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Angela ist spätestens seit ihrer eigenen Trennung Expertin in Sachen Scheidung. Die streitlustige Anwältin lebt für ihren Beruf. Sie vertritt ausschließlich Frauen und kämpft mit allen juristischen Tricks für ihre Mandantinnen. Als sie dem humorvollen, intelligenten Pit begegnet, ist Angela wie verzaubert. Plötzlich gibt es für sie wieder mehr im Leben als nur die Arbeit. Bis sie im Gerichtssaal eine unliebsame Entdeckung macht …
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Seitenzahl: 259
Veröffentlichungsjahr: 2021
Kurzbeschreibung: Angela ist spätestens seit ihrer eigenen Trennung Expertin in Sachen Scheidung. Die streitlustige Anwältin lebt für ihren Beruf. Sie vertritt ausschließlich Frauen und kämpft mit allen juristischen Tricks für ihre Mandantinnen. Als sie dem humorvollen, intelligenten Pit begegnet, ist Angela wie verzaubert. Plötzlich gibt es für sie wieder mehr im Leben als nur die Arbeit. Bis sie im Gerichtssaal eine unliebsame Entdeckung macht …
Christine Eisel
Kurzer Prozess für die Liebe
Roman
Edel Elements
Edel Elements
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Copyright © 2021 by Christine Eisel
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Konvertierung: Datagrafix
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ISBN: 978-3-96215-421-9
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1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
16. KAPITEL
17. KAPITEL
„Hier ist der Anrufbeantworter der Rechtsanwältin Angela Speer. Sie rufen außerhalb meiner Bürozeiten an. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Pfeifton.“
„Angela? Hier ist Ruth. Ich weiß, dass du noch im Büro bist. Ich stehe nämlich unten an der Straße und kann das Licht bei dir sehen. Wieso hast du die Türklingel abgestellt? Komm, mach mir mal auf.“
Anrufbeantworter? Ruth? Was ist los? Und wo bin ich? Ach herrje, im Büro eingeschlafen.
Schwerfällig hob Rechtsanwältin Angela Speer ihren Kopf von der Schreibtischplatte. Draußen vor dem Fenster war der Himmel schwarz. Schon 23 Uhr. Noch völlig benommen griff sie nach dem Telefonhörer.
„Ruth? Ja, ich bin noch hier. Warte, ich mach dir die Tür auf.“
Auf dem Weg zur Bürotür riskierte Angela einen Blick in den Garderobenspiegel. Ihre Haare hatten sich an der rechten Seite platt gelegen und standen an der linken Seite wie Borsten in alle Richtungen ab. Ihre Augen waren winzig und verquollen wie Schweinsäuglein, und ihre rechte Wange war gerötet von der Schreibtischplatte, die ihr Kopfkissen geworden war.
Sie hörte jemanden mit forschen Schritten die Treppe heraufkommen. Die durchtrainierte Ruth nahm auch spätabends noch nicht den Aufzug. Schon stand sie im Eingang wie ein blonder Wirbelwind, nicht einmal außer Puste, trotz des Aufstiegs in den zweiten Stock.
„Was um alles in der Welt machst du am Samstagabend um elf im Büro?“ Ihre Freundin sah sie mitleidig an.
„Was wohl? Arbeiten!“
„Das sehe ich.“ Unter Ruths skeptischem Blick empfand Angela ihre Frisur noch zerdrückter und ihr Gesicht noch schlaffer. Nein, ihrer besten Freundin konnte sie nichts vormachen.
„Ich glaube, es wird höchste Zeit, dass du hier mal rauskommst. Willst du eigentlich dein ganzes Leben in der Kanzlei verbringen? Dann wäre es besser, du würdest hinten rechts in der Ecke ein Wasserbett aufstellen. Das ist nämlich weicher als der Schreibtisch.“ Ruths Blick heftete sich direkt auf Angelas rechte Wange, die sich prompt noch stärker rötete. Angela fühlte sich ertappt; aber zugleich regte sich ihr Unmut: Warum sollte sie am Samstagabend nicht arbeiten, wenn ihr der Sinn danach stand?
„Hast du überhaupt schon zu Abend gegessen? Komm, du machst jetzt hier Schluss und wir zwei gehen noch eine Kleinigkeit essen. Und dann überlegen wir uns ein paar richtig schöne Sachen, die wir in den nächsten Tagen mal zusammen machen. Ich mag es nämlich nicht, wenn meine Freundin aussieht wie ein Zombie.“
Zombie, das saß. Manchmal war Ruth wirklich drastisch. Sicher, Angela war schon einundfünfzig Jahre alt, und jünger würde sie nicht mehr werden. Aber schließlich war sie doch noch nicht ganz so unansehnlich, oder? Immer noch einigermaßen in Form und durchaus optisch ansprechend. Sie hoffte auf eine baldige Retourkutsche.
Na warte Ruth, bei dir fange ich im nächsten Jahr an zu lästern, wenn du 50 wirst. Aber zugegebenermaßen siehst du noch verdammt frisch und sportlich aus für dein Alter.
„Also gut“, antwortete sie seufzend. „Lass uns ins Fernando gehen.“
Im Fernando war es angenehm halbdunkel, da fiel ihr Äußeres nicht so auf. Bei Tomaten, Mozzarella, Basilikum und Kartoffelecken mit Aioli wurden ihre Lebensgeister langsam wieder wach. Aber Ruth blieb wieder einmal unerbittlich.
„Ich will dir ja nicht zu nahetreten“, – doch, meine Süße, das tust du – „aber du hast auch schon mal frischer ausgesehen. Ich finde, du solltest endlich mal wieder so richtig was für dein Wohlergehen tun. Und da ich das auch gebrauchen könnte: Was hältst du davon, wenn wir am nächsten Samstag mal einen ganzen Tag im Aquavita verbringen? Sauna, Massage, ein bisschen schwimmen, ausruhen, lesen, quatschen und zwischendurch einen schönen Fitnesssalat – na?“
Sie nickte ihrer Freundin aufmunternd zu. Vor lauter Fitness und Wellness wurde Angela ganz schwindelig. Aber recht hatte sie, die gute Ruth. Und Angela zweifelte nicht daran, dass ihr das auch guttun würde. Manchmal wusste Ruth besser, was Angela brauchte, als sie selbst. Wie es sich für eine Freundin gehört, die man schon seit Kindertagen kennt.
„Wenn du mir versprichst, dass du danach keine Bemerkungen mehr über gewisse Untote machst, dann ja.“ Angela fügte sich in ihr Schicksal. Was blieb ihr auch übrig bei einer so resoluten Freundin?
Hoppla, was war denn da am Nebentisch los? Angelas geschultes Gehör hatte Worte vernommen, die sofort ihr professionelles Interesse weckten. Wäre sie ein Schäferhund, würde sie die Ohren jetzt aufstellen und nach rechts richten.
„... und vielleicht finden wir ein hübsches kleines Häuschen am Stadtrand; ein bisschen Eigenkapital kriegen wir schon zusammen, und den Rest können wir finanzieren.“
„Ich könnte das Erbe von meinem Vater reinstecken, dann hätten wir schon mal eine gute Grundlage, was meinst, du, Simon?“
Vorsichtig wandte Angela die Augen nach rechts. Das ahnungslose Hascherl sah ihren Typen ganz verliebt an.
O nein, Mädchen, hoffentlich achtest du darauf, dich rechtlich abzusichern! Du wirst doch wohl nicht allein in Vorleistung gehen. Schlimmstenfalls gehört euch das Grundstück je zur Hälfte, und nur du hast etwas investiert. Was tut denn der Mann dazu? Finger weg von dem Kerl, sonst landest du über kurz oder lang zu einem Beratungsgespräch in meiner Kanzlei.
Ob sie der Frau mal heimlich ihre Visitenkarte zustecken sollte? Nur für den Fall, dass sie sich doch zu einer Heirat überreden und dann wieder scheiden lassen wollte? Vielleicht würde die Frau ja mal zur Toilette gehen, dann konnte sie ihr ganz unauffällig folgen. Schließlich musste sie sie doch warnen, bevor die Falle zuschnappte.
„Angela, hörst du mir überhaupt zu?“
Ruth wedelte ungestüm mit ihrer Hand vor Angelas Augen herum. Angela schreckte auf. Ihre linke Hand, in der die Gabel mit dem Mozzarella offenbar schon eine ganze Zeit lang untätig herumhing, landete unsanft auf dem Tisch. Mit einem Platsch fiel der Mozzarella in die Öl-Essig-Soße. Ein kleiner brauner Soßenspritzer verunzierte die weiße Tischdecke. Völlig perplex sah sie ihre Freundin an.
„Wo bist du denn mit deinen Gedanken gewesen? Gibt es einen Traummann, von dem ich noch nichts weiß? Raus mit der Sprache!“ Ruth sah sie an, als warte sie auf den Weihnachtsmann.
„N...Nein, eher das Gegenteil“, ganz vorsichtig deutete Angela mit dem Kopf und den Augen nach rechts zum Nachbartisch. Verschwörerisch raunte sie ihrer Freundin zu:„Die Frau braucht offenbar unbedingt eine Rechtsberatung. Er will sie gerade finanziell übers Ohr hauen.“
Ruth starrte viel zu direkt zum Nebentisch hinüber, dann schüttelte sie ungläubig den Kopf.
„Angela, ich glaube, du hörst schon die Flöhe husten. Überall lauern für dich Rechtsfälle. Kannst du dir eigentlich nicht vorstellen, dass ein Mann und eine Frau einfach mal eine gemeinsame Zukunft planen wollen, ohne gleich an eine Scheidung zu denken?“
„Ach Ruth, was weißt du denn schon davon? Du Glückliche bist schließlich nicht geschieden und hast auch nicht jeden Tag damit zu tun. Weißt du eigentlich, was für ein großes Los du mit deinem Klaus gezogen hast? Ihr habt euch aber auch beide eure Unabhängigkeit bewahrt als DINKs.“
„Dings?“
„DINKs – double income, no kids. Aber wenn erst mal Kinder da sind, stehen die meisten Frauen ganz schon dumm da! Man kann als Frau gar nicht vorsichtig genug sein. Eigentlich müsste eine Rechtsberatung schon vor der Hochzeit Pflicht sein.“
„Juristen!“, Ruth verdrehte die Augen. „Und so was ist meine Freundin!“
„Na ja, dafür malt ihr Journalisten die Promi-Hochzeiten in so leuchtenden Farben aus, dass den Frauen die Ehe als eine Wundertüte verkauft wird. Und wir Anwälte müssen die enttäuschten Erwartungen dann ausbaden“, konterte Angela.
Das Pärchen am Nachbartisch stand auf und verließ gemeinsam das Restaurant. Schade, dabei hätte Angela doch vielleicht eine Frau vor dem größten Fehler ihres Lebens bewahren können.
„Sag mal, kannst du dich überhaupt nicht entspannen?“ Ruth musterte ihre Freundin aufmerksam. „Du hast schon wieder Paragrafenzeichen auf der Stirn stehen, das macht Falten, weißt du das?“
Also gut, doch ein Wellness-Tag, auch wenn es noch so schwerfiel, mal nicht ans Familienrecht zu denken. Sie würde es schon irgendwie überstehen. Besser, als ständig von Ruth gepiesackt zu werden. Die beiden verabredeten sich für den kommenden Samstag. Von morgens um zehn bis zum späten Nachmittag. Ob Angela das durchhalten würde? Vielleicht sollte sie sich als Lektüre die letzten beiden Ausgaben der „Streit“ mitnehmen. Die hatte sie noch nicht gelesen.
Als sie die Gaststätte verließen, kam sie an einem Spiegel vorbei, der neben dem Ausgang hing. Angela blickte prüfend ihr Gesicht an. Hilfe, was sah ihre Frisur entgleist aus! Rechts zusammengeschoben und links abstehend wie ein Kamm. Hätte sie die Haare doch nur nie abgeschnitten! Aber sie musste zugeben, dass sie viel markanter aussah als früher mit den längeren Haaren. Auch der fast schwarze Haarton hatte die beabsichtigte Wirkung. Angela baute sich stolz zur vollen Größe ihrer Einmeterzweiundsechzig auf. Nie mehr lieb sein! Männer, seht euch vor, hier kommt Rechtsanwältin Angela Speer und lehrt euch das Fürchten!
Ein selbstzufriedenes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Der Montagmorgen im Büro war für Angela immer eine besonders schöne Zeit. Dann konnte sie ungestört die Vorfreude auf die kommende Arbeitswoche genießen. Warum die meisten Leute am Montagmorgen immer so müde und unwillig zur Arbeit gingen, war ihr ein Rätsel.
Noch bevor ihre Mitarbeiterin Bettina Fröhlich die Räume betrat, hatte sie sich schon die Kalendereintragungen für diese Woche angesehen. Vier Gerichtstermine, drei volle Besprechungsnachmittage, einige Telefonkonferenzen und zwei ablaufende Fristen – die sie allerdings längst gewahrt hatte, weil bei ihr nichts lange liegen blieb. Die Akten in ihrem Zimmer hatte sie bestens sortiert. Sicherlich gab es immer viel zu tun, aber die Arbeit ging ihr auch gut von der Hand. Dafür war sie auch gern bereit, die eine oder andere Überstunde in Kauf zu nehmen.
Ja, Angela hatte ihr Dezernat im Griff. Sie war stolz auf ihre gute Organisation. Beschwingt setzte sie sich an ihren Schreibtisch. Sie überflog kurz die Post, die sie aus dem Postfach geholt hatte.
Ach ja, die Sache Glasmeier, ein Schreiben des Gegenanwalts. Hässlicher Kampf um das Umgangsrecht, aber sie würde es schon schaffen, dass die beiden sich einigten. In Umgangssachen vermied sie unnötige Schärfen, da achtete sie nicht nur auf die Interessen ihrer Mandantin, sondern auch darauf, dass es den Kindern mit der Regelung möglichst gut ging. Manchmal musste sie dabei auch ihre Mandantinnen erziehen.
Die Sache Reuter. Komplizierte Unterhaltsregelung mit vier Kindern aus der ersten und zweiten Ehe. Wahrscheinlich blieb mal wieder nicht genug Geld für alle hungrigen Mäuler. Dann würde die Mandantin trotz der relativ kleinen Kinder wieder arbeiten oder Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen. Manchmal konnte Angela als Anwältin beim besten Willen nichts erreichen; schließlich konnte sie kein Geld herbeizaubern, wo es an allen Ecken und Enden fehlte.
Was war das? Eine Postkarte mit Palmen, einem traumhaften Strand und einigen Bambushütten. Wer hatte ihr die denn geschickt?
„Liebe Frau Speer! Mit dem Geld, das Sie für mich im Zugewinnausgleich herausgeholt haben, habe ich mir – zum ersten Mal in meinem Leben – einen Karibikurlaub gegönnt. Mit 56 Jahren! Hier ist es fantastisch. Ich fühle mich wie neugeboren. Vielen Dank für Ihre Hilfe, jetzt lasse ich es mir mal richtig gut gehen. Ihre Helga Rosenthal.“
Ja, das waren sie, die Sternstunden des Anwältinnendaseins. Karten wie diese waren der Grund, warum sie ihren Beruf so liebte. Es erfüllte sie mit Stolz, wenn sie für andere etwas herausholen konnte, womit es ihnen trotz Scheidung richtig gut ging. Der heutige Tag fing verheißungsvoll an. Zufrieden und vergnügt lehnte sie sich in ihren Schreibtischsessel zurück und freute sich auf die kommende Woche, die sie wieder mit vielen interessanten Rechtsfällen konfrontieren würde.
Jetzt fehlte ihr nur noch ein richtig toller neuer Fall. Einer, bei dem sie einer sehr sympathischen Mandantin helfen konnte, die von dem fiesen Gegner fertiggemacht wurde. Wo es viele wichtige Punkte zu regeln gab, mit harten Bandagen gekämpft wurde, und wo man dem Gegner so richtig eins auswischen wollte, weil er es verdiente. Auch wenn Angela es nicht gern zugab: Sie liebte Schlammschlachten. Das waren die Fälle, die ihr Getriebe schmierten, bis es auf Hochtouren lief; die ihr zeigten, warum es so wichtig und notwendig war, dass sie Anwältin – Fachanwältin für Familienrecht! – geworden war. Angela wusste, dass ihre bissigen Schriftsätze ihr im Kollegenkreis gelegentlich Spitznamen wie „Zwergengeneral“ oder „Kampfzwerg“ eingetragen hatten. Aber genau so wollte sie es haben. Eigentlich hatte sie viele interessante Fälle, aber so ein richtiger Knaller könnte wieder mal dabei sein. Nun, mal sehen, was sich beim heutigen Besprechungsnachmittag tun würde.
„Guten Morgen, Frau Speer.“ Frau Fröhlich kam hustend ins Zimmer und hatte sich einen Schal um den Hals gewickelt. Heute machte sie ihrem Namen wirklich keine Ehre. Die gute Seele, sie würde wohl auch noch auf Krücken und mit zwei verbundenen Armen ins Büro kommen.
„Du meine Güte, Frau Fröhlich, was haben Sie denn gemacht? Sie hören sich ja nicht gerade gut an!“
„Ach, nur eine kleine Erkältung. Ich habe am Wochenende bei einem langen Spaziergang mit meinem Mann nasse Füße bekommen. Na ja, Mitte Januar, was soll man erwarten?“
„Frau Fröhlich, Sie sollten sich auskurieren. Sie wissen doch, dass Sie jederzeit zu Hause bleiben können; ich werde mich schon um eine Zeitarbeits-Vertretung bemühen.“
„Ach, Frau Speer“, Frau Fröhlich schüttelte ihren grau melierten Kopf. „Sie selbst würden doch auch noch mit dem Kopf unter dem Arm ins Büro kommen. Sie arbeiten doch viel zu viel! Sie sollten sich lieber ein bisschen mehr Freizeit gönnen. Sie sind so kalkweiß, als wären Sie im letzten halben Jahr überhaupt nicht mehr nach draußen gekommen.“
Nanu, das erinnerte doch stark an eine gewisse „Zombie“-Äußerung ihrer lieben Freundin Ruth. Angela runzelte die Stirn. Nahm sie sich selbst denn so anders wahr als andere? Sie fand sich nicht überarbeitet, sondern engagiert. Sie fand sich auch nicht kalkweiß. Sie hatte höchstens eine vornehme Blässe, weil sie sich aufgrund ihres Berufs mehr in Räumen aufhielt als draußen. Und natürlich ging es ihr gut, das musste man doch sehen!
„Schon gut, Frau Fröhlich, wir sind wohl beide Arbeitstiere. Lassen Sie uns lieber darüber reden, wer heute Nachmittag zur Besprechung kommt.“
Sie gingen zusammen die eingetragenen Besprechungstermine durch. Einige Mandanten in laufenden Angelegenheiten, zwei neue Fälle. Die letzte Besprechung hörte sich ganz interessant an. Frau Fröhlich trug vor, was sie sich auf dem Telefonblock notiert hatte:
„Eine Frau Martina Funke, seit zehn Jahren verheiratet, keine Kinder. Die Mandantin legt sehr großen Wert auf Diskretion, weil sie Geschäftsfrau ist und ihr Mann wohl auch eine exponierte Stellung innehat. Sie will das Vermögen gegen den Zugriff ihres Mannes sichern, wie ich verstanden habe. Ihr Mann soll wohl ein ziemlich harter Brocken sein. Sehr attraktive Frau übrigens.“
Nun, das hörte sich schon mal vielversprechend an. Lauerte da vielleicht der Fall, auf den Angela wartete?
Nach einem langen Büronachmittag war es schließlich so weit; die letzte Besprechung stand an. Frau Fröhlich klingelte bei Angela durch und kündigte Frau Martina Funke an.
Die Tür ging auf, und Angela hielt für einen Moment die Luft an.
Wenn der Spruch „Schönheit kennt kein Alter“ einen Sinn hat, dann bei dieser Frau, schoss es Angela durch den Kopf.
Frau Funke mochte in Angelas Alter sein. Sie wirkte außerordentlich gepflegt. Schulterlange, blondierte Haare, ebenmäßiges Gesicht, schlichte, hochwertige Kleidung, damenhaft-selbstbewusstes Auftreten. Angelas Blick fiel auf den edlen, extravaganten Halsreif mit einem Anhänger in stilisierter Muschelform, der ganz offensichtlich eine sündhaft teure Einzelanfertigung war.
Diese Frau ist ein Gesamtkunstwerk! Sie ist nicht nur schön, sondern hat auch Geld und einen guten Geschmack. Da kann man ja glatt neidisch werden. Bestimmt spielt sie Tennis und Golf und fährt ein Nobelauto. Das Geld sieht man ihr schon von Weitem an, ohne dass sie es herausspielen muss.
Angela lehnte sich im Bürosessel zurück. Vielleicht lief die Scheidung völlig glatt. Man würde die Güter untereinander ganz zivilisiert aufteilen, dabei würde kein lautes Wort fallen, und alles würde diskret, großzügig und effektiv geregelt werden. Nur kein schädlicher, öffentlicher Krieg. Schließlich legte Frau Funke Wert auf Diskretion.
„Sie sind also Frau Speer.“ Frau Funke sah Angela interessiert an. „Ihr guter Ruf eilt Ihnen ja weit voraus.“
Oh, wirklich? Angela wuchs unmerklich um mindestens fünf Zentimeter.
„Man hat mir erzählt, dass Sie in Scheidungsverfahren nur Frauen vertreten und keine Männer, ist das richtig?“, wollte Frau Funke wissen.
„Ja, das stimmt. Ich habe mich allerdings erst seit einem Jahr dazu entschieden. Mir ist immer deutlicher geworden, dass Frauen mehr Unterstützung brauchen als Männer, weil sie in der Ehe meistens benachteiligt sind. Ich kann mit gutem Gewissen einfach Frauen besser und engagierter vertreten.“
Angela verschwieg, dass sie sich erst nach ihrer eigenen, sehr nervenaufreibenden Scheidung hierzu entschlossen hatte. Erst danach war ihr so richtig klar geworden, wie wichtig es war, die weiblichen Interessen offensiv zu vertreten – und wie gut es ihr selbst tat, Männer in die schwächere Position zu bringen.
„Das ist gut, sehr gut“, Frau Funke nickte anerkennend. „Ich glaube, dass ich gegen meinen Mann eine starke und engagierte Unterstützung nötig habe.“
Sie strich sich mit ihren perfekt manikürten Händen die Haare zurück. Dabei fiel Angela der Ring auf, der das Gegenstück zu der auffallenden Kette darstellte.
„Was haben Sie für tollen Schmuck!“, entfuhr es ihr unwillkürlich.
Frau Funke lächelte.
„Ich freue mich immer wieder, wenn meine Kreationen bei anderen gut ankommen. Ich bin Schmuckdesignerin und habe eine kleine Boutique mit Einzelanfertigungen.“
Mit flinken Fingern griff sie in ihre Handtasche und reichte Angela eine Visitenkarte, auf der für „Martinas Schmuck-Atelier“ geworben wurde – jedes Stück ein Unikat. Kreativ war diese Frau auch noch. Angela nahm sich vor, dem Atelier bei der nächsten Gelegenheit einen Besuch abzustatten.
Das Leuchten verschwand wieder aus Frau Funkes Gesicht, und sie wurde ernst. Sie beugte sich vor und sah Angela unverwandt an.
„Frau Speer, bitte helfen Sie mir. Mein Mann will mich ruinieren. Er hat mich vor drei Monaten aus dem Haus hinausgeworfen. Er hat mir die Vollmacht zu seinem Konto entzogen, auf das ich bis dahin immer Zugriff hatte. Als ich dann Geld von unserem Gemeinschaftskonto abheben wollte, musste ich feststellen, dass er dieses Konto völlig leer geräumt hat. Mein Mann entreißt mir meine gesamte finanzielle Grundlage. Er lässt offenbar auch Unterlagen verschwinden, damit ich nicht mehr nachvollziehen kann, welche Gelder wohin wandern. Ich habe Angst, bald völlig mittellos dazustehen.“
Das klang allerdings nach heftigem Scheidungskrieg. Also doch aufrüsten zum Kampf! Angela freute sich schon darauf, einen Eilantrag zu formulieren.
„Wie ich jetzt erfahren habe, hat er heimlich hinter meinem Rücken das halbe Haus seinem Sohn aus erster Ehe übertragen – offenbar nur, um mich zu schädigen“, fuhr Frau Funke fort. „Ich musste mir eine kleine Wohnung nehmen. Er wohnt noch in unserem Haus und will bald noch seinen Sohn dort aufnehmen.“
Tatsächlich, dachte Angela, „harter Brocken“ war offenbar die richtige Bezeichnung für einen solchen Mann.
„Können Sie sich vorstellen, warum Ihr Mann Sie so austrickst und hintergeht?“, fragte sie. „Sind solche Eskapaden früher schon einmal vorgekommen?“
„Ganz überraschend kommt es für mich nicht. Wir sind jetzt seit zehn Jahren verheiratet. Gemeinsame Kinder haben wir nicht. Die Beziehung war von Anfang an schwierig. Ich habe wirklich in den letzten Jahren sehr gelitten.“ Frau Funke presste die Lippen zusammen.
„Mein Mann war früher schon einmal verheiratet, seine Frau ist gestorben. Mein Mann hat mir immer – selbst zu unserer besten Zeit – zu verstehen gegeben, dass ich ihm niemals seine erste Frau ersetzen kann und dass ihm sein Sohn aus erster Ehe über alles geht.“
Was für ein Juwel musste Herrn Funkes erste Ehefrau gewesen sein, wenn selbst diese tolle Frau sich nicht mit ihr vergleichen konnte?
„Außerdem hat Hans-Peter mich in den letzten Jahren der Ehe finanziell immer nur gegängelt und kontrolliert. Über alles musste ich Rechenschaft ablegen. Aber nie war es so schlimm wie jetzt. Diese Aktionen setzen seinem Verhalten die Krone auf.“
„Wie ist Ihr Verhältnis zu seinem Sohn?“
„Ich muss sagen, dass ich mich mit seinem Sohn überhaupt nicht verstehe. Sascha ist ein ganz gerissenes Bürschchen. Er weiß genau, wie er seinem Vater das Geld aus der Tasche ziehen kann. Die beiden machen hinter meinem Rücken gemeinsame Sache gegen mich. Ich bin mir ganz sicher, dass mein Mann größere Geldbeträge auf seinen Sohn überträgt, nur um sie vor mir in Sicherheit zu bringen. Dann ist bei der Scheidung offiziell nichts mehr da, und ich muss wieder ganz von vorn anfangen, nach zehn Jahren Ehe.“
„Haben Sie eine Vermutung, warum Ihr Mann Ihnen so sehr schaden will?“
„Sicherlich steckt zum Teil sein Sohn dahinter. Aber ich vermute auch, dass mein Mann eine Freundin hat. Jetzt will er ihr alles zukommen lassen, was er mir verweigert.“
„Eine Freundin? Woraus schließen Sie das?“
Auch das noch. Der Mann hatte offenbar gar kein Gespür dafür, was für ein Schmuckstück von Frau er da an seiner Seite hatte. Zuerst erschien ihm seine verstorbene Frau begehrenswerter. Dann tauschte er seine Frau gegen eine Freundin ein. Herr Funke musste nicht nur blind, sondern ganz schön hochmütig sein, wenn er die offensichtlichen Vorzüge seiner Frau so gar nicht zu würdigen wusste.
„Ich habe keine Beweise. Aber mein Mann hat sich seit etwa einem Jahr anders verhalten als sonst. Er war viel häufiger weg als vorher, ohne zu sagen, was er macht. Mehrmals ist er nachts sehr spät wiedergekommen. Außerdem ist er im letzten Jahr zweimal für eine Woche allein zu unserem Ferienhaus in der Toskana gefahren. Ich bin mir fast sicher, dass er sich dort mit einer Freundin getroffen hat. Warum sonst sollte ein Mann allein in ein abgelegenes Landhaus in Italien fahren?“
„Ich kann Ihren Mann nicht verstehen.“ Angela wurde richtig wütend auf Herrn Funke. Er schien einen hohen Verschleiß an attraktiven Frauen zu haben. Was musste das für eine Freundin sein, die so eine faszinierende Frau ausstechen konnte?
Offenbar hatte Herr Funke die Trennung von langer Hand vorbereitet. Ein Jammer, dass selbst so eine anziehende Frau wie Frau Funke bei ihrem Mann den Kürzeren ziehen musste. Schon wieder bestätigte sich, dass der Mann in den meisten Ehen in der besseren Position war.
Vieles an den Schilderungen ihrer Mandantin erinnerte Angela an ihre eigene Ehe. Bevor ihr Mann es vorgezogen hatte, nach sechsundzwanzig Jahren Ehe und drei Kindern, mit einer jüngeren Frau wegzulaufen, hatte er auch zunächst einzelne Tage und Nächte auswärts verbracht – natürlich „beruflich“ – und später dann ganze Wochenenden. Als Angela dämmerte, was los war, hatte er für sich und seine Freundin schon eine andere Wohnung gesucht und dafür Teile des gemeinsamen Geldes beiseitegeschafft. Wie die Geschichten sich doch ähnelten! Die Männer sind doch alle gleich!
Eine plötzliche Welle von Sympathie für Frau Funke und deren Schicksal erfasste sie. Dieser Mandantin wollte sie unbedingt zu ihrem Recht verhelfen! Der Mann schien ein regelrechtes Ekel zu sein, das man mit allen erdenklichen Mitteln bekämpfen musste.
„Frau Funke, ich will mein Bestes tun, um so viel wie möglich für Sie herauszuholen.“ Diesmal erschien ihr dieser Satz, den sie manchmal ganz bewusst fallen ließ, überhaupt nicht pathetisch, sondern er kam aus vollem Herzen.
„Lassen Sie uns überlegen, wie wir Ihren Mann am besten stoppen und zu Fall bringen können.“
Zum ersten Mal lächelte Frau Funke. Jetzt musste Angela zeigen, dass sie ihr Vertrauen wert war. Innerlich wetzte sie schon alle Messer anwaltlicher Streitkunst.
„Welche konkreten Unterschlagungen könnten wir ihm vorhalten? Wissen Sie irgendetwas über Geldbeträge, die vorher vorhanden waren und jetzt verschwunden sind?“
„Hans-Peter hat mir während unserer Ehe ziemlich wenig Einblick in die finanziellen Angelegenheiten gegeben. Aber ich weiß, dass er als Schulleiter an einem Berufskolleg sehr gut verdient. Wir hatten immer genügend Geld auf allen Konten. Und jetzt das hier.“
Sie reichte Angela ein kleines Bündel Kontoauszüge. Tatsächlich waren mehrfach große Beträge abgebucht worden – offenbar auf ein anderes Konto des Ehemannes. Das ehemals gut gefüllte Konto war jetzt völlig abgeräumt.
„Das begründet auf jeden Fall den Verdacht, dass Ihr Mann Geld verschieben will.“
Angela versuchte, sich Herrn Funke vorzustellen. Vor ihrem inneren Auge erschien eine überhebliche, geldgierige Fratze.
Gemeinsam mit Frau Funke entwickelte Angela eine Strategie, wie sie Herrn Funke in seinem eigenmächtigen Verhalten bremsen konnten. Nur keine Vorwarnungen durch anwaltlichen Schriftwechsel! Besser sofort einen Eilantrag bei Gericht einreichen, um den Mann zu überraschen.
„Wenn Sie es wollen, werde ich Ihren Mann mit Klagen und Anträgen überziehen, dass er nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Wenn er Krieg haben will, dann soll er ihn auch bekommen. Oder wollen Sie es lieber zunächst auf die sanfte Tour versuchen?“
„Auf gar keinen Fall, dann hat mein Mann nur noch mehr Zeit, um Vermögen zu verschieben. Ich bin sehr damit einverstanden, wenn wir gleich ganz hart auftreten.“
Angela legte ihrer Mandantin die Grundpfeiler der ganz harten Strategie dar:
Ein eiliger Arrestantrag, der dem Mann sämtliche weitere Verfügungen über das Vermögen verbot. Dann waren ihm die Hände gebunden.
Ein sofortiger Scheidungsantrag wegen unzumutbarer Härte. Dadurch wurde er deutlich als der Schuldige gebrandmarkt.
Und ein Antrag auf Auskunftserteilung über sämtliche Vermögenswerte. Damit wurde Frau Funke der Zugriff auf das Vermögen erleichtert.
„Unterhalt müssen wir natürlich auch noch geltend machen; aber lassen Sie uns das noch zurückstellen. Zunächst sollte der Eilantrag wegen der Vermögensverschiebung eingereicht werden. Falls Ihr Mann sich nicht einsichtig zeigen sollte, erstatte ich eine Strafanzeige wegen Unterschlagung.“
Frau Funke machte einen vollauf zufriedenen Eindruck. „Die volle Breitseite“, flüsterte sie begeistert. „Mein Mann soll nie mehr meinen, dass er mich ohne Folgen hintergehen kann.“
Angela schrieb der Mandantin auf, welche Unterlagen sie noch besorgen sollte. Sie vereinbarte für den darauffolgenden Freitag einen weiteren Termin, um die letzten Einzelheiten und offenen Fragen zu klären.
Als Frau Funke gegangen war, liefen die Rädchen in Angelas Gehirn auf Hochtouren. Hier war er, der Fall, auf den sie gewartet hatte. Eine sympathische, attraktive Mandantin in ihrem Alter. Ein Gegner, der offensichtlich ein Ekel war und bis aufs Messer bekämpft werden musste. Und ein großes Vermögen, das es vor fremdem Zugriff durch den Sohn und die Freundin zu retten galt. Sie jubelte innerlich. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch und fing an, den ersten Antrag für das Gericht zu formulieren. Sie musste zwischendurch große Lücken lassen, weil ihr noch eine Menge Informationen fehlten. Aber sie war sich sicher, dass sie im Laufe der nächsten Woche den Antrag bei Gericht abgeben konnte. Herr Funke durfte sich auf was gefasst machen.
Irgendwann fing Angela an, ihre Schultern zu spüren, die sich total verspannt hatten. Außerdem war in ihrem Magen ein großes Loch, das jetzt dringend ein Abendessen gebrauchen konnte. Wie spät war es eigentlich? Tatsächlich, schon wieder 22 Uhr. Schnell nach Hause und noch eine Kleinigkeit herunterschlingen. Am nächsten Morgen musste sie früh raus.
Auf dem Nachhauseweg fielen ihr die Worte ihrer Freundin ein.
Ach Ruth, wenn du wüsstest, wie das ist! Natürlich ist mein Beruf kein Zuckerschlecken, und als Wellness kann man ihn auch nicht direkt bezeichnen. Aber was könnte erfüllender und motivierender sein als ein Streit, der sich lohnt und mit dem man einer Frau helfen kann, die offensichtlich schlecht behandelt wird? Wer von trockenen Juristen spricht, hat keine Ahnung! Diese Wortgefechte elektrisierten Angela stets aufs Neue. Immer wieder musste sie feststellen, wie sehr ein fremdes Schicksal ihrem eigenen glich. Ja, sie würde kämpfen: für ihre Mandantin, für sich selbst und für alle unterdrückten Frauen. Konnte irgendetwas aufregender sein?
Als Angela am Freitagabend gegen 23.30 Uhr ihre Arbeit im Büro beendet hatte, war sie sehr zufrieden. Heute war Frau Funke wieder da gewesen und hatte ihr die restlichen Puzzleteilchen für ihren Antrag geliefert. Leider hatte sich herausgestellt, dass das Haus dem Ehemann schon vor der Ehe gehört hatte. Deshalb konnte er ohne Mitwirkung seiner Frau die Hälfte auf seinen Sohn übertragen! Dazu war er berechtigt gewesen.
Aber es blieb immer noch die Verschiebung des sonstigen Vermögens. Zehn Jahre arbeiten, kämpfen und das Leben teilen – und dann mit leeren Händen aus der Ehe gehen, das hatte Frau Funke nicht verdient. Noch dazu, nicht freiwillig zu gehen, sondern aus dem Haus geworfen zu werden wegen der Freundin des Mannes. Das war geradezu perfide.
Nach dem Ende der Bürozeit hatte Angela sich an den Schreibtisch gesetzt und den Eilantrag zu Ende diktiert, mit welchem auf dem Vermögen des Mannes ein Arrest verhängt wurde. Wenn der Antrag durchkam, würde er über sein Geld und alle übrigen Besitztümer nicht mehr verfügen können, bis die Eigentumsfragen geklärt waren. Er würde am Haus keine Änderungen mehr vornehmen können, keine Gegenstände verkaufen können und hätte vor allem keinen Zugriff mehr auf die Konten. Ein Überraschungsangriff! Angela hatte ihren Antrag sehr gut begründet und dringlich gemacht. Anfang der Woche würde sie ihn schreiben lassen und persönlich bei Gericht abgeben. Sicherlich würde dann bis zur nächsten Woche irgendeine Entscheidung vorliegen oder zumindest schnell ein Termin anberaumt werden.
Jetzt musste sie nur noch den Scheidungsantrag und den Auskunftsantrag formulieren. Das hatte sie sich für den Samstag vorgenommen. Die Akte und das Diktiergerät packte sie in ihre Tasche, um zu Hause weiterzuarbeiten. Und am Sonntag würde sie – wenn alles gut ging – nach dieser schönen Leistung mal ausschlafen.
Moment mal: Samstag? O nein, da hatte sie ja Ruth versprochen, mit ihr ins Aquavita zu fahren. Und die Frühaufsteherin Ruth hatte vorgeschlagen, schon um halb zehn bei Angela vorbeizukommen und sie abzuholen. Natürlich nur, damit sie sich nicht vor dem Termin drücken konnte.
Das passte Angela gar nicht mehr in den Kram! Wellness, Fitness, Sauna! Nichts lag ihr jetzt ferner. Sie war noch so sehr in der Sache Funke gefangen, dass sie sich gleich am nächsten Morgen wieder daran begeben wollte.
Sie musste Ruth dringend anrufen und ihr sagen, dass sie auf gar keinen Fall mitkommen konnte.
Aber mit Büroarbeit ließ sich das nicht begründen, das würde Ruth nicht durchgehen lassen. Hatte Angela nicht heute Morgen schon genauso gehustet wie Frau Fröhlich? Es schien fast so, als habe Frau Fröhlich sie angesteckt. Ja, so eine Erkältung verbreitet sich schnell. Das musste wohl auch der Grund sein, warum Angela sich jetzt nach schlappen dreizehn Stunden im Büro schon so müde fühlte, obwohl es erst halb zwölf war.
Um halb zwölf konnte sie Ruth allerdings nicht mehr anrufen. Es war wirklich nicht ihre Art – selbst bei ihrer besten Freundin – sich derart außerhalb der üblichen Anrufzeiten zu melden. Außerdem wäre Klaus sicherlich nicht begeistert, wenn er durch die Anrufe von Ruths Freundinnen am späten Abend aus dem Bett geklingelt wurde. Sie würde morgen früh anrufen, um abzusagen.