Kriminalstrategie - Ralph Berthel - E-Book

Kriminalstrategie E-Book

Ralph Berthel

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Beschreibung

Mit Blick auf die aktuellen nationalen und internationalen gesellschaftlichen Entwicklungen gewinnt fundiertes, konzeptionelles Handeln der Akteure der inneren Sicherheit zunehmend an Bedeutung. Das Buch leistet einen Beitrag, um dieser Herausforderung gerecht werden zu können. Es bildet - das Wissen über Kriminalstrategie als Teil der Kriminalistik ab, - greift die mannigfaltigen Anforderungen an die Planung und Umsetzung konkreter Strategien zur Vorbeugung und Bekämpfung von Kriminalität auf und - stellt die Inhalte erfolgreicher Kriminalstrategie dar.Dem Leser wird ein praxistauglicher Instrumentenkasten zur Entwicklung solcher Strategien an die Hand gegeben. Besonderes Augenmerk widmen die Autoren deren Wirkungen und ihrer Nachhaltigkeit. Über die Darstellung einer Vielzahl von Beispielen für erfolgreiche kriminalstrategische Konzepte bietet das Buch neben dem theoretischen Rahmen auch eine Fülle an Praxistipps. Der Titelzusatz "Konzepte zur Verbrechensbekämpfung" soll dies verdeutlichen. Das Buch wendet sich an alle, die sich, ob auf örtlicher, regionaler, nationaler oder internationaler Ebene, in Theorie und Praxis, Studium bzw. Ausbildung mit dem Erkennen, Aufdecken, Verhüten, Aufklären und Bekämpfen von Kriminalität befassen.

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Kriminalstrategie

Konzepte zur Verbrechensbekämpfung

von

Ralph Berthel und Matthias Lapp

 

2., neu bearbeitete Auflage

 

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www.kriminalistik-verlag.de

Herausgeber

Berthel/Lapp · Kriminalstrategie

Grundlagen

Die Schriftenreihe der „Kriminalistik“

Autoren

Leitender Kriminaldirektor a. D Ralph Berthel, studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Dozent im Masterstudiengang Kriminalistik an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg sowie im Masterstudiengang Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Ralph Berthel ist Autor bzw. Herausgeber einer Vielzahl von Veröffentlichungen zu kriminalwissenschaftlichen Themen sowie zu den Themenbereichen „Polizei in der digitalen Welt“ und „polizeiliches Bildungswesen“. Darüber hinaus ist er Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e. V.

Matthias Lapp, Leitender Kriminaldirektor im Hochschuldienst, studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Kriminalistik und absolvierte die Polizei-Führungsakademie in Münster (heute: Deutsche Hochschule der Polizei). Er leitet seit 2019 das Fachgebiet Kriminalistik – Grundlagen der Kriminalstrategie an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster und ist dort als Dozent für Kriminalistik tätig. Er vertritt die DHPol in der AG Kripo. Zu seinen Themengebieten zählen neben der Allgemeinen Kriminalstrategie u. a. die Bekämpfung der Massen- und Straßenkriminalität, die Organisation der Kriminalitätsbekämpfung sowie die Kriminalitätsanalyse. Matthias Lapp ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e. V. und war zeitweise im Vorstand aktiv.

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <https://portal.dnb.de> abrufbar.

 

ISBN 978-3-7832-4059-7

 

E-Mail: [email protected]

Telefon: +49 6221 1859 599Telefax: +49 6221 1859 598

 

www.cfmueller.de

 

© 2024 C.F. Müller GmbH, Heidelberg

Hinweis des Verlages zum Urheberrecht und Digitalen Rechtemanagement (DRM)

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Der Verlag räumt Ihnen mit dem Kauf des e-Books das Recht ein, die Inhalte im Rahmen des geltenden Urheberrechts zu nutzen.

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Geleitwort

Kriminalstrategie ist eine Teildisziplin der Kriminalistik. Auf den Punkt gebracht, kann darunter ein konkretes Konzept zum gesellschaftlichen oder zumindest institutionellen Umgang mit Kriminalität und den damit verbundenen Handlungen verstanden werden.

Die Erarbeitung und Umsetzung solcher Konzepte erfolgen stets im gesellschaftlichen Kontext. Dabei ist eine Reihe von Spannungsfeldern zu beachten. Zudem wird das kriminalstrategische Handeln von einer Vielzahl von Rahmenbedingungen beeinflusst, etwa soziokultureller, politischer oder wirtschaftlicher Natur.

Die Kriminalstrategie hat insoweit wichtige Scharnierfunktionen, z. B. zur Kriminal-, Sicherheits- oder Justizpolitik. Zugleich ist ihr ein gestaltender Charakter u. a. hinsichtlich der polizeilichen Aufbau- und Ablauforganisation immanent.

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage des Handbuches der Kriminalstrategie im Jahr 2017 scheint der Bedarf an der Entwicklung und Umsetzung kriminalstrategischer Konzepte noch einmal größer geworden zu sein.

Der technische Fortschritt, die Klimaveränderungen, der gesellschaftliche Wandel aber auch die jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen werden begleitet von vielfältigen Kriminalitätserscheinungen, auf die sowohl der Staat als auch andere gesellschaftliche Akteure mit unseren demokratischen Werten vereinbare Antworten geben müssen.

Auch in der aktualisierten zweiten Auflage bleibt das Handbuch der Kriminalstrategie daher ein wichtiges Buch. Es schlägt die Brücke von der kriminologischen Erforschung möglicher Ursachen von Kriminalität zu ganz konkreten Handlungen im Umgang mit Kriminalität. Dabei lenkt das Buch den Blick von der einzelnen Straftat hin zum Kriminalitätsphänomen, vom einzelnen Tatort hin zum kriminalgeografischen Raum und von der Bearbeitung des Einzelfalles hin zur Organisation der Kriminalitätsbekämpfung in seinen vielfältigen Facetten.

Das Buch beschreibt konzeptionelle Ansätze für kriminalstrategisches Handeln im Alltag und stellt eine Methode vor, wie unter Beachtung der Rahmenbedingungen und Spannungsfelder, der Erwartungen von Öffentlichkeit und Politik, der gesetzlichen Vorgaben und des taktisch Möglichen angelegte Kriminalstrategien erfolgversprechend entwickelt und umgesetzt werden können. Insofern besitzt es eine hohe Praxisrelevanz.

Das Handbuch führt Erkenntnisse zum kriminalstrategischen Denken, wie sie insbesondere im Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern, an der Deutschen Hochschule der Polizei, aber auch in den Länderdienststellen entwickelt wurden, weiter und systematisiert sie.

Neben dem methodischen Leitfaden bietet das Buch dem Leser eine Vielzahl von Begriffsdefinitionen. Sinnvoll erscheinen zudem die Einordnung der Kriminalstrategie in die Kriminalistik, die Darstellung des Verhältnisses zur Polizeiwissenschaft und zur Kriminalpolitik. Es liefert zudem einen Abriss der Geschichte kriminalstrategischen Denkens und Handelns. Damit leisten die Autoren einen wichtigen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs in Bezug auf die Weiterentwicklung der Kriminalistik.

Die Autoren sprechen sich für einen ressortunabhängigen Begriff von Kriminalstrategie aus, der nicht auf Sicherheitsbehörden beschränkt ist. Daher können sich von diesem Handbuch nicht nur Führungskräfte von Sicherheitsbehörden angesprochen fühlen, sondern auch all jene, die außerhalb von Sicherheitsbehörden mit Kriminalitätsphänomenen befasst sind und strategische Entscheidungen treffen müssen.

 

Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange, Präsident der Deutschen Hochschule der Polizei

Geleitwort zur 1. Auflage

Kriminalstrategisches Handeln vollzieht sich im Rahmen einer Vielzahl von Spannungsfeldern. Dabei sind jene zwischen Sicherheit und Freiheit sowie Aufgabenerfüllung und Ressourcen wohl die augenfälligsten. Strategisches Agieren ist dabei beeinflusst von einer Vielzahl von Rahmenbedingungen, etwa soziokultureller, politischer oder wirtschaftlicher Natur. Diese haben mehr oder weniger Einfluss auf strategische Handlungsspielräume. Gleichzeitig befinden sich diese auch in einer ständigen Wechselwirkung mit strategischem Handeln. Kriminalstrategisches Agieren hat insoweit wichtige Scharnierfunktionen, etwa zur Kriminal-, Sicherheits- oder Justizpolitik. Zugleich ist ihm ein gestaltender Charakter etwa hinsichtlich aufbau- und ablauforganisatorischer Prozesse immanent.

Die Autoren legen mit diesem Buch zu Rahmenbedingungen, Inhalten und Methoden der Kriminalstrategie ein wichtiges Werk vor. Es beschreibt konzeptionelle kriminalistische Arbeit und vermittelt strukturiert Anhalte für kriminalstrategisches Handeln im Alltag.

Das Buch stellt eine Methode vor, wie unter Beachtung der Rahmenbedingungen und Spannungsfelder, der Erwartungen von Öffentlichkeit und Politik, der gesetzlichen Vorgaben und des taktisch Möglichen, Kriminalstrategien erfolgversprechend entwickelt werden können.

Von besonderer Bedeutung sind die Praxisrelevanz der vorgestellten Methode und in diesem Kontext die Bezugnahme auf erfolgreiche kriminalstrategische Modelle.

Die Darstellung baut auf den Erkenntnissen zum kriminalstrategischen Denken, wie es insbesondere im Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern, an der Deutschen Hochschule der Polizei, aber auch in den Länderdienststellen entwickelt wurde auf und systematisiert diese.

Neben dem methodischen Leitfaden bietet das Buch dem Leser eine Vielzahl von Begriffsdefinitionen. Sinnvoll erscheinen zudem die Einordnung der Kriminalstrategie in die Kriminalistik, die Darstellung des Verhältnisses zur Polizeiwissenschaft und zur Kriminalpolitik sowie ein Abriss der Geschichte kriminalstrategischen Denkens und Handelns. Damit leisten die Autoren einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Kriminalistik als Wissenschaftsdisziplin.

Die Bedeutung dieses Buches liegt auch in der Hinwendung zu einem ressortunabhängigen Begriff von Kriminalstrategie. So sollen sich nicht nur polizeiliche Führungskräfte angesprochen fühlen, sondern auch all jene, die außerhalb des polizeilichen Bereichs kriminalistisch handeln und strategische Entscheidungen zu treffen haben.

Jörg Ziercke, Präsident Bundeskriminalamt a. D., Ehrenvorsitzender Weisser Ring e. V.

Vorwort

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage von „Kriminalstrategie“ im Jahr 2017 haben sich nicht nur die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sich strategisches Handeln der Akteure der inneren Sicherheit vollzieht, teilweise dramatisch geändert. Mittlerweile existiert auch eine Vielzahl von oft bemerkenswerten Beispielen für konzeptionelle Arbeit ganz unterschiedler Akteure bei der Vorbeugung und Bekämpfung von Kriminalität auf verschiedenen Ebenen und zu sehr unterschiedlichen Themen. Die Palette der praktischen Anwendungsfälle von Kriminalstrategie in Deutschland hat sich also deutlich erweitert.

Die Autoren haben diese Entwicklungen in dieser Auflage aufgegriffen und das Buch gerade mit Blick auf praktische Beispiele vollständig überarbeitet und teilweise deutlich erweitert.

Die zweite Auflage stellt unter Bezugnahme auf sicherheitsrelevante Megatrends einerseits die Herausforderungen an die Akteure der inneren Sicherheit dar. Andererseits werden Erfordernisse und Möglichkeiten der Konzeptionierung von Vorbeugung und Bekämpfung von Straftaten vermittelt.

Bewährtes wurde gleichwohl beibehalten. So erwartet den Leser

eine strukturierte Übersicht über Inhalte, Mittel und Methoden der Kriminalstrategie als Teil der Kriminalistik

Beispiele nationaler und teils internationaler Modelle und Konzepte, die die Vorbeugung und Bekämpfung von Kriminalität zum Gegenstand haben und

ein praxistauglicher Instrumentenkasten zur Entwicklung von Kriminalstrategien.

Besonderes Augenmerk widmen wir deren Wirkungen und ihrer Nachhaltigkeit.

Das Buch wendet sich nach wie vor an alle, die sich mit konzeptioneller Arbeit im Zusammenhang mit dem Erkennen, Aufdecken, Aufklären und Bekämpfen von kriminellem Handeln befassen. Daher soll es neben den staatlichen Sicherheitsakteuren auch jene aus dem Bereich der privaten Sicherheit sowie der Bildungslandschaft ansprechen.

Nicht zuletzt wird es auch für die Lehre in Bachelor- und Masterstudiengängen mit Bezug zur inneren Sicherheit empfohlen.

Ein ausdrücklicher Dank gilt dem C. F. Müller Verlag für die professionelle und geduldige Begleitung unseres Vorhabens.

Ralph Berthel, Matthias Lapp

Frankenberg, Münster im Februar 2024

I.Die praktische Bedeutung von Kriminalstrategie – Eine thematische Einführung

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage von „Kriminalstrategie“ im Jahre 2017 haben sich nicht nur Kriminalitätserscheinungsformen, etwa durch die eine Vielzahl von Deliktsbereichen durchdringende Digitalisierung oder durch neue Formen der staatenübergreifenden bzw. globalen Tatbegehung, verändert. Durch das Netz ermöglichte Anonymität bzw. Verflüchtigung der Orte der Tatbegehung stellen ebenso teilweise völlig neue Herausforderungen für die Sicherheitsakteure dar, wie die Anforderungen an die Sicherheitskommunikation.

Zudem fand die Kriminalstrategie nicht nur in der Theorie Eingang in die Kriminalistik. Eine Vielzahl von strategischen Konzepten, sowohl auf internationaler, nationaler, aber auch auf regionaler Ebene waren einerseits Folge dieser Entwicklungen. Andererseits trugen sie auch zur Weiterentwicklung der strategischen Komponenten der Kriminalistik bei.

Diese zweite Auflage will diesen Entwicklungen gerecht werden und sie für den Leser abbilden.

1.Zur Notwendigkeit, bei der Verbrechensbekämpfung strategisch zu handeln

Ob das Konzept der Kriminalpolizeiinspektion (KPI) Aschaffenburg zu sog. Altfallermittlungen (Cold Case-Ermittlungen) aus dem Jahr 2020[1] oder die Strategie zur Bekämpfung der Schweren und Organisierten Kriminalität des Bundesministeriums des Innern und für Heimat aus 2022[2], Begriffe wie „Strategie“ und „Konzept“ oder „Konzeption“ sind prägend für die öffentliche Wahrnahme von Kriminalitäts- bzw. Verbrechensbekämpfung geworden.[3]

Wenn es um Bekämpfung und Vorbeugung von Kriminalität geht, sind in Deutschland Schlagzeilen, Projekte, Konzepte wie diese mittlerweile Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses.

Abb. 1:Beispiele für kriminalstrategische Dokumente bzw. für die Berichterstattung darüber.

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Mit Blick auf die aktuellen nationalen und internationalen gesellschaftlichen Entwicklungen, die zunehmende Komplexität, Überörtlichkeit, Überregionalität und Internationalität des Handelns von Straftätern gewinnt fundiertes, konzeptionelles Handeln der Akteure der inneren Sicherheit auf allen Ebenen zunehmend an Bedeutung für ein funktionierendes Gemeinwesen.

Während sich Kapitel III dieses Buches der Rolle der Kriminalstrategie als Bestandteil der Kriminalistik widmen wird, sollen hier zunächst praktische Erfordernisse für die Entwicklung von strategischen Konzepten bei der Bekämpfung von Kriminalität dargestellt werden. Dabei erscheint allerdings auch ein kritischer Blick auf die Positionierung der Kriminalistik angebracht.

2.Kriminalistik ist mehr als die Untersuchung der einzelnen Straftat!

Das über lange Zeit in der deutschen Kriminalistik vorherrschende Selbstbild orientierte sich an einer Straftatenuntersuchungskunde. In Standardwerken, die insbesondere an polizeilichen Bildungseinrichtungen zur Pflichtliteratur gehörten und gehören und mit denen mittlerweile Generationen von „Verbrechensbekämpfern“ in die Praxis entlassen werden, findet die Kriminalstrategie entweder keine Erwähnung oder sie findet gerade mal am Rande Erwähnung.

Noch heute haben selbst einige renommierte Autoren Vorbehalte hinsichtlich der Rolle der Kriminalstrategie in der Kriminalistik.[4] Oder sie billigen der Kriminalstrategie bestenfalls einen empfehlenden Charakter zu.[5] Das muss schon deshalb nicht verwundern, weil, wie bereits erwähnt, in der Selbstwahrnehmung die gesellschaftliche Rolle der Kriminalistik weitgehend auf die Straftatenuntersuchung und die Ermittlungsarbeit bezogen auf das Einzeldelikt, bestenfalls Serien, reduziert wird. „Der rote Faden“, ein bekanntes Standardwerk der deutschsprachigen Kriminalistik, widmet der Kriminalstrategie gerade einmal sieben (!) Zeilen.[6] „Kriminalistisches Denken“, ein anderer Klassiker, stellt die These auf, dass einen guten Kriminalist Eigenschaften wie „Fantasie“, „Ausdauer“ und „Geduld“ sowie Menschlichkeit auszeichneten.[7] Die Fähigkeit zum konzeptionellen, also (kriminal-)strategischen Denken und Handeln ist nach Auffassung der Autoren hingegen keine der Eigenschaften eines „guten Kriminalisten“. Aber zumindest findet sich in der aktuellen Auflage dieses Werkes ein Hinweis, dass man prognostisches und strategisches Denken und Agieren als Elemente kriminalistischen Denkens erwägen sollte.[8]

Es sei vor diesem Hintergrund nochmals auf einen bereits 2007 vorgelegten Vorschlag zur Neudefinition von Kriminalistischem Denken verwiesen. Ausführlich dazu unter IX.2.3.2 Kriminalistisches Denken.

Vehement muss der Behauptung widersprochen werden, die Kriminalistik könne „nicht die Verantwortung für strategische Entscheidungen zur Beeinflussung des Kriminalitätsgeschehens in einer Gesellschaft übernehmen.“[9] Einerseits geschieht diese Beeinflussung in der Praxis durch kriminalstrategische Konzeptarbeit, etwa bei Konzepten zur Bekämpfung bestimmter Kriminalitätsformen, die nicht etwa im politischen Raum, sondern vielmehr in Organisationseinheiten, die mit der Straftatenbekämpfung betraut sind, entstehen und auch umgesetzt werden.[10] Zu den kriminalstrategischen Konzepten gehören selbstverständlich auch solche, die sich Fragen der Organisation der Aus- und Fortbildung zu kriminalistischen Themen zuwenden. Und fraglos handelt es sich doch andererseits um Kriminalistik, wenn etwa im Rahmen der kriminalpolizeilichen Gremien strategische Entscheidungen getroffen, Konzepte entwickelt[11] und wenn nationale und internationale Kooperationsmaßnahmen zur Aufdeckung und Bekämpfung von spezifischen Kriminalitätserscheinungen geplant und durchgeführt werden.

Neben der oben mit Beispielen belegten Konzeptarbeit zur Aufdeckung und Bekämpfung von Kriminalität, erscheint ein Monitoring gesellschaftlicher Prozesse im Sinne einer Früherkennung kriminogener, mithin kriminalistisch relevanter Entwicklungen integraler Bestandteil von Kriminalstrategie. Zugleich erlaubt ein erweitertes Monitoring das Nutzbarmachen von Erkenntnissen anderer Akteure, die selbst Erfahrungen mit konzeptioneller Arbeit gesammelt haben. Ausführliche Darstellungen zum Monitoring im Rahmen kriminalstrategischer Arbeit finden sich in Kapitel VIII.9 (Monitoring und Forschung als Bestandteile von Kriminalstrategie).

If you don't have a strategy, you're part of someone else's strategy.

(Alvin Toffler)[12]

3.Akteure der Kriminalstrategie – An wen wendet sich dieses Buch?

Wer ist gefordert, (kriminal-)strategisch zu agieren? An wen richtet sich also dieses Buch?

Kriminalistik als Wissenschaft von der Art und Weise des Erkennens, der Aufdeckung und Aufklärung von Straftaten sowie der Täterermittlung und -überführung wird einerseits durch die staatlichen Akteure der inneren Sicherheit angewandt. Das sind natürlich die Polizeien, Dienststellen der Steuer- und Zollbehörden, die Feldjäger im Bereich der Bundeswehr aber auch in Teilen die Nachrichtendienste sowie gelegentlich Staatsanwälte und Richter.

Ausdrücklich ist Ackermann zuzustimmen, wenn er hervorhebt, dass Kriminalistik nicht nur durch die (Kriminal-)Polizeien angewendet wird.[13] Vielmehr existiert eine Vielzahl nichtpolizeilicher Akteure, namentlich aus dem privaten Sicherheitsgewerbe, Angehörige von Investigation-Abteilungen, Compliance- oder Sicherheitsmanager in Unternehmen, Versicherungen oder Wirtschaftsprüfgesellschaften, die neben den bereits genannten staatlichen Akteuren Kriminalistik anwenden und damit ja auch fortentwickeln.[14] Sie gehören daher auch zu den Adressaten dieses Buches.

Und letztlich sei hervorgehoben, dass die Anwendung von Kriminalstrategie nicht an bestimmte Hierarchiestufen, etwa ministerielle Ebenen, gebunden ist. Die Autoren sind überzeugt, dass konzeptionelle Arbeit zur Vorbeugung und Bekämpfung von Kriminalität sowohl auf lokaler, überörtlicher, Landes- oder Bundesebene und auch auf internationaler Ebene geleistet wird, sowohl im polizeilichen Bereich, als auch durch andere staatliche und nichtstaatliche Akteure.

„Ein Merkmal der Kriminalistik, jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland, ist, dass sie neben einem definierten Gegenstandsbereich, einem eigenständigen Theoriegebäude, einer spezifischen Methodologie und ihrer Verankerung in der Praxis[15] (und zwar in Form von sowohl staatlichen als auch nichtstaatlichen Akteuren) auch über eine spezifische Verankerung in der Bildungslandschaft verfügt. Diese ist durch eine traditionelle Anbindung an polizeiliche Bildungseinrichtungen, regelmäßig an polizeiliche Fachhochschulen mit Bachelor-Studiengängen, charakterisiert.[16] Mittlerweile haben sich erfreulicherweise auch zumindest zwei kriminalistische Masterstudiengänge in der deutschen Wissenschaftslandschaft etablieren können.[17] Dabei handelt es sich einerseits um den seit dem Wintersemester 2005/2006 an der Ruhr-Universität Bochum eingerichteten und seit 2016 um Wahlmodule in den Bereichen Kriminologie oder Kriminalistik erweiterten Masterstudiengang ‚Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft‘[18]. Der zweite Kriminalistik-Masterstudiengang, in dem im Jahr 2023 Studentinnen und Studenten des dritten Studienjahrganges ihr Studium aufnehmen werden, ist der Masterstudiengang ‚Kriminalistik‘ an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg.[19] Die für die Kriminalistik und ihren Hauptanwender Polizei prägende Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis findet in diesem Studiengang in besonderer Weise ihren Niederschlag.“[20] Insofern wird das vorliegende Buch ausdrücklich für Lehre und Fortbildung empfohlen.

4.VUCA-Welt, Megatrend Sicherheit und Kriminalstrategie

4.1VUCA-Welt

In diesem Kontext findet seit geraumer Zeit der Begriff der VUCA-Welt Verwendung. Dieser Begriff ist ein Akronym. Es stammt aus dem Englischen und steht für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Die Begrifflichkeit VUCA entstand Anfang der 1990er Jahre im US Army War College als Reaktion auf den Zusammenbruch der UdSSR. Das tradierte Feindbild schien obsolet geworden zu sein. Gleichwohl stellte sich die Frage nach aktuellen und zukünftigen Bedrohungen. „Im Jargon des amerikanischen Militärs beschreibt VUCA die Bedingungen des modernen Krieges – Stichwort: asymmetrische Kriegsführung, Selbstmordattentäter, Dschungel- oder Straßenkampf. Die Bedingungen lassen sich nicht mehr mit den klaren Frontlinien vergangener Schlachten vergleichen, in denen zwei große Heere aufeinandertrafen.“[21] Inhaltlich steht VUCA für veränderte globale Rahmenbedingungen, die besonders, allerdings nicht ausschließlich mit dem Zeitalter der Digitalisierung einhergehen.

Inhaltlich verbinden die meisten Autoren folgende Merkmale mit der VUCA-Welt:

V= Volatility (Volatilität/Unbeständigkeit): Diese bezieht sich auf die zunehmende Häufigkeit, Geschwindigkeit und das Ausmaß von (meist ungeplanten) Veränderungen. Beispiele dafür sind in starken Preisschwankungen an der Börse sowie schnellen Markteintritten und -verlusten zu sehen.

Alle vier Elemente greifen ineinander und sind inhaltlich fließend und bisweilen überlappend zu verstehen.

„Für die Sicherheitsakteure erscheint die Frage evident, ob bzw. in welchem Maße die mit den VUCA-Inhalten verbundenen Problembereiche auch auf die innere Sicherheit und den Umgang mit den Veränderungen in der Gesellschaft anwendbar sind. Damit verbunden ist die zweite Frage, wie diese Akteure damit proaktiv umgehen sollten bzw. müssten.“[22]

Aus kriminalstrategischer Perspektive ist VUCA von Bedeutung für Akteure der inneren Sicherheit, weil sich aus dem durch diesen Begriff definierten Zustand der Gesellschaft Konflikte, z. T. in gesellschaftsgefährdendem Ausmaß, ergeben können; etwa im Zusammenhang mit Straftaten, die aus politisch und/oder religiös motiviertem Fanatismus rühren und die zu erheblichen Verunsicherungen in der Gesellschaft führen können. Disruptionen, Verunsicherungen und Ambiguitäten bilden zudem einen fatalen Nährboden für das Kippen der fragilen Balance von Freiheit und Sicherheit. Sicherheit in einer offenen Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass die Bevölkerung den Sicherheitsakteuren vertraut. Wenn dieses Vertrauen verloren zu gehen droht, weil sich etwa kriminelle Subkulturen in Stadtteilen scheinbar unbehelligt ausbreiten und No-Go-Areas entstehen, wenn staatliche Souveränität scheinbar oder tatsächlich aufgegeben wird, weil der Staat in Größenordnung nicht weiß, welche Personen sich auf seinem Territorium aufhalten oder sich das Internet zum scheinbar rechtsfreien Raum entwickelt, ist dieser direkte Bezug von VUCA und innerer Sicherheit augenfällig.[23]

Dieses Konflikt- bzw. Gefahrenpotenzial zu erkennen, es hinsichtlich der kriminogenen Faktoren zu analysieren und daraus anschlussfähige Maßnahmen der Verbrechensvorbeugung und -bekämpfung sowie kriminalpolitische Empfehlungen abzuleiten, dürften aktuell und zukünftig mit die größten kriminalstrategischen Herausforderungen darstellen.

4.2Megatrends

Megatrends werden als die großen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen unserer Zeit gekennzeichnet. Sie haben einen prägenden Einfluss auf Tiefenstruktur, Verhaltensweisen, Lebensweisen und Wertesysteme in einer Gesellschaft. Sie bilden und entfalten sich langsam, aber wenn sie wirken, kann von einem globalen rückschlagresistenten Einfluss von mindestens zehn bis zwanzig Jahren ausgegangen werden, auch wenn ihre Wirkungsstärke regional sehr unterschiedlich ausfallen kann.[24]

Zu diesen Trends werden nicht nur die demografische Entwicklung, Trendbereiche wie Mobilität und Logistik, der Klimawandel und die Ökologisierung sowie die fortschreitende Globalisierung gerechnet. Die meisten Autoren fassen darunter auch sicherheitsrelevante Elemente wie „Kampf um Energie“, „Zugang zu Ressourcen“ sowie „zunehmende weltweite Risikodichte“. In letzterer Kategorie finden sich Begriffe, wie

Zunahme von Naturkatastrophen,

asymmetrische Konflikte,

wachsende Störanfälligkeit technischer und sozialer Infrastrukturen,

zunehmendes Konfliktpotential zwischen armen und reichen Bevölkerungsschichten,

Wirtschaftskrisen, Währungskrisen und Abschottungstendenzen,

global organisiertes Verbrechen und Cyberkriminalität,

transparente Gesellschaft, Überwachung und Kontrolle.

Das Zukunftsinstitut charakterisiert „Sicherheit“ gar als eigenen Megatrend und verknüpft diesen mit Begriffen, wie

Identitätsmanagement,

Predictive Analytics,

Trust Technologie oder

Cybercrime,

Big Data,

die Auflösung der Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie

Privacy.

Das Institut führt weiter aus:

„Risiken sind im 21. Jahrhundert komplex und dynamisch geworden. Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit und kein fixer Zustand, der ‚hergestellt‘ werden kann, sondern eine Variable, die ständig neu ausgehandelt und aufgebaut werden muss. Die Frage, was Sicherheit bedeutet und wer sie verantwortet, erhält damit eine neue Dringlichkeit: Unser gesamtes Verständnis von Sicherheit steht auf dem Prüfstand – und erfordert künftig vor allem neue Strategien im Umgang mit Risiken und Unsicherheit.“[25]

Die Akteure im Bereich Sicherheit und namentlich jene, die Verbrechen vorbeugen und bekämpfen sollen, werden in diesem Kontext künftig ohne konzeptionelles Handeln, also ohne, dass sie kriminalstrategisch exakt und (für die Gesellschaft) nachvollziehbar agieren, ihren Aufgaben nicht mehr gerecht werden können.[26]

Auch vor diesem Hintergrund will das vorliegende Buch als Handreichung verstanden werden.

5.Krisen und Strategie

Menschliches Verhalten unterliegt viel mehr Determinanten als es zunächst vermuten lässt. Aus der Spieltheorie lässt sich ableiten, dass es sich lohnt mit anderen Menschen zu kooperieren und sich regelkonform zu verhalten. Dies gilt jedoch nur, wenn die Lage stabil ist und man z.B. nicht ausschließen kann, dem Gegenüber ein zweites Mal im Leben zu begegnen.[27] In krisenhaften Situationen, insbesondere in solchen, die Bedrohungen für Leib und Leben beinhalten, sinkt a priori betrachtet die Bereitschaft zu Konformität bzw. reziprokem Altruismus und steigt die Wahrscheinlichkeit von Devianz.[28]

Dabei sind Krisen tatsächlich oder gefühlt allgegenwärtige gesellschaftliche Erscheinungen. Finanzkrise, Flüchtlingskrise, humanitäre oder ökologische Krise, CORONA-Krise, Flutkrise, Ukraine-Krise – Begriffe, mit denen Menschen nahezu tagtäglich konfrontiert werden.

Neben dem Merkmal der der Allgegenwärtigkeit scheint der Krisenbegriff inflationär Verwendung zu finden, jedenfalls im öffentlichen und oft auch im wissenschaftlichen Diskurs. Zweifellos verstärkt sich allein dadurch das Gefühl, die Gesellschaft sei aus den Fugen geraten. Menschen empfinden, in einem dauerhaften Alarmzustand zu leben. Das Zukunftsinstitut kennzeichnet diesen Zustand wie folgt: „Unsere Gesellschaft befindet sich im Daueralarm. Eine Krise jagt die nächste und auch die Corona-Pandemie hat unmissverständlich klargemacht, dass unser Leben auf diesem Planeten im Kern unsicher und fragil ist. Sicherheit wird dadurch mehr denn je zum obersten Gebot für Individuen wie für die gesamte Gesellschaft – und zu einem wichtigen Verkaufsargument. Immer mehr rückt die Frage ins Zentrum, wer Sicherheit überhaupt erzeugen kann und sollte. Und: wie wir konstruktiv mit Unsicherheit umgehen können.“[29] Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) geht gar von einem neuen Krisen-Zeitalter aus und charakterisiert dieses als Mischung aus Umwelt- und Sicherheitskrisen. Das berge, so das Institut, die Gefahr einer besonderen Komplexität der Risiken.[30] Dabei stellen krisenhafte Geschehen nichts Abstraktes dar. Sie sind entweder an menschliches Handeln gebunden oder manifestieren sich in diesem. Eine gute Kriminalstrategie beobachtet solche Entwicklungen und leitet Handlungserfordernisse im gesellschaftlichen Kontext ebenso wie hinsichtlich der erforderlichen Präventions- als auch Repressionsaktivitäten im Einzelnen ab.

Um in diesem komplexen Kontext deviantes und deliktisches menschliches Verhalten auch in Krisenzeiten einschätzen, ggf. auch prognostizieren und letztlich auch das Handeln als Sicherheitsakteur sachgerecht ausrichten zu können, erscheint das Wissen um die maßgeblichen Erkenntnisgrundlagen hinsichtlich menschlicher Verhaltensmuster sinnvoll. Hier geht es ganz im Sinne des interdisziplinären Ansatzes der Kriminalistik z. B. um das Erschließen psychologischer und kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse für strategisches Handeln.[31]

6.Gesetzliche Aufträge und Kriminalstrategie

Krisen sind Ausdruck gesellschaftlicher Konflikte; sie stellen Hergebrachtes, eingeübte Verhaltensweisen, bisweilen Systeme in Frage. Krisen können einerseits Beteiligte in existenzielle Auseinandersetzungen bringen. Andererseits können existenzielle Probleme von Menschengruppen zu Krisen führen. Krisen sind aber auch offenbar notwendiger Impuls für gesellschaftliche wie organisationale Lernprozesse und Entwicklungen. Aus polizeilicher Sicht ist Krisenmanagement Alltagsgeschäft. Gesellschaftliche Krisen können dabei als Auslöser und Verstärker für Disorder, Incivility und Kriminalität fungieren, auf die reagiert werden muss. Dabei steht die Polizei vor großen Herausforderungen. Indem die Polizei als Institution und maßgeblicher Anwender von Strafrecht und Kriminalwissenschaften wesentliche Beiträge zum Rechtsfrieden, zur Aufrechterhaltung staatlicher Souveränität und ganz allgemein zur inneren Sicherheit leistet, ist ihr die Eigenschaft eines „Gesellschaftsstabilisierers“ und damit Bewahrers immanent. Sie befindet sich somit a priori in einer konservativ-bewahrenden Rolle. Gleichzeitig erscheint es zwingend, Krisen auch für das soziale System Polizei als notwendigen Impulsgeber für Lernprozesse und die (Weiter)Entwicklung von strategischen, rechtlichen, strukturellen und personellen Potenzialen und Methoden zu betrachten. Daraus entsteht allerdings auch ein Spannungsfeld, das maßgeblich in den Widersprüchen zwischen (gesetzlichen) Aufträgen, gesellschaftlicher Verantwortung für innere Sicherheit einerseits und eben diesem Öffnen für Veränderungspotenziale und erforderliche innovative Elemente andererseits besteht.

Die lageangepasste Formulierung von Zielen und die Zuordnung geeigneter Maßnahmen zur Umsetzung der gesetzlichen Aufträge (sofern es sich um staatliche Akteure handelt) der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist ohne eine strukturierte und nach innen wie nach außen vermittelbare Konzeption kaum noch sachgerecht umsetzbar.

7.Meinungsbildung, Deutungshoheit und Strategie

Auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes im November 2022 hob BKA-Präsident Holger Münch u. a. hervor, dass Lagebilder, die im BKA erstellt werden, künftig inhaltlich neu ausgerichtet werden müssten, um klare(re) Botschaften an die Politik formulieren zu können.

Diese Aufgabe war und ist nicht neu, stellt aber eine besondere Herausforderung dar, verdeutlicht sie doch, dass die Adressierung kriminalstatistischer Dokumente folgende Dimensionen aufweisen muss:

kriminaltaktische (z. B. Gestaltung der Ermittlungstätigkeit, etwa bezogen auf Nutzung von kriminalistischen Mitteln und Methoden)

kriminalstrategische (z. B. Definieren strategischer Schwerpunktsetzungen etwa im personellen und/oder organisatorischen Bereich)

kriminalpolitische (z. B. bezogen auf Vorschläge für innen-/kriminalpolitische Grundsatzentscheidungen)

Vor dem Hintergrund der weiter zunehmenden Bedeutung digitaler Interaktionsmuster erlangt neben der taktischen Nutzung dieser etwa zu Fahndungsarbeit mittels sozialer Medien[32] auch die Vermittlung kriminalstrategischer Schwerpunktsetzungen und deren Relevanz für die Öffentlichkeit zudem mehr und mehr Bedeutung. Social Media – Komponenten sollten daher neben der Nutzung analoger Kommunikationsmöglichkeiten zwingender Bestandteil konzeptionellen Arbeitens bei der Verbrechensbekämpfung bzw. -vorbeugung sein.

II.Kriminalistische Probleme

„Lass dir von keinem Fachmann imponieren, der dir erzählt: ‚Lieber Freund, das mache ich schon seit zwanzig Jahren so!‘

Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.“

(Kurt Tucholsky)

Hier sollen zunächst einige kriminalistisch relevante Probleme aufgeführt werden, um in der Folge die Bedeutung kriminalstrategischer Problemlösungen abzuleiten. Dabei werden die Leser diese Aufzählung garantiert beliebig ergänzen können:

Aufklärung einer unbekannten Straftat

Vernehmung eines nicht geständigen Tatverdächtigen

Ermittlung des Aufenthaltsortes eines flüchtigen Täters

Ermittlung der Gefährdung durch eine Erpressung/Drohung

Feststellen des Verbringungsortes einer entführten Person

Feststellen von Tatzusammenhängen

Ermittlung von Firmenverbindungen

Ermittlung von Täter-Opfer-Bezügen

Aus kriminalstrategischer Sicht muss diese Aufzählung etwa durch folgende Probleme erweitert werden:

Entwicklung einer Konzeption zur Bekämpfung eines bestimmten Kriminalitätsphänomens

Ermittlung der Ursachen für bestimmte Kriminalitätserscheinungen oder

Erstellen eines Aus- und Fortbildungskonzeptes bei der Umsetzung neuer rechtlicher Regelungen bei der Verbrechensbekämpfung

Was ist nun ein Problem und wieso betonen wir diesen Begriff im kriminalstrategischen Kontext?

Problema (lat.), próblçma (griech.) bedeutet zunächst das Vorgelegte; die gestellte (wissenschaftliche) Aufgabe, Streitfrage, Der Duden nennt in diesem Zusammenhang die Begriffe „Angelegenheit“, „Aufgabe“, „Fall“, „Frage“, „Sache“, „Thema“ usw. Regelmäßig wird mit dem Begriff „Problem“ eine Aufgabe oder Streitfrage assoziiert, deren Lösung mit Schwierigkeiten verbunden ist. Im kriminalstrategischen Kontext soll damit am ehesten eine Diskrepanz zwischen Soll- und Istzustand eine sog. Soll-Ist-Abweichung beschrieben werden. Anders ausgedrückt handelt es sich um gesellschaftlich nicht akzeptable, meist rechtswidrige Zustände, die durch menschliches Handeln (Tun/Unterlassen) verursacht wurden/werden.

Eine kurze, gleichwohl aus unserer Sicht wichtige Betrachtung des Problembegriffs ergibt sich insbesondere deshalb, weil die meisten kriminalistischen Publikationen Probleme nahezu ausschließlich auf die Fallbearbeitung beziehen. So sind in der „Kriminalistischen Kompetenz“ folgende Kennzeichen kriminalistischer Probleme aufgeführt[1]:

örtliche Komponenten

Diese begrenzen meist den Ereignisortbereich (Tatort, Fundort)

zeitliche Komponenten

Die zeitlichen Komponenten eines Ereignisses beziehen sich insbesondere auf den Ereigniseintritt (Tatzeit) und auf die Reihenfolge der Handlungen einzelner Tatabschnitte.

modale Komponenten

Die modalen Komponenten beschreiben die Art und Weise des Verlaufs des Ereignisses, insbesondere die Aspekte der Begehungsweise.

personale Komponenten

Jedes kriminalistisch relevante Ereignis wird durch die Personen (Zeugen, Beschuldigte, Opfer, Geschädigte), die am Ereignis beteiligt sind, bestimmt.

motivale Komponenten

Diese beschreiben die Ursachen, den Antrieb und die Auslösesituation des Ereignisses.

Es finden sich also ausschließlich Kennzeichen, die auf einzelne Fälle bezogen sind. Mithin ist lediglich die Mikroebene dessen, was als Kriminalität zu bezeichnen ist, abgebildet. Kriminalität auf der Makroebene, als „Verbrechen“ im gesellschaftlichen Kontext, wird ausgespart. Wie noch in Kapitel III darzustellen sein wird, verstehen die Autoren Kriminalistik allerdings als die Wissenschaft von der Strategie und Methodik der Aufdeckung und Aufklärung, der Täterermittlung und -überführung, vom taktischen und technischen Vorgehen bei der Kriminalitätsbekämpfung.