Kritische Diskursanalyse - Siegfried Jäger - E-Book

Kritische Diskursanalyse E-Book

Siegfried Jäger

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Beschreibung

Die "Kritische Diskursanalyse" (KDA) versteht sich als ein Analyseverfahren, das sich an der Diskurstheorie von Michel Foucault orientiert. Sie stellt eine Methode qualitativer Sozial- und Kulturforschung dar, die in zahlreichen Disziplinen angewendet wird. Sowohl Sozial-, Sprach- und Literaturwissenschaftler*innen als auch Medien- und Kommunikationswissenschaftler*innen, Pädagog*innen und Psycholog*innen haben inzwischen mit den Vorschlägen der KDA erfolgreich Diskurse analysiert und interpretiert. Das kritische Potential, das dieses Verfahren enthält, macht es besonders geeignet, gesellschaftlich brisante Themen zu analysieren, ihre Formen und Inhalte zu problematisieren, ungerechtfertigte Wahrheitsansprüche offenzulegen, Widersprüche aufzudecken und die suggestiven Mittel diskursiver Ansprache aufzuzeigen. Die 8. Auflage ist die erste nach dem Tod ihres Begründers Siegfried Jäger, dessen Work in Progress wir hiermit fortsetzen. Sie fußt weiterhin auf der Normalismustheorie von Jürgen Link sowie auf seinen Ausführungen zur Kollektivsymbolik. Doch wir haben die ›Werkzeugkiste‹ erweitert um neue Kapitel zur Analyse von Bildern, Online-Diskursen, TV, Spezialdiskursen, Literatur und herabsetzender Rede. Weiter verbessert haben wir die praktischen Anleitungen und Beispiele zur Anfertigung eigener Analysen. Dieses Buch versteht sich erstens als Lehrbuch und ›Gebrauchsanweisung‹ für die Erarbeitung von Diskurs- und Dispositivanalysen, zweitens als wissenschaftlicher Text zum Thema ›Diskurs und Dispositiv‹ sowie drittens als politischer Text zur Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse. Anlässlich der 6., vollständig überarbeiteten Neuauflage des Buches im Jahr 2012 schrieb Siegfried Jäger im DISS-Journal Nr. 24: »Die soeben erschienene 6. Auflage der Kritischen Diskursanalyse ist nicht am grünen Tisch entstanden, sondern beruft sich auf Erfahrungen mit einer Vielzahl empirischer Projekte, die seit den frühen 1990er Jahren bis in die Gegenwart im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) durchgeführt worden sind. Diese Neufassung profitierte zudem von Vorarbeiten der 1992 gegründeten Diskurswerkstatt im DISS. Im Zentrum dieser neuen Einführung steht nach wie vor die Frage nach dem politischen Nutzen der Diskursanalyse, der zwar gelegentlich noch bestritten wird, letztlich jedoch weitgehend anerkannt ist. Kritische Diskursanalyse ist keine beliebige Methode, die sich vorhandener sozialwissenschaftlicher oder auch germanistisch-linguistischer Verfahren bedient, sondern sie ist dicht an eine Theorie rückgebunden: die Foucaultsche Diskurstheorie. […] Die hier vorgelegte ›Kritische Diskursanalyse‹ [hat] einen dreifachen Charakter. Sie versteht sich erstens als Lehrbuch und ›Gebrauchsanweisung‹ für die Erarbeitung von Diskurs- und Dispositivanalyen, zweitens als wissenschaftlicher Text zum Thema ›Diskurs und Dispositiv‹ und drittens als politischer Text, indem sie neue Möglichkeiten linker Politik aufzuzeigen versucht.«

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Seitenzahl: 612

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Siegfried Jäger (†), Margarete Jäger, Regina Wamper & Benno Nothardt

Kritische Diskursanalyse

Eine Einführung8., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Die Edition DISS wird im Auftrag des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung herausgegeben von Gabriele Cleve, Margarete Jäger, Wolfgang Kastrup, Helmut Kellershohn, Anna-Maria Mayer, Benno Nothardt, Jobst Paul & Regina Wamper.

Siegfried Jäger (†), Margarete Jäger, Regina Wamper & Benno Nothardt:

Kritische Diskursanalyse

Edition DISS, Bd. 42

8., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Oktober 2024

eBook UNRAST Verlag, Dezember 2024

ISBN 978-3-95405-212-7

© UNRAST Verlag, Münster 2024

www.unrast-verlag.de | [email protected]

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Umschlag: UNRAST Verlag, Münster

Das Umschlagfoto zeigt die Plastik "Ligurische Baustelle" von Dedo Gadebusch

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

1 Vorwort

2 Einleitung

2.1 Vorherige Auflagen, Erweiterung der Autor*innen

2.2 Ein Konzept qualitativer Sozial- und Kulturforschung

2.3 Überblick über das Buch

3 Schulen der Diskurstheorie und Diskursanalyse

3.1 Sprachwissenschaftliche Diskursanalyse

3.2 Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse

3.3 Historische Diskursanalysen

3.4 Literaturwissenschaftliche Diskursanalysen

3.4.1 Literatur als Gegendiskurs

3.4.2 Interdiskurstheorie

3.4.3 Historische Diskursanalyse

3.4.4 Literarische Diskursanalysen

3.4.5 Weitere Ansätze

3.5 Interdiskurstheorie statt Ideologiekritik (Jürgen Link)

3.5.1 Interdiskurstheorie

3.5.2 Von der Ideologiekritik zur Interdiskurstheorie

3.6 Verortung der Ansätze innerhalb der KDA

4 Grundlagen der Kritischen Diskursanalyse

4.1 Der Diskursbegriff

4.2 Aussagen, Äußerungen und Sagbarkeitsfelder

4.3 Problematisierung

4.4 Das Dispositiv

4.5 Der Macht-Wissens-Komplex

4.6 Diskurs und Wirklichkeit

4.7 Diskurs und Subjekt(ivierung)

4.8 Diskurs und Wahrheit

4.9 Zum Verhältnis von Kritik, Wahrheit und Macht

4.10 Genealogie als Kritik

4.11 Schlussfolgerungen für die KDA

4.12 Diskurstragende Kategorien

4.12.1 Wir kennen sie alle: Kollektivsymbole

4.12.1.1 Kollektivsymbol

4.12.1.2 Katachresen-Mäander

4.12.1.3 Sysykoll

4.12.1.4 Erkennungskriterien für die Kollektivsymbolik

4.12.1.5 Pragmasymbole

4.12.1.6 Wirkung der Kollektivsymbolik und ihre Bedeutung als diskurstragende Kategorie

4.12.1.7 Vorgehen und hilfreiche Fragen an das Material

4.12.1.8 Beispielanalysen

4.12.2 Nicht-sprachliche Bilder

4.12.2.1 Pictorial und iconographic turn

4.12.2.2 Bilder als Elemente von Dispositiven

4.12.2.3 Normalismustheorie und Bilder

4.12.2.4 Bilder und Sprache als Zeichensysteme

4.12.2.5 Qualitative Bildtypenanalyse

4.12.2.6 Praxisbeispiel: KDA zum NATO-Krieg in Jugoslawien: Bilder, die zum Handeln auffordern

4.12.2.7 Vorgehen und hilfreiche Fragen an das Material

4.12.3 Normalismus

4.12.3.1 Beispiel: Corona-Krise, Pandemie-Dispositiv und Kurvenlandschaften

4.12.3.2 Normalverteilung als Basiskurve

4.12.3.3 Zwei normalistische Strategien: Protonormalismus und flexibler Normalismus

4.12.3.4 Normalismus vs. Normativität

4.12.3.5 Exkurs: Verhältnis zu Machttypen nach Michel Foucault

4.12.3.6 Normalistische Kollektivsymbolik

4.12.3.7 Normalismus und Antagonismus

4.12.3.8 Hilfreiche Fragen an das Material

4.12.3.9 Vorgehen bei einer Kritischen Diskursanalyse

4.12.4 Binarismusanalyse

4.12.4.1 Von der Kollektivsymbolik zum binären moralischen Tiefen-Code

4.12.4.2 Tier-Konstrukt

4.12.4.3 Motive

4.12.4.4 Wir-Gruppe, Dreieck der Herabsetzung und autoritaristisches Paradox

4.12.4.5 Analyse innerhalb einer KDA

4.12.4.6 Beispiel

5 Die Methode der Kritischen Diskursanalyse

5.1 Analysekategorien

5.1.1 Diskursfragmente

5.1.2 Diskursstränge und ihre Verschränkungen

5.1.3 Themen und Unterthemen

5.1.4 Diskursebenen

5.1.5 Diskurspositionen und Diskursgemeinschaften

5.1.6 Diskursive Ereignisse und Diskursmomente

5.2 Das methodische Vorgehen einer Kritischen Diskursanalyse

5.2.1 Formulierung der Fragestellung(en)

5.2.2 Erschließung des diskursiven Kontextes

5.2.3 Erstellung eines aussagefähigen Analysekorpus

5.2.4 Erstellung einer Strukturanalyse

5.2.5 Erstellung einer oder mehrerer Feinanalysen

5.2.6 Gesamtanalyse. Reflexion der Ergebnisse von Struktur- und Feinanalyse

6 Forschungsdesign von Diskursanalysen auf verschiedenen Diskursebenen

6.1 Forschungsdesign einer Diskursanalyse am Beispiel von Printmedien

6.1.1 Fragestellungen

6.1.2 Bestimmung des Untersuchungsgegenstands

6.1.3 Bestimmung des diskursiven Kontextes

6.1.4 Festlegung des Analysezeitraums

6.1.5 Erschließung der Materialbasis

6.1.6 Gewinnung des Korpus

6.1.7 Erstellung eines Analysedossiers

6.1.8 Strukturanalyse

6.1.8.1 Aufbereitung des Dossiers

6.1.8.2 Verschriftlichung der Strukturanalyse

6.1.8.3 Ermittlung ›typischer Artikel‹

6.1.9 Feinanalyse

6.1.9.1 Institutioneller Rahmen

6.1.9.2 Text-Oberfläche

6.1.9.3 Sprachlich-rhetorische Mittel

6.1.9.4 Gesellschaftspolitische Aussagen

6.1.9.5 Abschließende Gesamtanalyse und Verschriftlichung

6.1.10 Verortung der Ergebnisse von Struktur- und Feinanalyse in den Diskursstrang

6.1.11 Synopse

6.2 Forschungsdesign einer Analyse des Alltagsdiskurses durch Interviews

6.2.1 Fragestellung

6.2.2 Kontextualisierung der Fragestellung

6.2.3 Erarbeitung von Kriterien für die Auswahl von Interviewpartner*innen

6.2.4 Erstellung eines Interviewleitfadens

6.2.5 Erhebung von (Tiefen)-Interviews

6.2.6 Transkription und Verschriftlichung der Interviews

6.2.7 Erstellung eines Analyseleitfadens für die Strukturanalysen der Interviews

6.2.7.1 Die ›Partitur‹ des Interviews

6.2.7.2 Ermittlung der thematischen Felder

6.2.7.3 Zuschreibungen zu den angesprochenen Themen

6.2.7.4 Ermittlung von Aussagen

6.2.8 Synoptische Analyse der Strukturanalysen

6.2.9 Ermittlung typischer Interviewpassagen für Feinanalysen

6.2.10 Feinanalyse dieser Interviewpassagen

6.2.10.1 Art und Form der Argumentation

6.2.10.2 Interjektionen, Unterbrechungen, Pausen

6.2.10.3 Implikate und Anspielungen

6.2.10.4 Kollektivsymbolik bzw. Bildlichkeit und Metaphorik

6.2.10.5 Selbst- und Fremddarstellung

6.2.10.6 Redewendungen, Sprichwörter, Phraseologismen

6.2.10.7 Wortschatz und Stil

6.2.10.8 Verwendung von Pronomina und Aktiv-Passiv-Konstruktionen

6.2.10.9 Referenzbezüge

6.2.10.10 Interviewverlauf: Rolle des oder der Interviewenden

6.2.11 Verortung der Ergebnisse der Feinanalyse innerhalb der Strukturanalyse

6.2.12 Zusammenfassende Betrachtung und Interpretation

6.3 Die Analyse von Online-Diskursen

6.3.1 Eigenheiten von Online-Diskursen

6.3.2 Das Internet als Forschungsgegenstand

6.3.2.1 Kommunikationsräume im Internet als Diskursebenen

6.3.2.2 Kommunikationsformen

6.3.2.3 Kontexte

6.3.2.4 Parameter

6.3.3 hilfreiche Fragen an das Material

6.3.3.1 Fragestellungen zu Effekten

6.3.3.2 Fragestellungen zu Besonderheiten von Online-Diskursen

6.4 Die Analyse von TV-Diskursen

6.5 Die Analyse von Spezialdiskursen

6.6 Die Analyse von literarischen Diskursen und Spielfilmen auf Basis der Interdiskurstheorie

6.6.1 Literarische Diskursanalyse

6.6.2 Normalismus in literarischen Diskursen und Filmen

6.7 Schlussüberlegung: Die Werkzeugkiste ist offen

7 Erweiterungen: Von der Kritischen Diskursanalyse zur Dispositivanalyse

7.1 Begrifflichkeiten

7.2 Die Forschungspraxis

7.3 Methodenverständnis

7.4 Vorschläge für eine Dispositivanalyse nach Bührmann/Schneider

7.5 Vorschläge für eine Dispositivanalyse nach der KDA

8 Güte- und Qualitätskriterien

8.1 Zur Vollständigkeit von Korpus und Dossier und Repräsentativität der Analyseergebnisse

8.1.1 Zur Vollständigkeit des Korpus bzw. Dossiers

8.1.2 Zur Repräsentativität der Analyseergebnisse

8.1.3 Zur Aussagekraft von Diskursanalysen und zu ihren Effekten auf Individuen

8.2 Die Position der Diskursanalytiker*innen

8.3 Zur prognostischen Kraft von Diskursanalysen

8.4 Der politische Einsatz der KDA

9 Ausstieg

10 Anhang

10.1 Exemplarische Strukturanalyse: Die Anschläge in Norwegen (2011) in deutschsprachigen Medien.

10.1.1 Was, wenn sich der Kontext ändert. Deutungen zwischen islamistischem Terrorismus, Rechtsextremismus und Wahnsinn

10.1.2 Die stillschweigende Verwandlung vom »Islamisten« zum Rechtsextremen – Westdeutsche Allgemeine Zeitung

10.1.3 Die Verwandlung vom »Islamisten« zum »paranoiden Killer« – Welt/Welt am Sonntag

10.1.4 Der »blonde Teufel« der Bild-Zeitung

10.1.5 Z wischenfazit

10.1.6 Zwischen der Suche nach den Schuldigen und der Abwehr von Rassismus-Kritik

10.1.7 Rechtsextremismus und Rechtspopulismus als Nährboden der Anschläge. Die Sicht der Süddeutschen Zeitung (SZ)

10.1.8 Rassismuskritik oder Meinungsfreiheit. Die Sicht der tageszeitung

10.1.9 Zwischenfazit

10.1.10 Gesamtfazit

10.1.11 Literatur

10.2 Exemplarische Feinanalyse: »Heute schon gegendert?«

10.2.1 Der Artikel im Wortlaut

10.2.2 Argumentationsweise: Ziele und Zwischenziele des Textes

10.2.3 Die graphische Gestaltung

10.2.4 Argumentationsstruktur

10.2.5 Unterthemen und Diskursverschränkungen

10.2.6 Quellen des Wissens

10.2.7 Implikate

10.2.8 Anspielungen und Ironisierungen

10.2.9 Kollektivsymbolik

10.2.10 Kollektivsymbolik: Freunde und Feinde

10.2.11 Das Umfeld des Artikels in der September-Ausgabe der Deutschen Stimme von 2009

10.2.12 Zusammenfassung der Feinanalyse

10.2.13 Literatur und Quellen

10.3 Exemplarische Strukturanalyse: Das »Logbuch der Alan Kurdi«

10.3.1 Forschungsinteresse

10.3.2 Inhalt

10.3.3 Themen und Diskursstränge

10.3.4 Aussagen

10.3.5 Akteur*innen, Quellen des Wissens, Kollektivsymbolik

10.3.6 Fazit

10.3.7 Dossier

10.3.8 Literatur

10.4 Exemplarische Analyse: Diskursebene Alltag: Synoptische Analyse aus Fatale Effekte

10.4.1 Vorbemerkung

10.4.2 Rassismus und Ethnozentrismus: Die Hierarchie der Ablehnungen

10.4.3 Freiwillige Selbstentmündigung

10.4.4 Der Einfluss der Diskursposition

10.4.5 Variationen der Ethnisierung von Sexismus

10.4.5.1 »Statische« und »dynamische« Ethnisierungen von Sexismus

10.4.5.2 Begründungen der Ethnisierung von Sexismus

10.4.6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

10.4.7 Literaturverzeichnis

10.5 Übung zur Strukturanalyse

10.5.1 Übung zur Ermittlung einer Aussage

10.5.2 Übung zur Ermittlung von Aussagen

10.5.3 Übung zu Themen und Diskurssträngen

10.5.4 Tabelleneintrag

11 Literaturverzeichnis

11.1 Werke Michel Foucaults

11.1.1 Bücher (chronologisch)

11.1.2 Vorlesungen

11.1.3 Kleine Schriften Foucaults (nach Nummern der DE).

11.1.4 Texte Foucaults und Textsammlungen außerhalb von DE.

11.2 Weitere zitierte und herangezogene Literatur

12 Über die Autor*innen

Anmerkungen

1 Vorwort

»Aus Gründen, die zutiefst mit meiner politischen Wahl – im weiten Sinne des Wortes – zusammenhängen, will ich auf keinen Fall die Rolle von jemandem spielen, der Lösungen vorgibt. Ich bin der Ansicht, dass die Rolle des Intellektuellen heute nicht darin besteht, das Gesetz zu machen, Lösungen vorzuschlagen, zu prophezeien; denn in dieser Funktion trägt er zwangsläufig dazu bei, eine bestimmte Machtsituation zu zementieren, die meines Erachtens kritisiert werden muss.« (Foucault, DE 4, S. 107 f.)

Die hier vorliegende 8. Auflage der Kritischen Diskursanalyse (KDA) ist nach dem Tod von Siegfried Jäger entstanden. Wir wollten diese Neuauflage eigentlich mit ihm zusammen erarbeiten. Das war nicht mehr möglich. Nun haben wir uns ohne ihn darangesetzt, haben Passagen und auch ganze Kapitel neu verfasst, haben gestrichen und hinzugefügt, und wir haben vieles übernommen. Insofern war es nur folgerichtig, ihn als ›Vater‹ der KDA weiterhin als Mitautor zu nennen.

Siegfried Jäger hat sein wissenschaftliches Handeln immer auch als politisches Handeln begriffen, das sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung richtet, gegen die Herrschaft des Menschen über Menschen und Natur. Er legte Wert darauf, dass dieses Handeln antifundamentalistisch und undogmatisch ist. Und er interessierte sich für die kleinen Kämpfe, vereinnahmte nicht und versuchte nicht zu dominieren. Dem schließen wir uns an.

In gewisser Weise ›schreibt‹ jeder Leser und jede Leserin an diesem Buch mit. Zumindest denkt sie oder er beim Lesen mit. Das gilt natürlich auch für die Abfassung dieses Buches, an dem viele mitgeschrieben haben. Da sind zum einen die Verfasser*innen all der Werke, auf die wir uns bezogen haben (siehe Literaturverzeichnis), deren Texte wir gelesen haben, ohne sie hier alle zitieren zu können, zum anderen aber auch diejenigen, mit denen wir zusammengearbeitet und diskutiert haben. Das gilt in erster Linie, aber nicht nur, für die Mitarbeiter*innen im DISS und in der Diskurswerkstatt[1]. Sie alle haben sich an diskursanalytischen Projekten beteiligt. Hervorheben möchten wir die Herausgeber und Mitverfasser*innen des Lexikons Kritische Diskursanalyse, das 2010 erschienen ist und an dem 16 Personen mitgearbeitet haben.[2] Dieses Lexikon ist für die Abfassung dieser Einführung überaus hilfreich gewesen, bis hin zu der dadurch gegebenen Möglichkeit der teils wörtlichen Übernahmen ganzer Passagen und Definitionen. Danke dafür!

2 Einleitung

Muss das selbstverständlich sein, was als selbstverständlich angesehen wird? Muss das wahr sein, was als wahr gilt? Muss das normal sein, was wir als normal annehmen? Diese Fragen waren für Michel Foucault leitend. Im Anschluss an die Rezeption der Foucaultschen Schriften haben wir uns am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) die Frage gestellt: Wie lassen sich Evidenzen aufheben, Selbstverständlichkeiten in Frage stellen und machtvolle Konstruktionen von Wahrheiten untersuchen, statt selbst machtvoll Wahrheit zu erzeugen? Gibt es dafür eine Methode, ein Verfahren, das man an die Wirklichkeit heranträgt und mit dem man sie zwingt, ihre Wahrheit preiszugeben?

Foucault betonte:

»Die Wahrheit ist von dieser Welt; in dieser wird sie aufgrund vielfältiger Zwänge produziert, verfügt sie über geregelte Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahrheit, ihre ›allgemeine Politik‹ der Wahrheit: d.h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren lässt; es gibt Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermöglichen und den Modus festlegen, in dem die einen oder anderen sanktioniert werden; es gibt bevorzugte Techniken und Verfahren zur Wahrheitsfindung; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht.« (Foucault 1978, S. 51)

Hier setzt Kritische Diskursanalyse (KDA) an. Sie fragt nach der Konstruktion von Wahrheit und den damit verbundenen Ausschlussmechanismen sowie der Relativität von Wahrheit, indem die nicht gesagten Voraussetzungen und als Wahrheit vertretene Setzungen, zu Unrecht Konsens beanspruchten Aussagen oder falschen Verallgemeinerungen und dementsprechenden Fluchtlinien sichtbar gemacht werden. Gesellschaftliche Wirklichkeit wird gedeutet, nicht erkannt. Und sie wird höchst unterschiedlich gedeutet. Daher gibt es immer einen Streit um Wahrheit. Somit mischt sich Diskursanalyse immer auch in diese politischen Deutungskämpfe ein. Sie hinterfragt Selbstverständlichkeiten, problematisiert sie und ermöglicht Kritik an den herrschenden Diskursen. Insofern ist Diskursanalyse auch ein politisches Projekt, das sich dem Mythos wissenschaftlicher Wertfreiheit radikal widersetzt.

Die KDA, wie wir sie am DISS seit Mitte der 1980er Jahre entwickelt haben und stetig weiterentwickeln, ist in einer Vielzahl von Forschungsprojekten angewendet worden. Sie stellt nicht den Anspruch, objektive Wahrheiten zu produzieren. Es geht darum, diskursive Sagbarkeitsfelder und deren Grenzen darzustellen, diese zu interpretieren und einer Kritik zu unterziehen.

Die erste Veröffentlichung von Siegfried Jäger zur Diskursanalyse erschien 1988, ein Jahr nach Gründung des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) 1987. Mit dieser Anleitung zurAnalyse politischer Texte sollte die Kritikfähigkeit der Leser*innen gestärkt werden. Denn dass Kritik zu üben sei, war Siegfried Jäger damals bereits sehr bewusst. Erinnert sei hier nur an das Erstarken rechtsextremer Parteien und Organisationen wie der NPD und der Republikaner. Die Analyse ihrer Publikationen war deshalb auch der erste Gegenstand der damals noch so genannten »Text- und Diskursanalyse«. So erschien denn auch im gleichen Jahr im Dietz-Verlag (Bonn) das Buch RechtsDruck. Die Presse der Neuen Rechten, das von Siegfried Jäger 1988 herausgegeben wurde und dessen Autor*innen zum Teil bis heute zum Mitarbeiter*innenstamm des DISS gehören.

Der methodische Ansatz der Text- und Diskursanalyse wurde in der Folgezeit von Siegfried Jäger und seinen Mitarbeiter*innen im DISS in mehreren Etappen zur Kritischen Diskursanalyse (KDA) weiterentwickelt – immer begleitet von Publikationen, mit denen damals und heute brisante Themen analysiert wurden.[3] Dies geschah immer in Auseinandersetzung mit Ansätzen kritischer Wissenschaften. Zu Beginn dominierte eine ideologiekritische Sichtweise, wie sie in marxistischen Zusammenhängen im Vordergrund steht. Sie wurde sozusagen überwunden in Auseinandersetzung mit den Analysen der kultuRRevolution, vor allem mit den Arbeiten von Jürgen Link. Diese resultierten schließlich in einer intensiven Beschäftigung mit den Schriften von Michel Foucault. Insofern lässt sich sagen, dass die KDA auf der Rezeption dieser beiden theoretischen Ansätze aufbaut. Dabei hat sich zu dem Projekt kultuRRevolution eine solidarisch-arbeitsteilige Zusammenarbeit entwickelt, die sich an wichtigen diskursiven Ereignissen – wie z.B. den Anschlägen vom 11.9.2001 oder der am 27.2.2022 proklamierten »Zeitenwende« – in gemeinsamen Publikationen niederschlägt.[4]

Das Bestreben der KDA ist stets darauf gerichtet, konkrete Analysemethoden und -schritte vorzuschlagen und zu unternehmen, mit denen Diskurse auf verschiedenen Ebenen analysiert werden können. Alle bisher vorgelegten Analysen verfolgen deshalb das Ziel, kritische Aspekte in wissenschaftliche und politische Debatten der Bundesrepublik hineinzutragen. Es geht darum, Formen und Inhalte von Diskursen zu problematisieren, ungerechtfertigte Wahrheitsansprüche offenzulegen, Widersprüche aufzudecken und die suggestiven Mittel diskursiver Ansprache aufzuzeigen, um zukünftig – wie Foucault es einmal schrieb – »nicht dermaßen regiert zu werden« (Foucault 1992, S. 12).

Diskursanalysen könnte man insofern auch als ›Frühwarnsysteme‹ auffassen. Sie können auf Gefahren hinweisen, die noch nicht aktuell sind, es aber unter bestimmten Bedingungen werden können. Diskursanalysen können Ungerechtigkeiten und Unterdrückung beziehungsweise Herrschaft sichtbar machen und gegen Blockaden durch Macht-Wissensverhältnisse aller Art angehen, die Foucault auch als Herrschaftsverhältnisse bezeichnet.

2.1 Vorherige Auflagen, Erweiterung der Autor*innen

Diese Einführung in die Kritische Diskursanalyse (KDA) wurde von uns komplett überarbeitet. Teile sind neu geschrieben worden, andere Teile haben wir übernommen und neu zusammengefügt. Inspiriert waren wir von zahlreichen DISS-Workshops zur KDA, auf denen wir erfahren haben, wo Schwierigkeiten in der Umsetzung der Methode liegen, wo Unklarheiten bestehen, welche Passagen weiter ausgeführt werden sollten und wo Beispiele sinnvoll sind.

Wie auch die vorherigen Auflagen beruft sich diese Einführung auf Erfahrungen mit empirischen diskursanalytischen Projekten, die seit den frühen 1990er Jahren bis in die Gegenwart im DISS durchgeführt worden sind.[5]

Flankiert wurden diese Projektarbeiten durch eine intensive Lektüre insbesondere der Foucaultschen Schriften[6], aber auch durch die verfügbare Sekundärliteratur dazu, wobei die Texte von Jürgen Link und die Texte in der kultuRRevolution. zeitschrift für angewandte diskurstheorie besondere Hervorhebung verdienen. Diese Arbeit fand über weite Strecken in Verbindung mit der 1992 gegründeten Diskurswerkstatt im DISS statt. Daneben hat eine fortlaufende Auseinandersetzung mit Schriften aus dem Bereich der Sozialwissenschaften stattgefunden.

In den Ausgaben der KDA von 1993 und 1999 waren die meisten wichtigen Fragen zur Diskursanalyse bereits gestellt und vielfach auch angemessen beantwortet, wenn auch nicht in jedem Detail.[7]

Mit der hiermit vorgelegten Neufassung versuchen wir den Duktus der Einführung beizubehalten. Sie richtet sich an Forschende, die mit der KDA arbeiten wollen. Wir hoffen, dem Anspruch gerecht zu werden, diese Einführung so zu gestalten, dass im Anschluss an die Lektüre eine wissenschaftliche Studie mit der KDA durchgeführt werden kann. Zuzugeben ist: Die eigene intellektuelle Kreativität der Diskursanalytiker*in soll nicht, ja kann nicht in ein starres methodisches Schema gezwängt werden. In diesem Sinne bitten wir selbstbewusst mit dieser Methode der qualitativen Sozialforschung umzugehen.

Das vorliegende Buch versteht sich erstens als Lehrbuch und ›Gebrauchsanweisung‹ für die Erarbeitung von Diskurs- und Dispositivanalysen, zweitens als wissenschaftlicher Text zum Thema Diskurs und Dispositiv und drittens als politischer Text, in dem eine Möglichkeit kritischer Wissenschaft vorgestellt wird.

2.2 Ein Konzept qualitativer Sozial- und Kulturforschung

Die Kritische Diskursanalyse versteht sich im Kern als ein Konzept qualitativer Sozial- und Kulturforschung, wobei sie sich zugleich auf die Linguistik und ausgewählte Instrumente aus anderen Disziplinen, vor allem aus den Human- und Sozialwissenschaften bezieht.[8]

Die KDA ist inter- und transdisziplinär.[9] Sie lässt sich auf Inhalte aller Art beziehen, auf Themen der Wissenschaften wie der Medien, auf Themen der Politik wie des Alltags. Insofern kann man die KDA auch als ein Konzept der Cultural Studies ansehen, welche sich als prinzipiell kontextuell, theoriegeleitet, interventionistisch, inter- und transdisziplinär sowie selbstreflexiv verstehen.[10]

Sozialwissenschaften sind immer politisch, auch dann, wenn beansprucht wird, dass sie rein deskriptiv vorgehen; denn auch bloße Beschreibung verfestigt das Beschriebene und lässt es als selbstverständlich und nicht hinterfragbar erscheinen. Das ist ein politischer Akt.

Es ist davon auszugehen, dass Human- und Sozialwissenschaften immer schon gesellschaftliche Wirklichkeit in sehr unterschiedlicher Weise und aus den verschiedensten Perspektiven gedeutet haben, und das geschah und geschieht immer auf dem Hintergrund eines Wissens, das das jeweilige (auch wissenschaftliche) Subjekt im Lauf seines Lebens erworben hat. Der Historiker Ulrich Brieler spricht in seinem Buch von der Unerbittlichkeit der Historizität (Brieler 1998) und legt dar, dass in jede wissenschaftliche Aussage die jeweilige historische Position eingeht und die eigene Position des/der Sprechenden.

Das im Folgenden entwickelte Konzept der KDA erhebt nicht den Anspruch, einen Beitrag zur Sprachtheorie oder gar zur Grammatik zu leisten. Es bedient sich zwar einiger linguistischer und literaturwissenschaftlicher, aber auch einer Fülle anderer – vor allem sozialwissenschaftlicher – Instrumentarien. Insofern versteht sich diese Einführung in die Kritische Diskursanalyse nicht als Teil der Sprachwissenschaft oder der Literaturwissenschaft herkömmlicher Prägung (vgl. dazu auch Maingueneau 1994, bes. S. 192-194). Sie ist ein Analyseverfahren, das auf der Diskurstheorie von Michel Foucault beruht bzw. sich an dieser orientiert. Diskurse werden als ›Fluss von Wissen durch Zeit und Raum‹ verstanden. KDA ist transdisziplinär und übersteigt somit die Grenzen der Disziplin der Linguistik und der Literaturwissenschaft. Sie konzentriert sich auf die Analyse von Diskursen und ragt in andere sozialwissenschaftliche Disziplinen, auch in die Naturwissenschaften, hinein. Reiner Keller (1997, S. 310) spricht deshalb von der Diskursanalyse als einer ›Querschnittsdisziplin‹. Diskursanalyse kann Fragen für andere Disziplinen, einschließlich der Sprachwissenschaften, aufwerfen, deren Beantwortung für diese Disziplinen selbst fruchtbar sein kann.[11]

2.3 Überblick über das Buch

Diese Einführung beruft sich auf die Schriften von Michel Foucault, ohne die Absicht zu verfolgen, eine Einführung zu Foucault (als Theoretiker und Empiriker) insgesamt darzustellen.[12] Der Schwerpunkt liegt hier auf der Methode der Kritischen Diskursanalyse (KDA). Es handelt sich also sozusagen um eine »Gebrauchsanweisung« (Foucault OD, S. 9) für konkrete theoriegeleitete empirische Analysen.

Im folgenden Kapitel (Kapitel 3) wird es um ausgewählte Schulen der Diskursanalyse gehen. Wir werden verschiedene Theorien und Ansätze vorstellen und uns zu diesen in Beziehung setzen.

Anschließend werden wir in Kapitel 4 die Grundlagen der KDA darlegen und dann in Kapitel 5 auf die Methode der Kritischen Diskursanalyse eingehen. Wir haben versucht, die wichtigsten Elemente der grundlegenden Theorie von Michel Foucault im Zusammenhang zu entfalten, so dass diese Einführung auch als Hinführung zur Foucaultschen Diskurstheorie gelesen werden kann.

Anschließend werden auf dieser Basis Forschungsdesigns von Diskursanalysen auf verschiedenen Diskursebenen, Printmedien- und Alltagsdiskurs, vorgestellt (Kapitel 6). Hier werden wir auch Exkurse zu weiteren Diskursebenen, zu Online-Diskursen, Spezialdiskursen und TV-Diskursen vornehmen.

Kapitel 7 widmen wir der Dispositivanalyse. In Kapitel 8 wird es um Güte- und Qualitätskriterien qualitativer Sozialforschung gehen sowie um das Problem der Vollständigkeit des Analysematerials und um die Position der Diskursanalytiker*innen. Wir gehen auf die ›prognostische Kraft‹ von Diskursanalysen ein, auf den politischen Einsatz der KDA und schließen das Kapitel mit einer Diskussion um technische Hilfsmittel für Materialaufbereitungen.

Zur Veranschaulichung finden sich im Anhang eine exemplarische Tabelle zur Vorbereitung von Strukturanalysen, exemplarische Strukturanalysen und eine exemplarische Feinanalyse.

3 Schulen der Diskurstheorie und Diskursanalyse

In den Sozial- und Geisteswissenschaften gibt es etliche diskurstheoretische Ansätze. Es lassen sich sprachwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche, historische und literaturwissenschaftliche Ansätze von Diskursanalyse unterscheiden. Bei all diesen Ansätzen liegt keine einheitliche Bestimmung des Diskursbegriffes vor. Der folgende Überblick soll die unterschiedliche ›Spielarten‹ von Diskurstheorie und Diskursanalyse verdeutlichen.[13] Dazu werden zusammenfassend einige Ansätze vorgestellt, die als diskurstheoretisch beschrieben werden, sich jedoch auf unterschiedliche Diskursbegriffe bzw. unterschiedliche Erläuterungen vorgegebener Diskursbegriffe stützen. Anschließend wird der von Jürgen Link entwickelte Ansatz der Interdiskursanalyse ausführlicher dargestellt, da dieser die KDA stark beeinflusst und mit der Normalismustheorie und der Kollektivsymboltheorie wichtige Analysewerkzeuge liefert. Vor diesem Hintergrund wird abschließend der Ansatz der Kritischen Diskursanalyse (KDA) herausgearbeitet, der sich an Foucault orientiert und von Jürgen Links Schriften inspiriert ist.

Leser*innen, die erst einmal wissen wollen, was genau unser Verständnis von Diskurs ist, können dieses Kapitel überspringen und im 4. Kapitel weiterlesen.

3.1 Sprachwissenschaftliche Diskursanalyse

Der Sprachwissenschaftler Konrad Ehlich geht bei seinem Verständnis von Diskurs von der Pragma-Linguistik aus und knüpft an der angelsächsischen Version des Diskursbegriffs an, ohne sich restlos mit ihr zu identifizieren. In seinem »funktional-pragmatischen Ansatz« fasst Ehlich Diskurs lediglich als spezifische Verbindungen von sprachlichen Handlungen (vgl. Ehlich 1986, S. 27) und geht davon aus, dass »der Diskurs über die Kombinatorik von Sprechsituationen verstanden werden kann« (ebd., S. 28). Er definiert:

»Diskurse verstehe ich als über den Zusammenhang von Zwecken konstituierte Musterfolgen, die sich an der sprachlichen Oberfläche als Abfolge sprachlicher Handlungen darstellen.« (ebd. S. 27)

Damit setzt er sich sowohl gegenüber dem Diskursverständnis von Jürgen Habermas wie auch gegenüber dem von Michel Foucault ab.[14]

Der niederländische Sprachwissenschaftler Teun van Dijk begründet seinen diskursanalytischen Ansatz einer Critical Discourse Analysis (CDA) sozio-kognitionswissenschaftlich (van Dijk 1993).[15] Van Dijk bemüht sich vor allem darum, den Zusammenhang von Diskurs und Subjekt zu fassen. Wie das Individuum Bedeutungen erzeugt und vernetzt, bleibt aber weiter unbekannt. Einigermaßen sicher ist nur, dass das individuelle Bewusstsein dies tut und die Inhalte, die ihm durch den Diskurs vorgegeben sind, aufnimmt und verarbeitet, so dass es keine Schwierigkeiten bereitet, von den Wirkungen des Diskurses auf das individuelle Bewusstsein zu sprechen.

Der britische Linguist Norman Fairclough entwickelt eine soziolinguistische Diskurstheorie, in der er den Einfluss von Machtverhältnissen auf Inhalt und Struktur von Texten untersucht, wobei er sich gelegentlich auch an Foucault orientiert, im Bereich der Linguistik jedoch an der multifunktionalen Sprachtheorie Michael A. K. Hallidays (Halliday 1978, 1985).[16]

In seinem Buch Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand. Sprache im Nationalsozialismus hat Utz Maas (1984) seinen diskurstheoretischen Ansatz in Gestalt einer Reihe von Textanalysen vorgestellt. Dabei begreift er Texte als »Inskriptionen sozialer Praxis«. Für ihn ist – im Unterschied zu Michel Foucaults Diskursverständnis – ein Text »Ausdruck, bzw. Teil einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis«. Ihm geht es also nicht darum, beabsichtigte oder gar tatsächliche ›Wirkungen‹ bzw. Folgen eines Textes zu bestimmen, sondern er sieht in Texten den ›Ausdruck‹ bestimmter zeitgeschichtlicher Denkweisen, die er mittels der Analyse herauszufiltern und zu rekonstruieren sucht. Diese Art von eher ideologiekritisch orientierter Diskursanalyse stellt einen Beitrag einer diskurstheoretisch aufgeladenen Sprachwissenschaft zur Geschichtsforschung dar.

Der Sprachwissenschaftler Franz Januschek versteht unter Diskurs sowohl das komplexe System zusammengehörender Äußerungen[17] und Texte (institutionell, sozial, thematisch, ökonomisch) wie auch einzelner Äußerungen und Texte, die Bestandteile dieses Komplexes sind oder sich auf ihn beziehen bzw. beziehen lassen. Nach Januschek vermittelt der Diskurs die Sprache mit dem Sprechen. Die Entwicklung des Diskurses geschieht durch die Tätigkeit des Sprechens oder Schreibens (Januschek 1986, siehe auch Bredehöft 1994). Dieser Ansatz steht dem Foucaultschen Ansatz deshalb nahe, weil er Sprechen als eine Praxis versteht, die Wirklichkeit konstituiert. Franz Januschek entwickelt sein Konzept von Diskursanalyse im Rahmen einer »Linguistik der Anspielung« (Januschek 1991). Für ihn ist für das Verständnis des Diskurses zentral, dass sich seine Bedeutung erst auf der Ebene von Anspielungen erschließt. Anspielungen sind dabei nicht als individuelle Assoziationen aufzufassen. Er untersucht systematisch Anspielungen, indem er die Verstehensmöglichkeit ermittelt, die eine sprachliche Ausdrucksform im Unterschied zu allen anderen Ausdrucksformen im Diskurs eröffnet.[18]

Einen diskursanalytisch und kritisch orientierten Ansatz vertritt auch die Arbeitsgruppe um Ruth Wodak.[19] Die Arbeitsgruppe untersucht eine Vielfalt von Textsorten und begründet damit die Notwendigkeit »vielfältiger Methoden« (Wodak/Nowak/Pelikan/Gruber u.a. 1990, S. 32). Zu diesen Methoden zählen die Theorie sprachlichen Handelns, die Soziolinguistik, die linguistische Vorurteilsforschung und die linguistische Argumentations- und Erzählforschung. Erwähnt werden ferner die qualitative Textanalyse, Stilistik, Fragen der Rhetorik und der persuasiven Kommunikation. Diese Ansätze bilden die Basis für eine »diskurs-historische Methode« (vgl. ebd., S. 33ff.).[20] Dieser Ansatz sieht sich in der Nähe »einer hermeneutisch-interpretativen, wie auch von der cognitive science beeinflussten Richtung« (ebd., S. 53) und versteht sich nicht als abbildtheoretisch, d.h. er sieht keinen Determinismus zwischen Diskurs und Gesellschaft/Wirklichkeit. Ähnlich wie Teun van Dijk geht Ruth Wodak von einer soziokognitiven Vermittlungsinstanz zwischen individuellem Bewusstsein und Gesellschaft aus (vgl. Titscher et al. 1998, S. 190 ff.).[21]

Neben diesen sprachwissenschaftlichen Ansätzen ist die Rezeption der Arbeiten von Michel Foucault in den deutschen Sprachwissenschaften inzwischen verbreitet. Das gilt vor allem für die Rezeption der Archäologie des Wissens (AW), aber auch für die Rezeption der Ordnung der Dinge (OD). Beide Werke spielen in der sprachwissenschaftlich orientierten Historischen Semantik seit Mitte der 1980er Jahre eine Schlüsselrolle.

Insbesondere Dietrich Busse entdeckte die Bedeutung der Archäologie des Wissens für die Historische Semantik (Busse 1987). Ihm geht es um Begriffe und deren Wandel im Fluss der Zeit. Dieser Wandel wird in den jeweiligen Diskursen sichtbar, wobei er einer »diskurslinguistischen Kontextualisierung« besondere Aufmerksamkeit widmet. »Linguistische Diskursanalyse«, so konstatiert er, »dient der Erfassung des […] verstehensrelevanten Wissens und schreibt sich damit […] ein in den die Linguistik überschreitenden Rahmen einer umfassenderen Epistemologie« (Busse 2007, S. 81).

Busse geht es um Begriffsgeschichte als Bewusstseinsgeschichte. Sein Ziel ist eine historische Semantik als Diskurssemantik. Er versteht das Aussagenfeld als »Ort des Auftauchens der Begriffe« (Busse, 1987, S. 230). Dabei betont er: »Die Diskursanalyse ist zunächst einmal, das ist Foucaults Einstieg, keine Begriffsgeschichte« (ebd., S. 238). Das liege daran, dass Foucault nur über einen »reduzierten Sprachbegriff« (ebd., S. 240) verfüge. Das wird folgendermaßen begründet: »Für die Analyse des Sprechens als Praxis selbst fehlte das Vokabularium, das diese Praxis als genuin sprachliche hätte definieren können« (ebd., S. 246). Weiter heißt es: »Interpretation ist immer ein aufgrund von Vorannahmen wertender Eingriff in die vorliegenden Phänomene; dieser Eingriff entfernt sich dann von völliger Willkür, wenn die Vorannahmen und die Kriterien des Eingreifens bewusst gemacht werden« (ebd.).

In Auseinandersetzung mit Busses Arbeiten entwickelte sich in der Diskurslinguistik eine rege Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Begriffsgeschichte, die auch an die Forschungen anderer Wissenschaftler, etwa Reinhart Koselleck anschließen (Koselleck 1979, S. 19-36).

Zu erwähnen ist ferner die Heidelberg/Mannheimer Gruppe, zu der Dietrich Busse vom Ursprung her selbst zu zählen ist, sowie Fritz Hermanns (Hermanns 1995) und Wolfgang Teubert (Teubert 1999), die Düsseldorfer Schule, die Mitte der 1980er Jahre von Georg Stötzel gegründet wurde und sich zunächst der Sprachgeschichte seit 1945 widmete[22].

Thomas Niehr setzt sich mit dem Diskursbegriff sowohl von Dietrich Busse wie auch von Wolfgang Teubert auseinander. Diese definieren Diskurs »als eine Menge aufeinander verweisender Texte zum gleichen Thema« und differenzieren so »zwischen Diskurs als virtuellem Gesamtkorpus und dem zu konstituierenden realen Untersuchungskorpus« (Niehr/Böke 2008, S. 361).

Demgegenüber fasst Thomas Niehr zusammen mit Karin Böke Diskurs »nicht als Menge von Texten«, sondern als »thematisch zusammenhängende Aussagenkomplexe« (ebd.). Dies biete für die Forschungspraxis eine bessere Möglichkeit für die Analyse von Argumentationsmustern oder Topoi (vgl. Niehr/Böke 2008, S. 361 f.).

Im Sinne einer sprachwissenschaftlichen Diskursanalyse sind auch die Arbeiten von Martin Wengeler zu verstehen (Wengeler 2003 sowie Wengeler 2007), einem ›Schüler‹ der Düsseldorfer Schule. Er untersucht Topoi als feste Bilder und Bestandteile diskursiven Wissens, das aus sprachlichen Äußerungen zu erschließen sei. Topoi seien als ›Aussagen‹ zu verstehen. Es handle sich wie bei Metaphern und Begriffen auch um Diskurssegmente. Gemeint sind spezifische Argumentationstopoi, die stereotyp bei bestimmten Themen auftauchen, z.B. Missbrauch in Verbindung mit Einwanderung (vgl. Wengeler, 2007, S. 169). Man könne sie auch als kontextspezifische Argumentationsmuster bezeichnen (ebd., S. 170.). Sie erscheinen nicht an der sprachlichen Oberfläche, sondern seien Abstraktionen aus Äußerungen bzw. Texten. Es handele sich um Denkfiguren des Herangehens an eine politische Fragestellung (ebd., S. 172 f.).

Auch Ingo Warnke bezieht sich auf Textfolgen und nicht allein auf lexikologische Fragen. Er fasst Diskurslinguistik als dezidiert »performanzorientiert« auf. »Sie befasst sich mit sprachlicher Oberfläche, eben mit dem, was Foucault die Positivität nennt.« Ihr Gegenstand sei »eine Menge von Aussagen im Sinne sprachlicher Oberflächenphänomene […] ›insoweit sie zur selben diskursiven Formation‹ (AW, S. 170) gehört« (Warnke 2007, S. 13).

Insgesamt ist eine interdisziplinäre Öffnung der Sprachwissenschaften festzustellen, die nach den Möglichkeiten von Macht- und Herrschaftskritik sucht. Mit der Etablierung einer Diskurslinguistik bewegen sich die oben genannten Ansätze im Umfeld von einer Foucaultschen Diskursanalyse. Das gilt insbesondere für Warnke/Spitzmüller (Hg.) 2008, ein Sammelband mit einer Reihe anregender Ansätze.

3.2 Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse

Die sozialwissenschaftliche Diskursanalyse wird insbesondere vertreten von einer Arbeitsgruppe um Reiner Keller. Sie vereint mit der hermeneutischen Wissenssoziologie in Anschluss an Berger/Luckmann (1969) und der Diskursforschung in Anschluss an Foucault zwei Traditionen der sozialwissenschaftlichen Analyse von Wissen. Diskurstheoretische und diskursanalytische Perspektiven werden in der Tradition der soziologischen Wissensanalyse verortet. Diskurse bezeichnet Keller als »institutionell-organisatorisch regulierte Praktiken des Zeichengebrauchs« (Keller 2005, S. 10.). Wie in der KDA wird davon ausgegangen, dass in und vermittelt von Diskursen von gesellschaftlichen Akteur*innen im Sprach- bzw. Symbolgebrauch die soziokulturelle Bedeutung und Faktizität physikalischer und sozialer Realitäten konstituiert wird. Ziel der wissenssoziologischen Diskursforschung ist es, Prozesse der sozialen Konstruktion von Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. kollektiven Akteuren zu erforschen und deren gesellschaftliche Wirkungen offen zu legen.

Mit dem zweibändigen Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, das seit 2001 von Keller/Hirseland/Schneider/Viehöver in mehreren Auflagen und einer Reihe von Erweiterungen herausgegeben wurde, und dem Buch Wissenssoziologische Diskursanalyse (Keller 2005, 2008b, 2011) hat die sozialwissenschaftliche Diskursanalyse eine Art Siegeszug durch sämtliche Disziplinen der Sozialwissenschaften und darüber hinaus angetreten und erheblich dazu beigetragen, Diskursanalyse sozusagen wissenschaftsfähig zu machen. Die beiden Bücher versammeln eine Vielzahl von Ansätzen zu Theorien und Methoden der Diskursanalyse, die sich größtenteils auf Foucault berufen, diesen aber teilweise sehr unterschiedlich rezipieren. Sie dokumentieren damit einen intra-disziplinären Pluralismus, der zugleich durch die unterschiedlichen akademischen Herkünfte der Autor*innen gekennzeichnet ist. In den inzwischen vergangenen Jahren seit dem ersten Erscheinen des Handbuchs hat eine lebhafte Diskussion der verschiedenen Ansätze stattgefunden, die zugleich zu einer Fülle von Projekten, Artikeln, Monographien und Einführungen aus unterschiedlichen Fachperspektiven geführt hat.[23]

3.3 Historische Diskursanalysen

Gegenüber der Analyse von Gegenwartsdiskursen besteht die Besonderheit einer historischen Diskursanalyse darin, dass sie der »Unerbittlichkeit der Historizität« (Brieler 1998) unterworfen ist. Gegenstand sind Aussagen, die in der Vergangenheit getätigt wurden, die somit auf dem Hintergrund eines »historisch gewordenen Kontext hervorgingen und auf ihn gemünzt waren« (Brocke/Jäger. M./Jäger S./Paul/Tonks 2009, S. 13). Insofern steht eine historische Diskursanalyse vor der Aufgabe, z.B. Anspielungen auf historische Ereignisse zu erläutern. Auch müssen symbolische Veränderungen und Bedeutungsverschiebungen berücksichtigt werden (vgl. ebd.).

Die historischen Aussagen werden nicht nur mit dem aktuellen Wissen z.B. über die weitere gesellschaftliche Entwicklung konfrontiert. Sie werden auch »vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher, gesellschaftspolitischer und auch ethischer Interessen und Absichten interpretiert« (ebd., S. 14). Vor diesem Hintergrund kann eingewendet werden, dass historische Diskurse nicht exakt rekonstruierbar sind. So merkt der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Franz Eder an:

»bei der (historischen) Diskursanalyse handelt es sich […] um keine bestimmte Methode, sondern um ein Forschungsprogramm bzw. eine Forschungsperspektive: Diskursanalyse zu betreiben, bedeutet heute, durchaus differente, wissenschaftlich ausgearbeitete und explizite Methoden und Verfahren einsetzen zu können […].« (Eder 2006, S. 13)

In seiner Einführung in die historische Diskursanalyse stellt Achim Landwehr anhand von vorhandenen Studien ein Verfahren vor, wie sich historische Diskursanalysen empirisch durchführen lassen. Sie können herausarbeiten, dass zu einem historischen Zeitpunkt nur eine begrenzte Menge von Aussagen zu einem bestimmten Thema gemacht werden kann, obwohl rein sprachlich gesehen eine unendliche Menge von möglichen Aussagen existiert (Landwehr 2008). Auch Jürgen Martschukat zeigt anhand konkreter Fallstudien, dass Foucault für die Geschichtsschreibung äußerst relevant ist (Martschukat 2002).

Im Unterschied zu solchen empirischen Erprobungen des Foucaultschen Denkens in der Geschichtswissenschaft zielt Michael Maset in seinem Buch Diskurs, Macht und Geschichte eher darauf ab, in Auseinandersetzung mit der bisherigen Geschichtsschreibung, den Ertrag von Foucault für die Praxis historiographischen Arbeitens zu diskutieren: »Gegenstand der vorliegenden Studie sind die methodischen Überlegungen von Foucault und das mit ihnen zu erschließende Erkenntnispotential für die Geschichtswissenschaft« (Maset 2002, S. 10).

3.4 Literaturwissenschaftliche Diskursanalysen

Achim Geisenhanslüke (2020) und Harald Neumeyer (2010) geben gute Überblicke über die vielfältigen Ansätze, literarische Diskurse zu analysieren, an denen wir uns hier orientieren. Beide konstatieren, dass Foucault der Belletristik einen hohen Stellenwert zugemessen habe, aber keine literarische Diskursanalyse begründete, die der spezifischen Funktion literarischer Diskurse systematisch gerecht würde. Clemens Kammler fragt deshalb, was Literaturwissenschaftler*innen an Foucault fasziniere und antwortet, es sei »seine radikale Negation dessen, was sie seit jeher betreiben: der Interpretation«, deren »historischen Ursprung Foucault in der biblischen Exegese ansiedelt« (Kammler 1997, S. 32 f.). Foucault selbst spricht vom ›Kommentar‹[24], der »per definitionem einen Überschuss des Signifikats im Verhältnis zum Signifikanten« voraussetze (GK, S. 14). Anders gesagt: Literaturwissenschaftliche Interpretationen gehen davon aus, dass im Wort ein Nicht-Gesprochenes schläft, welches als eigentliche Bedeutung erschlossen werden will. Kammler erklärt, dass Foucaults Kritik am Kommentar zusammenhängt mit dessen Kritik an der mystifizierenden Vorstellung eines konstituierenden Subjekts. Dieses nämlich wolle »der Kommentar als Ursprung, Wesen, Substanz hinter den ›bloßen Erscheinungen‹ […] aufspüren« (Kammler 1997, S. 33).

Nach Foucault wird hingegen der »Sinn einer Aussage […] nicht definiert durch den Schatz der in ihr enthaltenen Intentionen […], sondern durch die Differenz, die sie an andere, wirkliche und mögliche […] Aussagen anfügt« (GK, S. 15). Damit verwirft Foucault jede Hermeneutik und argumentiert »neostrukturalistisch«, indem er auf den strukturalistischen Systemgedanken verweist (vgl. Kammler 1997, S. 33).[25]

Für die Literaturwissenschaft ergibt sich also das Problem, dass Foucault mit der (hermeneutischen) Interpretation ihr wichtigstes Erkenntniswerkzeug verwirft, gleichzeitig aber keine spezifisch literarische Diskursanalyse entwickelt. Im Folgenden werden die wichtigsten Lösungsversuche dargestellt:

3.4.1 Literatur als Gegendiskurs

Insbesondere Achim Geisenhanslüke, Stefan Wunderlich und Arne Klawitter stützen sich auf Foucaults frühe Werke, in denen er sich »immer wieder zu der Funktion moderner Literatur als einer Form des ›Gegendiskurses‹ geäußert hat« (Geisenhanslüke 2020, S. 378). Geisenhanslüke konstatiert hier, Foucault richte »sich gegen die Hermeneutik wie den Strukturalismus« beziehungsweise Ferdinand de Saussures Zeichentheorie, wenn er betone, »dass die Literatur ›in keinem Fall ausgehend von einer Theorie der Bedeutung gedacht werden kann‹ (OD, 77)« (Geisenhanslüke 2020, S. 376). Klawitter nimmt unter Berufung auf Foucault an, »dass die Sprache ein Sein hat, das allem Sprechen unterliegt, aber durch die signifikative Funktion der Zeichen verborgen wird, und dass die Literatur dieses Sein erfahrbar macht« und so ein Draußen zutage fördere, das als das »Ungewusste des Wissens« zugleich die Rückseite diskursiver Ordnung bilde (Klawitter 2003, S. 20 und 380). Diese Ansätze zielen weniger auf eine Methode, um literarische Diskursanalysen konkret durchzuführen, als auf »Foucaults poetologische Bestimmung der Literatur« (Neumeyer 2010, S. 183). Geisenhanslüke merkt dabei kritisch an, dass die Vorstellung des frühen Foucaults »eines Seins der Sprache, das allein in der Literatur in Erscheinung trete« eine »tendenziell romantisierende Auffassung« sei (Geisenhanslüke 2020, S. 379). Die Vorstellung, literarische Diskurse seien per se Gegendiskurse, lässt sich nur für bestimmte moderne literarische Strömungen nachvollziehen. Sie kann nicht aufrechterhalten werden, wenn man Diskurse in ihrer Verflechtung mit diskursiven Ordnungen betrachtet, wie der spätere Foucault. Hier setzt die Interdiskurstheorie an.

3.4.2 Interdiskurstheorie

Die Interdiskurstheorie, die vor allem von Jürgen Link und Ursula Link-Heer entwickelt wurde, versucht die spezifische Funktion literarischer Diskurse und elementarliterarischer Elemente in anderen Diskursen zu bestimmen und dabei machtstützende wie auch subversive Effekte systematisch zu untersuchen. Dabei gelingt es Link in seiner Forschungspraxis, Foucaultsche Diskursanalyse und textnahe Analysen mithilfe strukturalistischer Werkzeuge zu verbinden, ohne in hermeneutische Interpretationen zurückzufallen. Da die Interdiskursanalyse für die KDA eine wichtige Bedeutung hat, die nicht nur literarische Diskurse betrifft, stellen wir sie weiter unten in Unterkapitel 3.5 vor und in 6.6. ihre Anwendung auf literarische Diskurse.

3.4.3 Historische Diskursanalyse

Die hier vorgestellte (literarische) Historische Diskursanalyse nach Klaus-Michael Bogdal unterscheidet sich von der weiter oben vorgestellten Historischen Diskursanalyse. Bogdal versucht wie Jürgen Link, Diskursanalyse mit der Analyse der Funktion von Literatur zu verbinden, aber:

»Im Unterschied zur Interdiskursanalyse wie zu Foucault selbst ist die Historische Diskursanalyse an einer Vermittlung mit Fragen der hermeneutischen Interpretation interessiert. […] Bogdal unterscheidet dabei vier Problemfelder[…]: die Frage nach der Literarizität des sprachlichen Kunstwerks, die nach der Historizität von Literatur sowie die Fragen nach dem sozialen Ort und der Medialität von Literatur […]« (Geisenhanslüke 2020, S. 381 unter Bezugnahme auf Bogdal 2003, S. 162 f.).

Bogdal wendet sich mit Foucault und Ulrich Brieler gegen universalistische Tendenzen und kritisiert, dass »literaturwissenschaftliche Diskursanalysen […] Regelmäßigkeiten meist im Bereich der Intertextualität oder Transtextualität (Genette)« suchten.[26] Die Historische Diskursanalyse hingegen versucht Differenzen herauszuarbeiten und sucht in der historischen Erfahrung »die Unstimmigkeit des Anderen« (Foucault 1991, S. 71). Literatur betrachtet sie als (historisches) Ereignis:

»Der Blick, der zunächst auf Vertrautem ruht oder es sucht, ändert sich mit dem historischen Abstand, bis die Literatur im Netz der sie durchkreuzenden Diskurse anders und fremd erscheint. Nun wird sichtbar, was ihre Einzigartigkeit ausmacht, was sie zu einem ›Ereignis‹[27] hat werden lassen.« (Bogdal 2003, S. 166)

Neben Bogdal zitiert Kammler 1997 auch Uwe Japp, Jürgen Fohrmann und Harro Müller als Vertreter dieser Richtung.

3.4.4 Literarische Diskursanalysen

Unter diesem Begriff fasst Neumeyer Ansätze zusammen, »die Foucaults Verfahren der Diskursanalyse zur Betrachtung von Literatur einsetzen und dadurch eine kulturwissenschaftliche Erweiterung der Philologien vornehmen« (Neumeyer 2010, S. 185). Anders als die Historische Diskursanalyse sind diese nicht an Einzeltextanalysen interessiert (vgl. Schößler 2006, S. 50). Stattdessen richten sie sich aus »an Wissenschaft wie Literatur umgreifenden Themenkomplexen« (Neumeyer 2010, S. 185) und analysieren literarische Diskurse zusammen mit wissenschaftlichen. »Das heißt jedoch nicht, dass die Literatur auf die diskursiven Strukturen in anderen Wissensfeldern lediglich reagiert und Paradigmenwechsel abbildet« (Schößler 2006, S. 49). Vielmehr stellt das Wechselspiel beispielsweise zwischen Kriminalliteratur und Strafjustiz Teil eines kulturellen Prozesses dar, der die Diskursregeln der Zeit erkennen lässt (vgl. ebd.).

Der spezifischen Funktion von Belletristik wird die literarische Diskursanalyse insofern gerecht, als sie nach der »Konstruktion moderner Individualitäten durch diskursive Ordnungen« fragt (Neumeyer 2010, S. 185). Beispielsweise weist

»Roland Borgards […] in seiner 2007 veröffentlichten Studie Poetik des Schmerzes auf einer breiten Materialbasis, die die Literatur von Barthold Heinrich Brockes bis Georg Büchner und die Wissenschaft vom Philosophen René Descartes bis zum Mediziner Jacques-Alexandre Salgues berücksichtigt, nach, dass die Erfahrung von Schmerz keineswegs eine überzeitliche Grunderfahrung des Menschen darstellt.« (ebd.)

Als weitere Vertreter dieser Richtung nennt Harald Neumeyer 2010 Joseph Vogels, Nicolas Pethes, Albrecht Koschorke und sich selbst.

3.4.5 Weitere Ansätze

Geisenhanslüke 2020 nennt weitere Ansätze in den Literaturwissenschaften, denen es allerdings »meist um einen theoretisch entschlackten Foucault« gehe oder die eher eine Erweiterung intertextueller als diskursanalytischer Ansätze seien (Geisenhanslüke 2020, S. 383). Er nennt hier Medienwissenschaft bzw. Medientheorie (insbes. Friedrich Adolf Kittler), Kulturwissenschaft bzw. Kulturpoetik und den New Historicism (insbes. Stephen Greenblatt). Bedeutung in den Literaturwissenschaften hat außerdem eine »mehr von Lacan als von Foucault inspirierte ›Diskursanalyse‹«, die »sozusagen als präzisierte ›Psychoanalyse‹ gelesen werden« will (Link/Link-Heer 1990, S. 88), z.B. Helga Gallas und Hans Helmut Hiebel.

3.5 Interdiskurstheorie statt Ideologiekritik (Jürgen Link)

Der Diskursbegriff von Jürgen Link hat die KDA stark beeinflusst. Zusammen mit Ursula Link-Heer entwickelte er die Interdiskurstheorie. Sie gliedert den Gesamtdiskurs in (wissenschaftliche) Spezialdiskurse und allgemeinverständliche Interdiskurse. Aufbauend auf dieser Unterscheidung kann deren Zusammenspiel erklärt werden. Damit lassen sich die für die KDA wichtigen Konzepte Kollektivsymbolik und Normalismus als interdiskursive Elemente verorten.[28] Außerdem gibt Link eine Antwort auf die Frage, wie sich foucaultsche Diskursanalyse zum marxschen Ideologiebegriff verhält: Er beschreibt Ideologie als Bündel von Interdiskursen und versucht so den Ideologiebegriff materialistisch neu zu fassen. Darüber hinaus bietet die Interdiskurstheorie die Basis für die Diskursanalyse belletristischer Literatur.[29]

3.5.1 Interdiskurstheorie[30]

Der Diskursbegriff von Link und Link-Heer ähnelt dem der KDA (s.a. Kap. 4.1.). Sie verstehen ›Diskurs‹ nach Foucault als kürzeren »Ausdruck für ›diskursive Formation‹« (Link 1999b, S. 151). Ein Diskurs ist »eine historisch-spezifische und spezielle, geregelte Formation von Aussagen«, »die einem spezifischen Gegenstandsbereich zugeordnet sind« (Link 2002, S. 543), beziehungsweise »das geregelte Ensemble von Redeformen, Genres, Ritualen usw. innerhalb einer historisch ausdifferenzierten und institutionalisierten Praxisart« (Link/Parr 1997, S. 123). In diesem Sinn kann beispielsweise von einem klinisch-medizinischen oder einem positiv-juristischen Diskurs des 19. Jahrhunderts gesprochen werden (vgl. Link 2002, S. 543 f.). Link und Link-Heer betonen dabei stets, dass Diskurse etwas Materielles sind, was sich unter anderem daran erkennen lässt, dass sie Effekte haben und deshalb wirkmächtig sind, dass sie Vorgaben oder Anleitungen für Handlungen geben und dass sie Subjekte produzieren und formieren:

»Dabei betont der ›Diskurs‹-Begriff die Materialität der Redeweise und ihre institutionellen Rahmenbedingungen ebenso wie ihre Kopplungsflächen zur Handlung und ihren aus all dem resultierenden Macht-Effekten.« (Link 1999a, S. 50)

Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch immer differenziertere Arbeitsteilung aus. Man denke hier an die zunehmende Zahl von verschiedenen Berufen und Spezialisierungen sowie die zunehmende Anzahl wissenschaftlicher Disziplinen und Teildisziplinen. Als Teil dieser Differenzierung findet eine Diskursspezialisierung statt, in deren Folge abgegrenzte Spezialdiskurse entstehen (vgl. Link/Paar 1997, S. 123 und Link 2003a, S. 11 f.).

»so sind der medizinische, der juristische, der religiöse diskurs usw. von anderen diskursen deutlich unterschieden, haben ihr jeweils eigenes typisches vokabular, ihre eigene typische syntax, ihre eigenen typischen ›rituale‹ […].« (Link 1986a, S. 71)

Typische Beispiele für Spezialdiskurse sind Diskurse wissenschaftlicher Disziplinen (vgl. Link 2002, S. 544). Spezialdiskurse tendieren »zu einem Maximum an immanenter Konsistenz« (Link 2002, S. 544). Bildliche Sprache findet sich in ihnen eher selten: »Idealtypisch dominiert in der Funktionsweise eines Spezialdiskurses […] die eindeutige Denotation und die Ausschaltung aller Mehrdeutigkeit und Konnotationen« (Link 2002, S. 544). Anders ausgedrückt: In Spezialdiskursen ist eindeutige Fachsprache und Präzision gefragt. Lyrische Sprache, Symbolik und Mehrdeutigkeit sind tabu.

Das antike Konzept von Universalgelehrten, die Kenntnisse aller wissenschaftlichen Disziplinen haben, ist in der heutigen hochdifferenzierten Diskurslandschaft unmöglich geworden. Spezialdiskurse sind oft nur noch für wenige Expert*innen verständlich und nicht mehr für benachbarte Spezialdiskurse, geschweige denn für die Allgemeinheit. Damit trotzdem noch ein Austausch über die Grenzen einzelner Spezialdiskurse hinweg möglich ist, muss »die Tendenz zu immer größerer Diskursspezialisierung durch umgekehrte Mechanismen der Diskursintegration kompensiert werden« (Link/Parr 1997, S. 123). Dazu dienen interdiskursive Elemente. Als interdiskursiv gelten sämtliche Diskurselemente und -parzellen, die »mit variabler und flexibler Bedeutung in einer Mehrzahl von Spezialdiskursen sowie gegebenenfalls ebenfalls in übergreifenden, allgemeinen Diskursen, z.B. sog. Alltagsdiskursen, zirkulieren« (Link 2002, S. 544). Dabei lassen sich zwei Arten unterscheiden:

Zum einen gibt es operative interdiskursive Elemente, »wie mathematische Formalisierungen, Klassifikationsschemata, Messverfahren usw.« (Link 1988b, S. 286). Mathematische Formeln werden beispielsweise in ganz unterschiedlichen Spezialdiskursen verwendet und Stammbäume, wie man sie aus der Ahnenkunde kennt, findet man auch in der Biologie und vielen anderen Wissenschaften.

Zum anderen gibt es imaginäre interdiskursive Elemente (vgl. ebd.) beziehungsweise »Analogie-Modelle und andere ›Bilder‹ und ›Mythen‹ mit Subjektappell« (Link 1996, S. 135). Beispielsweise wird in der Informatik von ›Netzwerken‹ miteinander verbundener Computer gesprochen, in der Journalistik von Recherche›netzwerken‹ kooperierender Journalist*innen und in der Kriminologie von Terror›netzwerken‹. Gemeinsam ist diesen Netzwerk-Symbolen, dass sie auf Subjekte anziehend oder abstoßend, auf jeden Fall aber eindrucksvoll wirken. Die Gesamtheit imaginärer interdiskursiver Elemente nennt Link auch elementar-literarische Anschauungsformen. Ein besonders wichtiges Beispiel für elementar-literarische Anschauungsformen stellt die Kollektivsymbolik dar, zu der auch das ›Netzwerk‹ gehört (siehe Kap. 4.12.1). Der Normalismus vereinigt beide Arten von Interdiskursivität, also operative interdiskursive Elemente und imaginäre interdiskursive Elemente (siehe Kap. 4.12.3).

Interdiskursive Elemente ermöglichen einerseits den Austausch zwischen verschiedenen Spezialdiskursen und machen andererseits Spezialwissen für die Allgemeinheit verständlich. Außerdem formen sich aus interdiskursiven Elementen auch eigenständige Interdiskurse, »deren dominante Funktion gerade in der kulturellen Integration und Generalisierung selektiven Wissens für die Subjekte besteht« (Link 1999b, S. 154 f.). Als Beispiele führt Link den »Elementardiskurs« bzw. das sogenannte »Alltagswissen« (Link 1996, S. 136) an sowie die Publizistik (vgl. Link 1999b, S. 154 f.) oder allgemeiner den mediopolitischen Interdiskurs (vgl. NAP, S. 66). Die Publizistik greift beispielsweise Wissen aus verschiedenen Wissenschaften auf, stellt es allgemeinverständlich dar, wozu sie unter anderem Kollektivsymbole nutzt, und macht das Spezialwissen so allgemein verfügbar. Ohne diese Übersetzung würden die meisten von uns beispielsweise nicht verstehen, wie Kernkraftwerke funktionieren oder welche Potenziale und Gefahren sie mit sich bringen.

Als elaborierte Interdiskurse bezeichnet Link Interdiskurse, die besonders durchdacht und reflektiert sind, beispielsweise Populärreligion, Populärphilosophie und Populärwissenschaft.

3.5.2 Von der Ideologiekritik zur Interdiskurstheorie

Jürgen Link erinnert daran, dass der Ideologiebegriff von Karl Marx mit einer für Marx überraschend bildreichen Sprache erklärt wird, wenn dieser etwa von »optischer ›Illusion‹«, »Camera obscura«, »Fata Morgana«, »Halluzinationen«, »Opium« oder »Schatten« spricht (zit. nach Link 1996, S. 134). Diese blumigen Bilder würden, so Link, darauf hinweisen, dass der Ideologiebegriff noch nicht zu Ende gedacht sei (ebd., S. 133). Alle diese Bilder sprechen dafür, dass Marx Ideologie nicht als gleichwertige Materialität fasst, sondern lediglich als ungenaue Widerspiegelung oder Zerrbild von Realität. Diese fehlende Materialität des Ideologiebegriffs kritisiert Link: Ideologiekritik tendiere zu einer »dualistischen[n] Aufspaltung der Diskurse in ›positive‹ (›wissenschaftliche‹[…]) und ›ideologische‹« bzw. in »›realistische‹ und ›nebelhafte‹«. Anders als marxsche Begriffe wie »etwa ›Produktionsweise‹, ›Reproduktion‹ […] oder auch ›Klasse‹« besitze »›Ideologie‹ bei Marx keineswegs einen so klaren operativ-epistemologischen Status« (Link 1996, S. 133). So sei es Marx letztlich nicht gelungen, Ideologie konsequent materialistisch zu erklären.[31]

Die Interdiskurstheorie stellt einen Versuch dar, den marxschen Ideologiebegriff durch einen materialistischen Diskursbegriff zu überwinden.[32] Wo Marx zwischen positiver Wissenschaft (Wahrheit) und Ideologie (ungenaue Widerspiegelung) unterscheidet, unterscheidet Link zwischen Spezialdiskursen und Interdiskursen. Die marxsche Ideologie fasst Link als »Ensemble von Interdiskursen« auf, wobei vor allem »elaborierte Interdiskurse mit totalisierendem Anspruch« gemeint sind, wie Religion, Philosophie, politische Ökonomie oder literarische Diskurse (Link 1996, S. 142 und S. 136).

Anders als die marxsche Ideologie haben Interdiskurse eindeutig Materialität, die an ihrer Wirkung deutlich wird. Diese Wirkung bestehe in der Subjektformierung, was »letztlich Körperformierung« heiße (Link 1996, S. 139). »Althussers ›Subjektanrufungen‹ sind konkret nichts anderes als das Angebot interdiskursiver Applikationsvorlagen für subjektive Identifikationen« (Link 1996, S. 140).

Marx charakterisiert Ideologien durch die Kriterien »Ahistorisierung, Anthropologisierung und Naturalisierung historischer Kategorien« (Link 1996, S. 137). Link kann jetzt zeigen, dass es sich dabei nicht einfach um falsche Perspektivierungen handelt, wie Marx annimmt, sondern dass diese sich aus den Strukturen von Interdiskursen materialistisch erklären lassen:

»Wenn Interdiskurse das Wissen zur individuellen und kollektiven subjektiven Applikation paratstellen, dann erklärt sich daraus direkt die Anthropologisierung, d.h. die Kopplung des Wissens mit Subjektappellen und (z.B. mythischen) Identifikationsvorlagen« (Link 1996, S. 137).

Anders gesagt: Um Wissen subjektiv erfahrbar zu machen und Subjekte zu formieren, werden in Interdiskursen elementar-literarische Verfahren verwendet, wie Kollektivsymbole oder Personifikationen. – Und das ist die Anthropologisierung (Vermenschlichung).

»Auch die beiden anderen großen Perspektivierungen« Ahistorisierung und Naturalisierung hingen, so Link, »mit der notwendigen selektiven und komplexitätsreduzierenden Struktur von Interdiskursen zusammen« (Link 1996, S. 137).

Da Marx Ideologie letztlich als verfälschte Widerspiegelung von Realität betrachtet, setzt er auf »Desillusionierung als ›Abregnen‹ von ›Ideologien‹ auf ›nackte Interessen‹« (Link 1996, S. 139). Interdiskurse nach Link und Link-Heer hingegen stellen eigene Materialitäten dar. Damit ist für sie ein Abregnen nicht möglich, da »die kollektive und individuelle Subjektbildung anthropologische conditio sine qua non menschlichen Lebens im elementarsten materiellen Sinne ist« (Link 1996, S. 140). Für die KDA folgern wir daraus, dass unser Ziel nicht die Auflösung von Ideologien, unwahren Interdiskursen oder Kollektivsymbolik ist. Stattdessen versuchen wir, sowohl in Interdiskursen als auch in Spezialdiskursen gefährliches aber auch befreiendes Wissen und Kollektivsymbole zu identifizieren. Damit versuchen wir Ansatzpunkten für eine Veränderung von Diskursen zu finden – mit dem Ziel besserer Lebensbedingungen und weniger Herrschaft.

3.6 Verortung der Ansätze innerhalb der KDA

Nach diesem, wenn auch sicherlich nur unvollständigen, Überblick über deutschsprachige Ansätze von Diskurstheorie und -analysen stellt sich die Frage, wie sich die Kritische Diskursanalyse von ihnen unterscheidet und an welchen Stellen gemeinsame Perspektiven festzuhalten sind.

Auch wenn allgemein in den Sprach- und Literaturwissenschaften eine interdisziplinäre Öffnung zu beobachten ist und einige ihrer Vertreter*innen die Arbeiten von Michel Foucault berücksichtigen, geht die Kritische Diskursanalyse darüber hinaus, indem sie sich als ein genuin interdisziplinäres und kulturwissenschaftliches Projekt versteht, das die Grenzen der traditionellen Wissenschaftsdisziplinen zu überwinden versucht.

Anders als sprachwissenschaftlich orientierte Diskursanalyse bezieht sich die KDA auf den Diskursbegriff von Michael Foucault und versteht den Diskurs als den ›Fluss von Wissen durch Zeit und Raum‹. Daneben ist durch ihre Orientierung an den Perspektiven von Foucault in den Analysen mit der KDA stets eine machtkritische Perspektive eingeschrieben, die die Geschichtlichkeit des in den Diskursen enthaltenen Wissens in den Blick nimmt und dieses Wissen gleichfalls hinterfragt. Auch deshalb eignet sich die KDA besonders dazu, kontroverse Debatten innerhalb der Gesellschaft zu begleiten. Dies wird in der Selbstbezeichnung als Kritische Diskursanalyse bereits deutlich.

Im Unterschied zu den sozialwissenschaftlichen Diskurstheorien legt die KDA den Fokus auf das Diskursgeschehen selbst bzw. darauf, was sagbar ist und mit welchen diskursiven Strategien es umgesetzt wird. Es geht ihr nicht darum, mit welchen Intentionen die am Diskurs Beteiligten auf diesen einwirken, sondern darum, welche Effekte die Einlassungen bewirken.

Neben der Orientierung an Michel Foucault hat die KDA weitere wichtige Impulse durch die von Jürgen Link entwickelte Interdiskursanalyse erhalten. Hier sind vor allem seine Normalismus- und Kollektivsymboltheorie zu nennen, die der KDA wichtige Analysewerkzeuge liefern.

Damit ist ein weiterer Gesichtspunkt angesprochen. Die KDA ist eine theoriegebundene Analysemethode, die Theorie und Methode miteinander verbindet. Damit setzt sie sich von Konzepten ab, die Theorie und Methode nur äußerlich in Beziehung setzen.

Einige der zahlreichen Analysen, die mit der KDA erstellt worden sind, finden sich im Anhang. Sie können zusammen mit den Analyseleitfäden (siehe Kap. 5) als Beispiele für das konkrete Vorgehen dienen.

4 Grundlagen der Kritischen Diskursanalyse

Im Folgenden werden wir Begriffe definieren, die für die KDA konstitutiv sind.[33] Wir beginnen mit dem Diskursbegriff, wie ihn Michel Foucault entwickelt hat. Bei Foucault enthält das Konzept des Diskurses eine wichtige Unterscheidung zwischen Aussagen und Äußerungen, auf die wir anschließend eingehen. In einem dritten Schritt wird Foucaults Begriff der Problematisierung vorgestellt. Danach folgt eine Auseinandersetzung mit dem Konzept des Dispositivs, mit dem Foucault eine Konstellation beschreibt, in der sich Diskurse, soziale Praxen und Gegenstände so miteinander bündeln, dass eine Antwort auf gesellschaftliche Probleme ermöglicht wird. Daran schließt sich ein Kapitel an, in dem wir den für Foucault zwingenden Zusammenhang zwischen Macht und Wissen behandeln. Das damit implizit angesprochene Verhältnis von Diskurs und Wirklichkeit schließt sich diesen Ausführungen an. Hier geht es um die Frage, wie Wirklichkeit diskursiv – vermittelt über tätige Subjekte – produziert wird. Diskurse werden jedoch nicht nur über die Subjekte konstituiert. Vielmehr gehen von Diskursen auch subjektivierende Effekte aus. Auf die möglichen unterschiedlichen Formen der diskursiven Subjektivierung gehen wir deshalb danach ein. Um die Frage nach der Möglichkeit wissenschaftlicher Objektivität geht es in einem weiteren Kapitel, das sich mit Diskurs und Wahrheit beschäftigt. Bevor wir das Konzept der Genealogie vorstellen, soll das Verhältnis von Kritik, Wahrheit und Macht beleuchtet werden. Diese Vorarbeiten lassen Schlussfolgerungen für die KDA zu. Um diese wird es gehen, bevor wir dann auf die diskurstragenden Kategorien ›Kollektivsymbolik‹ und ›Normalismus‹ eingehen. Außerdem stellen wir Überlegungen zum diskursanalytischen Umgang mit nicht-sprachlichen Bildern an und stellen das Konzept der Binarismusanalyse vor, mit dem eine Vertiefung der Analyse der Kollektivsymbolik erreicht werden kann.

4.1 Der Diskursbegriff

Der Diskursbegriff der KDA orientiert sich an den Ausführungen von Michel Foucault. Er schreibt:

»Der Diskurs ist genauso in dem, was man nicht sagt, oder was sich in Gesten, Haltungen, Seinsweisen, Verhaltensschemata und Gestaltungen von Räumen ausprägt. Der Diskurs ist die Gesamtheit erzwungener und erzwingender Bedeutungen, die die gesellschaftlichen Verhältnisse durchziehen.« (DE 3, S. 164)[34]

Grob gesagt ist mit Diskurs somit die sprachliche Seite einer diskursiven Praxis gemeint, die wiederum ein ganzes Ensemble von Wissensproduktionen umfasst. Das bedeutet: Es sind diese Wissensproduktionen, die ihre Gegenstände erst hervorbringen und sie konstituieren.

Wenn Diskurse als die sprachliche Seite einer diskursiven Praxis bestimmt werden, bedeutet dies jedoch nicht, dass Diskurs und Sprache in eins zu setzen sind.

Foucault schreibt, es gehe darum, Diskurse nicht

»als Gesamtheiten von Zeichen […], sondern als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses Mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache.« (AW, S. 74)

Damit wird deutlich, dass es sich bei dem Diskursbegriff nach Foucault nicht um eine Variation einer Abbildtheorie handelt. Diskurse spiegeln die Welt nicht wider, sie bilden sie nicht ab, zeichnen sie nicht nach, sondern sie produzieren Wirkliches. Das heißt, »Diskurse bestimmen, was Sexualität, Kriminalität, Pädagogik oder Medizin ist, wie diese Komplexe wahrgenommen, verhandelt, beurteilt werden« (Kuhn 2005, S. 69).

Insofern versteht Foucault Diskurse als materielle Produktionsmittel, die nicht nur die Gegenstände hervorbringen, von denen sie sprechen, sondern auch subjektivierende Effekte haben. Auch wird deutlich, dass es sich bei einer Diskursanalyse nicht um eine Analyse der Sprache handelt, sondern dass ein sprachlich vermittelter Diskurs im Mittelpunkt steht, der Personen subjektiviert. »Die Sprache«, so schreibt es Foucault, »existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen« (AW, S. 124). Foucault geht es darum, Diskurse als Ketten von Aussagen zu ermitteln und nicht als Ansammlung – wie auch immer begründet – von Sätzen und Texten.[35] Insofern benennen Diskurse auch einen sprachlich produzierten Sinnzusammenhang, der bestimmte Machtstrukturen (re-)produziert, die die Realität strukturieren.

Im Anschluss an Foucault bestimmt Jürgen Link Diskurse als »geregelte, ansatzweise institutionalisierte Redeweisen als Räume möglicher Aussagen, insofern sie an Handlungen gekoppelt sind und dadurch Machtwirkungen ausüben« (Link 2005a, S. 18).

Foucault versteht Diskurse als durch »eine Menge von Zeichenfolgen konstituiert, insoweit sie Aussagen[36] sind, das heißt insoweit man ihnen besondere Existenzmodalitäten zuweisen kann« (AW, S. 156). Wenn also Diskurse sich auszeichnen durch »eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören«, dann kann von »einem klinischen Diskurs, von einem ökonomischen Diskurs, von einem Diskurs der Naturgeschichte, vom psychiatrischen Diskurs« gesprochen werden (AW, S. 156). Streng genommen müssen wir aber im Plural sprechen, von Diskursen. Es gibt nicht den einen Diskurs, es gibt verschiedene Aussagengeflechte, die einander durchaus widerstreben, entgegenlaufen können, »das heißt, es gibt immer einen Plural an Diskursen zu einem Thema – nie den Sexualitätsdiskurs, immer Sexualitätsdiskurse« (Kuhn 2005, S. 69).

Zu fragen ist dabei, auf welche Weise die Diskurse geregelt werden. Foucault ist dieser Frage in seinem Text Die Ordnung des Diskurses nachgegangen, der einen Grundlagentext der KDA darstellt. Deswegen werden wir hier ausführlicher auf ihn eingehen.

In diesem Text beschreibt Foucault Diskurse als etwas Wucherndes, er spricht von »allem, was es da Gewalttätiges, Plötzliches, Kämpferisches, Ordnungsloses und Gefährliches gibt, vor jenem großen unaufhörlichen und ordnungslosen Rauschen des Diskurses« (ODis, S. 33). Diesem Wuchern stehen Prozeduren gegenüber, mit denen

»die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.« (ODis, S. 11)

Dies geschieht »in einer Gesellschaft wie der unseren« (ODis, S. 11) über Prozeduren der Ausschließung, wobei er drei Prozeduren benennt.

Als erstes beschreibt er die Ausschließung durch Verbot. Damit ist entweder das Tabu des Gegenstandes gemeint, das Ritual der Umstände oder aber das bevorzugte oder ausschließliche Recht des sprechenden Subjekts. Besonders im Bereich von Sexualität und Politik sei dieses Ausschließungsprinzip anzutreffen.

Als zweite Prozedur nennt er die Grenzziehung durch das Gegensatzpaar Vernunft und Wahnsinn und als dritte die Grenzziehung durch den Gegensatz von »dem Wahren und dem Falschen« (ODis, S. 13). Diese letzte Ausschließungsprozedur – Foucault nennt sie den Willen zur Wahrheit – übe auf Diskurse »Druck und Zwang« (ODis, S. 16) aus, alle Diskurse müssen sich diesem Willen zur Wahrheit unterwerfen und finden darin ihre Grundlage und ihre Legitimierung.

Von den genannten Ausschließungssystemen sei die Grenzziehung zwischen Wahrem und Falschem heute besonders bedeutsam, während »die beiden ersten immer schwächer werden, und ungewisser, sofern sie vom Willen zur Wahrheit durchkreuzt werden, wird dieser immer stärker, immer tiefer und unausweichlicher« (ODis, S. 16).

Neben den Ausschließungsprozeduren macht Foucault noch eine andere Gruppe aus, mit der Diskurse kontrolliert und eingeschränkt werden. Damit meint er »Prozeduren, die als Klassifikations-, Anordnungs-, Verteilungsprinzipien wirken«. Sie bändigen eine andere Dimension der Diskurse: »die des Ereignisses und des Zufalls« (ODis, S. 17). Konkret meint er damit den Kommentar, den Autor und die Disziplinen.

»Gewöhnlich sieht man in der Fruchtbarkeit eines Autors, in der Vielfältigkeit der Kommentare, in der Entwicklung einer Disziplin unbegrenzte Quellen für die Schöpfung von Diskursen. Vielleicht. Doch ebenso handelt es sich um Prinzipien der Einschränkung, und wahrscheinlich kann man sie in ihrer positiven und fruchtbaren Rolle nur verstehen, wenn man ihre restriktive und zwingende Funktion betrachtet.« (ODis, S. 25)

Unter dem Kommentar sind die Erzählungen zu verstehen, die in einer Gesellschaft kursieren. Sie werden kontinuierlich erzählt, dabei abgewandelt und wiederholt. Der Kommentar bewirkt so, dass sich einerseits neue Diskurse entfalten können, andererseits wiederholt er bereits Gesagtes.

Insofern bannt der Kommentar

»den Zufall des Diskurses, indem er ihm gewisse Zugeständnisse macht: er erlaubt zwar, etwas anderes als den Text selbst zu sagen, aber unter der Voraussetzung, dass der Text selbst gesagt und in gewisser Weise vollendet werde. Die offene Vielfalt und das Wagnis des Zufalls werden durch das Prinzip des Kommentars von dem, was gesagt zu werden droht, auf die Zahl, die Form, die Maske, die Umstände der Wiederholung übertragen. Das Neue ist nicht in dem, was gesagt wird, sondern im Ereignis seiner Wiederkehr.« (ODis, S. 20)

Mit dem Autor als diskursregulierender Institution ist nicht der Autor als sprechende Person gemeint, sondern ein Autor als »Prinzip der Gruppierung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen, als Mittelpunkt ihres Zusammenhalts« (ODis, S. 20). Was die Person schreibt und was nicht, ist ihr von der »Autor-Funktion vorgeschrieben« (ODis, S. 21) die sie von ihrer Epoche übernimmt und die sie modifiziert.

Das Prinzip der Disziplinen schließlich, mit dem gleichfalls eine Einschränkung des Diskurses stattfindet, ist »relativ und beweglich«, es erlaubt »zu konstruieren, aber nach ganz bestimmten Spielregeln« (ODis, S. 22). Eine Disziplin definiert sich durch »einen Bereich von Gegenständen, ein Bündel von Methoden, ein Korpus von als wahr angesehenen Sätzen, ein Spiel von Regeln und Definitionen« (ODis, S. 22). Die Disziplin stellt somit eine ›Konstruktionsanleitung‹ zur Teilnahme an einem bestimmten Teil des Diskurses dar, es können endlos neue Sätze gebildet werden, »aber nach ganz bestimmten Spielregeln« (ODis, S. 22).

»Es ist immer möglich, dass man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven ›Polizei‹ gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muss.« (ODis, S. 25)

Die dritte Gruppe der Prozeduren benennt er als Verknappung der sprechenden Subjekte. Auch hier lassen sich verschiedene Formen der Einschränkung unterscheiden. Das Ritual bestimmt die Qualifikation, die jemand haben muss, um Zugang zum Diskurs zu haben. Es legt aber auch die Verhaltensweisen, die eingesetzten Gesten und die Umstände fest, die Sprecher*innen innerhalb des Diskurses einnehmen müssen. Abweichend davon bestimmen Diskursgesellschaften, welche Diskurse »aufbewahrt« werden und welche nicht und nach welchen Regeln sie zu verteilen sind. Foucault schreibt:

»Gewiss ist von derartigen ›Diskursgesellschaften‹ mit ihrem zweideutigen Spiel von Geheimhaltung und Verbreitung kaum etwas geblieben. Aber man täusche sich nicht. […] Man denke an das technische oder wissenschaftliche Geheimnis; man denke daran, wie der medizinische Diskurs verbreitet wird und zirkuliert, man denke an jene, die sich den ökonomischen oder politischen Diskurs angeeignet haben.« (ODis, S. 28)

Die Doktrinen schließlich tendieren dazu sich auszubreiten. Hier ist die notwendige Bedingung die »Anerkennung derselben Wahrheiten und die Akzeptierung einer – mehr oder weniger strengen – Regel der Übereinstimmung mit den für gültig erklärten Diskursen« (ODis, S. 29). Dabei bezieht sich die Zugehörigkeit zu einer Doktrin sowohl auf die Aussage als auch auf das sprechende Subjekt.

»Die Doktrin bindet die Individuen an bestimmte Aussagetypen und verbietet ihnen folglich alle anderen; aber sie bedient sich auch gewisser Aussagetypen, um die Individuen miteinander zu verbinden und sie dadurch von allen anderen abzugrenzen. Die Doktrin führt eine zweifache Unterwerfung herbei: die Unterwerfung der sprechenden Subjekte unter die Diskurse und die Unterwerfung der Diskurse unter die Gruppe der sprechenden Individuen.« (ODis, S. 29)

Schließlich beschreibt Foucault die gesellschaftliche Aneignung von Diskursen als eine weitere Form der Verknappung von Diskursen. »Jedes Erziehungssystem ist eine politische Methode, die Aneignung der Diskurse mitsamt ihrem Wissen und ihrer Macht aufrechtzuerhalten oder zu verändern« (ODis, S. 30).

Foucault schlussfolgert aus dieser Analyse der Diskursordnungen, dass eine Analyse von Diskursen bestimmten methodischen Grundsätzen folgen sollte. Dazu gehöre erstens die Umkehrung: Es sollten sowohl das Ausgeschlossene als auch die Mechanismen der Verknappung und Ausschließung erfasst werden. Daraus folgt zweitens das Prinzip der Diskontinuität. Das heißt:

»Es geht nicht darum, ein Nicht-Gesagtes oder ein Nicht-Gedachtes endlich zu artikulieren oder zu denken, indem man die Welt durchläuft und an alle ihre Formen und alle ihre Ereignisse anknüpft. Die Diskurse müssen als diskontinuierliche Praktiken behandelt werden, die sich überschneiden und manchmal berühren, die einander aber auch ignorieren oder ausschließen.« (ODis, S. 34)

Ein drittes Prinzip besteht in der Spezifität von Diskursen. Auf die Annahme vorgängiger Bedeutungen sollte verzichtet werden.

»Es gibt keine prädiskursive Vorsehung, welche uns die Welt geneigt macht. Man muss den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun, jedenfalls als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen.« (ODis, S. 34 f.)