Krieg und Frieden - Karl Held - E-Book

Krieg und Frieden E-Book

Karl Held

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Beschreibung

Die Weltlage 1983 Warum entdeckt weder der gesunde noch der gelehrte Menschenverstand am Ost-West-Gegensatz, an der »Kriegsgefahr« (die alle Politiker hüben wie drüben bannen möchten, so daß man sich fragt, wer sie eigentlich heraufbeschwört!), am Gegensatz von arm und reich im Weltmaßstab, an Gastarbeitern und Ölstaaten, an der New Yorker Börse und an der Welthungerhilfe jenes Geschäft, das einmal bürgerliche wie sozialistische Theoretiker Imperialismus nannten? Um die Beantwortung solcher Fragen, um die Analyse und Zurückweisung also gewisser ideologischer Gewohnheiten einer aufgeklärten Öffentlichkeit in Sachen Weltpolitik geht es in Kapitel I dieses Buches – und damit um alles andere als bloße Ideologiekritik. Es sind also keine differenziert konstruierten Probleme, deren Lösungsmöglichkeiten angesichts unerbittlicher Sachzwänge das vorliegende Buch ausloten will, schon gar nicht solche der »Konfliktvermeidung«. Es sind vielmehr ziemlich allgemein bekannte Tatsachen, deren Erklärung die verschiedenen Kapitel gewidmet sind: Wie abhängig die bundesdeutsche Wirtschaft von weltwirtschaftlichen Bedingungen ist – vom Export, aber auch vom Import, von der Stärke ihrer Mark, die aber auch nicht zu stark sein darf, von amerikanischen Zinssätzen und japanischer Konkurrenz; wie sich mit kleinen grünen Schuldzetteln ein ganzes gesellschaftliches Produktionsverhältnis in alle Welt exportieren läßt, vorausgesetzt, alle »Machtfragen« sind klar und eindeutig beantwortet, von denen der »friedliche Austausch zum wechselseitigen Vorteil« in der modernen Welt noch allemal seinen Ausgang nimmt und die er folgerichtig auch immer wieder auf die Tagesordnung setzt, und wie die Armut ganzer Nationen beschaffen ist, die der weltweite Einsatz des überschüssigen Reichtums der Geschäftswelt einiger weniger Nationen in all seiner Wucht erzeugt.

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Warum entdeckt weder der gesunde noch der gelehrte Menschenverstand am Ost-West-Gegensatz, an der »Kriegsgefahr« (die alle Politiker hüben wie drüben bannen möchten, so daß man sich fragt, wer sie eigentlich heraufbeschwört!), am Gegensatz von arm und reich im Weltmaßstab, an Gastarbeitern und Ölstaaten, an der New Yorker Börse und an der Welthungerhilfe jenes Geschäft, das einmal bürgerliche wie sozialistische Theoretiker Imperialismus nannten? Um die Beantwortung solcher Fragen, um die Analyse und Zurückweisung also gewisser ideologischer Gewohnheiten einer aufgeklärten Öffentlichkeit in Sachen Weltpolitik geht es in Kapitel I dieses Buches – und damit um alles andere als bloße Ideologiekritik. Es sind also keine differenziert konstruierten Probleme, deren Lösungsmöglichkeiten angesichts unerbittlicher Sachzwänge das vorliegende Buch ausloten will, schon gar nicht solche der »Konfliktvermeidung«. Es sind vielmehr ziemlich allgemein bekannte Tatsachen, deren Erklärung die verschiedenen Kapitel gewidmet sind: Wie abhängig die bundesdeutsche Wirtschaft von weltwirtschaftlichen Bedingungen ist – vom Export, aber auch vom Import, von der Stärke ihrer Mark, die aber auch nicht zu stark sein darf, von amerikanischen Zinssätzen und japanischer Konkurrenz; wie sich mit kleinen grünen Schuldzetteln ein ganzes gesellschaftliches Produktionsverhältnis in alle Welt exportieren läßt, vorausgesetzt, alle »Machtfragen« sind klar und eindeutig beantwortet, von denen der »friedliche Austausch zum wechselseitigen Vorteil« in der modernen Welt noch allemal seinen Ausgang nimmt und die er folgerichtig auch immer wieder auf die Tagesordnung setzt, und wie die Armut ganzer Nationen beschaffen ist, die der weltweite Einsatz des überschüssigen Reichtums der Geschäftswelt einiger weniger Nationen in all seiner Wucht erzeugt.

Karl Held / Theo Ebel

Krieg und Frieden

Politische Ökonomie des Weltfriedens

GegenStandpunkt Verlag

© GegenStandpunkt Verlag 2023

 

Gegenstandpunkt Verlagsgesellschaft mbH

Kirchenstr. 88

81675 München

Tel (089) 272 16 04 Fax (089) 272 16 05

E-Mail: [email protected]

Internet: www.gegenstandpunkt.com

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Erstauflage 1983 im Suhrkamp Verlag

2. Auflage

 

EPUB ISBN 978-3-96 221-016-8

Inhalt
Einleitung
I. Von den Leistungen des weltpolitischen Sachverstandes und seinen Grundlagen
1. »Unsere Interessen«
2. »Wir«
3. Moderner Nationalismus
4. Vom Imperialismus der Bundesrepublik
5. Die theoretische Überwindung des Imperialismus
6. Lenins Imperialismusschrift: Ein aktueller, aber falscher Klassiker
II. Der Frieden einer Weltwirtschaftsordnung
1. Der »freie Westen«
2. »Handel und Wandel« weltweit
3. Die Welt als Kapitalmarkt
4. Das »europäische Einigungswerk«
5. Die »Entwicklungsländer«: Geschöpfe und Partner des Imperialismus
III. Die Weltmächte und ihre unverbrüchliche Feindschaft
1. Die NATO: Friedensgarantie durch die Vorbereitung des Dritten Weltkriegs
2. Die Sowjetunion: »Archipel Gulag«, »Sozialimperialismus« oder »Weltfriedensmacht«?
3. Die »Entspannungsära«: Von Vietnam zu Afghanistan
4. Der Osthandel: Zersetzende Geschäfte mit dem Feind
5. Polen: Eine Fallstudie über die Segnungen von Osthandel und »Entspannung«
6. Zwei Kriege des Sommers 1982
IV. Die BRD: Entwicklungen eines Frontstaats

Einleitung

1. Warum leuchtet es eigentlich sämtlichen meinungsbildenden Instanzen in unseren Breiten ein, daß die USA in Angelegenheiten, die sich in den Staaten dieser Welt und zwischen ihnen so abspielen, »Verantwortung« tragen? Warum geht jedermann einfach davon aus, daß jede weltpolitische Entwicklung die USA etwas angeht ?

Was läßt eigentlich die deutsche Zuständigkeit – für die »Sicherung des Friedens«, für die politische Herrschaftsform in entlegenen Erdenwinkeln, für Konflikte zwischen kommunistischen Parteien verschiedener Ostblockstaaten usw. – so selbstverständlich erscheinen?

Mit welchem »Recht« beschließen politische Repräsentanten der Bundesrepublik zusammen mit befreundeten Regierungen über bevorzugte und zu verhindernde Regelungen einer »Weltwirtschaftsordnung« ?

Unter welchen Gesichtspunkten wird aus der selbstbewußten Beteiligung der Bundesrepublik an der Konkurrenz der Waffen eine Verteidigung der Freiheit, welche sich als unausweichliche »Reaktion« auf einen Arbeiteraufstand in Polen aufdrängt?

Warum entdeckt weder der gesunde noch der gelehrte Menschenverstand am Ost-West-Gegensatz, an der »Kriegsgefahr« (die alle Politiker hüben wie drüben bannen möchten, so daß man sich fragt, wer sie eigentlich heraufbeschwört!), am Gegensatz von arm und reich im Weltmaßstab, an Gastarbeitern und Ölstaaten, an der New Yorker Börse und an der Welthungerhilfe jenes Geschäft, das einmal bürgerliche wie sozialistische Theoretiker Imperialismus nannten?

Um die Beantwortung solcher Fragen, um die Analyse und Zurückweisung also gewisser ideologischer Gewohnheiten einer aufgeklärten Öffentlichkeit in Sachen Weltpolitik, geht es in Kapitel I dieses Buches – und damit um alles andere als bloße Ideologiekritik. Als praktisch gültig gemachte, in die Tat umgesetzte Weltanschauungen sind die ideologischen Botschaften, mit denen die Akteure des weltpolitischen Geschehens ihre Entscheidungen bekanntgeben und kommentieren lassen, nicht einfach nur Unwahrheiten, an denen ein maßgebliches Interesse besteht. Sie sind nach der einen Seite hin die Methode, nach der die wirklichen Subjekte der Weltpolitik sich ihre Vorhaben als Aufgaben definieren und entsprechend zu Werke gehen. Nach der anderen Seite hin stellen sie die Methode dar, nach der jene maßgeblich engagierten Statisten, ohne deren gehorsamen Einsatz die Macher des Weltgeschehens aufgeschmissen wären, die nützlichen Staatsbürger der tonangebenden Demokratien, mitmachen, was immer ihre frei gewählten Regenten von ihnen verlangen. So sind die Ideologien der Weltpolitik untrügliches Indiz und Gebrauchsanweisung der selbstherrlichen Freiheit derer, die für diese Welt so gern »die Verantwortung tragen«. Wer daher die Selbstdarstellung der internationalen Politik begreift, der verfügt zugleich über eine Diagnose der bedeutenden Fortschritte eben dieser Freiheit seit den Tagen, die heute im historischen Rückblick »Imperialismus« heißen, ausgerechnet weil die weltweite Zuständigkeit eines knappen Dutzend demokratischer Regierungen damals noch keineswegs eine ausgemachte Sache war: Dafür gab es noch eine Arbeiterbewegung, der und deren Theoretikern die außenpolitischen Manöver ihrer Nation genauso verdächtig waren wie die der anderen.

Sein Material entnimmt das Kapitel I der modernen bundesdeutschen Ideologie, wie sie von den angesehenen Politikern der Nation als die maßgebliche Interpretation ihrer Taten verkündet, von einer kritischen Öffentlichkeit verantwortungsbewußt variiert und »vertieft« wird. Zu »entlarven« gibt es hier nämlich genauso wenig wie »Hintergründe aufzudecken«. Nicht, was sich an nationalistischer Geheimbündelei, verdeckten Querverbindungen zwischen gewissen politischen Lagern, Geheimdiensteinflüssen usw. um das Geschäft und die selbstbewußten Methoden demokratischer Weltpolitik herumrankt, gibt die nötigen Aufschlüsse über deren Zwecke und Prinzipien, sondern das, was täglich in Zeitungen und Nachrichten als unskandalöser Normalfall des Weltgeschehens bekanntgemacht wird. Tatsächlich wird ja auch von den paar Skandalen, in deren Aufdeckung findige Journalisten ihren Ehrgeiz und Memoirenschreiber ihren Stolz als »Aufklärer« setzen, kein Mensch wirklich überrascht, weil sowieso ein jeder in dieser Sphäre mit allem rechnet und sich an nichts stört. Nicht an Informationen über das Weltgeschehen fehlt es dem betroffenen Staatsbürger von heute – das Nötige bekommt sogar der berüchtigte Bild-Zeitungsleser allemal mit –, sondern an der Bereitschaft, daraus andere als die öffentlich beliebten Schlußfolgerungen zu ziehen.

Abwechslung oder gar Abhilfe bietet hier auch die akademische Befassung mit den »Phänomenen« der Weltpolitik nicht. Beliebt und üblich sind hier auf der einen Seite die Schilderung von Wohlfahrt und Elend auf der Welt, die Dokumentation von wirtschaftlichen Wachstumsraten und Terms of Trade, die Anfertigung von Statistiken über den weltweiten Hunger und seine Zu- oder Abnahme, die Sammlung von Materialien über den globalen Waffenhandel usw. – gerade so, als fehlte immerzu und gerade noch eine letzte, noch exaktere, noch besser belegte Information für ein sachgerechtes Urteil über den Lauf der Welt. Dieser falschen Ehrfurcht vor den »Fakten«, deren Vielfalt und Veränderlichkeit kein politischer Wissenschaftler heute noch mit einer Erklärung zu nahe treten möchte, entspricht auf der anderen Seite die Ausarbeitung wissenschaftstheoretischer Bedenklichkeiten, des keiner weiteren Begründung bedürftigen abstrakten Zweifels an der Möglichkeit stichhaltiger Erklärungen der Weltlage, zu »hochdifferenzierten Forschungsansätzen«, die nur mehr einem Bedürfnis Genüge tun: dem nach der Demonstration eines unschlagbaren Problembewußtseins. Inwiefern diese theoretische Stellung zur Weltpolitik allein dazu angetan ist, deren harte Banalitäten nach den Kriterien eines modernen wissenschaftlichen Geschmacks in lauter überaus komplizierte, theoretisch kaum und praktisch schon gleich gar nicht zu bewältigende »Sachzwänge« umzudichten, zeigt der Abschnitt 5 des Kapitels I mit der exemplarischen Klarlegung gewisser in dieser Sphäre gepflogener Denkweisen. Der dort begründete Vorwurf einer die wissenschaftlichen Methoden bestimmenden Parteilichkeit für die Verhältnisse, die da einer wohlwollenden Umdeutung in lauter Probleme unterzogen werden – so als wäre alles Unerfreuliche auf dieser Welt ein Beweis für lauter gute Absichten, denen es leider im Wege steht –, ist durchaus als Absichtserklärung zu verstehen: Die Autoren dieses Buches haben nicht vor, ausgerechnet an den harten Praktiken der Weltpolitik für einen besonderen, originellen Gesichtspunkt Komplimente für die Erfüllung solch lieblicher methodischer Kriterien wie »Differenziertheit«, »Seriosität«, »Kenntnisreichtum«, »Durchblick«, »fortgeschrittenes Methodenbewußtsein«, »Problemsicht« usw. einzufangen.

Der das Kapitel I abschließende Exkurs zu dem Klassiker der marxistischen Imperialismustheorie, zu Lenins berühmter, kaum gelesener Schrift, rechnet dieser daher auch nicht die Verfehlung gewisser wissenschaftstheoretischer Vorschriften vor, sondern kritisiert die falschen Argumente, mit denen dieser revisionistische Revolutionär gegen die Friedensbewegung innerhalb der damaligen Sozialistischen Internationale zu Felde gezogen ist. Damit wird zugleich umgekehrt klargestellt, inwiefern der Idealismus des Friedens das letzte und härteste Argument gegen jede Erklärung des Imperialismus hergibt, also auch, warum die wieder aktuell gewordene »Friedenssehnsucht« so gründlich staatsbürgerlich-untertänig ist.

2. Es sind also keine differenziert konstruierten Probleme, deren Lösungsmöglichkeiten angesichts unerbittlicher Sachzwänge das vorliegende Buch ausloten will, schon gar nicht solche der »Konfliktvermeidung«, jenes ganz und gar fiktiven Zwecks, an den Politiker ihre Untertanen und Politologen ihre Leser und Hörer so gern als Grundprinzip von Weltpolitik glauben machen möchten. Es sind ziemlich allgemein bekannte, jedenfalls zur Genüge bekanntgemachte Tatsachen, deren Erklärung die Kapitel II, III und IV sich widmen.

Wie abhängig die bundesdeutsche Wirtschaft sei von lauter weltwirtschaftlichen Bedingungen – vom Export, aber auch vom Import, von der Stärke ihrer Mark, die aber auch nicht zu stark sein darf, von amerikanischen Zinssätzen und japanischer Konkurrenz –, bekommt ein Zeitungsleser und Fernsehzuschauer beliebig oft mitgeteilt. Dabei könnte ihm zwar schon bisweilen aufgehen, was für eine schillernde Angelegenheit diese in wechselndem Tenor beschworene »Abhängigkeit« des Erfolgs der Nation ist: Ist eine »starke D-Mark« denn nun gut oder schlecht? Wenn US-Zinsen und Japanerfleiß sich auf bundesdeutsche Wachstumsraten auswirken: setzt das nicht bundesdeutsche Geschäftsleute voraus, die sich des Dollars und fernöstlicher Mikroelektronik für ihren, also doch wohl auch für irgendeinen nationalen Geschäftsvorteil bedienen? Hängt Kenia vom bundesdeutschen Kaffeeimport ab, oder der deutsche Kaffeetrinker von der kenianischen Kaffee-Ernte, oder ist dieses Verhältnis womöglich mit der methodischen Vokabel »Wechselwirkung« auf den Begriff gebracht? Ist es nicht ein Unterschied, ob ein Land Öl verkauft oder ein Großunternehmen Raffinerien?

Selbst mit der »Erkenntnis«, daß die »Abhängigkeit« der nationalen Ökonomien voneinander sich bisweilen sehr einseitig gestaltet, ist allerdings noch nicht viel gewonnen; schon gar nicht, solange man sich jenes ominöse Ding namens »Weltmarkt« nach Analogie eines Kaufhauses zu erklären sucht. Wie sich mit kleinen grünen Schuldzetteln ein ganzes gesellschaftliches Produktionsverhältnis in alle Welt exportieren läßt – Abschnitt 3 –, vorausgesetzt, alle »Machtfragen« sind klar und eindeutig beantwortet – Abschnitt 1 –, von denen der »friedliche Austausch zum wechselseitigen Vorteil« in der modernen Welt noch allemal seinen Ausgang nimmt und die er folgerichtig auch immer wieder auf die Tagesordnung setzt – Abschnitt 2 –, und zwar gerade dort, wo es den Nationen verboten ist, die »Machtfrage« untereinander überhaupt mit letzter Konsequenz aufzuwerfen – Abschnitt 4 –; und wie die Armut ganzer Nationen beschaffen ist, die der weltweite Einsatz des überschüssigen Reichtums der Geschäftswelt einiger weniger Nationen in all seiner Wucht nie aufhebt, sondern zu immer neuen Blüten treibt – Abschnitt 5 –: das sind die Themen des Kapitels II. Freunde und Skeptiker des »Europagedankens« werden da ebenso mit einigen Klarstellungen konfrontiert wie Kritiker einer »Weltwirtschaftsordnung«, an der sie den Goldstandard oder dessen Preisgabe, feste Wechselkurse oder flexible, die Multis oder auch einen zu geringen »Kapitaltransfer«, einen »ungerechten Tausch« oder »strukturelle Ungleichgewichte« in den Sachgesetzen der terms of trade, das »laissez-faire« oder eine »Vermachtung der Märkte« als Mangel oder Dilemma ausgemacht haben wollen.

Daß imperialistische Politik den Geschäftsinteressen tatkräftiger Kapitale einer Nation dient, heißt alles andere, als daß sie und ihre Macher Knechte des kapitalistischen Schachers wären. Ihrer Gesellschaft nützlich ist eine bürgerliche Staatsgewalt gerade kraft der Souveränität, mit der sie nach außen agiert, ganz jenseits aller Rentabilitätskriterien der Geschäftswelt, der sie damit den Weg bahnt. Damit die Welt zum Markt wird und einer bleibt, haben die Hauptakteure des Weltgeschehens nach dem vorigen Weltkrieg unter der Oberhoheit des großen Siegers nicht zufällig ein schon in Friedenszeiten sehr tatkräftiges Bündnis für den »Verteidigungsfall« geschlossen und mit Leben erfüllt. Sie rüsten für einen Krieg, der sich ganz bestimmt nie bezahlt macht – dessen Vorbereitung sich aber dennoch lohnt, weil so dafür gesorgt ist, daß die sozialistische Ausnahme von der zum Markt gestalteten und kontrollierten Welt eine unerfreuliche Ausnahme bleibt. Das Kapitel III erklärt in Abschnitt 1 die Logik des imperialistischen Gewaltapparats, den die USA und ihre Verbündeten sich für diesen Zweck zugelegt haben, und in dem Zusammenhang auch, weshalb die seit Beginn der achtziger Jahre offiziell und öffentlich widerrufene trostreiche Illusion, ein Atomkrieg wäre »nicht führbar«, auch schon vor der Erfindung von Neutronenbombe und cruise missile nichts als eine trostreiche Illusion war.

In Abschnitt 2 dieses Kapitels wird endgültig jeder fündig werden, der die republikanische Gesinnungstreue des Buches nach dem hierzulande so beliebten seriösen und hochdifferenzierten Kriterium einer unmißverständlichen Verurteilung der Sowjetunion überprüfen möchte. Denn dort wird weder die weltpolitische Schuldfrage so gerecht aufgerollt, daß per saldo ein Dank an die westlichen Staatsgewalten für den Schutz – trotz allem! – vor östlichem Unmenschentum herausschaut, noch jene zunehmend beliebte Form antisowjetischer Hetze gepflegt, die dem gegnerischen »System« seine hoffnungslose Ineffizienz vorrechnet und so den Beweis führt, daß es gar nichts anderes mehr als seinen alsbaldigen Untergang verdient. Stattdessen wird die »Systemfrage« einmal theoretisch ernst genommen und die unerhörte Behauptung begründet, daß der sowjetische Staat in seinem Bemühen um Anerkennung durch die maßgeblichen Mächte, die ihn zum Hauptfeind erklärt haben, nichts als einen falschen defensiven Antiimperialismus praktiziert.

Die – alten oder nachträglichen – Freunde der Entspannungspolitik wird vielleicht noch mehr der in Abschnitt 3 geführte Nachweis ärgern, inwiefern der amerikanische Beschluß, dieses goldene Zeitalter zu beenden, die für imperialistische Politiker unabweisbare Konsequenz aus der Tatsache darstellt, daß sie sich in dieser Ära so erfolgreich um eine für sie günstige Korrektur des weltweiten Kräfteverhältnisses bemüht haben. Schließlich hat der Westen in dem besagten Jahrzehnt nicht bloß neue Maßstäbe für eine moderne Waffentechnik gesetzt. Er hat auch eine der Sowjetunion allenthalben feindliche Sortierung und Ordnung der gesamten Staatenwelt durchgesetzt und zementiert; daß dieser Sachverhalt mit der Aufzählung von »imperialistischen Eroberungen«, durch die sich die Sowjetunion von Afghanistan bis nach Jemen ausgedehnt haben soll, aufs heftigste dementiert wird, kann nur die Zweifel an der »Friedensliebe« derer bestärken, denen der freie Westen immer noch zu klein ist, weil nicht alles zu ihm gehört. Zur selben Zeit ist außerdem die friedliche Benutzung slawischer Wirtschaftskraft, um die vor allem die bundesdeutsche Friedenspolitik sich so verdient gemacht hat, fortgediehen bis zur »naturwüchsigen« Zersetzung der Produktionsweise, mit der die revisionistischen Staaten sich einst aus dem kapitalistischen Weltmarkt ausgegliedert haben. Dem imperialistischen Erpressungsgeschäft der freien Welt hat so der Osthandel, der in Abschnitt 4 behandelt wird, ein zusätzliches Arsenal politischer Waffen verschafft, von dem die kalten Krieger ehedem nicht einmal zu träumen wagten. Damit steht, so oder so, die »Befreiung« des Ostblocks auf der Tagesordnung – für die betroffenen Völker, wie am »Fall Polen« in Abschnitt 5 des Kapitels III gezeigt wird, kein Glück, sondern ausnahmslos und in jeder Hinsicht ein entschiedenes Pech!

Kapitel IV schließlich widmet sich der Erklärung einiger Tatsachen, die das unmittelbar betroffene Publikum besser nicht wie Selbstverständlichkeiten hinnehmen sollte – z. B. der folgenden:

Entgegen allen Regeln diplomatischer Höflichkeit wird die Good-will-Tour des sowjetischen Staatschefs an den Rhein von der besuchten bundesdeutschen Führungsmannschaft zu einer einzigen Demonstration westlicher Intransigenz ausgestaltet; einer Unnachgiebigkeit, an der der Sowjetmensch sogar mit seinem Angebot eines ziemlich einseitigen Rüstungsmoratoriums voll aufläuft. Sein Nachfolger hat es mit einem deutschen Kanzler zu tun, der die von ihm abgelöste Regierung Schmidt bezichtigt, sich als »Vermittler« zwischen den Weltmächten aufgespielt zu haben und dabei von den unverzichtbaren Prinzipien westdeutscher Außenpolitik abgerückt zu sein. Die Regierung Kohl sieht die Bedingungen für die »Nachrüstung« allemal für erfüllt an, sie duldet nicht einmal den modisch gewordenen Schein eines Vorbehalts und das heuchlerische »leider« der Opposition. Vielmehr besteht sie ohne Umschweife auf den Maßnahmen, auf deren öffentliche »Begründung« die sozialliberale Koalition so viel Mühe verwandt hatte.

Die Vorhaben der Bundesregierung in Sachen Militär werden von allen Parteien als unausweichliche »Reaktion« auf Afghanistan, Polen und die Existenz sowjetischer Waffen gehandelt. Die SS 20-Raketen, die die bundesdeutschen Politiker angeblich um ihre Souveränität fürchten lassen, gelten als erstklassige Argumente für die ohnehin längst beschlossene Herstellung eines strategischen »Gleichgewichts« ganz speziell zwischen Westeuropa und dem Ostblock. Rüstungsdiplomatie findet nur noch in ultimativer Form statt; der Klartext der »Null-Lösung« wird offiziell mit »einseitiger Abrüstung der Sowjetunion« angegeben; die Befürwortung von Verhandlungen, die das und sonst nichts zum Inhalt haben, läuft als diplomatischer Restposten des sozial-liberalen »Entspannungswillens« – und selbst dieses einst so schöne Etikett unterliegt innenpolitisch wie diplomatisch einem rasanten Kursverfall.

Die Kosten der bundesdeutschen Teilnahme am NATO-Programm der achtziger Jahre, für die die Reagan-Regierung mit ihrem 1500-Milliarden-Dollar-Rüstungsvorhaben gewisse Maßstäbe setzt, werden unter dem Titel »Sparhaushalt« rücksichtslos eingetrieben. Den entsprechend verschärften Ansprüchen an Leistungskraft und Erfolg des bundesdeutschen Unternehmertums kommt dieses so energisch nach, daß die überflüssig gemachten Arbeitskräfte nach Millionen zählen. Die Konsequenzen, die für auf »Verantwortung« abonnierte Politiker unter solch mißlichen »Umständen« – als vorgefundene und zu bewältigende »Lage«, als eine einzige Ansammlung von »Krisen« definiert ein Staatsmann noch stets das Resultat seiner eigenen Werke – unausweichlich sind, hat zunächst noch die Sozialdemokratie ziehen dürfen. Vom »Problem Nr. 1«, der Arbeitslosigkeit, in ihrer sozialstaatlichen Verantwortung gefordert, hat sie Steuererhöhungen und ‑erleichterungen, Zuwendungen an die einen und Ersparnisse an den anderen verfügt und die Opfer, die sie den »sozial Schwachen« auferlegt hat, mit dem Titel »Beschäftigungsprogramm« versehen. Ihre Politik wird inzwischen fortgeführt von einer neuen Regierung, deren »geistige Führung« schon immer auf die Anwendung des Glaubensgrundsatzes bedacht war, daß den von »der Wirtschaft« Abhängigen auch die Rettung der Wirtschaft obliege. Seit dem Machtantritt der christlichen Retter der Nation weiß nun jeder, der es wissen will, daß die alte Regierungspartei und neue Opposition keinen einzigen Einwand gegen den schonungslos praktizierten Nationalismus und seine Maßstäbe hat, sondern höchstens Bedenken der Art vorbringt, ob denn die »Wende« auch den allseits verehrten Zielen der Nation so effektiv zur Durchsetzung verhelfe, wie es ihre Protagonisten behaupten.

Der prinzipiellen Einigkeit aller Demokraten eingedenk, hat sich die professionelle Öffentlichkeit auch gleich heftig auf Methodenfragen des Machtwechsels verlegt und den Sturz der sozial-liberalen Koalition nicht so sehr mit lästiger Kritik am Inhalt der Politik konfrontiert. Wie selbstverständlich rangierten Stilfragen vor der Beurteilung ihrer Vorhaben, die – ausnahmslos dieselben wie die der Vorgänger – nun endgültig als unwidersprechliche Essentials deutschen Strebens an der Seite der USA, und als lauter schwere Aufgaben dazu, anerkannt sind.

Immerhin ist bei der Veranstaltung namens »Wende« eine Wahrheit unter die Leute gebracht worden. Mit dem Beschluß, Neuwahlen abzuhalten, und den höchstamtlichen Kommentaren zu Sieg und Niederlage ist nämlich der Nutzen von Wahlen klargestellt worden: sie machen eine Regierung »stabil«, weil mit der Abgabe der Stimmen die neuen Amtsträger zu ungestörtem Regieren, zur gewissenhaft-rücksichtslosen »Handlungsfreiheit« ermächtigt sind.

Und diese Freiheit wird auch kompromißlos genutzt, für eine »Politik der Wende«, der es offenbar nicht schwerfällt, auf den innen- und außenpolitischen Errungenschaften von »13 Jahren Sozialismus« aufzubauen. Mit ökonomischen und militärischen Mitteln ausgestattet, die weltweit ihre Wirkung tun und alles andere verraten als die »Erblast« eines Verrats an der Sicherheit, den Finanzen und dem Zutrauen der Bürger zur Nation, widmet sich die neue Regierung der Aufstellung von Raketen, hält – ganz im Vertrauen auf im Rahmen der NATO erreichte Weltgeltung – die »deutsche Frage nicht nur theoretisch offen«, benützt die Arbeitslosen als Rechtstitel auf jedes weitere Opfer, das ihr einfällt, und sie erinnert in ihren Anstrengungen zur »politischen Willensbildung« an die Leistungen, die während der Nachkriegszeit ihren Untertanen das Leben so opfer-, also sinnvoll und den C-Regierungen das »Wirtschaftswunder« so erfolgreich gestaltet haben.

Das alles hält die offiziell geachtete Vertretung der Opfer – sowohl des »Wirtschaftswunders« wie des »Modells Deutschland« –, die westdeutsche Einheitsgewerkschaft, für notwendig, so daß sie in Tarifrunden die Löhne der Lohnabhängigen der »Wirtschaft« und dem Fiskus zur Disposition stellt und Verständnis für sämtliche sicherheitspolitischen Ziele von Polen bis Südafrika pflegt.

Das alles hat sogar dahin geführt, daß eine Friedensbewegung, die in militärischen und »Umwelt«dingen vom Mißtrauen gegen die Regierenden ausgegangen ist, als einzig nennenswerter Repräsentant von Kritik geführt wurde. Nach ihrem Wahlerfolg haben die Grünen den Weg zur konstruktiv-parlamentarischen Sorge um das Wohl der Nation zwar auch der Form nach gefunden, gelten aber anhand der akribisch registrierten Verstöße gegen politische Sitten immer noch als die einzige Störung im ansonsten stabilen Betrieb der NATO-Macht BRD, in dem einige Sicherheitsdienste mit der Überwachung und Unterwanderung der wenig zahlreichen Linken betraut sind.

Das alles ist zwar nicht ohne seine Logik, aber keineswegs »nicht anders möglich«! Und gut, wahr und schön, gar einem historischen »Schicksal« geschuldet ist das Zusammenspiel von Machern und Mitmachern schon gleich gar nicht.

3. Gegen den so verbindlich gestalteten Glauben an verordnete und gebilligte »Notwendigkeiten« findet sich im vorliegenden Buch mancher Einwand. Der vorliegende Text wurde im Frühjahr 1983 fertiggestellt. Die aktuellen Fortschritte der »Weltlage«, deren Prinzipien hier analysiert werden, sind Gegenstand der von den Autoren mitbetreuten Politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt.

© 2023 GegenStandpunkt Verlag

I. Von den Leistungen des weltpolitischen Sachverstandes und seinen Grundlagen

In Staaten, die demokratisch mit ihren Untertanen verfahren, gehört es zur guten Sitte, daß die Regierungen den Regierten zu den Taten, die sie ihnen bescheren, auch noch eine plausible Deutung liefern und daß die so am politischen Geschäft beteiligten Bürger sich das Ihre dazu vordenken lassen und nachdenken. Das Einverständnis zwischen Staatsmännern und Volk, das sich in ordentlichen Demokratien auf diese Weise einstellt, ist deswegen sehr stabil, weil es nicht von der Überzeugungskraft, geschweige denn von der Wahrheit der von oben nach unten vermittelten Einschätzungen und Lagebeurteilungen abhängt. Es beruht auf der beiden Seiten sehr geläufigen Methode, die Abhängigkeit der Bürger von ihrem Staat als guten Grund für eine Parteinahme für ihn zu behandeln.

1. »Unsere Interessen«

Politiker sind ständig damit beschäftigt, sie zu wahren und durchzusetzen. Sie machen sie militärisch aus an Stützpunkten von Freund und Feind, an erhaltenen, in Frage gestellten und zu schaffenden, definieren ihre Unverzichtbarkeit nach Breitengraden und messen den gesamten Globus aus, um nur das eine klarzustellen: Wo ist die Präsenz eigener Soldaten samt Gerät unverzichtbar, wo darf die Präsenz von Truppen des anderen Lagers nicht hingenommen werden. Während ein Flugzeugträger mit Sowjetstern am Bug eine »Gefahr« darstellt, dient das entsprechende Gefährt mit amerikanischem Heimathafen allemal der Verteidigung »unserer Interessen«. Und die reichen nicht nur um die ganze Welt – sie reichen auch als moralischer Ausweis für die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Anhäufung von Rüstungspotential, dessen Wucht so gerne in Vergleichen mit Dresden und Hiroshima vorstellig gemacht wird. Dazu ist nicht einmal die leiseste Andeutung bezüglich der Beschaffenheit jener Interessen vonnöten: Das Argument liegt im »unsere« und der nachdrücklichen Behauptung, daß es sie gibt. Und daß das, was in jeder Weltgegend zu verteidigen ist, einem russischen Interesse jede moralische Würde abspricht – daß dergleichen also andere zu nichts berechtigt –, ist eben damit auch schon gesagt. Die Ausschließlichkeit ist beschlossene Sache, und als solche wird sie mitgeteilt. Wenn das, was es zu schützen gilt, nicht existent und wichtig und auch für andere von – natürlich zweifelhaftem – Interesse wäre, hätte ja auch die Drohung mit militärischer Gewalt keinen Sinn, oder? So zumindest lautet die Logik des Strategen. Und er ist auch in dem Punkt skrupellos ehrlich: Wer mehr zu verteidigen hat, braucht auch viel mehr Waffen.

In ihren politisch-diplomatischen Entdeckungsreisen wird dieselbe Logik genauso fündig. »Unser Interesse« führt da ohne große Umstände zur Anerkennung einer Regierung in fernen Landen, oder auch zur Ächtung eines Regimes. Und »Anerkennung« ist in der Diplomatie keine theoretische Kategorie – das moralische Verdikt steht da allemal für die Aufnahme von »Beziehungen«, aus denen eine fremde Regierung wie auch immer geartete Vorteile und Nachteile bei der Abwicklung ihrer Herrschaft erfährt. Mit der Aberkennung der Vertragswürdigkeit geht einher, daß auch keine Verträge geschlossen und erfüllt werden – und ein entsprechend geächteter Staat kann weder auf Maschinengewehre rechnen noch auf Kredite oder auf die geregelte Erledigung des Heringsfangs vor seiner Küste. Und weil in der praktischen Beurteilung auswärtiger Herrschaftsgestaltung der Anspruch geltend gemacht wird, das Regieren dortzulande möge entweder »unserem Interesse« gemäß ablaufen oder es habe mit Schwierigkeiten zu rechnen, pflegt diese Sorte »Einflußnahme« damit begründet zu werden, daß es sich keineswegs um die Techniken der Erpressung handelt, sondern um die Wahrung des Einflusses, auf den die eigene Nation angewiesen ist. So erscheint die Respektierung eines auswärtigen Souveräns als Folge der Nützlichkeit, die man von ihm aber erwarten darf, weil man von brauchbaren Staaten in der Welt abhängig ist: So ist »Abhängigkeit« schließlich dasselbe wie ein unverzichtbarer Nutzen, auf dessen Erstattung ein Staat unter Anwendung der ihm zu Gebote stehenden Mittel besteht. Nie käme ein demokratischer Staatsmann der Bundesrepublik darauf, seine Reisen zu gewählten wie ungewählten Staatsoberhäuptern mit dem Verdikt der »Einmischung« zu belegen, auch wenn er die erwünschten Beziehungen an noch so viele Bedingungen außen- und innenpolitischen Wohlverhaltens knüpft. Einer »Einmischung« aber machen sich diejenigen schuldig, die nicht einmal den Beweis dafür erbringen können, daß bestehende Interessen vorhanden sind; die also auch zu Recht keine Verletzung derselben monieren können, so daß ihnen gegenüber der Grundsatz der »Nicht-Einmischung« hochgehalten wird und zur Anwendung gelangt, auf den alle Souveräne dieser Welt ein Recht besitzen.

Die Logik der internationalen Diplomatie steht somit der von Strategen in nichts nach. »Unsere Interessen« gebieten und rechtfertigen Gewalt, ebensolches gilt für vor-militärische Einflußnahme – überall dort, wo es sich um eine »Einflußsphäre« handelt. Die ökonomische Besichtigung der Welt, die aller Herren Länder dem Maßstab unterwirft, ob sie über Import und Export zum Partner der heimischen Wirtschaft taugen, ob sie zu einer weitergehenden Zusammenarbeit fähig oder willens sind, die sich lohnt, vervollständigt diese Logik. Auf diesem Gebiet, wo der Materialismus der Nation in Geld beziffert wird, will allerdings die platte Gewinn- und Verlustrechnung noch weniger auf ihre höhere und tiefere Bedeutung verzichten: Das internationale Geschäft ist nicht nur nützlich, sondern auch gut. Der eigene Vorteil wird von den Repräsentanten des nationalen Wirtschaftswachstums um so mehr in den gemeinsamen Nutzen der »Partner« übersetzt, als das Interesse der fremden Nation die Höhe jener Ziffern beschränkt, auf die es ankommt. So steht gerade beim Schacher um Zölle, Lieferbedingungen, Zahlungsweisen, Kredite und Investitionen immer wieder die Klage über die Abhängigkeit an, in der man sich vom »Partner« befindet; da erscheint »unser Interesse« umstandslos als »Ohnmacht«, die durch die mächtige Position eines Konkurrenten – der etwas zu verkaufen, zu verzollen, zu importieren und zu investieren hat – schamlos ausgenützt wird. Und die Staatenwelt wird gemäß den Konditionen, die sie sich aufherrschen läßt, sortiert. Ihr Umgang mit Geld, Ware und Kapital im grenzüberschreitenden Verkehr gewinnt da noch allemal die Qualität eines guten Willens zur Zusammenarbeit, einer Störung der üblichen Gepflogenheiten auf dem Weltmarkt oder – eines untragbaren Verstoßes gegen die Freiheit des internationalen Geschäfts, auf das »wir alle« angewiesen sind. Und auch solche Beurteilungen sind keine Meinung von Beobachtern des modernen Weltgetriebes, sondern die praktizierte Vernunft von Staatenlenkern, die den Weltmarkt durch ihre Entscheidungen gestalten.

Die Methode, nach der moderne Staatsmänner ihre weltpolitischen Aktionen »begründen« und durchführen, verrät nicht wenig über das Ausmaß an Freiheit, das sie als Souveräne genießen. Niemandem sonst ist es im bürgerlichen Leben gestattet, sein Interesse als Argument für die Anwendung von Gewalt geltend zu machen – den Repräsentanten eines Staates ist dergleichen selbstverständlich. Auch die Drohung mit Gewalt im Namen des Eigennutzes gegenüber anderen, die sich der »Einmischung« in die eigene »Einflußsphäre« schuldig machen, ist eine Gepflogenheit, in deren Genuß nur Volksvertreter kommen, ohne in den Verdacht zu geraten, den freien Willen und die Menschenwürde zu mißachten. Was im gesellschaftlichen Leben innerhalb ihres Staates jedem Individuum versagt ist – der Gebrauch von Gewalt zur Erreichung eines Vorteils – und von der öffentlichen Gewalt als Verbrechen verfolgt wird, gilt im Verkehr zwischen Staaten als gute politische Sitte. Und daß sie in der Verfolgung ihres nationalen Interesses, in der Mehrung des Reichtums, pflichtgemäß handeln, also die moralische Legitimation besitzen, die gesamte Staatenwelt samt ihren Völkern in ihre Berechnungen einzubeziehen, unterscheidet sie auch gewaltig von gewöhnlichen Bürgern des 20. Jahrhunderts. Staatsmänner, die jede außenpolitische Maßnahme als Reaktion auf Geschehnisse in der Welt, auf ihnen passende oder unliebsame Werke anderer darstellen, handeln in der Gewißheit, daß sie alles angeht: ihrer Zuständigkeit sind keine Grenzen gesetzt, weil die Welt das Material ihrer Souveränität ist. Deswegen sind sie auch von allem, was andere tun und lassen, betroffen.

2. »Wir«

Das alles hat mit privatem Eigennutz nichts zu tun. Wenn die Repräsentanten einer Nation von »politischem Gewicht« wie Erpresser zu Werke gehen und Gewalt als das ihnen zustehende Mittel handhaben, dann erstreckt sich ihre Zuständigkeit auf den politischen und ökonomischen Erfolg des Staates, dem sie vorstehen; und dasselbe gilt für ihre Betroffenheit im Falle von Mißerfolgen, auch wenn es zur guten Sitte gehört, das persönliche »Schicksal« mit dem Gelingen auch der außenpolitischen Amtsgeschäfte zu »verknüpfen«. Die Demokratien des freien Westens – und von ihrem Gebaren in der Weltpolitik ist bisher die Rede – haben nun einmal mit den in Diktaturen noch üblichen Bräuchen aufgeräumt, ihre erfolglosen Führer nicht nur aus dem Amt, sondern auch aus dem Leben zu befördern. Wenn ein deutscher Kanzler von Gipfeltreffen aller Art mit unliebsamen Maßnahmen des mehr oder minder befreundeten Auslands zurückkehrt, dann mag schon das demokratische Verlangen nach einem Regierungswechsel laut werden; er wird sich aber bei der Bekanntgabe seiner »Reaktion« hüten, sein persönliches Wohlergehen zum Maßstab der »Lage« und der »fälligen Entscheidungen« zu erheben. Mit dem Pluralis maiestatis hat es schon eine eigene Bewandtnis.

Angenommen, der führende Mann einer führenden demokratischen Nation beschließt wegen »unserer Interessen« samt seinem Kabinett, daß wir im Verein mit unseren amerikanischen Freunden aufrüsten müssen, so macht er gar kein großes Geheimnis daraus, daß nach der Verkündung des Beschlusses seine Zuständigkeit erledigt ist und seine Betroffenheit durch die gefährliche Weltlage, die tiefe Sorge, die ihn erfüllt, eine Frage der Selbstdarstellung wird. Er verbreitet sogar öffentlich nicht nur die Gründe für seine Entscheidung, sondern auch deren Konsequenzen: Das Kriegsgerät will erstens bezahlt sein und zweitens bedient. Und damit hat auch das Volk, von dem alle Macht ausgeht, seine Rolle in der Militärpolitik zugewiesen bekommen. Für die Bezahlung steht es im Rahmen eines »Sparhaushalts« gerade, durch den sich die Regierung einerseits Auslagen in dem Bereich erspart, in dem sie unter dem Titel »Sozialstaat« die Lohnabhängigen Woche für Woche zum Sparen für die Wechselfälle der Lohnarbeit verpflichtet. Andererseits setzt derselbe »Haushalt« neue Bedingungen fest, was das Wachstum »der Wirtschaft« betrifft. Auch hier, bei den wirtschaftspolitischen Richtlinien, ist auf Seiten der Staatsverantwortlichen nirgends ein Anflug von privater Gewinnsucht zu bemerken. Sie bemühen sich lediglich und ganz besonders wegen ihrer außenpolitischen Aufgaben um den Geschäftsgang innerhalb ihrer Nation. Die Argumente, welche die Herren Minister stündlich in den Medien vorzubringen Gelegenheit bekommen, sind sehr sachlich: Sie bekräftigen nämlich im Namen der Betroffenen das nationale »wir«! Der erste Betroffene ist der Staat selbst – und von dessen Wohlergehen sind gerade und vor allem Rentner, Arbeitslose und Inflationsgeschädigte, die »sozial Schwachen« eben, abhängig. Beweis: Stünde es um die Staatsfinanzen besser, müßte die Regierung die »sozialen Leistungen« nicht kürzen. Schöner und demokratischer lassen sich die Interessen der Geschädigten nicht mit den Bedürfnissen der Instanz zusammenschließen, die gerade die Schädigung ins Werk setzt!

Der zweite Betroffene ist »die deutsche Wirtschaft«, von deren Leistungskraft der Staat wiederum abhängig ist. Aber nicht nur das: seine Anstrengungen, der in seinem Hoheitsgebiet kalkulierenden privaten Geschäftswelt zum Erfolg zu verhelfen – und dafür hat der Staat durchaus etwas Geld übrig –, sind im Grunde genommen eine einzige Unterstützung der Bürger, die von ihrer Arbeit in der »deutschen Stahl- und Automobilindustrie« leben. Die Auswirkungen des »Sparprogramms« – seit 1983 gibt es an die drei Millionen Arbeitslose und auch sonst einiges an statistisch erfaßter Armut mehr – läßt niemand als Dementi dieser Botschaft gelten. Im Gegenteil: sie erfreuen sich der öffentlichen Kenntnisnahme als weiteres Problem, dessen der Staat mit seinem Finanzgebaren Herr zu werden hat. Er führt es also fort; und die Erhöhung der Mineralölsteuer, der Mehrwertsteuer, neue Freiheiten für Grundbesitzer, die dem Volk eine neue Heimat vermieten, all das läuft seit 1982 unter dem Titel »Beschäftigungsprogramm«. Ganz gleich, ob die einschlägigen Meldungen über aus dem Ausland kommende Geschäftsschädigung noch erwähnt werden oder nicht – die bundesrepublikanische Liste ist in ihrer Eintönigkeit jedem Bild-Leser genauso vertraut wie den Kennern seriöser Wirtschaftsteile –, »wir« müssen alles in unserer Macht Stehende tun, damit die Kalkulationen deutscher Unternehmen wieder aufgehen. Mit dieser Sorte Logik lassen sich aus „Sachzwängen«, die den Widrigkeiten des Weltmarktes locker zu entnehmen sind, die Opfer ableiten, die »wir alle« im eigenen Interesse auf uns nehmen müssen.

Der dritte Betroffene ist die arbeitende Mehrheit der Nation. Sie ist unter dem Titel »Lohnabhängige« ebenso zuständig für die Weltpolitik wie als »Verbraucher«, »Sparer«, »Sozialpartner«, »Nutznießer des sozialen Netzes« und als Soldat. Wenn »uns« die Russen zu verstärkten Verteidigungsanstrengungen herausfordern, wenn »uns« die Japaner den Automobilmarkt streitig machen, die Franzosen das Stahlgeschäft verhindern, die Scheichs das Öl verteuern oder die US-Regierung die Zinsen hochhält – es gibt nichts im internationalen Hin und Her, was nicht durch die Leistungen des gewöhnlichen Volkes und seine Bereitschaft zur Minderung seiner Ansprüche geregelt werden könnte und müßte. In seiner ganzen Ohnmacht gegenüber den Machenschaften des Auslands verfällt deswegen ein regierender Anhänger der Demokratie auf den einzig vernünftigen Gebrauch seiner Macht: Er hält sein Volk zum Arbeiten und Sparen an, verleiht seinem Appell die Kraft eines gültigen Gesetzes, dem sich niemand entziehen kann – und pflegt öffentlich seine Betroffenheit über die Entwicklungen in der Weltpolitik wie auf dem Weltmarkt. Er benennt Schuldige und wirft sich in die Pose eines Kenners der weltpolitischen Szenerie, an deren Verhängnissen er nie mitwirkt, wiewohl er an ihren Resultaten laboriert...

An der Offenheit, mit der Politiker das außenpolitische »wir« nach innen durchsetzen – die vorstehenden Zeilen sind schließlich fast wörtlich in jeder Stellungnahme und in jedem Kommentar aufzufinden –, ist freilich nicht die Weisheit interessant, die in einer funktionierenden Demokratie des freien Westens als Inbegriff der Kritik gefeiert wird. Daß der »kleine Mann« alles ausbaden müsse, ist eine wohlfeile Ideologie, die dem Verhältnis von Staat und Volk in der Bundesrepublik ebensowenig seine Wahrheit vorrechnet wie in einer anderen »Wirtschaftsmacht« diesseits und jenseits des Atlantiks. Die Differenzierungen, die das nationale »wir« erfährt, sooft eine Regierung nach innen auf ihm besteht und die Weltlage, also das Vorgehen anderer Nationen, als unwidersprochenen Grund heranzieht, zeugen von etwas ganz anderem. Im internationalen politischen Gewerbe spielt das gewöhnliche Volk daheim nie eine andere Rolle als die eines Mittels, auf das ein Staatsmann schon beim Antritt seiner Reisen in ferne Länder setzt, weil es verfügbar ist und ihm seine diplomatische Handlungsfreiheit im Umgang mit Freund und Feind verschafft hat. Eine politische Herrschaft, die sich ihrer Basis nicht sicher ist, die keine »leistungsfähige Wirtschaft« hinter sich weiß, die im Innern ihrer Nation die Abhängigkeit von Millionen von ihrem Arbeitsplatz nicht so effizient geregelt hat, daß sich das in ökonomischem, politischem und militärischem Gewicht niederschlägt – eine solche politische Führung würde sich jedenfalls mit ihrem Nationalismus auf jedem Wirtschaftsgipfel blamieren. Und schon gar nicht könnte sie den Zweck ihrer weltweiten Erpressungskunststücke hinterher als gemeinschaftliches Interesse der Nation verkaufen, indem sie dem Volk seine Opfer in Fabrik und Kaserne als traurige Wirkung ausländischer Machenschaften verschreibt. Denn die Argumente, mit denen ein deutscher Kanzler die Notwendigkeit vom sparsamen Umgang mit ihnen, von mehr Leistung (»Die Deutschen sind verwöhnt!«) und vom abzustellenden Mißbrauch eingezahlter Versicherungsgelder mehr ein- als ableitet, taugen nicht zur Überzeugung – geglaubt werden sie nur dann, wenn die Abhängigkeit vom Staat und von denen, die »die Wirtschaft« heißen, praktisch akzeptiert ist. Nur wenn der diesbezügliche Dienst eines Volkes unabhängig davon, ob er sich für die Betroffenen lohnt, in der schönsten Regelmäßigkeit abgewickelt wird und die politischen Vertreter des Volkes mit dem Reichtum als Verhandlungsmasse ausstattet, der ihnen die Freiheit gibt, auf die Brauchbarkeit jeder erdenklichen Sorte Ausland zu dringen; nur wenn die Zuständigkeit einer Regierung für alle Regungen auf dem Erdball in einer heimatlichen Manövriermasse gründet, kann sich ein Politiker die Unverschämtheit zulegen, die Schädigung der deutschen Interessen – »Export- und Ölabhängigkeit«, »Polen«, »Afghanistan«, »amerikanische Zinsen«, »französische Stahlsubventionen« usw. usw. – als guten Grund für die Schädigung seiner Untertanen zu propagieren, und letztere umstandslos als Weg des nationalen Erfolgs per »wir« mit politischem Sachverstand ins Werk setzen.

Es ist die Gewohnheit der Souveränität, die Politiker so ehrlich werden läßt, den Gegensatz zwischen dem außenpolitischen Erfolg der Nation und dem Interesse der ihr untergeordneten Mehrheit von Leuten, die eine leichtere Arbeit und ein besseres Leben durchaus brauchen können, auszusprechen – als schönsten Beweis für ihre Fähigkeit in der Kunst des Regierens.

3. Moderner Nationalismus

Das nationale »wir« ist klassenlos. Es vereint Staat und Volk, indem es die schiere Tatsache, daß sämtliche Bürger einer Nation ihrem Staat unterworfen sind und dieser sie seinen Erfolgskriterien gemäß behandelt, sie also auch den Konjunkturen seiner außenpolitischen Bewährung aussetzt, in einer unausweichlichen Identität der Interessen von Staat und Bürgern geltend macht. Dabei werden die Unterschiede und Gegensätze innerhalb der Nation keineswegs geleugnet, sondern immerzu hervorgehoben – allerdings nicht in der Form kritischer Stellungnahmen zur modernen Klassengesellschaft. Vielmehr in lauter affirmativen »Folgerungen« bezüglich der speziellen Dienste und Leistungen, welche die Nation wegen des Gelingens ihrer außenpolitischen Vorhaben den einen erweist und den anderen mit Recht abverlangen kann. Für die Geschäftswelt gehört sich eine Investitionsneigung und das dafür passende Klima, andere sind fürs Arbeiten, Kaufen und Sparen da.

Dieser Standpunkt des nationalen Interesses stützt sich weniger auf die Logik denn auf die Praxis der staatlichen Souveränität. Der ihm eigentümliche Zynismus erfüllt die demokratische Diskussion, in der sich die Parteien mit Unterstützung der ihnen zu- bzw. abgeneigten Medien um die Macht streiten, mit Leben. So streiten sich die Konkurrenten um die Staatsführung nicht nur zu Wahlkampfzeiten darum, wer mehr »politische Stärke« an den Tag legt. Der Vorwurf der »Führungsschwäche« wird erhoben, und damit ist gemeint, ein tauglicher Staatsmann dürfe sich von niemandem in der Welt etwas gefallen lassen und müsse seinem Volk alle Unannehmlichkeiten zeitig ins Gesicht sagen, die er ihm bereitet. Und der prinzipielle Gesichtspunkt, daß gut ist, was uns nützt, wird auf alle Regierungen und Völker dieser Welt ohne den leisesten Anflug moralischer Bedenken angewandt.

1. Aus der schlichten Tatsache, daß die nationale Währung an den Devisenbörsen hoch gehandelt wurde, ist in einem Jahr des Wahlkampfs für den seinerzeit regierenden Kanzler ein Argument für seine Wiederwahl verfertigt worden. In der »Härte der D-Mark« durfte die gesamte Nation das anschauliche Verdienst eines Mannes bestaunen, der »unser« Geld etwas wert sein läßt. Der Nachweis, daß diese Tüchtigkeit in Währungsangelegenheiten den Nutzen des gemeinen Volkes mehre, wurde über den Auslandsurlaub geführt, ganz als ob mit den fünf Pfennigen »Gewinn« beim Umtausch einer Mark in Lire die Ferien im Süden in Saus und Braus abliefen und keiner die Preissteigerungen bemerken würde. Nachdem nun aber der währungspolitische Sachverstand für das nationale Eigenlob zuständig ist, eröffnete derselbe Kanzler mit Hilfe einer verantwortungsbewußten Öffentlichkeit auch noch eine solide Kampagne der Kritik an anderen Nationen. Das Argument hieß »unsere Wirtschaft«: Diese ist extrem »exportabhängig«, und gerade eine teure D-Mark mache »unseren« ausländischen Kunden das Kaufen schwer. Also schritt der Kanzler im Namen aller Deutschen, auch derer, die ganz bestimmt nicht vom Außenhandel leben, aber eben von ihm abhängig sind, zur Besichtigung der Versager in Währungsdingen. Urplötzlich war die harte Währung eine Gefahr, freilich in Gestalt der weichen ausländischen Gelder. Die amerikanischen Freunde wurden fachmännisch ermahnt, ihre Freiheitswährung nicht verfallen zu lassen. Den Kollegen in England wurde mitgeteilt, daß sie sich die schlechte Wirtschaftslage samt Verfall des Pfundes selbst zuzuschreiben hätten: Kein Investitionsklima würden sie schaffen, solange sie den sozialen Frieden nicht in den Griff bekämen; weder die »disziplinlosen« Gewerkschaften noch die englischen Arbeiter mit ihren maßlosen Teepausen kamen an der deutschen Schelte vorbei. Den italienischen Proleten, ansonsten als Vergleichsmaßstab für deutsche Bedürfnisse sehr willkommen – »wie gut es uns geht!« –, wurden ihre Streiktage vorgerechnet. Und niemand hat in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit die Unverschämtheit angegriffen, mit der da im Namen der deutschen Wirtschaft eine stattliche Liste ihrer Schädlinge erstellt wurde und sich der nationale Standpunkt gleich noch zum Richter über die Bedürfnisse und das Wohlverhalten anderer Arbeitsvölker aufschwang. Als die »Folgerungen« des offiziellen Deutschland präsentiert wurden, die aus den »Gefahren« für unsere Wirtschaft wohl fällig wären – niedrige Lohnabschlüsse als vernünftige Reaktion auf die von Dollar, zerrütteten Partnern und steigenden Ölpreisen hervorgerufene Arbeitslosigkeit –, wollte dieser »Notwendigkeit« auch niemand widersprechen. Und schon gleich gar nicht ist einem Kenner der Wirtschaft angesichts der Ungereimtheiten in der wirtschaftspolitischen Diagnose der Zuständigen aufgefallen, was sich ein von seinem Volk anerkannter und bedienter Souverän leisten kann: einerseits den kommunismusverdächtigen Hinweis darauf, daß das Gedeihen »unserer Wirtschaft« im Gegensatz steht zum Wohlergehen derer, die mit ihrer Hände Arbeit alles in Gang halten – andererseits die Propaganda der Konkurrenz zu anderen Nationen, in der das gewöhnliche Volk sich bewähren darf.

2. Noch selbstverständlicher wird das Recht des Staates, den auswärtige Souveräne behindern, auf die Opfer seines Volkes in Sachen »Öl« vorgetragen. Jahrelang floriert nun schon die Hetze gegen die Ölscheichs, die »unsere« Energiekosten ins Unermeßliche steigern. Zwar weiß längst jeder Zeitungsleser, daß sich der Benzinpreis an der Zapfsäule unter heftiger Anteilnahme seines Fiskus erhöht; aber der eigenen Nation blieb der Vorwurf bisher erspart, aus den Lohntüten der deutschen Autofahrer einen Selbstbedienungsladen gemacht zu haben. Schließlich gesteht kein anständiger Deutscher einem arabischen Souverän das zu, worauf sonst eine am Welthandel beteiligte Nation ein unverbrüchliches Recht hat: für das, was man zu verkaufen hat, zu verlangen, was man kriegt. Zusätzlich lassen sich auch noch die »Multis« als Schuldige benennen, und das sind – wie der Name schon sagt – weniger Kapitalisten als keine einheimischen Geschäftsleute. Daß die ölexportierenden Länder mit ihren gestiegenen Anteilen am Verkaufspreis von Rohöl ihr Geschäft machen, ist aber seit einiger Zeit nicht mehr der Skandal: So widersprüchlich der Nationalismus in der Verurteilung anderer Teilnehmer am Weltmarkt vorgeht, so frei ist er auch in seinen Konjunkturen. Erstens haben die USA auf ihre Weise auf »unseren« Kanzler reagiert und »ihren« Dollar wieder teurer gemacht, so daß eine Zeitlang beim steigenden Dollar der Grund lag für die Benzinpreise (umgekehrt hat zuvor das Argument nichts hergegeben!). Zweitens ist im Zuge der weltpolitischen Konfrontation die Aufrüstung aller befreundeten Nationen modern geworden – und ausgerechnet Saudi-Arabien, wo »unser Öl« lagert, gehört zu den Freunden, die mit Waffen beliefert werden müssen. Also gebietet der weltwirtschaftliche Sachverstand, die Verurteilung der in bezug auf den Ölpreis längst vernünftig gewordenen Saudis zu relativieren, Rüstungsexporte für Arbeitsplätze zu erklären, zumal dasselbe auch schon längst für die Atomkraftwerke gilt, um die wir aus energiepolitischen Gründen – »Öl knapp« – nicht herumkommen. Ganz gleich, wie die Unterabteilungen der nationalen Begutachtung in Sachen Öl ausfallen – immer rechtfertigt die Anklage nach außen den Anspruch auf Dienste und Zumutungen daheim.

3. In einer Demokratie gehört es sich, daß das Volk, welches für die Wünsche des eigenen Staates und seiner Wirtschaft gegenüber dem Ausland geradezustehen hat, auch eine wesentliche Freiheit genießt: Es darf sich in den Machenschaften fremder Staaten lauter Gründe dafür zusammensuchen, daß es in der Gefolgschaft daheim richtig liegt. Die diesbezüglichen Angebote derer, die die Meinungsbildung zu ihrer vornehmen Pflicht erkoren haben, sind frei von Skrupeln aller Art; in der Kritik am Ausland, insbesondere an dem, mit dem solide und rentierliche Beziehungen unterhalten werden, sind Töne an der Tagesordnung, die man auf »uns« nie und nimmer anwenden lassen möchte. So sind im Falle Japans Urteile eingebürgert worden, in denen Verachtung und Respekt in ebenbürtiger Weise für das deutsche »wir« tauglich sind. Die Einwände gegen Japaner« richten sich sowohl gegen ihre Durchschlagskraft auf diversen Märkten, die »uns« genauso wichtig sind, als auch gegen die schlechte Behandlung, die sie ihrem Volk angedeihen lassen – viel mehr Arbeitstage als hierzulande, kein DGB und viel weniger Lohn. Das Kompliment an dieselbe Nation und dieselben Untertanen liest sich in deutschen Landen haargenauso: Bewundernswert das japanische Wirtschaftswunder, zumal die dahinten auch sehr viel fürs Öl ausgeben müssen, und noch bewundernswerter die Leistungs- und Verzichtsbereitschaft dieses Volkes, an dem sich – ginge es nach dem Grafen Lambsdorff – die »verwöhnten« Deutschen auf der Stelle ein Beispiel nehmen sollten. Inzwischen haben verschiedene Regierungen in trauter Eintracht mit dem DGB dafür gesorgt, daß sich gewisse Annäherungen an japanische Standards vollziehen: faktische Null-Tarifrunden, Preise und Abgaben jeder Art senken den deutschen Lohn, während die Umgestaltung von Arbeitsplätzen die Leistung hebt. VW investiert dazu noch ein wenig in Japan...

4. Als Deutscher weiß man selbstverständlich auch, was den Polen gefällt und gut für sie ist. Der Kommunismus auf alle Fälle nicht, wenngleich sich im zwischenstaatlichen Verkehr durchaus gute Geschäfte mit Leuten abschließen lassen, die ihrem Volk weder einen Lebensstandard gönnen, der hierzulande als reine »Verwöhnung« angeprangert werden muß, noch eine Freiheit. Während bei uns das Zusammenfallen von Interessen des Volkes mit dem seiner Führer eine ausgemachte Sache ist, insbesondere dann, wenn Opfer anstehen, sieht es auswärts, östlich vor allem, oft sehr anders aus. Zunächst einmal unterliegt eine polnische Regierung der Klassifizierung »Unrechtsstaat« ohne »Selbstbestimmungsrecht« des Volkes; und ein anständiger Deutscher wird an den Fakten der bundesrepublikanischen Staatsgründung ebensowenig irre in seinem Antikommunismus, den er aus dem Schatzkästlein des vorangegangenen Nationalismus bewahren durfte, wie er jedem Kritiker hierzulande die Methoden des Gehorsams und seiner Erzeugung ans Herz legt, die drüben üblich sind. Wenn dann eine Bundesregierung samt der westdeutschen Geschäftswelt eine regelrechte Polen-Politik zuwege bringt, wenn dadurch die Grenzen für Waren und Kapital geöffnet werden, so dient dies allemal einer guten Sache. Mißtrauen ist nicht der Zusammenarbeit mit diesem »Regime« entgegenzubringen, sondern ihrer Wirkung: Wird auch genug verlangt, wenn »wir« mit denen handeln? Und dürfen auch genug ausreisen in die Freiheit?

Die feste Überzeugung, daß die Schädigung eines kommunistischen Staates in der entgegenkommenden Berücksichtigung seiner Außenhandelswünsche inbegriffen zu sein hat, duldet keine Erschütterung. Schon gleich gar nicht dadurch, daß das polnische Volk vom Ost-West-Handel überhaupt nichts hat. Das bekannte Ergebnis, das die von der polnischen Regierung vollzogene Unterordnung ihrer gesamten Volkswirtschaft unter die Notwendigkeiten des Westhandels zeitigte: die zehntgrößte Wirtschaftsmacht ist pleite, das Volk leidet Not jeder Größenordnung und veranstaltet einen christlich-gewerkschaftlichen Aufstand, mit dem die Staatsmacht vorübergehend in Frage gestellt wurde und auch durch ein Jahr Kriegsrecht nicht fertig geworden ist – dieses Ergebnis wird mit Genugtuung zur Kenntnis genommen. Es zeigt sich für einen deutschen Beobachter nur eines: Wir sind auf dem richtigen Weg und müssen Polen die »Chance« geben, sich ganz und gar dem Westen anzuschließen, sich den Kreditlinien des IWF (Internationaler Währungsfonds) anzuvertrauen – denn das wäre der leichteste Weg zur »Hilfe«, die bis dahin der karitativen Gesinnung der westdeutschen Bevölkerung überlassen bleibt. Mitleid mit den Opfern, die die eigene Regierung auswärts schafft, ist hier genauso wie im Falle der »Entwicklungsländer« erlaubt. Der Außenminister ergänzt die Hungermeldungen mit diplomatischen Kampfansagen gegen die Sowjetunion, deren Bemühungen, Polen im eigenen Block zu behalten, einerseits eine »rasche Hilfe« erschweren, andererseits den »Weltfrieden« gefährden. Die vorläufige »Rettung Polens« durch den Einsatz des Militärs kann – da sie dem nicht stattgefundenen russischen Einmarsch gleichzusetzen ist – nicht hingenommen werden. Schließlich heißen die Rechtsanwälte des polnischen Volkes Genscher und Reagan, und ihre Kanzlei führt den Streit um die Rechte der östlichen Mandanten konsequent mit einem Aufrüstungsprogramm, das ganz gut auch ohne den Schein auskommt, es gehe um so labile und heikle Dinge wie das »Gleichgewicht«. Das Recht fordert seine Rechtsmittel, Belehrungen über deren Gebrauch gehen unterdessen täglich an die Adresse Moskaus.

Wo der national beseelte Blick über die Grenzen den Gegensatz zwischen Herrschaft und Untertanen ausmacht, geht es also keineswegs um die Beurteilung des Zwecks, den so ein Staat verfolgt – und schon gar nicht um die Gründe für den dortigen Modus der Benützung eines Volkes und um deren Verlaufsformen, zu denen die Kooperation mit dem eigenen Staat zählt. Dem bedingungslosen Bekenntnis zu den Interessen »der« Deutschen ist nur eine Sorte von Kritik zuträglich – die zweifelnde Frage nach ihrer ordentlichen Durchsetzung. So ist ausgerechnet in Sachen Polen der erfolgreiche Umgang mit einem Ostblockstaat, der den Ruin eines Volkes schneller hervorbrachte, als das die »Regimes« drüben, auf sich selbst gestellt und nicht in den menschenfreundlichen Außenhandel des Westens einbezogen, je vermocht hätten, auch unter die Rubrik »Verrat an deutschen Ansprüchen« eingeordnet worden. Und damit waren auch nicht die Ansprüche jener Mehrheit gemeint, die Woche für Woche ihre Lohntüte einteilen darf und als »Entschädigung« für ihre wenig lohnende Brauchbarkeit theoretisch über die weltpolitischen Vorzüge des Vaterlandes mitbefinden, dem sie zufällig angehört. Das Verdienst, ein Deutscher zu sein und ideell an der Geltung der Nation in der Welt zu partizipieren, scheint viel wichtiger zu sein als der Verdienst, den man für ein Leben in Freiheit – für die meisten ein Arbeitstag nach dem anderen, nebst den dazugehörigen Risiken und kompensatorischen Anstrengungen und Abgaben für einen Sozialstaat, der das Geld auch besser verwenden kann – so erhält. Dabei sind die in Umlauf gesetzten Unverschämtheiten des heutigen Nationalbewußtseins, die kosmopolitischen Begutachtungen aller Herren Länder nie um die Auskunft verlegen, daß die universale Zuständigkeit der Nation für die gewöhnlichen Bürger – sobald sie über die theoretische und wohlfeile Anmaßung hinausgeht – immer im Dienst besteht. Denn die Praxis des Vergleichs, der da ständig zugunsten der eigenen Nationalität ausfällt, besteht in der Durchsetzung des einen Staates gegen den anderen. Und an diesem Geschäft ist die Mehrheit so beteiligt, daß sie in der Bereitstellung des Reichtums ihre erste und in der Relativierung ihrer Genüsse, dessen, »was man vom Leben hat«, ihre zweite Pflicht erfüllt. Und wenn im Konkurrenzkampf der Nationen, die sich und ihre Manövriermasse an Land und Leuten gegenseitig ausnutzen wollen, für die eine Seite die Bedingungen der anderen unerträglich sind – und wer entscheidet das wohl? –, dann steht die Erledigung der letzten Pflicht an.

5. Aus den Verlautbarungen der deutschen Politiker und ihrer öffentlichen Interpreten, denen am Erfolg der ersteren sehr viel liegt – »Schaffen Sie denn das auch, Herr Minister?« ist die kritischste Frage –, geht hervor, daß es herzlich gleichgültig ist, ob jemand daran glaubt, daß in Afghanistan und Polen »unsere Freiheit« auf dem Spiel steht. Und angesichts des höchstoffiziellen Gerüchts, daß Lang- und Mittelstreckenraketen nebst Neutronenbombe den Frieden sichern und auch tatsächlich zu keinem anderen Zweck je benötigt werden, ist die Frage, wer daran glaubt, schon längst lächerlich. Schließlich wird ständig mit strategischen Argumenten für das Zeug votiert; und daß strategische Überlegungen den Sieg im Auge haben, also die Überlegenheit im Krieg – den man sich also als »Fall« denken darf –, weiß ein jeder. Er kann sich freilich den Vorkriegstest auf die Nachgiebigkeit des Gegners, der sich, weil unterlegen, der Unterlegenheit anbequemt, auch in »Friedenssicherung« übersetzen: Der Feind braucht in diesem Gedankenexperiment nur nachzugeben.

In der Versorgung einer Nation mit strategischen »Informationen«, mit Zahlenmaterial über Panzer, U-Boote und Raketen, die Freund und Feind zur Verfügung stehen, kommt zum Vorschein, wozu der Standpunkt »unseres Interesses« taugt, wenn er zur Selbstverständlichkeit geworden ist. In der westdeutschen Rüstungsdebatte, wo Argumente über die militärischen Mittel zur Sicherung besagter nationaler Interessen fallen, hat man sich längst von der Notwendigkeit emanzipiert anzugeben, was denn eigentlich geschützt wird durch Bundeswehr und NATO-Sprengköpfe. Daß dergleichen notwendig ist, will niemand bezweifeln – und wer im Verdacht steht, es zu tun, wird konsequent als Staatsfeind oder »Gegner der Freiheit« geführt. Auf der Grundlage eines allgemeinen Konsensus über das Militär als das unverzichtbare Mittel der Außenpolitik spielen sich jene demokratischen Gefechte um das Wann, Wieviel und Wozu der Aufrüstungsmaßnahmen ab, in denen sich eine Nation daran gewöhnt, »ihre Interessen« allein unter dem Gesichtspunkt deren gewaltsamer Durchsetzung ständig neu definieren zu lassen.

Die Beiträge zur Diskussion sehen entsprechend aus. Als durchaus sachlich gilt in der Bundesrepublik die Feststellung, daß »wir fest an der Seite der USA« und »im Bündnis« stehen; als zeitlos gültiger Kommentar paßt diese Mitteilung auf jedes neu eingeführte Waffensystem. Mit der Erinnerung daran, daß es diesen »unseren« Staat nur gibt, weil er den maßgeblichen Männern der USA nach dem Zweiten Weltkrieg so recht war, entledigen sich deutsche Politiker ihrer nationalen Pflicht, sich gute Gründe für ihre Beteiligung an der politischen Linie der befreundeten Großmacht auszudenken. Anderen eröffnen sie damit die großartige Alternative eines besseren Nationalismus, der »zwar« auch die Zusammenarbeit mit Amerika für einen „Grundpfeiler unserer Sicherheit« hält, aber »unsere speziellen Sicherheitsinteressen« zur Geltung bringen möchte. Für »amerikafeindlich« und »unrealistisch« erachten die beiden für den demokratischen Konkurrenzkampf wirkungsvoll inszenierten Bonner Positionen den moralischen Nationalismus kritischer Demokraten, die zu einer Friedensbewegung angetreten sind. Diese Bewegung hat sich das Verdienst erworben, die Empörung der Betroffenen (»Wir haben Angst!«) gegen die Zuständigen der deutschen Politik zu richten; sie hat die Beteiligung der BRD an der europäischen Abteilung der NATO-Aufrüstung für einen Fehler deutscher Politik erklärt, den sie mit dem Stichwort vom »Kriegsschauplatz Deutschland« kennzeichnen wollte. Und ihr Anliegen, deutsche Weltpolitik ohne die absehbaren Härten militärischen Engagements, also echte Friedenspolitik zu verlangen, ist den linken Kritikern der SPD ausgerechnet an Polen suspekt geworden. Ihr Anspruch auf mehr Unabhängigkeit deutscher Politik, das Beklagen der beschränkten deutschen Souveränität ist der Befürwortung konsequenter Einmischung gewichen. Die vielbeschworene Angst der »Menschen« um den »Frieden« hat sich in die ganz banale Angst der »Deutschen« vor den Russen aufgelöst; die »alternative Sicherheitspolitik« lehnt die letzte Konsequenz des nationalen »wir« nur noch bedingt ab – nämlich mit dem Verdacht, das in Bonn verwaltete »wir« wäre nicht autonom genug für die freie Entscheidung über den »Ernstfall«.

Der Entschluß der US-Regierung, die Konkurrenz der Waffen vor ihrer Abwicklung schon weitgehend zu entscheiden und den Osten »totzurüsten«, erfreut sich hierzulande heftiger Zustimmung. »Die Moskauer Funktionäre spüren, daß im Umgang mit Reagan die Dinge ihren Preis haben« – frohlockt eine angesehene Tageszeitung und bemüht zum hundertsten Male die Theorie von Gleichgewicht und Abschreckung. Ganz nebenbei wird die »ständige Produktion papierner Abrüstungsappelle« seitens der Sowjetunion verhöhnt und »der freie Westen« dazu aufgefordert, erst einmal »nach«zurüsten statt zu verhandeln, also die russischen Angebote zu Makulatur zu erklären. Das wiederum gibt anderen, die ebenso genau wissen, wo »unsere Interessen« liegen, und daß die Nachrüstung sein muß, Gelegenheit, auf anschließenden Verhandlungen zu bestehen. Diese Abteilung wertet prinzipiell jeden Panzer und jede Rakete bis hin zur Neutronenbombe erst einmal als »Verhandlungsposition« statt als Kriegsgerät. Rüstungsdiplomatie in erpresserischer Absicht wird da ohne weiteres als Kritik an den USA verkauft, und auf alle Fälle bestehen westdeutsche Fachleute der Politik auf einer geschmackvollen Präsentation der letzten Entscheidungen von jenseits des Teiches. Den ganzen August 1981 hindurch erwies sich die Neutronenbombe als glanzvoller Anlaß, diese »Gefechtsfeldwaffe« für den Kriegsschauplatz Europa in tiefstem Ernst vor allem in folgender Hinsicht bedenklich zu finden: 1. Sind »wir« konsultiert worden? 2. Hat es für die Bekanntgabe des Produktionsbeschlusses denn kein besseres Datum gegeben als den Jahrestag der Hiroshima-Bombe? 3. Könnte dieser Beschluß jetzt nicht den Anti-Amerikanismus in der BRD verstärken und die offizielle Verkaufsstrategie der »Friedenspolitik« unglaubwürdig machen?

Das alles geht als »kritische Diskussion« durch und wird in einem wochenlangen Hin und Her »geklärt«. Nein, wir sind nicht konsultiert worden; dies ist aber auch gar nicht nötig gewesen, da es eine interne Angelegenheit der USA ist... Im übrigen weiß doch ein jeder von uns, daß die Produktion der Neutronenwaffe, was eine bessere Bezeichnung als »-bombe« wäre, längst betrieben wird. Darüber hinaus wird sie jetzt nicht herübergeschafft – im Ernstfall dauert es aber nur wenige Stunden. Der 6. August war in der Tat ein unglückliches Datum, jedoch dem Anti-Amerikanismus ist nur durch sachliche Information beizukommen... Aus einem Schritt der Kriegsvorbereitung, der sich bereits auf Details der Gefechtsplanung positiv bezieht, wird so eine muntere Übung in Methodenfragen nationaler Politik. Eher werfen sich die um die Macht konkurrierenden und koalierenden Parteien vor, »die deutsch-amerikanischen Beziehungen« zu verschlechtern oder »die Finanzierung des Verteidigungsbeitrags der BRD« zu gefährden, als daß einer der hohen Herren einen einzigen wahren Satz über den Zweck der Neutronenbombe und die Vorhaben des Bündnisses verlauten ließe.

Und doch geben sie in ihren nationalistischen Interpretationen ständig von den Fortschritten Rechenschaft, die sie in ihrer Handlungsfreiheit erzielt haben. Von der »tiefen Sorge« um die »Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen« über die kundig errechneten Gleichgewichte der Waffenarsenale gelangen sie – im Streit darüber, wer die »nötigen Schritte« konsequenter vertritt und deswegen zum Regieren befugt sei – zu immer eindeutigeren Bekenntnissen. Was immer auch die Sowjetunion unternimmt, es gilt mittlerweile als Beleg dafür, daß »Entspannung« und »Sicherheit«, »Frieden« und »Freiheit« letztlich nur durch militärische Überlegenheit zu haben sind. Das bekam Leonid Breschnew bei seinem Besuch in Bonn im November 1981 zu spüren. Es nützte ihm gar nichts, daß er die Bereitschaft zum teilweisen Abbau der vermeintlich im Mittelpunkt westlicher Sorgen stehenden SS 20 mitbrachte. Er mußte erfahren, daß es seinen Gastgebern so ernst mit der Furcht vor dieser »Bedrohung« gar nicht ist. Als diplomatische Botschaft durfte er die Mitteilung mit nach Hause nehmen, daß die westliche Aufrüstung sich unabhängig von den vorhandenen wie unterlassenen Fortschritten östlicher Rüstung abspielt. Um dieselbe Botschaft erneut klarzustellen, hat 6 Monate darauf der amerikanische Präsident seinen Vize auf eine Werbetournee durch Europa geschickt. Dieser hat die Zurückweisung jedes sowjetischen Versuchs, mit den USA in ein diplomatisches (Ab-)Rüstungsgeschäft zu kommen, einfach als prinzipielle »Verhandlungsbereitschaft« verkauft und sie als erfreuliche »Beweglichkeit« ins Europäische übersetzen lassen. Reagan selbst kommentierte vom Weißen Haus aus die aufgeregten Anfragen nach etwaigen Kursänderungen damit, daß es sich bei den »Vorschlägen« um eine längst fällige Propagandakampagne handle und sonst nichts. Sämtliche deutschen Zeitungen haben dies tags darauf korrekt und ohne jede Empörung vermeldet. Offenbar lag den Medien der demokratischen Öffentlichkeit sehr viel daran, im Gefolge der staatlichen Beschlußfassung Abschied zu nehmen von dem so »emotional« ausgetragenen Streit um die »Nachrüstung« – um die Bürger künftig nur noch mit der Frage zu traktieren, ob in Genf »ernsthaft verhandelt« würde. In ihrer Gleichgültigkeit gegen die verhandelten Positionen ist diese Frage geeignet, jeden Fortschritt in Sachen Rüstung in ein Problem des unstreitigen guten Willens der Politiker zu übersetzen, die inzwischen das eine oder andere Gerät dislozieren und ein »Weltraumprogramm« in Aussicht stellen, natürlich zur Friedenssicherung.

Die nach innen notwendige Rücksichtslosigkeit, wie sie in den USA seit Reagan offizielles Programm ist, gilt deshalb auch als das Ideal der Politik in den »schwierigen achtziger Jahren«, vor dem sich jedermann blamiert, der ein gutes Leben dem Nationalismus mit seinen Pflichten vorzieht. Wo die Anwendung staatlicher Gewalt zur unerläßlichen Grundlage all dessen deklariert wird, was sich die Bürger leisten dürfen, zählen das gute Leben und dergleichen Ansprüche nicht mehr – da geht es ums »Überleben«, und zwar nicht um das des Volkes mit seinen kleinlichen Sorgen, sondern um das des Staates. Dessen Repräsentanten und Liebhaber erzählen zweifelnden Christen inzwischen, daß die Bergpredigt zwar für Gehorsam und Opfersinn von Untertanen tauge, keineswegs aber eine zweckmäßige Gesinnung für antisowjetische Strategie vermitteln könne. Pazifisten erfahren von allerhöchster Stelle, daß ihresgleichen den zweiten Weltkrieg provoziert hätten – Hitler hätte sich durch die Friedensliebe auswärtiger Völker hinreißen lassen. Und auch angesichts der täglich aus Übersee eintreffenden Meldungen über MX, Trident und B 1 nähern sich die dem deutschen Nationalismus verpflichteten Übersetzungen der westlichen Aufrüstung, an der man sich beteiligt, immer mehr dem Klartext, den man so lange wie möglich zu vermeiden suchte: Die Kriegsvorbereitung ist eine ausgemachte Sache, also wird bereits jetzt von allen Bürgern die Konsequenz des Nationalismus eingeklagt, die in allen vormilitärischen Formen der Auseinandersetzung mit dem Ausland angelegt ist. Daß die weltpolitischen Unternehmungen »der Russen« für uns untragbar sind, rechtfertigt inzwischen auch die westdeutsche Innenpolitik, von einer Wirtschaftspolitik neuen Typs – alle »sparen« fürs Militär – bis zu Vereidigungen von Rekruten im Fackelschein. Über den Fortschritt der »weltpolitischen Konfrontation«, auf die wir nur reagieren, unterrichten währenddessen die regelmäßig von Kanzleramt und Außenministerium in der Tagesschau verlautbarten Rundblicke auf alle Konflikte in der Welt, die immer dasselbe beweisen: daß deutsche Friedenspolitik eine immer ernstere Sache wird und – nach und nach – wegen der anderen zum Scheitern verurteilt sei, was dann die vorweggenommene Klärung der Schuldfrage für den Dritten Weltkrieg darstellt. Auch die noch wird sich von der amerikanischen Lesart unterscheiden: Wir können den Wunsch der »Amerikaner« nach Überlegenheit verstehen, angesichts der Weigerung der Sowjetunion, wesentliche Positionen kampflos zu räumen. Die Interessen des deutschen Volkes liegen …

4. Vom Imperialismus der Bundesrepublik

Wie eine Nation die Einordnung aller Herren Länder vollzieht, wie sie das gesamte Ausland in eine Skala zwischen den Extremen Freund und Feind, in bequeme, verläßliche und mißliebige Partner sortiert, verrät einiges über die Stellung dieses Staates in der Welt. Das Verfahren besteht nämlich darin, daß sämtliche Beziehungen, die mit dem Ausland unterhalten werden, eine Prüfung erfahren – und deren unerschütterlicher Maßstab ist ein sehr praktischer: Das ökonomische, politische und militärische Interesse wird je nachdem, wie ihm auswärtige Souveräne und Völker entsprechen, in deren gute und schlechte Eigenart übersetzt. Insofern gibt das bundesrepublikanische Weltbild, das alle außenpolitischen Aktionen der Regierung begleitet, sehr zuverlässig Auskunft über den Erfolg des Bemühens, andere Nationen brauchbar zu machen.

1. Ökonomisch