei organisierten Plünderungen seiner Lager Warenlieferungen an seine mächtigeren und besser vernetzten amerikanischen Kontrahenten. Waren Hans Lang und der größte Teil seiner Familie Opfer eines unglücklichen Unfalls? Das ist äußerst unwahrscheinlich. Ein schwerer, großer US-Armeelastwagen fuhr Langs Opel buchstäblich platt. Wahrscheinlich waren alle Insassen auf der Stelle tot, als sie von dem Lastwagen überrollt wurden. Dann setzte der Lastwagen zurück, schleifte das Auto fast 30 Meter über die Autobahn und schob es anschließend über einen Abhang am Straßenrand. Damit war sichergestellt, dass der Unfall mit Fahrerflucht oder der absichtliche Mord an Hans Lang und dem größten Teil seiner Familie eine Zeit lang unbemerkt blieb, sodass den Tätern genügend Zeit blieb, zu verschwinden. Die Ermittlungen der deutschen Polizei wurden an die US-Militärpolizei übergeben, weil die Reifenspuren und Lackpartikel darauf hinwiesen, dass der Unfall das Ergebnis eines Zusammenpralls mit einem sehr großen und schwer motorisierten US-Armeelastwagen war.

Da der amerikanische Lastwagen beträchtlich beschädigt worden sein musste, hätte eine einfache Überprüfung des Fuhrparks völlig ausgereicht, um herauszufinden, welches Fahrzeug in den »Unfall« verwickelt war und wer zu dem fraglichen Zeitpunkt am Steuer gesessen hatte. Nichts dergleichen geschah jedoch. Die Amerikaner machten sich nicht einmal die Mühe, auf die Bitte zur Aufklärung der deutschen Polizei zu antworten. Sie hatten den Krieg gewonnen und wie alle Sieger konnten sie ungestraft tun und lassen, was sie wollten. Ende der Geschichte!

Meine Mutter sagt mir immer, wie sehr ich sie an ihren Vater erinnere. Meine sprachlichen Fähigkeiten, meine körperlichen Merkmale, mein Gesichtsausdruck und meine Haltung gegenüber extrem widrigen Situationen sowie meine Gesten wiesen große Ähnlichkeit mit meinem Großvater auf. Meine Mutter sieht ihren Vater nicht als skrupellosen Profiteur, sondern als brillanten Mann und fürsorglichen Vater, einen Verfechter des freien Marktes, einen Rebellen und schlimmstenfalls als risikofreudigen Draufgänger, der alles tat, um in verzweifelten Zeiten das Wohlergehen seiner Familie und Freunde zu sichern.

An der Beerdigung in Würzburg nahmen Tausende von Menschen teil. Nachdem meine Mutter und ihre beiden Schwestern nun Waisen waren, wurden sie von Necko und seiner Frau Annemie aufgenommen. Necko übernahm auch die Kontrolle über das Vermögen der Familie Lang. Der Vermögensverwalter, der für meine Mutter und meine Tanten eingesetzt wurde, war ein langjähriger Angestellter in Neckos Unternehmen.

Je mehr ich mich mit unserer Familiengeschichte beschäftige, desto mehr erkenne ich, dass meine Mutter und Tanten im Neckermann-Clan wie Kinder zweiter Klasse behandelt wurden. Sie wurden nicht wirklich geliebt. Ihr Geld dagegen schon. Meine Mutter durfte trotz der vielfältigen Appelle des Schuldirektors nicht an der Universität studieren. Stattdessen musste sie Schneiderin werden – ein Beruf, den sie nicht einen einzigen Tag in ihrem Leben ausgeübt hat.

Meine Tante Jula, die laut den Neckermann-Standards degeneriert, eine hilflose Seele und Versagerin war, wurde aus der Familie verbannt. Meine Tante Tini durfte ihre eigene Schwester nicht zur Hochzeit einladen, falls sie nicht ebenfalls aus der Familie ausgeschlossen werden wollte. Wer waren Necko und Annemie, dass sie ihre eigenen Stieftöchter beziehungsweise Nichten verbannten und bedrohten? Echte Eltern lieben bedingungslos. Sie erpressen ihre Kinder nicht und schließen sie nicht aus. Ihre Türen und Herzen sind immer offen. Es war keine Überraschung, dass Neckos Erbe nach seinem Tod nicht in sieben gleiche Teile unter allen Kindern aufgeteilt wurde. Vorhersagbarerweise erbten Neckos und Annemies eigene Kinder, Evi, Johannes und Peter, 99 Prozent des Vermögens.

Emotionale Bedürfnisse wurden regelmäßig ignoriert und potenzielle Skandale unter den Teppich gekehrt. Jeder Hinweis auf ein Problem wurde ignoriert, bemäntelt und nie wieder erwähnt. Die Besessenheit der Neckermanns von ihrem öffentlichen Image ließ keinen Raum für Schwäche und menschliche Unvollkommenheit. Dem vergleichbar ließ mein Streben nach Reichtum wenig Zeit und Energie für die emotionalen Bedürfnisse meiner Frau und meiner Kinder.

Väterlicherseits sind die Ursprünge meiner Familie weitaus prosaischer und reichen ungefähr 1.000 Jahre zurück. Die Familie, die im Mittelalter angeblich als Waffenträger und Schläger für lokale Raubritter arbeitete, schaffte es, sich eine anständige Existenz als Allround-Handwerker, Klempner und Elektriker zu erkämpfen. Typische Weihnachtsgeschenke von unseren Großeltern waren zwei Paar Socken für jedes Enkelkind. Ihre Verwendung war jedoch stark eingeschränkt, da sie ewige Gefangene im Haus meiner Großeltern blieben und nur getragen werden durften, wenn wir auf Besuch waren. Sobald wir nach Hause fuhren, mussten die Socken bis zum nächsten Besuch an ihre Bewacher zurückgegeben werden. Ich liebte diese Socken.

Ich erinnere mich an die Beerdigung meines Großvaters Willi, weil ich dabei eine blutige Lippe bekam. Hunderte von Menschen nahmen an der Feier teil, darunter viele alte Nazis. Zahlreiche ältere Frauen weinten, als hätten sie gerade ihren Erstgeborenen an Charles Manson verloren. Meine ältere Schwester Barbara und ich waren Teil der Kondolenzreihe, zu der auch meine Eltern gehörten, die wesentlich jüngere Witwe meines Großvaters (meine Stiefgroßmutter Sophie), die Enkelkinder und einige entferntere Verwandte. Meine Schwester und ich empfanden weder Leid noch Schmerz. Wir waren froh, dass der Alte endlich aus unserem Leben verschwunden war. Tatsächlich kannten wir ihn zu gut, als dass wir ihn betrauert hätten. Er hatte versucht, das Erbe meines Vaters an sich zu reißen, war ein fürchterlicher Geizkragen und hatte nie ein freundliches Wort für irgendjemanden, der gesellschaftlich unter ihm stand. Er verkaufte neue Waschmaschinen, aus denen er den neuen Motor ausbaute und durch einen gebrauchten ersetzte, wobei er den neuen Motor behielt. Wenn die Waschmaschine kurz nach Auslieferung kaputtging, berechnete er dem Kunden den Einbau des neuen Motors plus eines saftigen Installationszuschlags. Der Mann war ein Betrüger in Kleinformat – ganz anders als ich.

Ich betrachtete die ganze Szene als eine gigantische Komödie. Alle lokalen Hyänen waren erschienen, um ihrer Leithyäne die letzte Ehre zu erweisen. Was mir mehr als alles andere auf die Nerven ging, waren die Trauermienen und die herzergreifenden Händedrücke. Es fiel mir schwer, ein Pokerface zu machen. Während ich die Menge ungläubig anstarrte, wandte sich meine Schwester zu mir, zwickte mich in den Arm und flüsterte mir zu: »Reiß dich zusammen und hör auf, so pietätlos zu sein. Zeig den Schmerz, den du in deinem Innern fühlst und lass deinen Tränen freien Lauf, Florian.« Währenddessen erzählte uns der Pfarrer, dass Willis grenzenlose Großmut und seine Energie unser aller Leben bereichert hätten. Barbara bewegte sich nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt und sagte: »Weine für Willis verlorene Liebe. Er stand für das, was an uns Deutschen am besten ist: Disziplin, Organisation, Gehorsam, Muskeln so hart wie Kruppstahl, schnell wie der Blitz und zäh wie Leder.« Sie zitierte einen Spruch aus einer Rede Hitlers, die er 1935 vor der Hitlerjugend in Nürnberg gehalten hatte. Mit ihrem Spott traf sie den Nagel auf den Kopf. Willi hatte Jahre in französischen Kriegsverbrecherlagern verbracht, bevor er nach dem Krieg schließlich zurückkehrte, und der Vater seiner zweiten Frau war der Nazi-Bürgermeister unserer Heimatstadt Oberursel.

Anschließend schlug Barbara die Hacken zusammen wie ein Feldwebel der SS und tat so, als wolle sie vor der Menge salutieren. Da konnte ich mich nicht mehr halten und fing vor unterdrücktem Lachen an zu schluchzen, was von außen wie ein Weinkrampf aussah. Die Leute um uns herum fürchteten, der Tod meines Großvaters sei zu viel für mich. Ein äußerst besorgtes Paar in den Neunzigern kam auf mich zu und drückte fest meinen Arm und meine Hand, um mich zu beruhigen. Entweder würde ich in lautes, hysterisches Lachen ausbrechen, in die Hose pinkeln oder beides.

Um das zu verhindern, biss ich mir so fest auf meine Unterlippe, dass sie anfing zu bluten, und zwar ziemlich stark. Der Blutgeschmack hatte eine umgehende ernüchternde Wirkung. Als ich die ersten Tropfen herunterschluckte, gelang es mir, mich zusammenzunehmen und jeden Blickkontakt mit meiner Schwester, den Trauernden und dem netten alten Paar zu vermeiden. Ich starrte dumpf auf meine billigen, polierten schwarzen Schuhe und ordnete meine Gedanken und Gefühle. Einige Minuten später entschuldigte ich mich, indem ich sagte, ich fühle mich nicht wohl, fand eine Parkbank und las die lokale Zeitung, die ich mitgebracht hatte, für den Fall, dass ich mich bei der Beerdigung langweilen sollte.

Nach einigem Nachdenken und angesichts der Tatsache, dass sie mich enterbt hatten, kam ich zu dem Schluss, dass Sophie und Willi Homm kleinkarierte, elende, heuchlerische, kleinbürgerliche ehemalige Nazis waren. Folglich verdienen sie keine weitere Aufmerksamkeit.

Als meine Mutter meinen Vater Jochen heiratete, hätte der Gegensatz nicht größer sein können. Jochen war der Prototyp eines Ariers: eine Statur von 1,94 Metern, blaue Augen, blond, athletisch, ein herausragender Sportler, Skifahrer, Tennisspieler und Fechter. Er kam aus einer Kleinunternehmerfamilie. Meine Mutter war ein Mitglied der Oberschicht. Als Favorit der Hitlerjugend hatte man meinen Vater 1944 aufgefordert, Hitlers Leibwache zu verstärken, aber er lehnte ab. Im Frühjahr 1945 wurden mein Vater und seine Staffel aus 14- bis 16-jährigen Jungen aufgerufen, nach Berlin zu marschieren, um den Führer beim Endsieg zu unterstützen. Mein Vater und ein Freund machten sich im Morgengrauen aus dem Staub. Seine Klassenkameraden starben entweder im Endkampf oder in russischen Bleiminen nach dem Krieg. Zu desertieren war die richtige Entscheidung gewesen.

Nach außen wirkte mein Vater charmant. Er war jedoch mit allen Wassern gewaschen, berechnend und kaltblütig. Sein Sinn für Humor und Flirts war äußerst ausgeprägt, zumindest an deutschen Standards gemessen. Die Frauen scharten sich um ihn wie Motten um das Licht. Er hatte auch eine väterliche, fürsorgliche Seite, die mit der Zeit aber nachließ. Ich erinnere mich daran, dass er eine ganze Nacht an meiner Bettkante verbrachte, nachdem ich mir eine fürchterlich schmerzhafte Verletzung am Knöchel zugezogen hatte. Außerdem arbeitete er Tag und Nacht, um meine private Schul- und Hochschulausbildung zu bezahlen. Ich begleitete ihn oft auf Geschäftsreisen, auf denen er mir seine Weltsicht nahebrachte. Er sagte mir, wie ich an die Spitze der Pyramide gelangen konnte. Er war fürsorglich, sogar aufmerksam, aber von dem Zeitpunkt an, als ich mein Studium an der Universität von Harvard aufnahm, begannen sich unsere Prioritäten dramatisch auseinanderzuentwickeln. Genau wie Necko war Jochen zunehmend am gesellschaftlichen Aufstieg interessiert, wohingegen ich zunehmend daran interessiert war, meine Fähigkeiten zu entwickeln und mir einen Lebenslauf zu erarbeiten, mit dem ich meinen zukünftigen Reichtum maximieren konnte. Anders als mein Vater und mein Großonkel waren mir meine Reputation und mein gesellschaftlicher Status völlig egal, solange sie nicht mit meinen Plänen kollidierten, Milliardär zu werden. Drei Generationen unkluger Männer hatten ihre Seelen und Familien für Geld und sozialen Status verkauft.

Jochen nahm nicht an meiner Hochzeitsfeier 1989 im Schweizer Gruyère teil – ich hatte den Fehler begangen, mich anders als meine Geschwister während des Scheidungsprozesses meiner Eltern nicht vollständig von meiner Mutter loszusagen –, sondern beobachtete die Feierlichkeiten mit seiner Geliebten von der Schlossmauer aus. Während des Scheidungskriegs versuchte ich, meine Eltern gleich zu behandeln und zu beiden Kontakt zu halten. Als sein Lieblingskind vergab mir mein Vater nie, dass ich mich nicht auf seine Seite schlug. Er fand mein Verhalten illoyal und fühlte sich betrogen. Das Ende vom Lied war, dass ich meinen Vater verlor. Ich könnte dem Teufel meine Seele verkaufen, aber ich weigerte mich, meine Mutter aufzugeben. Ich habe immer einen angeborenen Sinn für Fairness gehabt. Außerdem bin ich nicht erpressbar, weder mit Geld noch mit Gefühlen.

Unsere Hochzeitsgeschenke bestanden in einer falschen Rolex, die 25 Dollar gekostet hatte, und einer ebenso falschen Gucci-Handtasche aus Thailand für Susan, die von einem seiner Wasserträger überbracht wurden. Ich war aufgebracht und wütend. Die meiste Zeit meines Lebens hatte ich zu meinem Vater aufgesehen. Weise wie meine Exfrau stets war, war sie davon überzeugt, dass meine ausgedehnten Ausflüge in die Jugendkriminalität, meine Wut, mein ausgeprägter Medienfokus und später meine oft feindseligen Geschäftspraktiken allesamt verzweifelte Versuche waren, mit meinem Vater zu kommunizieren und seine Aufmerksamkeit und Liebe zu gewinnen. 15 Jahre lang habe ich versucht, auf ihn zuzugehen, aber er hat jeden Kontakt abgelehnt. Ich schrieb Briefe, sandte Familienfotos und rief ihn an. Jochen hat nie geantwortet. Er kennt nicht einmal seine Enkelkinder. Susan sagte unseren Kindern, Jochen sei vor Jahren gestorben. Im übertragenen Sinne hatte sie recht. Vor zehn Jahren gab ich meine Bemühungen auf, eine Verbindung zu ihm herzustellen. Ich habe mich mit der Tatsache ausgesöhnt, dass mir nach dem Tod meiner Schwester und mit einem Bruder, der nicht das geringste Interesse an mir hat, mit Ausnahme meiner Mutter wenig Familie übrig geblieben ist. Unabhängig davon steht meine Tür für meinen Vater und meinen Bruder jederzeit offen.

Meine Mutter sah aus wie Sophia Loren. Sie war ziemlich groß, hatte wohlgeformte Kurven, hohe Wangenknochen, auffällig dunkle Haut und gewelltes, kastanienbraunes Haar. Sie ist hochintelligent, ernst, misstrauisch, introvertiert und reserviert. Es dauert ungefähr zwölf Jahre, bis sie mit einem anderen Menschen warm wird. Sie beschwerte sich immer, sie habe so wenige Freunde, aber ihre Bemühungen, Freundschaften zu schließen, waren bestenfalls von zweifelhafter Natur. Ich versuchte ihr zu helfen, indem ich ihr Dale Carnegies Buch Wie man Freunde gewinnt: Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden schenkte. Sie las es und sagte: »Anderen in den Hintern zu kriechen ist unterwürfig und falsch. Carnegie ist unaufrichtig und ein Spinner. Außerdem verlangt eine derartige Arschkriecherei zu viele charakterliche Verrenkungen von mir. Lieber bin ich unglücklich als jedermanns Liebling.« Ohne Zweifel ist meine Mutter authentisch. Sie kam zu unserer Hochzeit, beschenkte uns großzügig und schüchterte die besten Freunde meines Vaters ein und brachte sie auf die Palme. Sie machte einige ziemlich beeindruckende Szenen, aber das war für mich in Ordnung. »Sie ist meine Mutter, sie kann machen, was sie will«, lachte ich, während ich sie dabei beobachtete, wie sie ihre Lieblingsziele ins Visier nahm und terrorisierte.

Ihr Stil, ihr Geld, ihr Intellekt und ihre Tradition verheirateten sich mit der reinen kaufmännischen Energie und dem nackten gesellschaftlichen Ehrgeiz meines Vaters. Welch verrückte und symbiotische Verbindung. Der Fairness halber muss gesagt werden, dass mein Vater das Erbe meiner Mutter weise verwendete, um ein regionales, mittelständisches und hoch profitables Bauunternehmen aufzubauen, das dazu beitrug, unsere teure Ausbildung zu bezahlen.

Ihre Kinder waren natürlich Giganten. Meine Schwester war größer als 1,80 Meter, mein Bruder Hajo misst 2,07 Meter und ich zwei Meter. Mit seinen stählernen blaugrauen Augen, seinem blonden Haar und seiner blassen Haut, dem runden Kopf und seinem massiven Körperbau wirkt mein Bruder wie ein feuchter Nazitraum, wohingegen meine Schwester und ich eher überdimensionierten lateinamerikanisch-arabischen Hybriden glichen. Hajo machte sein Diplom an der London School of Economics und ist Ingenieur. Er arbeitete mehrere Jahre mit meinem Vater, bevor er Antiquitätenhändler wurde. Hajo verfügt über außerordentliche mathematische Fähigkeiten und war in seiner Jugend ein begabter Maler. Er mochte mich nie, möglicherweise weil mein Vater mir mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihm. Er war hocherfreut, als sich mein Vater während seines Scheidungskriegs von mir abwandte. Einmal sagte er zu mir, man könne seine Freunde aussuchen, aber nicht seinen Bruder.

Meine Eltern, die beide keine Universität besucht hatten, legten großen Wert auf Bildung, Kultiviertheit und ausgiebige Reisen. An meinem zwölften Geburtstag schenkte mir mein Vater Egon Cortis Buch Der Aufstieg des Hauses Rothschild, das ich innerhalb von zwei Tagen verschlang und immer behielt. Neckos eingefleischt katholische Familie fand es merkwürdig, dass