Kriegsbriefe gefallener Studenten - Philipp Witkop - E-Book

Kriegsbriefe gefallener Studenten E-Book

Philipp Witkop

4,9

Beschreibung

Eine Wiederentdeckung erschütternder Einzelschicksale, herausgehoben aus dem großen gleichmachenden Kriege. Den Krieg als kurze Unterbrechung des alltäglichen Lebens betrachtend, sehen sich bald die jungen Soldaten mit dem Grausen im Schützengraben konfrontiert. In vielen Briefen sind die Augenblicke der fühlbar letzten Stunden dokumentiert. "Trommelfeuer — Schlachtfelder, auf denen nichts zu sehen ist als erstickender Qualm — Gas — Erdklumpen — Fetzen in der Luft, die wild durcheinander wirbeln: das ist Verdun!" – Paul Boelicke "Herrgott, noch einmal laß mich in die deutsche Heimat zu denen, die ich liebe!" — Aber unerbittlich naht das Grausen. Verdun, ein furchtbares Wort!" – Paul Boelicke "Menschenjagd ist dieser Krieg, und das gehört zum Gemeinsten. Da kann man froh sein, daß wir nicht schuld sind an diesem Kriege." – Karl Josenhans "… "Noch ein Sprung und dann bin ich im feindlichen Graben" — aber den Gedanken hat er nicht mehr zu Ende denken können, drei Meter vor dem Graben ist er zusammengesunken, hat's vielleicht noch gesehen, daß alles vergebens war, daß der Sturm erfolglos war." – Herbert Weißer "Wenn die armen Eltern ihren Sohn gesehen hätten! Eine Granate hatte ihm den Kopf weggerissen, das Gehirn haben wir buchstäblich mit dem Spaten zusammengekratzt. Solche Bilder gehören nicht zu den Seltenheiten des Schützengrabenlebens!" – Johannes Nogielsky "Im Graben kam ich auch an einem jungen Kriegsfreiwilligen vorüber, der, das Gewehr noch krampfhaft umklammernd, tot dalag. Vor ihm lag ein französischer Korporal. Beide hatten sich mit dem Bajonett gegenseitig durchrannt; in jedem steckte noch die Waffe des Gegners." – Walter Ambroselli

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Kriegsbriefe gefallenerStudenten

 

In Verbindung mit denDeutschen Unterrichts-Ministerienherausgegeben von

von

Prof. Dr. Philipp Witkop

_______

Erstmals erschienen im: Georg Müller Verlag Aktiengesellschaft, München, 1928

__________

Vollständig überarbeitete Ausgabe.

Ungekürzte Fassung.

© 2017 Klarwelt-Verlag

ISBN: 978-3-96559-103-5

www.klarweltverlag.de

Inhaltsverzeichnis

 

Titel

Vorwort zur Volksausgabe

Kriegsbriefe

Verzeichnis der Briefschreiber

Vorwort zur Volksausgabe

In den Tagen, da Deutschland verjüngt und verantwortungsvoll sich auf seine nationale Würde und Erneuerung besinnt, wird eine Volksausgabe der Kriegsbriefe gefallener Studenten zur vaterländischen Forderung. Haben diese doch den Gedanken der nationalen und sittlichen Erneuerung in Schlacht und Grauen und Todesbereitschaft zuerst erlebt und verkündet: „Wie ich es mir zum Troste sein lasse, in der uns aufgezwungenen Notwendigkeit des grauenhaften Krieges die Zukunft eines neuen, reinen Lebensideals zu erkennen, neu gebildet und begründet durch den Gedanken der Gleichachtung und Kameradschaft, des Gottvertrauens und der Zuversicht, durch reinen sittlichen Ernst, durch Vertiefung und Wiedergeburt des Geistes“ [Fritz Wagner]. „Ich will kämpfen und vielleicht auch sterben für den Glauben an ein schönes, großes, erhabenes Deutschland, in dem Schlechtheit und Eigennutz verbannt, wo Treue und Ehre wieder in ihre alten Rechte eingesetzt sind“ [Emil Alefeld]. „Es wird eine große Aufgabe sein für unser gesamtes Volk, nach dem Ausgange des Krieges praktisch zu verwerten, was wir innerlich durchlebt haben“ [Fritz Franke]. Diese Briefe sind ein Vermächtnis an uns, das ideale Vaterland zu verwirklichen, dass ihre Schreiber sehnend geschaut, dafür sie ihr Leben gelassen haben. Die Frühgefallenen sind Blutzeugen nicht eines verlorenen, sondern eines neuen Deutschland, dessen Schöpfer und Bürger wir werden wollen. Deutschland! Vaterland! Nie sind diese Worte, diese Werte glühender, erhabener, in religiöser Weihe erlebt worden. Über 20 000 Briefe gefallener Studenten wurden mir 1917/18 durch Vermittlung der deutschen Unterrichtsministerien und Universitäten von Eltern und Freunden zur Auswahl gesandt. Fast die Hälfte aller Briefschreiber bringt — beim Abmarsch ins Feld oder am Vorabend einer Schlacht — in erschütternden Abschiedsbriefen an die Eltern ihr Leben dem Vaterland als Opfer dar, sieht ihren Tod voraus und nimmt ihn frei in ihren Willen auf. Diese Seelenhaltung sub specie aeternitatis verbürge den Schriftstücken tiefer als allen Kriegsromanen und -historien untrügliche persönliche und historische Wahrheit. Die alten Volksepen: Ilias, Odyssee und Nibelungenlied, galten den Forschern lange als naturhaft gewachsene Dichtung, geboren aus der ursprünglichen Kraft des Volksgeistes. Solche ursprüngliche, schöpferische Kraft des deutschen Volksgeistes offenbaren diese Briefe, die wie Materialien, wie erste Strophen zu einem großen deutschen Lied und Mythos des Weltkriegs anmuten. Alle Tiefen des deutschen Geistes, aller Adel der deutschen Seele sind vor den Horizonten des Krieges, des Todes, des Vaterlandes in diesen jungen Helden Gestalt und Wort geworden. Religiöse Innerlichkeit, künstlerische Anschauungs- und Darstellungskraft, ein strahlendes Gefühl für die Schönheit und Fülle der Natur, noch im Trichterfeld und im Schützengraben, eine klassenüberwindende, todestreue Kameradschaft verbinden sich eiserner Tapferkeit, heroischer Ausdauer, heiliger Opferbereitschaft. In diesen Tagen nationaler Selbstbesinnung beugen wir uns vor ihnen und schwören ihrem Andenken, dass sie nicht vergebens gefallen sein sollen, dass wir ihr Testament einlösen, dass wir in unablässiger Arbeit an uns und dem Volksganzen ihrer wert werden wollen.

 

Freiburg i. B., im Herbst 1933.

 

Prof. Dr. Philipp Witkop

 

Kriegsbriefe

Walter Limmer, stud. iur., Leipzig,

geb. 22. August 1890 zu Thiergarten bei Plauen im Vogtl.,

gest. 24. September 1914 in Luxemburg an einer Verwundung vom

16. bei Châlons-sur-Marne.

 

Leipzig (leider immer noch!), 3. August 1914.

Hurra! endlich habe ich meine Beorderung: morgen Vormittag 11 Uhr in einem hiesigen Lokal. Stunde um Stunde habe ich auf meinen Befehl gewartet. Heute Vormittag traf ich eine junge bekannte Dame; ich schämte mich fast, mich in Zivilkleidern vor ihr sehen zu lassen. — Auch Ihr, meine guten Eltern, werdet mir recht geben: ich gehöre nicht mehr ins friedliche Leipzig. Liebe Mutter, halte Dir bitte, bitte immer vor Augen, was ich seit gestern [dem Abschied von daheim] im Wechsel der Stimmungen gelernt: Wenn wir in diesen Zeiten an uns und unsere Angehörigen denken, werden wir klein, schwach. Denken wir an unser Volk, ans Vaterland, an Gott, an alles Umfassende, so werden wir mutig und stark.

 

Leipzig, 7. August 1914.

Ich bin doch froh, dass wir noch einige Tage hiergeblieben sind. So habe ich Zeit gewonnen, meine Gedanken zu ordnen und aus den schwankenden Stimmungen wieder in die Gewalt zu bekommen. Die ersten Vorstellungen vor nun acht Tagen über die nicht mehr nur möglichen, sondern wirklich und leibhaftig herannahenden Schrecken haben gewiss jeden Soldaten etwas beklemmt, und am ersten Schlachttag wird sicherlich das Grausen im Herzen wieder Posto fassen wollen. Aber jetzt kommt es nicht mehr in unvorbereitete, unsichere Gemüter. Ich persönlich habe meine volle Ruhe wiedergewonnen. Ich habe mir meine Situation so zurechtgelegt, als müsste ich schon jetzt mit dieser Welt abschließen, als käme ich bestimmt nicht wieder heim. Und das gibt mir Ruhe und Sicherheit. Lieber Vater, gute Mutter, herzliche Geschwister, nehmt es bitte, bitte nicht für Grausamkeit, aber es wird gut sein, wenn auch Ihr Euch schon jetzt voll tapferen Mutes und fester Selbstbeherrschung mit dem Gedanken vertraut macht, dass Ihr mich oder einen meiner Brüder nicht wiederseht. Kommt dann eine wirkliche Unglücksnachricht, so werdet Ihr sie viel gefasster aufnehmen. Kehren wir aber alle wieder heim, so dürfen wir das dann als ein unerwartetes, umso gütigeres und herrliches Geschenk Gottes hinnehmen. Ihr werdet mir glauben, dass mir die Sache in ihrem Ernst viel zu heilig ist, als dass ich eben etwas Phrasenhaftes ausgesprochen hätte. Jedenfalls habe ich die Absicht, draufzugehen „wie Blücher“. Das ist jetzt einfach unser aller Pflicht. Und die Stimmung ist allgemein so unter den Soldaten, besonders seit Englands Kriegserklärung die Nacht in der Kaserne bekannt wurde. Damals haben wir vor Aufregung, Wut und Begeisterung bis früh 3 Uhr nicht geschlafen. Es ist eine Lust, mit solchen Kameraden zu ziehen. Wir werden siegen! Das ist bei solch kraftvollem Willen zum Sieg gar nicht andere möglich. Meine Teuren, seid stolz, dass Ihr in solcher Zeit und solchem Volke lebt und dass Ihr auch mehrere Eurer Lieben in diesen stolzen Kampf mitsenden dürft.

 

Im Eisenbahnzug.

Erhebend und packend war unser Abmarsch. Die Bedeutung und zugleich die Gefahren, die den Hintergrund eines solchen Ausmarsches bilden, gaben ihm eine wunderbare Weihe. In jedem der Abziehenden und der Zurückbleibenden drängen sich die Gedanken und Empfindungen. Es ist, als erlebte man in einer Stunde so viel als sonst in Monaten und Jahren — diese Begeisterung! Das ganze Bataillon hatte Uniform und Helm mit Blumen geschmückt. Unermüdlich Tücher schwenken aus allen Fenstern und Straßen, tausend Hurras! Hüben und drüben, und dazu die immer und immer wiederholte, ewig neue und wunderbare Versicherung der Soldaten: ,,Fest sieht und treu die Wacht am Rhein!“ Diese Stunde, die selten schlägt im Leben der Völker, ist so gewaltig und ergreifend, dass sie allein viele Anstrengungen und Entbehrungen aufwiegt.

 

Südlich von Châlons, 9. September 1914.

Immer noch wütet diese fürchterliche Schlacht, nun schon den vierten Tag! Bis jetzt bestand sie, wie fast jedes Gefecht in diesem Krieg, beinahe nur in furchtbaren Artilleriekämpfen. — Diesen Brief schreibe ich in einem grabartigen, etwa 40 cm tiefen, selbstgeschaufelten Lager der Schützenlinie. Die Granaten schlagen heute vor und hinter uns so häufig ein, dass man es als ein Geschenk Gottes betrachten muss, wenn man heil davonkam.

 

Attigny, 20. September 1914.

Meine lieben, guten Eltern, teure Geschwister! Ja, ich kann es selbst noch nicht recht fassen, aber es ist wahr, ich bin [verwundet] auf dem Wege zu Euch und zur Heimat. Oh, was ich glücklich bin, wieder eine lichtere Welt zu sehen als diese Welt des Schreckens! Endlich bin ich von dem dumpfen Gedanken erlöst, der mich stets umgarnte, dass ich Euch und Eure Welt nie wiedersehen würde. Wenn nicht ein besonderes, widerwärtiges Ereignis dazwischen tritt, habe ich vom Schicksal die Hoffnung wiedergeschenkt erhalten, Euch noch einmal in die lieben Augen schauen zu dürfen. [Vier Tage darauf starb er im Lazarett zu Luxemburg am Wundstarrkrampf.]

 

*

 

Benno Ziegler, stud. Med., Freiburg i. B.,

geb. 29. Mai 1892 in Überlingen,

gef. 8. Oktober 1914 bei Annay.

 

Im Felde, den 14. September 1914.

Wolle nur die Hand Gottes, die mich bisher so gütig durch alle Fährnisse und Mühen als Unversehrter geführt, auch fürderhin über mir ruhen — und ich werde es an mir nicht fehlen lassen, auch ein Mann zu sein, wenn ich heimkehren sollte. Darauf hoffe ich mehr denn je — scheint doch tatsächlich der Höhepunkt des Kriegsschreckens erreicht zu sein. O Gott! waren das oft Stunden, wenn rechts und links der grausame Tod furchtbare Ernte hielt, wenn man einen fallen sah — vornüber aufs Gesicht — man kennt ihn nicht gleich — mit zitternder Hand kehrt man das blutüberströmte Gesicht um — o Gott! Du bist’s! Warum auch gerade du! Und wie oft ist das geschehen! Ich hatte in solchen Augenblicken nur ein Bild vor meinem geistigen Auge: Ich sah Dich, mein lieber, herzensguter Vater, wie Du segnend Deine Hand auf mein Haupt legtest — an Deinem Bette war’s, am Morgen, als ich fort zu müssen glaubte — und Gottes Gnade für mich erbatest. Vater! Dein Segen hat mir geholfen! Er war’s, der mich stark gemacht hat, stärker als alle meine Kameraden, denn es hat Stunden gegeben, wo ich ihnen Mut und Trost zusprechen konnte, ich, der Schwache. — Ich hatte einen so guten Kameraden, einen Hauptlehrer von Landeck, der zog am ersten Tag, als er aus dem Lazarett kam, mit uns ins Gefecht. Er durfte als Gefreiter zum ersten Male einen ganzen Halbzug führen und war so stolz darauf. „Der zweite Halbzug folgt mir nach. Immer vor!“ rief er laut, ,,nichts wie vor!“ und schon hatte ein Granatsplitter ihm den Unterschenkel abgeschlagen. Er lag abseits, vier Stunden, lag und war dem Verbluten nahe — da hat einer ihn zufällig liegen sehen — noch dauerte das Gefecht an — noch sausten die feindlichen Infanteriegeschosse vom Waldrand in unsere Deckung. Keiner wollte aus der sicheren Stellung heraus, den armen Verwundeten zu holen. Ich hab’s gewagt. Der ihn gefunden hatte, ging mit, und wir trugen ihn auf seinem Mantel in Sicherheit. Ich hab‘ ihn geschindelt, und noch in der Nacht haben wir ihn zu viert zwei Stunden weit ins Lazarett gebracht. Er hat mir zum Dank ein seidenes Hemd und seine Lieblingspfeife geschenkt. Der arme Kerl! Wahrscheinlich muss das Bein bis zum Knie amputiert werden — das sind solche einzelnen Erlebnisse, die mehr Eindruck auf einen machen als der Kampf gegen ein ganzes französisches Armeekorps.

 

*

 

Paul Brüdern, stud. med., Kiel,

geb. 26. Januar 1890 zu Hannover,

gef. 3. Oktober 1914 in Waelhem.

 

Penthy, Dienstag, 22. September 1914.

. . . Mittags wieder im Graben. Überall Artilleriegefecht. ½ 3 Uhr als Freiwillige Patrouille gegen den Feind. Mit vier Mann los. Begegnen einem Unteroffizier mit zwei Mann Der sagt: „Es ist nicht vorzukommen; wir sind von Maschinengewehren und Infanterie beschossen.“ Trotzdem natürlich weiter. Indianer gespielt, an feindliche Stellung herangepirscht, dass ich sie sprechen hörte, ihre Offiziere spazieren gehen sah und beobachtete, wie Wachen abgelöst wurden. Mit vorläufiger Meldung zwei Mann zurückgeschickt, die gut durchkommen.

Wir beobachten weiter. Plötzlich erhalten wir Feuer und nehmen volle Deckung. Dann geht‘s sprungweise vor. Ich voran, einer folgt mir, einer zog es vor, liegenzubleiben in Deckung. An dem Tage habe ich zum ersten Male Angst kennengelernt.

Drei Maschinengewehre sandten uns drei Leuten einen Hagel von Geschossen zu, sechs Kanonen schossen mit Granaten und Schrapnells auf uns. Und da waren wir nicht einige von vielen, sondern wir allein waren das Ziel. Ich wollte auch liegenbleiben, aber die Meldung musste durch, also immer wieder weiter! Sobald ich mich aufrichtete, krachten die sechs Geschütze und knatterten die Maschinengewehre.

Schon lag man wieder auf dem Bauch. Bei einer größeren Schlacht sind die Nerven durch die stundenlange Kanonade so abgestumpft, dass man sich der ungeheuren Größe der Gefahr gar nicht voll bewusst wird, aber hier ist man mit vollem Bewusstsein und ruhiger Überlegung im Schnellfeuer von anderthalb Batterien leichter Artillerie und einem Zug Maschinengewehren.

Dazu gehört straffe Selbstdisziplin, da festzustehen auf Mensur ohne Wimperzucken. Dabei habe ich mir, ungesehen von irgendeinem Vorgesetzten, das Eiserne Kreuz vor mir selbst verdient.

 

 

Mittwoch, den 23. September 1914.

Mittags abgelöst, zurück wie vorgestern. Wir liegen in einem Schweinestall. Ausgemistet, Stroh rein, fertig! Finsterer Gestank.

 

Da liegt man und trinkt mit großem Behagen aus schmutzigem Becher dünnen Kaffee, isst Brot mit Marmelade dazu. Götteressen für unsere Verhältnisse. Im Nachbarhause schlagen drei Granaten ein.

Man ist’s gewohnt, niemand steht auf. Ich sage: „Wenn die nun hier eingeschlagen wären?“ Mein Nachbar: „Dann würde es heller hier, und vor allem hätten wir bessere Luft.“ Er hat recht. Ihr seht, mir geht’s gut.

Heut leben wir friedlich; was morgen kommt, weiß keiner, kümmert keinen. „Führt mich ins Feuer frisch hinein — der dritte Mann soll verloren sein — Werd’ mich nicht lange sperren und zieren —.“ So in der Kriegsstimmung aus dem Dreißigjährigen Kriege ist man auch.

 

*

 

Willi Böhne, stud. chem., Freiburg i. B.,

geb. 11. April 1895 zu Elberfeld,

gef. 24. Oktober 1914 bei Lille.

 

16. Oktober 1914.

Liebe Eltern und Geschwister!

Augenblicklich liege ich hier im Stroh und habe das in der Feldküche zubereitete, sehr schmackhafte Mittagessen zu mir genommen, dabei rauche ich eine der Zigarren, die soeben als Liebesgaben an uns verteilt sind. Doch — —

 

20. Oktober.

Hier ist eine große Pause, die jedoch nicht so nichtssagend ist, wie diese paar Striche.

Was ich schreiben wollte, ist: Doch die Mittagspause ist vorüber und wir müssen wieder an unsere Arbeit. — Arbeit? Ja, wenn Ihr das sähet; wir sind die reinsten Maulwürfe; wir werfen nämlich Schützengräben aus, damit die Herren Engländer hier nicht durchbrechen.

 

So tut man allerlei, wovon man früher keine Ahnung gehabt hat. Aber man tut es gern. Wir machen es uns auch ganz gemütlich; bauen Unterstände, wo wir des Nachts unser müdes Haupt hinlegen und unterschlüpfen können, uns gegen Schrapnells zu schützen.

Wir nehmen ab und zu auch ein Schlückchen Wein; denn Patrouillen von uns haben eine Anzahl Flaschen guten Rotweins mitgebracht! —

 

Erlaube mir, den von Ihrem lieben Sohn und Bruder begonnenen Brief zu vollenden, derselbe ist jetzt außerstande, dasselbe zu tun, denn er ist verwundet.

Um Sie darauf vorzubereiten, teile ich Ihnen dieses ergebenst mit. Machen Sie sich auf das Schlimmste gefasst.

Die Kugel, die den Helden traf, hat leider zu gut getroffen, denn sie hat ihn getötet.

Richten Sie sich aber auf in dem schönen Bewusstsein, dass er den schönsten Tod starb, nämlich den Heldentod fürs Vaterland. Mit freundlichem Gruß! Ein Kamerad, der es gut meint.

 

*

 

Martin Drescher, stud. phil., Berlin,

geb. 22. Juni 1893,

gest. 3. November 1914 an den Folgen seiner Verwundung in Cherbourg.

 

Das war ein Tag, an den ich nur mit Schrecken zurückdenken werde, dieser 21. Oktober. Unsere Artillerie war nicht zur Stelle und wir mussten gegen feindliche Artillerie, Infanterie und Maschinengewehre vorgehen, nein, vorspringen und Deckung suchen. Nicht einmal zum Schuss sind wir gekommen, es war ein Spießrutenlaufen. Am Abend haben wir uns dann noch eingraben müssen: die Minuten wurden zu Stunden, ein kleines Häuflein unserer Kompagnie fand sich zusammen: ich war auch zu einer anderen Kompagnie versprengt worden. Nun die

Totenstille, ringsum brennende Dörfer, Stöhnen von Leicht- und Schwerverletzten; und dann noch mannstief sich eingraben. Um 2 Uhr nachts half ich noch, unseren schwerverwundeten Zugführer suchen. So geht’s Tag um Tag. Fürchterliche Märsche und tagelanges, untätiges Dahinvegetieren, Hitze und Kälte, zu viel Essen und wieder langes Hungern. Die Rede dreht sich nur noch um solche materiellen Dinge und um die Doktorfrage, ob wir morgen noch leben werden. Ich habe mich, so gut es geht, damit abgefunden. Zuerst natürlich befiel mich ein mächtiges Zittern: der Wille zum Leben ist doch zu groß, aber der Unsterblichkeitsgedanke ist ein erhabener Ersatz. Wenn ich auch nicht an die bekannte persönliche Unsterblichkeitsidee glaube, der Anblick der funkelnden Sterne gestern Abend und sonstige Erinnerungen und Beobachtungen aus früherer Zeit, zumal aus Goethe, haben in mir wieder die alte Theorie von der Allseele, in der die Einzelseele aufgeht, belebt. Und so habe ich jetzt schon ruhiger die Granaten über mich hinsausen hören. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich, d. h. meine Seele, nicht bloß dies eine Mal gelebt hat, sondern weiter und weiterleben wird; wie, male ich mir nicht aus, da es zwecklos ist. So bin ich beruhigt und gefeit.

 

*

 

Friedrich (Fidus) Sohnrey, stud. rer. pol., Berlin,

geb. 21. Dezember 1887 in Möllenden,

gef. 8. November 1914 bei Clamecy.

 

Im Schützengraben bei Clamecy, den 23. Oktober 1914.

Hier im Ort gehe ich jeden Tag zn einer Familie mit sechs Kindern. Der Mann ist im Kriege. Die Frau sagt, er sei Reserve-Dragoner. Sie glaubt naiverweise, er sei noch nicht im Feuer gewesen. Aber sie hat seit zwei Monaten fast keine Post bekommen. Sie weint, als sie das erzählt, und hört, wie wir täglich Post von zu Haus erhalten. Ich gehe dort immer hin und lasse mir warmes Wasser machen, um mich nach viertägiger Pause ordentlich zu waschen. Allerdings darf ich mich nicht zu lange aufhalten, denn ein verdächtiges Kratzen der Kinder weist auf unangenehme Hausbewohner. Aber die Leute tun einem leid, sie haben ja kaum noch ein Stück Wäsche zum Wechseln, geschweige denn etwas zu essen. Nur noch Kartoffeln; und die Frau fragt immer weinend, wie lange sie das noch mit ihren Kindern aushalten soll. Sie jammert über den Krieg: „il est triste pour nous et pour vous.“ Die Schuld haben ihrer Meinung nach die Engländer, die sie verflucht. Ganz unglücklich ist sie, als ich ihr erzähle, dass wir uns auf den Winter vorbereiten und vielleicht hier das Christfest im Dorf feiern werden. Sie schluchzt nur noch vor sich hin. Meinen Dank statte ich ab, indem ich ihr Brot und Militärzwieback dalasse, über den die Kinder sich mit großem Jubel herstürzen. Das Jüngste ist fünf Monate. Es ist zwar auf Befehl des deutschen Ortskommandanten eine Kuh im Dorf geblieben, die den kleinen Kindern Milch liefert, aber es ist doch recht wenig. Am zweiten Tage gebe ich jedem der Kinder zwei Sous. Die Frau war durch mein teilnehmendes Wesen sehr gerührt und glücklich. Sie folgte mir zum Abschied bis vor die Haustür und versicherte, dass ihr Haus immer „à votre disposition“ stände. Diese armen Menschen, die den Rest ihrer einst so schönen Anwesen zu halten suchen und dabei immer in Gefahr stehen, von ihrer eigenen Artillerie all ihr Hab und Gut in Brand und Klump geschossen zu sehen, werden allgemein recht bedauert, und ich glaube kaum, dass einer unserer Soldaten ihnen anders als mit Freundlichkeit begegnet. Viele geben ihnen regelmäßig von ihrem Brot ab. Um unsere Feldküche versammeln sich die Ortsbewohner, ihren ständigen Tribut abzuholen. So sorgen wir noch, dass die Angehörigen unserer Feinde nicht ganz zu verhungern brauchen. Das deutsche Gemüt ist wohl das Stück des Deutschtums, das ihm seine Größe einträgt. „An deutschem Wesen soll einst die Welt genesen“ — hier ist wohl das deutsche Gemüt gemeint.

 

*

 

Alfred Buchalski, stud. phil., Gießen,

geb. 24. Oktober 1891 in Bromberg,

gef. 10. November 1914 bei Kortekeer.

 

Vor Dixmuiden, 28. Oktober 1914.

Mit welcher Freude, welcher Lust bin ich hinausgezogen in den Kampf, der mir als die schönste Gelegenheit erschien, Lebensdrang und Lebenslust sich austoben zu lassen. Mit welcher Enttäuschung sitze ich hier, das Grauen im Herzen. Und als krasser Gegensatz dazu: mit welchem Behagen fange ich mit dieser köstlichen Luft das hundertmal verlorene Leben ein! Wie soll ich Dir alles das, was ich die letzten Tage erlebte, so recht erzählen. Ich möchte Dir in einem dieses ganze große Erlebnis: die Schlacht, berichten, und doch sind es wieder nur Einzelheiten, die sich jetzt in den Vordergrund drängen. — Es war furchtbar! Nicht das vergossene Blut, nicht auch der Umstand, dass es vergeblich vergossen war, auch nicht, dass in dunkler Nacht die eigenen Kameraden auf uns schossen, — nein, die ganze Kampfesweise ist es, die abstößt. Kämpfen wollen und sich nicht wehren können! Der Angriff, der mich so schön dünkte, was ist er anders als der Drang: hin zur nächsten Deckung da vorn gegen diesen Hagel tückischer Geschosse. Und der Feind, der sie entsendet, nicht zu sehen! Freilich, noch habe ich Hoffnung, dass man auch an diese Kampfesweise sich gewöhnen werde, und dass sich der Drang: Vorwärts, ran an den Feind! — wird betätigen lassen. Erst etwas leisten, dann schmerzt auch die Kugel gewiss nicht so sehr.

 

*

 

Paul Krebs, stud. arch., Danzig,

geb. 9. Oktober 1894 in Dißdorf,

gef. 21. November 1914 vor Lodz.

 

Oels, Ende Oktober 1914.

Vor meinem langersehnten Abrücken ins Feindesland schreibe ich diese Zeilen. Sie sollen Euch, falls Gott es so fügt, nach meinem Tode meine letzten Grüße bringen, sollen eine kleine redende Erinnerung sein. Was mich mächtig und immer mächtiger hinaustrieb, mit in den Reihen der Kämpfenden zu stehen, wisst Ihr. Es war nicht Ehrfurcht; so groß ist meine Kraft und Gewandtheit nicht, dass ich auf besondere Lorbeeren hoffen könnte. Er war nicht Abenteuerlust, denn ich fühlte mich in meinem bisherigen Dasein so glücklich, dass ich Besseres kaum erhoffen konnte, und die Erfahrung der letzten Jahre hat mich einsehen gelehrt, dass auch die Erfüllung der idealsten Wünsche, der Sehnsucht, hinauszukommen, Welt und Menschen zu sehen und Schönes zu genießen, wertlos und entwertend auf den Menschen wirkt, wenn das Herz nicht fest wird. So spielt auch mein Entschluss, unter allen Umständen mitzuziehen, eine gewaltige Rolle im Kampfe um die Festigkeit des Herzens. Was mich hinaustrieb, war die auflodernde Männlichkeit (fast möchte ich sagen: das Fünkchen Männlichkeit, denn ein schlapper Kerl bin ich leider stete gewesen). Seit es mir in der Neujahrsnacht 1913 klargeworden war, dass der Heiland denen, die ihn aufnehmen, Kraft gibt, Gottes Kinder zu werden (Joh. 1,17 ist mir das köstlichste Wort der Bibel geworden), habe ich wenigstens Siegeszuversicht gehabt und ihm für viele Siege danken dürfen. Aber es fehlte mir noch so viel zur rechten, edlen Männlichkeit. Und ich danke dem Herrn, dass er mir gerade in der Zeit der Not des Vaterlandes dieses Verlangen nach dem Fehlenden brennend gemacht hat. Deshalb wird mir auch der Abschied nicht schwer werden. Denn zu dem hohen Ziel, der Freiheit des Vaterlandes, kommt bei mir noch das der Freiheit meiner selbst hinzu. Drum überwiegt die Enttäuschung über jedes Hinausschieben unseres Abmarsches auch die Freude über Eure Sonntagsbesuche. — Wie freue ich mich trotzdem, wenn ich Euch immer wieder sehen kann. Wie habt Ihr, liebe Eltern und Geschwister, kein Opfer gescheut an Geld, Zeit und Mühe. Und auch das Opfer der Fürbitte habt Ihr selbstlos und anhaltend gebracht. Ich kann es Euch jetzt nicht danken, dafür will ich dem Vaterland mit doppelter Treue dienen und Euch und unsere teure Heimat beschützen helfen. Danket auch dem treuen Vater im Himmel, dass er mir die ganze Zeit meines Lebens, besonders in den letzten Wochen, soviel Freude und Glück geschenkt hat. Ich habe den Ernst des Lebens nie zu kosten bekommen. Meine Kameraden beneiden mich um meine Jugend und mein Elternhaus. Ich habe manchem von diesem kostbaren Kapital abgeben, manchen in mein Elternhaus schauen lassen dürfen. Und viele sind dadurch froher und glücklicher geworden. Wenn ich jetzt dem Tode ins Antlitz schauen werde, so wird’s mir erst wieder ganz klar werden, ob ich das mir anvertraute Gut meines Lebens gut verwaltet habe und dem Herrn aller Welten offenen Auges und mit fröhlichem Dank zurückgeben darf. Viele werden sich jetzt dessen bewusst werden, welch ein köstlicher Besitz eine reine Jugendzeit ist. Wir haben oft kurzsichtig mit ihr getändelt. Ich möchte mit den letzten Regungen meiner schwachen Kraft die Kämpfenden unterstützen und die Schwankenden vom Abgrund fernhalten. Doch was bin ich? Nur Jesus kann das. Er kann alle führen, wie er mich geführt hat. Unverdient hält und trägt er die, die sich ihm anvertrauen. Nur in ihm und durch ihn werden Siege erfochten. Weint nicht, wenn ich auf dem Felde der Ehre bleibe. Ihr hemmt unseren Siegeslauf. Die Zeit gebietet zu handeln und nicht zu trauern. Und Ihr wisst doch, dass ich glücklich bin und mir nichts mangelt. Der Heiland schenkt uns nach dieser Zeit ein seliges Wiedersehn.

 

*

 

Rudolf Fischer, stud. phil., Heidelberg,

geb. am 8. Dezember 1892 in Freiburg i. Br.,

gef. am 1. Dezember 1914 bei Vermelles.

 

Bauvin, den 18. November 1914.

Ich glaube, Ihr stellt Euch unser Leben viel schlimmer vor, als es ist. Für die Kälte gibt es Mantel, Zelte, Decken, für den harten Boden reichlich Stroh, für den Durst Kaffee und selten etwas Wein. Für den Hunger geröstete Kartoffeln (Leckerbissen, wenn nichts anderes zu erhalten), Schwellkartoffeln, wenn wie meist kein Fett aufzutreiben ist, außerdem das nicht schlechte Feldküchenessen. Wahre Feierstunden bedeutet immer der Postempfang für Herz und Magen, namentlich fürs Herz.

Was man entbehren muss, wird aufgewogen durch manches, was ich vorher nicht geahnt. Nie habe ich solche Andacht bei einem Sternenhimmel empfunden und so mit der ganzen Natur gelebt. Morgen, Abend, Mittag, Nacht bedeuten hier etwas. Heute früh zum Beispiel hatte es gereift, ein kalter, dunstiger, weißer Wintermorgen. Ich ging mit Josef ums Dorf rum zum Bäcker. Die Sonne ging gerade winterrot auf. Leute gingen auch übers Feld, um Brot zu holen. Es war ganz heimatlich, die weißverschleierte Landschaft, Feld- und Baumgruppen und das liebliche Dorf, die frische, kalte Luft. Seelisch bin ich wieder ziemlich in Ordnung, bin stolz, mitwirken zu dürfen, kämpfen zu dürfen für Eltern, Geschwister, fürs liebe Vaterland, für alles, was mir bisher das Höchste war. Für Dichtung, Kunst, Philosophie, Kultur geht ja der Kampf. Er ist traurig, aber groß. Das ganze Leben hier im Feld durchdringt ein erhabener Ernst. Der Tod ist täglicher Genosse, der alles weiht. Man nimmt ihn nicht mehr feierlich und mit großen Klagen. Man wird einfach, schlicht gegenüber seiner Majestät. Er ist wie manche Menschen, die man liebt, wenn sie auch Ehrfurcht und Schauer einflößen. — Es kommt keiner aus dem Kriege, der nicht ein anderer geworden. Seid also fröhlich in Freiburg, wie wir im Feld es sind.

 

*

 

Rudolf Moldenhauer, Student der Handelshochschule in München,

geb. 8. März 1894 zu München,

gef. 13. Dezember 1914 zu Maricourt bei Péronne.

 

Halle bei Péronne, 9. Dezember 1914.

. . . Wenn uns ein schöner Sonnenuntergang an den Sumpfgewässern der Somme beschert wird, wenn ein schöner, kalter Dezembermorgen den Frühnebel bricht und die Sonne den roten Lehm des Schützengrabens hell strahlen lässt, so sind wir glücklich und freuen uns wie Kinder über die Schönheit.

Dann sehen wir auf unsere Untergebenen in ihren feldgrauen Kleidern: sie kommen aus den Unterständen, dehnen sich, säubern sich und reinigen ihre Gewehre.

Sie schauen über den Grabenrand, und ihre Augen leuchten, ihre Körper strotzen vor Gesundheit und Gradheit. Alles ist jung und freut sich der Natur und lebt in einem Ganzen, das gegenwärtig das stärkste ist: ein zum Schönen, Guten und Machtvollen erwachsenes Volk.

 

*

 

Franz Blumenfeld, stud. iur. Freiburg i. B.,

geb. 26. September 1891 in Hamburg,

gef. 18. Dezember 1914 bei Contalmaison.

 

Freiburg, 1. August 1914.

. . . Wenn jetzt mobilgemacht wird, muss ich mich ja doch stellen; und da möchte ich mich selbstverständlich lieber hier stellen, wo ich doch Aussicht habe, bald mitzukommen, als in Travemünde, Hamburg oder Bahrenfeld, wo man uns wahrscheinlich nur dazu verwenden würde, den Nordostsee-Kanal zu bewachen. Und ich kann mir nichts Schrecklicheres denken, als irgendwo untätig zu Hause bleiben zu müssen, wenn draußen Krieg und Kampf ist.

Du musst nicht glauben, dass ich Dir dieses in einer Anwandlung von Kriegsbegeisterung schreibe: Im Gegenteil, ich bin ganz ruhig und kann die Begeisterung, mit der manche Leute hier in den Krieg wollen, absolut nicht mitmachen. Ich glaube auch immer noch nicht, dass er kommt, erscheint mir zu unmöglich, ich denke ganz sicher, dass es bei der Mobilmachung bleiben wird. — Aber wenn es losgeht, dann verstehst Du auch, dass ich nicht irgendwo daheim bleiben will? Ich weiß, dass Du eine liebe, verständige, gute Mama bist und auch nicht willst, dass Deine Söhne in einer großen Gefahr feige sind und vorsichtig hinten bleiben . . .

 

23. September 1914 (im Eisenbahnzug nordwärts).

. . . Augenblicklich sitzen wir im Eisenbahnzug, wohin, ist uns nicht gesagt worden, aber es wird angenommen, dass es nach Belgien ginge. Angeblich hätten wir dreißig Stunden Eisenbahnfahrt. Jetzt sind wir nördlich von Trier, ich denke in der Eifel, in einer wunderschönen Gegend. Dazu scheint die Sonne, und alles sieht so friedlich aus. Der Gegensatz zu dem verwahrlosten Lothringen mit all den kriegerischen Bildern und dem ununterbrochenen Regen ist unglaublich. So ganz kommt einem der Ernst des Krieges aber doch noch nicht zum Bewusstsein, ich ertappe mich immer wieder darauf, wie ich einfach die vielen neuen Eindrücke genieße. Da kannst Dir gar nicht denken, welch fabelhaften Reiz rein malerisch dieses ständig bewegte, ungewohnte Bild hat. Gestern Abend das Treiben um den großen Tisch in der Diele eines lothringischen Bauernhauses: Ringsherum wild durcheinander Infanterie und Artillerie, der eine im Helm, der andere die Mütze weit hinten auf dem Kopf oder mitten im Gesicht, alle mit mehr oder weniger unordentlichen Bärten, rauchend, essend, schlafend. An den Wänden noch einer oder der andere, der herumsteht oder seine Pfeife raucht, andere, die am Boden sitzen und schlafen. Und zwischen dem allen wirtschaften zwei alte Bauernfrauen herum, eifrig im Kochen von ein bisschen Suppe und Kaffee, arm und bescheiden und glücklich mit den paar Pfennigen, die sie nachher von den Soldaten für all ihre Mühe bekommen. Ich lerne hier mehr vom Volk, als in all den Unterrichtskursen und Wanderbühnen . . .

 

Im Eisenbahnzug, 24. September 1914.

Meine liebe, gute, teure Mama, ich glaube und hoffe ja bestimmt, dass ich aus dem Kriege zurückkehren werde; aber für den Fall, dass ich das nicht tue, will ich Dir doch jetzt einen Abschiedsbrief schreiben. Du sollst wissen, dass ich, wenn ich jetzt sterbe, gern und zufrieden aus dem Leben gehe. Mein Leben war so schön, dass ich mir nichts darin anders wünsche. Und dass es so schön war, verdanke ich vor allem Dir, meine liebe, gute, beste Mama. Und für all Deine Liebe, für alles, was Du für mich getan hast, für alles, alles möchte ich Dir danken, danken. — Wirklich, Du weißt gar nicht, wie sehr ich gerade in der letzten Zeit eingesehen habe, wie manches in Deiner Erziehung, von dem ich früher nicht ganz überzeugt war, dass es richtig sei (z. B. Deine Betonung der körperlichen Ausbildung) vollkommen richtig und gut war. Aber nicht nur für die Erziehung, für alles, alles möchte ich Dir danken, für das Leben, das Du mir gabst, vor allem aber dafür, dass Du so bist, wie Du bist. Ach, Du weißt aber auch ohne diesen Brief, und viel besser als ich es schreiben kann, wie ich fühle.

Nun möchte ich Dir noch über eines schreiben, das Du Dir nach einigen Stellen in Deinen letzten Briefen vielleicht anders denkst: Warum ich mich als Kriegsfreiwilliger gemeldet habe? Natürlich nicht aus allgemeiner Begeisterung für den Krieg, auch nicht, weil ich es für eine besonders große Tat halte, sehr viele Menschen totzuschießen oder sich sonst im Kriege auszuzeichnen. Im Gegenteil, ich finde den Krieg etwas sehr, sehr Schlimmes und glaube auch, dass bei einer geschickteren Diplomatie es auch diesmal hätte gelingen müssen, ihn zu vermeiden. Aber jetzt, wo er einmal erklärt ist, finde ich es einfach selbstverständlich, dass man sich so weit als Glied des Volksganzen fühlt, um sein Schicksal möglichst eng mit dem des Ganzen zu verbinden. Und auch, wenn ich überzeugt bin, dass ich im Frieden für das Vaterland und das Volk mehr tun kann als im Krieg, so finde ich es ebenso verkehrt und unmöglich, solche abwägenden, fast rechnenden Betrachtungen jetzt anzustellen, wie etwa für einen Mann, der, bevor er einem Ertrinkenden hilft, sich selbst überlegen wollte, wer der Ertrinkende wäre und ob er nicht vielleicht wertvoller sei als dieser. — Denn das Entscheidende ist doch immer die Opferbereitschaft, nicht das, wofür das Opfer gebracht wird. Ich finde den Krieg, nach allem, was ich davon gehört habe, etwas so Fürchterliches, Menschenunwürdiges, Törichtes, Überlebtes, in jeder Weise Verderbliches, dass ich mir fest vorgenommen habe, wenn ich aus dem Kriege heimkehre, mit aller Kraft alles zu tun, was ich kann, damit es in Zukunft so etwas nicht mehr geben kann . . .

 

14. Oktober 1914 (in Nordfrankreich).

. . . Eines drückt mich von Tag zu Tag mehr, ich fürchte mich so vor der inneren Verrohung. Wenn Du mir ein kugelsicheres Netz wünschst, so ist das sehr lieb von Dir, aber merkwürdigerweise hab‘ ich gar keine, aber auch gar keine Angst vor allen Kugeln und Granaten, sondern nur vor dieser großen inneren Vereinsamung. Ich fürchte, meinen Glauben an die Menschen zu verlieren, an mich selbst, an alles Gute in der Welt! Ach, das ist schrecklich! Viel, viel schwerer als das ständige Draußen sein bei jedem Wetter; die Notwendigkeit, selbst für sein Essen zu sorgen, das Schlafen auf dem Heuboden (all das finde ich gar nicht schlimm), viel schwerer ist mir, den unglaublich rohen Ton zu ertragen, der zwischen den Leuten hier herrscht.

Der Anblick der Leicht- und Schwerverwundeten, der herumliegenden toten Menschen und Pferde tut gewiss weh, aber der Schmerz darüber ist lange nicht so stark und anhaltend, wie man sich das vor dem Krieg vorgestellt hatte. Gewiss kommt das zum Teil dadurch, dass man fühlt, wie unmöglich es ist, hier zu helfen. Aber ist es nicht doch schon zugleich der Anfang einer traurigen Gefühllosigkeit, beinahe Rohheit, oder wie ist es möglich, dass es mir weher tut, meine eigene Vereinsamung zu tragen, als den Anblick des Leids so vieler anderer? Kannst Du mich verstehen? Was hilft es, wenn mich alle Kugeln und Granaten verschonten und ich nehme Schaden an meiner Seele? So hätte man das früher ausgedrückt . . .

 

5. November 1914.

. . . Die Stimmungen von damals sind glücklicherweise ganz verflogen. Manches, was wohl nicht Stimmung war, ist wirklich besser geworden. Jedenfalls komme ich jetzt mit meinen Kameraden viel besser aus, und das ist doch sehr wichtig. Ein paar von ihnen sind ja recht streitsüchtige und ewig nörgelnde Menschen, aber wenigstens zwei sind darunter, die ganz famose Kerle sind. Es kommt noch dazu, dass jetzt auf der Straße hinter uns mecklenburgische Jäger liegen. Wenn ich vorbeigehe, werde ich jedes Mal ganz froh und zuversichtlich. Schon allein einmal wieder ordentlich Platt zu hören, tut mir unendlich wohl, und dann, was sind das für feine, wunderbare Kerle. Immer von einer stillfröhlichen Gemütlichkeit, hilfsbereit, frisch und vertragen sich untereinander und mit anderen wundervoll.

 

2. Dezember 1914.

. . . Im Übrigen schießen wir wenig und werden wenig beschossen. Unsere Tätigkeit besteht im Wesentlichen aus Schlafen, Essen, Rauchen, Schachspielen, die anderen spielen Karten, Briefeschreiben, Zeitunglesen. Du siehst, es ist ein ganz gemütliches Leben. Besonders abends, in unserem „Wohnzimmer“, wenn auf dem Tisch eine kleine Kerze brennt, alles ringsum sitzt, raucht oder die guten Sachen, die die Feldpost gebracht hat, verzehrt, hinten in der Ecke auf dem kleinen Ofen einer Kaffee kocht, ein zweiter seine Strümpfe trocknet, ein dritter sich vielleicht Kartoffeln heiß macht; wenn dabei dann noch einer auf einer Mundharmonika Musik macht und die anderen leise oder laut die Melodie mitsummen, dann kann es sogar unglaublich gemütlich und nett hier sein. Wirklich, ich habe mich so an das Leben hier gewöhnt, dass es mir ordentlich leid tut, dass ich Dir zuerst so einen Klagebrief schrieb, bloß weil ich unter dem streitsüchtigen Leben der Mannschaften litt. Jetzt komme ich ganz leidlich mit den anderen aus; es scheint mir auch, dass sie viel verträglicher geworden sind. Manchmal rede ich mir sogar ein, es wäre zum Teil durch meinen Einfluss gekommen.

 

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Emil Alefeld, stud. rer. techn., München,

geb. 12. Dezember 1892 in Darmstadt,

gef. 20. Dezember 1914 in Flandern.

 

Straßburg, 8. Oktober 1914.

Beim nächsten Transport gehen viele Bekannte mit. Wir freuen uns schon sehr. Gott wird mich schützen. Ich habe noch nicht genug auf der Welt leisten können — doch kann es auch sein, dass nach dem Krieg ich bei meinem Volke noch viele Enttäuschungen erleben muss und wir den Sieg nur dem zu danken haben, dass unsere Feinde noch viel schlechter sind. Mit dieser Betrachtung tröste ich mich, wenn mir wirklich Gottes Ratschluss was Ernstliches vorbehalten hätte. Doch wir — ich fasse das Wort im engsten Sinne der wenigen idealen Menschen — sind Deutsche; wir kämpfen für unser Volk und vergießen unser Blut und hoffen, dass die Überlebenden unserer Opfer würdig sind. Es ist für mich der Kampf um eine Idee, die Fata Morgana eines reinen, treuen ehrlichen Deutschlands, ohne Schlechtigkeit und Trug. Und gehen wir zugrunde mit dieser Hoffnung im Herzen, ist es vielleicht besser als den Sieg errungen zu haben und zu sehen, dass es nur ein äußerer Sieg war, ohne die Menschen innerlich zu bessern.

 

Straßburg, 30. November 1914.

Wann ich nun wegkomme, das weiß ich nicht, es können 5 Tage, vielleicht auch 14 Tage sein. — Und wenn ich bestimmt wüsste, ich käme nicht wieder, ich ginge doch hinaus. Nicht mit d e r Begeisterung, die ich bei Mülhausen hatte, wo ich glaubte, unser Volk sei durch den Krieg plötzlich veredelt, meine Begeisterung ist eine andere; ich will kämpfen und vielleicht auch sterben für den Glauben an ein schönes, großes, erhabenes Deutschland, in dem Schlechtigkeit und Eigennutz verbannt, wo Treue und Ehre wieder in die alten Rechte eingesetzt sind. Davon sind wir noch weit, weit entfernt. Wir sind noch zu schwache, eigennützige Menschen, keine wirklichen „Männer“. Ja, ich bin doch ernster geworden, weil ich sehe, dass so viele meiner Mitmenschen es nicht geworden sind.

 

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Kurt Schlenner, stud. jur. et rer. pol., Berlin,

geb. 21. April 1895 in Berlin,

gef. 26. Dezember 1914 vor Ypern.

 

Berg-op-Zoom, den 9. Dezember 1914.

. . . Dass die Empfindungen im Kriege recht oft schmerzlicher Natur sind, ist klar, und ich habe vielleicht zu oft davon geschrieben. Dass daneben viel Herrliches und Wundervolles steht, ist ebenso sicher. Das Schönste von allem ist vielleicht die Kameradschaft im Felde, deren immer erneute Beweise einem das Herz erheben. Da ist einmal die allgemeine Kameradschaft, die durch das ganze deutsche Heer geht, und die es bewirkt, dass jeder jeden „Du“ nennt. Neulich in Amersvelde stand ich abends im wunderschönen hellen Mondschein Wache, vor unserm Quartier auf der Landstraße, und vertrieb mir die Zeit mit Rauchen und Singen. Immerzu kamen Kolonnen vorbeigezogen, halb Artillerie, halb Train. „’n Abend, Kamerad!“ riefen mir dann die vorüberziehenden Leute zu. Einmal öffnete sich auch gegenüber die Tür, und ein Pionier oder sonst was rief mir zu: „He, Posten!“ und schon hatte er mir ein Glas Bier in die Hand gedrückt. Alles einfache Dinge, aber Beweise von herzerquickender Kameradschaftlichkeit. Das erleichtert einem so vieles. Ich glaube, das allein gibt uns schon eine große Überlegenheit über die uns gegenüberstehenden zusammengewürfelten Feindesscharen — da sieht doch sicher erst jeder zu, ob der Kamerad, der da vor ihm auftaucht, auch von seinem Stamme ist. Einen Neger kann man doch nicht als Kameraden achten.

Wichtiger noch als dieses allgemeine, unpersönliche Verhältnis ist natürlich die persönliche Kameradschaft von Mann zu Mann, unter denen, die fortwährend aufeinander angewiesen sind. An keinem andern Maßstab vielleicht ist man so geneigt, die Menschen in gute und schlechte zu teilen, wie an dem der Kameradschaft. Wer beim Nachtmarsch ohne Weg nur auf sich bedacht ist, nur seinem Vordermann nachstürzt und nicht darauf achtet, ob sein Hintermann auch nachkommen kann, na, den nennen wir einen schlechten Kameraden. Wer trotz der eigenen Mühe noch Zeit findet, seinen Vordermann aus den Lehmkuhlen herauszuhelfen und den Hintermann auf die Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, das ist eben ein guter.

Eine feine Unterscheidung kann man auch machen, wenn einer reichliche Feldpostsendungen verteilt: der eine gibt nur, was er nicht brauchen kann und nur das Schlechteste, weil er sich an Besserem delektieren kann, der andere gibt gleichmäßig von allem, isst lieber selber die Kanten vom Kuchen und verschenkt die Mitte. Das Schöne ist nun, dass die Sorte „schlecht“ in Satzkorn. dem Truppenübungsplatz, noch recht häufig war, jetzt aber fast ausgestorben ist; denn der Krieg zwingt uns ja, uns aneinanderzuschließen, jeder weiß ja, wie sehr er vom andern abhängig ist.

Am Maßstabe der Kameradschaftlichkeit aber kann man jedem bis auf den Grund der Seele sehen, und es erweist sich da, was an dem Zivilmenschen, den man sonst kannte, Aufputz war.

Andererseits erkennt man den wunderhellen Kern in der unscheinbaren Außenseite manches andern. Das schönste Beispiel hierfür ist mir mein lieber Kamerad G., ein Zweijähriger.

Der Mann sieht wirklich furchtbar dämlich aus, und sein Benehmen ist unbeholfen und anspruchslos, und doch verdanke ich seiner kameradschaftlichen Hilfe unendlich viel. Und in langen Gesprächen im Schützengraben und im Quartier, die mir mit die schönsten Stunden des Krieges verschafft haben, habe ich ihm auf den Grund der Seele schauen dürfen und habe gesehen, was für ein Ringen und Streben in dem Mann ist, und wie er den weitaus meisten von denen, die sich gebildet nennen, himmelhoch überlegen ist.

 

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Karl Aldag, stud. phil., Marburg,

geb. 26. Januar 1889 in Obernkirchen,

gef. 15. Januar 1915 bei Fromelles.

 

Flandern, 11. November 1914.

Am 14. kamen wir zum Regiment und wurden auf die Kompagnien verteilt. Nachts marschierten wir in ein Dorf, das von einem bayrischen Regiment erobert war. Wir lösten die Bayern ab; es war eine sehr weit vorgeschobene Stellung und nicht befestigt, sehr gefährlich, wie sich bald herausstellte. Wir lagen in den verlassenen Häusern, auf Stroh, sehr dicht zusammen. Am ersten Tag gegen Mittag ging es los, rannten und Infanteriesalven regneten in das Dorf; wir gingen in den Keller; als aber alles näher kam, mussten wir hinaus zur Verteidigung. Wir hatten keine Schützengräben oder sonst gedeckte Stellungen und waren dem Granatfeuer sehr ausgesetzt, den ganzen Nachmittag; das waren schwere Stunden voll Entsetzen und Schrecken. Abends ging dann die Schießerei nochmals los (bis ½ 10). Der Kontrast mit dem friedlich sich niedersenkenden Abend war erschreckend und traurig; die Sterne standen so ruhig und voll tiefen Leuchtern; über dem Gefecht, das war doch schön.

Den 19. Oktober machten sie den Angriff. Von drei Seiten Artilleriefeuer. Die Infanterie kam so nahe an uns heran, dass wir die Kommandos verstehen konnten. Da fiel auf einmal Artillerie von uns ein, und sofort stockte alles; dann begann ein fröhliches Schießen, sie hatten starke Verluste und bald war alles still. Wenn sie Courage gehabt hätten, wären wir an dem Tage verloren gewesen. Wir standen wie in einem Hufeisen, hatten aber trotzdem nur wenig Verluste. Die Stimmungen dieses Nachmittags kann ich nicht beschreiben, Angst vor dem Tode habe ich keinen Augenblick empfunden; man gibt sich dem Verhängnis frei hin, wen es treffen soll, den trifft es doch. — Darauf machten die Franzosen keinen Angriff wieder, wohl aber beschossen sie uns oft und stark, besonders die englischen Schiffsgeschütze, die ein grausiges Getöse machten. Wir schafften eine immer sicherere und befestigtere Stellung. Interessant war auch ein Vorposten von 24 Mann, der bei Tage nicht abgelöst werden konnte, weil man durch das Schussfeld der Franzosen hätte gehen müssen; man musste also 24 Stunden stehen, natürlich nachts abziehen, es war 150 Meter vom Feind entfernt oder noch näher. Dicht vor uns schoss feindliche Artillerie ab, links hinter uns lag feindliche Infanterie. Als ich oben war, war am Tag Gefecht, wir konnten des Abends nicht abgelöst werden, lagen 48 Stunden und die Nacht darauf auch noch, also zusammen 60 Stunden, d. h. 3 Nächte, zum Teil im Regen und in dauernder Wachsamkeit. Solche Posten und Anforderungen machen mir Freude; ich bin stolz, ihnen gewachsen zu sein.

Unser Zweck hier ist, die Stellung zu halten, Durchbruch zu verhindern und zu warten, bis der rechte Flügel (Calais!) mit uns in einer Linie steht. Dann geht es vorwärts. Auf dem rechten Flügel scheint es ja siegreich vorzugehen, immer gerade in diesen Tagen häufen sich Nachrichten, Dixmuiden sei gefallen, Amerika habe England den Krieg erklärt, 1000 Franzosen seien heute übergelaufen, viele gefangen genommen usw. Der Kanonendonner aus der Ferne hört nie auf. Ich freue mich, wenn es auch bei uns losgeht, wir auf Paris losrücken. — Für alles, was Ihr geschickt habt, danke ich Euch immer und tief; mehr noch erfüllen mich Eure Briefe mit Frömmigkeit und Liebe. Eure Gedanken und Gefühle lassen die wundertiefe Elternliebe so herrlich und groß erkennen, dass ich sie nicht genug oft lesen kann. Es ist mir, als müsste ich, wenn wir uns wiedersehen, Eure lieben alten Hände, Eure Stirn und Eure Augen küssen, wie etwas Heiliges. Gott wird mit uns sein; ich habe ein starkes Vertrauen. Allerdings, wenn ich bedenke, wie alle Soldaten, besonders die Landwehrmänner und Familienväter zu Hause erwartet werden, wie für alle gebetet wird, und wie viele schon Trauer und Unglück tragen müssen, dann kommt es mir wie eine nicht zu ermessende, wie eine unverdiente Gnade, wie ein Wunder vor, wenn gerade ich die Erfüllung dieser Bitten erleben sollte; Ich fühle mich stolz, wenn Ihr so stolz von mir schreibt, und so demütig, wenn ich an das mögliche Schicksal denke. Stolz bin ich, da ich weiß, dass unser Haus durch mich das Schicksal des Vaterlandes mitschaffen hilft und ich selbst dafür ein Opfer bringen kann. — — Heute, am 13. November, um 10 Uhr, war Feldgottesdienst. In einer Dorfkirche, die schon als Krankenlazarett gedient hatte, und in der Stroh lag, die mit Gewächshauspflanzen und Blumen ausgeschmückt war, verlas ein evangelischer Divisionspfarrer eine Bibelstelle, wir sangen ein Lied („Mir nach, ihr Christen“). Dann folgte eine Predigt, dann wieder der Choral „Nun danket alle Gott“. Es war eine ergreifende Feier, voll Heimatgedanken, voll nach innen gelehrter, männlich tiefer, schmerzlicher Andacht, gläubigen Hoffens, frommen Dankes. Die Leute erzählen sich untereinander viel davon, wieviel frommer unser Volk geworden sei durch diesen Krieg; es ist rührend, die Leute so von selbst zu unsereinem vertrauensvoll davon reden zu hören; Spötter wagen nicht mehr laut zu werden, oder gibt es gar keine mehr. — Ich danke der lieben Mutter für den kleinen Gottesgruß aus dem Psalter, der mir innig wohlgetan hat. Und so lebt denn wohl, Ihr Lieben, mit denen ich immer zusammenlebe in dieser großen, starken, andächtigen Zeit, an die zu denken mich stärkt und frömmer macht.

 

Bei Fournes, 18. Dezember 1914.

Es ist ein eigenartiges Weihnachtsfest in diesem Jahr, so widerspruchsvoll eigentlich gegen das Evangelium der Liebe — und doch wird es mehr Liebe säen als jedes andere. Liebe unter dem eigenen Volke und Liebe zu Gott.

Ich glaube sicher, dass das Fest in diesem Jahr tiefer empfunden wird als je, und daher vielen zum Segen gereicht, trotz des Krieges. Ich habe auch mit tiefer Freude und innigem, andächtigem Entzücken unsere Weihnachtslieder gesungen. Wir singen sie zweistimmig in unserm Ruhequartier, einem großen warmen Kuhstall, auf dem einzigen Tisch einen brennenden kleinen Tannenbaum, den einer geschickt erhielt. Ich empfand das ganze große Geheimnis der Welterlösung und das Wunder des Gottessohnes wie in keiner Predigt. An dem Weihnachtstage werde ich immer zu Hause sein in Gedanken, und ich kann nicht mehr tun, als Euch allen wünschen, dass auch Ihr ein andächtiges, geheiligtes Weihnachtsfest erleben werdet, das Euch Glück und Segen ins Haus bringt und Vertrauen auf den Gott der Liebe, der uns behüten wird. Es gibt keine größere Stärkung für mich als zu wissen, dass Ihr für mich betet. Ich habe ein wirkliches Vertrauen in die Zukunft. Diese Glaubensstärke, in der wir alle demütig leben, möge uns das Weihnachtsfest bestärken und verschönern.

Ich schreibe dies morgens früh bei Kerzenlicht an dem Tisch im Kuhstall. Die Kameraden wuscheln sich aus dem Stroh, waschen sich; wir mussten die Nacht alarmbereit schlafen, gepackt und umgeschnallt, was sehr unbequem ist. Aber es tobte die ganze Nacht Kanonen- und Infanteriefeuer. Große Feuerlohen hinten am Himmel. Und in 6 Tagen ist Weihnachten!

 

Bei Fournes, Weihnachten 1914.

Weihnachten im Felde! Wir lösten gerade den 24. Abends ab, so um 10 Uhr. Die Engländer sangen auch Weihnachtslieder, zum Beispiel ein herrliches Quartett.

Auch bei uns klangen die schönen, alten Lieder, nur hier und da ein Schuss dazwischen. Die Postenstände im Graben schmückte man sich mit Tannenzweigen und Flittergold aus der Heimat, auch die Erdbuden.

Dann um 10 Uhr kam eine andere Kompagnie, wir marschierten ins Quartier, 1 ½ Stunden lang. Es war die schönste, klarste Nacht seit langer Zeit, so still und herrlich rein, wie Weihnachten sein muss.

 

Es wurde Frost und damit ein Ende des Schlammes und Dreckes. Ich dachte sehr an zu Hause und bedauerte, dass Ihr keinen Weihnachtsbaum gemacht habt, denn so konnte ich mir Euch gar nicht vorstellen.

Schön war es, wie die Leute zusammenstanden, die Namen aufgerufen wurden und die Pakete dann über die Köpfe hingereicht wurden — alle waren Weihnachtskinder, die vor ihren Paketen knieten und kramten, bei Kerzenlicht, an den Krippen im Kuhstall, wie in der ersten Weihnacht. Abends war dann die richtige Weihnachtsfeier.

Zwei große Bäume brannten auf großen Tischen. Alles was man sich wünschen mochte, war überreich da: Wollsachen, Tabak, Spekulatius, Schokolade, Würste — alles Liebesgaben. Was hat Deutschland für uns getan!

Dann kam der Regimentskommandeur und der Divisionspfarrer, die heilige Weihnachtsgeschichte wurde verlesen und liebe alte Lieder gesungen.

 

3. Januar 1915.

Ich habe mir eine Pfeife angesteckt und mich an den Tisch in unserm Kuhstall gesetzt, um nach Hause zu schreiben, wo sie sicher wieder auf Lebenszeichen warten. Die Pfeife schmeckt und auch sonst geht es dem alten Krieger gut. Ganz eigenartig war Silvester hier. Es kam ein englischer Offizier mit weißer Fahne herüber und bat um Waffenruhe von 11 bis 3 Uhr zur Beerdigung der Toten (kurz vor Weihnachten waren hier heftige feindliche Angriffe gewesen, wobei die Engländer viele Tote und Gefangene verloren hatten). Sie wurde gewährt. Es ist schön, dass man nicht mehr die Leichen vor sich liegen sieht. Die Waffenruhe aber wurde ausgedehnt. Die Engländer kamen aus ihrem Graben heraus in die Mitte, tauschten Zigaretten und Fleischkonserven, auch Photographien aus mit den Unsern, sagten, sie wollten nicht mehr schießen. So herrscht vollständige Ruhe, die einem seltsam vorkommt. Wir und sie gehen und stehen auf der Deckung, über dem Graben. —

Es konnte nicht so weitergehen, und so schickten wir hinüber, sie möchten in den Graben gehen, wir würden schießen. Da antwortete der Offizier, es täte ihnen leid, ihre Leute gehorchten nicht. Sie hatten keine Lust mehr. Die Soldaten sagen, sie könnten nicht mehr im nassen Graben liegen, Frankreich wäre kaputt. Sie sind auch wirklich viel schmutziger als wir, haben mehr Wasser im Graben als wir und viele Kranke. Es sind ja Söldner, sie streiken einfach. Wir schossen natürlich nicht, denn auch unser Laufgraben (der vom Dorf in die Feuerlinie führt) ist stets voll Wasser, und es ist gut, dass wir über die Deckung gehen konnten ohne Lebensgefahr. Ob das ganze englische Heer streikt und den Herren in London einen Strich durch die Rechnung macht? Unsere Leutnants gingen hinüber und schrieben sich in ein Album der englischen Offiziere ein. Eines Tages kam ein englischer Offizier und bestellte, ihre Oberleitung hätte die Beschießung unserer Gräben befohlen, wir möchten Deckung nehmen, und dann schoss die (französische!) Artillerie, allerdings sehr heftig, aber ohne uns Verluste beizubringen.

Silvester riefen wir uns die Zeit zu und verabredeten, um 12 Uhr Salven zu schießen. Der Abend war kalt. Wir sangen Lieder, sie klatschten Beifall (wir liegen 60 — 70 Meter gegenüber), wir spielten Mundharmonika, dazu sangen sie, und wir klatschten. Dann fragte ich, ob sie nicht auch Musikinstrumente da hätten, und dann kriegten sie einen Dudelsack vor (es ist die schottische Garde mit den kurzen Röcken und nackten Beinen), sie spielten ihre schönen elegischen schottischen Lieder darauf, sangen auch. Um 12 Uhr dann knatterten Salven von beiden Seiten in die Luft! Dazu ein paar Schüsse unserer Artillerie, ich weiß nicht, wohin die schossen, die sonst so gefährlichen Leuchtkugeln prasselten auf wie ein Feuerwerk, mit Fackeln wurde geschwenkt und Hurra geschrien. Wir hatten uns einen Grog gebraut und tranken den mit einem Hoch auf Kaiser Wilhelm und auf das neue Jahr. Es war rechter Silvester, wie im Frieden.

 

Zwischen Lille und La Bassée, 10. Januar 1915.

Schlamm und Wasser füllen den Schützengraben, Wasser von unten und Regen von oben. Tag und Nacht wird geschanzt, Erde geschaufelt, Wasser geschöpft und gepumpt. Und dabei die Fruchtlosigkeit, dass alles vergeblich ist! Das Wasser bleibt. Und immer weiter fällt Regen in schweren Schauern. Dabei eine das ganze Gemüt bedrückende Nachtdunkelheit, weil jedes Licht verraten würde! Unglaublich düster diese Stimmung, wenn in dem Regen die Dämmerung undurchdringlich einfällt! Ich kann gestehen, dass oft Ekel mich ergreift gegen das Leben in diesem Schlamm und Dreck und das unausgesetzte, nasskalte, vergebliche Arbeiten. Es sind Strapazen, die kein Mensch im Frieden für eine zivile Sache ertragen würde. Nur das macht mich ruhig, zu fühlen, wie mit den Anforderungen die Kräfte wachsen. Eine Geduld und Ausdauer fühle ich in mir, wie ich sie nie kannte und für möglich hielt. Und herrlich ist es, wie gut sich die Leute dareinfinden, wie keinen die Müdigkeit und Verzweiflung überwindet, wenn auch der Unterstand eingefallen ist und Nächte hindurch an einem neuen gearbeitet werden muss. Freudig ist es, zu sehen, wie religiös die Grundstimmung ist, wie — wenn man die Religion als Mittelglied ansieht — die Scheu und Ehrfurcht vor Stillem zu fühlen ist. Frivolitäten kommen kaum mehr vor. Alles wird neu erlebt. Köstlich diese tragisch-späte, ungeschickte Reife und Stille! Bei alten Volksliedern weinen Leute, denen man ganz anderes zutraute, die einen wohl gar an das erinnerten, was man früher Proleten nannte. Vaterlandslieder, Soldatenlieder und Choräle fließen mit ganz neuer, ungehemmter Unmittelbarkeit hervor. Fast immer auf Nachtposten hört man Choräle singen. Da war ein Kerl, mit dem ich gestern Morgen noch im Graben Posten stand, der sang einen Choral und dann eines von diesen alten, langsamen, immer etwas traurig klingenden Soldatenliedern, ein trotz aller Strapazen fröhlicher Bauernkerl — und einige Stunden später lag er tot, mit dem Gesicht im Dreck. Das Glück in diesem reichen, unmittelbaren Erleben unseres Volkes ist mir sehr wertvoll, zumal es sicher eine Neugestaltung ist.

 

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Karl Josenhans, stud. theol., Tübingen,

geb. 4. Oktober 1892 in Leonberg,

gef. 29. Januar 1915 in den Argonnen.

 

Schloss Hindenburg, 9. November 1914.

Wir kamen in die neuerstürmte Stellung, und da lagen vor und hinter dem Graben noch einige Tote. Ich selbst habe zwei Franzosen und drei Deutsche beerdigen lassen, und die Briefschaften abgenommen. Da findet man die Briefe von zu Hause; einem katholischen Landwehrmann schrieb seine Mutter alle möglichen Gebete, die besonders wirksam seien, sie hofft bestimmt auf das Wiedersehen. Und dann viele französische Briefe. Da heißt es in dem Brief einer Frau am Schluss immer wieder: „Petit-Petit est toujours bien sage.“ Einem andern schrieb seine Schwester, dass sie ihm zwei Pfund Schokolade schicke. Außerdem will sie ihm Handschuhe schicken, die den Nebel nicht so anziehen, auch noch eine Kapuze gegen den Regen. Alles, wie bei uns, und wenn man das liest, vergeht einem der letzte Funken von Hass gegen die Franzosen, falls ein solcher überhaupt noch da sein sollte. . . . Ein Mordinstrument, das wir voraushaben, sind die großen Minenwerfer. Da werden große Granaten etwa 400 Meter weit in die Luft geschleudert und fallen dann fast senkrecht nieder. Ich habe dieses Mal ihre Wirkung genau betrachten können. Äste und Erde wurden haushoch in die Luft geschleudert, und, obwohl die Minen 80 Meter vor aus niederfielen, zitterte bei uns der Boden. Während dieser Explosion habe ich mittels eines Wallspiegels in den Laufgraben der Franzosen hineingesehen und beobachtet, wie die geängstigten Leute im Laufschritt nach hinten durchgingen. Aber es stand offenbar hinten jemand mit der Pistole, denn der eine wie der andere kroch wieder vor. Menschenjagd ist dieser Krieg, und das gehört zum Gemeinsten. Da kann man froh sein, dass wir nicht schuld sind an diesem Kriege; denn auch so erfasst einen hie und da der Ekel, aber das muss ich sagen: der Anblick der Toten selbst mit den schrecklichsten Wunden hat mir gar nichts ausgemacht. Es wird einem beim Anblick dieser traurigen Reste klar, wie wenig dieser Erdenkörper mit der unsterblichen Seele zu tun hat, und hier draußen hält man sich auch viel weniger auf mit dem Leib als im Frieden der Heimat.

. . . Ich sah eben die Posten nach, die alle hinter Stahlschilden standen. Kaum war ich an dem einen vorbeigegangen, als er lautlos zu Boden stürzte. Es war stockdunkle Nacht, umso schauriger war es, das Leben in einem starken Strom hinwegrauschen zu hören. Da ich nicht wusste, ob noch etwas zu heilen war, musste ich zuerst Licht machen, und da sah ich mit einem Blick, dass es aus war. Er hatte seinen Kopf etwas über seinen Stahlschild erhoben, wo noch ein Sandsack aufgebaut war. Durch diesen Sandsack drang in dem einen Moment ein Geschoss, stellte sich quer und traf den Mann in die Stirn. Die französischen Geschosse sind ja um einiges länger als unsere, und ein sogenannter Querschläger reißt grausige Wunden.

Von körperlichen Strapazen ist bei mir nicht die Rede, ich habe meine Teppiche bei Nacht, immer genug zu essen und zu trinken; das Pfeifen und Einschlagen der Kugeln in die Wälle macht einem nichts mehr aus. Aber die Verantwortung ist es, die einen angreift. Sie lässt einem nachts keine Ruhe, man sieht immer wieder nach seinen Posten, damit ja alles aufpasst. Und dieses geht einem dann auch in der Zeit der Ablösung nach, so dass man nachts immer von Posten und Schützengraben träumt. In der zweiten Nacht nach der Ablösung wird es besser, so dass man dann sogar wieder Friedensbilder träumt. Wie Hohn klingt mir jener Satz, den ein Stadtpfarrer einem Kameraden (Lehrer) schrieb: „Ein baldiges Ende des Krieges dürfen wir nicht wünschen, weil es nicht möglich ist.“ Ich möchte den Mann nur einmal einen Blick tun lassen zu uns heraus. Und auch viele Feldpostbriefe werden dem Ernst nicht gerecht; die meisten der schönen Briefe sind von Leuten geschrieben, die sich einige Kilometer hinter, der Front herumbewegen. Also bitten wir getrost um ein baldiges Ende.

 

Schloss Hindenburg, 21. November 1914.

. . . In den letzten zwei Nächten der Ablösung war ich immer noch im Schützengraben mit meinen Träumen, aber hoffentlich wird es die nächste Nacht ein ruhiges Bild sein. Es ist gut, dass der Mensch auch vergessen kann, und dass vieles in der Erinnerung verblasst, sonst müsste man unter dem bald zusammenbrechen. Ihr begreift, dass einem der Horizont da sehr klein wird, an die allgemeine Lage sonst kann man nicht denken, und man ist geneigt, seine eigene Lage auf das übrige zu übertragen. Mein einziges Gebet war in den letzten Tagen: „Herr, es ist genug!“ Und gerne hätte ich mit Elias weitergesprochen. Aber wir müssen auf unserem Posten bleiben, das bleibt uns bei allem Schwerem fest in der Seele. Eben spielte die Musik draußen: „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren!“ Soweit sind wir zwar noch nicht, aber an dem Glauben, dass es Gott trotz allem zum guten Ende führt, werden wir nicht irre, sonst wären wir heute besser tot als morgen. .

 

12. Januar 1915.

Am 31. Dezember hatte unsere Kompagnie das Aufräumungskommando. Eine Unmenge Sachen wurden zusammengetragen. Außerdem hieß es, die Toten begraben. Die Franzosen haben in ihren Gräben 30 Zentimeter Wasser gehabt. Hier die Toten herausziehen, die Erkennungsmarke abnehmen: es graust einem vor gar nichts mehr. — Die Franzosen haben fast durchweg Medaillons umgehängt, vorzugsweise mit der Inschrift: „la vierge immaculée“. Photographien fanden wir auch und Notizbücher mit Couplets darin. Ich könnte beinahe garantieren, dass man bei keinem unserer Soldaten derartiges finden würde. Ein Allgemeinurteil will ich damit nicht fällen über die Franzosen, denn in ihren Briefen heißt es immer wieder: „Dieu te protègera.“ Aber das habe ich noch nie gelesen, was ich bei manchem deutschen Toten gelesen habe: „Wenn es Gottes Wille ist.“