Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen - Barbara Lux - E-Book

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen E-Book

Barbara Lux

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Beschreibung

Dieser Band behandelt vergleichend das Phänomen der Kurzwortbildung im Deutschen und im Schwedischen. Auf der Grundlage von selbst erstellten Korpora werden phonologische Aspekte wie Silbenzahl und Silbenstruktur der Belege sowie die Pluralbildung substantivischer Kurzwörter analysiert. Dabei zeigt sich, dass das Deutsche und das Schwedische Kurzwörter und andere Wortschatzeinheiten an der Peripherie des Lexikons wie etwa Fremdwörter sehr unterschiedlich behandeln. Während das Deutsche verschiedene Wortschatzbereiche recht stark isoliert, hat das Schwedische eher integrative Züge. Neben konkreten Erkenntnissen über das phonologische und grammatische Verhalten von Kurzwörtern in den Untersuchungssprachen macht diese Arbeit deutlich, dass zwischen dem Deutschen und dem Schwedischen tiefgreifende Unterschiede in der Behandlung der Peripherie des Wortschatzes bestehen. Damit sind die Ergebnisse nicht nur für die Kurzwortforschung, sondern auch für die Lexik des Deutschen und des Schwedischen im Allgemeinen interessant.

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Seitenzahl: 455

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Barbara Lux

Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen

Eine kontrastive Untersuchung phonologischer und grammatischer Aspekte

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0005-2

Inhalt

Vorwort1. Einleitung2. Gegenstand der Untersuchung2.1 Darstellung und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands2.2 Typologie deutscher und schwedischer Kurzwörter2.2.1 Akronyme2.2.2 Kurzwörter im engeren Sinne2.2.3 Sonderfälle2.3 Abgrenzung des Phänomens2.4 Literaturüberblick2.4.1 Forschung zu deutschen Kurzwörtern2.4.2 Forschung zu schwedischen Kurzwörtern3. Vorgehensweise und erste Ergebnisse3.1 Zeitungskorpora3.2 Wörterbuchkorpora4. Phonologische Eigenschaften von Kurzwörtern4.1 Silbenzahl4.1.1 Deutsch4.1.2 Schwedisch4.2 Silbenstruktur4.2.1 Endsilben4.2.2 Die Silbenstruktur ganzer Kurzwörter4.3 Vergleich der silbischen Eigenschaften deutscher und schwedischer Kurzwörter4.4 Weitere Aspekte5. Die Pluralbildung von Kurzwörtern5.1 Die Pluralbildung deutscher Kurzwörter5.1.1 Die Pluralbildung im deutschen Normalwortschatz5.1.2 Die Pluralbildung im deutschen Kurzwortschatz5.2 Die Pluralbildung schwedischer Kurzwörter5.2.1 Die Pluralbildung im schwedischen Normalwortschatz5.2.2 Die Pluralbildung im schwedischen Kurzwortschatz5.3 Vergleich der Pluralbildung deutscher und schwedischer Kurzwörter6. Diskussion einzelsprachlicher Unterschiede6.1 Phonologische Unterschiede6.2 Grammatische Unterschiede6.3 Orthographische Unterschiede6.4 Die Integration weiterer peripherer Wortschatzeinheiten in den Untersuchungssprachen7. Fazit und AusblickLiteraturverzeichnisVerzeichnis der Symbole und AbkürzungenAnhangAnhang 1: Deutsches Zeitungskorpus (Süddeutsche Zeitung)Anhang 2: Deutsches Wörterbuchkorpus (Rechtschreib-Duden)Anhang 3: Schwedisches Zeitungskorpus (Dagens Nyheter)Anhang 4: Schwedisches Wörterbuchkorpus (Svenska Akademiens Ordlista)

Vorwort

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2015 an der Philosophischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen angenommen wurde. Den langen Weg zur abgeschlossenen Promotion haben viele Personen begleitet, denen ich danken möchte.

Irene Rapp hat mich schon während meines Studiums in meiner Leidenschaft für Sprachwissenschaft bestärkt. Ihr danke ich für das in mich das gesetzte Vertrauen und die Betreuung und Begutachtung meiner Arbeit.

Damaris Nübling danke ich dafür, dass sie trotz vielfältiger weiterer Aufgaben bereit war, die Zweitbegutachtung meiner Arbeit zu übernehmen, für viele konstruktive Hinweise und angenehme Begegnungen.

Stefanie Gropper hat mir im Studium der Skandinavistik viel Raum gegeben, meinen linguistischen Herzensthemen nachzugehen und mich auf dem Weg zur Promotion immer unterstützt, wofür ich ihr herzlich danke.

Elke Ronneberger-Sibold, Torsten Leuschner, Ruth Lemey und Damaris Nübling haben mir schwer zugängliche Literatur zur Verfügung gestellt – herzlichen Dank dafür.

Stefan Engelberg danke ich für hilfreiche Anmerkungen und seine Teilnahme am Promotionskolloqium.

Hans Raab und Charlotta Gullberg danke ich dafür, dass sie als schwedische Muttersprachler viele Fragen zum Kurzwortgebrauch beantwortet haben.

Ein besonders herzliches Dankeschön gilt Sebastian Veelken für das Betreiben von www.doktorandenforum.de, das mir immer wieder eine große Hilfe war. Ohne die Unterstützung meiner wunderbaren Mitstreiter im virtuellen Schreibtreff hätte ich diese Arbeit nicht abschließen können; ihnen danke ich von Herzen für Motivation und Gesellschaft.

Ich danke Matt Smith, der mir stets ein Vorbild an Durchhaltevermögen war, für seine Inspiration und Kreativität.

Johannes Hilliges und Dorothea Kuhmann danke ich für hilfreiche Gespräche.

All meinen Freunden danke ich dafür, dass sie mich auf dem Promotionsweg ermutigt und unterstützt haben.

Meinem Mann und meinen Kindern danke ich von Herzen für ihre fortwährende Unterstützung und ihre Geduld, die in manchen Arbeitsphasen stark strapaziert wurde.

1.Einleitung

Sowohl im Gegenwartsdeutschen als auch im Gegenwartsschwedischen sind Kurzwörter verschiedener Art wie dt. Abi < Abitur, Kripo < Kriminalpolizei und LKW < Lastkraftwagen oder schwed. mick < mikrofon, koll < kontroll und mc < motorcykel ‚Motorrad‘1 nicht nur im schriftlichen, sondern auch im mündlichen Sprachgebrauch ein häufiges Phänomen. Nachdem sie im 20. Jahrhundert von sprachpflegerischer Seite oft als Sprachverfall gegeißelt wurden, z.B. als „Hottentottensprache“ in Muttersprache (1927: 250) oder von Webinger (1944:108f.) als „Unart“, „Verkrüppelungen“ und „Verstümmelungen unserer heiligen Muttersprache“, sind Kurzwörter heutzutage in vielen Fällen selbstverständlicher Bestandteil der Kommunikation. Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Phänomen der Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen aus synchroner Sicht und untersucht anhand von eigens für diese Arbeit erstellten Kurzwortkorpora vor allem phonologische und grammatische Aspekte von Kurzwörtern in den Untersuchungssprachen.

Gerade schwedische Kurzwörter sind noch eher spärlich erforscht. Bis auf einige kürzere Arbeiten, die in Kapitel 2.4.2 vorgestellt werden, existieren keine detaillierten Beschreibungen schwedischer Kurzwörter. Besonders Untersuchungen, die auf einer größeren Datengrundlage basieren, waren bislang ein Desiderat (vgl. Nübling 2001:196, Nübling/Duke 2007:231). Die vorliegende Arbeit soll den Auftakt dazu bilden, diese Forschungslücke zu schließen und eine produktive Forschung zu schwedischen Kurzwörtern zu etablieren. Da diese Arbeit einen der ersten Schritte auf dem Weg zu einer empirisch begründeten schwedischen Kurzwortforschung darstellt, lag eine kontrastive Ausrichtung der Untersuchung nahe. Auf diese Weise können die Ergebnisse der deutschen Kurzwortforschung produktiv für das Schwedische genutzt werden. Aufgrund der engen Verwandtschaft mit dem Schwedischen und der Tatsache, dass zu deutschen Kurzwörter bereits eine produktive Forschung vorhanden ist, bot sich das Deutsche als Vergleichssprache an. Trotz der engen Verwandtschaft der Untersuchungssprachen zeigen sich neben Gemeinsamkeiten auch deutliche Unterschiede zwischen deutschen und schwedischen Kurzwörtern, die sowohl strukturelle und grammatische Aspekte betreffen als auch auf grundlegendere Unterschiede zwischen den Untersuchungssprachen zurückzuführen sind. Neben generellen Unterschieden im phonologischen System geht es dabei auch um die Frage, in welchem Umfang Kurzwörter und andere periphere Wortschatzelemente in das jeweilige Sprachsystem integriert werden. Aus praktischen Gründen beschränkt sich die Analyse auf die Standardvarietäten der Untersuchungssprachen, d.h. dialektale Besonderheiten und regionale Kurzwörter werden nicht berücksichtigt. Es liegt auf der Hand, dass in einer sprachvergleichenden Arbeit die Ausführungen zu den Einzelsprachen weniger detailliert ausfallen als bei einer Arbeit, die sich auf eine Untersuchungssprache beschränkt. Im Gegenzug lassen sich gewisse einzelsprachliche Charakteristika erst im Vergleich zu einer anderen Sprache deutlich erkennen.

Das Phänomen der Kurzwortbildung berührt faszinierenderweise sehr viele Teilbereiche der Sprachwissenschaft wie Phonologie, Morphologie, Semantik, Pragmatik, Lexikologie und Soziolinguistik, die allesamt zu detaillierten Betrachtungen einladen. Im Rahmen einer einzelnen Untersuchung ist es jedoch keinesfalls möglich, all diese Gesichtspunkte zu berücksichtigen, ohne dass die Diskussion in Oberflächlichkeiten verharrt. Statt eines Rundumschlags, der versucht ist, sämtliche interessanten Aspekte der Kurzwortbildung zu berücksichtigen, soll der Fokus vielmehr auf einige ausgewählte Punkte gelegt werden, die auf der Basis von eigens für diese Arbeit erstellten Korpora ausführlich diskutiert werden. Hierbei handelt es sich um die Fragen nach den präferierten phonologischen Strukturen bei Kurzwörtern in den Untersuchungssprachen sowie nach dem Verhalten von Kurzwörtern bei der Pluralflexion. Zu diesen Fragen werden jeweils detaillierte Korpusauswertungen vorgenommen, auf deren Grundlage Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Deutschen und dem Schwedischen diskutiert werden. Eine derartige Beschäftigung mit grundsätzlichen Fragen zu präferierten Strukturen bei Kurzwörtern ist notwendig und schafft die Voraussetzungen dafür, dass in späteren Arbeiten weitere Aspekte kontrastiv untersucht werden können.

Als übergeordnete Thematik hat sich dabei die Frage herauskristallisiert, in welchem Verhältnis Kurzwörter in den Untersuchungssprachen zueinander und zu den restlichen Lexemen des Wortschatzes der jeweiligen Sprache stehen. Zu diesem Zweck wird schließlich auch eine Analogie zu Fremdwörtern gezogen, womit gezeigt wird, dass Kurzwörter wie auch Fremdwörter zur Peripherie des Wortschatzes einer Sprache gehören und dass solche peripheren Lexeme in einzelnen Sprachen in unterschiedlichem Umfang in das Sprachsystem integriert werden. So ist das Schwedische im Hinblick auf diverse Aspekte wie Orthographie, Aussprache und Flexion weit integrativer als das Deutsche, das Kontraste zwischen peripheren und zentralen Wortschatzelementen weitgehend erhält.

Die vorliegende Untersuchung beginnt mit der Erläuterung des genauen Untersuchungsgegenstandes und der Vorgehensweise, ehe phonologische und grammatische Eigenschaften der gesammelten Kurzwortbelege ausgewertet werden und schließlich die Ergebnisse im Hinblick auf den Grad der Integration von Kurzwörtern in das jeweilige Sprachsystem der Untersuchungssprachen diskutiert werden. In Kapitel 2 wird zunächst der Untersuchungsgegenstand dargestellt und eine Typologie verschiedener Kurzworttypen vorgestellt, anhand derer sowohl die deutschen als auch die schwedischen Belege klassifiziert werden. Außerdem werden Kurzwörter von weiteren Phänomenen abgegrenzt, die in dieser Arbeit nicht behandelt werden. Schließlich folgt noch ein Überblick über die bisher erfolgte Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern, wobei besonderes Augenmerk auf die bislang wenig rezipierten schwedischen Arbeiten zur Kurzwortbildung gelegt wird. Dabei fällt auf, dass die in der deutschen Forschung verwendete Terminologie zwar nicht immer einheitlich ist, sich im Schwedischen dagegen bislang noch gar keine Kurzwortterminologie etablieren konnte, was auch daran liegt, dass das Phänomen der Kurzwortbildung im Schwedischen mitunter sehr unterschiedlich weit gefasst wird.

Darauf folgt in Kapitel 3 eine Darstellung der genauen Vorgehensweise bei der Erstellung der Kurzwortkorpora, die dieser Arbeit zugrunde liegen. Gleichzeitig werden erste Ergebnisse präsentiert, was die Häufigkeiten von Kurzwörtern insgesamt und die Verteilung einzelner Kurzworttypen in den Korpora angeht, wobei zentrale von weniger zentralen Kurzworttypen abgegrenzt werden. Der Großteil der Korpusauswertung erfolgt jedoch in den Kapiteln 4 und 5. Zunächst werden in Kapitel 4 phonologische Aspekte der in den Korpora enthaltenen Belege diskutiert, genauer gesagt die Silbenzahl und die Silbenstruktur, d.h. das Vorkommen von offenen und geschlossenen Silben. Dies führt zu der Feststellung, dass in den Kurzwortschätzen der Untersuchungssprachen tendenziell solche Strukturen bevorzugt werden, die einen Gegensatz zu den Lexemen der entsprechenden Normalwortschätze bilden. Diese Tendenz ist jedoch einzelsprachlich unterschiedlich stark ausgeprägt. Kapitel 5 widmet sich schließlich einem grammatischen Aspekt, nämlich der Pluralflexion, die besonders gut geeignet ist, um Unterschiede zwischen den Untersuchungssprachen und den Zusammenhang zwischen phonologischer Struktur und Pluralmarkierung aufzuzeigen. Hierzu werden die substantivischen Belege der Kurzwortkorpora ausgewertet und im Hinblick darauf untersucht, mit welchen Mitteln sie Plural markieren. Dabei zeigt sich, dass bei deutschen Kurzwörtern überwiegend andere Wege der Pluralmarkierung beschritten werden als im restlichen deutschen Sprachsystem. Statt des üblichen Reduktionssilbenplurals bilden deutsche Kurzwörter meist eine Pluralform mit dem Suffix -s. Bei dem Kurzworttyp der Buchstabierwörter wie LKW < Lastkraftwagen tritt außerdem eine weitere Besonderheit auf: Belege dieses Typs bilden häufig endungslose Pluralformen, was jedoch nicht dem im deutschen Pluralsystem bekannten Nullplural entspricht, sondern als Flexionslosigkeit, also eine Art Pseudo-Nullplural, einzustufen ist. Schwedische Kurzwörter nutzen zur Pluralmarkierung dagegen weitgehend die üblichen Mittel des schwedischen Pluralsystems und unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht wesentlich von anderen schwedischen Substantiven.

In Kapitel 6 werden schließlich die Ergebnisse der Auswertungskapitel zusammengeführt. Die in den vorigen Kapiteln festgestellten Kontraste zwischen den Untersuchungssprachen lassen sich auf tiefer liegende Unterschiede zurückführen. Im Hinblick auf silbenstrukturelle Präferenzen beruhen die Gegensätze darauf, dass das Deutsche eher als Akzent- oder Wortsprache, das Schwedische jedoch eher als Silbensprache anzusehen ist, in beiden Sprachen jedoch im Kurzwortschatz ein gewisser Gegenpol zum Normalwortschatz geschaffen werden soll. Die unterschiedliche Art der Pluralflexion von Kurzwörtern wird als Indiz dafür gesehen, zu welchem Grad Kurzwörter und andere periphere Wortschatzeinheiten in das deutsche und schwedische Sprachsystem integriert werden. Zu diesem Zweck wird eine ausführliche Analogie zu der Behandlung von Fremdwörtern in den Untersuchungssprachen hergestellt, die zeigt, dass Fremdwörter, die wie auch Kurzwörter zur Peripherie des Wortschatzes zu rechnen sind, in beiden Sprachen ähnlich wie Kurzwörter behandelt werden. Sowohl Kurzwörter als auch Fremdwörter zeigen im Deutschen deutlich stärkere Unterschiede zu zentraleren Wortschatzeinheiten als im Schwedischen, sodass man von Tendenzen zur Isolation peripherer Wortschatzeinheiten im Deutschen und von Tendenzen zur Integration derselben im Schwedischen sprechen kann. Kapitel 7 fasst schließlich die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Aspekte zur Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen, deren Erforschung lohnenswert wäre. Im Anhang sind abschließend die Belege der Kurzwortkorpora aufgeführt.

2.Gegenstand der Untersuchung

Um eine fundierte Diskussion der Eigenschaften von deutschen und schwedischen Kurzwörtern zu ermöglichen, müssen zunächst natürlich einige grundlegende Punkte geklärt werden. Daher widmet sich dieses Kapitel der Darstellung des genauen Untersuchungsgegenstandes und der Erläuterung der in dieser Arbeit verwendeten Kurzworttypologie sowie einer Abgrenzung von verwandten Prozessen, ehe schließlich ein Überblick über die bisher erfolgte Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern erfolgt.

2.1Darstellung und Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands

Zwischen Kurzwörtern und anderen Wortbildungsprodukten wie Komposita, Derivaten oder Konversionsprodukten bestehen fundamentale Unterschiede: Während bei den Wortbildungsverfahren Komposition und Derivation der Komplexitätsgrad zunimmt und bei der Konversion zumindest erhalten bleibt, ist ein Kurzwort weniger komplex als seine Ausgangsform, die im Folgenden Vollform genannt wird. Des Weiteren findet bei der Kurzwortbildung weder ein Wortartwechsel statt noch entsteht anfangs eine neue Bezeichnung. Aufgrund dieser Besonderheiten der Kurzwortbildung wird sie von einigen Autoren1 auch nicht zur Wortbildung gerechnet (z.B. Nübling 2001:169f., Fleischer/Barz 2007:52, Ronneberger-Sibold 2007:276) oder als Sonderfall derselben eingestuft (z.B. Kobler-Trill 1994:20). In anderen Arbeiten wird Kurzwortbildung dagegen als eigener „Wortbildungstyp“ (Schippan 1963:63) aufgefasst. Es ist die Rede von „subtraktiver Wortbildung“ (Bellmann 1977:142 und Fleischer 2000:894), „Reduktion“ (Greule 1996:203) oder „reduzierende[n] Wortbildungsarten“ (Donalies 2007:95). Zur Wortbildung wird Kurzwortbildung unter anderem auch bei Polenz (1980:170), Barz (2006:720) und Römer/Matzke (2010:157) gezählt. Wie im Laufe dieser Arbeit gezeigt werden wird, können sich Kurzwörter außer in der Wortlänge durchaus in etlichen Punkten von ihren Vollformen unterscheiden, weshalb ich Kurzwörter als Wortbildungsprodukte und nicht nur als bloße Varianten ihrer Vollformen betrachte, auch wenn die Kurzwortbildung ein weniger prototypisches Wortbildungsverfahren als beispielsweise Komposition und Derivation darstellt.2

Jedes Kurzwort wird aus einer längeren Vollform gebildet, die ein mehrsilbiges Lexem oder auch ein Syntagma wie dt. Gesellschaft mit beschränkter Haftung > GmbH oder schwed. automatisk databehandling > adb ‚elektronische Datenverarbeitung‘ sein kann. Aus dieser Vollform, die zumindest zum Zeitpunkt der Kurzwortbildung noch parallel zu dem betreffenden Kurzwort existiert, wird eine kürzere Form gebildet, die sich sowohl graphisch als auch lautlich von der längeren Vollform unterscheidet. Je nach Kurzworttyp können unterschiedliche Segmente der Vollform wie Buchstaben, Silbenteile, Silben oder Morpheme Bestandteil des Kurzworts werden. Die genaue Bildungsweise verschiedener Kurzworttypen in den Untersuchungssprachen wird in Kapitel 2.2 erläutert.

Dass ein Kurzwort und seine Vollform zumindest anfangs parallel im Wortschatz existieren, bedeutet, dass zunächst ein Synonym der Vollform entsteht. Wie eng diese Synonymie zu verstehen ist, wird in der Literatur sehr unterschiedlich gesehen. Für einige Autoren gehört die Synonymie von Kurzwort und Vollform zwingend zur Definition eines Kurzworts, so auch in der spärlich vorhandenen Literatur zu schwedischen Kurzwörtern (Wessén 1958:19, Tekniska Nomenklaturcentralen 1977:45). Bei deutschen Autoren ist die Rede von „semantischen Dubletten“ (Kobler-Trill 1994:20) und „Kurzwortvarianten“ (Bellmann 1980:374), die an Stelle der Vollform gebraucht werden können. Weber (2002:457) ist dagegen der Ansicht, ein Beharren auf eine mögliche Variation mit der Vollform enge „den Gegenstand unzweckmäßig ein, weil sie die semantisch interessanteren Fälle von vornherein ausklammert“. Michel (2011:159) nimmt wiederum ein Kontinuum zwischen totaler und partieller Synonymie von Kurzwort und entsprechender Vollform an, wobei die letztere laut Michel überwiegt. Die meisten Autoren gehen davon aus, dass sich Kurzwort und Vollform zumindest im Hinblick auf Konnotationen unterscheiden und daher auch nicht in allen Kontexten austauschbar sind. Völlige Synonymie zwischen Kurzwort und Vollform, die nicht nur den semantischen Gehalt, sondern auch Konnotationen, Stilebene, Register etc. umfasst, wird meines Wissens von keinem Autor postuliert. Wenn auch die Meinungen über den genauen Grad der anzunehmenden Synonymie auseinandergehen, herrscht doch weitgehend Einigkeit darüber, dass zwischen einem Kurzwort und seiner Vollform gewisse funktionale Unterschiede bestehen, sodass beide Formen eben nicht in sämtlichen Kontexten problemlos austauschbar sind.

In der Diskussion um die Synonymie von Kurzwort und Vollform wird meines Erachtens zu wenig berücksichtigt, dass das Verhältnis eines Kurzworts zu seiner Vollform nicht statisch, sondern dynamisch ist, worauf bereits Hofrichter (1977:19) hinweist. Wie alle Wortschatzeinheiten unterliegen sowohl Kurzwörter als auch ihre Vollformen einem gebrauchsbedingten Wandel (vgl. z.B. Bellmann 1980:380), d.h. die Inhaltsseite eines Kurzworts und/oder seiner Vollform kann sich durch einen bestimmten Sprachgebrauch oder zusätzliche Konnotationen verändern3, was auch die Synonymie zwischen den beiden Wortschatzeinheiten verändern bzw. sogar auflösen kann. Eine mögliche Verdrängung der Vollform, wie sie im Deutschen beispielsweise bei Kino < Kinematograph und im Schwedischen nahezu bei bil < automobil erfolgt ist, wird auch von diversen Autoren angesprochen (vgl. z.B. Pohl 1991, Schröder 2000:97f., Weber 2002) und wäre durchaus eine eigene, groß angelegte diachrone Untersuchung wert. Da der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit jedoch auf phonologischen und grammatischen Gesichtspunkten liegt, kann eine ausführliche Diskussion semantischer Aspekte der Kurzwortbildung in diesem Rahmen nicht erfolgen.

Gerade bei Eigennamen ist häufig zu beobachten, dass sich der Bezug der Kurzform4 zu seiner Langform auflöst. In etlichen Fällen ist die Vollform gar nicht mehr in Gebrauch, wie etwa bei dt. DEKRA < Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungsverein. Nicht einmal die DEKRA selbst verwendet heutzutage noch die Vollform ihres Namens. In diesem Fall hat außerdem ein Genuswechsel vom Maskulinum zum Femininum stattgefunden, was ein weiteres Indiz für die Verselbständigung dieser Kurzform ist. In einigen Fällen hat die Kurzform sogar eine Änderung der Vollform überdauert. So wurde die Organisation REFA1924 als Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung gegründet. Im Lauf der Jahre wurde der Verband mehrfach umbenannt, die Kürzung REFA jedoch beibehalten. Seit 1995 lautet der vollständige Name REFA – Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung e.V. und enthält demnach keinen Verweis mehr auf die ursprüngliche Vollform der Kürzung. Eine ähnliche Situation liegt bei dem schwedischen Beleg AMF < arbetsmarknadsförsäkring ‚schwed. Versicherung‘ vor. Die Vollform ist außer Gebrauch gekommen und der offizielle Name des Versicherungsunternehmens lautet inzwischen AMF Pensionsförsäkring AB. Solche Belege, bei denen synchron keinerlei Beziehung mehr zwischen Kurz- und Vollform festzustellen ist, wurden nicht in die Belegsammlung aufgenommen. In anderen Fällen ist dagegen der Bezug zur Vollform noch nicht völlig verblasst; derartige Belege wurden berücksichtigt, auch wenn davon auszugehen ist, dass die Relation zur Vollform irgendwann ganz verschwinden wird. Wie bei der Diskussion des Grades der Synonymie zwischen Kurzwort und Vollform bereits angeklungen ist, nehme ich generell an, dass die Beziehung eines Kurzworts zu seiner Vollform dynamisch und einem stetigen Wandel unterworfen ist. Einzelne Kurzwortbelege befinden sich demnach an unterschiedlichen Punkten auf einer Skala zwischen enger und völlig gelöster Beziehung zu ihrer Vollform. Eine detaillierte und systematische Darstellung solcher Loslösungsprozesse bleibt aktuell jedoch ein Desiderat für künftige Arbeiten mit einer stärkeren diachronen Ausrichtung.

Eigennamen werden in früheren Arbeiten zur Kurzwortbildung unterschiedlich behandelt. Nübling (2001:170) schließt diese z.B. explizit aus ihrer Betrachtung aus und konzentriert sich lediglich auf „Appellativa, die von reduktiven Techniken Gebrauch machen“. Andere Autoren wie Vieregge (1983), Greule (1996), Schröder (2000) oder Steinhauer (2007) untersuchen jedoch auch Eigennamen. Ronneberger-Sibold (1992:24) weist darauf hin, dass die Sprachbenutzer im Fall von Eigennamen nur eine geringe Freiheit haben, eine Kürzung zu akzeptieren oder zu verändern, da durch die Präsenz des Eigennamens in den Medien etc. „ein gewisser normativer Zwang“ bestehe. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass in den jeweiligen Einzelsprachen für Eigennamen und Appellativa dieselben Kürzungstechniken zur Verfügung stehen. Im Laufe dieser Arbeit zeigt sich, dass bei sämtlichen Kurzworttypen tatsächlich sowohl appellativische als auch propriale Belege vorkommen, bei der Verteilung jedoch starke Frequenzunterschiede bestehen.

Zwischen Eigennamen und Appellativa besteht ein wesentlicher Funktionsunterschied. Während Appellativa das Objekt, auf das sie referieren, gleichzeitig beschreiben, identifizieren Eigennamen es nur. Da Eigennamen keine Bedeutung oder lexikalische Semantik haben, referieren sie direkt und eindeutig auf den Namenträger (vgl. Nübling/Fahlbusch/Heuser 2012:28–38). Diese Unterschiede zwischen Eigennamen und Appellativa machen eine gesonderte Betrachtung sinnvoll, weshalb Eigennamen bei der Erstellung der Korpora als solche gekennzeichnet und in die Belegsammlungen aufgenommen wurden. Die in den deutschen und schwedischen Zeitungskorpora belegten Eigennamen sind überwiegend den Namenklassen der Objektnamen und Personennamen (z.B. dt. Schweini < Bastian Schweinsteiger, schwed. Bäckis < Nicklas Bäckström) zuzurechnen. Zu den Objektnamen zählen vor allem Namen von Unternehmen und Institutionen (z.B. dt. DJB < Deutscher Judo-Bund, schwed. ABF < Arbetarnas bildningsförbund). Aus Platzgründen liegt der Schwerpunkt der Analysen in den folgenden Kapiteln allerdings in erster Linie auf den Appellativa; es wird jedoch auch immer ein kurzer Ausblick auf die Situation bei den Eigennamen gegeben.

Die bisherige Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern wird in Kapitel 2.4 diskutiert. Eine längere, sprachvergleichende Untersuchung zur Kurzwortbildung in den beiden Sprachen liegt bislang allerdings noch nicht vor. Lediglich die kürzeren Arbeiten von Nübling (2001), Wahl (2002) und Nübling/Duke (2007) beschäftigen sich erstmals mit einem Vergleich deutscher und schwedischer Kurzwörter.5 Einige der in diesen Texten angesprochenen Punkte sollen in der vorliegenden Arbeit auf der Basis einer empirischen Grundlage ausführlich betrachtet werden. Durch die kontrastive Betrachtungsweise können einzelsprachliche Besonderheiten, was den Umgang der Untersuchungssprachen mit Kurzwörtern oder auch weiteren peripheren Lexikoneinheiten angeht, besser herausgearbeitet werden.

2.2Typologie deutscher und schwedischer Kurzwörter

Ehe in Kapitel 2.3 das Phänomen der Kurzwortbildung von verwandten Phänomenen abgegrenzt wird und in Kapitel 2.4 ein Überblick über die bisher erfolgte Forschung zu deutschen und schwedischen Kurzwörtern gegeben wird, soll zunächst die in dieser Arbeit verwendete Kurzworttypologie vorgestellt werden. Da bei der Diskussion der bisherigen Kurzwortforschung immer wieder einzelne Kurzworttypen zur Sprache kommen werden, ist es sinnvoll, dem Forschungsüberblick und der Abgrenzung des Phänomens eine Diskussion der einzelnen Kurzworttypen voranzustellen, sodass die in dieser Arbeit verwendete Terminologie geklärt ist und sich etwaige abweichende Einteilungen anderer Autoren besser einordnen lassen. Da sich besonders die deutsche Kurzwortforschung sehr intensiv mit Kurzworttypologien befasst hat, sind die Diskussion der Klassifikation und der dazu erfolgten Forschung natürlich eng miteinander verzahnt, wodurch sich einzelne Doppelungen nicht ausschließen lassen.

Was die Klassifizierung von Kurzwörtern betrifft, herrscht in der Forschungsliteratur keine Einigkeit. Im Wesentlichen lassen sich zwei Ansätze mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung unterscheiden, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Dem ersten Ansatz folgen für das Deutsche Autoren wie Bellmann (1980), Kobler-Trill (1994), die in ihren Arbeiten eine sehr differenzierte und komplexe Typologie der unterschiedlichen Typen von Kurzwörtern erstellt, und Fleischer/Barz (2007). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie vom Verhältnis von Kurz- und Vollform ausgehen und primär zwischen uni- und multisegmentalen Kurzwörtern unterscheiden, wobei Erstere aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform, Letztere aus mehreren diskontinuierlichen Elementen bestehen. Unisegmentale Kurzwörter werden weiter danach untergliedert, welcher Teil der Vollform als Kürzung erhalten bleibt und bilden dementsprechend Kopfwörter, Rumpfwörter und End- oder Schwanzwörter. Multisegmentale Kurzwörter werden häufig danach klassifiziert, welcher Art die aus der Vollform entnommenen Elemente sind, ob es sich beispielsweise um Initialen oder Silbenteile handelt, und danach, ob die Kurzwörter als Buchstabenfolge oder lautlich gebunden ausgesprochen werden. Zu kritisieren ist bei solchen Ansätzen vor allem die uneinheitliche Vorgehensweise, da für ein- und dieselbe Ebene der Hierarchie unterschiedliche Kriterien Anwendung finden. Bei unisegmentalen Kurzwörtern ist beispielsweise die Position in der Vollform ein Klassifizierungskriterium, bei den multisegmentalen Kurzwörtern dagegen unabhängig von der Position die Qualität des Segments – also Buchstabe, Silbe/Silbenteil oder Morphem – und die Aussprache.1

Im Gegensatz dazu richtet eine andere Forschungsrichtung ihr Augenmerk verstärkt auf die Struktur des Kürzungsproduktes, ohne jedoch den Kürzungsprozess auszuschließen. Dieser Ansatz findet sich erstmals bei Ronneberger-Sibold (1992) und wird von Nübling (2001) und Nübling/Duke (2007) aufgegriffen. Ebenso folgen Wahl (2002) sowie Leuschner (2008) der von Nübling modifizierten Klassifikation. Dieser Einteilung, die in den Arbeiten von Nübling, Wahl und Leuschner bereits auf schwedische Kurzwörter bezogen wurde, soll auch diese Arbeit folgen, da angesichts des in Kapitel 2.4 näher ausgeführten terminologischen Wirrwarrs die Etablierung einer zumindest annähernd einheitlichen Terminologie wünschenswert ist. Dies gilt in besonderem Maße für die Diskussion der noch wenig erforschten schwedischen Kurzwörter. Hier soll an die in den oben genannten Arbeiten erfolgte fruchtbare Diskussion angeknüpft und diese weitergeführt werden. Darüber hinaus erachte ich es für sinnvoll, auch den sprachlichen Output zu berücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass den Sprechern nahezu jedes sprachlich komplexe Material als Grundlage für eine Kürzung dienen kann und dass die Kürzungsprodukte bevorzugt eine bestimmte lautliche Gestalt aufweisen, die einzelsprachlich unterschiedlich sein kann. Daher sollte sich eine Klassifizierung nicht ausschließlich auf das Verhältnis von Kurz- und Vollform stützen, sondern die Struktur der Kurzwörter einbeziehen.2

Was die Terminologie angeht, treten die Vertreter dieses Ansatzes jedoch nicht für eine völlige Abkehr von etablierten Begriffen ein. Etliche Begriffe wie „Kopfwort“ für Kürzungen des Typs Abi < Abitur nehmen Bezug auf die Stelle, die das Kurzwort ursprünglich in der Vollform eingenommen hat. Dies führt dazu, dass die Unterschiede zwischen verschiedenen Typologien bei der Benennung einzelner Kurzworttypen häufig eher gering erscheinen und es diverse Überschneidungen zwischen Klassifikationsansätzen der verschiedenen Autoren gibt. Die Gegensätze zwischen einzelnen Ansätzen werden vor allem bei der Zuordnung mehrerer Kurzworttypen zu Kurzwortgruppen deutlich. Zu der Kurzwortgruppe der Kurzwörter im engeren Sinne bei Nübling (2001) gehören beispielsweise nicht nur unisegmentale Kurzwörter, sondern auch diskontinuierliche Kurzwörter wie Flak < Flugabwehrkanone, die aus verschiedenen Elementen der Vollform bestehen. In einer Typologie, die lediglich von der Beziehung des Kurzworts zur Vollform ausgeht, müssten solche Belege hingegen mit Buchstabierwörtern wie Kfz < Kraftfahrzeug gruppiert werden, die ebenfalls aus mehreren Segmenten der Vollform bestehen. Der Hauptunterschied liegt also in der Herangehensweise bei der Typologisierung: Während bei einer Klassifikation wie der von Kobler-Trill (1994) der Kürzungsprozess den alleinigen Ausgangspunkt der Klassifikation darstellt, wird bei den Ansätzen nach Ronneberger-Sibold (1992) außerdem das Kürzungsprodukt, also der Output des Kürzungsprozesses, berücksichtigt. Leuschner (2008:250) weist darauf hin, dass sich eine derartige den Output integrierende Typologie besonders gut für kontrastive Untersuchungen eignet, da sie genau die Kurzworttypen zu einer Kurzwortgruppe – diejenige der Kurzwörter im engeren Sinne – zusammenfasst, die bei Vergleichen phonologischer Aspekte die interessantesten Ergebnisse liefern. Daher nutzt auch die vorliegende sprachvergleichende Arbeit die in Nübling (2001:170–184) beschriebene Typologie, die in Tabelle 1 dargestellt ist.

Kurzwörter i.w.S

eigentliche Kürzungen

Akronyme

Buchstabierwörter

Lautinitialwörter

Silbeninitialwörter

Kurzwörter i.e.S.

Kopfwörter

Endwörter

diskontinuierliche Kurzwörter

Sonderfälle

Pseudoableitungen

Kürzungskomposita

gebundene Kürzungen

elliptische Kürzungen

Tabelle 1: Typologie deutscher Kurzwörter nach Nübling 2001:172

Die Unterscheidung zwischen eigentlichen Kürzungen und Sonderfällen als Zwischenebene geht auf Ronneberger-Sibold (1992) zurück, da sie neue, frei vorkommende Wortwurzeln von solchen Kürzungen unterscheidet, die entweder nur gebunden vorkommen, bei denen gleichzeitig Suffigierung erfolgt oder die nach morphologischen Gesichtspunkten gekürzt sind (vgl. Nübling 2001:172). Auch wenn diese Unterscheidung für die vorliegende Arbeit nicht zentral ist, erleichtert eine derartige Aufteilung der einzelnen Kurzworttypen in die Kurzwortgruppen Akronyme, Kurzwörter i.e.S. und Sonderfälle die Handhabung und wird daher beibehalten. Wenn in dieser Arbeit von Kurzwörtern die Rede ist, sind damit jedoch stets die Kurzwörter im weiteren Sinne – also sämtliche Kurzworttypen – gemeint. Wo nur Kurzwörter i.e.S. gemeint sind, wird dies explizit erwähnt.

Auch wenn Nüblings Einteilung aus Gründen der Kontinuität komplett übernommen wird, lassen sich doch vereinzelt Kritikpunkte vorbringen, die allerdings bereits auf Ronneberger-Sibolds (1992:7–17) Kategorisierung zurückgehen. So liegen den verschiedenen Kurzwortgruppen verschiedene Klassifizierungskriterien zugrunde. Die Kurzwörter im engeren Sinne gehen aus unterschiedlichen Kürzungsprozessen hervor, ähneln sich aber im Output und bilden daher eine Kurzwortgruppe. Silbeninitialwörter und Lautinitialwörter werden hingegen nach der Bildungsweise zu den Akronymen gerechnet, auch wenn sie strukturell mehr Gemeinsamkeiten mit den Kurzwörtern im engeren Sinne als mit Buchstabierwörtern aufweisen (vgl. das Kopfwort Sani < Sanitäter mit dem Silbeninitialwort Schiri < Schiedsrichter und dem Lautinitialwort Ufo < unbekanntes Flugobjekt).

Des Weiteren kann etwa der Begriff des Kürzungskompositums missverstanden werden. Zu verstehen ist er als Kompositum, dessen Erstglied aus einer Kürzung besteht. Er könnte jedoch auch dahingehend interpretiert werden, dass einem Kürzungskompositum ein Kompositum zugrunde liegen muss, das dann teilweise gekürzt wird. Diese Auffassung wäre jedoch unpräzise und würde nicht alle möglichen Fälle abdecken. Kürzungen wie E-Musik und H-Milch liegt zum Beispiel als Vollform kein Kompositum zugrunde, sondern die Phrase ernste Musik bzw. haltbare Milch. Auch im Schwedischen sind derartige Belege nicht zwangsläufig Kürzungen eines Kompositums, vgl. no-ämnen < naturorienterande ämnen ‚naturwissenschaftliche Schulfächer‘. Um der terminologischen Kontinuität willen wird der Begriff des Kürzungskompositums allerdings trotzdem beibehalten.

Auch der Typ der Silbeninitialwörter, bei anderen Autoren auch Silbenkurzwörter oder Silbenwörter genannt, muss kritisiert werden. Der Begriff impliziert, dass ganze Silben aus der Vollform in das Kurzwort eingehen, während dies jedoch äußerst selten der Fall ist. In der Regel besteht ein sogenanntes Silbenwort lediglich aus Silbenteilen der Vollform. In Schupo < Schutzpolizei wird beispielsweise von der ersten Silbe nur der Onset und der Silbenkern ohne die Koda übernommen; die vollständige erste Silbe der Vollform lautet Schutz. Gemeint ist mit diesem Begriff dagegen vermutlich, dass bei Kurzwörtern diesen Typs alle Silben des Kurzworts als Ganzes aus der Vollform entnommen wurden, was sich durch diesen Terminus jedoch nicht unmittelbar erschließt. Da aber trotz dieses Einwands die überwiegende Mehrheit der Autoren von Silbenwörtern, Silbeninitialwörtern oder Silbenkurzwörtern spricht, soll diese Begrifflichkeit auch in der vorliegenden Arbeit beibehalten werden und von Silbeninitialwörtern die Rede sein. Um den terminologischen Apparat nicht noch weiter zu belasten, wurden sämtliche Einzeltypen aus Nüblings Typologie mit ihren Bezeichnungen übernommen.

Während im Deutschen verschiedene ausdifferenzierte Typologien miteinander konkurrieren, existiert für das Schwedische keine einheitliche, etablierte Typologie. In der linguistischen Forschung zum Schwedischen wurde die Kurzwortbildung bislang generell nur wenig thematisiert (siehe dazu ausführlicher Kapitel 2.4.2). Im Hinblick auf die Terminologie ist die Situation im Schwedischen noch unklarer als im Deutschen, da dort verschiedene Begriffe wie „förkortning“, „stympning“, „avbrytning“, „ellipsord“, „initialord“ und „kortord“3 bei unterschiedlichen Autoren teilweise synonym oder auch als Ober- oder Unterbegriffe voneinander verwendet werden. Aus diesem Grund soll nach dem Vorbild von Nübling (2001) die für diese Arbeit etablierte deutsche Terminologie auch der Ausgangspunkt für die Analyse der schwedischen Belege sein. Wo in der Literatur bereits schwedische Termini für einen bestimmten Kurzworttyp vorgeschlagen wurden, werden diese im entsprechenden Unterkapitel erwähnt. In den folgenden Unterkapiteln sollen daher die in dieser Arbeit verwendeten Kurzworttypen nach Nübling (2001) anhand deutscher und schwedischer Beispiele vorgestellt werden.

2.2.1Akronyme

Zur Gruppe der Akronyme zählen nach Nübling (2001:171–174) Buchstabierwörter, Lautinitialwörter und Silbeninitialwörter. Gemeinsam ist diesen Typen, dass das Kurzwort aus mehreren initialen Segmenten der Vollform (Buchstaben, Lauten oder Silbenteilen) besteht. Nach der Terminologie von Kobler-Trill (1994) handelt es sich bei Akronymen durchweg um multisegmentale Kurzwörter. Bis auf den Typ der Silbeninitialwörter werden Akronyme kaum spontan im mündlichen Sprachgebrauch gebildet, sondern entstehen meist in der Schriftsprache, da zur Bildung von Akronymen in sehr viel höherem Maße Bezug auf die morphologische Ausgangsstruktur genommen werden muss als bei der Bildung von Kurzwörtern i.e.S. Ronneberger-Sibold (1992:64) formuliert es folgendermaßen: „Die Akronymie ist also in mehreren Hinsichten eine sehr viel intellektuellere Kürzungstechnik als die Bildung von Kurzwörtern1.“ Trotz der unterschiedlichen Bildungsweise unterscheiden sich Akronyme in vielen Punkten nicht grundlegend von Kurzwörtern im engeren Sinne. Im Lauf der Arbeit wird sich zeigen, dass Akronyme etwa in phonologischer Hinsicht zum Großteil die bei Kurzwörtern im engeren Sinne beobachteten Präferenzen teilen. Es ist also durchaus gerechtfertigt, sie als Teil der Kurzwortbildung zu betrachten.

2.2.1.1Buchstabierwörter

Bei Buchstabierwörtern werden die Anfangsbuchstaben von Bestandteilen der Vollform, zum Beispiel von Lexemen einer Wortgruppe oder Morphemen eines Kompositums, zu einem Kurzwort zusammengefügt und mit den entsprechenden Buchstabennamen ausgesprochen. Die Aussprache der Buchstaben des deutschen und schwedischen Alphabets ist in Tabelle 2 angegeben. Wie daraus zu erkennen ist, gibt es dabei bis auf wenige Unterschiede große Übereinstimmungen zwischen den Untersuchungssprachen. Im Deutschen haben 19 von 29, im Schwedischen sogar 22 von 29 Buchstabennamen einen vokalischen Auslaut. Dies ist besonders im Hinblick auf die Silbenstruktur der Kurzworttypen der Buchstabierwörter und Kürzungskomposita (siehe Kapitel 4.2) von Bedeutung, da Kurzwörter, die ganz oder teilweise mit Buchstabennamen gebildet werden, zwangsläufig einen hohen Anteil offener Silben enthalten.

das deutsche Alphabet1

das schwedische Alphabet

A [aː]

A [ɑː]

B [beː]

B [beː]

C [tseː]

C [seː]

D [deː]

D [deː]

E [eː]

E [eː]

F [ɛf]

F [ɛf]

G [geː]

G [geː]

H [haː]

H [hoː]

I [iː]

I [iː]

J [jɔt]

J [jiː]

K [kaː]

K [koː]

L [ɛl]

L [ɛl]

M [ɛm]

M [ɛm]

N [ɛn]

N [ɛn]

O [oː]

O [ɷː]

P [peː]

P [peː]

Q [kuː]

Q [kʉː]

R [ɛr]

R [ær]

S2[ɛs]

S [ɛs]

T [teː]

T [teː]

U [uː]

U [ʉː]

V [faʊ]

V [veː]

W [veː]

W3[ˇdɵbːɘl ̩veː]

X [iks]

X [ɛks]

Y ['ʏpsilɔn]

Y [yː]

Z [t͡sɛt]

Z [ˇsɛːta]

Ä [ɛː]

Å [oː]

Ö [øː]

Ä [ɛː]

Ü [yː]

Ö [øː]

Tabelle 2: deutsches und schwedisches Alphabet

Beispiele für propriale und appellativische deutsche und schwedische Buchstabierwörter finden sich in Tabelle 3. Dieser Kurzworttyp ist im Deutschen sehr produktiv und deutlich häufiger als im Schwedischen, wie in Kapitel 3 deutlich werden wird.

deutsche Buchstabierwörter

schwedische Buchstabierwörter

AOK < Allgemeine Ortskrankenkasse

AIK < Allmänna Idrottsklubben ‚allgemeiner Sportklub‘

GEZ < Gebühreneinzugszentrale

FP < Folkpartiet Liberalerna ‚Volkspartei die Liberalen‘

IHK < Industrie- und Handelskammer

KTH < Kungliga Tekniska Högskolan ‚Königlich Technische Hochschule‘

MG < Maschinengewehr

mc < motorcykel ‚Motorrad‘

Tabelle 3: deutsche und schwedische Buchstabierwörter

Typischerweise werden Eigennamen wie Namen von Organisationen auf diese Weise gebildet, z.B. dt. VDMA < Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau und schwed. LRF < Lantbrukarnas riksförbund ‚Reichsverband der Landwirte‘. Zum einen legen es deren oft sehr komplexe Vollformen nahe, eine gekürzte Form zu bilden, die in der Alltagskommunikation leichter zu handhaben ist. Des Weiteren ist die Akronymisierung eine Opakisierungsstrategie, mit der appellativische Interpretationen verhindert werden, die möglicherweise nicht mehr mit dem Referenten kompatibel sind, weil sich beispielsweise die Produktpalette oder die Ausrichtung der Organisation geändert hat.

Doch auch appellativische Buchstabierwörter werden in beiden Untersuchungssprachen durchaus gebildet, z.B. dt. AB < Anrufbeantworter oder schwed. vd < verkställande direktör ‚Geschäftsführer‘. Während diese im Deutschen recht häufig sind, ist ihre Frequenz im Schwedischen dagegen deutlich geringer; dort werden für Appellativa eher andere Kürzungsarten bevorzugt.

Im Schwedischen ist bei Belegen dieses Typs die Rede von „initialord“4 (z.B. bei Laurén 1972:3), „initialförkortningar“5 oder „akronymer“6, wobei in der gesamten Kurzwortterminologie im Schwedischen noch klare Abgrenzungen und etablierte Begrifflichkeiten fehlen, wie in Kapitel 2.4.2 erläutert wird.

Nübling (2001:173) weist darauf hin, dass das Schwedische einen Sondertyp der Buchstabierwörter kennt, bei dem die Schreibung der Aussprache angenähert wird, indem die Buchstabennamen ausgeschrieben werden. Das auch im Deutschen existierende Kurzwort TV < Television wird im Schwedischen demnach teve geschrieben. Dasselbe gilt für behå < bysthållare ‚Büstenhalter‘. Dieses Verfahren ist dem Deutschen nicht grundsätzlich unbekannt, wird jedoch bei Appellativa nicht angewandt. Es finden sich lediglich Beispiele für Eigennamen nach diesem Muster, so Vaude < von Dewitz und Edeka < Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin.

Ein weiterer Sonderfall der Buchstabierwörter, der bislang in der Forschungsliteratur noch nicht beschrieben wurde, ist im Schwedischen zu beobachten. Diese Belege, die ich hier als teilgebundene Buchstabierwörter bezeichnen möchte, werden wie gewöhnliche Buchstabierwörter gebildet, es wird jedoch nur ein Teil des Kurzworts mit Buchstabennamen ausgesprochen und ein weiterer Teil phonetisch gebunden, z.B. KTIB < Konsumenternas tele-, tv- och internetbyrå7 ‚Beratungsdienst für Medienkonsumenten‘ mit der Aussprache [koːtib] oder HSAN < Hälso- och sjukvårdens ansvarsnämnd ‚Amt für medizinische Verantwortung‘ mit der Aussprache [hoːsan]. Teilgebundene Buchstabierwörter stellen damit eine Art Mischung aus Buchstabierwörtern und Lautinitialwörtern dar. Bei sämtlichen in den Korpora dieser Arbeit verzeichneten Belegen dieses Typs handelt es sich um Eigennamen. Appellativa dieses Typs sind bislang nicht belegt.

2.2.1.2Lautinitialwörter

Die Bildungsweise von Lautinitialwörtern ist identisch mit der von Buchstabierwörtern; die beiden Typen unterscheiden sich lediglich in der Aussprache. Lautinitialwörter werden als phonetisch gebundene Wörter ausgesprochen. Auch dieser Typ kommt in beiden Sprachen vor, er ist allerdings deutlich seltener als die häufigen Buchstabierwörter, da seine Bildung sehr viel stärkeren Restriktionen unterliegt. Während innerhalb eines Buchstabierworts im Grunde alle Buchstabenkombinationen möglich sind, müssen bei der Bildung eines Lautinitialworts die Initialen der Vollform so gewählt werden, dass sie ein in der jeweiligen Sprache aussprechbares und phonologisch wohlgeformtes Wort ergeben. Tabelle 4 enthält Beispiele für propriale und appellativische deutsche und schwedische Lautinitialwörter.

deutsche Lautinitialwörter

schwedische Lautinitialwörter

APO < außerparlamentarische Opposition

Bris < Barnens rätt i samhället ‚schwed. Kinderschutzorganisation‘

Bams < Bild am Sonntag

Sifo < Svenska Institutet för opinionsundersökningar ‚schwed. Meinungsforschungsinstitut‘

GAU < größter anzunehmender Unfall

FoU < forskning och utveckling ‚Forschung und Entwicklung‘

Ufo < unbekanntes Flugobjekt1

vab < vård av sjukt barn ‚Freistellung von der Arbeit zur Pflege eines kranken Kindes‘

Tabelle 4: deutsche und schwedische Lautinitialwörter

In einigen Fällen wird nicht nur ein Anfangsbuchstabe, sondern ein etwas größerer Teil der Vollform übernommen. So wird etwa bei dt. AStA < Allgemeiner Studentenausschuss die silbeninitiale Konsonantenverbindung <st> übernommen.2 Dadurch bleibt der Zusammenhang zur Vollform besser erhalten, was bei der schriftlichen Kommunikation dem Leser die Verarbeitung erleichtert. Bei Belegen wie DEFA < Deutsche Film-AG wird neben reinen Initialen auch eine initiale Verbindung aus zwei Graphemen in die Kurzform übernommen, um deren Aussprechbarkeit als Lautinitialwort zu gewährleisten.3 Einen Sonderfall stellt der deutsche Beleg Dax < Deutscher Aktienindex dar. Hier gehen die Initialen der ersten beiden Morpheme der Vollform in das Kurzwort ein; statt der dritten Initiale enthält die Kurzform jedoch das finale Graphem <x>. Dadurch erhält das Lautinitialwort eine geschlossene statt eine offene Silbe. Es ist jedoch anzunehmen, dass in erster Linie die prägnantere Gestaltung des Schriftbilds ausschlaggebend für diese Bildungsweise war. Möglicherweise soll <x> Technik und Fortschritt evozieren.

Im Schwedischen werden Lautinitialwörter in der Regel wie auch Buchstabierwörter „initialord/initialförkortningar“4 oder „akronymer“5 genannt. Meist wird begrifflich nicht zwischen Buchstabierwörtern und Lautinitialwörtern differenziert. Interessanterweise spricht Laurén (1972:7) für das Schwedische nur bei Lautinitialwörtern von Akronymen: „akronymerna, dvs. initialord, där bokstavsföljden kan läsas som ett ord“6 und betont: „Man bör ytterligare observera att akronymer egentligen inte är liktydigt med initialord, utan endast en underavdelning av dem.“7 (3) Lauréns Kategorisierung dieser Kurzworttypen ist damit genau gegensätzlich zu der in dieser Arbeit vorgenommenen. Während bei ihm ein Akronym ein Untertyp eines Initialworts ist, ist in dieser Arbeit Akronym der Oberbegriff, unter dem verschiedene Arten von Initialwörtern zusammengefasst werden.

Durch die gebundene Aussprache beansprucht im Gegensatz zu den Buchstabierwörtern nicht jede aus der Vollform entnommene Initiale eine eigene Silbe, sodass hier Kurzwortbildungen mit einer geringeren Silbenzahl als im Fall der Buchstabierwörter entstehen. So sind auch einsilbige Lautinitialwörter möglich, während es zumindest im Deutschen keine einsilbigen Buchstabierwörter gibt, die aus nur einer Initiale bestehen müssten. Diese sind im Schwedischen belegt, aber auf die Parteinamen beschränkt (siehe dazu Kapitel 4.1.2). Bei einigen deutschen Kurzwörtern ist eine alternative Aussprache als Buchstabierwort oder als Lautinitialwort möglich, beispielsweise bei RAF < Rote Armee Fraktion oder FAZ < Frankfurter Allgemeine Zeitung. Für das Schwedische sind mir keine derartigen Beispiele bekannt.

Durch den Typ der Lautinitialwörter können beabsichtigt oder unbeabsichtigt Homonymien zu Lexemen des Normalwortschatzes entstehen, so beispielsweise dt. ERNA < Eigene Rufnummer-Ansage, was gerade bei Produkt- und Unternehmensnamen ein gern genutztes Mittel ist.

2.2.1.3Silbeninitialwörter

Als letzte Untergruppe der Akronyme sind schließlich die Silbeninitialwörter zu nennen, die anders als die anderen Akronymtypen primär in der gesprochenen Sprache entstehen. Dabei wird das Kurzwort aus mehreren initialen Silben (z.B. dt. Kripo < Kriminalpolizei) oder Silbenteilen (dt. Schiri < Schiedsrichter) von verschiedenen Konstituenten der Vollform gebildet. In manchen Fällen werden auch Teile übernommen, die etwas mehr als eine Silbe umfassen (z.B. dt. Europol < Europäisches Polizeiamt, schwed. komvux < kommunal vuxen­utbildning ‚kommunale Erwachsenenbildung‘).1 Im Deutschen ist dieser Typ auf verschiedenen sprachlichen Ebenen sehr produktiv und erzeugt neben vielen Augenblicksbildungen wie Wama < Waschmaschine auch eine Vielzahl von Eigennamen wie Kikuwe < Kinder-Kultur-Werkstatt und Beki < Landesinitiative Bewusste Kinderernährung. Ein Blick auf die schwedischen Daten ergibt jedoch ein anderes Bild. Hier finden sich nur sehr wenige Belege nach diesem Bildungsmuster. Dennoch sind Silbeninitialwörter kein „ausschließlich deutsches Phänomen“, wie Nübling (2001:173) meint. Die Frequenz der Silbeninitialwörter ist im Schwedischen zwar sehr niedrig; das Vorkommen der Belege zeigt jedoch, dass die Bildung dieses Kurzworttyps nicht per se unmöglich ist, sondern lediglich andere Bildungen präferiert werden. Etwas vorsichtiger formuliert Wahl (2002:49) und spricht von einer „Randerscheinung“ im Schwedischen. Die geringe Verbreitung dieses Typs im Schwedischen dürfte der Grund dafür sein, dass es keinen speziellen Terminus für diesen Kurzworttyp gibt, sondern Belege dieser Art von Laurén (1976:321) unter „kombinationer av olika reduktioner“2 aufgeführt werden. Damit fasst Laurén Silbeninitialwörter nicht als als eigenständigen Kurzworttyp mit eigener Bildungsweise auf, sondern als Ausnahme, bei der mehrere der regulären Kürzungsverfahren kombiniert werden.

Bei der Bildung von Silbeninitialwörtern scheint es in noch höherem Maße als bei den Buchstabier- und Lautinitialwörtern von der phonologischen Struktur abzuhängen, welche Teile der Vollform letztlich Eingang in das Kurzwort finden.

deutsche Silbeninitialwörter

schwedische Silbeninitialwörter

Kita < Kindertagesstätte

flextid < flexibel arbetstid ‚flexible Arbeitszeit‘

Juso < Jungsozialist

genrep < generalrepetition ‚Generalprobe‘

Mofa < Motorfahrrad

kombo < kompisboende ‚Mitbewohner‘

Trafo < Transformator

säpo < säkerhetspolisen ‚schwed. Nachrichtendienst‘

Tabelle 5: deutsche und schwedische Silbeninitialwörter

2.2.2Kurzwörter im engeren Sinne

Zu den Kurzwörtern im engeren Sinne zählen bei Nübling (2001:172) Kopfwörter, Endwörter und diskontinuierliche Kurzwörter. Bei Kopf- und Endwörtern handelt es sich um unisegmentale Kurzwörter, die aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform bestehen. Der Typ der diskontinuierlichen Kurzwörter ähnelt diesen Typen im Output sehr, weshalb er vermutlich schon bei Ronneberger-Sibold (1992:8) zur selben Obergruppe gezählt wird. In der Bildungsweise unterscheidet er sich dadurch, dass das Kurzwort nicht nur aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform, sondern aus mehreren diskontinuierlichen Teilen besteht. Im Bezug auf die Bildungsweise ist die Gruppe der Kurzwörter im engeren Sinne also heterogen. Die Gestalt der einzelnen Typen weist jedoch große Ähnlichkeiten auf, weshalb sie im Sinne einer Typologie, die auch den Output berücksichtigt, zu einer Kurzwortgruppe zusammengefasst werden.

Eine hohe Übereinstimmung besteht auch zwischen der phonologischen Struktur von Kopfwörtern und Silbeninitialwörtern. In Kapitel 4 zeigt sich, dass unterschiedliche Verfahren der Kurzwortbildung ähnliche Outputs erzeugen. Welches Kürzungsverfahren im Einzelfall zur Anwendung kommt, scheint also von Material und Struktur der Vollform abzuhängen, lässt sich aber nicht immer abschließend klären.

Aufgrund ihrer einfacheren Bildungsweise sind Kurzwörter i.e.S. nicht zwangsläufig auf eine schriftliche Vorlage angewiesen, sondern können auch im mündlichen Sprachgebrauch entstehen. Häufig sind sie stark nähesprachlich im Sinne von Koch/Oesterreicher (1985).

2.2.2.1Kopfwörter

Der weitaus häufigste Typ der Kurzwörter im engeren Sinne sind Kopfwörter. Sie entstehen durch eine Art Apokope, d.h. das hintere Segment der Vollform fällt ohne Rücksicht auf Morphemgrenzen weg. Das Kurzwort besteht also aus dem kontinuierlichen verbleibenden Anfangsteil. In beiden Untersuchungssprachen können sowohl Eigennamen wie dt. Katha < Katharina oder schwed. Carro < Carolina – oft Rufnamen in hypokoristischer Funktion oder Toponyme – als auch Appellativa auf diese Weise gekürzt werden (siehe Tabelle 6).

deutsche Kopfwörter

schwedische Kopfwörter

Kö < Königsallee

Åtvid < Åtvidabergs Fotbollförening

Abo < Abonnement

cigg < cigarett

Mathe < Mathematik

temp < temperatur

Navi < Navigationsgerät

vicka < vikariera ‚vertreten‘

Tabelle 6: deutsche und schwedische Kopfwörter

Formale Ähnlichkeiten bestehen besonders zwischen deutschen Kopfwörtern und manchen Silbeninitialwörtern und Pseudoableitungen (vgl. Nübling 2001:174f.), was wiederum bestätigt, dass ein Großteil der gesamten Kurzwortbildung ähnliche Strukturen erzeugt.1 Eventuell haben im Deutschen auf -i endende Kopfwörter wie Zivi < Zivildienstleistender die Entstehung von Pseudoableitungen auf -i wie Pulli < Pullover durch Analogiebildung begünstigt.

Für das Schwedische spricht Laurén (1976:311) im Hinblick auf Kopfwörter von „kortord“2, die durch „final reduktion“3 entstanden sind. Er kommt zwar darauf zu sprechen, dass Kürzungen mit oder ohne Rücksicht auf Morphemgrenzen erfolgen können, leitet daraus aber keine unterschiedlichen Kurzworttypen ab. Andere schwedische Bezeichnungen für Kopfwörter sind „avbrytning“4 (z.B. bei Svenblad 2003:XI) oder „ellips“ (z.B. bei Malmgren 1994:72).

Ein interessanter Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Schwedischen betrifft die Wortarten, die Kopfwörter bilden können. Deutsche Kopfwörter sind fast ausschließlich Substantive. Daneben gibt es nur sehr wenige Adjektive depri < deprimiert, die jedoch eine eingeschränkte Flexion und Syntax aufweisen, d.h. sie sind nicht flektierbar und können nur prädikativ vorkommen. Im Schwedischen machen Substantive zwar ebenfalls den größten Teil der Kopfwörter aus, doch auch verbale Kopfwörter wie bomba < bombardera ‚bombardieren‘ und galva < galvanisera ‚galvanisieren‘ sind nicht selten. Generell ist die Kurzwortbildung im Schwedischen nicht so stark auf Substantive beschränkt wie im Deutschen. Diese Offenheit gegenüber verschiedenen Wortarten deckt sich insofern mit dem Bild, das sich im Lauf dieser Arbeit von der schwedischen Kurzwortbildung ergeben wird, als sie sich in verschiedener Hinsicht deutlich flexibler zeigt als die deutsche.

2.2.2.2Endwörter

Das Gegenstück zu Kopfwörtern bilden Endwörter, von manchen Autoren auch als Schwanzwörter bezeichnet: Sie entstehen durch eine Art Aphärese, d.h. der vordere Teil der Vollform wird ohne Berücksichtigung von Morphemgrenzen getilgt. Derartige Bildungen sind in beiden Untersuchungssprachen nur marginal vertreten. Besonders für das Deutsche ist fraglich, ob es sich hierbei überhaupt um einen produktiven Kurzworttyp handelt, da es keine Belege für genuin deutsche Endwörter gibt.1 Sämtliche mir bekannten deutschen appellativischen Endwörter können auch als Lehnkurzwörter interpretiert werden, die bereits gekürzt oder zusätzlich zu ihrer Vollform entlehnt wurden. Dies gilt beispielsweise für die häufig angeführten Belege Bus < Omnibus oder Cello < Violoncello oder auch Fax < Telefax. Eine gewisse Produktivität bei Endwörtern lässt sich im Deutschen am ehesten für Personennamen annehmen, da manche Rufnamen wie Lotte < Charlotte oder Tina < Bettina zu Endwörtern gekürzt werden.

Im Schwedischen werden Endwörter oft nicht von Kopfwörtern abgegrenzt und ebenfalls als „avbrytning“2 oder „ellips“ bezeichnet. Für Laurén (1976:304) sind diese Kurzwörter „kortord“3 durch „initial reduktion“4. Endwörter sind im Schwedischen etwas häufiger als im Deutschen und können nicht immer als Lehnkurzwörter interpretiert werden, was dafür spricht, dass durch diesen Kürzungstyp tatsächlich produktiv Kurzwörter entstehen können, wenngleich dieser Prozess marginal bleibt. Bei sämtlichen schwedischen Belegen bleiben die endbetonten Segmente der Vollform erhalten. In Tabelle 7 sind deutsche und schwedische appellativische Endwörter zusammengestellt, wobei für die deutschen Belege wie gesagt die Einschränkung gilt, dass dieser Typ vermutlich nicht produktiv ist und die Belege auch als Lehnkurzwörter interpretiert werden könnten.

deutsche Endwörter

schwedische Endwörter

Bus < Omnibus

bil < automobil ‚Auto‘

Cello < Violoncello

goja < papegoja ‚Papagei‘

Fax < Telefax

sessa < prinsessa ‚Prinzessin‘

Tabelle 7: deutsche und schwedische Endwörter

Ein noch seltenerer Typ von kontinuierlichen Kurzwörtern ist das sogenannte Rumpfwort (vgl. Kobler-Trill 1994:64f.), bei dem lediglich ein mittlerer Teil der Vollform erhalten bleibt. Beispiele hierfür beschränken sich im Deutschen auf Kürzungen von Rufnamen wie Basti < Sebastian und Lisa < Elisabeth. Im Schwedischen ist die Situation ähnlich; es lassen sich nur sehr wenige Belege unter den Appellativa finden, nämlich komp < ackompanjemang ‚Begleitung‘ und kollo < barnkoloni ‚Ferienlager‘, die bei Laurén (1976:321) unter „kombinationer av olika reduktioner“5 fallen. In allen Fällen bleibt der Teil erhalten, der den Hauptakzent trägt. Von den angeführten Beispielen ist allerdings lediglich komp ein eindeutiges Rumpfwort; bei kollo ist auch eine andere Bildungsweise denkbar. Es könnte auch durch eine elliptische Kürzung6 von barnkoloni zu koloni und eine anschließende Reduzierung auf ein Kopfwort entstanden sein. Da der Typ der Rumpfwörter so marginal ist und nicht produktiv zu sein scheint, soll er im Weiteren außen vor bleiben und wurde auch nicht als eigener Kurzworttyp in die Typologie aufgenommen.

2.2.2.3Diskontinuierliche Kurzwörter

Anders als Kopf- und Endwörter bestehen diskontinuierliche Kurzwörter nicht aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform. Meist wird ein Anfangsteil der Vollform, der mehr oder weniger als die erste Silbe umfassen kann, mit einem weiteren der Vollform entnommenen Segment kombiniert. Die Bildungsweise ist also nicht einheitlich; auf Morphem- oder Silbengrenzen scheint keine Rücksicht genommen zu werden. Vermutlich ist die Schaffung eines phonologisch wohlgeformten Outputs das Hauptkriterium dafür, welche Segmente der Vollform übernommen werden. Auch dieser Typ, für den in Tabelle 8 propriale und appellativische Beispiele zusammengestellt sind, ist im Deutschen und Schwedischen relativ selten, was bedeutet, dass die Kopfwörter die prototypischen Vertreter der Kurzwörter im engeren Sinne sind.

deutsche diskontinuierliche Kurzwörter

schwedische diskontinuierliche Kurzwörter

taz < die Tageszeitung

Skop < Skandinavisk Opinion Aktiebolag

Epo < Erythropoetin

koll < kontroll

Flak < Flugabwehrkanone

milo < militärområde ‚Militärgebiet‘

Krad < Kraftrad

synka < synkronisera ‚synchronisieren‘

Tabelle 8: deutsche und schwedische diskontinuierliche Kurzwörter

Der schwedische Begriff „teleskopord“1 deckt den Teil der diskontinuierlichen Kurzwörter ab, bei denen Segmente von Anfang und Ende der Vollform kombiniert werden, z.B. moped < motorvelociped. Einen weiter gefassten Begriff, der den Kurzworttyp der diskontinuierlichen Kurzwörter wie in dieser Typologie definiert bezeichnet, gibt es im Schwedischen nicht. Entsprechende Belege werden allgemein als „ellips“ oder „kortord“2 betitelt. Für Laurén (1976) sind derartige Beispiele „kortord“ durch „medial reduktion“ (306)3 oder „kombinationer av olika reduktioner“4 (321).

Zuweilen werden manche der eigentlich den diskontinuierlichen Kurzwörtern zuzurechnenden Belege wie stins < stationsinspektör ‚Bahnhofsvorsteher‘ und pryo < praktisk yrkesorientering ‚berufsorientierende Praktika‘ fälschlicherweise zu den Lautinitialwörtern gezählt. Im Fall von stins werden aus der Vollform jedoch deutlich mehr als die Initialen entnommen. Vom ersten Morphem {stations} werden die ersten beiden Grapheme übernommen, vom zweiten Teil der Vollform jedoch ein noch größerer Teil. Die Graphemfolge <ins> steht zwar am Anfang des Morphems {inspektör}, macht aber letztlich sogar mehr als eine ganze Silbe aus und kann somit eigentlich nicht mehr als Initiale bezeichnet werden. Wenn es sich nicht um ein Lautinitialwort handelt, muss dieser Beleg demnach als diskontinuierliches Kurzwort analysiert werden. Ein ähnlicher Fall liegt bei dem Beleg pryo vor. Auch hier umfasst das anlautende <pr> mehr als eine Initiale, weshalb auch dieser Beleg meiner Meinung nach zu den diskontinuierlichen Kurzwörtern gerechnet werden sollte, wenn auch dieser Fall weniger eindeutig ist als stins.

Bei den schwedischen Belegen fällt wieder auf, dass neben Substantiven weitere Wortarten diskontinuierliche Kurzwörter bilden. Adjektive wie deppad < deprimerad ‚deprimiert‘ sind dabei eher selten, doch Verben wie gratta < gratulera ‚gratulieren‘ und impa < imponera ‚imponieren‘ sind unter den diskontinuierlichen Kurzwörtern relativ häufig.

2.2.3Sonderfälle

Neben den Gruppen der Akronyme und der Kurzwörter im engeren Sinne führt Nübling (2001) die Gruppe der Sonderfälle an. Hier sind diejenigen Kurzworttypen zusammengefasst, bei deren Bildung neben der Kürzung auch andere Prozesse eine Rolle spielen oder die distributionelle Besonderheiten aufweisen. Diese Gruppe ist sehr heterogen, da die Gemeinsamkeit der darin enthaltenen Typen in erster Linie darin besteht, dass sie sich von den Gruppen der Akronyme und der Kurzwörter i.e.S. deutlich unterscheiden.

Die Sonderfälle umfassen Pseudoableitungen, bei denen Suffigierung und Kürzung gleichzeitig eintreten, Kürzungskomposita und gebundene Kürzungen, deren Distribution eingeschränkt ist, sowie elliptische Kürzungen, bei denen semantische Gesichtspunkte einen stärkeren Einfluss auf den Output haben als phonologische.

2.2.3.1Pseudoableitungen

Pseudoableitungen sind ein in beiden untersuchten Sprachen äußerst verbreitetes und produktives Phänomen. Bei einer Pseudoableitung „wird von der Vollform i.d.R. unisegmental eine einsilbige, konsonantisch auslautende Kopfform gebildet und diese im Deutschen mit -i, im Schwedischen mit -is suffigiert“ (Nübling 2001:176). Mögliche Suffixe sind nicht nur -i bzw. -is, sondern im Deutschen auch -o (Realpolitiker < Realo), -e (Lesbe < Lesbierin), -er (Elfer < Elfmeter) und seltener -a (Reala < Realpolitikerin) sowie im Schwedischen -o (fyllo < fyllerist ‚Säufer‘), -e (sosse < socialdemokrat) und -a (bibbla < bibliotek). Im Vergleich zu der großen Menge an Pseudoableitungen auf -i bzw. -is bleiben Bildungen mit anderen Suffixen jedoch marginal; daher soll in erster Linie auf Erstere eingegangen werden.1 Als zugrunde liegende Formen können Lexeme unterschiedlicher Wortarten dienen; die Resultate sind in beiden Sprachen jedoch überwiegend Substantive, wenn auch Adjektive möglich sind, die aber nicht flektierbar sind und nur prädikativ verwendet werden (dt. supi < super, logo < logisch und schwed. avis < avundsjuk ‚eifersüchtig‘, pretto < pretentiös ‚arrogant‘). Des Weiteren existieren im Schwedischen auch Interjektionen als Pseudoableitungen; diese beschränken sich meines Wissens aber auf die beiden viel zitierten Beispiele grattis < gratulerar ‚Glückwunsch‘ und tjänis/tjenis < tjänare ‚Servus‘ und sind eher als Randerscheinungen einzustufen.

Wie auch die meisten Kurzwörter i.e.S. entstammen Pseudoableitungen dem mündlichen Sprachgebrauch; zudem sind sie besonders nähesprachlich. Kotsinas (2003b:9) ordnet zumindest neue Pseudoableitungen sogar dem Slang zu, wenngleich sie darauf hinweist, dass die Lexeme bei häufigem Gebrauch solche diastratischen Merkmale mit der Zeit verlieren können. Sehr häufig bezeichnen Pseudoableitungen Personen (dt. Ami < Amerikaner, schwed. kändis < känd person ‚Prominente(r)‘), häufig werden sie auch zu Personennamen (dt. Andi < Andreas, schwed. Sigge < Sigvard) gebildet. Dabei enthalten sie oft eine hypokoristische (dt. Schweini < Bastian Schweinsteiger oder schwed. Bäckis < Nicklas Bäckström) oder auch pejorative Note (dt. Transe < Transvestit, schwed. transa < transvestit). Weitere Beispiele für propriale und appellativische Pseudoableitungen im Deutschen und Schwedischen sind in Tabelle 9 zusammengestellt.

deutsche Pseudoableitungen

schwedische Pseudoableitungen

Poldi < Lukas Podolski

Svennis < Sven-Göran Eriksson

Fundi < Fundamentalist

kondis < konditori ‚Konditorei‘

Hunni < Hunderteuroschein

multis < multinationellt företag ‚multinationales Unternehmen‘

Ossi < Ostdeutscher

stammis < stammkund ‚Stammkunde‘

Tabelle 9: deutsche und schwedische Pseudoableitungen

Laurén (1976:316) ordnet Pseudoableitungen unter „final reduktion“2 ein, d.h. in derselben Kategorie wie Kopfwörter, weist jedoch darauf hin, dass genauere Untersuchungen dieses Phänomens erforderlich sind. Nübling (2001:176) spricht von „förkortning och suffixavledning“3, womit die beiden bei Pseudoableitung gleichzeitig stattfindenden Prozesse benannt werden. Ansonsten ist in der schwedischen Literatur von „is-ord“4 die Rede (z.B. bei Inghult 1968), wobei dieser Terminus die anderen möglichen Suffixe ausklammert.

Sowohl im Deutschen als auch im Schwedischen gibt es i- bzw. -is-Bildungen, die nicht auf einer Kürzung beruhen, sondern bei denen das Suffix direkt an ein ungekürztes Lexem tritt, z.B. dt. Schlaffi < schlaff, Hirni < Hirn und schwed. tjockis ‚dicker Mensch‘ < tjock ‚dick‘, mjukis ‚Kuscheltier‘ < mjuk ‚weich‘. Diese Bildungen werden in dieser Arbeit jedoch nicht berücksichtigt, da es sich dabei um reine Suffigierungen ohne Kürzungsvorgang handelt und man folglich auch nicht von Kurzwörtern sprechen kann. Dadurch, dass i- und is-Bildungen mit und ohne Kürzung vorkommen können, handelt es sich hier um einen Grenzbereich der Kurzwortbildung, d.h. Pseudoableitungen stellen keine prototypischen Kurzwörter dar.

Wie bei der Diskussion der Kopfwörter bereits angeklungen ist, weisen deutsche Pseudoableitungen formale Ähnlichkeit mit manchen auf -i auslautenden Kopfwörtern wie Abi < Abitur und Zivi < Zivildienstleistender auf. Anhand formaler Kriterien lässt sich in solchen Fällen nicht eindeutig klären, ob es sich um Kopfwörter oder suffigierte Kürzungen handelt. Da eine Suffigierung in solchen Fällen nicht nachweisbar ist, sollen nach Nübling (2001:176) derartige Belege als Kopfwörter eingestuft werden. Es wäre in weiteren Arbeiten zu prüfen, inwieweit hier Analogiebildung eine Rolle spielt, da eventuell hochfrequente Kopfwörter auf -i zu der Produktivität der Pseudoableitungen beigetragen haben könnten. Für das Schwedische, das keine auf -is endenden Kopfwörter kennt, kommt dieser Erklärungsansatz für die hohe Produktivität der Pseudoableitungen nicht in Frage.

2.2.3.2Kürzungskomposita

Kürzungskomposita sind ebenfalls in beiden Untersuchungssprachen verbreitet. In den meisten Fällen ist die Vollform dieser Kurzwörter ein Kompositum; sie kann allerdings auch eine Wortgruppe sein. Charakteristisch für Kürzungskomposita ist nun, dass der erste Teil des Kompositums oder der Wortgruppe akronymisch auf einen oder mehreren Buchstaben gekürzt wird und der zweite Teil ungekürzt bleibt (siehe Tabelle 10). In beiden Untersuchungssprachen besteht der gekürzte Teil in den allermeisten Fällen aus ein oder zwei Buchstaben; es finden sich lediglich im Deutschen wenige Belege mit einem auf drei Buchstaben gekürzten Erstglied wie ABC-Waffen < atomare, biologische und chemische Waffen.

Der gekürzte Teil eines Kürzungskompositums wird mit den Buchstabennamen ausgesprochen und kann nicht isoliert vorkommen. Als Kürzungskompositum wird daher das gesamte Kompositum und nicht nur der gekürzte Teil betrachtet. Die Bildungsweise von Kürzungskomposita ist nicht rein phonologisch bedingt, sondern berücksichtigt Morphemgrenzen, da eine oder mehrere Initialen von Morphemen der Vollform den ersten Teil des Kürzungskompositums bilden und das Zweitglied ein ganzes Morphem der Vollform ist. Die beiden Teile eines Kürzungskompositums werden meist durch einen Bindestrich verbunden. Im Deutschen werden die gekürzten Teile groß geschrieben; im Schwedischen kann die Orthographie zum Teil schwanken. Dort ist es bei einigen stark in den Normalwortschatz1 integrierten Kürzungskomposita möglich, auf den Bindestrich zu verzichten und sie bezüglich der Schreibung dem Normalwortschatz anzugleichen, z.B. ubåt < undervattensbåt ‚Unterseeboot‘.

deutsche Kürzungskomposita

schwedische Kürzungskomposita

D-Radio < Deutschlandradio

a-kassa < arbetslöshetskassa ‚Arbeitslosenkasse‘

AT-Motor < Austauschmotor

f-skatt < företagsskatt ‚Unternehmenssteuer‘

O-Saft < Orangensaft

i-land < industriland ‚Industriestaat‘

P-Konto < Pfändungsschutzkonto

so-ämne < samhällsorienterade ämne ‚gemeinschaftskundliches Schulfach‘

Tabelle 10: deutsche und schwedische Kürzungskomposita

Da der gekürzte Teil meist bis auf eine oder zwei Initialen gekürzt wird, entstehen sehr viele Homonyme zwischen den gekürzten Teilen (z.B. dt. U-Boot < Unterseeboot, U-Haft < Untersuchungshaft; schwed. p-piller < preventivpiller ‚Antibabypille‘, p-plats < parkeringsplats ‚Parkplatz‘). Die Existenz eines Zweitglieds verhindert jedoch, dass es dabei zu ernsthaften Verständnisschwierigkeiten kommt.