Kopftuchland - Katja Schneidt - E-Book

Kopftuchland E-Book

Katja Schneidt

3,0

Beschreibung

Es ist das Jahr 2017. Die islamische Partei Deutschland (kurz IPD) hat bei der letzten Bundestagswahl die absolute Mehrheit erreicht, Bundeskanzler ist nun der türkischstämmige Mesut Gültekin. Ab sofort gelten in Deutschland ausschließlich islamische Gesetze. Alle Frauen und Mädchen ab zwölf Jahren müssen ihre Haare mit einem Kopftuch verhüllen, Schweinefleisch ist ebenso wie Alkohol und Glückspiel strengstens verboten, der Moscheebesuch zum Freitagsgebet soll Pflicht werden. Was von den Islamkritikern immer befürchtet wurde, ist nun eingetreten: Deutschland ist ein islamischer Staat geworden. Für die 36-jährige Julia und ihre Familie bricht nun, wie für alle anderen Deutschen, eine völlig neue Zeit an. Nach einer Weile müssen sie sich allerdings eingestehen, dass die neue Regierung durchaus auch ihre guten Seiten hat. Familienzusammenhalt wird ab sofort großgeschrieben, das Lohnniveau für sogenannte .Männerberufe. wird deutlich angehoben, sodass ihr Mann Stefan genügend Geld verdient und Julia ihren ungeliebten Halbtagsjob als Verkäuferin endlich an den Nagel hängen kann, und selbst die pubertierende Lara kann der Situation plötzlich etwas Gutes abgewinnen. Kopftuchland begleitet Julia und ihr Umfeld durch ihren Alltag, in einem völlig veränderten Deutschland, in dem nun der Islam regiert.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
 
Originalausgabe
 
1. Auflage 2017
 
© 2017 by Lago, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Redaktion: Antje Steinhäuser
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildung: Odnolko/Shutterstock
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
 
ISBN Print 978-3-95761-176-5
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-093-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-094-1
 
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.lago-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
 
 
 

Inhalt

Koran
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
Schlusswort
 
 
 

Koran

Sure 110: an-Nasr (Die Hilfe);

 

Im Namen Allahs,des Allerbarmers, des Barmherzigen

1 Wenn Allahs Hilfe kommt und der Sieg

2 und du die Menschen in Allahs Religion in Scharen eintreten siehst,

3 dann lobpreise deinen Herrn und bitte Ihn um Vergebung; gewiss, Er ist Reue annehmend.

 
 
 

Prolog

Zum x-ten Mal ertappe ich mich an diesem Abend dabei, wie ich an meinen Fingernägeln kaue. Während ich wie gebannt auf den Fernseher schaue, wandern meine Hände immer wieder, wie von selbst, zu meinem Mund. Das letzte Mal, dass ich an meinen Fingernägeln gekaut habe, war in meiner Jugendzeit in der siebten Klasse, als Carsten mit mir Schluss gemacht hatte, weil er ab sofort mit meiner besten Freundin Steffi zusammen sein wollte.

Jetzt bin ich allerdings sechsunddreißig Jahre alt und sollte schon lange aus dem Alter heraus sein, in dem ich meine seelische Anspannung an meinem Körper abreagiere.

Der Grund für meine Unruhe ist für meine Verhältnisse eher ungewöhnlich. Heute ist Bundestagswahl und in Kürze werden die ersten Hochrechnungen erwartet.

Normalerweise interessiere ich mich nicht für Politik, aber in diesem Jahr ist das anders. Und ich bin mir sicher, dass ich nicht die Einzige bin, die den Ausgang der Bundestagswahl mit großer Anspannung erwartet. Der Grund dafür liegt klar auf der Hand. Vor ungefähr drei Jahren hat sich eine neue politische Bewegung gebildet. Die »Islamische Partei Deutschland« ist plötzlich wie ein Pilz aus dem Boden geschossen und konnte in einem schwindelerregenden Tempo Tausende von Menschen für ihr Programm begeistern.

Am Anfang hatte ich die IPD noch genauso belächelt wie die Stände in der Innenstadt, an denen in regelmäßigen Abständen kostenlos der Koran an interessierte Passanten verteilt wurde. Ich hatte kein Problem damit, dass die Muslime in Deutschland ihren Mitmenschen den Islam näherbringen wollten. Ich wurde von Haus aus tolerant erzogen und vertrat immer die These »Leben und leben lassen«.

Ein Großteil meiner Freunde und Bekannten hatten eine ähnliche Einstellung zu diesem Thema. Wir leben nun mal multikulturell in Deutschland und dazu gehören eben auch die unterschiedlichsten Religionen. Aber im letzten Jahr hatte das Ganze dann eine Dimension angenommen, die nicht nur mir den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Die IPD begann, intensiv für ihre Ziele zu werben, und fast jede Woche fand ich beim Leeren unseres Briefkastens Faltblätter, Aufkleber oder Broschüren dieser Vereinigung. Ich muss zugeben, dass ein Teil des Wahlprogramms eigentlich gar nicht schlecht ist. Der Familienzusammenhalt und die Kinderfreundlichkeit lassen in Deutschland wirklich zu wünschen übrig und genau hier setzt die IPD an. Das Lohnniveau soll zunächst über staatliche Subventionen, die man dann wieder langsam abbauen will, so angehoben werden, dass der Beitrag der Frauen zum Haushaltseinkommen nicht mehr notwendig ist und der Mann wieder zum Alleinverdiener wird. Die Jobs der Frauen sollen nach und nach Männer übernehmen, etwa junge Männer, die noch keine Familie ernähren müssen, oder Arbeitslose, die bisher nichts gefunden haben. Und es wird wohl ein paar Sonderregelungen geben. Wie die genau aussehen, weiß noch niemand. Lehrerinnen und Ärztinnen sind, zumindest zunächst, aus der Anordnung ausgenommen. Wahrscheinlich, weil ein Land ja auch handlungsfähig bleiben muss und nicht alles sofort umkrempeln kann. Den Gedanken, dass ich meinen Halbtagsjob als Verkäuferin an den Nagel hängen und mich voll und ganz auf meine zwölfjährige Tochter Lara konzentrieren könnte, finde ich durchaus verlockend. Lara ist zurzeit in der Pubertät und man könnte sie durchaus als ziemlich anstrengend beschreiben. Das Missachten von Regeln scheint ihr neuestes Hobby zu sein.

Auch für die Finanzierung der häuslichen Pflege will die IPD sich starkmachen, da sie der Meinung ist, dass alte Menschen zu ihren Familien gehören und nicht in ein Altersheim.

Das sind die positiven Aspekte. Die weniger schöne Seite des Wahlprogramms ist die Tatsache, dass, wenn diese Partei an die Macht kommen sollte, es einen Religionszwang in Deutschland geben wird, denn die Trennung von Staat und Religion wird dann aufgehoben und zu diesem Zweck das Verfassungsrecht entsprechend geändert. Die Parteimitglieder sehen den Islam als die einzig wahre Religion an und deshalb soll es zur Pflicht werden, nach den Regeln dieser Religion zu leben.

Am Anfang haben mein Mann Stefan und ich noch unsere Witze darüber gemacht, aber irgendwann haben wir bemerkt, dass die Stimmung im Land kippt und die IPD immer mehr Sympathisanten gewinnen konnte.

Heute ist nun die Stunde der Wahrheit gekommen. Stefan meinte, er könne sich das nicht im Fernsehen anschauen und spätestens morgen würde man sowieso in jeder Zeitung lesen können, wie die Wahl ausgegangen sei. Deshalb sitze ich alleine hier und fiebere dem Wahlergebnis entgegen. Meine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Es ist schon lange nach Mitternacht, als der Moderator im Fernsehen endlich das Ergebnis verkündet. Mir bleibt vor Schreck und Entsetzen der Mund offen stehen. Meine Vermutung ist nun Gewissheit: Es ist ein neues Zeitalter angebrochen. Die IPD hat die absolute Mehrheit bekommen und ist an der Macht!

 
 
 

1. Kapitel

Ich werfe noch einen letzten prüfenden Blick in das Esszimmer. In ungefähr zehn Minuten werden unsere Freunde da sein, die ich für heute Abend zum Essen eingeladen habe.

Die Tatsache, dass die IPD ab sofort die stärkste Partei in Deutschland ist, hat uns dermaßen verunsichert, dass Stefan und ich das dringende Bedürfnis haben, uns mit unseren besten Freunden, Simone und Christian, auszutauschen.

»Mir ist langweilig«, mault unsere Tochter Lara, die plötzlich hinter mir steht. »Kommen Sina und Florian eigentlich auch mit?«

Ich streichele meiner Tochter über ihre langen dunkelblonden Haare, was diese mit einem unwilligen Kopfschütteln quittiert. »Mama! Ich bin doch kein Baby mehr.« Laras vorwurfsvoller Blick trifft mich mitten in mein Mutterherz. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihr beibringen soll, dass sie sich zukünftig mit einem Kopftuch bedecken soll. Das ist zu diesem Zeitpunkt alles noch so surreal. Die Wahl liegt erst eine Woche zurück und noch bemerkt man keinerlei Veränderungen im täglichen Leben. Lara hat zwar mitbekommen, dass wir nun eine islamische Regierung haben, aber ich glaube, dass sie noch keine Ahnung hat, was dies wirklich bedeutet. Wie sollte sie auch? Wir wissen es ja selbst nicht. Sie und ihre Freundinnen finden die neuesten Entwicklungen eher spannend und sind neugierig auf das, was sich zukünftig verändern wird. Um sie nicht zu beunruhigen, zaubere ich ein Lächeln auf meine Lippen. »Ja, natürlich kommen die beiden mit und ihr dürft auch gleich nach dem Essen in dein Zimmer gehen, anstatt euch an unseren langweiligen Erwachsenengesprächen zu beteiligen«, muntere ich sie auf.

»Das hätte ich sowieso nicht gemacht«, antwortet sie in ihrem typischen trotzig-pubertären Ton, an den ich mich so gar nicht gewöhnen kann und der überhaupt nicht zu ihrem engelhaften Aussehen passt. Ich bin froh, dass es in diesem Moment an der Haustüre klingelt und ich dadurch einer Diskussion mit meiner Tochter aus dem Wege gehen kann.

»Hallo. Schön, dass ihr da seid«, begrüße ich Simone und Christian. »Stefan ist noch im Badezimmer. Er musste heute wieder Überstunden machen und ist erst vor einer halben Stunde nach Hause gekommen.«

Simone streift ihre Jacke ab und hängt sie an die Flurgarderobe. »Kein Problem. Wenn es keine Umstände macht, würde ich sowieso erst eine Tasse Kaffee nehmen. Ich war den ganzen Tag unterwegs. Florian hatte ein Fußballturnier und Sina musste zur Nachhilfe gebracht werden und außerdem hatte ich noch meiner Mutter versprochen, sie zum Einkaufen zu fahren. Christian hat, anstatt mir zu helfen, es vorgezogen, sich nach Feierabend in seinem Bastelkeller zu vergraben und irgendwelche Schiffsmodelle zusammenzukleben.« Simone wirft ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu, den dieser allerdings geflissentlich übersieht.

»Ist Lara in ihrem Zimmer?« Sina trippelt ungeduldig von einem Bein auf das andere.

»Ja, sie wartet schon auf euch«, sage ich zu ihr und Florian gewandt.

»Super. Sagst du Bescheid, wenn das Essen fertig ist? Ich habe nämlich einen Bärenhunger. Fußball spielen ist kräftezehrend!« Florian reibt sich mit der Hand über seinen Bauch.

»Ja, natürlich. Da trifft es sich ja gut, dass ich eine leckere Lasagne vorbereitet habe. Du weißt ja, dass die extrem viele Kohlenhydrate hat.« Ich zwinkere Florian zu. Er ist nämlich der reinste Ernährungsexperte und weiß von fast allen Lebensmitteln den speziellen Nährstoffgehalt. Florian ist eine absolute Sportskanone und möchte später unbedingt Fitnesstrainer werden.

Nachdem die beiden in Laras Zimmer verschwunden sind, gehe ich mit Christian und Simone in die Küche. »Magst du auch einen Kaffee?«, frage ich Christian.

Der schüttelt den Kopf. »Nein danke, Julia. Ab nachmittags ist Kaffee für mich tabu. Sonst kann ich nämlich heute Nacht nicht schlafen. Aber ein kühles Bier würde ich nehmen.«

»Das ist doch jetzt verboten«, wirft Simone ein und setzt eine triumphierende Miene auf, bevor sie noch »Irgendwas Gutes muss ja diese neue Regierung auch haben« hinterherschickt.

»So und wo hast du dein Kopftuch gelassen? Vielleicht ist es deiner geschätzten Aufmerksamkeit entgangen, aber ich helfe dir da gerne auf die Sprünge: Alle Frauen und Mädchen ab zwölf Jahren sollen das Haus nur noch mit einer Kopfbedeckung verlassen.«

Christian lehnt sich siegessicher gegen den Türrahmen und setzt ein süffisantes Grinsen auf. An der Reaktion meiner Freundin Simone kann ich sehen, dass sie kurz vor dem Explodieren steht. In Sekundenschnelle läuft ihr Gesicht dunkelrot an und sie scheint nach Luft zu schnappen. Die Stimmung ist zum Zerreißen gespannt und ich schicke innerlich ein Stoßgebet zum Himmel, dass Stefan jetzt endlich aus dem Badezimmer kommt. Nie ist der Mann da, wenn man ihn mal braucht.

»Im Moment hat sich doch noch gar nicht viel verändert«, versuche ich, unsere Freunde zu beschwichtigen. »Die neuen Regeln haben ja eine Einführungszeit von drei Monaten, wenn ich richtig informiert bin.«

Simone stößt einen tiefen Seufzer aus. »Für mich ist das Ganze immer noch unfassbar. Dass es mit Deutschland so weit kommen konnte, ist mir unbegreiflich.«

»Was ist dir unbegreiflich? Stefan ist zu uns in die Küche gekommen. Zielstrebig geht er zum Kühlschrank und holt zwei Flaschen Bier heraus. Während er in der Schublade nach einem Flaschenöffner kramt, werfe ich schnell einen Blick in den Backofen, in dem die Lasagne langsam vor sich hin köchelt. In ungefähr fünf Minuten dürfte sie fertig sein, wie mir der Bräunungsgrad des geschmolzenen Käses verrät.

»Es ist mir unbegreiflich, wie es nur so weit kommen konnte, dass wir eine islamische Regierung bekommen«, klärt ihn Simone auf.

Stefan hebelt die Verschlüsse von den Bierflaschen herunter. »Auf das neue Deutschland. Prost!« Er hat eine der Flaschen Christian in die Hand gedrückt und prostet ihm zu.

»Ist das alles, was dir dazu einfällt?« Simone schüttelt unwillig den Kopf.

»Nein, Simone. Mir fällt da noch eine ganze Menge mehr ein, aber das Problem ist, dass dies niemanden interessiert.« Stefan zuckt resigniert mit den Schultern.

 

Etwas später sitzen wir alle an unserem großen Esstisch. In der Auflaufform ist ein kläglicher Rest der Lasagne zurückgeblieben. Die Kinder haben sich gleich nach dem Essen wieder in Laras Zimmer verzogen und schauen DVD. Das Tiramisu, welches ich zum Nachtisch vorbereitet habe, durften sie ausnahmsweise mitnehmen.

Ich gieße mir noch einen Schluck von dem dunklen Rotwein ein, den ich passend zu unserem Abendessen im Supermarkt ausgesucht habe. Wir befinden uns noch in einer Übergangsphase und Alkohol ist nach wie vor erhältlich, aber bald schon wird das der Vergangenheit angehören. Ich halte das Glas vor einen der Kerzenleuchter, die dem gedeckten Tisch ein feierliches Aussehen verleihen, und beobachte, wie sich das Kerzenlicht in dem Wein bricht. Den ganzen Abend diskutieren wir nun schon über den Regierungswechsel, aber wir kommen zu keinem wirklichen Ergebnis. Ich weiß nicht, ob es an dem Alkohol liegt, den ich zu mir genommen habe, aber ich bin plötzlich erstaunlich ruhig und gelassen. »Wenn wir ehrlich zu uns selber sind, haben wir diese Entwicklung doch alle kommen sehen«, werfe ich in die Runde. Eigentlich sind wir doch schon lange ein Islamstaat.« Ich nehme noch einen kräftigen Schluck aus meinem Glas.

»Der Sankt-Martins-Tag wird in vielen Städten bereits als Lichterfest gefeiert und in fast jedem Supermarkt gibt es mittlerweile eine Kühltheke, in der man Produkte findet, die halāl (für Muslime erlaubt) sind. Moscheen finden sich selbst im kleinsten Dorf und der Koran wird schon seit ewigen Zeiten kostenlos in den Fußgängerzonen verteilt.«

»Das ist das Ergebnis eines jahrelangen Irrlichterns unserer Politiker«, meldet sich Stefan zu Wort. »Der Islam gehört zu Deutschland, hat doch unser Kurzzeit-Ministerpräsident Christian Wulff vor ein paar Jahren so schön gesagt. Mich würde interessieren, wie er heute darüber denkt.«

Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung, aber was geschieht jetzt eigentlich mit unseren Kirchen?«

Simone streicht sich mit den Fingern durch ihre schwarzen, kurzen Haare. »Ich meine in unserer Tageszeitung gelesen zu haben, dass in Kürze eine Art Leitfaden an alle Haushalte verteilt wird, in dem alles Wichtige zusammengefasst ist, was an Änderungen auf uns zukommt.«

»Na prima«, stöhne ich. »Muss ich mir das vorstellen wie einen Ikea-Katalog? Der wird doch auch einmal im Jahr kostenlos an alle Haushalte verteilt.«

Simone verdreht die Augen. »Also, Julia, deinen Humor möchte ich haben.«

Ich atme tief ein und aus. »Jammern nützt ja nichts. Die nächsten vier Jahre müssen wir da jetzt durch. Dann wird neu gewählt und ich hoffe, dass die Leute bis dahin etwas daraus gelernt haben. Die Wahlbeteiligung lag diesmal nur bei knapp sechzig Prozent, weil jeder denkt, dass seine Stimme alleine doch nichts verändern kann und deshalb erst gar nicht wählen geht. Alle diese nicht abgegebenen Stimmen sind dann natürlich indirekt der IPD zugutegekommen.«

»Ich muss ehrlich gestehen, dass ich auch zu den Menschen gehöre, die dieses Jahr nicht zur Wahl gegangen sind«, gibt Simone zu.

»Ja, weil du lieber auf dem Sofa liegen bleiben wolltest, um deine langweilige Serie zu schauen«, bemerkt Christian trocken.

»Mir ging es an dem Tag nicht gut. Ich hatte wahnsinnige Kopfschmerzen«, verteidigt sich Simone und wirft Christian einen bösen Blick zu.

Ich winke ab. »Jetzt streitet euch nicht. Stefan und ich waren auch nicht wählen. Wir waren … an dem Tag bei Stefans Eltern zum Essen eingeladen.«

»Sag mal, das ist doch bestimmt ein Witz, dass wir Frauen jetzt alle ein Kopftuch tragen sollen, oder?« Simone schaut mich fragend an.

»Ich denke nicht, dass es ein Witz ist. Immerhin berichten die Medien von nichts anderem mehr.«

»Also ich werde mir niemals so einen Lappen um den Kopf wickeln. Niemals!« Simone bekommt vor Aufregung ganz rote Wangen.

»Sieh es doch mal von der praktischen Seite. Du kannst dir zukünftig den Friseurbesuch sparen und wir kommen nie wieder zu spät zu irgendeiner Verabredung, nur weil deine Haare sich partout nicht so stylen lassen wollen, wie du das gerne möchtest«, witzelt Christian.

Langsam bin ich genervt von Christians Äußerungen. Ihm fehlt es eindeutig an einer gehörigen Portion Feingefühl für die Situation.

»Mal sehen, ob du das auch noch lustig findest, wenn du demnächst in deine Stammkneipe gehst und dann eine Feierabend-Cola trinken musst, anstelle deines geliebten Biers«, antwortet Simone schlagfertig.

»Was wird eigentlich aus den ganzen Brauereien? Müssen die jetzt alle dichtmachen?« Stefan wirft einen wehmütigen Blick auf sein Bierglas.

»Das ist eine berechtigte Frage.« Ich nicke meinem Mann zu. »Ich habe mir auch schon überlegt, was aus den ganzen Schweinezuchtbetrieben wird. Schweinefleisch ist ja nun auch verboten.«

Simone lacht. »Ja, die armen Schweine sind die eindeutigen Gewinner dieser Wahl. Es macht ja keinen Sinn mehr, sie zu schlachten, wenn sie sowieso nicht gegessen werden dürfen. Die sterben jetzt alle an Altersschwäche.«

»Das glaube ich kaum. Wenn die Bauern keine Einnahmen mehr aus dem Verkauf von Schweinefleisch erzielen, können sie es sich auch höchstwahrscheinlich nicht mehr leisten, die Schweine mit Futter zu versorgen. Ganz zu schweigen von eventuell anfallenden Tierarztkosten«, gebe ich zu bedenken.

Stefan stößt einen tiefen Seufzer aus. »Es ist schon Wahnsinn, was jetzt alles an Veränderungen auf uns zukommt und vor allem, was dieser Regierungswechsel auch für die Wirtschaft in Deutschland bedeutet. Unser Land ist doch auf eine solche Religion gar nicht ausgelegt.«

»Ja, aber dass es irgendwann so weit kommt, ist doch nur die logische Konsequenz unserer bisherigen Zuwanderungspolitik. Dachtet ihr denn wirklich, dass all die Muslime, die hier leben, immer nur in unser Steuersystem einbezahlen, aber kein Mitbestimmungsrecht haben möchten?« Genervt ziehe ich eine Augenbraue nach oben.

»Aber, Julia, hier geht es doch nicht mehr um ein Mitbestimmungsrecht. Damit hätten wir alle leben können. Die Situation, die wir jetzt haben, ist eine völlig andere. Wir bekommen eine Lebensweise aufgezwungen, die überhaupt nicht unserer Mentalität entspricht.« Christian holt tief Luft. »Wenn es den Muslimen hier in Deutschland nicht islamisch genug zugeht, können sie jederzeit wieder in ihr Heimatland zurück, aber was machen wir jetzt? Bleibt uns jetzt nur noch die Auswanderung in ein nicht muslimisches Land? Das kann doch nicht die Lösung sein.«

»Nein, ganz sicher nicht.« Ich schüttele den Kopf. In diesem Moment kommen Lara und Sina zu uns ins Esszimmer. »Mama, Sina und ich haben im Internet eine coole Seite gefunden, auf der es total abgefahrene Kopftücher zu kaufen gibt. Dürfen wir uns welche bestellen?«

Sprachlos schaue ich meine Tochter an … Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell sich Kinder an neue Situationen gewöhnen. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die Mädchen nicht annähernd die ganze Tragweite des Regierungswechsels begreifen.

 
 
 

2. Kapitel

Zum wiederholten Male ignoriere ich das Klingeln des Telefons. Mit zitternden Fingern halte ich die ungefähr vierzig Seiten starke Broschüre in der Hand, die von der IPD an alle Haushalte verteilt wurde. Mein Gesicht fühlt sich schwammig und heiß an und in meinem Magen grummelt es verdächtig. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mich mitten in einem Science-­Fiction-­Film befinde.

Die Medien berichten täglich über die Veränderungen, die nun auf Deutschland zukommen, aber ich habe dies in den letzten Wochen einfach verdrängt. Für die meisten Vorschriften gibt es Übergangsfristen, sodass sich in meinem Alltag noch nichts Gravierendes verändert hat. Aber nun wird es greifbar. Ab nächster Woche gilt in Deutschland die Kopftuchpflicht und der Verzehr von Alkohol und Schweinefleisch ist verboten. Der Broschüre liegt auch eine Einladung zu einer Informationsveranstaltung in der Stadthalle bei, die übermorgen stattfinden soll.

Obwohl sich alles in mir sträubt, werde ich dorthin gehen. Ich brauche einfach noch mehr Informationen. Ich weiß, dass es meiner Familie und unseren Freunden genauso geht. Wir alle sind zutiefst verunsichert.

Praktischerweise kann man bei dieser Veranstaltung auch gleich zum Islam konvertieren, wenn man das möchte. In der Broschüre steht, dass extra zu diesem Zweck ein Imam anwesend sein wird, der den konvertierwilligen das Glaubensbekenntnis abnehmen wird.

Ich kann mir zwar beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieses Angebot in Anspruch genommen wird, aber das hat nichts zu heißen. Ich konnte mir in der Vergangenheit so vieles nicht vorstellen und jetzt ist es eingetroffen.