Kreisky, Israel und die Juden - Daniel Aschheim - E-Book

Kreisky, Israel und die Juden E-Book

Daniel Aschheim

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Beschreibung

Eine neue Perspektive auf das Wirken des langjährigen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky Bruno Kreisky wird in Österreich über alle Parteigrenzen hinweg bewundert, ja verehrt. Ganz anders in Israel: Hier gilt er als umstritten, wenn nicht gar als Feindbild. Gerade wegen seiner jüdischen Herkunft wurde ihm seine oft scharfe Kritik an der israelischen Politik und seine frühe Unterstützung der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO übel genommen. Der israelische Diplomat Dr. Daniel Aschheim und Autor zeichnet in diesem Buch ein facettenreiches Bild von dem Staatsmann, der die Zweistaatenlösung in die Friedensbemühungen um den Nahostkonflikt einbrachte. - Biografie: Kreiskys Persönlichkeit im Spiegel von Geschichte und Gegenwart des Judentums in Österreich - Interviews, Archivmaterial und Einblicke in die israelische Diplomatie der 1970er Jahre zeichnen ein differenziertes Bild des Kultkanzlers - Friedenspolitik für Israel und Palästina: Was bedeutete Kreiskys jüdische Identität für sein politisches Handeln? - Kompliziertes Beziehungsgeflecht: Kreisky, das Judentum und der Staat Israel - Politisches Sachbuch über die Ära Kreisky in Österreichs Zweiter Republik Ein Stück Zeitgeschichte: Die österreichische Politik und der Jahrhundert-Kanzler Bruno Kreisky zählt zweifellos zu den berühmtesten Persönlichkeiten Österreichs: In seiner 13-jährigen Amtszeit als Bundeskanzler prägte er das politische Nachkriegs-Österreich wie kein anderer. Daniel Aschheim zeichnet in seinem Buch ein differenziertes Bild des Ausnahme-Politikers und stellt uns einen Mann voller Visionen, aber auch voller Widersprüche vor. Ungeachtet der eigenen Haltung zu Person und Wirken Kreiskys ist eines klar: Dieser Mann lässt niemanden kalt. Begleiten Sie den Autor auf eine Reise durch die politische Zeitgeschichte Österreichs in der Nachkriegszeit!

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Seitenzahl: 235

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DANIEL ASCHHEIM

KREISKY, ISRAELUND DIE JUDEN

Redaktionelle Bearbeitung: Eric Frey

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren beziehungsweise Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »Kreisky, Israel, and Jewish Identity«, herausgegeben von der University of New Orleans Press, New Orleans, USA. Copyright (c) 2022 by Daniel Aschheim.

Alle Rechte der deutschen Ausgabe

© 2025 ecoWing Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – Wien, einer Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

[email protected]

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Klein

Übersetzung aus dem Englischen und Redaktion: Dr. Eric Frey

Umschlagmotiv: akg-images / brandstaetter images / Votava

Umschlaggestaltung: wilhelm typo grafisch

Printed by PNB Print, Latvia

ISBN 978-3-7110-0364-5

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

EINLEITUNG

Kapitel 1KREISKYS JÜDISCHE IDENTITÄT

Kreisky und das jüdische Leben in Wien

Kreiskys komplexe jüdische Identität

Kapitel 2KREISKY UND DIE ÖSTERREICHISCHE OPFERTHESE

Die österreichische Opferthese

Kreisky und die Opferthese

Kreisky und der Antisemitismus in Österreich

Kapitel 3AFFÄREN RUND UM ÖSTERREICHS NS-VERGANGENHEIT

Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre

Die Waldheim-Affäre

Kapitel 4KREISKY UND DER ÜBERFALL VON MARCHEGG

Jüdische Auswanderung aus der Sowjetunion

Kreisky und der Terrorismus

Die Schönau-Affäre

Die Reaktionen auf die Schönau-Affäre

Marchegg und der Jom-Kippur-Krieg

Die Bedeutung von Marchegg

Kapitel 5KREISKY UND DER NAHOSTKONFLIKT

Kreiskys Beziehung zum Zionismus und zu Israel

Kreisky und die israelische Politik

Bruno Kreisky und sein Bruder Paul

Kreisky und der israelisch-palästinensische Konflikt

Kreisky, der Visionär

Kapitel 6KREISKYS VERMÄCHTNIS

Kreisky und andere jüdische Politiker

Schlussbemerkungen

ANHANG

Interviews

Ausgewähltes Literaturverzeichnis

VORWORT

Wenn es in Österreichs polarisierter politischer Landschaft eine Persönlichkeit gibt, über die über alle Parteigrenzen hinweg Einigkeit herrscht, dann ist es Bruno Kreisky. Von ganz links bis rechts wird der längstdienende Bundeskanzler der Zweiten Republik, der zwölf seiner dreizehn Jahre mit einer absoluten Mehrheit regierte, bewundert oder sogar verehrt. Für Sozialdemokraten ist Kreisky ein Säulenheiliger, für Grüne und andere Linksparteien ein Erbauer des Sozialstaates und ein Initiator progressiver gesellschaftlicher Reformen. In der FPÖ wird ihm sein Einsatz für eine aktive Neutralitätspolitik hoch angerechnet, und in der ÖVP, die er mit seinen Wahlerfolgen in eine lang anhaltende Opposition drängte, erinnert man sich wohlwollend an seine Bemühungen um Dialog und Kompromiss mit der Kirche, der Wirtschaft und anderen bürgerlichen Kräften. Kreisky zu kritisieren, verstößt in Österreich gegen die guten Sitten.

Ganz anders ist das Kreisky-Bild in Israel, wo Kreisky nicht trotz, sondern gerade wegen seiner jüdischen Herkunft bis heute als Feindbild gesehen wird, vor allem wegen seiner frühen Unterstützung für die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und seiner oft heftigen Kritik an der israelischen Politik. Für die Mehrheit der Israelis, die die 1970er-Jahre bewusst miterlebt haben, ist er als selbsthassender Jude oder gar als jüdischer Antisemit in Erinnerung geblieben. Die Zahl der Israelis, die Kreisky als Vorreiter des Friedensprozesses feiern, ist gering.

Als der junge israelische Diplomat Daniel Aschheim einen Kurs mit dem österreichischen, in den USA lebenden Historiker Günter Bischof an der Hebräischen Universität in Jerusalem belegte, hatte er nie etwas von Kreisky gehört. Umso erstaunter war er, als er erfuhr, dass das Geburtsland Adolf Hitlers 25 Jahre nach Ende der NS-Diktatur einen Juden zum Bundeskanzler gewählt hatte. Er fragte ältere Kollegen im israelischen Außenministerium, was sie über Kreisky wussten, und die Antwort lautete: »Ein schrecklicher Mensch.« Aschheims Neugier war geweckt, er begann zu recherchieren, schrieb zunächst eine Seminararbeit, später eine Masterarbeit und dann eine Dissertation, die schließlich im Spätherbst 2022 in der University of New Orleans Press als Buch erschien.

Seine Forschung beschäftigte sich mit Fragen, die bis dahin niemand auf diese umfassende Weise untersucht hatte: Was waren die Wurzeln von Kreiskys schwierigem Verhältnis zum Judentum, zu dem er sich ja stets bekannte, und zu Israel – ein Land, das ihn in seiner Laufbahn stets beschäftigte? War er ein Feind oder ein ehrlicher Freund des jüdischen Staates? Und wie bedeutend war Kreiskys jüdische Identität für sein politisches Wirken?

Aschheim interviewte viele von Kreiskys engsten Vertrauten in Österreich sowie Israelis aus verschiedenen politischen Lagern, die mit ihm in seiner Kanzlerschaft zu tun hatten. Er erhielt Zugang zu unzähligen vertraulichen Berichten und Dokumenten in israelischen Archiven, die einen spannenden Einblick in die israelische Diplomatie der 1970er-Jahre vermitteln. Sein Buch Kreisky, Israel and Jewish Identity zeichnet ein höchst differenziertes Bild des Jahrhundertkanzlers, das sich wohltuend von den manchmal einseitigen Darstellungen in Israel und Österreich unterscheidet. Es präsentiert Kreisky mit all seinen Widersprüchen, seinen irrationalen Seiten, aber auch seinem visionären Vorausblick, vor allem in Bezug auf den Nahost-Friedensprozess, bei dem er 20 Jahre vor dem Beginn der Oslo-Verhandlungen die zentrale Rolle der PLO und ihres Vorsitzenden Jassir Arafat erkannt hat.

Aschheim zeigt auf, dass Kreiskys Reaktion auf die Geiselnahme von Marchegg durch palästinensische Terroristen im Herbst 1973, als er das Transitlager Schönau schließen ließ, seine Unterstützung für die jüdische Auswanderung aus der Sowjetunion nicht schmälerte und die in Israel verbreitete Lesart, wonach er dem Terror nachgegeben habe, nicht fair ist. In den Jahrzehnten danach haben israelische Regierungen das einstige Tabu, mit Terroristen zu verhandeln, längst aufgegeben und sind etwa mit den radikalislamischen Terrorbewegungen Hamas und Hisbollah Deals eingegangen, in denen sie für die Freilassung von Israelis in Geiselhaft einen weitaus höheren Preis gezahlt haben, als Kreisky es je tat.

Aschheim bettet die Persönlichkeit Kreiskys in die Geschichte und Gegenwart des Judentums in Österreich ein. Mit seinem intensiven Bestreben, als Österreicher jüdischer Herkunft und nicht als Jude in Österreich wahrgenommen zu werden, war der noch in der Habsburgermonarchie geborene Kreisky zeit seines Lebens in einem jüdischen Europa verwurzelt, das mit dem Holocaust eigentlich untergegangen ist. Diese Einstellung trug er in die österreichische Nachkriegszeit hinein.

Für eine politische Laufbahn nach 1945 war ein solcher Patriotismus unverzichtbar, aber Kreisky handelte hier nicht nur als Opportunist, sondern auch aus Überzeugung. Anders als für andere Juden seiner Generation war der Holocaust nicht das prägende Ereignis seines Lebens, wohl auch weil er den Krieg in sicherem Exil in Schweden verbrachte. Das verleitete ihn aber auch dazu, die Mitschuld so vieler Österreicher an der NS-Vernichtungspolitik kleinzureden und ehemalige Nationalsozialisten als politische Partner zu betrachten.

In der Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre, in deren Verlauf er im Jahr 1975 und auch später einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher gegen die gut belegten Vorwürfe eines weltweit anerkannten Nazijägers verteidigte, zeigte sich Kreisky von seiner irrationalsten Seite. Hier verband sich die traditionelle Abneigung assimilierter Juden gegen sogenannte »Ostjuden« mit einer zutiefst österreichischen politischen Verschwörungstheorie, wonach Simon Wiesenthal im Auftrag der ÖVP gehandelt habe, um ihm zu schaden. Eine so integre publizistische Stimme wie der frühere profil-Herausgeber und jetzige Falter-Kolumnist Peter Michael Lingens hat Kreisky dies bis heute nicht verziehen.

Kreiskys ambivalente Einstellung zum eigenen Judentum und zu Israel wirkte für viele Jüdinnen und Juden in den 1970er-Jahren unverständlich und provokant. Nach Jahrzehnten der Besatzungspolitik und dem Rechtsruck in Israel ist die Solidarität mit dem jüdischen Staat unter europäischen Juden heute jedoch nicht mehr so geschlossen, wie sie damals war, und Kreiskys Warnungen über die problematische politische Entwicklung Israels in Richtung eines repressiven ethnonationalistischen Staates wirken fast prophetisch.

Abgesehen von seinen emotionalen Ausfällen, wenn es um jüdische Themen ging, fing Kreisky in seinen Aussagen über sein Judentum jenen Zwiespalt ein, der auch heute viele Menschen mit jüdischen Wurzeln bewegt: Sie wollen selbst entscheiden, welche Rolle diese Herkunft in ihrem Leben zu spielen hat, aber anders als die Generation vor dem Holocaust wissen sie auch, dass sie ihrem Judentum nie ganz entkommen können und dies auch nicht wollen. Kreiskys Beziehung zum Judentum wirkt daher gleichzeitig aus der Zeit gefallen und höchst modern.

Dass mit Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich nun eine deutschsprachige Übersetzung von Aschheims Arbeit vorliegt, schließt eine wichtige Lücke in der florierenden Kreisky-Literatur in Österreich. Die Beschäftigung mit seinem Buch hatte für mich auch eine persönliche Komponente. Geboren und aufgewachsen als Kind von Holocaust-Überlebenden in Wien, habe ich Kreiskys Konflikte mit der jüdischen Gemeinde und Israel schon früh miterlebt. Ich habe mitbekommen, wie meine Mutter wegen Kreisky aufgehört hat, der SPÖ ihre Stimme zu geben, später aber doch seinen Einsatz für den Nahost-Frieden zu schätzen gelernt hat. Ein Jahrzehnt später habe ich in eine Kreisky-Familie geheiratet: Mein Schwiegervater, der ehemalige Diplomat Thomas Nowotny, war in den frühen 1970er-Jahren sein persönlicher Sekretär und wird auch in diesem Buch mehrfach zitiert. Das Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog, wo einige seiner Wegbegleiter noch aktiv sind, ist für mich ein unverzichtbarer Teil des intellektuellen Lebens in Wien. Und schließlich ist der Historiker Günter Bischof von der University of New Orleans, der Aschheims Forschungen wissenschaftlich betreut hat, seit Jahrzehnten mein enger Freund, seine Frau Melanie eine Freundin seit meiner Zeit als Student in den USA.

Bruno Kreisky ist als Persönlichkeit aus der österreichischjüdischen Geschichte nicht wegzudenken. Er personifiziert eine Kontinuität zwischen dem alten Österreich, das zwischen 1938 und 1945 durch das NS-Regime vernichtet wurde, und der Zweiten Republik, die sich nach vier Jahrzehnten der Verdrängung ab Mitte der 1980er-Jahre dieser Wurzeln immer stärker zu besinnen bemüht. Die Brüchigkeit dieses Bogens angesichts der Bestialität der NS-Zeit und der allzu lange versäumten Aufarbeitung erklärt auch viele von den Bruchlinien in Kreiskys Denken und Handeln. Man kann ihn oft bewundern, man kann ihn manchmal hassen. Aber auch heute lässt Bruno Kreisky wohl niemanden kalt.

Eric Frey

Wien, im Dezember 2024

EINLEITUNG

Das persönliche und berufliche Leben von Bruno Kreisky (1911–1990), Österreichs langjährigem Bundeskanzler von August 1970 bis Mai 1983, ist Gegenstand vieler Bücher und Artikel. Seine vieldeutige und komplexe Beziehung zu seinem Judentum, dem Staat Israel und dem Zionismus sowie die Verbindungen zu seinem politischen Gesamtprojekt und seinen globalen Bestrebungen sind jedoch nur teilweise erforscht. Das vorliegende Buch versucht, diese Situation durch systematische Recherchen und nachhaltige Originalinterviews zu verbessern. Die Interviews umfassen israelische und österreichische Politiker, Beamte des Außenministeriums, Journalisten, Akademiker, Aktivisten, Kreiskys Bekannte und Freunde sowie Mitglieder der österreichischen jüdischen Gemeinde.

Im Mittelpunkt des Buches steht das Verständnis und die Beleuchtung der vielfältigen Möglichkeiten, wie Kreiskys Jüdischsein ein prägender Faktor in seiner Behandlung »jüdischer« Fragen innerhalb der österreichischen Politik, der österreichisch-israelischen Beziehungen und seines aktiven Engagements in Angelegenheiten des Nahen Ostens war – oder eben nicht war. Als Politiker und Staatsmann war Kreisky an zahlreichen geopolitischen Ereignissen von Bedeutung beteiligt. Die in diesem Buch beleuchteten Episoden veranschaulichen jedoch am besten die Dynamik und die Unklarheiten von Kreiskys Persönlichkeit und politischem Handeln, wenn es darum geht, wie sein Judentum seine Entscheidungen beeinflusste. Diese Episoden umfassen etwa Kreiskys Umgang mit der österreichischen »Opfer-Doktrin«, die Geiselnahme von Marchegg im Jahr 1973, die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre von 1975, Kreisky und die Waldheim-Affäre von 1986 sowie Kreiskys Haltung zu Israel und dem Zionismus, seine Beziehungen zur arabischen Welt und den israelisch-arabischen Konflikt.

Dieses Buch wird diese Ereignisse in einen größeren Zusammenhang stellen und bietet eine umfassende Analyse der Person Kreisky, seiner Politik, seines Judentums und seiner Nahostpolitik. Darüber hinaus wird das Buch zeigen, dass dieser entschlossene Staatsmann – unabhängig davon, wie man zu Kreisky steht – Österreich in den Mittelpunkt der internationalen Politik gestellt hat.

Die Paradoxien, Spannungen, Schwächen und Errungenschaften Bruno Kreiskys – österreichischer Patriot, überzeugter Sozialist und akkulturierter Jude – werden in diesem Buch durch die Brille seines Jüdischseins und seines Einflusses beleuchtet: Der erste und einzige jüdische Regierungschef Österreichs, der Mann, den viele liebten und viele zu hassen liebten, gehört zu den einflussreichsten und umstrittensten politischen Persönlichkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage, wie stark Kreiskys politische Entscheidungen von seiner persönlichen Biografie und seinen Einstellungen beeinflusst waren, vor allem von seiner Beziehung zum Judentum. Dabei lag der Schwerpunkt zunächst auf Kreiskys Eigenschaften und Komplexität, wobei darauf geachtet wurde, nicht in den Bereich der psychologischen Forschung vorzudringen.

Der erste Schritt dieser Analyse konzentrierte sich auf Kreiskys Schriften und Autobiografie, einschließlich seiner Reden, Korrespondenzen und veröffentlichten Interviews. In einem weiteren Schritt wurden wissenschaftliche Texte über Kreisky und Berichte verschiedener Personen aus seinem Umfeld gesichtet, um ein umfassenderes Bild seiner Persönlichkeit zu zeichnen. Diese Quellen wurden sorgfältig und kritisch ausgewertet, um eine größtmögliche Objektivität zu gewährleisten, zumal viele von ihnen von persönlichen Einstellungen und emotionalen und politischen Vorurteilen beeinflusst wurden.

Eine weitere zentrale Quelle waren hebräische Dokumente, die sich im israelischen Staatsarchiv befinden. Dazu gehörten Protokolle, Korrespondenz, Briefe und verschiedene Veröffentlichungen aus dem Büro des israelischen Premierministers (zum Beispiel Texte von Golda Meir, Menachem Begin und Yitzhak Rabin) über die Beziehungen Israels zu Österreich während der Kreisky-Ära. Ebenfalls untersucht und zitiert werden vertrauliche Telegramme und Kommunikationen zwischen der israelischen Botschaft in Wien und dem Außenministerium, die sich mit Kreisky und österreichischen Angelegenheiten befassen. Der überwiegende Teil dieser Dokumente ist bisher weder erforscht noch veröffentlicht worden. Sie stellen eine reichhaltige und wertvolle israelische »Innenansicht« der österreichisch-israelischen Beziehungen und insbesondere der Begegnungen und Konflikte mit Kreisky dar. Darüber hinaus dienen diese Dokumente als dokumentarische Kontrolle der für dieses Buch geführten mündlichen Interviews, die naturgemäß subjektiv sind und auf nachträglicher Erinnerung beruhen.

Diese Interviews mit zahlreichen Personen, die Kreisky kannten, ihn politisch begleiteten und mit ihm in seiner Zeit als Kanzler arbeiteten oder ihn kritisch beobachteten, bilden die wichtigste Quelle für dieses Buch. Sie wurden zum Großteil vom Autor in entspannter Atmosphäre, in Person, über Zoom oder Telefon, und in ausreichendem Abstand zu den entscheidenden Episoden befragt, die dieses Buch behandelt. Dazu kommt eine Reihe von Interviews, die die Journalistin und Diplomatin Barbara Taufar im Jahr 1997 mit führenden israelischen Politikern, die mit Kreisky in Berührung gekommen waren, geführt hat. Sie sind im Bruno Kreisky Archiv in Wien zu finden. Die Interviews tragen dazu bei, ein umfassenderes Bild von Kreisky zu zeichnen als die eher reduzierten Darstellungen, die in der vorhandenen Literatur oft zu finden sind. Kreiskys eigene Worte finden sich in seinen zwischen 1986 und 1996 veröffentlichten dreibändigen Memoiren sowie im ausführlichen Interview, das Kreisky der Fotografin Herlinde Koelbl kurz vor seinem Tod gab und im Band »Jüdische Porträts« aus dem Jahr 1989 veröffentlicht wurde.

Die Befürworter Kreiskys neigen dazu, ihn zu glorifizieren und seine Schwächen zu ignorieren, während seine Kritiker vor allem in Israel ihn ausschließlich negativ darstellen. Allzu oft handelt es sich dabei um stereotype Wahrnehmungen, die an »Pop-Psychologie« grenzen. Die Fülle der Interviews in Österreich und Israel sollte helfen, hier einen Ausgleich zu schaffen. Die Liste der Gesprächspartner und -partnerinnen sowie eine Übersicht über die verwendete Literatur findet sich im Anhang dieses Buches.

1KREISKYS JÜDISCHE IDENTITÄT

Kreisky und das jüdische Leben in Wien

Es wird manchmal behauptet, dass Kreisky, so wie viele andere österreichische Juden, aus einem völlig »assimilierten« jüdischen Elternhaus stammte. In der neueren Forschung wird jedoch ein scharfer Unterschied zwischen »Assimilation« und »Akkulturation« gemacht. Assimilation setzt die völlige Auslöschung der jüdischen Identität und eine Art Konversion zur dominanten Religion der Kultur voraus. Dies trifft auf Kreisky und seine Familie nicht zu: Sie haben ihren jüdischen Hintergrund oder ihre Abstammung nie verleugnet, obwohl sie keine Verbindung zur offiziellen jüdischen Religionsausübung hatten. Es wäre daher zutreffender, zu sagen, dass Kreisky auf komplizierte Weise ein vollständig akkulturierter Österreicher war, wenn auch einer, der bestimmte Identitätsmuster und familiäre Loyalitäten aufwies, die eindeutig jüdisch waren.

Kreiskys Familie gehörte zum jüdischen Großbürgertum aus dem tschechischen Teil des Habsburgerreiches. Seine Mutter war die Tochter eines Industriellen, sein Vater war Direktor einer Textilfabrik. Wie viele andere böhmische und mährische jüdische Familien war auch Kreisky kulturell, politisch und emotional liberal eingestellt. Kreisky war, wie viele andere sensible jüdische Jugendliche aus dem Bürgertum, von der Armut und der Gewalt in Österreich betroffen. Obwohl sein Vater Max erfolgreich in der Textilindustrie tätig war, trat der fünfzehnjährige Kreisky 1925 zum Leidwesen seiner Eltern dem Jugendverband der Sozialistischen Partei Österreichs bei. Dies war in jüdischen bürgerlichen Familien in Mitteleuropa durchaus üblich, viele prominente sozialistische Führer stammten nicht aus proletarischen Familien. Ein Jahr später trennte er sich aktiv vom Judentum und ließ seinen Namen aus den Listen des Wiener Judenbundes streichen.

Juden konnten sich in den Ländern der Habsburgermonarchie frei bewegen und sich – in nie ganz definierten Grenzen – auch in die allgemeine Gesellschaft integrieren. Kreiskys Familie lehnte, wie auch die meisten bürgerlichen österreichischen Juden, den Zionismus von Theodor Herzl ab. Dies spielte zweifellos eine Rolle für Kreiskys spätere Haltung zu politischen Fragen im Zusammenhang mit dem Zionismus und Israel. Kreiskys ehemaliger Sekretär Thomas Nowotny glaubt, dass Kreiskys negative Einstellung zum Zionismus auf seinen bürgerlichen Hintergrund zurückzuführen ist, in dem eine österreichische nationale Identität positiv betont wurde. Wie andere österreichische jüdische Familien glaubten auch die Kreiskys, dass man sich mit seinem Geburtsland identifizieren sollte, wo immer man auch lebte. Diese Ansicht stand in direktem Gegensatz zur zionistischen Idee, die sich ausschließlich auf eine jüdische Nationalität und ein jüdisches Heimatland bezieht.

In Kreiskys Generation lässt sich eine historische Verbindung zwischen jungen, akkulturierten Juden und der Anziehungskraft universeller Formen des »Fin de Siècle«-Sozialismus erkennen. Das Wien der Jahrhundertwende war eine außerordentlich kosmopolitische Stadt auf dem Höhepunkt großer kultureller und intellektueller Kreativität. Gleichzeitig herrschten in der Stadt nationalistische und antisemitische Unruhen, die bereits nach den Revolutionen von 1848 eingesetzt hatten. Assimilierte und nicht assimilierte Juden stellten in der Stadt eine bedeutende Präsenz dar. Im Jahr 1910 lebten beispielsweise 175.318 Juden in Wien. Kreisky schreibt in seinen Memoiren, dass die akkulturierten Juden gut in die österreichische Gesellschaft integriert waren und dass er und seine Familie nur ein oder zwei kleinere negative Vorfälle im Zusammenhang mit ihrem Judentum erlebten. Kreiskys langjähriger Sekretär Wolfgang Petritsch bekräftigt dies mit den Worten:

Kreisky betrachtete die Österreicher als eine Nation mit stolzer Vergangenheit und sah sich selbst als Bürger des »größeren Österreichs«, womit er das Habsburgerreich meinte. Er sah das intellektuelle und geistige Österreich definitiv als eines, das auf dem sehr positiven Erbe des Habsburgerreiches aufgebaut war. Es war klar, dass die meisten österreichischen jüdischen Intellektuellen nicht in Wien geboren waren, sondern aus den Randgebieten des Reiches kamen. Da die Juden in der Monarchie kein eigenes Land hatten, war für sie das Große Österreichische Reich ihre wahre Heimat.

Kreiskys familiäres Umfeld war ein Beispiel für gelungene soziale Integration im multinationalen Habsburgerreich, was seine Einstellung zur österreichischen Gesellschaft und später zum österreichischen Staat maßgeblich beeinflusste. Es war dieser Sinn für multinationale Toleranz und kosmopolitische Eleganz, der die Juden des Reiches so anziehend machte und sie gegenüber Kaiser Franz Joseph, der von 1848 bis 1916 regierte, so loyal werden ließ. In seinen Memoiren hebt Kreisky eine gewisse Abneigung gegen die noch in Ghettos lebenden galizischen Ostjuden und ihre Verbundenheit mit jüdischen Ritualen hervor. Zu dieser Zeit gab es eine gewisse Spannung zwischen den sogenannten traditionellen »Ghetto«-Juden und den modernen assimilierten oder akkulturierten Juden. Für Juden (und leider auch für viele Nicht-Juden) war dies im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine entscheidende Identitätsfrage, die im Deutschen Reich und in der Habsburgermonarchie besonders ausgeprägt war.

Obwohl Kreisky gegen Ende der sogenannten großen Periode des Wiener Fin de Siècle geboren wurde, ähnelten viele der Haltungen, die er mit seiner jüdischen Herkunft verband, denen der vorangegangenen Generation. Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verband sich in Wien enorme intellektuelle Kreativität mit politischen und nationalen Umwälzungen. Jüdische Intellektuelle standen bei vielen dieser Themen im Mittelpunkt und zogen Bewunderung – und Ressentiments – auf sich. Ein gewichtiger Teil des Antisemitismus war damals mit dem »subversiven« Denken dieser Intellektuellen verbunden. Man denke an Größen wie Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Stefan Zweig, Sigmund Freud, Theodor Herzl und Ludwig Wittgenstein, um nur einige zu nennen.

Die jüdische Identität wurde für die meisten – wenn nicht für alle – dieser Juden zu einem zentralen Problem. Der Schriftsteller Arthur Schnitzler – ein scharfsinniger und subtiler psychologischer Porträtist des bürgerlichen Wiens und seiner inneren sexuellen, unbewussten Impulse – schildert in seinem bemerkenswerten Roman Der Weg ins Freie (1908) meisterhaft die Verwirrung und die Kreativität dieser Wiener jüdischen Intellektuellen. Ein nichtjüdischer Protagonist des Romans drückt es so aus: »Wo immer er hinkam, traf er nur Juden, die sich schämten, Juden zu sein, oder solche, die stolz darauf waren und sich davor fürchteten, dass man glaubte, sie würden sich dafür schämen.«

Es ist bemerkenswert, wie obsessiv die Frage des Jüdischseins oder »das jüdische Problem« im Zentrum ihrer Psyche und ihres Bewusstseins stand. Ausnahmslos alle haben über diese Frage nachgedacht – ob negativ oder positiv, konstruktiv oder verzweifelt. Alle grübelten tief über das Wesen ihres jüdischen Wesens nach und suchten nach Wegen, um ihre persönlichen und kollektiven Probleme zu lösen. Zweifellos war es das Wien der Jahrhundertwende, wo der eigentümliche Zustand, den man als »jüdischen Selbsthass« bezeichnet, nicht nur pathologische Ausmaße annahm, sondern auch in den Werken von Otto Weininger, der Selbstmord beging, und Arthur Trebitsch, der sich aus seinem heftigen Selbsthass heraus sogar dem Nationalsozialismus anschloss, seinen philosophischen Ausdruck fand. Interessanterweise schrieb Joshua Sobol in den 1970er-Jahren, während Kreiskys Regierungszeit, in Israel ein sehr erfolgreiches Theaterstück über Otto Weininger. Mohammad Bakri, ein arabischer israelischer Schauspieler, spielte in einer Inszenierung des Stücks Sigmund Freud.

Kreiskys komplexe jüdische Identität

Vor diesem historischen Hintergrund und den Reaktionen anderer Mitglieder der jüdischen Bildungsschicht ist es nicht verwunderlich, dass Kreiskys Verhältnis zu seiner jüdischen Herkunft und seine Verbindung zu ihr relativ komplex waren. Er erkannte den Einfluss seiner Wurzeln auf seine Persönlichkeit und Identität an, weigerte sich jedoch, zu akzeptieren, dass sein jüdisches Erbe oder seine ethnische Zugehörigkeit irgendeinen nennenswerten Einfluss hatten. »Ich stehe zu dem, was ich über einen allgemeinen Einfluss [meines jüdischen Hintergrunds] auf die Persönlichkeit gesagt habe«, erklärte Kreisky. »Aber es war mir immer fremd, dem Blut oder einer Blutsverwandtschaft Bedeutung beizumessen.« Kreisky erwartete, dass »man die religiöse Zugehörigkeit, die in meinem Fall mein jüdisches Erbe ist, als Privatsache ansieht«. Zu denjenigen, die ihn aufgrund seiner jüdischen Religion abstempelten, sagte Kreisky: »Ich erlaube niemandem, mich als Mitglied einer bestimmten Rasse zu betrachten.« Stattdessen sagte er, er sei »als Mitglied einer Schicksalsgemeinschaft aufgewachsen, die es in der alten österreichischungarischen Monarchie nicht schlecht hatte.« Auf die Frage der Interviewerin Herlinde Koelbl, wie er sich als »erster jüdischer Bundeskanzler in Österreich« sehe, wies Kreisky sie sofort zurecht, dass sie ihn nicht als »ersten Bundeskanzler jüdischer Abstammung« ansprechen solle. Er betonte, dass er seine Herkunft zwar nie verleugnet habe, er aber auch nicht wolle, dass sie ihn definiere. In vielerlei Hinsicht entsprach Kreiskys Notlage – natürlich bedingt durch die besonderen Umstände der österreichischen Situation, insbesondere in der Zeit nach dem Nationalsozialismus – Jean-Paul Sartres klassischer Vorstellung von der Dialektik der jüdischen Identität: »Der Jude ist in der Situation eines Juden, weil er inmitten einer Gesellschaft lebt, die ihn für einen Juden hält.«

Auf israelische und jüdische Vorwürfe, er sei ein »selbsthassender Jude«, antwortete Kreisky, dass sie »vergessen, dass ich meine jüdische Abstammung ganz bewusst anerkenne und sie als einen wesentlichen Teil meiner Persönlichkeitsstruktur betrachte«. Bei einer anderen Gelegenheit fügte Kreisky hinzu, er sei »sehr glücklich« über sein spezifisch jüdisches Erbe, weil es ihn für Tradition und Literatur empfänglich machte.

Sicherlich gibt es viele Verwicklungen und Ambivalenzen in Kreiskys vielfältigen Äußerungen über sein Jüdischsein, aber es ist unbestreitbar, dass er das, was er als jüdisches Überlegenheitsgefühl bezeichnete, ablehnte. Er empfand die jüdische Vorstellung vom »auserwählten Volk« als gefährlich und irreführend. Kreisky ging sogar so weit, zu argumentieren, dass es viele Ähnlichkeiten zwischen der nationalsozialistischen Rassentheorie und den jüdischen Vorstellungen von Auserwähltheit gab. Er warnte, dass solche Überzeugungen zu schrecklichen Taten führen könnten. In seinen Memoiren erklärt Kreisky die Behauptung, er habe »durch das Wirken irgendwelcher mystischer Kräfte eine besondere Bindung an die jüdische Gemeinschaft«, zu einer »rassistischen Annahme«.

Kreisky wies darauf hin, dass man versucht habe, ihn in eine »imaginäre jüdische Weltgemeinschaft« einzubinden. Er betonte, dass er nicht in eine Gemeinschaft von Menschen gezwungen werden wolle, die er sich nicht ausgesucht habe, »nur weil Hitler beschlossen hat, die Menschheit in Juden und Nichtjuden zu teilen«. Er fragte sich, was ein tunesischer Jude mit einem Ostjuden gemeinsam habe, und kam zu dem Schluss, dass es »nur die Religion« sei, denn »die Juden sind eine Religionsgemeinschaft, die zu einer Schicksalsgemeinschaft wurde«.

Wie bereits angedeutet, widersetzte sich Kreisky der Theorie der Blutsverwandtschaft, die das Jüdischsein auf die ethnische Zugehörigkeit und nicht auf die kulturelle Abstammung zurückführt. Einem Autor zufolge hat Kreisky seinen Sohn nicht einmal beschneiden lassen. Nicht alle israelischen und zionistischen Führer verbanden Jüdischsein mit Rasse und Blutsverwandtschaft, aber das war die Art und Weise, wie Kreisky die zionistische Idee wahrnahm.

Folglich hat sich Kreisky nur sehr selten öffentlich oder offiziell als Jude zu erkennen gegeben. Micha Harish, ehemaliger israelischer Minister und Mitglied der Knesset für die Arbeitspartei, erinnert sich an einen dieser seltenen Momente, in denen sich Kreisky ausdrücklich und mit Stolz als Jude präsentierte: Während eines Treffens zwischen Anwar as-Sadat, Shimon Peres, Kreisky und Harish erklärte Kreisky emotional, dass dies ein »großer Sieg der Geschichte« sei, weil »der Präsident Ägyptens, der Chef der israelischen Opposition und vielleicht zukünftige Ministerpräsident Israels sowie der jüdische Bundeskanzler Österreichs« zusammentrafen.

Da er die Vorstellung von den Juden als »auserwähltem Volk« oder als Rasse ablehnte, wählte Kreisky seine Worte sorgfältig aus und verwendete oft den Begriff »jüdischer Glaube«. Dies konnte jedoch irreführend sein, da sich der Begriff »jüdischer Glaube« in diesem Zusammenhang nicht auf die Religion des Judentums bezog, sondern darauf, dass Österreich jüdische Bürger offiziell als »Bürger jüdischen Glaubens« anerkannte. Gelegentlich merkte er auch an, dass es kein »jüdisches Volk« gebe, sondern nur eine »religiöse Schicksalsgemeinschaft«, die durch religiöse Überzeugungen und historische Entwicklungen verbunden sei. »Wir sind durch eine sonderbar grausame Laune der Geschichte alle in den gleichen Topf geworfen worden«, sagte Kreisky.

Die verblüffendste Art und Weise, wie sich Kreisky seinem Jüdischsein näherte, war jedoch, dass er sein jüdisches Erbe mit den Nazi-Verbrechen in Verbindung brachte und behauptete, er hätte sich nicht daran gebunden gefühlt, wenn es Auschwitz nicht gegeben hätte. »Ich würde sagen, dass das Wissen von Auschwitz das Einzige ist, was mich vorbehaltslos an meine jüdische Herkunft bindet«, sagte er. »Ohne Auschwitz würde mich meine Beziehung zum Judentum zu keinem bestimmten Verhalten und zu keiner bestimmten Einstellung verpflichten. Auschwitz ist das Schicksal der Juden, dem auch diejenigen nicht entrinnen können, die ihre jüdische Abstammung für mehr oder weniger beliebig halten.«

Als ihm Elazar Granot, der ehemalige Vorsitzende der Mapam-Partei, vorwarf, er negiere die Existenz eines jüdischen Volkes, reagierte Kreisky, indem er seine Meinung mit seiner Einstellung zur österreichischen Identität verglich. »Ich habe das Gleiche über die Österreicher gesagt«, erklärte Kreisky. »So etwas wie einen Österreicher gibt es nicht. Wir sind ein Staat, wir sind ein Land, aber es gibt kein Volk. Ich meine, wir haben so viele Kulturen, die zusammenkommen, und wenn ich das über Österreich sage, warum sollte ich das nicht auch über das jüdische Volk sagen? (…) Das Einzige, was sie verbindet, ist die gleiche Religion, aber nicht die Nationalität.«

Besonders kritisch kommentiert das der israelische Journalist Eldad Beck, der immer wieder aus Wien berichtete. »Kreisky hat sein Jüdischsein meist verleugnet«, behauptet er. Von dem Moment an, als Kreisky aus dem schwedischen Exil zurückkehrte, habe er versucht, sich als österreichischer Sozialistenführer zu profilieren, der keine besondere Beziehung zum Judentum und schon gar nicht zum Staat Israel habe. »Die Tatsache, dass er Jude war, was er meist verleugnete, führte dazu, dass er eine sehr feindselige Haltung gegenüber Israel einnahm«, schlussfolgert Beck.

Kreiskys Verhältnis zu seinem Judentum war höchst ambivalent, sagte Menachem Oberbaum, ein ehemaliger israelischer Journalist, der in den 1970er-Jahren als Reporter von Maariv in Österreich tätig war. »Kreisky wehrte sich vehement dagegen, als ›jüdisch‹ bezeichnet zu werden – er hasste es wirklich«, fährt er fort. Oberbaum erklärte, dass man Kreisky in jeder Angelegenheit hätte beschimpfen und angreifen können, und er wäre apathisch gewesen. »Das Einzige, was ihn völlig verrückt machte, war, wenn jemand auf sein Jüdischsein hinwies«, sagte Oberbaum.

Diese starke Ablehnung steht im Widerspruch zum Bild, das Menschen hatten, die Kreisky nahestanden. Wolfgang Petritsch meinte dazu: »Was ich an Kreisky schätzte, war, dass er in privaten Gesprächen und Begegnungen ein typischer mitteleuropäischer Jude war – durch die Art, wie er Witze erzählte, seine Ironie und seine Intelligenz.« Auch Oberbaum teilt diese Ansicht über Kreiskys jüdisches Wesen im Privaten: »Ich glaube, dass er in seinem Inneren ein echter Jude war. (…) Ich bin sicher, dass er so etwas nicht gerne gehört hätte, aber ich bestehe darauf, dass dies die Wahrheit ist.« Dennoch sei Kreisky, auch wenn er wütend wurde, wenn jemand seine jüdische Herkunft erwähnte, »definitiv kein Antisemit, wie ihn so viele darstellten«, gewesen, zeigte sich Oberbaum überzeugt.