Wir schaffen es nicht - Katja Schneidt - E-Book

Wir schaffen es nicht E-Book

Katja Schneidt

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Beschreibung

Katja Schneidt arbeitet seit fast 20 Jahren ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Sie unterstützt Menschen bei den ersten Schritten in Deutschland, begleitet sie zu Behördengängen, gibt Deutschkurse, ist Ansprechpartnerin bei Sorgen und Nöten, kümmert sich, wenn Kinder nicht zur Schule geschickt werden oder Frauen nicht ohne Begleitung zum Arzt wollen. Sie ist für die Menschen da, die in großer Zahl nach Deutschland kommen. Und sie zieht eine ernüchternde Bilanz, indem sie sagt: "Nein, Frau Merkel, wir schaffen das nicht!" Im Lauf ihrer Arbeit musste Katja Schneidt feststellen, wie überfordert Politik, Verwaltung und Behörden wirklich sind. Wie wehrlos der deutsche Staat denjenigen gegenüber ist, die Gastfreundschaft mit einem Selbstbedienungsladen verwechseln, wie groß das Unverständnis vieler Flüchtlinge unserer Kultur gegenüber ist und wie unzureichend ein Heer an freiwilligen Helfern eine durchdachte, organisierte Integrationspolitik ersetzen kann. Katja Schneidt sagt, wo die Probleme liegen und was sich ändern muss, damit Flüchtlinge in der neuen Heimat ankommen und auch unsere Gesellschaft von all den neuen Bürgern profitiert. Derzeit tut sie es nicht. Und Katja Schneidt weiß, wovon sie spricht.

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Wir schaffen es nicht

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Wir schaffen es nicht

Eine Flüchtlingshelferin erklärt, warum die Flüchtlingskrise Deutschland überfordert

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2016

© 2016 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Verena Frensch, München

Umschlagabbildung: © Panayiotis Tzamaros/picture alliance

Satz: Carsten Klein, München

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print: 978-3-86883-998-2

ISBN E-Book (PDF): 978-3-95971-352-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-353-5

Weitere Infos zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.muenchner-verlagsgruppe.de

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel – Wie können wir das schaffen?

2. Kapitel – Der Flüchtlingsansturm in Deutschland

3. Kapitel – Das Problem der Unterkünfte oder: Leben im Luxus?

4. Kapitel – Herausforderung Integration

5. Kapitel – Wir brauchen viel mehr Fachkräfte!

6. Kapitel – Falsche Hoffnungen und die Märchen der Schleuser

7. Kapitel – Der schwere Weg in ein selbstständiges Leben

8. Kapitel – Das problematische Thema Frauenbild

9. Kapitel – Falsche Toleranz fördert die Entstehung von Parallelgesellschaften

10. Kapitel – Missstände in der deutschen Bevölkerung fördern den Unmut

11. Kapitel – Vom Umgang mit Gewalt und Gewaltbereitschaft

12. Kapitel – Von Fehlinformationen, Bezness und politischem Mut

13. Kapitel – Was ist eigentlich ein Einzelfall?

14. Kapitel – Bedarf an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen

15. Kapitel – Vom Umgang mit der Religion

16. Kapitel – Wie verändert sich Deutschland?

17. Kapitel – Das Recht auf Familienzusammenführung

18. Kapitel – Terror darf kein Teil des Alltags werden

19. Kapitel – Grundlegendes ändern und aus Fehlern lernen

Nachwort

1. KAPITEL

Wie können wir das schaffen?

Als ich gefragt wurde, ob ich ein Buch über die Flüchtlingssituation in Deutschland schreiben wollte, musste ich nicht lange überlegen. Natürlich wollte ich das! Zu dem Thema gibt es so viel Wichtiges und Wissenswertes zu sagen.

Die Stimmung in Deutschland schwankt mittlerweile zwischen dem unerschütterlichen »Wir schaffen das!« und »Hilfe! Der Untergang Deutschlands steht bevor« – und beides ist fernab jeder Realität.

Als in den Neunzigerjahren, während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, die Flüchtlinge in Scharen nach Deutschland strömten, war ich bereits in der Flüchtlingshilfe tätig. Und ich bin es auch heute noch.

Ich lebe in einer mittelhessischen Kleinstadt und wir haben neben einer großen Erstaufnahmeeinrichtung, die in einer ehemaligen US-Kaserne untergebracht ist, auch drei große Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende. Dazu kommen noch mehrere kleinere Gemeinschaftsunterkünfte, die auf die anliegenden Ortsteile verteilt sind.

Meine Aufgaben in der Flüchtlingshilfe sind vielfältig.

Ich betreue Flüchtlingsfamilien und bin ihnen ebenso beim Ausfüllen von Formularen behilflich wie bei der Wohnungssuche und bei den anfallenden Problemen im Alltag. Außerdem begleite ich sie zu Terminen auf der Ausländerbehörde, bei Arztterminen und bei der Jobsuche.

In einer anderen großen Gemeinschaftsunterkunft gebe ich jungen, männlichen Flüchtlingen regelmäßig Deutschunterricht und bin ebenfalls Ansprechpartnerin bei allen anfallenden Problemen.

Dazu bin ich einmal in der Woche in unserer Grundschule und übe mit einer Gruppe Erstklässler, die sowohl aus deutschen wie auch aus Flüchtlingskindern besteht, das Lesen.

Da ich selbst viele Jahre lang in einer Beziehung mit einem türkischen Mann gelebt habe und auch heute noch ein sehr multikulturelles Umfeld habe, kenne ich mich in der islamischen Kultur bestens aus und kann mich in jedem muslimischen Umfeld bewegen. Dies erleichtert mir meine ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit sehr und verhilft mir zu einer großen Akzeptanz bei den Asylsuchenden. Immerhin kommt ein Großteil dieser Menschen aus streng islamischen Ländern wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Auch bei den Flüchtlingen aus Eritrea liegt der Anteil der Muslime bei fast 60 Prozent.

Außerdem berate ich seit vielen Jahren – ebenfalls ehrenamtlich – Opfer häuslicher Gewalt. Auch diese Menschen kommen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen.

Neben mir gibt es noch einige hilfsbereite Menschen, die sich im Rahmen unseres Flüchtlingshilfenetzwerks »Neue Nachbarn« unermüdlich für die Asylsuchenden engagieren.

Die meisten tun dies mit einem leidenschaftlichen Engagement und man spürt, dass ihnen die Flüchtlinge wirklich am Herzen liegen. Viele sind ebenso wie ich aktives Mitglied in der SPD, sodass wir uns auch auf kommunalpolitischer Ebene bemühen, gute Voraussetzungen für die in unserer Stadt lebenden Flüchtlinge zu schaffen.

Im November 2015 wurde uns der Hessische Integrationspreis verliehen. Darauf sind wir stolz. Es ist ein gutes Gefühl, wenn die vielen Hilfestellungen, die man als ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer geben muss, wenigstens eine soziale Anerkennung finden.

Ich stelle mir oft die Frage, was die Geflüchteten ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer tun würden.

Nachdem sie Deutschland erreicht haben und in eine der Erstaufnahmeunterkünfte gebracht worden sind, gibt es eine relativ große Anzahl von Menschen, die sich um die Geflüchteten kümmern. Auch hier ist der Anteil der ehrenamtlichen Kräfte weitaus höher als der der bezahlten Betreuungskräfte.

Die meisten Erstaufnahmeunterkünfte verfügen über eigene Ärzte und umfangreiche medizinische Diagnostik-Apparate, wie zum Beispiel Röntgen- oder Ultraschallgeräte, sodass die ärztliche Betreuung direkt vor Ort abgedeckt wird und lange Wartezeiten, wie sie bei öffentlichen Ärzten üblich sind, sowie Anfahrtswege entfallen.

Die Essensversorgung wird meistens über einen Cateringservice abgedeckt, sodass die Flüchtlinge sich weder um einen Einkauf noch um die Essenszubereitung kümmern müssen.

Die Sauberhaltung der Unterkünfte wird durch externe Reinigungsunternehmen durchgeführt.

Behördentermine außerhalb der Erstaufnahmeunterkünfte werden meist von Dolmetschern oder Betreuungskräften begleitet.

Die Hilfestellungen der Flüchtlingshelfer sind sehr engmaschig und sorgen für einen meist reibungslosen Ablauf in den Erstaufnahmeunterkünften.

Anders sieht es allerdings aus, wenn die Asylsuchenden die Erstaufnahmeunterkünfte verlassen und in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Von einem auf den anderen Tag sind sie plötzlich in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht sprechen, völlig auf sich allein gestellt. Es gibt ab diesem Zeitpunkt kaum noch eine Unterstützung durch bezahlte Betreuungskräfte.

Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer, die zum Teil zwanzig Stunden und mehr pro Woche ihrer freien Zeit in die Flüchtlingshilfe investieren und dafür keinen einzigen Cent, außer der Erstattung ihrer Kosten, bekommen, wäre die Flut der Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, gar nicht zu bewältigen.

Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum mir das optimistische »Wir schaffen das!« unserer Bundeskanzlerin immer ziemliche Bauchschmerzen bereitet. Und leider klagen tatsächlich viele Hilfsorganisationen mittlerweile über einen massiven Rückgang der Hilfsbereitschaft.

Die Euphorie zu Beginn der Flüchtlingswelle ist verflogen, und viele Menschen, die sich am Anfang engagierten, haben ihre Prioritäten inzwischen wieder neu gesetzt. Job, Haushalt und Kindererziehung lassen nun mal auf Dauer keinen nennenswerten Spielraum zu, um die Flüchtlinge wirklich adäquat zu betreuen und ihnen in ihrem Alltag kontinuierlich behilflich zu sein.

Als Autorin genieße ich den Luxus, mir meine Zeit frei einteilen zu können, und das ist auch notwendig, wenn ich wirklich effektiv helfen möchte. Termine auf der Ausländerbehörde, bei Ärzten oder dem Jobcenter etwa sind immer tagsüber. Dazu klingelt häufig mein Telefon und ich werde von den Flüchtlingen gebeten, doch mal kurz vorbeizuschauen, weil sich ein Kind verletzt hat, Post gekommen ist, die ihnen übersetzt werden muss, oder es Probleme mit anderen Bewohnern in der Gemeinschaftsunterkunft gibt.

Es wäre dringend notwendig, die finanziellen Mittel für bezahlte Betreuungskräfte nennenswert zu erhöhen, denn der Hilfebedarf wird in absehbarer Zeit noch massiv ansteigen. Spätestens dann, wenn die Angehörigen der Asylsuchenden im Rahmen des Familiennachzugs in Deutschland eintreffen, wird der Hilfebedarf mit fast ausschließlich ehrenamtlich tätigen Hilfskräften nicht mehr zu bewältigen sein.

Dabei steht uns die größte Arbeit noch bevor. Wenn die formellen Dinge geklärt sind und die Flüchtlinge endlich in eine private Wohnung ziehen dürfen, beginnt der Integrationsprozess.

Dieser besteht nicht nur darin, dass die Schutzsuchenden die deutsche Sprache erlernen.

Viel wichtiger ist es, sie mit unserer Kultur und der hier herrschenden Gleichberechtigung von Mann und Frau vertraut zu machen. Dies ist wichtig, damit sie ein vollwertiger Teil unserer Gesellschaft werden und sich nicht noch weitere Parallelgesellschaften bilden.

Dieser Aspekt bereitet mir große Sorgen. Zu oft habe ich in den vielen Jahren meiner Beratungstätigkeit erlebt, dass muslimische Frauen und Mädchen die großen Verlierer einer misslungenen Integration wurden. In einem freien Land mit Gleichberechtigung zu leben, aber selbst in einer Struktur zu stecken, die den weiblichen Mitgliedern der Familie eine Rolle zuteilt, die wir in Deutschland schon vor mindestens einem halben Jahrhundert abgeschafft haben, stellt diese Frauen und Mädchen vor eine große Herausforderung, und nicht wenige von ihnen erleiden mit der Zeit eine psychische Erkrankung. Eine Studie der Berliner Charité hat sogar ergeben, dass junge Frauen mit vorwiegend türkischem Migrationshintergrund sich doppelt so häufig das Leben nehmen wie gleichaltrige deutsche Mädchen.

Auch für die Männer ist dieser Spagat zwischen zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, eine enorme Belastung.

Es ist ein Irrglaube und äußerst naiv zu denken, dass die Menschen, die hier Schutz suchen, ihre tief verwurzelten Traditionen und vor allem das Rollenbild, dass in den meisten Herkunftsländern herrscht, ablegen, nur weil sie jetzt in einem Land leben, in dem die Selbstbestimmung der Frau etwas völlig Selbstverständliches ist.

Trotzdem tun viele Deutsche so, als ob es diese Probleme nicht gäbe bzw. sie mit einem bisschen guten Willen spielend zu bewältigen wären.

Warum tut sich ein Großteil der Menschen so schwer damit, offen auszusprechen, dass es zwischen der muslimischen und der christlichen Kultur gravierende Unterschiede gibt, die auch maßgeblich das tägliche Leben prägen?

Anders als wir es aus dem Christentum kennen, ist der Islam für die Muslime weitaus mehr als lediglich eine Religion. Es ist ein vollumfängliches Lebenskonzept, welches nicht nur das tägliche Leben und die Rolle der Familienmitglieder klar definiert hat. Der Islam regelt darüber hinaus auch einen Großteil der Politik und die gesellschaftliche Ordnung.

Das ist per se erst einmal nicht als negativ zu bewerten aber nur wer das erkannt hat, kann sich auch ernsthaft mit der Thematik der nachhaltigen Integration auseinandersetzen. Es reicht nämlich nicht, von den Flüchtlingen zu verlangen und zu erwarten, dass sie sich hier uneingeschränkt unserer Kultur, unserer Lebensweise und unserem Grundgesetz unterwerfen, da dies nun einmal in weiten Teilen mit den Vorgaben des Korans kollidiert.

Diese Tatsache darf man nicht ignorieren und sie wird bei der anstehenden Integrationsarbeit die größte Hürde sein, die es zu nehmen gilt.

In meiner täglichen Flüchtlingsarbeit erfahre ich zwar eine große Dankbarkeit seitens der Asylsuchenden, denn egal aus welchen Gründen diese Menschen hierhergekommen sind – eines haben sie alle gemeinsam. Sie sind froh, es bis nach Deutschland geschafft zu haben.

Ich sehe aber auch die Konflikte, in denen sich diese Menschen seit ihrer Ankunft in Deutschland befinden. Dies betrifft besonders die Frauen und Mädchen. Manchmal sind es so lapidare Dinge, wie ein Besuch bei einem Arzt, der natürlich auch den weiblichen Patientinnen die Hand zur Begrüßung entgegenstreckt, was bei diesen pures Entsetzen auslöst. Selten wird die gebotene Hand ergriffen, und unzählige Male stand den Medizinern die Betroffenheit im Angesicht dieser Situation ins Gesicht geschrieben.

Auch die oft beharrliche Weigerung von Männern, sich von einer Ärztin untersuchen zu lassen, führt zu Irritationen. Deutsche Ärztinnen sind es nicht gewöhnt, dass man ihnen aufgrund ihres Geschlechts eine Qualifikation abspricht und eine Behandlung durch sie ablehnt.

Oft wird den Flüchtlingen in der Folge Undankbarkeit unterstellt, dabei verhalten sie sich lediglich so, wie es in ihrer Kultur üblich ist. Diese Verhaltensmuster finden ebenfalls ihren Ursprung in den Regeln des Korans, und es wird weitaus mehr erforderlich sein als der Besuch eines der vorgeschriebenen Integrationskurse, um bei den Flüchtlingen ein Umdenken zu bewirken. Dies ist übrigens eines der Themen, die ich in der Debatte unserer Politiker am meisten vermisse.

Es reicht nicht, immer gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass wir es schaffen werden, aber der Bevölkerung mit keinem Wort zu erklären, wie wir es denn schaffen werden.

Diese mangelnde Transparenz unserer Flüchtlingspolitik schafft letztendlich nur Unsicherheiten und dies nicht nur bei der deutschen Bevölkerung. Die Flüchtlinge sind ebenso verunsichert und haben große Angst vor ihrer Zukunft.

Ein Großteil der Geflüchteten sind Männer, die in ihrem Heimatland ihre Frau und meist auch Kinder in der Hoffnung zurückgelassen haben, diese möglichst schnell nachzuholen. Das ist allgemein bekannt und bestätigt sich in vielen Gesprächen, die ich sowie zahlreiche andere Flüchtlingshelfer in ganz Deutschland mit Flüchtlingen geführt haben.

Medienberichte sprechen von einem Familiennachzug in der Größenordnung von sechs bis acht Familienmitgliedern pro Flüchtling. Ich halte diese Schätzungen für seriös. Eine sichere Prognose kann allerdings erst abgegeben werden, wenn alle Asylsuchenden registriert und alle Daten restlos erfasst sind. Dies wird noch eine Weile dauern, denn obwohl das Bundesamt für Migration über 2000 Menschen in einem Crashkurs zu Asylentscheidern ausgebildet hat, gibt es noch weit über 300 000 Asylanträge, die auf ihre Bearbeitung warten und ein Ende der Flüchtlingswelle ist nicht abzusehen.

Sicherlich werden es aber mehrere Millionen Menschen werden, die hier in Deutschland ein neues Zuhause finden möchten. In Anbetracht der Tatsache, dass wir in den letzten Jahrzehnten bereits – in etlichen Fällen kläglich – mit einer erfolgreichen Integration bei einem erheblichen Teil der hier lebenden Ausländer gescheitert sind, fällt es mir schwer zu glauben, dass uns das in Anbetracht der großen Anzahl Menschen, die in kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind, besser gelingen wird. Diese Meinung teilt übrigens auch die überwiegende Anzahl meiner Freunde und Bekannten mit Migrationshintergrund. Egal, ob sie aus der Türkei, Armenien, Russland oder aus Tunesien kommen. Fast alle bezweifeln, dass es uns gelingen wird, ein nachhaltiges und gutes Miteinander zu schaffen, ohne recht schnell an die Grenzen der unterschiedlichen Lebensauffassungen zu kommen.

Mit diesem Buch möchte ich Ihnen einen ungefilterten Einblick in meine tägliche Flüchtlingsarbeit inklusive aller positiver und negativer Aspekte geben.

Vielleicht werden Sie am Ende des Buches verstehen, warum ich der Meinung bin, dass wir es nicht schaffen, diese Flüchtlingskrise für alle Beteiligten erfolgreich zu bewältigen, obwohl ich im Grunde ein optimistischer Mensch bin!

2. KAPITEL

Der Flüchtlingsansturm in Deutschland

Die Flüchtlingskrise ist kein überraschendes Ereignis und ich stelle mir oft die Frage, warum sich die angrenzenden Länder nicht besser darauf vorbereitet haben. Der Krieg in Syrien ist die direkte Folge des arabischen Frühlings, der immerhin schon im Dezember 2011 zu ersten Unruhen in der arabischen Welt führte. Was als Protest gegen die autoritären Regime und mit der Hoffnung auf eine verbesserte Menschenrechtslage begann, mündete schon bald in Chaos, Gewalt und Bürgerkriege.

Diesen Umstand nutzte die Terrororganisation Islamischer Staat ab dem Jahr 2014 für ihre eigenen Ziele. Seitdem führt sie in Syrien und Irak einen erbitterten Krieg, der ebenfalls dafür ursächlich ist, dass die Menschen in Scharen aus diesen Ländern flüchten. Dies alles blieb dem Rest der Welt nicht verborgen. Immerhin leben wir im Zeitalter des Internets und der Social-Media-Kanäle, und noch nie war es so einfach wie heute, sich über das aktuelle Weltgeschehen zu informieren.

Es wäre also genügend Zeit gewesen, ausreichend Flüchtlingscamps in Grenznähe zu errichten und mit der Hilfe der EU ein humanitäres Hilfenetzwerk aufzubauen. Dies hätte den Flüchtlingen einige Strapazen erspart. Eine grenznahe Unterbringung hat viele Vorteile, im Übrigen für alle Beteiligten. Kein gefährlicher und strapaziöser Weg nach Europa, keine Kosten für organisierte Schlepperbanden, keine Sprach- und Verständigungsprobleme und keine Probleme mit dem europäischen Essen (ja, das Essen ist anscheinend wirklich ein Problem für die Flüchtlinge und unangefochtener Beschwerdegrund Nummer eins in den Flüchtlingsunterkünften), um nur einige zu nennen.

Da die an die Kriegsgebiete angrenzenden Länder aber gar nicht auf den Flüchtlingsansturm vorbereitet waren, zogen die Flüchtlinge weiter nach Europa.

Fast jeder, der sich mit dem Thema auch nur ansatzweise auseinandersetzt, wird sich noch an die Flüchtlinge erinnern können, die tagelang in Ungarn unter katastrophalen Bedingungen festgehalten wurden und darauf warteten, nach Österreich und Deutschland weiterreisen zu können. Bundeskanzlerin Merkel entschied am 4. September 2015 gegen alle Bedenken, Tausende Flüchtlinge aus Ungarn über Österreich einreisen zu lassen und betonte, dass es für Deutschland keine Asylobergrenze geben werde.

Damit hat sie in meinen Augen ein fatales Zeichen gesetzt und die Asylsuchenden geradezu aufgefordert, sich auf den langen und gefährlichen Weg nach Deutschland zu machen.

Sie nannte es: »In einer Notsituation ein freundliches Gesicht zeigen.«

Natürlich sprach sich unter den Asylsuchenden schnell herum, dass Flüchtlinge in Deutschland mit offenen Armen empfangen wurden, und kaum einer wollte mehr in einem anderen Land Zuflucht suchen.

Ich erinnere mich noch gut an ein Video, welches wochenlang in den sozialen Netzwerken kursierte. Darauf war ein Zug zu sehen, der auf einer freien Strecke gestoppt hatte. Dieser Zug war vollgestopft mit Flüchtlingen. Vor dem Zug standen zahlreiche Polizisten und Helfer, die die Menschen in den Waggons mit Wasser und Lebensmitteln versorgen wollten. Sie reichten ihnen Sechserpacks mit Wasser durch die Fenster. Die Flüchtlinge nahmen die Wasserflaschen und warfen sie voller Wut auf die Schienen. Untertitelt war das Video mit der Information, dass die Flüchtlinge lieber Cola anstatt Wasser wollten und sie deshalb die Flaschen aus dem Fenster warfen. Die Wahrheit war allerdings eine andere.

Die ungarischen Behörden hatten den Zug gestoppt, da keiner der Reisenden bisher registriert worden war oder gültige Papiere besaß. Die Menschen sollten in Ungarn registriert werden, was ihnen dann allerdings eine Weiterreise nach Deutschland unmöglich gemacht hätte, da das Asylgesetz vorsieht, dass ein Flüchtling in dem sicheren Land einen Asylantrag stellen muss, welches er als erstes erreicht. Deshalb weigerten die Menschen sich beharrlich und erklärten den anwesenden Journalisten, dass sie in Ungarn keine Zukunft sehen würden und sie deshalb unbedingt nach Deutschland wollten.

Solche dramatischen Szenen sollten sich in der Zukunft noch oft wiederholen und irgendwann gaben die ungarischen Behörden auf und beschränkten sich darauf, die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Deutschland und Österreich lediglich durch Ungarn zu begleiten und ihnen den Weg zu weisen.

Deutschland war auf den nun folgenden Ansturm der Flüchtlinge allerdings ebenfalls nicht vorbereitet und so wurden in Windeseile in Turnhallen und leer stehenden Gebäuden provisorische Notunterkünfte geschaffen. Szenen, in denen die ankommenden Flüchtlinge von der deutschen Bevölkerung unter großem Jubel wie Popstars empfangen wurden, gehörten von nun an fast schon zu dem täglichen Bild, das sich an Bahnhöfen und deutschen Grenzübergängen bot. Die Euphorie und Hilfsbereitschaft kannte in den ersten Monaten der Flüchtlingskrise fast keine Grenzen.

Leider hielt sie aber noch nicht mal ansatzweise so lange an wie der nicht versiegende Flüchtlingsstrom, und so kam es, dass ich Mitte letzten Jahres in unserer Stadtverwaltung einen Zettel am Schwarzen Brett hängen sah, auf dem stand, dass weitere ehrenamtlich tätige Menschen gesucht würden, die bei der Betreuung der Flüchtlinge behilflich seien.

Da ich damals, als die vielen Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien in Deutschland Zuflucht suchten, auch schon in der Flüchtlingshilfe tätig war, zögerte ich nicht lange und rief die auf dem Zettel angegebene Nummer an. Es meldete sich ein freundlicher Mann, der völlig begeistert war, als ich ihm erzählte, dass ich nicht nur bereits in der Flüchtlingshilfe tätig gewesen war, sondern darüber hinaus weitreichende Erfahrung mit der islamischen Kultur hatte. Er lud mich zu einem der nächsten Treffen ein, damit ich die anderen Leute aus dem Hilfenetzwerk kennenlernen konnte. Diese Zusammenkunft fand ein paar Tage später statt und ich wurde freundlich begrüßt. Es waren ungefähr zwanzig Männer und Frauen in einem Bistro versammelt, die über ihre Arbeit mit den Flüchtlingen berichteten und Informationen austauschten. Gespannt hörte ich zu.

Als Erstes fiel mir auf, dass hier vor allem Menschen waren, die sich bereits im Rentenalter befanden. Allerdings war dies auch nur logisch, denn diese Altersklasse verfügte in der Regel auch über die notwendige Zeit, den Flüchtlingen bei der Bewältigung ihres Alltags helfen zu können. Die jüngeren Leute waren entweder berufstätig oder durch die Versorgung des eigenen Nachwuchses zeitlich stark beschränkt.

Ich unterhielt mich an diesem Abend lange mit dem Vorsitzenden des Hilfenetzwerks. Ein sehr engagierter Mann, mit einer Menge Lebenserfahrung. Man spürte bei jedem seiner Sätze, dass er über ein umfassendes Wissen in der Flüchtlingshilfe verfügte und mit ganzem Herzen bei der Sache war.

Nachdem ich ihm auch ein bisschen vor mir erzählt hatte, fragte er mich, ob ich Lust habe, ihn in ein paar Wochen bei einer Informationsveranstaltung bezüglich der Flüchtlinge in unserer Stadt zu begleiten und einen Vortrag über das Zusammenleben mit Muslimen zu halten. Viele Einwohner hätten Ängste vor dem Zusammenleben mit den Flüchtlingen, die ja überwiegend dem muslimischen Glauben angehören, und seien sich unsicher, wie sie sich diesen Menschen gegenüber verhalten sollten. Etwas Aufklärung könne da vielleicht hilfreich sein und Ängste nehmen.

Ich sagte sofort zu. Schließlich war ich ja gekommen, um zu helfen. Wir verabredeten uns zudem, um an einem der nächsten Tage zusammen eine der drei großen Gemeinschaftsunterkünfte zu besuchen, damit ich mir ein Bild von der Flüchtlingssituation in unserer Stadt machen konnte. Die große Erstaufnahmeeinrichtung stand zu diesem Zeitpunkt kurz vor ihrer Fertigstellung und war noch nicht in Betrieb.