Kunst ist weiblich! - Carla Heussler - E-Book

Kunst ist weiblich! E-Book

Carla Heussler

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Beschreibung

Auf der Biennale feiern Künstlerinnen aus aller Welt Triumphe. Sammler zahlen Spitzenpreise für ihre Werke. Höchste Zeit für die erste Frauenkunstgeschichte. Carla Heussler erzählt, wie die Kunst weiblich wurde. Von der Renaissance bis heute spannt sich der Bogen. Wir begegnen Publikumslieblingen wie Artemisia Gentileschi, Angelika Kauffmann und Berthe Morisot. Unter den Wiederentdeckungen beeindrucken Marie Bashkirtseff und Jeanne Mamnen, Marietta Robusti, Luise Seidler oder Marie Ellenrieder. Wie hat sich das Selbstverständnis der Künstlerinnen gewandelt? Warum konnten sie soziale Tabus und Geschlechterrollen überwinden? Mit viel Enthusiasmus folgt Carla Heussler den ungezählten Möglichkeiten weiblicher Kunst bis zu Rebecca Horn und Katharina Grosse.

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Seitenzahl: 445

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Carla Heussler

Kunst ist weiblich!

Eine andereKunstgeschichtevon Artemisia Gentileschibis Yoko Ono

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

wbg Theiss ist ein Imprint der wbg.

© 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Lektorat: Christina Kruschwitz, Berlin

Satz: Arnold & Domnick, Leipzig

Einbandabbildung: „Russisches Mädchen mit Puderdose“ von Lotte Laserstein,

© bpk / Städel Museum

Einbandgestaltung: Jens Vogelsang, Aachen

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Printed in Europe

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-4616-2

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4652-0

eBook (epub): ISBN 978-3-8062-4653-7

INHALT

Einleitung

Kloster oder Familie – Künstlerinnen in Renaissance, Barock und Rokoko

„Nach Italien steht mir der Sinn“– Künstlerinnen auf Reisen in den Süden

Der Weg zur Farbe – die Malerinnen des Impressionismus

Ab nach Paris! – Künstlerinnen reisen an die Seine

Gemeinsam statt einsam – Künstler*innenpaare in Paris

Wie werde ich Künstlerin? Neue Wege zur Professionalisierung

Never walk alone – Stark in der Gemeinschaft

Neue Frau und neue Freiheit – Künstlerinnen der „goldenen“ 1920er-Jahre

Verfemt, verfolgt, ermordet – Tragische Schicksale im Nationalsozialismus

Neue Formen – Neue Zeiten: Künstlerinnen nach dem Zweiten Weltkrieg

Kunst ohne Malerei – Künstlerinnen erobern die Kunstwelt

Schöne neue Welt – Gleichberechtigung in der Kunst?!

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Personenregister

Bildnachweis

Über die Autorin

EINLEITUNG

Das Thema „Künstlerinnen“ ist so aktuell wie nie. Zahlreiche Ausstellungen der letzten Jahre präsentierten bildende Kunst von Frauen und beschäftigten sich mit der Frage nach Voraussetzungen und Entwicklungen von Künstlerinnen. Nicht zuletzt zeigte die erste von einer Frau kuratierte Biennale in Venedig 2022 erstmals Werke, die zu über 80 Prozent von Frauen geschaffen wurden, darunter auch zahlreiche historische Positionen.

Die Publikation möchte daher an Beispielen verschiedener Künstlerinnen aus unterschiedlichen Epochen die Veränderung der Schaffensbedingungen für weibliche Kunst und, damit einhergehend, den Wandel des Selbstbewusstseins und Selbstverständnisses von Künstlerinnen von der Renaissance bis heute zeigen. Denn letztlich beeinflusst die Gestaltung der Geschlechterrollen in einer Gesellschaft, wie Künstlerinnen sich ausbilden und äußern können, wie ihre Kunst wahrgenommen wird und wie sie existieren oder sogar bekannt werden können.

Bereits in Antike und Mittelalter haben sich Frauen künstlerisch betätigt. Doch blieben sie zunächst weitestgehend anonym und waren als Einzelpersönlichkeiten kaum nachzuweisen. Erste Erwähnungen von Künstlerinnen aber finden sich in der Antike: So hatte Plinius der Ältere sechs Malerinnen in einer kurzen Liste zusammengestellt. Diese übernahm in der Renaissance Giovanni Boccaccio in seinem Werk „De claris mulieribus“ (dt. „Von berühmten Frauen“), das er selbst als das erste ausschließlich von Frauen handelnde Buch bezeichnete. Er berichtete darin von den Malerinnen Thamar und Irene, die beide Töchter von Malern waren, sowie von der Bildhauerin und Malerin Marcia, die aufgrund ihrer Tugenden und ihrer Jungfräulichkeit („perpetua virgo“) in späteren Ausgaben seines Buchs zur frommen Nonne stilisiert wurde.

Erste namentlich bekannte Künstlerinnen lebten dann vor allem in den von der Öffentlichkeit abgeschotteten Klöstern. Als eine der frühen bedeutenden Buchmalerinnen des Hochmittelalters gilt etwa Diemut von Wessobrunn, die in einer Zelle neben der bayerischen Benediktinerabtei Wessobrunn ein entbehrungsreiches Leben führte. Herrad von Landsberg war dagegen Äbtissin des Chorfrauenstifts in Hohenburg im Elsass. Sie verfasste und illustrierte den „Hortus deliciarum“, den Garten der Wonnen, eine Enzyklopädie mit 344 Miniaturen. Auch der Name der Buchmalerin Barbara Gwichtmacherin ist bis heute bekannt, von ihr soll eine Initiale mit dem Heiligen Andreas aus dem Chorbuch des Nürnberger Dominikanerklosters St. Katharina stammen.

Erst seit der Renaissance lassen sich Kunstwerke eindeutig mit bestimmten weiblichen Namen verbinden. Auch existieren von da an die ersten gesicherten Nachrichten, die über das Leben und Schaffen von Künstlerinnen Auskunft geben. Lange fanden sich nur in Klöstern künstlerisch arbeitende Frauen, ab der Renaissance dominierte jedoch die Herkunft aus Künstlerfamilien, denn bis ins 18. Jahrhundert hinein war die väterliche Werkstatt für Frauen oft die einzige Möglichkeit, eine künstlerische Ausbildung zu erhalten. Die ersten Kunstakademien entstanden zwar bereits im 16. Jahrhundert, doch galten Frauen dort eher als Ausnahmeerscheinungen. Schafften es Frauen trotz aller Widerstände, Malerin oder sogar Bildhauerin zu werden, wurden sie nicht selten von hohen Würdenträgern beschäftigt oder gar zu „Hofmalerinnen“ ernannt. Meist waren sie verheiratet, da neben dem Vater nur ein Ehemann die Geschäfte führen durfte. Manche mieden aber auch das Eheglück, um sich ganz ihrer Profession widmen zu können. Erstaunlich ist jedoch: Verhältnismäßig früh sind Künstlerinnen viel und weit gereist, feierten Triumphe und verkauften ihre Werke zu Höchstpreisen.

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erkämpften sich die Frauen neue Möglichkeiten. Spezielle Damenakademien wuchsen aus den Metropolen empor, und die freien Angebote im Ausland, insbesondere in der französischen Landeshauptstadt, wurden zusehends wahrgenommen. Doch bezahlten Frauen im Vergleich zu Männern lange sehr viel mehr für Lehrer, Modelle und Ateliers, so dass es sich oft nur Töchter aus wohlhabendem Hause leisten konnten, sich ausbilden zu lassen. Auch in den Künstlervereinigungen, wie etwa dem Blauen Reiter, hatten es Künstlerinnen nicht unbedingt leichter. Mit Inkrafttreten des Gleichstellungsparagrafen in der Weimarer Republik konnten Frauen ab 1919 immerhin endlich an den staatlichen Akademien studieren und unter annähernd vergleichbaren Bedingungen eine Künstlerinnenkarriere anstreben. Am Bauhaus, der Künstlerschmiede der Moderne, waren Frauen zwar gern gesehen, wurden aber häufig auf geschlechtsspezifische Tätigkeiten wie die Weberei reduziert. Zunehmende Befreiung von den althergebrachten Geschlechterrollen erlangten Frauen erst ab den 1960er-Jahren. Doch noch da konstatierte die Malerin Gisela Breitling: „Ich war überzeugt, dass es niemals Malerinnen von Rang gegeben hatte. Während meines Studiums hatte ich in den Vorlesungen über Kunstgeschichte nie etwas von Frauen gehört. Nicht einen einzigen Namen.“1

Erst 1971 startete eine genuin feministische Forschung, als die amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin in ihrem Aufsatz „Why have there been no great women artists?“ nach der Sichtbarkeit von Künstlerinnen fragte und durch ihre Untersuchung den Weg für deren Rezeption ebnete. Daraus resultierte 1976 eine der ersten großen Künstlerinnen-Ausstellungen, die viele vergessene Malerinnen und Bildhauerinnen wieder ans Licht der Öffentlichkeit brachte.

Allerdings stellte Angela Merkel immerhin noch 1993 als Familienministerin fest: „Offen bestreitet heute niemand mehr die Originalität von Künstlerinnen und die Qualität ihrer Arbeiten. Dennoch werden Künstlerinnen und ihre Arbeiten auf dem Kunstmarkt weitgehend ignoriert.“2

Heute haben sich Künstlerinnen viele Möglichkeiten geschaffen, auszustellen und bekannt zu werden. Zwar sind sie unter den Großverdiener*innen immer noch unterrepräsentiert, doch wächst ihre Zahl in den Ausstellungen stetig an, denn auch die Leitung von Galerien und Museen ist in den letzten zwanzig Jahren entschieden weiblicher geworden. Da es mehr Professorinnen an den Kunstakademien gibt, wachsen zudem die weiblichen Netzwerke. Auch wurden die lange Zeit als gravierend und von Natur aus gegeben angesehenen Unterschiede zwischen Mann und Frau durch die in den letzten Jahren geführten Gender-Diskussionen entschieden infrage gestellt, so dass auch in der Kunst immer weniger das Geschlecht im Vordergrund steht.

Mein Buch versucht, eine Frauenkunstgeschichte zwischen Renaissance und heute in knapper Form nachzuvollziehen. Neben den bekannteren Künstlerinnen möchte ich den Leser*innen auch einige in der Öffentlichkeit weniger geläufige Malerinnen und Bildhauerinnen näherbringen. Aufgrund der Fülle des vorgefundenen Materials – nicht alle Künstlerinnen, die es verdient hätten, konnten berücksichtigt werden – soll dieses Buch jedoch in erster Linie dazu anregen, den Blick für Künstlerinnen und ihre Rolle in der Gesellschaft zu öffnen.

Carla Heussler, Stuttgart im Januar 2023

KLOSTER ODER FAMILIE

Künstlerinnen in Renaissance, Barock und Rokoko

Erst für das 16. Jahrhundert lassen sich die ersten namentlich nachweisbaren Künstlerinnen finden, denen tatsächlich auch Werke zugewiesen werden können. Dabei fällt auf, dass es für eine Ausbildung und ein Dasein als Bildhauerin oder Malerin letztlich nur zwei Möglichkeiten gab: das Leben im Schutz des Klosters oder das Dasein als vom Vater ausgebeutete Künstlertochter, deren Name und Werk nur selten ans Licht der Öffentlichkeit gelangte. Daneben existierten einige wenige Künstlerinnen als Ausnahmeerscheinungen, die weder dem einen noch dem anderen Kontext zuzurechnen waren. Zwar förderte der in der Renaissance auftretende Humanismus, der allen Menschen – seien es nun Männer oder Frauen – eine Entwicklung und Ausbildung nach den vorhandenen Möglichkeiten zugestand, das Aufkommen von Künstlerinnen. Doch in der Regel stammten diese Malerinnen oder Bildhauerinnen aus einigermaßen wohlhabenden und gebildeten Kreisen, Künstlerinnen aus dem einfachen Volk konnten nicht nachgewiesen werden.

Eine der ersten Bildhauerinnen: Properzia de’ Rossi

Dass es überhaupt möglich ist, Künstlerinnen aus dem 16. Jahrhundert zu entdecken, ist Giorgio Vasari, einem der frühen Kunstschriftsteller, zu verdanken. Allerdings erwähnte er erst in der zweiten Ausgabe seiner „Lebensbeschreibungen berühmter Maler, Bildhauer und Architekten“ von 1568 erstmals Künstlerinnen. Weshalb er dort über sie berichtete, hing vermutlich mit der damals zunehmenden Verbreitung des Humanismus zusammen, der nun auch Frauen Talente zuerkannte. Dementsprechend stellte Vasari seinem Kapitel über Künstlerinnen eine allgemeine Lobrede auf die Frauen voran. Überraschenderweise handelt es sich bei einer der ersten Frauen, von denen er berichtet, um eine Bildhauerin: Properzia de’ Rossi. Ihr Porträt am Beginn des Kapitels zeigt sie mit einem Schleier. War sie also eine Nonne oder eine züchtige verheiratete Frau? Und es überrascht nicht: Weder ein Lehrer noch eine Ausbildungsstätte sind bekannt. Erstaunlicherweise hat sie weiblich zarte Hände, obwohl sie handwerklich arbeitete und wohl auch noch andere Künste beherrschte. Zunächst soll sie religiöse Szenen in Kirschkerne geschnitzt und sich dann der Arbeit mit Marmor zugewandt haben, was für Frauen des 16. Jahrhunderts kaum vorstellbar war. Denn die harte körperliche Arbeit traute man Frauen nicht zu, sie war den Männern vorbehalten. Um Aufträge zu bekommen, benötigte Properzia de’ Rossi dann auch männliche Unterstützung: So „frug sie durch ihren Mann bei den Kirchenvorstehern an“1, um Aufträge für Skulpturen an der Fassade der Kirche San Petronio von Bologna zu erhalten, die eine der größten Kirchen Italiens werden sollte. Es handelte sich also um ein äußerst prestigeträchtiges Unterfangen, bei dem die Anfrage durch eine Frau sicher abgelehnt worden wäre. Vermutlich musste sie daher, um als Bildhauerin überhaupt in Betracht gezogen zu werden, Proben ihrer Arbeit vorlegen, obwohl sie bereits Porträtbüsten für Santa Maria del Baraccano angefertigt hatte und somit keine Unbekannte war. Sie galt – trotz des unpassenden Metiers – als sehr talentiert, und so beschrieb Vasari durchaus begeistert das von ihr geschaffene Marmorrelief „Joseph und Potiphars Weib“ (Abb. 1).

Nach der biblischen Erzählung war es Joseph, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft worden war, gelungen, von Potiphar, einem hohen Beamten des Pharaos, zum Hausverwalter eingesetzt zu werden. Die Frau des Potiphars versuchte nun, den gutaussehenden jungen Mann zum Ehebruch zu verführen. Die Frau ist bei dieser Geschichte die aktiv Handelnde, was Properzia auch beeindruckend schildert: Energisch packt diese den fliehenden Joseph an seiner Tunika, wobei ihre üppigen wogenden Brüste entblößt werden – eine Szene von packender erotischer Spannung, die so gar nicht den Konventionen der Zeit entsprach. Vielleicht war genau dies einer der Gründe, warum das Relief damals nicht an der Fassade von San Petronio angebracht worden ist. Vasari strickte eine romantische Legende, nach der die Szene des Reliefs in Verbindung zur unerwiderten Liebe der Künstlerin zu einem hübschen Jüngling stehen soll. Demnach habe sie mit der Darstellung von Joseph und Potiphars Weib auch die eigene unerfüllte Liebe verarbeitet. Vasari suggeriert damit, dass gerade die eigene leidvolle Erfahrung Properzia erst in die Lage versetzte, ein solch herausragendes Relief zu schaffen. Die unterstellte eigene Zurückweisung hätte hier jedoch zu einer biblischen Szene mit deutlicher moralischer Botschaft geführt. Gerichtsakten aus Bologna berichten dagegen: Ganze zweimal sei sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten, weil sie den Garten eines Nachbarn verwüstet und einen Künstlerkollegen mit Farbe bespritzt haben soll. Zudem gab es eine Klage, in der Properzia öffentlich als Kurtisane diffamiert wurde. Mit dieser Klage in Zusammenhang stand tatsächlich ein junger Mann aus der Familie der Malvasia, der später eine Frau aus seiner Gesellschaftsschicht ehelichte.2 Legende oder Wahrheit? Dies lässt sich heute nicht mehr feststellen, doch wird offensichtlich, dass eine Frau mit ungewöhnlichem Beruf mit einem gewissen Unverständnis betrachtet wurde und sie häufig Anfeindungen ausgesetzt gewesen sein muss. Letztlich lautete aber Vasaris Urteil: „Sie war wunderschön von Gestalt, sang und spielte entzückender, als irgendeine ihrer Zeitgenossinnen in Bologna.“3

1Properzia de’ Rossi, Joseph und Potiphars Weib, 1525/26, Marmor-Relief, Museo di San Petronio, Bologna

Ausbildung im Kloster: Die malende Nonne Pulisena Nelli

Wesentlich einfacher und auch unspektakulärer war es da, im festgefügten Klosterverband künstlerisch zu arbeiten. Die ausgeübte Profession stand dort ganz im Dienste Gottes, und so konnte ihr auch von einer breiteren Öffentlichkeit mit mehr Akzeptanz begegnet werden. Zudem brachte der Eintritt in ein Kloster den Vorteil, sich nicht um eine mögliche Ehe, Kinder oder gar ein eigenes Heim kümmern zu müssen. Hier entstand ein Freiraum dafür, künstlerischen Neigungen nachzugehen.

So weiß Vasari auch von der malenden Nonne Suor Plautilla, die mit bürgerlichem Namen Pulisena Nelli (1524–1588) hieß, zu berichten. Die Malerin stammte aus einer der bekannten und wohlhabenden Florentiner Familien. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater, der Kaufmann Piero di Luca Nelli, erneut geheiratet und somit eine neue Familie gegründet. Vermutlich auch um die hohe Mitgift zu sparen, die bei einer Verheiratung fällig geworden wäre, trat Pulisena mit vierzehn Jahren in das Dominikanerinnenkloster Santa Caterina da Siena ein. Ob die Wahl des Klosters aus Zufall oder mit Absicht erfolgte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, doch war gerade dieser Konvent berühmt für seine herausragende Buchmalerei. Sehr bald nach ihrem Eintritt entdeckten ihre Mitschwestern ihr Talent im Malen und Zeichnen. Generell herrschte bei den Dominikanerinnen noch der Geist des Bußpredigers Girolamo Savonarola, der gefordert hatte, die Nonnen zum Malen und Zeichnen religiöser Bilder anzuhalten, um Faulheit in den Klöstern zu vermeiden.

Dennoch stellt sich die berechtigte Frage: Wie gelang es Nelli, sich hinter Klostermauern über die Buchmalerei hinaus künstlerisch ausbilden zu lassen? Vasari zufolge soll sie sich durch Kopieren der großen Meister geübt haben. Sie studierte Werke der bekannten Florentiner Maler Andrea del Sarto und Agnolo Bronzino. Auch soll sie selbst, da sie nicht mittellos war, eine kleine Sammlung sakraler Bilder besessen haben, darunter Zeichnungen des Malers Fra Bartolommeo. Lange hielt sich auch die Vermutung, sie sei von einem Schüler Fra Bartolommeos, dem Dominikanermönch Fra Paolino da Pistoia, unterrichtet worden. Aufgrund der strengen Klosterregeln erscheint dies jedoch als unwahrscheinlich, wenn überhaupt, ließ er ihr nur Zeichnungen seines Lehrers zukommen. Insgesamt ist Nellis Wirken nur rudimentär überliefert, so dass ihr lediglich einige wenige Werke zugeschrieben werden können. Bei einem der zugesprochenen Werke handelt es sich um eine Beweinung mit Heiligen, die sich noch heute im Besitz ihres einstigen Konvents befindet. Klar erkennbar ist das Vorbild Fra Bartolommeos. Die Ähnlichkeit in Komposition und Farbgebung mit seiner Grablegung Christi aus dem Jahr 1516 ist allzu offensichtlich. Auffallend ist jedoch eine entscheidende Änderung Nellis: Sie hat zwei weitere trauernde Frauen hinzugefügt, die sich um den Leichnam Christi kümmern. Dies erklärt sich sicher aus dem Umstand, dass im Kloster weibliche Modelle besser verfügbar waren. Dementsprechend berichtet Vasari, in ihren Bildern seien Frauen natürlicher dargestellt als Männer. Auch sei die Gestik und Ausdruckskraft ihrer Figuren ausdrucksstärker als bei Fra Bartolommeo.

Pulisena Nelli wurde als Malerin in ihrer Zeit durchaus wahrgenommen, so hat sie einige wenige Bilder auch signiert, wie das „Abendmahl“, das ursprünglich für die Nonnen ihres Klosters bestimmt war, sich aber heute im Refektorium des Konvents von Santa Maria Novella befindet. Darin fällt die besondere Sorgfalt auf, mit der das Porzellan und die Gläser gemalt sind. Zusätzlich fügte sie zwei Schalen mit Gemüse oder Salat hinzu, ein ungewöhnliches Detail für eine Abendmahlsdarstellung, das vermutlich an die volkstümliche toskanische Küche erinnern soll. Wie beim berühmten Abendmahlsfresko von Andrea del Castagno im Cenacolo di Sant΄Apollonia ist ein ganz bestimmter Augenblick aus dem Johannes-Evangelium geschildert: „Der ist΄s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er tauchte den Bissen ein, nahm ihn und gab ihn dem Judas, des Simon Jscharioth Sohn.“4 So sitzt Judas sowohl bei Nelli als auch bei del Castagno separiert von den anderen Aposteln vor der Tafel, was als ikonografische Neuerung bezeichnet werden kann, und bekommt dort von Jesus ein Stück Brot gereicht, während er mit der anderen Hand den Beutel mit dem Judaslohn umklammert. Wie Vasari berichtet, waren die Bilder Nellis nicht nur in ihrem Konvent, sondern auch bei den angesehenen Familien in Florenz sehr beliebt, so dass sie tatsächlich eine große Zahl an Bildern geschaffen haben muss. Doch trotz der erkennbaren malerischen Qualität ihrer Werke und deren Beliebtheit wird ihr Können von Vasari abgewertet, ja er spricht ihr sogar gewisse künstlerische Fähigkeiten ab: „Von ihren Arbeiten verdienen jene den Vorzug, die sie nach andern gefertigt hat, woraus man sieht, was sie Gutes geleistet haben würde, wenn sie so leicht, wie ein Mann, nach der Natur und dem Leben hätte studiren und zeichnen können.“5 Mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten, bedingt durch die Abgeschlossenheit des Klosters, verhinderten, dass die Künstlerin ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen konnte. Doch ermöglichte das Kloster Pulisena Nelli letztlich auch, überhaupt malen zu können, und darüber hinaus, die Malerei als Beruf im Sinne von Ausführung von Aufträgen und Bezahlung der Arbeit auszuüben.

Weder Nonne noch Künstlertochter: Die Malerin Sofonisba Anguissola

Neben dem Kloster war die einzige weitere Möglichkeit der künstlerischen Ausbildung, in eine Malerfamilie hineingeboren zu werden. Ansonsten waren Frauen in der Regel von jeglicher Kunstausbildung und Ausübung ausgeschlossen. Eine der wenigen Ausnahmen: Sofonisba Anguissola. Sie entstammte keiner Künstlerfamilie, und dennoch erhielt sie eine Ausbildung zur Malerin. Diesen ungewöhnlichen Umstand hat sie der humanistischen Bildung ihres Vaters und vielleicht auch seiner finanziellen Situation zu verdanken. Er setzte um, was Autoren wie Baldassare Castiglione forderten: Eine umfassende Bildung in Literatur, Musik, Philosophie und Zeichnen nicht nur für die Söhne, sondern auch für die Töchter aus gutem Hause. Die in Cremona geborene Sofonisba Anguissola bildete gemeinsam mit ihren sechs jüngeren Geschwistern, darunter fünf Schwestern, im 16. Jahrhundert eine absolute Ausnahmeerscheinung. Ungewöhnlich neben ihrem Geschlecht war auch ihr adliger Stand, denn auch einem künstlerisch begabten adligen Mann war damals eine Ausbildung zum Bildhauer oder Maler nahezu unmöglich, galten Künstler doch als Handwerker. So musste sich der berühmte Bildhauer Michelangelo Buonarroti mit Vehemenz gegen seine Familie durchsetzen, um Bildhauer werden zu können. Doch nicht nur die Aufgeschlossenheit des Vaters ermöglichte die Ausbildung Sofonisbas und drei ihrer Schwestern, denn da er finanziell nicht in der Lage war, allen seinen Töchtern eine standesgemäße Aussteuer mit auf den Weg zu geben, bildete die Berufsausbildung eine mögliche, wenn auch damals noch ungewöhnliche Möglichkeit, deren Zukunft zu sichern. Letztlich war dies eine Sensation.6

So erhielten Sofonisba und ihre um ein Jahr jüngere Schwester Elena, anstatt sich auf die Ehe vorzubereiten, eine für damalige Verhältnisse fundierte künstlerische Ausbildung. Bei Ausbildungsbeginn war Sofonisba genauso alt wie ein männlicher Lehrling. Sie wohnte gemeinsam mit ihrer Schwester Elena bei der Familie ihres Lehrers Bernardino Campi, einem der besten Maler Cremonas. Auch dies war für die damalige Zeit überraschend, lebten doch die Töchter bis zu ihrer Vermählung in der Regel bei den Eltern. Allerdings standen die Schwestern während ihrer Ausbildung unter der Obhut der Ehefrau des Malers, so dass der nötige Anstand gewahrt werden konnte. Anschließend war Bernardino Gatti, wie Campi ein Maler des Manierismus, ihr Lehrer. Danach trennten sich die Wege der Schwestern: Elena trat in ein Dominikanerinnenkonvent ein. Beim ersten erhaltenen Bildnis Sofonisbas aus dem Jahr 1551 handelt es sich daher um das Porträt ihrer Schwester als Novizin. Das Porträt galt als ihre bevorzugte Gattung, war doch das bedeutendere Historienbild den Männern vorbehalten. Auch malte sie eine beträchtliche Zahl an Selbstbildnissen. Ein Grund dafür war sicherlich, dass sie so kein Modell bezahlen musste, sondern nur einen Spiegel benötigte. Besonders beeindruckend ist aber ein Gemälde, das ihre Schwestern beim Schachspiel zeigt. Sofonisba wählte eine aus dem Leben gegriffene Szene, in der die Gefühle und Charaktere der jungen Mädchen sichtbar werden. Die Schachfigur noch in der Hand, blickt Lucia den Betrachter an und führt ihn so ins Bild ein, während Europa lachend die überraschte Reaktion ihrer Schwester Minerva auf den letzten siegreichen Schachzug beobachtet. Auf der rechten Bildseite blickt die ältere Dienerin interessiert, aber auch wachsam, dem Treiben der Mädchen zu (Abb. 2).

Wie damals üblich, fungierte Sofonisbas Vater als ihr Agent. Er knüpfte für sie Kontakte zum Herzog von Ferrara, zu den Höfen von Mantua, Parma und Urbino. Sogar mit Michelangelo korrespondierte er und bat darum, ihm Zeichnungen zu schicken, die seine begabte Tochter kolorieren sollte. Eine Heirat zerschlug sich, angeblich weil die Familie die Mitgift nicht aufbringen konnte, vielleicht aber auch, weil der Vater hoffte, dass sich die Ausbildung noch besser bezahlt machen könnte als bisher, denn als verheiratete Frau hätte sie wahrscheinlich nicht weiter als Malerin arbeiten können.7

Tatsächlich ging die Rechnung auf: Als erste professionelle Malerin aus Italien ging sie ins Ausland. Philipp II. von Spanien engagierte sie als Zeichenlehrerin im Rang einer Hofdame für seine Ehefrau, die erst vierzehnjährige französische Prinzessin Elisabeth von Valois, die älteste Tochter von Caterina de’ Medici und Heinrich II. von Frankreich. Gleichzeitig wurde für die Familie der Künstlerin in Form einer Rente gesorgt. Nach Madrid durfte Sofonisba jedoch nicht alleine reisen, sie wurde von zwei Damen, sechs Bediensteten und zwei Herren aus ihrer Verwandtschaft begleitet. Dies gebot zum einem die Schicklichkeit, zum anderen war so die sichere Ankunft gewährleistet, denn Reisen war damals aufgrund der marodierenden Banden ausgesprochen gefährlich.

Im Dienst des spanischen Königs wagte die junge Malerin zunächst nicht, ihre Bilder zu signieren, vermutlich um nicht mit den offiziellen Hofmalern in Konkurrenz zu treten. Doch bekam sie bald zahlreiche Aufträge für Porträts der Königsfamilie: So malte sie etwa für Papst Pius IV. ein Bildnis der Königin, der sie sehr nahestand. Nach dem frühen Tod ihrer Herrin im Kindbett, der sie tief traf, wollte Philipp II. sie an den Hof binden und verheiratete sie mit dem sizilianischen Adligen Don Fabrizio di Moncada. Vom König erhielt sie eine entsprechende Mitgift sowie eine Lebensrente als Zeichen seiner Wertschätzung und letztlich auch zu ihrer Absicherung. Diese Zuwendungen machten die Künstlerin, die schon längst das damals allgemein übliche Heiratsalter überschritten hatte, zu einer begehrenswerten Partie. Nach nur fünf Jahren Ehe wandelte sich ihr Leben aber radikal: Ihr Ehemann kam überraschend ums Leben, und so reiste sie in ihre Heimat zurück. Während der Reise lernte sie den Kapitän des Schiffs, Orazio Lomellini, unehelicher Spross einer der bedeutenden Geschlechter Genuas, kennen und bot ihm die Heirat an, ganz eigenmächtig gegen den Willen ihres Bruders und ohne den König um Erlaubnis zu bitten. Mit einer Blitzheirat kam das Paar möglichen Einsprüchen zuvor.8 Eine Ungeheuerlichkeit für eine Frau, sich ihren Ehemann selbst auszusuchen. Zudem handelte es sich ganz romantisch um eine Liebesheirat, für die sie sich selbst aus freien Stücken entschieden hatte. Wäre der Ehemann nicht so hochrangig gewesen, wäre es sicherlich zu einem Skandal gekommen, der ihrem Ansehen als Frau und Künstlerin unwiderruflich geschadet hätte.

2Sofonisba Anguissola, Drei Schwestern beim Schachspiel, um 1555, Öl/Lw., Nationalmuseum Poznań

Das frisch vermählte Ehepaar lebte zunächst in der Heimat des Mannes, in Genua. In der Hafenstadt war die Malerin bald sehr angesehen und konnte sich nun beruflich, als ihre eigene Herrin, voll entfalten. Als der flämische Maler Peter Paul Rubens sich 1606 in Genua aufhielt, suchte er die Malerin auf und kopierte sogar ihre Werke. Gerade ihr Bildnis der Elisabeth regte ihn zum Porträt der Brigida Spinola an, das den Auftakt zu einer neuen Art von repräsentativen Adelsporträts bildete. 1615 zog das Ehepaar nach Palermo, wo Sofonisba 1624 sogar Besuch vom Rubens-Schüler Anthonis van Dyck erhielt. Aus dieser Zeit stammt ein letztes Selbstbildnis der inzwischen über neunzigjährigen Malerin. Als Sofonisba Anguissola 1625 verstarb, errichtete ihr Ehemann der berühmten Malerin einen Grabstein, auf dem er ihre besondere Lebensleistung würdigte.

Ein Wunder der Kunstgeschichte: Lavinia Fontana

Vor allem im Norden Italiens gab es bald weitere berühmte Künstlerinnen. Insbesondere die Universitätsstadt Bologna zeigte sich gegenüber der Ausbildung von Frauen aufgeschlossen und rühmte sich, „weibliche Wunder“ hervorzubringen, die Jura oder Philosophie studierten und dies auch lehrten, Bücher veröffentlichten oder eben wie Lavinia Fontana (1552–1617) malten. So nahm sie der Historiker Carlo Malvasia später unter seine Biografien berühmter Maler Bolognas des Barocks auf, und der Autor Giulio Cesare Croce schrieb 1590 über seine Zeitgenossin, „dass sie Apollodoros, Zeuxis und Apelles gleichkam, auch Michelangelo und anderen Malern von ähnlichem Rang, Corregio, Tizian und Raffael …“9

Lavinia Fontanas Vater war der berühmte Maler Prospero Fontana, der erste Lehrer von Ludovico Carracci und mehrfach gewählter Meister der Goldschmiedezunft in Bologna. Bei ihm erlernte sie die Grundlagen der Malerei, bevor sie zu Denys Calvaert wechselte, der in Bologna eine Schule gegründet hatte, die auch die großen Barockmaler Guido Reni, Francesco Albani und Domenichino besuchten. Während ihrer ersten Schaffensperiode, die von 1570 bis 1575 währte, dominierten die großformatigen religiösen Bilder. Für Malerinnen üblich war bisher nur das kleine Format gewesen, erst mit Lavinia Fontana begannen die Künstlerinnen, sich auch größeren Formaten zuzuwenden. So wie sie sich auch zunehmend in der bisher den Männern vorbehaltenen Historienmalerei behaupteten. 1577 heiratete Lavinia Fontana den aus reichem, aber niederem Adel stammenden Gian Paolo Zappi aus Imola. Malvasia berichtete über diese Verbindung, die junge Malerin habe gegenüber ihrem Ehemann zuvor sehr offen ihre Berufstätigkeit nach der Heirat angesprochen.10 Statt ihr aber die Malerei zu verbieten, kam es zu einer engen Zusammenarbeit der Ehepartner, wobei Zappi der untergeordnete Part zukam; er soll, da er der schlechtere Maler war, für die Darstellung von Kleidung zuständig gewesen sein. So behauptete Malvasia: „Da er sich erfolglos abmühte, machten sich die Leute über ihn lustig, und so bekam er die Aufgabe, die Oberkörper und Kleider der Porträts auszuführen, die sie malte, also hieß es, er müsse sich als Schneider begnügen, da ihn der Himmel nicht zum Maler bestimmt habe.“11

Trotz allen Spotts kam ihm aber eine sehr wichtige Rolle in der Partnerschaft zu: Er führte die „Ricordi“ (die Auftragsbücher) mit den Einnahmen, da man Frauen das „Geschäftliche“ nicht zutraute und sie rein rechtlich gesehen als nicht geschäftsfähig galten. Allerdings signierte Lavinia Fontana sehr selbstbewusst ihre Gemälde. Erstaunlich war auch, dass sie, obwohl sie im Laufe der Jahre insgesamt elf Kindern das Leben schenkte, kontinuierlich weiterarbeitete. Mehr noch: Sie nutzte diesen Kindersegen geschickt für ihre beruflichen Ambitionen, indem sie den Kindern Taufpaten aus den besten Familien Bolognas suchte. Auch scheint Lavinia das Werk der rund zwanzig Jahre älteren Sofonisba Anguissola gekannt zu haben. Sie trat sogar in direkte Konkurrenz zu ihr, indem sie sich in einem ihrer Selbstporträts sichtlich am Vorbild der älteren Malerin orientierte. Generell spielte die Gattung des Porträts wie bei Sofonisba Anguissola entsprechend der guten Auftragslage auch bei ihr eine große Rolle, und sie stieg in den Jahren 1572 bis 1582 zu einer der gefragtesten Porträtmaler*innen Bolognas auf. Dafür sorgten nicht zuletzt ihre zahlreichen Auftraggeberinnen, bei denen es sich vorwiegend um junge Frauen aus der Oberschicht handelte. Erstaunlich waren zudem die mitunter monumentalen Formate ihrer Gruppenporträts. Da sich ihr guter Ruf rasch verbreitete, erhielt sie auch Aufträge aus Rom. Der ebenfalls aus Bologna stammende Papst Gregor XIII., den sie auch porträtierte, erwies sich als einer ihrer größten Bewunderer. 1599 erhielt sie sogar den Auftrag, für die Kapelle von Kardinal Ascoli in der Basilika Santa Sabina den „Triumph des Hyacynth“ zu malen. Schließlich zog sie 1604 auf Einladung Papst Clemens΄ VIII. mit ihrer gesamten Familie nach Rom, um für ihn das monumentale Altarbild der „Steinigung des Heiligen Sebastian“ für die Papstbasilika San Paolo fuori le mura auszuführen.12 Dies ist umso erstaunlicher, da auch die berühmten Maler Carracci, Domenichino, Reni oder gar Caravaggio zur Verfügung gestanden hätten.

Während ihrer letzten Schaffenszeit entstanden auch einige mythologische Bilder, in denen sie mit den gängigen Konventionen brach: So malte sie 1613 für Kardinal Scipione Borghese das Bild „Minerva kleidet sich an“ und bewies damit ihre Kenntnisse des weiblichen Akts. Dies galt als absoluter Tabubruch, war doch den Frauen das Aktstudium entschieden verboten. Vermutlich handelte es sich hier daher um den ersten, von einer Frau gemalten Akt, allerdings unter Verwendung von antiken Skulpturen statt lebender Modelle (Abb. 3).

Kein Wunder, dass Lavinia Fontana bereits zu ihrer Zeit eine Berühmtheit war: Noch zu ihren Lebzeiten wurde ihr eine Medaille geschlagen, die auf der Vorderseite ihr Profil und auf der Rückseite eine Frau mit wildem Haar vor der Staffelei zeigte, die wie eine Allegorie der bildenden Kunst wirkt.13 Zudem berichteten bedeutende Kunstkritiker wie Raffaello Borghini,14 Giovanni Baglione15 und vor allem Malvasia über die Künstlerin. Und nicht zuletzt war der große Kunstsammler Scipione Borghese, Neffe von Paul V. und Begründer der bekannten Kunstsammlung der Galleria Borghese, einer ihrer Auftraggeber. Neben den von ihr signierten Bildern existieren aber auch etliche Zuschreibungen, so dass ihr Werk vermutlich als eines der umfangreichsten in der Zeit vor 1700 anzusehen ist. Als Fazit lässt sich daher feststellen, dass sie ihren männlichen Malerkollegen in nichts nachstand, was sie im 16. Jahrhundert tatsächlich zu einem Wunder der Kunstgeschichte werden ließ.

Zwischen Ausbeutung und Emanzipation: Künstlertöchter

Zu den Künstlertöchtern gehört auch die aus Ravenna stammende Barbara Longhi (1552–1638). Sie erlernte, wie ihr Bruder Francesco Longhi, beim Vater, dem erfolgreichen Maler Luca Longhi, die Malerei und gehört damit zu den wenigen Künstlerinnen, die Vasari in seinen „Lebensbeschreibungen“ überhaupt erwähnte. Allerdings fällt auf, dass ihre frühen Arbeiten denen ihres Vaters auffallend ähnelten. Erst nach dessen Tod soll sie zu einer eigenständigen Malweise gefunden haben. Von ihrer Hand stammen nachweislich fünfzehn Bilder, aber nicht alle tragen ihre Signatur. Sie war vor allem für ihre kleinformatigen Madonnenbilder bekannt, die vermutlich für private Auftraggeber entstanden. Aber auch eine Darstellung von „Judith mit dem Kopf des Holofernes“ findet sich in ihrem Werk. Dort zeigt sie die Judith aber nicht als aktive weibliche Heldin, sondern lässt sie mit unbeteiligter Miene am dramatischen Geschehen teilnehmen. Im Gegensatz zu Lavinia Fontana oder Sofonisba Anguissola reiste Barbara Longhi auch nicht, sondern blieb ihr gesamtes Leben in Ravenna.

Nicht selten gingen die Werke der Künstlertöchter im Œuvre ihrer berühmten Väter unter. Ein Beispiel dafür ist Marietta Robusti (1554/55–1590/91), die Tochter des berühmten Malers Jacopo Robusti, genannt Tintoretto. Sie war zu ihrer Zeit als „La Tintoretta“ bekannt, allerdings sind ihre Werke heute nur noch schwer zu identifizieren. Dabei war sie zu Lebzeiten sehr berühmt und wurde sogar in zahlreichen kunsttheoretischen Schriften neben ihren berühmten Malerkollegen erwähnt. Als Frau konnte sie sich allerdings nicht wie ihre männlichen Kollegen in die Malerzunft einschreiben und sich selbstständig machen. Und da sie noch vor ihrem Vater starb, hatte sie auch nie die Möglichkeit, sich von ihm zu emanzipieren und zu distanzieren. Bedauerlicherweise sind uns zudem über ihr Leben nur wenige biografische Eckdaten bekannt. Überliefert ist: Sie war die älteste Tochter Tintorettos und erlernte bei ihm nicht nur das Malerhandwerk, sondern war zeitweise auch dessen Mitarbeiterin. Laut den erhaltenen Berichten soll sie ihren Vater häufig als Junge verkleidet zu seinen Auftraggebern begleitet haben, da sie als Mädchen dort sonst keinen Zutritt erhalten hätte. Neben einer Ausbildung in Malerei wurde sie nach dem humanistischen Ideal der Renaissance zusätzlich in der Musik unterrichtet.

3Lavinia Fontana, Minerva kleidet sich an, 1613, Öl/Lw., Galleria Borghese, Rom

Aus den ersten Jahren ihres Schaffens haben sich leider nur zwei Zeichnungen nach Gipsabgüssen erhalten, die ihr Talent belegen. Tatsächlich arbeitete sie für so bedeutende Auftraggeber wie dem Antiquar und Hofbaumeister Jacopo Strada: Er bestellte bei ihr ein Porträt sowie ihr Selbstporträt. Diese ersten Aufträge begründeten ihren Ruhm und machten sie über die Grenzen Venedigs hinaus bekannt. Eine Karriere als Hofkünstlerin schien wohl in unmittelbarer Reichweite zu liegen, doch wurde dies von ihrem Vater vereitelt, der sie in seiner Nähe haben wollte. 1578 verheiratete er sie daher mit dem venezianischen Goldschmied Marco Augusta und verlangte, dass sie im Elternhaus wohnen blieb. Der Grund dafür ist eindeutig: Sie war für ihren Vater als kompetente und billige Arbeitskraft unentbehrlich. Die letzte Erwähnung Mariettas findet sich am 28. Dezember 1584. Damals beantragte Tintoretto für seinen ältesten Sohn Giovanni Battista und seinen Schwiegersohn Marco Augusta die Mitgliedschaft in der renommierten Scuola di San Marco. Über diese indirekte Erwähnung hinaus existieren keine weiteren Zeugnisse von ihrem Leben und Werk. Nur der venezianische Künstlerbiograf Carlo Ridolfi gibt nach einer mündlichen Überlieferung ihr Todesjahr mit 1590 an.16

Deutlich eigenständiger gestaltete sich das Leben der Malerin Elisabetta Sirani (1638–1665) aus Bologna. Nachdem ihr Vater Andrea Sirani, ein ehemaliger Assistent von Guido Reni, sie ausgebildet hatte, konnte sie sogar dessen Werkstatt übernehmen. Allerdings hatte der Vater ihr Talent erst dank des Kunstkritikers Carlo Malvasia anerkannt, der sie in seinen Aufzeichnungen lobend erwähnte. Ob das aber zu ihrem Vorteil war, bleibt dahingestellt, denn letztlich musste Sirani mit ihrer Arbeit die gesamte Familie ernähren, und die Einkünfte erhielt weiterhin der Vater. Mit Anfang zwanzig führte sie als professionelle Malerin ihre eigene Werkstatt, gehörte der Accademia di San Luca an und war eine der ersten Frauen überhaupt, die Malerinnen ausbildete.17 Sie führte damit eine der ersten Kunstakademien ausschließlich für Frauen. Ihre Produktivität war zudem legendär: Innerhalb von dreizehn Jahren schuf sie, wie aus ihrem „Ricordo“, dem von ihr geführten Auftragsbuch, hervorgeht, über 182 Werke. Dabei führte Sirani eine typische Künstlerwerkstatt, die vor allem religiöse Werke in Auftrag herstellte. Bald bekannt als eine der ersten Künstlerinnen überhaupt, wurde sie sogar in die renommierte römische Accademia di San Luca aufgenommen, die ansonsten eine männerdominierte Gemeinschaft war. Dies spricht für die hohe Qualität ihrer Arbeiten. Ihr großes Arbeitspensum wurde ihr jedoch bald zum Verhängnis: Sie starb bereits mit 27 Jahren an einem Magengeschwür. Da war sie in Bologna bereits so berühmt, dass sie mit einem Staatsbegräbnis gewürdigt wurde.

Skandal und Anerkennung: Artemisia Gentileschi

Die Künstlertochter Artemisia Gentileschi gilt heute inzwischen als eine der berühmtesten Barockmalerinnen, über die aktuell viel geforscht und geschrieben wird. Sogar ein spezieller Preis für Künstlerinnen ist seit 2008 nach ihr benannt. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere zählten bedeutende Persönlichkeiten aus ganz Europa zu ihren Auftraggebern. Als selbstständige Unternehmerin unterhielt sie ein eigenes Atelier und bestritt ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer Familie. Auch sie malte großformatige Historienbilder und brillierte somit in einer eigentlich den Männern vorbehaltenen Gattung. Doch obwohl sie zu Lebzeiten außerordentlich erfolgreich und sehr bekannt war, gerieten sie und ihr Werk kurz nach ihrem Tod für Jahrhunderte in Vergessenheit. Erst in den letzten vierzig Jahren hat man sie in der Kunstgeschichte wiederentdeckt.

Artemisia Gentileschi wurde am 8. Juli 1593 als erstes Kind des bekannten Malers Orazio Gentileschi und seiner Frau Prudentia Montone in Rom geboren. Mit gerade einmal zwölf Jahren verlor sie ihre Mutter. Ganz selbstverständlich wuchs Artemisia daher in der Werkstatt ihres Vaters zwischen Farbtiegeln und Leinwänden auf. Schon bald erkannte dieser ihre Begabung und unterrichtete sie ebenso wie seinen Sohn Francesco in der Malerei. Sie sollte ihren Vater zunächst als Gehilfin und damit als billige Arbeitskraft in der Werkstatt unterstützen. Der Bruder Francesco war indes weit weniger talentiert und war daher später, wie auch sein jüngerer Bruder als Kunstagent für Vater und Schwester aktiv.

Relativ früh interessierte sich Artemisia für biblische Geschichten, in denen Frauen sich gegen die Ungerechtigkeit von Männern wehrten. So handelt es sich beim ersten größeren, um 1610 im Atelier des Vaters entstandenen Werk um eine ungewöhnliche und drastische Darstellung von „Susanna und die beiden Alten“, eine Erzählung aus dem Alten Testament, die allgemein als Beispiel für Keuschheit gilt. Zwei Richter in Babylon beobachten Susanna beim Baden im Garten. Als diese alleine ist, treten sie hervor und verlangen, dass Susanna ihnen zu Willen sei, sie würden sonst ihrem Mann erzählen, dass man sie mit einem Liebhaber überrascht habe. Susanna weigert sich jedoch. Vor Gericht schwören die beiden falsch, und die junge Frau wird wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt. Der junge König Daniel hört Gottes Stimme und erreicht, dass die beiden Alten nochmals verhört werden. Er stellt jedem die Frage, unter welchem Baum sie Susanna gesehen haben – der eine antwortet unter einer Eiche, der andere unter einer Linde. Der Meineid wird so offenbar, Susanna wird freigesprochen und die bösen Richter verurteilt.

Die meisten Maler von Susanna-Darstellungen nutzten die Erzählung in erster Linie, um einen dekorativen weiblichen Akt zu schildern. Ganz anders Artemisia: Sie zeigt in aller Schärfe den Konflikt der jungen Frau: Entweder sie erniedrigt sich und liefert sich den beiden Männern sexuell aus, oder aber sie verweigert den Ehebruch, dann droht ihr öffentliche Verleumdung und die Todesstrafe. Die nackte Susanna, nur mit einem weißen Tuch über dem Schenkel demonstriert allein mit ihrer Körperhaltung die unangenehme Situation: Die Beine sind nach links gerichtet, der Oberkörper nach rechts gedreht, die Arme sind abwehrend erhoben, während sie den Kopf abwendet. Rechts hinter ihr beugen sich die beiden alten Männer verschwörerisch über eine Brüstung. Susanna hat ganz offensichtlich keine Chance, den beiden zu entkommen. Als Betrachter*in identifiziert man sich automatisch mit Susanna – erlebten doch viele Frauen damals ähnlich bedrohliche Situationen: Sexuelle Übergriffe waren im 16. Jahrhundert an der Tagesordnung. Auch scheint es fast, als hätte Artemisia mit ihrem verstörenden Gemälde die ihr später selbst widerfahrene Ungerechtigkeit vorweggenommen.

Diese wurde keineswegs leichtfertig herbeigeführt, der Vater wachte mit Argusaugen über die Tugend und Unschuld seiner Tochter. Sie musste sich einem eng gesteckten Verhaltenskodex unterwerfen, der ihren Bewegungsspielraum extrem einschränkte: So durfte sie etwa ohne Begleitung nicht das Haus verlassen, und wenn Auftraggeber oder Künstlerkollegen des Vaters zu Besuch kamen, durfte sie sich nicht zeigen, sondern musste sich verstecken.18

Umso erstaunlicher wirkt da die Offenheit des Vaters gegenüber dem Künstlerkollegen Agostino Tassi, mit dem Orazio bei größeren Freskenprojekten häufig zusammenarbeitete. Orazio betraute ihn sogar damit, seine Tochter in Perspektive zu unterrichten. Und das, obwohl Tassi ein stadtbekannter Schürzenjäger war, der sich schon einmal wegen Blutschande mit seiner Schwägerin Constanze vor Gericht hatte verantworten müssen.

So konnte Tassi ungehindert das Haus der Familie betreten und sich an Artemisia vergehen. Damit sie ihn nicht verriet, versprach er ihr die Ehe, obwohl er bereits verheiratet war. Schließlich vertraute sich Artemisia ihrem Vater an, der einen Prozess gegen Tassi anstrengte, um die Ehre seiner Tochter und letztlich auch seine eigene wiederherzustellen. Der Prozess gestaltete sich für Artemisia zum peinlichen Spießrutenlaufen: Tassi beschuldigte sie gar der Prostitution. Daraufhin wurde sie in Anwesenheit eines Notars von zwei Hebammen gynäkologisch untersucht, um zu beweisen, dass sie nicht als Prostituierte tätig gewesen war. Aber auch das genügte nicht als Beweis: In einem Kreuzverhör legte man ihr sogar die Daumenschrauben an.19 Tiefer konnte die Demütigung kaum sein.

Tassi kam bald wieder frei und konnte seine Karriere nicht nur fortsetzen, sondern erhielt sogar noch mehr Aufträge als zuvor. Artemisia Gentileschi jedoch wurde knapp einen Monat nach diesem für sie so beschämenden Prozess mit dem Florentiner Maler Pietro Antonio di Vincenzo Stiattesi verheiratet, mit dem sie fortan in der Toskana lebte.20 Ihr Vater aber versöhnte sich bald darauf wieder mit Tassi, was zu einem tiefen dauerhaften Riss in der Beziehung zwischen Vater und Tochter führte.

Die Familie Gentileschi stammte ursprünglich aus Florenz. So lebte der Onkel, der bekannte Maler Aurelio Lomi, mit dessen Name Artemisia nun ihre Bilder signierte, in der Arnostadt, was das tiefe Zerwürfnis mit ihrem Vater auch nach außen sichtbar machte. Die arrangierte Ehe hielt indes nicht lange: Nach der Geburt einer Tochter trennte sich das Ehepaar bereits wieder.

In Florenz hatte Artemisa schnell Fuß gefasst. Insbesondere einem ihrer frühen Auftraggeber war dieser Erfolg zu verdanken: Michelangelo Buonarroti dem Jüngeren, Großneffe des berühmten Florentiner Künstlers. Von ihm bekam sie 1615 einen ihrer ersten Aufträge. Michelangelo Buonarroti der Jüngere hatte ein Haus in der Via Ghibellina errichtet, in dem ein Raum dem Andenken des berühmten Malers und Bildhauers gewidmet war. Dieser wurde von den berühmtesten Künstlern aus Florenz ausgestattet. Artemisia war eine der Ersten, die einen Auftrag für ein Deckenbild erhielt. Ihr wurde auch – und das ist mehr als ungewöhnlich – proportional mehr bezahlt als ihren männlichen Kollegen. Bei der von ihr gemalten „Allegorie der Zuneigung“ aus dem Jahr 1615/16 handelte es sich zudem um eine Aktfigur, die später aus „Keuschheitsgründen“ von Baldassare Franceschini, genannt „Il Volterrano“ mit einem Tuch halb verhüllt wurde.21

Relativ rasch stand Artemisia auch in den Diensten der regierenden Familie der Medici, des Großherzogs Cosimo II. und seiner Gemahlin Maria Magdalena von Österreich. In Florenz löste sich Artemisia nun endgültig vom Vorbild des Vaters. Sie wählte die realistische Malweise Caravaggios, von dem sie auch das dramatische Chiaroscuro übernahm, doch sind ihre Farben insgesamt leuchtender und heller als bei ihrem großen Vorbild. Letztlich gilt sie sogar als die Künstlerin, die den Caravaggismus nach Florenz gebracht hat. Bei ihrer ersten Arbeit für den Medici-Hof „Judith und ihre Dienerin auf der Flucht“ von 1613/14 beschäftigte sie sich erneut mit einer christlichen Heldin. Die fromme und schöne Witwe Judith lebte in der Stadt Bethulia, die von Holofernes, dem Feldherrn des Königs Nebukadnezar belagert und ausgehungert wurde. Nachdem die Ältesten beschlossen hatten, sich zu ergeben, fasste die junge Witwe einen Plan zur Rettung ihres Volkes. Sie begab sich gemeinsam mit ihrer Magd ins Feldlager des Feindes und gab sich als verfolgte Flüchtende aus. Holofernes lud sie aufgrund ihrer Schönheit zu einem Gelage ein. Als sich seine Diener zurückgezogen hatten und er selbst bereits betrunken war, schlug sie ihm mit seinem eigenen Schwert das Haupt ab, verbarg es in einem Sack und eilte mit ihrer Magd zurück nach Bethulia. Das Haupt des Holofernes ließ sie an die Stadtmauer hängen. Die nun führerlosen Assyrer erschraken darüber so sehr, dass sie flohen und von ihren Verfolgern erschlagen wurden.

Mit gerade einmal 21 Jahren fand Artemisia ein für sie ganz neues Thema und auch ihre eigene Darstellungsweise: Sie schildert nicht die brutale Enthauptung des Holofernes, sondern zeigt Judith mit ihrer Dienerin auf der Flucht. Die junge und kräftige Judith hat das große Schwert, mit dem sie kurz zuvor die Tat begangen hat, geschultert. Ihre Magd steht mit dem Rücken zum Betrachter. In ihrem Korb befindet sich ein blutiges Tuch sowie der abgeschlagene Kopf des Heerführers Holofernes. Bei Artemisia und ihrer Magd handelt es sich um zwei Frauen, die ein gemeinsames zielgerichtetes Handeln zusammenschweißt, wie man es sonst nur bei männlichen Helden kannte.

Wie ihr Vorbild Caravaggio beschäftigte sie sich auch mit der Darstellung des „Mordes“ an Holofernes. Um 1612/13 entstand die erste Fassung der Tat, heute in Neapel. Artemisia schildert den Augenblick, in dem Judith mithilfe ihrer Dienerin Holofernes auf sein Lager niederzwingt, um ihn mit seinem Schwert zu enthaupten. Holofernes packt während seines Todeskampfs die Dienerin, die sich zu ihm niederbeugt, brutal am Ausschnitt ihres Kleides. Judith schafft es gerade noch rechtzeitig, eine Hand in seine Haare gekrallt, ihm den Kopf abzutrennen. Anders als bei Caravaggio ist auch die Magd aktiv an der Tat beteiligt, ja, ohne sie wäre diese für Judith nicht durchführbar, leistet der starke Heerführer doch massiven Widerstand. Haltung und Gesichtsausdruck beider Täterinnen vermitteln die Notwendigkeit dieses Tuns: Statt Blutrausch oder Aggressivität findet sich in ihrem Handeln eine gewisse Pragmatik. Dasselbe Thema beschäftigt Artemisia nur wenige Jahre später, um 1620, nochmals in einer zweiten, der sogenannten Florentiner Fassung. Auch hier sind die Magd und ihre Herrin in ihrem schrecklichen Tun vereint. Die Magd ringt erneut Holofernes nieder, während ihre Herrin die blutige Tat vollzieht. Dieses Mal sind die im verzweifelten Todeskampf angezogenen Beine des Feldherrn zu sehen. Die beiden Frauen agieren erneut mitleidlos und mit entschlossenem Gesichtsausdruck. Die verzweifelte Situation rechtfertigt die grausame Tat. In der Kunstgeschichte wurde die intensive Beschäftigung Artemisias mit diesem Thema häufig in Bezug gesetzt zum eigenen sexuellen Missbrauch, als eine Art malerische Selbstbehauptung und künstlerischer Racheakt.

Für den Hof der Medici schuf sie auch eine Reihe von Frauenbildnissen, darunter die Heilige Katharina von Alexandrien und die Heilige Maria Magdalena. Maria Magdalena mit ihrem aufwendig gelockten Haar und dem kostbar wirkenden goldenen Kleid erinnert entfernt an das Vorbild des ehemaligen Hofmalers der Medici, Agnolo Bronzino. Die Heilige ist im Augenblick der Abkehr von der Welt begriffen und weist energisch den Spiegel, Symbol der weltlichen Eitelkeit, zurück. Dieses Gemälde bildete den Höhepunkt ihrer erfolgreichen Florentiner Jahre.

Denn in Florenz war Artemisia Mitglied der renommierten Accademia del Disegno, einer der ersten Kunstakademien unter staatlicher Leitung, die sonst nur Malern vorbehalten war. Dort gab es die Möglichkeit, Unterricht in Perspektive, Anatomie und Aktzeichnen sowie Vorlesungen in Kunsttheorie zu besuchen. Artemisia wurde dort als einzige, vermutlich sogar als erste Frau überhaupt aufgenommen, denn für Frauen war es zu dieser Zeit noch nahezu unmöglich, an einer der männlich dominierten Akademien zu studieren. Da die Florentiner Akademie unter der Protektion des amtierenden Großherzogs stand, ist zu vermuten, dass vielleicht sogar der Herrscher selbst, der die Arbeit der Künstlerin sehr schätzte, ihre Aufnahme beförderte.

Mit dem Tod ihres Mäzens, Großherzog Cosimo II., kehrte Artemisia wieder nach Rom zurück. Dort erlebte sie das Pontifikat von Gregor XV., der vor allem Maler aus Bologna schätzte, der in ihrer Jugend gefeierte Caravaggismus war nicht mehr aktuell. Als dann Urban VIII. Papst wurde, prägten der Maler Pietro da Cortona und der Bildhauer Gian Lorenzo Bernini die römische Kunstszene. Aber auch Artemisias Ansehen als Malerin war inzwischen gefestigt: Sie signierte wieder mit „Gentileschi“. Auch war sie in der Lage, den Unterhalt für ihre Familie zu bestreiten. Aus der Steuererklärung von 1624 geht hervor, dass sie in der Via del Corso lebte und ihr Haushalt aus zwei Dienern und ihrer Tochter Palmira bestand. Am Tiber hatte Artemisia im Laufe der Jahre zahlreiche hochrangige Auftraggeber. Neben Kardinal Francesco Barberini, dem Neffen von Papst Urban VIII., handelte es sich dabei vor allem um dessen Sekretär Cassiano dal Pozzo, der wie Artemisia mit Galileo Galilei befreundet war. Als Gelehrter war er gleichzeitig erklärter Kunstliebhaber und Förderer zahlreicher Künstler. Artemisias Meisterwerk aus dieser Zeit ist ein Gemälde, das erneut Judith und ihre Dienerin mit dem Haupt des Holofernes zeigt. In ihrer Malerei fanden sich jetzt auch neue Einflüsse, insbesondere für die dramatische Lichtführung lässt sich nun als Vorbild der Utrechter Caravaggist Gerrit van Honthorst (Gherardo della Notte) nennen, der sich bis 1620 in Rom aufgehalten hatte. Bei dieser letzten Version des Themas befinden sich Judith und ihre Magd Abra nach dem Mord an Holofernes noch in dessen Zelt und versuchen, sich unbemerkt aus dem Lager zu stehlen. Judith, das Schwert noch in der Hand, sondiert den Fluchtweg, während die Magd den abgeschlagenen Kopf vorsichtig in den Sack steckt und dabei in die gleiche Richtung wie ihre Herrin blickt. Die Szenerie wird von einer einzelnen Kerze, die leicht im Wind flackert, erhellt, wodurch die Dramatik des Geschehens zusätzlich gesteigert wird.

Nach zehn erfolgreichen Jahren in Rom wechselte Artemisia nach Neapel, wo sie auf neue lukrative Aufträge hoffte. Die Stadt stand damals unter spanischer Herrschaft und entwickelte sich zu einer der führenden Kultur- und Handelsmetropolen Europas. Als angesehene Malerin fand sie dort bald die ersten Auftragsarbeiten. Beim frühesten Werk der neapolitanischen Zeit handelt es sich um eine „Verkündigung“ von 1630. Im Auftrag des spanischen Königs Philipp IV. entstand zudem Anfang der 1630er-Jahre „Die Geburt Johannes des Täufers“. Artemisia leitete auch in Neapel eine eigene Werkstatt und arbeitete mit bekannten Malern zusammen. Ihr wurde sogar ein Teil der Ausstattung der neu instandgesetzten Kathedrale von Pozzuoli bei Neapel übertragen. Verschiedene Briefe geben dabei Auskunft über ihre damalige Lebens- und Arbeitssituation. So teilte Artemisia Cassiano dal Pozzo mit, dass sie ein Selbstporträt vollendet habe, das sie ihm mit einem Landboten zusenden wolle. Dies war vermutlich das Gemälde „La Pittura“ von 1638/39 (Abb. 4), bei dem es sich um eine Allegorie der Malerei und zugleich um ihr einziges bekanntes Selbstporträt als Malerin handelt. Die Künstlerin stellt sich hier äußerst selbstbewusst als Personifikation der Malerei dar. Vorgebeugt führt sie kraftvoll den Pinsel und prüft mit konzentriertem Blick ihr Werk. Eine verborgene Lichtquelle beleuchtet von rechts Gesicht und Oberkörper sowie den erhobenen Arm mit dem Pinsel. Die Hände liegen im Schatten, der Hintergrund bleibt ebenso im Dunkeln wie die Staffelei. Von der Lichtführung her orientierte sie sich hier erneut an Caravaggio. Tatsächlich brach sie hier auch mit der traditionellen Rolle der Frau als Modell oder Muse. Mit großem Ernst und etwas zerzaust zeigt Artemisia sich bei der kontrollierten und überlegten Ausübung ihres Berufs. Die Malerei wird dem Betrachter somit sowohl als körperliche als auch als geistige Arbeit vor Augen geführt. Die kräftigen Arme und die perspektivischen Verkürzungen, mit denen sie ihre technische und intellektuelle Könnerschaft demonstriert, betonen diese Aussage. Gerade dieses Gemälde war lange in einem Lagerraum verborgen und galt dann als allegorische Darstellung einer unbekannten Künstlerin.

Einen letzten Karrierehöhepunkt bildete eine Einladung an den Hof des englischen Königs Charles I., wo ihr Vater Orazio Gentileschi bereits seit neun Jahren als Maler wirkte. Doch war sie wohl erst 1639 in London, wo sie ihren inzwischen 76-jährigen Vater bei der Ausführung des Deckengemäldes des Queens House in Greenwich unterstützte. Der schlechte gesundheitliche Zustand ihres Vaters, der noch in diesem Jahr starb, war vermutlich der eigentliche Grund für Artemisias Reise nach England. Zudem scheint es sich hier um die einzige Zusammenarbeit zwischen Vater und Tochter gehandelt zu haben. Noch in England bemühte sie sich um neue Aufträge in Neapel. Über einen längeren Zeitraum hinweg finden sich keine Nachrichten mehr über ihr Leben und Werk. Erst in der Korrespondenz zwischen Artemisia und einem ihrer neuen Auftraggeber, Don Antonio Ruffo in Messina, die in den Jahren 1648 bis 1650 geführt wurde, erfahren wir mehr: Die Künstlerin plagten Geldsorgen sowie gesundheitliche Probleme. Nach einem letzten an Don Antonio Ruffo gerichteten Brief vom 13. August 1650 verliert sich ihre Spur endgültig. Ein Nachruf von 1653 lässt vermuten, dass Artemisia in diesem Jahr verstorben ist. Danach herrschte Schweigen über ihr Leben und Werk, das erst nach nahezu 350 Jahren beendet wurde.

4Artemisia Gentileschi, Allegorie der Malerei, Selbstbildnis als „La Pittura“, um 1638/39, Öl/Lw., The Royal Collection London, Kensington Palace

Rosalba Carriera – eine Künstlerin mit eigenem Atelier

Die Malerin Rosalba Carriera wurde bereits zu ihren Lebzeiten als eine der berühmtesten Malerinnen Italiens gefeiert und war auch in weiten Teilen Europas bekannt und ausgesprochen gefragt. Sie wurde sogar mit dem barocken Maler Guido Reni gleichgesetzt, der als einer der besten Maler überhaupt gerühmt wurde. Ihr Atelier in Venedig war Pflichtprogramm vieler hochrangiger Italienreisender. Damals war es Mode geworden, berühmte Wissenschaftlerinnen oder Künstlerinnen aus Interesse oder vielleicht auch aus Neugierde, zu besuchen. Dies wusste Rosalba Carriera für ihre Geschäfte zu nutzen: Sie führte ein für Besucher offenes Atelier und pflegte ihr Netzwerk durch eine umfangreiche Korrespondenz. Sie weigerte sich aber, in ihren Briefen über die Preise ihrer Bilder zu kommunizieren, sie vermittelte darin vielmehr das Gefühl freundschaftlicher Verbundenheit. Sie war sich ihrer Verdienste und ihres Wertes jedoch sehr bewusst. So kümmerte sie sich selbst mit hoher wirtschaftlicher Kompetenz um die Sicherung und Verwaltung ihres selbst erworbenen Vermögens.

Rosalba Carriera erblickte am 7. Oktober 1675 in Venedig als älteste Tochter von Andrea Carriera und Alba Foresti das Licht der Welt. Der Vater stammte aus einer Malerfamilie, wirkte aber als Jurist für die Republik Venedig. Die Mutter, die offenbar eine gebildete Persönlichkeit war, sorgte dafür, dass alle drei Töchter eine gute Erziehung erhielten. Bei Rosalba Carriera handelt es sich also nicht um die Tochter eines Künstlers. Bei wem sie zur Malerin ausgebildet wurde, ist leider nicht überliefert, und es kursieren mehrere Mutmaßungen, die bisher nicht bestätigt werden konnten. Wie viele andere begabte Frauen ihrer Zeit war sie wohl gleichermaßen musikalisch wie künstlerisch talentiert. Letztlich hat sie sich aber für die Malerei entschieden. Ab dem Jahr 1700 lebte sie mit ihrer Familie in der Casa Bionedetti, die im darauffolgenden Jahr auf ihren Namen eingetragen wurde. Es war also für Frauen in Venedig möglich, Besitz zu haben. Dort lebte sie mit ihrer Mutter und der mittleren Schwester. Nur wenige Jahre später erfuhr sie die erste und sehr entscheidende Ehrung: Sie wurde dank der Fürsprache von Christian Cole, Sekretär des englischen Botschafters, am 27. September 1705 in die römische Accademia di San Luca gewählt und zwar als „accademica di merito“ und nicht als „accademica d΄onore“ wie die meisten Künstlerinnen vor ihr.

Da sie zunächst vor allem als Miniaturmalerin bekannt war, schickte sie anlässlich ihrer Aufnahme in die berühmte Institution ein ovales Medaillon aus Elfenbein, das ein Mädchen mit Taube zeigte – vermutlich eine Allegorie der Unschuld – nach Rom. Erst 1720 nahm sie die französische Akademie als Pastellmalerin auf. Anlass dazu war ihre Reise nach Paris 1720/21 in Begleitung ihrer Mutter und der Schwester Giovanna, wo sie auch eine Reihe von Künstlerkollegen, darunter Antoine Watteau, kennenlernte.

Zudem wohnte die Künstlerin in einem der prächtigsten Privatbauten der Landeshauptstadt und hatte die Ehre, den französischen König, Ludwig XV., zu porträtieren. Dies war nicht ganz einfach, da der König noch ein kleiner Junge war und sich zudem einige Missgeschicke ereigneten: „es passierten bei ihm drei kleine Unglücke: die Flinte fiel herunter, der Papagei starb und dem Hündchen wurde schlecht.“22 Sie selbst hat in der französischen Landeshauptstadt wichtige Anregungen für die Pastellmalerei hinterlassen. Außerdem besuchte sie auch andere Höfe Europas: 1723 hielt sie sich beim Herzog von Modena auf, und 1730 war sie für sechs Monate in Wien. Immer wieder schuf sie Selbstporträts sowie Porträts für hochrangige Auftraggeber, die – nicht selten während ihrer Grand Tour – die Malerin in ihrer Heimatstadt besuchten.