Kurzgeschichten aus Asgard - Mathias Bellmann - E-Book

Kurzgeschichten aus Asgard E-Book

Mathias Bellmann

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Beschreibung

Gefährliche Abenteuer und mystische Geheimnisse erwarten dich in den Kurzgeschichten aus Asgard. Neben Odin und Thor gibt es noch viele weitere Götter, Walküren und Legenden aus dem Reich Yggdrasils, die auf dich warten. Spannung bieten alle Geschichten aus Asgard und sie zeigen, wo die einzig wahre Quelle des Nordens liegt. Ein Buch für alle Helden und Heldinnen!

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Seitenzahl: 185

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Originalausgabe

© by Mathias Bellmann. Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.

Inhaltsverzeichnis

Baldurs Charme

Idun und Odin

Sigyns Ruhm

Seidr

Odinssöhne

Bragis Muse

Thorssöhne

Loki

Der Wandersmann

Walküren

Die ersten Menschen

Baldurs Charme

Baldur saß auf seinem Ross und blickte über die Anhöhe. Vor ihm lag ein kleines Dorf. Er war lange durch das Land der Bergriesen geritten. Drei der Riesinnen hatten ihn dabei zu fangen versucht. Er hatte versucht, sie abzuwehren. Denn als die Riesinnen den schönsten Gott aus Asgard gesehen hatten, hatten sie sich sofort unsterblich in ihn verliebt.

Zwei der Riesinnen war er mit seinem guten Ross mühelos entkommen. Doch die Dritte war schlau gewesen. Sie hatte ihn in eine Falle gelockt. Zuerst hatte es so ausgesehen, als würde er ihr entkommen. Doch mit gezielten Steinwürfen hatte sie ihn in eine Schlucht getrieben, ohne dass er es gemerkt hatte. Als sie sich dann gegenüber standen, hatte sie ihm ihre ewige Liebe geschworen und versprochen immer gut zu ihm zu sein, solange er nur keine andere Frau ansah. Als Baldur jedoch sein Schwert zog, hatte sie nur laut gelacht und aus ihrem Umhang ein Netz geholt, welches sie mit nur einem Wurf über ihn und sein stolzes Ross geworfen hatte.

Drei Tage hatte er in ihrem Verlies gesteckt. Nur indem er vorgab, dass er sie auch unsterblich liebte, hatte er schließlich fliehen können. Denn kaum dass sie ihn freigelassen hatte, versprach er seiner Geliebten einen Tee zu kochen. Diesen hatte sie gierig getrunken, als ob es das heiligste Gesöff ganz Yggdrasils sei, allerdings unwissend das Baldur den Tee mit einem Schlafmittel versetzt hatte.

Es hatte noch Stunden gedauert, bis sie endlich tief genug geschlafen hatte. In dieser Zeit hatte er mit ihr kuscheln und schmusen müssen. Ihre steinerne Haut hatte gekratzt und ihr Gestank hätte selbst Hausschweine bis in die Ohnmacht getrieben. Als der Moment endlich gekommen war, rannte er wie von einem Zwerg gebissen raus, befreite sein Pferd und ritt im Galopp, bis die Grenze des Riesenlandes in Sicht kam.

Vor ihm lag ein Dorf von Midgardmenschen. Odin liebte sie, Baldur jedoch zweifelte an ihrer Ehrbarkeit. Dennoch brauchte sein Ross frischen Hafer und einen Platz, um sich auszuruhen. Als er in die einzige Straße ritt, fiel dem ersten Bauern sofort die Kinnlade runter. Eine Gestalt wie ihn hatte er hier an der Grenze zum Riesenland wohl noch nie gesehen. Der Matsch der Straße ließ währenddessen die Hufe seines Rosses versinken, doch zum Glück prangte auf dem oberen Geländer eines der rustikalen Häuser die Aufschrift eines Wirtshauses. Zum wilden Adler hieß die kleine Spelunke und war bei genauer Betrachtung nur eine Bretterbude mit bunt bemalter Front.

Er band sein Pferd fest und betrat das Wirtshaus. Es stank. Zwar war es nicht so schrecklich wie der Gestank der Riesin, dennoch war es unverkennbar der Geruch von Menschen, die sich seit Tagen nicht gewaschen hatten. Wieder klappten die Kinnladen runter, als die Gestalten des Wirtshauses ihn erblickten.

Was er denn wolle, fragte der Wirt mürrisch. Was wohl, dachte Baldur, schnell hier weg, so wie jeder vernünftige Gott. Doch sein Pferd musste sich ausruhen. Der Ritt war sehr hart gewesen und die Riesin hatte den armen Gaul auch schäbig behandelt. Also sagte er, was er wolle. Grummelnd erwiderte der Wirt, dass bei ihm nur zahlendes Volk bedient würde. Baldur griff in seine Manteltasche und zauberte einen Klumpen Gold hervor.

Das blanke Gold auf dem Tresen ließ die Augen an den Tischen größer werden. Wieder klappten viele Kinnladen runter, doch dieses mal veränderte sich die Stimmung der Menschen. Plötzlich spürte er, wie dunkle Augen habgierig funkelten. Typisch für Menschen, dachte Baldur und fragte sich wieder einmal, was Odin an diesen Kreaturen gut fand? Plötzlich ging ein Strahlen durch den Raum und mit einem Mal verstand er Odin. Am andern Ende des Raumes, aus einer Schwingtür, war eine Frau gekommen, deren Schönheit den Gestank und den Dreck des Dorfes vergessen ließ. Ihr blondes Haar glänzte wie sein Gold und ihre blauen Augen waren der Himmel. Als sie seinen Blick bemerkte, hob sie stolz ihren Kopf. Sie war eine Unnahbare, die nicht viel auf Männer gab, dass sah Baldur sofort. Doch das weckte seine Neugier noch mehr.

Er solle sich nichts einbilden, sagte sie ihm geradezu, als er seinen Blick nicht von ihr losreißen konnten. Sie sei nur da, um Geld für sich und ihren Sohn zu verdienen und würde keinen Lumpen an ihren Rock lassen. Sprachlos sah er sie an. Dann holte sie ihn zurück in die Realität und fragte, ob er Suppe oder Braten wolle? Baldur antwortete und sah ihr hinterher, als sie wieder hinter der Schwingtür verschwand. Plötzlich lachten alle und er wurde rot. Scheinbar war er nicht der erste Mann, der diese Abfuhr bekommen hatte. Zerknirscht bestellte er sich einen Krug Met beim Wirt und als der seine Laune nicht verbesserte, bestellte er sich sofort einen zweiten. Zwischenzeitlich tauchte ein Bursche auf, der für die Pferde verantwortlich war. Als er ihm auch ein Stück Gold gab, versprach er fast weinend vor Glück, das Ross nur mit dem Besten zu versorgen.

Der Braten kam und ein drittes Met. Die Schöne stellte es ihm wortlos auf den Tisch und verschwand wieder. Ein Vagabund setzte sich an seinen Tisch und holte die Karten raus. Baldur verscheuchte ihn sofort. Gezinkte Karten roch er drei Meter gegen den Wind. Plötzlich knallte die Tür laut.

Als Baldur zur Eingangstür sah, stand dort ein muskulöser Schwertkämpfer in Begleitung eines Keulenschwingers und eines Zwerges mit zwei großen Äxten auf dem Rücken. Die Atmosphäre im Wirtshaus veränderte sich schlagartig. Die Gespräche an den Tischen verstummten und alle guckten betreten auf den Boden. Selbst der Wirt hinterm Tresen machte ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter.

Die drei dunklen Gestalten gingen mit langsamen Schritten zum Tresen. Der Zwerg grinste böse als sich seine und Baldurs Blicke trafen. Unaufgefordert stellte der Wirt drei Krüge hin und füllte sie. Schneller als Baldur gucken konnte, leerten die drei die Krüge und der Wirt schenkte nach. Auch diese schluckten sie in Rekordzeit runter und der Wirt füllte abermals nach, ohne ein Wort zu sagen.

Plötzlich erschien die Schöne. Ihr Blick wurde grimmig, als sie die drei am Tresen erblickte. Der Stolz wich aus ihren Augen und Angst machte ihre Statur hart. Baldur sah genau hin. Hier ging etwas vor sich. Kaum dass sie zum Tresen gegangen war, um drei Teller Braten abzustellen, griff der Schwertkämpfer um ihre Taille. Funkelnd befreite sie sich oder vielmehr versuchte sie es, denn in dem Moment da sie sich aus seiner Umklammerung befreit hatte, griff er nach ihrer Hand. Sie zerrte, doch es half nichts. Dann schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.

Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Mit dem Rücken seiner Hand schlug er ihr brutal ins Gesicht. Ihr Kopf federte zurück und sie stöhnte vor Schmerzen. Weder der Wirt noch die anderen Männer rührten sich. Jedoch hielt es Baldur keine Sekunde länger auf seinem Platz aus. Er zog sein Schwert aus der Scheide, schleuderte den Tisch zur Seite und stellte sich breitbeinig hin, bereit für den Angriff.

Zuerst reagierte der Zwerg. Er zog beide Äxte und rannte auf ihn zu. Mit dem Schwert stoppte er den ersten Hieb der Axt und mit dem Fuß trat er zu, mitten in den Bauch des kleines Wichts. Dieser flog wie eine Rakete rückwärts und krachte in die Wand des Tresens. Ein Schrei zerriss die Stille. Der Keulenschwinger warf seine Keule. Baldur versuchte sie abzuwehren. Doch die Wucht war zu groß. Er musste zurück weichen und ging auf die Knie. Der Unhold war schneller, als erwartet. Er schnappte sich seine Keule und hieb wieder und wieder auf Baldur ein. Mit seinem gestärkten Armschutz blockte er die Hiebe ab. Dann war es ihm genug. Er schwang sein Schwert im Kreisbogen über seinen Kopf und hieb zu. Kreischend ging der Keulenschwinger in die Knie und seine abgeschlagene Hand knallte zusammen mit der Keule auf den Boden. Blut strömte aus dem Stumpf.

Jetzt war es der Schwertkämpfer, der schrie. Er ließ die blonde Schöne los und wandte sich Baldur zu. Er schwor ihn zu töten, als Rache für die Schwurhand seines Freundes. Also rannte er wütend auf Baldur zu. Jeder seiner Schritte war schnell und zugleich exakt platziert und verriet Baldur, dass dieser Kämpfer viele Jahre trainiert haben musste. Der erste Hieb knallte und der zweite schoss direkt hinterher. Baldur parierte die Hiebe, aber er war beeindruckt. Vor ihm stand ein Meister der Klinge. Präzise und schnell folgten Hiebe und Stiche. Wäre Baldur kein Gott Asgards gewesen, hätte er keine Sekunde überlebt. Doch er war ein wahrer Ase und seine Reflexe waren besser als die jedes Menschen und außerdem hatte er mit den stärksten Kämpfern aus Odins Halle trainiert. Also wehrte er ab, was der Schwertkämpfer ihm schickte und hieb zurück. Langsam landete er die ersten Treffer mit seinem Schwert.

Aus immer mehr Wunden begann der Schwertkämpfer zu bluten. Doch er war nicht bereit aufzugeben. Baldur wurde klar, dass dieser Mann nur Sieg oder Tod akzeptieren würde. Also tat er ihm den Gefallen. Als er die nächste Attacke pariert hatte, senkte er den Winkel seines Schwertes, um eine Weg zu ebnen, durch welchen sein nächster Angriff gehen könnte. Dann stach er zu. Das Blut spritzte und das Schwert steckte in der Kehle des Unzähmbaren. Er hielt sich noch für einen Moment aufrecht, dann fiel er um und eine Lache bildete sich um seinen Körper. Am Rand bemerkte Baldur wie der Zwerg und der Keulenschwinger das Weite suchten. Dann klatsche ihm die Schöne ein Handtuch ins Gesicht.

Was er sich einbilde, schrie sie wütend und das Männer alle gleich wären und nur Gewalt im Kopf hätten. Aber putzen würden sie nie, wenn sie wieder mal so einen Saustall angerichtet hatten. Doch nicht mit ihr, das schwor sie: Er hatte den Schlamassel angerichtet, deshalb müsse er es auch wieder sauber machen. Also kniete sich der stolze Gott hin und begann die blutgetränkten Dielen sauber zu schrubben, während die Männer an den Tischen über ihn lachten.

Idun und Odin

Nur über die alte Regenbogenbrücke erreichbar und getrennt von den anderen Welten, liegt Asenheim, die Welt in der die Asengötter leben. Obwohl sie unsterbliche Gottheiten sind, altern sie. Denn sie sind Naturgötter und leben in Harmonie mit den natürlichen Kreisläufen Yggdrasils.

Idun ist die Herrin der goldenen Äpfel. Legenden ranken sich darum, wie sie zu dieser Aufgabe kam. Manche erzählen von wilden Bettgeschichten, andere von Morden, sogar am eigenen Bruder. Die goldenen Äpfel sind es, die die Asen essen, um wieder jung zu werden. Einst vor vielen Wintern war es ein Streit zwischen ihr und Odin, der bewies, wer in Asgard die wahre Macht besitzt.

Ein Lüstling wie Odin ist, stellte er auch Idun nach. Denn sie war atemberaubend schön. Doch das Werben des Gottes wirkte nicht, denn Idun hatte ihr Herz unglücklich an einen anderen gebunden. Aber ihr Angebeteter war von einer Reise zum Rand von Ginnungagap nicht mehr zurückgekehrt. So litt sie und das Werben Odins machte sie wütend, denn er hatte Weib und Kinder und wusste um ihr Leid.

Eines Tages saßen sie alle in der Halle Freyas bei Trank und Speis. Wieder war es Odin, der ihr den ganzen Abend schöne Augen machte. Er ließ sich sogar von Bragi dem Gott der Dichtkunst magische Liebesreime dichten, doch selbst diese konnten Idun nicht umstimmen. Nach vielen verzweifelten Versuchen saß Odin der alte Lüstling da und ließ den Kopf hängen, während Idun sich am anderem Ende der Tafel mit ihren Freundinnen amüsierte.

Was niemand mitbekam, war, wie sich Loki heimlich zu Odin setzte. Er sähe ihm an, wie schlecht es ihm ginge, sagte er mit falscher Zunge und dass er seinen alten Freund und Allvater keine Sekunde länger so ertragen könnte. Ob er denn Hilfe für sein Problem wolle, fragte er deshalb. Odin wurde sofort hellhörig und als Loki ihm vorschlug, ihn zur Nachtstunde zu verwandeln, damit er genauso aussah wie Iduns Geliebter, willigte er sofort ein.

Sie trafen sich unter einer der heiligen Eichen. Bevor er seine Hexenkunst vollführte, schwärmte Loki dem Allvater vor, wie viel Spaß er mit Idun haben würde. Aber er fügte hinzu, dass der Allvater sich gewiss sein sollte, dass es alles Odins Verantwortung wäre und er es sich ein letztes Mal überlegen sollte, aber er dieses Trugspiel durchziehen wollte? In der Gier nach Iduns weichem Schoß zögerte Odin keinen Augenblick länger. So führte Loki seinen Zauberspruch aus. Für eine Nacht würde Odin aussehen wie Iduns Geliebter. Gewahr in was er sich verwandelt hatte, zögerte der Allvater keinen Moment und rannte eilig zu Iduns heiligem Hain.

Schon von weitem sah er die magischen Äpfel, welche die Jugend schenkten. Als er näher kam, vernahm er ihren Klagegesang. Ihre liebliche Stimme kochte seine Wollust hoch. Als sie ihn sah, entbrannte sie in Feuer und Flamme. Keine Sekunde zögerte sie und gab sich ihm hin. Ihr hungriger Leib konnte es nicht länger aushalten. Wild wurde der Akt und ihr Lächeln hätte das Herz des furchtbarsten Kriegsherren erweicht, als sie befriedigt in seinen Armen einschlief. Auch der Allvater lächelte. Er hatte bekommen, was er wollte. Später als sie schlief, schlich er sich still und heimlich von dannen. Der erste Sonnenstrahl traf ihn und er nahm wieder seine alte Gestalt an.

Die Klagelaute Iduns am nächsten Morgen erschütterten ganz Asgard. Wahrscheinlich hatte nie eine Frau lauter um ihren Mann geweint. Zehn Tage fand ganz Asgard keinen Schlaf, denn Iduns Wehklagen raubten jede Ruhe. Loki der Gott des Schabernacks war genervt. Dieses Geschrei war unerträglich. Schließlich ging er zu ihr und fragte sie, warum sie so schrie? Idun klagte ihm, dass ihr Liebster zu ihr zurückgekehrt war, sie aber nach einer Nacht sofort wieder verlassen hatte, weil seine Liebe erkaltet war. Nichts hatte ihr je größeren Schmerz bereitet und nie würde sie aufhören können, um ihn zu weinen. Da Loki für niemand anderes außer sich selbst Loyalität empfand und dringend seine Ruhe zurückwollte, erzählte er Idun, wie Odin ihn angefleht hatte, ihn in Iduns Geliebten zu verwandeln. Der wütende Schrei, der dann aus Iduns Kehle schoss, war in ganz Asgard zu hören. Er erreichte auch Odins Ohr und der Göttervater wusste sofort, was er bedeutete.

Odin der Allvater, oberster Gott aller Asen, war ein mutiger Krieger. Doch dieser Schrei trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn. Er hatte Angst. Keine Sekunde würde er zögern, sich allein gegen eine ganze Armee von Riesen zu stellen. Selbst vor seinen Söhnen, die zu den stärksten Göttern Yggdrasils gehörten, hatte er keine Angst, wenn sie sich im Kampf maßen. Aber vor der Rache einer Frau wie Idun fürchtete er sich. Odin sollte recht behalten, auch wenn Iduns Rache anders kam, als er erwartet hatte.

Zuerst geschah nichts. Idun war die alte, stolze Asengöttin. In ihrem Gesicht war keine Regung des Schmerzes, der sie zuvor gequält hatte. Einzig dass sie es vermied, mit Odin zu sprechen oder ihm nahe zu sein, war anders. Doch dann kam der Zeitpunkt, an dem sie es ihn spüren ließ.

Es kam der Tag und Odin der Gott verspürte die Lust sich zu verjüngen. Ihm war ein wenig mulmig, in Iduns Hain zu gehen. Denn noch immer fürchtete er ihre Rache. Aber die anderen Götter gingen auch dorthin und labten sich an den magischen Äpfeln. Also stiefelte er in der Begleitung seiner beiden Wölfe los.

Der Hain kam in Sicht und Geri und Freki rannten vor, um sich im weichen Gras des Hains zu suhlen. Odin lachte, als er seinen beiden Wölfen nachschaute, nebenbei lief ihm schon das Wasser im Mund zusammen. Denn es gab nichts in ganz Midgard oder in Asenheim, was so gut schmeckte wie Iduns Äpfel. Sie waren womöglich das köstlichste Mahl, welches es in Yggdrasils Welten zu finden gab.

Bum! Es knallte laut und schmerzte. Ohne etwas zu sehen, war er gegen ein Hindernis gelaufen. Verrückt, dachte er und probierte es erneut. Wieder knallte er gegen etwas. Also auf ein drittes und viertes. Doch nichts klappte. Also probierte er es mit Anlauf. Als auch das nicht klappte, nahm er seinen Speer und hieb auf das Hindernis ein. Wie von Zauberhand glitt sein Speer Gungnir durch das Hindernis, aber als er ihm folgen wollte, prallte er wieder gegen die unsichtbare Mauer.

Wut kochte in ihm hoch. Er riss einen riesigen Stein hoch und warf ihn gegen das Hindernis. Er glitt hindurch, als ob da nichts wäre. Fast hätte der gewaltige Felsbrocken seine beiden Wölfe Geri und Freki getroffen. Heulend trollten sie sich. Sie wussten genau, wann es besser war, dem Wüterich aus dem Weg zu gehen. Doch der war noch nicht bereit aufzugeben. Er hämmerte mit seinen Fäusten und trat mit seinen Füßen fester und fester zu. Das Hindernis hielt stand.

Plötzlich bemerkte er die stechenden Augen. Es war Idun. Der Hass funkelte in ihrem Blick. Obwohl es schon länger her war, hatte sie ihm die unfreiwillige Nacht noch immer nicht verziehen. Dann sprach sie mit eiskalter Stimme. Was sie sagte, war hart und doch fand er es fair.

Sie schwor, ihm keinen Apfel mehr zu geben als Strafe für seinen schändlichen Betrug. Sie würde gern zusehen, bis er alt, grau und vertrocknet wie Dörrobst geworden wäre. Nur unter einer Bedingung wäre sie bereit, ihren Bannzauber aufzuheben, der den Hain der heiligen Äpfel vorm Allvater schützte: Nur wenn er nach Ginnungagap gehen würde und ihren Geliebten zu ihr zurückbrächte. Nur dann würde sie ihm den Zugang zu den heiligen Äpfeln wieder gewähren. Zähneknirschend willigte er ein. Was hatte er auch für eine Wahl? Er wollte nicht, dass das Alter ihn auffraß. Mit seinem blaugrauen Mantel und seinem Pferd Sleipnir machte er sich auf den weiten Weg ins Niemandsland. Ginnungagap war kein guter Ort, dass wusste jeder in ganz Asgard. Niemand ging dort freiwillig hin.

Die Völvas und Seher sagten, aus Ginnungagap wäre der Same Yggdrasils entsprungen. Aber die Wahrheit kannte niemand, denn es geschah vor unendlicher Zeit. Odin ritt bis über die Stelle hinaus, an welcher der hohe Wipfel und die Wurzeln des Weltenbaums wie eins erschienen. Er stieg von seinem Pferd Sleipnir ab und gab ihm einen festen Klaps auf den Hintern, damit er nach Hause traben würde. Er wollte sein geliebtes Pferd nicht der großen Gefahr Ginnungagaps aussetzen. Denn dieser Ort war so gefährlich, dass nicht einmal die Götter hier ohne Vorsicht hinkamen.

Auf magische Art und Weise näherte sich der Gott. Dunkle Stimmen hallten in der Luft. Odin wusste nicht, ob sie Illusionen waren oder die Reste der Seelen, die sich in der Kluft der Klüfte verirrt hatten. Der Ort strahlte etwas sehr dunkles aus, dass selbst Hels kalte Hölle wie ein sonniges Urlaubsparadies wirken ließ.

Da er nicht wusste, wie er Iduns Geliebten finden sollte, hatte er sich ein Set mit Runen mitgebracht. Er schüttelte den Beutel und griff hinein. Der Stein mit der Rune Nauthiz blitzte in seiner Hand. Das hieß selten etwas gutes und doch zeigte es ihm instinktiv, in welche Richtung er gehen musste. Desto weiter er ging, desto mehr spürte er das kalte Nichts an sich nagen. Es begann ihn aufzufressen. Er spürte es an den Armen und Beinen, aber auch in seinen Erinnerungen wühlte es und verschlang alles, was immer ihm schmackhaft erschien.

Ein dumpfer Schrei hallte in seinem Geist und ließ ihn spüren, wie viel er schon verloren hatte. Ein Blick auf seine Knie zeigte ihm, dass das rechte Knie durchsichtig geworden war. Er sah ein, dass er endgültig in der Klemme steckte. Ging er zurück nach Asgard, würde er verschrumpeln wie ein alter Apfel, dem der Saft ausgegangen war. Blieb er jedoch in Ginnungagap würde er sich stattdessen langsam auflösen. Es war die Wahl zwischen Regen und Traufe. In seiner Ratlosigkeit schrie er. So laut er konnte rief er seinen Namen. Jeder hier sollte wissen, wer er war. Außerdem hoffte er so, sich nicht zu verlieren. Er ging weiter auf die gähnende Schlucht zu, ohne mit seinen Kriegsschreien aufzuhören.

Plötzlich drang ein Stöhnen an sein Ohr. Die Stimme war ihm bekannt. Es war Iduns Geliebter. Er rief erneut. Das Stöhnen schien zu antworten. Doch es waren keine Worte. Es waren nur Fetzen von Lauten, wie sie wilde Tiere in der Nacht machten, wenn sie hungrig waren. Odin kämpfte sich weiter durch die kalte Dunkelheit. Dann sah er ihn. Es gab keinerlei Zweifel, dass das der Gesuchte war. Doch er war nicht mehr in einem Stück. Sein Körper klebte an etwas, was eine Art Stein sein könnte. Jedoch fehlten Teile seines Körpers, etwa der rechte Arm und der linke Unterschenkel. Als sich Odin umsah, sah er sie umherfliegen. Sie waren durchsichtig geworden wie sein eigenes Knie.

Es war nicht klar, wie viel Zeit Iduns Geliebter noch haben würde, bevor ihn das Nichts vollständig vernichten würde. Deshalb handelte er, wie es sich für den Allvater der Asen gehörte: blitzschnell. Er riss den Körper von Iduns Geliebtem los und klemmte ihn sich unter die Schulter. Dann schnappte er sich den Arm und das fehlende Stück Bein. Wie von der Tarantel gestochen, rannte er los. Dann spürte er das glühende Muspelsheim und das eisige Niflheim und er wusste, sie hatten es geschafft.

Wie von Zauberhand wurde sein Knie wieder fest. Auch Iduns Geliebter bekam seinen stählernen Asenleib zurück. Mit Stolz und Ehre dankte er Odin für seine Rettung aus der Kluft der Klüfte. Dann brachen sie zu ihrer Heimreise auf. Ohne Sleipnir würde es sehr lange dauern und Odin spürte immer mehr das Alter an seiner Haut und seinen Zähnen nagen. Es reichte ihm. Also nahm er seinen Speer Gungnir und schleuderte ihn in die Luft.

Mehrere Augenblicke lang geschah nichts. Die beiden Asen sahen nur wartend in die Richtung, in die Odin den Speer geworfen hatte. Auf einmal öffnete sich der Regenbogen vor ihnen. Eine helfende Hand erschien an dessen Ende. Mit brüderlichem Griff ergriffen die beiden müden Wanderer die Hand des Neunmüttrigen und er zog sie in den Regenbogen hinein. Im nächsten Augenblick waren sie wieder zuhause in Asgard.