Kraftwerkskomponentensimulation - Jost Braun - E-Book

Kraftwerkskomponentensimulation E-Book

Jost Braun

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Beschreibung

In diesem begleitenden Buch zur Vorlesung Kraftwerkskomponentensimulation im Masterstudiengang Energietechnik der Hochschule Kempten werden die Verfahren zur physikalisch-technisch korrekten Modellierung einer Kraftwerksgasturbine und ihre Integration zu einem Gesamtmodell gezeigt. Die Verfahren und Methoden sind grundsätzlich auch auf thermodynamische und strömungsmechanische Systeme anwendbar, die nicht direkt dem Kraftwerksbereich zuzuordnen sind, beispielsweise Flugtriebwerke (Fan- und Turboproptriebwerke), Motoren, Schiffsantriebe, Kraft-Wärmekopplungssysteme und BHKW. Es werden ausschließlich frei verfügbare und kostenlos nutzbare Programmiersysteme verwendet und empfohlen, die käuflichen Systemen gleichwertig sind, so dass die Anwendung der Simulationsprinzipien auch ohne hohe Lizenzgebühren möglich wird.

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Seitenzahl: 199

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

1Systemintegration und Cycle Performance

Anwendung der Kraftwerkskomponentensimulationsprogramme

Vorgehen bei der physikalisch/analytischen Simulation

Übertragbarkeit der Vorgehensweise

Gasturbinen- und Kombikraftwerke

Warum Pascal?

2Thermodynamik

Grundsätzliches zu Kombikraftwerken (GuD-Kraftwerke)

Kombikraftwerk, GuD-Kraftwerk, CCPP

Kreisprozesse

Wärmekraftprozesse

Energiebilanz von Kreisprozessen

Thermischer Wirkungsgrad

Adiabat/reibungsbehaftete Zustandsänderungen

Betrachtung zur Entropie

Wirkungsgrade einer adiabaten Zustandsänderung

Verlauf einer adiabaten Expansion

Turbineneintrittstemperatur

Arbeitsmedium

3Spezielle Kreisprozesse

Carnot-Prozess

Offener Jouleprozess

Regenerativer Jouleprozess

Joule-Reheatprozess

Kombiprozess, GuD-Prozess

4Strömungsmechanik kompressibler Fluide

Kontinuitätsgleichung

Energiegleichung

Impulssatz

Fluiddynamische Ähnlichkeit

Dimensionslose Gleichungen

Lavaldüse und Zustandsgrößen im engsten Querschnitt

5Pascalprogrammierung

Hintergrund zu Pascal

Lesbarkeit der Pascal-Quelle

Wie sieht ein Pascalprogramm aus?

6Dokumentation

Mindestanforderungen anhand des Beispiels ad_turbine

Formblatt zur Dokumentation der Programme, Funktionen, Unterprogramme

7Aufbau des Gesamtmodells

Der Start und die Planungsphase

Übergeordnete Konstantendeklarationen

Übergeordnete Typendeklarationen

Übergeordnete Variablendeklarationen (Globale Variablen)

Struktur des Hauptprogramms

Nützliche Schreibe- und Leseprozeduren

8Komponentenmodelle

Vereinfachte Darstellung des Stoffwertmodells

Ein einfaches Stoffwertmodell

Adiabate Mischung zweier Ströme

Adiabate Teilung eines Stroms in zwei Ströme (flowsplit)

Druckverlustelement bei inkompressibler Strömung

Diffusor und Abgassystem (exhaust system)

Filter und Ansaugsystem

Sekundärluftsystem SAS und allgemeine Drosselstelle

Kompressor

Kompressorcharakteristik und Verluste

Approximation einer realistischen Charakteristik

Brennkammer

Turbine

Literaturverzeichnis

Vorwort

Dieses Werk ist ein Kompendium, das die Grundlagen der Simulationstechnik von komplexen Kraftwerkskomponenten darstellt, für die es in käuflichen Simulationssystemen keine adäquate Modellierung gibt. Speziell für den Masterstudiengang Energietechnik der Hochschule Kempten ist es gleichzeitig das vorlesungsbegleitende Skript zur Lehrveranstaltung „Kraftwerkskomponentensimulation“.

In Kombi- oder GuD-Kraftwerken ist die Kernkomponente (d.h. die Gasturbine) meist nur in Form von sehr einfachen Betriebscharakteristiken bekannt, z.B. einem thermodynamischen Modell, das den klassischen Jouleprozess berechnet oder in Form von sog. Korrekturkurven. Für Detailuntersuchungen, insbesondere zur Optimierung des Betriebs eines Kraftwerks aufgrund wechselnder wirtschaftlicher Rahmenbedingungen reichen solche Modelle aber nicht aus, weil hier das interne Zusammenspiel der Komponenten der Gasturbine entscheidend ist. Die dargestellte Methodik ist daher auf die detaillierte Modellierung einer solchen Kraftwerksturbine ausgerichtet. Prinzipiell kann man aber natürlich auch ein Flugtriebwerk modellieren, wenn die Besonderheiten des Flugbetriebs berücksichtigt werden.

Grundlagen der Thermodynamik und der Strömungsmechanik aus einem technisch orientierten Bachelorstudium (Maschinenbau, Energie- und Umwelttechnik oder vergleichbare Ausrichtung) sowie der üblichen Lehrinhalte der Ingenieurmathematik und Ingenieurinformatik werden vorausgesetzt. Es wird besonders auf alle Berechnungsverfahren Wert gelegt, die sehr gute Ergebnisse liefern, ohne auf numerische Simulationen zurückgreifen zu müssen. Es soll damit einerseits Studierenden die selbständige Erarbeitung des Stoffes erleichtern und die Nacharbeitung des Vorlesungsstoffs zur Prüfungsvorbereitung ermöglichen, andererseits kann es auch Ingenieuren aller Fachrichtungen und Anwendern im Beruf, die sich über Simulationstechniken ohne teure käufliche Systeme informieren wollen, sehr hilfreich sein, denn die Methodik ist nicht alleine auf die hier behandelten Gasturbinen beschränkt.

Meiner Frau Kirsten danke ich sehr für das Korrekturlesen des Manuskriptes. Trotz großer Sorgfalt, möglichst alle Fehler zu entdecken und zu eliminieren, wäre es vermessen anzunehmen, dass sich kein Fehler mehr versteckt hat. Die Teilnehmer meiner Vorlesungen bitte ich um diesbezügliche Rückmeldung, wenn sie Fehler entdecken. Ansonsten wäre die Empfehlung, im Zweifelsfall in der Literatur nachzuschlagen. Hierzu bitte ich darum, das Literaturverzeichnis zu beachten.

Kempten, im Mai 2015

Prof. Dr. Jost Braun

Einleitung

Für vergleichsweise einfache Komponenten thermischer und nichtthermischer Kraftwerke existieren in den einschlägigen Programmen (z.B. EBSILON, Aspen Plus, etc.) vorgefertigte Elemente, die in den zugehörigen Modelldatenbanken zur Verfügung gestellt werden und direkt verwendet werden können. Für sehr komplexe Systeme erweisen sich die simplen Modelle allerdings als ungeeignet, da sie die tatsächliche Physik, Thermodynamik und Strömungsmechanik nur unzureichend abbilden. In Folge können unakzeptabel hohe Abweichungen der Rechenergebnisse von den Messungen an den realen Maschinen im Bereich mehrerer Prozente auftreten.

Für sogenannte Kernkomponenten eines Kraftwerks finden daher in der Regel andere Methoden Anwendung. Sie verlangen flexible Systeme, die es erlauben, in das bestehende Programm eigene Bauteile, Baugruppen oder Teilsysteme hinzuzufügen, die dann so detailliert wie nötig abgebildet werden. Konfigurationen, die auf den ersten Blick scheinbar einfach sind erweisen sich als komplex und erfordern dementsprechend eine tiefergehende Modellierung. In Kraftwerksgasturbinen („Heavy Duty“) tritt eine solche Situation beispielsweise beim Kühlluftversorgungssystem der thermisch hochbelasteten Bauteile auf, dem sogenannten secondary air system (SAS). Obwohl es sich bei jedem einzelnen Kühlluftversorgungszweig, von denen mehrere in einer Maschinen existieren, „nur“ um eine Drosselstelle handelt, ist diese so genau wie möglich zu modellieren, denn die Gesamtfunktion und die tatsächlich auftretenden Spitzentemperaturen in der Maschine hängen insbesondere von der nicht linearen Interaktion aller Systemteile ab.

Dieses begleitende Buch zur Vorlesung Kraftwerkskomponentensimulation im Masterstudiengang Energietechnik der Hochschule Kempten soll diese Lücke schließen, indem die Verfahren zur physikalisch-technisch korrekten Modellierung und ihre Integration zu einem Gesamtmodell gezeigt werden. Die Verfahren und Methoden sind dabei auch auf thermodynamische und strömungsmechanische Systeme anwendbar, die nicht direkt dem Kraftwerksbereich zuzuordnen sind, beispielsweise Flugtriebwerke (Fan- und Turboproptriebwerke), Motoren, Schiffsantriebe, Kraft-Wärmekopplungssysteme und BHKW. Die am komplexen Beispiel einer Gasturbine aufgezeigten Methoden und Modelle sind grundsätzlich auch für andere technische Bereiche nutzbar. Aufgrund der Tatsache, dass in diesem Buch und in den Übungen zur Vorlesung ausschließlich frei verfügbare, also kostenlos nutzbare Programmiersysteme verwendet werden, können auch KMU diese Technik einsetzen. Die verwendeten Programme sind dabei von sehr hoher Qualität, die durchaus mit käuflichen Programmen vergleichbar ist.

1Systemintegration und Cycle Performance

Gasturbinen haben heute zwei Anwendungsbereiche. Im Flugzeugbau sind Gasturbinen als Flugantriebe für Passagier- und Transportflugzeuge nicht mehr wegzudenken. Dies liegt vor Allem an zwei Eigenschaften: An der sehr hohen Leistungsdichte, d.h. geringes Gewicht bei hoher Absolutleistung, was erst moderne Großraumflugzeuge ermöglicht hat, und am sehr hohen erreichbaren Wirkungsgrad, was für Airlines nicht nur geringere Brennstoffkosten bedeutet, sondern insbesondere die Nutzlastkapazität eines Flugzeugs deutlich erhöht: Jede Tonne Treibstoff, die nicht mitgenommen werden muss, kann durch Ladung ersetzt werden, was die Kosten natürlich absenkt.

Die ersten Gasturbinen wurden aber nicht als Flugantriebe entwickelt, sondern für Kraftwerke. Dies ist zwar mittlerweile etwa 100 Jahre her, immerhin wurden zu diesem Zeitpunkt aber bereits Wirkungsgrade um die 25 bis 30% erzielt. Etwa Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde dann durch komplexe thermodynamische Verschaltung der Wirkungsgrad auf über 40% gesteigert, was allerdings auch mit deutlich höheren Investitionskosten der gesamten Anlage verbunden war. Dies und die Tatsache, dass in Gasturbinen nur hochwertige Brennstoffe verwendet werden, führte dazu, dass sie bis Anfang der 1980er Jahre im Kraftwerksbereich fast völlig von Kohlekraftwerken verdrängt wurden. Erst die stetigen Prozessverbesserungen im Flugtriebwerksbereich, insbesondere höhere Drücke und gleichzeitig höhere Turbineneintrittstemperaturen, die aufgrund einer ausgefeilten Schaufelkühlungstechnologie möglich wurden, haben Gasturbinen auch wieder für den Kraftwerksbereich interessant gemacht. Seit den 1980er Jahren wurden Gasturbinen als „Heavy Duty“ Maschinen speziell für Kombikraftwerke entwickelt, was mittlerweile zu einem für andere Kraftwerkstypen unerreichbaren Netto-Wirkungsgrad von über 60% geführt hat.

Eine Gasturbine ist ein hochkomplexes System von Bauteilen und Komponenten, die für den jeweiligen Zweck optimiert zusammen funktionieren müssen. Ein Flugtriebwerk wird anders optimiert als eine Kraftwerksgasturbine, weil im Kombibetrieb auch die Abgasdaten (Temperatur und Menge) bestimmten Anforderungen genügen müssen. Beim Flugtriebwerk gibt es hier keine Beschränkung. Verdichter, Brennkammer, Turbine und Kühlsystem sind daher für den Anwendungszweck auszulegen und müssen in jedem Betriebspunkt die Funktionalität sicherstellen. Insbesondere das Kühlluftsystem ist hier besonderen und im Grunde gegensätzlichen Anforderungen unterworfen. Die Optimierung der Komponenten ist außerdem nicht einzeln möglich, weil sich jede Veränderung einer Komponente immer nichtlinear auf alle anderen Komponenten auswirkt. Das bedeutet im Wesentlichen, dass das Optimum einer einzelnen Komponente nicht identisch ist mit dem Optimum der Gesamtmaschine.

Der Gesamtmaschinenmodellierung kommt also eine sehr wichtige Bedeutung zu und die Tätigkeit wird von einer Gruppe durchgeführt, die auch das Regelungskonzept und das zweckgebundene Fahrkonzept oder Betriebskonzept der Maschinen definiert. Dazu liefert diese Gruppe auch die Randbedingungen verschiedener Betriebszustände an die Spezialisten der Komponenten für deren Auslegungstätigkeit. Diese Gruppe muss daher notwendigerweise von allen Bauteilen eine genügend tiefe Kenntnis über Funktion (Thermodynamik und Strömungsmechanik) und Auslegung (mechanisch/thermische Festigkeit) haben und verbindet alle Erkenntnisse der unterschiedlichen Disziplinen zum funktionierenden Ganzen. Dazu ist diese Gruppe dann auch für die garantiefähigen Hauptdaten (die „Performance“) der Maschinen verantwortlich, das sind Wellenleistung, Wirkungsgrad und die Schnittstellendaten zum Dampfkreislauf bei einem Kombi-(GuD)-Kraftwerk, also Abgastemperatur, Abgasmassenstrom und Abgaszusammensetzung einschließlich der Schadstoffemissionen (CO, NOx, VOC, UHC, CO2).

Die verantwortliche Gruppe für Systemintegration, Modellierung, Hauptdaten, Schnittstellendaten, Regelungs- und Fahrkonzept wird meist „Cycle Performance“ genannt (cycle ist der englische Begriff für den thermodynamischen Prozess). Die Komponentensimulation und das für alle relevanten Betriebszustände validierte Performance-Modell sind dabei Kernpunkt aller Überlegungen.

Nicht nur Kraftwerkshersteller, sondern auch Kraftwerksbetreiber brauchen Simulationsmodelle mit einem möglichst hohen Detaillierungsgrad, nicht zuletzt auch um die Folgen der betriebsbedingten Alterung einer Maschine im langjährigen Betrieb abschätzen zu können. Diese Modelle müssen flexibel sein und die meist einzigartigen Gesamtbedingungen eines Kraftwerkes berücksichtigen können. Es gibt wohl kaum zwei wirklich identische Kraftwerke weltweit, denn alleine die Betriebs- und Umweltbedingungen sind bereits unterschiedlich. Wüstenklima und arktische Bedingungen sind nicht vergleichbar, genauso unterschiedlich sind subtropische und gemäßigte Klimabedingungen. Auch die Betreiber von Kraftwerken benötigen daher solche Modelle. Entweder man kauft sie vom Hersteller, oder man hat selbst das notwendige Know-how zur Erstellung.

Simulationsprogramme, die im laufenden Betrieb auch aktuelle Messdaten an einem System verwenden, um hieraus den aktuellen Maschinen- oder Systemzustand zu ermitteln und zu überwachen nennt man „Monitoringprogramme“.

Anwendung der Kraftwerkskomponentensimulationsprogramme

Je nach Anwendung und Zielsetzung ergeben sich verschiedene Modellierungstiefen der Kraftwerkskomponenten. Das komplexeste Einzelsystem, das heute in thermischen Kraftwerken zu modellieren ist, ist die Kraftwerksgasturbine. Gleichzeitig ist das Gasturbinensystem in einem solchen Kraftwerk entscheidend für das gesamte Kraftwerk, daher ist hier eine besonders sorgfältige Modellierung notwendig. Hier sind grundsätzlich vier Varianten zu unterscheiden:

Performance-Garantietools

Performancetool als Einzelelement in einem übergeordneten Kraftwerksmodell

Performancetools zur Erzeugung von Randbedingungen für die Entwicklung

Performance-Monitoringtools

Performance-Garantietools

Garantietools müssen sichere Ergebnisse bezüglich der vertraglich garantierten Daten liefern, das sind bei Gasturbinen Wellenleistung bzw. Generatorleistung, Wirkungsgrad (Leistung durch Brennstoffwärme), Abgasmassenstrom und Abgastemperatur (für den in der Regel nachfolgenden Dampfkraftprozess). Dabei muss das Verhalten bezüglich geänderter Umgebungsbedingungen (Luftdruck, Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit) ebenso wie das Teillastverhalten garantiefähige Daten liefern. Damit verbunden ist die Aufgabe, dass beim Abnahmetest durch den Kunden unter zufälligen und in der Regel nicht mit den vertraglich festgelegten Garantiebedingungen übereinstimmenden Umgebungsbedingungen eine Rückrechnung auf Garantiebedingungen mit Hilfe von Korrekturkurven erfolgen muss. Dieses Verfahren ist durch internationale Normen vorgegeben. Die Korrekturkurven werden ebenfalls mit dem Garantietool erzeugt und sind Vertragsbestandteil. Ein Rechenfehler kann da schnell mehrere Millionen Euro Vertragsstrafe bewirken.

Diese Modelle sind daher im Aufbau nicht besonders detailliert, legen aber besonderen Wert auf eine genaue Abbildung des Verhaltens der Hauptkomponenten, also Verdichter und Turbinen. Häufig werden hier Betriebscharakteristiken verwendet, die auch anhand von Messungen validiert werden.

Performancetool als Einzelelement in einem übergeordneten Kraftwerksmodell

Die Aufgabenstellung dieser Modelle ist ähnlich wie bei den Garantietools. Die genannten Hauptdaten bei variablen Umgebungsbedingungen und bei Teillast sollen schnell und genau berechnet werden, interne Daten werden in der Regel nicht benötigt, es sei denn, das Gasturbinensystem hat neben dem Abgas weitere Schnittstellen zum Dampfprozess. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Kühlluft für die hochbelasteten Bauteile nicht direkt in der Gasturbine verteilt wird, sondern über einen externen Kühler vor der eigentlichen Kühlaufgabe heruntergekühlt wird, um den Verbrauch zu senken und damit den Wirkungsgrad zu verbessern. Diese Wärme wird dann nicht an die Umgebung abgegeben (das würde den Wirkungsgrad des Kraftwerks empfindlich verringern), sondern in den Dampfkreislauf eingekoppelt, d.h. die Kühlluftkühlung wird zur Dampferzeugung genutzt, so dass die Wärme dem Prozess nicht verlorengeht.

Ohne eine zusätzliche Schnittstelle lassen sich auch im Kraftwerksmodell im Prinzip die Garantietools verwenden, mit einer Schnittstelle wie der beschriebenen Kühlluftkühlung muss auch das Gasturbinenmodell im Kraftwerksmodell wesentlich detaillierter aufgebaut sein. Meistens wird dann direkt das Entwicklungstool zur Berechnung der Randbedingungen in der Entwicklung oder ein daraus abgeleitetes Modell verwendet.

Performancetools zur Erzeugung von Randbedingungen für die Entwicklung

Heutige Gasturbinen und Flugtriebwerke haben in der Regel mehrere Kühlluftentnahmestellen am Verdichter, denn die Kühlluft wird auch in der Turbine auf unterschiedlich hohen Druckniveaus benötigt. Dementsprechend kann man nicht mehr mit einem einfachen Verdichter- oder Turbinenmodell arbeiten, sondern muss sowohl den Verdichter als auch die Turbine in mehrere Teilverdichter bzw. Teilturbinen unterteilen. In der Turbine kann sogar eine Modellierung der Einzelstufen sinnvoll sein. Auch das SAS wird in diesem Modell wesentlich komplexer modelliert als bei den Garantietools.

Mit dem Modell werden die thermischen und strömungsmechanischen Randbedingungen der einzelnen Komponenten erzeugt, so dass auch Änderungen an nicht direkt aufeinanderfolgenden Komponenten (z.B. Verdichter und Turbine) im Gesamtsystem korrekt berücksichtigt werden. Die Randbedingungen für die Komponentenauslegung sollten daher keinesfalls direkt zwischen Komponenten ausgetauscht werden (z.B. Brennkammer und Turbine), da bei jeder Veränderung einer Komponente immer alle anderen Komponenten ebenfalls reagieren werden, nicht nur die stromabwärts gelegenen. Beim direkten Datenaustausch würden also die anderen Systemreaktionen (im Beispiel insbesondere Verdichter und SAS) unberücksichtigt bleiben.

Performance-Monitoringtools

Bei Monitoringtools, die den Systemzustand und eventuelle Veränderungen im laufenden Betrieb einer Maschine überwachen sollen, ist die notwendige Detailtiefe vor allem durch die berücksichtigten Messstellen vorgegeben. Dies sind in der Betriebsinstrumentierung überraschend Wenige. Trotzdem lassen bestimmte charakteristische Veränderungen dieser Messstellen auf bestimmte, potentiell die Maschine gefährdende Fehlfunktionen schließen, so dass rechtzeitig reagiert werden kann. Monitoringtools müssen daher auch anpassungsfähig sein, um Veränderungen durch die normale Alterung oder Verschmutzung im Betrieb von plötzlichen Änderungen unterscheiden zu können. Der augenblickliche Rechenwert muss also frühere und unproblematische Änderungen berücksichtigen, um dies mit dem augenblicklichen Messwert vergleichen zu können. Im Gegensatz zu den vorgenannten Modellen wird also der Maschinenzustand mit Hilfe der Messungen laufend angepasst.

Vorgehen bei der physikalisch/analytischen Simulation

Dieses Know-how einer physikalisch/analytischen Modellierung zur Simulation und zum Monitoring soll hier vermittelt werden. Dabei geht es nicht so sehr um die verwendeten Werkzeuge, also ob man ein käufliches Simulationsprogramm verwendet oder ob man mit „bordeigenen“ Mitteln arbeitet (was wir hier mit einer Programmiersprache namens Pascal tun werden), sondern es geht vielmehr um die prinzipielle Vorgehensweise dabei. Diese lässt sich auch in ganz anderen Bereichen in gleicher Weise anwenden: Insbesondere verfahrenstechnische Prozesse der thermischen Verfahrenstechnik können mit diesem Wissen ebenfalls präzise modelliert werden, sogar ohne die Notwendigkeit meist sehr teuere Lizenzen käuflicher Simulationsprogramme zu erwerben. Auf graphische Darstellung der Ergebnisse innerhalb des Simulationsprogrammes verzichten wir aber dabei zugunsten der Zielsetzung vollständig, denn die Aufgabe unseres Modelles soll sein, Ergebnisse (eine Menge Zahlen) zu erzeugen. Die Daten werden dann so in Dateien abgelegt, dass sie mit den üblichen Office-Programmen gelesen werden können und in einem postprocessing-Schritt in Diagrammform oder anderweitig geeignet graphisch dargestellt werden können. Der Verzicht auf die unmittelbare graphische Darstellung während der Simulation ist außerdem genau dann vorteilhaft, wenn das Simulationsprogramm für den Zweck vorgesehen ist, im Betrieb aus Messdaten auf den Zustand der Maschine zu schließen (Monitoring). Die graphische Darstellung nimmt heute viel mehr Rechenzeit in Anspruch als die eigentliche Berechnung.

Unser Vorgehen zerlegt sich also in die folgenden Schritte, von denen die ersten beiden variabel sind.

Auswahl des Programmiersystems, in dem die Simulation durchgeführt werden soll. Wir verwenden hier die Programmiersprache Pascal, weil sie leicht erlernbar, sehr logisch aufgebaut und der Compiler als freeware kostenlos erhältlich ist. Pascal ist die „Urmutter“ vieler heutiger Programmiersprachen, selbst in EBSILON wird eine Programmiersprache mit einer zu Pascal sehr ähnlichen Syntax genutzt.

Kennenlernen der Syntax des Programmiersystemes (das sind die Regeln, wie die Anweisungen zu schreiben sind).

Zerlegen des Systems in seine wichtigsten Bestandteile (Kernkomponenten oder Core Components), bei der Kraftwerksgasturbine sind das Verdichter, Brennkammer, Turbine und SAS-System. Weitere Bauteile sind das Ansaugsystem, der Abgasdiffusor und das nachfolgende Abgassystem, ggf. mit dem Dampferzeuger des Kombikraftwerks.

Physikalische, thermodynamische und strömungsmechanische Analyse der Kernkomponenten in Bezug auf ihre Funktion und die wesentlichen Einflussparameter (z.B. Eintrittsmachzahl, Strömungsmenge, Drücke, etc.). Dies ist der Schritt, der das größte technische Verständnis verlangt, bei aerothermodynamischen Systemen natürlich insbesondere in den Gebieten Thermodynamik und Strömungsmechanik.

Auf Basis der Analyse werden die Charakteristiken der Kernkomponenten festgelegt. Diese erlauben die Anpassung des theoretischen Verhaltens der Analyseergebnisse an das tasächliche Verhalten, bis hin zu einer direkten Verarbeitung von Messdaten im Betrieb.

Die Codierung im gewählten Programmiersystem erfolgt modular, d.h. die Berechnungsmodule (in Pascal Prozeduren und Funktionen genannt) besitzen genau die Schnittstellen zu anderen Modulen, die auch die realen Komponenten aufweisen. Die modulare Programmierung ermöglicht später eine einfache Pflege und vor allem eine schrittweise Verfeinerung der Modellierungstiefe, wenn erforderlich. In objektorientierten Programmiersprachen (Object Pascal) können Komponenten als Objekte definiert werden. Die Möglichkeit, Eigenschaften eines Objekts (Datenstruktur als „record“) und die zugehörigen Methoden (der code was bei bestimmten Ereignissen passieren soll) zu einem Objekt zusammenzufassen war im Prinzip bereits in Standard-Pascal vorhanden.

Wegen der Nichtlinearität werden im eigentlichen Simulationsprogramm die Module in einer durch die Physik des Systems bestimmten Reihenfolge aufgerufen und in der Regel iterativ bis zur Konvergenz der Zielgrößen verarbeitet. Dabei müssen immer alle Module berücksichtigt werden, auch wenn sie nicht zu den Kernkomponenten gehören.

Wir verfeinern das Gesamtmodell schrittweise, d.h. die Programmierung der Module erfolgt mit gleicher Schnittstellendefinition zunächst mit sehr einfachen Modellen, bei einer Turbine kann dies zu Beginn beispielsweise lediglich ein fester Wirkungsgrad sein. Danach bauen wir immer mehr der analysierten Zusammenhänge in das jeweilige Modul ein, bei der Turbine z.B. die Kühlluft, die Druckerzeugung am Eintritt usw.

Das Gesamtmodell muss validiert werden, d.h. durch intensives Austesten des Modells werden das Modellverhalten und die Realität miteinander verglichen. Wo immer möglich, sollte dabei mit Messdaten verglichen werden und das Modell darf erst dann eingesetzt werden, wenn die Abweichungen unter der festgelegten Toleranz liegen. Diesen Schritt können wir in den Übungen aufgrund fehlender (veröffentlichter) Daten natürlich nur begrenzt durchführen.

Wenn die Detailtiefe ausreichend ist, kann dann das Gesamtmodell noch nach einem vorgegebenen Regelungs- oder Fahrkonzept aufgerufen werden, so dass Teillast, Anfahren und andere Zustände simuliert werden können.

Übertragbarkeit der Vorgehensweise

Auch scheinbar völlig andere Systeme können mit diesem Verfahren in der gewünschten Detailtiefe abgebildet werden. Die Grenzen werden lediglich durch zwei Faktoren abgesteckt:

Wieviel Arbeitszeit (und damit Geld) man bereit ist, in das Modell zu stecken.

Das physikalisch/technische bzw. thermodynamisch/strömungsmechanische Verhalten des Systems und die eigenen Kenntnisse in diesem Bereich.

Den zweiten Punkt könnte man auch so formulieren: Finger weg von selbstgestricktem Halbwissen bzw. Halbunwissen. Das könnte im Einzelfall teuer werden. Allerdings kann das Risiko erheblich gemildert werden, wenn durch intensives Austesten eines Berechnungsmodells eine Modellvalidierung erfolgt. Diese ist auch bei käuflichen Programmen erforderlich.

Abbildung 1.1 Überströmung eines Stauwehrs mit Wassersprung (Alte Mainbrücke in Würzburg, Quelle: Autor)

Ein Beispiel für einen auf den ersten Blick völlig anderen Fall soll die Übertragbarkeit verdeutlichen. Abb. 1.1 zeigt die Überströmung eines Stauwehrs bei Hochwasser. Ein Teil des Wassers des Flusses wird dabei nicht über die Turbinen geleitet, sondern baut seine Energie über eine Beschleunigung auf „Überschwallgeschwindigkeit“ (kein Druckfehler, die glatte Oberfläche des Wassers links) mit anschließendem verlustbehafteten Wassersprung (die turbulente Zone rechts) ab. Dazu kommen Randeffekte, wie die deutlich erkennbare turbulente Zone an den beiden Begrenzungswänden (unten und oben). Dieses Überströmsystem hat auch Rückwirkungen auf den Turbinenbetrieb, denn beim Beschleunigen auf die sog. Schwallgeschwindigkeit (wenn die „Froudezahl“ Fr gleich 1 ist) staut sich das Wasser vor dem Wehr auf eine bestimmte Höhe auf, was wiederum die nutzbare Fallhöhe der Turbine verändert. Somit müsste ein Modell des überströmten Wehrs als Turbinenbypass sehr genau die Aufstauhöhe berechnen, was ohne detaillierte Analyse mit Hilfe von vorkonfektionierten Modellen nicht einfach erreicht werden kann.

Gasturbinen- und Kombikraftwerke

Wenn bereits vergleichsweise einfache Systeme eigene Modelle erfordern, wird schnell klar, dass dies bei den Kernkomponenten eines thermischen Kraftwerks erst recht nicht ohne diese geht. In diesem Zusammenhang werden wir dabei vor allem Kombikraftwerke betrachten (auch GuD genannt - Gas und Dampf), in denen eine oder mehrere mit Erdgas oder (mittlerweise seltener) Diesel befeuerte Gasturbinen Strom mit 36-40% Wirkungsgrad erzeugen und zusätzlich aus der noch vorhandenenen hohen Abgasenergie in einem Dampferzeuger Dampf für mehrere Dampfturbinenstufen erzeugt wird. Ohne die Notwendigkeit einer eigenen Befeuerung wird mit den Dampfturbinen zusätzlich Strom erzeugt, so dass der Nettowirkungsgrad (ins Netz nach Abzug des Eigenverbrauchs eingespeiste elektrische Leistung in Bezug auf die Brennstoffwärmeleistung der Gasturbine) nach heutigem Stand der Technik bis zu knapp über 60% beträgt. Dies liegt weit über den Wirkungsgraden modernster anderer Großkraftwerkstypen (Kohlekraftwerke maximal 43-47%, Kernkraftwerke 30-35%). Zwei Kombiblöcke eines solchen Kraftwerks können etwa die Leistung eines Kernkraftwerks (1000 MW) ersetzen.

In Kombikraftwerken (Abb. 1.2) sind alle Kernkomponenten der anderen Kraftwerkstypen präsent. Daher lassen sich die separat zu modellierenden Komponenten schnell identifizieren.

Der oder die Gasturbinenverdichter (compressor, C),

die Brennkammer (n) der Gasturbine (combustion chamber oder combustor CMB),

die luftgekühlte Turbine(n) in der Gasturbine (turbine T),

das Kühlluftverteilsystem der Gasturbine (secondary air system, SAS),

nicht zu vergessen, ein mehr oder weniger komplexes Stoffwertberechnungsprogramm,

der Turbinendiffusor (turbine diffuser D),

der Abhitzekessel (heat recovery steam generator, HRSG,

Abb. 1.3

),

die Dampfturbinen (steam turbine, ST), häufig als Zwei- oder Dreidrucksystem mit Hochdruck- (HP), Mitteldruck- (IP) und Niederdruck- oder Kondensationsturbinen (LP) evtl. mit Zwischenentnahmen,

der Kondensator.

Abbildung 1.2 Prinzipieller Aufbau einer Kombianlage: Die Maschinenhalle (Trianel-Kombikraftwerk in Hamm-Uentrop)

Aufgrund der Tatsache, dass heutige Frischdampftemperaturen aus Festigkeitsgründen der Verrohrrung im Dampferzeuger typischerweise unter 640° C liegen, werden Dampfturbinen nicht gekühlt. Zur Ermittlung der Kraftwerksperformance reichen daher die in Programmen wie EBSILON bereitgestellten Modelle des Dampfkreislaufes häufig aus.

Abbildung 1.3 Prinzipieller Aufbau einer Kombianlage: Der Dampferzeuger und der Kamin (Trianel-Kombikraftwerk in Hamm-Uentrop)

Bei der Gasturbine sieht dies anders aus. Lediglich „Uraltmaschinen“, die vor den 1970ern gebaut wurden, lassen sich mit solch einfachen Modellen abbilden. Bei modernen Gasturbinen ist dies aufgrund des komplexen SAS nicht mehr möglich oder sinnvoll. Hier müssen maschinenspezifische Komponentenmodelle zu einem Gesamtperformancemodell zusammengestellt werden. Dabei ist die Modellierung jedes einzelnen Stroms in der Maschine ergebnisrelevant. Mit Modellen der vier Kernkomponenten (C, CMB, SAS und T) lassen sich dann auch andere Modelle im Gesamtkraftwerk verbessern, insbesondere

Gebläse zur Verbrennungsluftzufuhr in Kohlekraftwerken,

Dampfturbinen (reduziertes Modell ohne Schaufel- und Rotorkühlung),

Brenner oder Zusatzfeuerung in konventionellen Dampferzeugern.