Küsse am Wiener Kongress - Sophia Farago - E-Book

Küsse am Wiener Kongress E-Book

Sophia Farago

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Beschreibung

Napoleon ist geschlagen und hat sich ins Exil auf die Insel Elba zurückgezogen. Zahlreiche gekrönte Häupter und Vertreter der Spitzendiplomatie reisen 1814 nach Wien, um über die Zukunft Europas zu verhandeln. So auch Bertram Barnett, der junge Viscount of Panswick, der den verwitweten Herzog of Landmark als Adjutant begleitet. Auch Bertrams Cousine Agatha will dringend nach Wien, da sie hofft, dort ihre verschwundene Schwester wiederzufinden. Sie begleitet die beiden Herren, um an der Tafel des Herzoges als Gastgeberin zu fungieren und sich auch um dessen dreizehnjährige Tochter Lizzy zu kümmern. Ob sie dem wohl auch zugestimmt hätte, hätte sie gewusst, dass sie sich mit Landmark vom ersten Tag der Reise an, in den Haaren liegen würde? Er ist voller Standesdünkel und in alten Traditionen verhaftet, sie selbstbewusst, weitgereist und gebildet. Da bittet sie der Herzog, aus rein praktischen Überlegungen, um ihre Hand und Agatha, die sich längst in ihn verliebt hat, beschließt, Bedingungen zu stellen und ihn zappeln zu lassen. Auch Bertram hört die Hochzeitsglocken klingen. Hanni ist reizend, doch leider nicht standesgemäß. Aus Liebe ist er bereit, es nicht nur mit der entrüsteten Gesellschaft, sondern auch mit seiner gestrengen Mutter aufzunehmen. Damit steht die Familie Barnett vor einem Skandal, der alle bisherigen bei weitem in den Schatten stellt.

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Seitenzahl: 474

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Kurzbeschreibung:

Napoleon ist geschlagen und hat sich ins Exil auf die Insel Elba zurückgezogen. Zahlreiche gekrönte Häupter und Vertreter der Spitzendiplomatie reisen 1814 nach Wien, um über die Zukunft Europas zu verhandeln. So auch Bertram Barnett, der junge Viscount of Panswick, der den verwitweten Herzog of Landmark als Adjutant begleitet. Auch Bertrams Cousine Agatha will dringend nach Wien, da sie hofft, dort ihre verschwundene Schwester wiederzufinden. Sie begleitet die beiden Herren, um an der Tafel des Herzoges als Gastgeberin zu fungieren und sich auch um dessen dreizehnjährige Tochter Lizzy zu kümmern. Ob sie dem wohl auch zugestimmt hätte, hätte sie gewusst, dass sie sich mit Landmark vom ersten Tag der Reise an, in den Haaren liegen würde? Er ist voller Standesdünkel und in alten Traditionen verhaftet, sie selbstbewusst, weitgereist und gebildet. Da bittet sie der Herzog, aus rein praktischen Überlegungen, um ihre Hand und Agatha, die sich längst in ihn verliebt hat, beschließt, Bedingungen zu stellen und ihn zappeln zu lassen. Auch Bertram hört die Hochzeitsglocken klingen. Hanni ist reizend, doch leider nicht standesgemäß. Aus Liebe ist er bereit, es nicht nur mit der entrüsteten Gesellschaft, sondern auch mit seiner gestrengen Mutter aufzunehmen. Damit steht die Familie Barnett vor einem Skandal, der alle bisherigen bei weitem in den Schatten stellt. 

Über die Autorin:

Die österreichische Sophia Farago ist Unternehmensberaterin und Autorin. Die englische Geschichte ist ihr große Leidenschaft. Mit ihren Regency-Romanen feierte sie in den vergangenen Jahren bereits große Erfolge.

Weitere Titel der Autorin bei Edel Elements:

Die Braut des HerzogsSchneegestöberHochzeit in St. George Maskerade in RampstadeEliza - einfach zauberhaft!Liebe auf hoher See - Drei Geschichten

Die Lancroft Abbey Reihe

Der HeiratsplanVerlobung wider WillenDie stürmische Braut 

Sophia Farago

Küsse am Wiener Kongress

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © Jahreszahl by Sophia Farago

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Agency GmbH, München. 

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle 

Korrektorat: Tatjana Weichel

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-776-9

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Epilog

Anhang

Die Lancroft Abbey ReiheBand 4

Die Familiengeschichte von Lancroft Abbey und eine Liste der wichtigsten Personen und Begriffe finden sich im Anhang.

Prolog

Für alle, die die Familie Barnett noch nicht kennen, seien die bisherigen Geschehnisse kurz zusammengefasst:

Als der siebte Viscount of Panswick im Jahre 1810 an einem heimtückischen Fieber starb, hinterließ er seine tatkräftige Witwe Louise, seinen siebzehnjährigen Erben Bertram, vier weitere Nachkommen, den Landsitz Lancroft Abbey in Kent und einen Berg von Schulden.

Nach dem Trauerjahr fasste die Viscountess einen riskanten „Heiratsplan“: Ihre zweitälteste, in ihren Augen schönste Tochter Penelope sollte, ausgestattet mit dem letzten Geld und in Begleitung der verwitweten Cousine Agatha, eine Saison in London verbringen und dort einen reichen Ehemann finden, der bereit war, Familie und Landsitz vor dem finanziellen Ruin zu retten. Leider verliebte sich Penelope in einen vollkommen unpassenden Gentleman. Als aber schließlich die älteste Tochter Frederica den reichen Earl of Derryhill heiratete, waren die finanziellen Sorgen vergessen. Penelope konnte sich weiter um ihre geliebten Schafe kümmern, brauchte keine „Verlobung wider Willen“ einzugehen, und das Leben bewies anschaulich, dass sich so mancher Unpassende bei näherem Hinsehen durchaus als der Richtige entpuppen konnte.

In der Zwischenzeit bereiste Cousine Agatha den Kontinent, um ihre verschwundene Schwester Cecilia zu suchen – und war plötzlich selbst verschollen. Die dritte Barnett-Schwester Vivian, „die stürmische Braut“, fand in London nicht nur einen Ehemann, sondern auch Cousine Agatha wieder, die sich mittlerweile als Gesellschafterin einer alten Dame verdingt hatte. Sie überredete ihren Bruder Bertram, der seinen Dienstherrn, den Duke of Landmark, zum Wiener Kongress begleiten sollte, Agatha dorthin mitzunehmen. Denn es gab Hinweise, dass sich deren verschwundene Schwester Cecilia nunmehr in der Hauptstadt Österreichs aufhalten sollte.

Kapitel 1

Südlich von Limburg, im Herzogtum Nassau

August 1814

Der stämmige Wandergeselle war von den hinter ihm auftauchenden Gespannen so überrascht, dass er einen lauten Schrei ausstieß, sein Bündel mit den Habseligkeiten, das er an einem Stock über der Schulter getragen hatte, in die Wiese warf und dann geistesgegenwärtig hinterhersprang. Schon brausten mehrere Wagen an ihm vorbei. Der erste war ein eleganter Landauer mit geschlossenem Verdeck, zwei Livrierte auf dem Kutschbock. Davon führte einer die Zügel, während der andere gut sichtbar ein großes Gewehr in beiden Händen hielt. Sollte sich jemand erdreisten, die Kutsche überfallen zu wollen, würde der Mann ohne Zweifel davon Gebrauch zu machen wissen.

Der Wandergeselle war weit davon entfernt, irgendjemanden ausrauben zu wollen. Er war nur zu froh, nicht unter die Räder geraten zu sein. Kurz darauf erschien ein weiteres Fahrzeug, ebenfalls ein Vierergespann, in demselben glänzenden Grau lackiert wie das erste, das gleiche Wappen mit einer Krone am Schlag. Es war weniger ausladend und ohne Zweifel ein älteres Modell. Der Geselle war erfahren genug, darin die Dienerschaft zu vermuten. Schon kam ein dritter Wagen ins Blickfeld. Diesmal standen zwei Bewaffnete auf dem hinteren Trittbrett. Sie trugen dieselben silbergrauen Livreen. Der Geselle erhaschte einen kurzen Blick durch das Kutschenfenster und sah eine Vielzahl an Truhen und Koffern.

Meiner Seel’, dachte er beeindruckt, da muss ja ein gar mächtiger Herr unterwegs sein, wenn er meint, gleich drei Männer mit Gewehr zu seinem Schutz zu brauchen. Vielleicht war es gar ein König?

Es war tatsächlich eine hochgestellte Persönlichkeit, die da in hohem Tempo durch die Lande unterwegs war, allerdings kein König, sondern ein englischer Herzog. Carl Hawick, der dritte Duke of Landmark, ein Diplomat im Dienste seiner Majestät König Georg III. Er war auf dem Weg nach Wien, um dort an einem Kongress teilzunehmen, der die Geschicke Europas in neue Bahnen lenken sollte. Napoleon, das französische Ungeheuer, war besiegt und auf die Insel Elba verbannt worden. Nun galt es, die Gebiete, die er seinem Reich einverleibt hatte, neu zu verteilen.

Der Herzog reiste nicht allein. Er hatte entschieden, dass ihn seine dreizehnjährige, mutterlose Tochter Eliza, genannt Lizzy, begleiten sollte. Seit dem Tod seiner Gattin vor zwei Jahren war sie immer stiller und schüchterner geworden und er hoffte, dass ihr die Abwechslung einer Reise guttun würde. Außerdem befanden sich noch sein Adjutant Bertram Barnett, der junge Viscount of Panswick, und dessen verwitwete Cousine in der Kutsche. Lady Agatha Alverston war sechsunddreißig Jahre alt und damit fünf Jahre jünger als er. Sie sollte auf Lizzy achtgeben und ihm in Wien als Gastgeberin und weibliche Begleitung bei formellen Anlässen zur Verfügung stehen.

Sie waren nun schon sechzehn Tage unterwegs, und Bertram Barnett hätte sich längst dafür ohrfeigen können, dass er dem Drängen seiner Schwester Vivian nachgegeben hatte, den Duke mit Agatha bekannt zu machen. Wie hätte er aber auch ahnen sollen, dass sich die beiden streiten würden? Und zwar ununterbrochen? Es schien kein Thema zu geben, bei dem sie einer Meinung waren, und dabei waren es im Laufe der Wochen die unterschiedlichsten Angelegenheiten, über die sie sich auf der langen Fahrt unterhielten. Schneidende Bemerkungen flogen hin und her, verbrämt mit Ironie oder gar Hohn und Beweisen der jeweils eigenen intellektuellen Überlegenheit. Er konnte die mitunter sehr nichtigen Anlässe schon gar nicht mehr zählen, bei denen mindestens einer der beiden in spöttisches Gelächter ausbrach. Außerdem schienen sie nie auch nur eine Minute zu schweigen. Mehr noch, sie schienen kaum je Luft holen zu müssen.

Warum nur, fragte sich der leidgeprüfte Viscount im Stillen, warum nur hielten sie nicht einfach den Mund? Warum nahmen sie keine Rücksicht auf Lizzy und ihn? Sie mussten doch in der Zwischenzeit eingesehen haben, dass sie sich nie einig werden würden. Wozu also die ständigen Wortgeplänkel? Mehr als einmal hatte er die Zähne zusammengebissen, um seinem Unmut nicht lautstark Ausdruck zu verleihen. Vor Kurzem war er großjährig geworden, er trug den Titel eines Viscounts of Panswick, er war Herr über den weitläufigen Landsitz Lancroft Abbey und Oberhaupt der Familie. Einer Familie, die neben seiner Mutter auch noch seine drei inzwischen verheirateten Schwestern Frederica, Penelope und Vivian und seinen jüngeren, noch unverheirateten Bruder Nicolas umfasste. Obwohl er den Großteil seines Vermögens erst mit fünfundzwanzig bekommen sollte, hatte er seit seinem einundzwanzigsten Geburtstag bereits die Verfügungsgewalt über den ansehnlichen Betrag, den ihm seine Urgroßmutter mütterlicherseits vermacht hatte. Er war also hochgestellt, reich und erwachsen. Doch all das nützte ihm gar nichts. Er war den Wortgefechten seines Dienstherrn und seiner um fünfzehn Jahre älteren Cousine Agatha hilflos ausgeliefert.

Die Überfahrt von Southhampton auf den Kontinent war noch recht angenehm verlaufen, da man sich auf dem weitläufigen Schoner nur bei den Mahlzeiten zu Gesicht bekam. Rückblickend war es ein wahrer Segen gewesen, dass es an Bord getrennte Salons für Damen und Herren gab, in denen man seine Zeit verbrachte. Doch kaum waren alle vier gemeinsam in die Kutsche gestiegen und hatten begonnen, sich mit Plaudereien die Zeit zu vertreiben, da war das Hickhack auch schon losgegangen. Sagte der Herzog hü, meinte Agatha hott. Und umgekehrt. Hielt der Herzog etwas für gut, fand Agatha einen Fehler. Wollte Agatha rasten, drängte Landmark zum Aufbruch. Der einzige Lichtblick auf dieser schier endlosen Reise war für ihn die dreizehnjährige Tochter seines Dienstherrn. Sie saß neben ihm auf der Bank entgegen der Fahrtrichtung und stupste ihn soeben mit dem Ellbogen auffordernd in die Seite. „Bertram, bist du eingeschlafen?“

Er fuhr aus seinen Gedanken auf. „Entschuldige, Lizzy, was hast du gesagt?“ Es klang reumütig.

„Ich sagte: ’Guten Abend, mein verehrter Herr, ist das nicht ein wahrhaft schönes Zimmer?’“, wiederholte sie auf Deutsch.

Seltsam, dachte Bertram, ihre Stimme klingt viel selbstsicherer, wenn sie sich in dieser fremden Sprache ausdrückt. Sie lernten nun schon seit zwei Monaten jeden Tag viele Stunden miteinander, und er musste neidlos anerkennen, dass sie das halbe Jahr, das er ihr voraus gewesen war, längst aufgeholt hatte. Sie waren vom Lernen einzelner Wörter und der Grammatik bereits zum Führen kleinerer Konversationen übergegangen. Es machte viel mehr Spaß, zu zweit zu üben, und er freute sich darauf, seine Kenntnisse auch im tatsächlichen Leben auszuprobieren.

„Das ist fürwahr ein schönes Zimmer, gnädiges Fräulein“, erwiderte er höflich. „Wollen wir uns zu Tisch begeben?“

Während Lizzy in ihrer Deutschfibel nach einer passenden Antwort suchte, blickte Bertram zu den Reisegefährten auf der gegenüberliegenden Bank hinüber. Agatha begann soeben, über die Zeit zu erzählen, die sie an der Seite ihres verstorbenen Gatten Edward in Ägypten verbracht hatte. Dieser hatte dort zu einem Team von Archäologen gehört, das Ausgrabungen in der Wüste durchführte, und Agatha hatte ihn dabei tatkräftig unterstützt. Diese Geschichten kannte Bertram längst, also wollte er sich wieder auf Lizzy konzentrieren.

„Ich halte es für einen unglaublichen Leichtsinn, ja geradezu für einen Wahnwitz, dass man Sie zu diesen Ausgrabungen mitgenommen hat“, hörte er da den Duke sagen. „Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum Ihnen das der Leiter der Expedition überhaupt gestattete.“

Es ging schon wieder los! Bertram zog scharf die Luft ein. Agatha würde solche Worte nicht unwidersprochen hinnehmen.

„Beim besten Willen, soso“, kam auch schon die schnippische Antwort, bevor seine Cousine, offensichtlich um einen ruhigeren Tonfall bemüht, fortsetzte: „Warum halten Sie es für einen Wahnwitz, wenn ich fragen darf, Duke?“

„Denken Sie denn, ich wäre mir all der Gefahren nicht bewusst, die dieses Vorgehen barg?“, stellte er eine Gegenfrage. „Es war einfach unverantwortlich, Sie, eine englische Lady von Stand, zu Ausgrabungen in der Wüste mitzunehmen.“

Bertram sah zu seiner Überraschung ein kleines Lächeln über das Gesicht seiner Cousine gleiten, bevor diese in versöhnlichem Tonfall antwortete: „Wie nett von Ihnen, Duke, aber ich darf Ihnen versichern, dass Sie sich um mich keine Sorgen zu machen brauchen. Die Ausgrabungsstätte war Tag und Nacht bewacht, und mein verstorbener Gatte und die anderen Männer der Delegation achteten streng darauf, dass die Einheimischen uns drei englischen Frauen nicht zu nahe kamen. Außerdem bin ich selbst auch ganz gut in der Lage, mich zu verteidigen, wenn …“

„Du lieber Himmel“, unterbrach sie Seine Gnaden. „Ich sprach doch nicht von etwaigen Gefahren für Sie, Lady Alverston. Ich meinte natürlich die Gefahren, denen die Expedition durch Ihre Anwesenheit ausgesetzt war.“ Bertram hatte den Eindruck, als würde sich der arrogant näselnde Tonfall seines Dienstherrn von Tag zu Tag verstärken. „Frauen in der Wüste können bei solchen Unternehmungen nichts anderes als einen Klotz am Bein darstellen, wenn Sie mir diese drastische Ausdrucksweise gestatten.“

Trotz der scharfen Worte schien sich der Herzog insgeheim zu amüsieren, wie Bertram mit gerunzelter Stirn feststellte. Ganz kurz hatte ein kleines Lächeln seine Augen erreicht. Bertram hingegen wusste, dass es für ihn selbst nichts zu lachen gab. Gleich würde Agatha zu einem verbalen Gegenschlag ausholen.

„Wie kommen Sie bloß zu der Annahme, ich könnte Ihnen diese gestatten?“, lautete überraschenderweise ihre einzige Antwort.

Der Blick, den ihr der Duke nun zuwarf, war für Bertram unergründlich. Lieber Gott, bitte lass uns endlich Wien erreichen, flehte er insgeheim. Er seufzte, als ihm bewusst wurde, dass sich seine Situation auch nach Ende der Reise kaum verbessern konnte; schließlich würden sie zu viert in ein gemeinsames Palais ziehen.

Aber immerhin werden wir dann nicht mehr stundenlang auf so engem Raum eingesperrt sein, beruhigte er sich selbst.

Dann merkte er, dass einer der seltenen Momente eingetreten war, in dem die beiden Kontrahenten schwiegen. Nun war es allein Lizzys fröhliches Geplapper, das die Kutsche erfüllte.

„Wie gefällt es Ihnen in meiner Heimatstadt, mein guter Panswick?“, hörte er sie fragen. „Lieben Sie auch die blühenden Bäume im Prater?“

Sie war offensichtlich in die Rolle einer österreichischen Komtess geschlüpft, die mit ihm, dem Fremden, bekannt gemacht worden war. Bertram lächelte und bemühte sich, ihre Fragen möglichst fehlerfrei zu beantworten.

Natürlich blieb es auch auf der anderen Bank nicht lange still.

„Da gibt es etwas, was ich Sie schon die ganze Zeit fragen wollte, Duke. Wir hatten doch ursprünglich geplant gehabt, unsere Reise bereits im Juni, unmittelbar nach der Hochzeit meiner Cousine Vivian, in Angriff zu nehmen. Was war ausschlaggebend dafür, dass wir damit bis Ende August warten mussten?“, gab Agatha dem Gespräch eine neue Wendung, ohne auf die Aussage des Dukes einzugehen. „Wie ich hörte, hing das irgendwie mit dem Königshaus zusammen. Wie kann das sein?“

Anscheinend war Bertram nicht der Einzige, der sich über den abrupten Themenwechsel wunderte. Eine Augenbraue schnellte in die Höhe, bevor der Duke erklärte: „Es lag an Kronprinzessin Charlotte.“

„Tatsächlich?“ Agatha klang überrascht. „Was hat denn Ihre königliche Hoheit mit unserer Reise zu tun?“

„Nun“, sagte Landmark und schien sich seine Worte gut zu überlegen, „Sie wissen vermutlich, dass sich Prinzessin Charlotte vor einem Jahr mit Wilhelm von Nassau-Oranien verlobt hat?“

Agatha nickte. Es gab wohl kaum jemanden auf der Insel, dem diese freudige Nachricht nicht zu Ohren gekommen war.

„Wankelmütig, wie Frauen aber nun mal sind …“, setzte der Herzog fort, und für den geplagten Viscount gab es keinen Zweifel, dass sich der unverbesserliche Duke insgeheim köstlich darüber amüsierte, seine Cousine zu ärgern. Warum hätte er ihr sonst bei diesen Worten einen herausfordernden Blick zugeworfen? Am liebsten hätte Bertram seinen Unmut laut hinausgeschrien. Doch zu seinem Glück stieg Agatha nicht darauf ein, sondern sagte kein Wort.

„… hat sich die Prinzessin eines schönen Junitages entschieden“, setzte der Herzog fort, „nun doch nicht in den Niederländer, sondern stattdessen in Prinz Leopold von Sachsen-Coburg verliebt zu sein.“

Agatha nickte. Auch davon hatte sie gehört.

„Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für das Parlament für einen enormen, zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutete“, erklärte er. „Zahlreiche Verhandlungen mit Nassau-Oranien mussten geführt werden, um alle bereits geschlossenen staatsrechtlichen Vereinbarungen wieder zu lösen. Daher waren sowohl Außenminister Castlereagh als auch ich in London unabkömmlich.“

„Aha.“ Agatha überlegte und blickte dann interessiert zu ihm hinüber. „Sie haben also mitgeholfen, diese diplomatisch verzwickte Angelegenheit zu regeln?“

„Selbstverständlich“, bestätigte er und nickte.

„Ich denke“, sagte Agatha, weiterhin in ihrem freundlichsten Tonfall, „Ihre Einmischung in dieser Sache bedeutete eine große Gefahr für unser Königreich. Durch Ihre Anwesenheit bei den Verhandlungen wäre die diplomatische Lösung beinahe zu Fall gebracht worden.“

Nach diesen ungeheuerlichen Worten lächelte sie allerliebst zum Herzog hinüber.

Bertram riss die Augen auf und schnappte nach Luft. War Agatha verrückt geworden? Wie kam sie dazu, seinem Dienstherrn so etwas Ungeheuerliches zu unterstellen?

„Was erlauben Sie sich, Madam?“, fuhr dieser auch schon auf. Zornesfalten legten sich auf sein Gesicht. „Sie haben doch nicht die geringste Ahnung von allen relevanten Hintergründen.“

„Nein, natürlich nicht“, gab Agatha unumwunden zu. Sie klang weiterhin freundlich.

„Wie können Sie sich dann erdreisten, sich ein Urteil über meine Arbeit zu bilden? Wie kommen Sie dazu, mich zu kritisieren und diesen Unfug zu allem Überfluss auch noch laut auszusprechen? In Gegenwart meiner Tochter?“

„Ach, ist das nicht angebracht?“ Agatha hatte die Hände in den Schoß gelegt und sah weiterhin interessiert zu ihm hinüber. „Da Sie soeben bezüglich meiner Arbeit genau dasselbe getan haben, Duke, hatte ich den Eindruck gewonnen, das gehöre sich so.“

Kapitel 2

An diesem Abend stand Lady Agatha Alverston noch geraume Zeit am Fenster und bürstete ihr langes, dunkelbraunes Haar. Lizzy hatte sich bereits im gemeinsamen Bett eingerollt und schlief tief und fest.

So ein reizendes Mädchen, dachte Agatha und zog ihr liebevoll die Decke über die Füße. Wie aufgeblüht sie in den letzten beiden Wochen war! Das Deutschlernen mit Bertram tat ihr gut. Es war nicht zu übersehen, dass ihr Schützling für Agathas Cousin schwärmte. Das war nicht weiter verwunderlich, denn Bertram war nicht nur ein ausnehmend liebenswürdiger junger Mann, er war auch mit mehreren Schwestern aufgewachsen und wusste, wie man Mädchen am besten behandelte. In den langen Tagen der Reise war Lizzy wohl auch so etwas wie eine kleine Schwester für ihn geworden. Und so lange die Schwärmerei niemandem schadete, sondern sogar noch zu Lizzys Lernerfolg beitrug, hatte sie keinen Grund, etwas dagegen zu unternehmen. Mehr noch, dachte sie, jedem Mädchen tat es gut, frühzeitig zu lernen, wie man sich ungezwungen in Gegenwart eines jungen Mannes benahm. Diese Fähigkeit wird ihr in vier oder fünf Jahren gute Dienste leisten, wenn sie in die Gesellschaft eingeführt werden wird. Agatha hielt in Gedanken inne? Wo sie selbst dann wohl sein würde, in fünf Jahren? Wahrscheinlich auf Lancroft Abbey, an der Seite ihrer Tante Louise. Sie war so froh, dass sie sich mit der Viscountess wieder ausgesöhnt hatte, und doch entsprach diese Zukunftsvision nicht wirklich ihrem Traumbild. Gut, sie würde in Sicherheit und in einem familiäreren Umfeld leben und musste sich nicht wieder als Gesellschafterin verdingen, aber aufregend würde es nicht sein. Agatha straffte die Schultern und trat zum Fenster, um in die mondhelle Nacht hinauszuschauen. Warum sollte sie sich mit einer ungewissen Zukunft beschäftigen, wenn doch die Gegenwart so spannend war? Ihr Blick wanderte zu einem ganz bestimmten Stern hinauf.

„Ist es nicht seltsam, wie glücklich ich bin, Edward? Wirklich und wahrhaftig glücklich?“, flüsterte sie zu diesem Stern hinauf.

Kurz nachdem ihr geliebter Ehemann vor vier Jahren gestorben war, hatte sie diesen Himmelskörper zum ersten Mal bemerkt. Er schien heller als alle anderen zu strahlen. Da hatte sie sich vorgestellt, dieser Stern sei Edwards neues Zuhause und er könne sie hören, wenn sie sich ihm zuwandte und mit ihm sprach. Es gab so viel, was sie ihm seither anvertraut hatte. Dass sie in den Jahren nach seinem Tod, als sie auf Lancroft Abbey lebte, von der Familie Barnett liebevoll aufgenommen und von Tante Louise als Gesprächspartnerin geschätzt wurde, sich aber doch immer als Bittstellerin gefühlt hatte, zum Beispiel. Wie froh sie gewesen war, etwas zurückgeben zu können, als sie gebeten wurde, ihre Cousine Penelope in die Gesellschaft einzuführen, und wie verzweifelt sie gewesen war, als sie sich kurz vor der geplanten Abreise das Bein gebrochen hatte. Sie teilte mit ihm die Freude darüber, dass sie wieder gehen konnte. Dann natürlich die Abenteuer, die sie in Florenz erlebt hatte, wo sie nach ihrer Schwester suchte, und die Enttäuschung, als sie außer einem Blatt Papier mit ihrer angeblichen Adresse in Wien keine Spur von Cecilia gefunden hatte.

Agatha wandte sich ab und setzte sich vor die Kommode, um mit geübten Griffen ihr Schlafhäubchen auf die Locken zu setzen. In diesem Raum gab es tatsächlich einen großen Spiegel ohne blinde Flecken. Was für ein außergewöhnlicher Luxus! Außerdem war das Zimmer sauber und geräumig und bot allen Komfort, den man sich von einer Herberge nur wünschen konnte. Wie stark unterschied es sich von den schlecht gelüfteten, verlausten Absteigen, die sie sich mit ihrer Kammerfrau auf der Rückreise von Florenz gerade noch hatte leisten können.

„Ich bin glücklich, weil ich diese Reise mit der größtmöglichen Bequemlichkeit verbringe, mein lieber Edward. Ich freue mich auf Wien und darauf, hoffentlich endlich meine Schwester in die Arme schließen zu können. Außerdem ist es schön zu erleben, wie Lizzy unter meiner Führung aufblüht. Nur der Herzog ist eine harte Nuss“, sagte sie, den Blick wieder zu jenem bestimmten Stern gewandt, „er ist so anders als du. Er ist weder sanft noch gutmütig, und er strapaziert meine Nerven mit seiner Arroganz. Es ist erschreckend, wie wenig er von weiblichen Fähigkeiten hält. Hast du gehört, was er gesagt hat? Ich hätte unsere Ausgrabungen behindert! Das konnte ich ihm doch nicht durchgehen lassen, nicht wahr?“ Agatha schnaufte unwillig, bevor sie gleich darauf zu kichern begann. Aber ich habe es ihm mit gleicher Münze heimgezahlt, dachte sie zufrieden. Ich bin eine Witwe von sechsunddreißig Jahren, ich lasse mich nicht behandeln wie ein unreifes Schulmädchen! Ach, Edward, findest du es allzu arg, dass mich diese Wortwechsel nicht erschrecken? Dein Gleichmut und dein ruhiges Blut hätten solche Streitgespräche nie zugelassen. Bei dir war ich eingebettet in eine Welle von Zuneigung und Harmonie. Landmark ist anders. Traditionsbehafteter. Streitbarer. Männlicher. Agatha erschrak über diesen Gedanken. Tat sie Edward unrecht? „Auch ich habe mich geändert“, sagte sie zum Stern hinauf. „Ich habe seit deinem Tod viel erlebt. Ich bin erwachsen geworden. Und doch fühle ich mich so jung wie schon lange nicht mehr. Ja, ich weiß, du wirst meinen, dass ich mich lächerlich mache, und da hast du vollkommen recht. Ich bin nicht jung, ich bin sechsunddreißig Jahre alt. Ich sollte mich in gedeckte Farben hüllen, eine große Haube auf mein Haar setzen und mich benehmen, wie es sich für eine Witwe in meinem Alter geziemt.“

Agatha seufzte und wandte den Blick dem Spiegel zu, der etwas schief auf der groben Bretterwand der Poststation hing. In dem feinen, weißen Batistnachthemd, das sie trug, hatte sie so gar nichts von einer alternden Witwe an sich, und sie musste sich eingestehen, dass sie das alles andere als bedauerlich fand. Sie drehte und wendete sich vor dem Spiegel und freute sich selbst darüber, wie ihre Augen strahlten.

„Habe ich dir schon erzählt, dass meine Garderobe für eine einundzwanzigjährige Braut geschneidert wurde, mein Lieber?“, fragte sie dann, wieder an den Stern gewandt. „Ich weiß, ich sollte entrüstet sein, weil die Gute die Hochzeit platzen ließ, um mit einem anderen Mann nach Gretna Green durchzubrennen. Aber das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich wünsche ihr viel Glück und bin ihr so unendlich dankbar. Ihre Garderobe war von jener Lady in Auftrag gegeben worden, die ihre Schwiegermutter hätte werden sollen, sie hing fertig bei Lady Derryhills Schneiderin, und wir konnten sie zu einem wahrlich günstigen Preis erwerben. Weißt du was, mein Lieber? Die Kleider üben eine positive Wirkung auf mich aus. Noch nie zuvor habe ich mich so attraktiv und auch so selbstbewusst gefühlt.“

Agatha blies die Kerzen in den Wandleuchtern aus, nahm die eine, die auf einem Zinnhalter steckte, und begab sich zum Bett. Ihre Kammerfrau hatte, wie jeden Abend, ein frisches Leintuch auf die Matratze gelegt. Sonst hatte sie an diesem Zimmer nichts auszusetzen und zu verändern gehabt. Wie die meisten Räume in den großen Poststationen war auch dieser gut gelüftet und sauber. Sie blies die letzte Kerze aus und schlüpfte zu ihrem Schützling unter die Bettdecke. Während sie die Augen schloss, glitten ihre Gedanken wie von selbst an jenen Tag zurück, als sie dem Duke of Landmark zum ersten Mal gegenübergestanden hatte. Das waren Gedanken, die sie ihrem geliebten Edward besser nicht enthüllen wollte.

Denn an diesem Nachmittag in Lady Derryhills Haus geschah etwas, was Agatha nicht für möglich gehalten hätte. Sie, die vernünftige, erwachsene Lady, war vom Anblick dieses Gentlemans auf eine ganz seltsame Art beeindruckt gewesen. Das war etwas, das sie vor niemandem zugeben konnte. Am allerwenigsten natürlich vor dem Duke selbst. Einem Mann, der sich in seiner Arroganz über jede Frau erhaben fühlte. Der meinte, alles besser zu wissen, und nicht einsehen wollte, dass sie bei einigen Dingen mehr Erfahrung hatte als er, zum Beispiel was das Reisen betraf. Und der sie doch völlig aus ihrer gewohnten Ruhe brachte. Agatha überlegte. Nein, damit traf sie den Nagel nicht auf den Kopf. Die Eigenschaften eingebildet, arrogant, selbstgefällig waren bei einem Mann von Adel durchaus üblich, noch dazu bei einem Exemplar von so hohem Stand. All das hatte sie bisher entweder als einschüchternd oder abstoßend empfunden. Bei Landmark gab es noch etwas anderes, was sie allerdings nicht benennen konnte. Sie hatte auch bisher kaum ein Risiko gescheut, sich aber das, was sie tat oder sagte, vorher gut überlegt. In Landmarks Gegenwart agierte sie offener und spontaner. Sie wusste nicht, woran das lag. Sie wurde allerdings auch aus seinem Verhalten nicht schlau. Warum verwickelte er sie immer wieder in lange Gespräche, wenn er ihre Meinung dann doch nicht gelten ließ? War das nur, damit die Stunden in der Kutsche schneller vergingen? Und was waren das für seltsame Blicke, die er ihr immer wieder zuwarf? Eines stand allerdings ohne Zweifel fest: Mit Edward hatte sie sich in all den Jahren zusammengenommen weniger unterhalten als mit dem Duke in den letzten beiden Wochen.

Agatha drehte sich auf die andere Seite und zwang sich, die Gedanken auf ihren verstorbenen Gatten zu konzentrieren. Auf den langen Reisen nach Ägypten waren sie meist in stillem Einvernehmen schweigend im Wagen gesessen, jeder in ein Buch vertieft. Während der Ausgrabungen hatte dann ohnehin nichts und niemand Edwards Konzentration stören dürfen. Gab es auf der Fahrt Fragen oder Probleme, und die gab es zahlreich, so verließ er sich darauf, dass sie ihm alle aus dem Weg räumte.

„Dafür ist meine Gemahlin zuständig“, pflegte er zu sagen. „Die hat bei Weitem mehr Umsicht und praktischen Verstand, ich bin durch und durch Wissenschaftler.“

Agatha drehte sich wieder auf die andere Seite, und der Duke of Landmark bekam abermals die Oberhand. Er war so anders als Edward. Das fing schon beim Aussehen an. Ihr Gatte war sicher nett anzusehen gewesen, aber sie hatte sich wegen seines Charakters in ihn verliebt und bei Gott nicht deshalb, weil ihr der Atem bei seinem Anblick gestockt hätte. Als sie jedoch dem Duke das erste Mal gegenübergetreten war, ihm die Hand reichte und in einen Knicks versank, da war genau das der Fall gewesen. Er war großgewachsen und schlank, und doch hatte sie die Kraft gespürt, die von seiner ganzen Gestalt ausging. Seine Haare waren dunkel wie die ihren, nur an den Schläfen zeigte sich bereits ein Grau, wie es bei seinen einundvierzig Jahren nichts Ungewöhnliches war. Auch die Augen, mit denen er sie kritisch gemustert hatte, waren grau. Auf den schmalen Lippen hatte sich kein Lächeln gezeigt, sie wusste daher bis heute nicht, ob auch ihm gefiel, was er sah.

Er war auf der Suche nach einer geeigneten Begleitung für seine Tochter gewesen. Seine Cousine hatte sich geweigert, diese Rolle länger zu erfüllen und eine Reise in die Stadt zu unternehmen, die, wie sie erfahren hatte, das reinste Sündenbabel sein sollte. Ein Gerücht, an dem, wie Agatha sehr wohl wusste, ihre eigenen Verwandten nicht unschuldig waren. Es war wichtig gewesen, den allerbesten Eindruck zu machen, damit er sie nach Wien mitnahm und ihr neben der Reise auch noch den Aufenthalt in der k. und. k. Hauptstadt finanzierte. Bei diesem ersten Treffen hatte sie sein Anblick so fasziniert, dass sie kein Wort heraus- und nichts anderes zustande gebracht hatte als ein hingerissenes Lächeln. Agatha musste bei dieser Erinnerung kichern. Was für eine glückliche Fügung, dass sie nicht Herrin ihrer Sinne gewesen war. Hätte sie damals schon so frank und frei mit Seiner Gnaden gesprochen, wie sie es jetzt tat, so hätte er wohl niemals zugestimmt, sie mitzunehmen. Nun war er auf ihre Dienste angewiesen, und sie konnte wieder ganz sie selbst sein. Oder zumindest die, zu der sie in seiner Gegenwart wurde. Eine selbstbewusste Frau, die mit ihm stritt. Obwohl, überlegte sie weiter, streiten nicht das richtige Wort war. Es waren eher Fechtkämpfe mit Worten. Agatha lächelte bei diesem Gedanken.

Morgen Abend würden sie bei Verwandten der verstorbenen Gattin des Dukes nächtigen. Diese sollten ein Schloss mit weitläufigen Gartenanlagen im französischen Stil ihr Eigen nennen, die gemeinsam mit Lizzy zu besichtigen sie sich schon freute. Ihr Lächeln vertiefte sich. Ob sie im Schloss endlich ein eigenes Zimmer für die Nacht bekommen würde? Sie mochte Lizzy, und doch vermisste sie auf dieser Reise die Privatsphäre, die sie sonst gewöhnt war. Und vielleicht konnte sie dort auch um ein heißes Bad für sich und ihren Schützling bitten? Mit diesen höchst verlockenden Aussichten schlief sie ein.

Kapitel 3

Agatha stand staunend vor dem Schloss und hielt sich die behandschuhte Rechte vor die Augen, um sie gegen das Sonnenlicht abzuschirmen. Was für ein beeindruckender Bau! Die wuchtige, dreigeschossige Fassade wirkte weiß und strahlend im hellen Licht des freundlichen Spätsommertages, das graue Schieferdach ragte steil in den blauen Himmel empor. Die Ecktürme trugen zwiebelförmige Dächer aus Kupfer, die sich im Laufe der Jahre in ein bezauberndes Hellgrün verfärbt hatten. Ihre jugendliche Begleiterin hatte anscheinend für Architektur weniger übrig.

„Ein Irrgarten, sehen Sie nur, Lady Agatha! Darf ich versuchen, es bis zum Mittelpunkt zu schaffen?“ Lizzys Wangen waren vor Aufregung gerötet, und Agatha freute sich über ihren Eifer. Sie waren über einen bemoosten Weg bis zu einer blickdichten, überkopfhohen Heckenreihe gekommen und standen nun vor dem für das Mädchen wohl verheißungsvollen Eingang.

„Aber sicher“, gestattete Agatha ohne zu zögern, „geh und versuch dein Glück! Ich komme nur die ersten beiden Windungen mit dir und dort warte ich besser. Solltest du nicht wieder herausfinden, kann ich dir durch Zurufe helfen.“

Schon war ihr Schützling hinter der nächsten Hecke verschwunden. „Aber beeil dich!“, rief Agatha ihr noch hinterher, war sich aber nicht sicher, ob diese Worte auf fruchtbaren Boden fallen würden. „Wie haben nicht mehr allzu lange Zeit, bis ich mich zum Dinner umkleiden muss.“

Die liebe Lizzy, dachte sie nicht zum ersten Mal. Um wie vieles fröhlicher sie geworden war. Die Reise war für sie ein einziges Abenteuer, und das tat ihr gut. Mit dem Lernen der fremden Sprache hatte sie überdies eine sinnvolle Beschäftigung gefunden. Etwas, das ihr ihre bisherige Anstandsdame nicht gestattet hatte. Agatha ging näher an die Hecke heran und begutachtete die Zweige. Waren das Hainbuchen oder …

„Also Carl, ich bitte Sie …“

Agatha zuckte zusammen. Sie hatte gar nicht gehört, dass jemand nähergekommen war. Der Moosboden des Weges hatte wohl alle Schritte verschluckt. Die Stimme erkannte sie allerdings sofort wieder. Es war die von Gräfin Weiningen-Bouffier, der Hausherrin des beeindruckenden Schlosses, dessen Garten sie soeben erkundeten. Ihre Stimme klang auch jetzt noch ebenso kalt und abweisend, wie sie es bereits bei der Begrüßung getan hatte. Agatha war selbst erstaunt, dass sie diese auf Deutsch gesprochenen Worte verstanden hatte. Die Unterrichtsstunden in der Kutsche waren wohl auch an ihr nicht völlig spurlos vorübergegangen. Wie es der Zufall wollte, hatten sich Bertram und der Duke erst am Vortag darüber unterhalten, dass die Aussage „Ich bitte Sie“ zwei unterschiedliche Bedeutungen haben konnte. Entweder wollte man etwas vom anderen, oder man glaubte ihm nicht. Welche der beiden Bedeutungen hatten wohl die Worte der Gräfin?

Der Duke antwortete etwas, was Agatha zu ihrem Leidwesen nicht verstand. Sie merkte nur, dass er nach Worten suchte und seine Sätze immer wieder durch langgezogene Ähs und Ahs unterbrach. Nun waren die beiden offensichtlich am Eingang zum Irrgarten angelangt, und Agatha überlegte, wie sie sich am besten zu erkennen geben sollte, als sie die nächsten Worte der Gräfin innehalten ließen.

„Wie konnten Sie nur Ihre Mätresse hierher auf Weiningen bringen? Wir sind ein ehrbares Haus, wie ich nicht extra betonen muss. Ihre verstorbene Gattin war meine Cousine. Ich habe sie geliebt und ich, also … mir fehlen die Worte, um auszudrücken, wie sehr mich Ihr Vorgehen empört.“

Agatha hielt den Atem an. Die Gräfin war ins Französische gewechselt, wohl weil der Duke des Deutschen doch nicht so mächtig war, wie er immer zu sein vorgab. Und offensichtlich konnte sie kein Englisch. Französisch war fast überall in Europa die Sprache des Adels und auch die der Diplomatie. Agathas Vater war Diplomat gewesen. Schon einmal war sie froh darüber gewesen, eine französische Gouvernante gehabt zu haben, denn auch die Ausgrabungen in Ägypten hatten unter französischer Leitung gestanden. Und auch jetzt war sie froh darüber. Wenn auch der Inhalt der Konversation nicht dazu beitrug, ihre Laune zu heben. Im Gegenteil, sie war entsetzt. Natürlich war ihr aufgefallen, mit welch eisiger Kälte man sie im Schloss willkommen geheißen hatte, doch sie war weit davon entfernt gewesen, den wahren Grund dafür zu erahnen. Na warte, das würde sie nicht unwidersprochen hinnehmen. Sie wollte eben aus dem Irrgarten stürzen, da ließen sie die nächsten Worte des Dukes innehalten.

„Sie sind mit Ihrem Verdacht auf der völlig falschen Fährte“, hörte sie ihn sagen. Seltsamerweise klang sein Tonfall weniger schneidend, als sie erwartet hatte. „Agatha Alverston ist eine englische Lady aus bestem Haus. Außerdem ist sie die Cousine meines Adjutanten und begleitet uns nur deshalb …“

„Die Cousine Ihres Adjutanten“, unterbrach ihn die Gräfin, und jetzt triefte ihre Stimme vor Hohn. „Ach, so nennt man das heutzutage? Früher nannte man es Nichte, wenn ich richtig informiert bin. Halten Sie mich für so dumm, dass ich Ihnen diese fadenscheinige Ausrede abnehme?“

Agatha war so empört, dass es ihr für kurz die Rede verschlug. Wie kam diese schreckliche Person dazu, ihren guten Ruf und ihre Integrität in Zweifel zu ziehen? Wie konnte sie nur annehmen …

„Das ist keine Ausrede“, fuhr da der Duke auch schon auf. „Ich versichere Ihnen, Lady Alverston ist einzig und allein für das Kind zuständig.“

Wie dumm, dass ich nicht gleich aus dem Irrgarten gegangen bin, als ich die beiden gehört habe, dachte Agatha, die nicht wusste, wie sie sich nun am besten verhalten sollte. Wenn mich die beiden jetzt sehen, werden sie sicher annehmen, ich habe gelauscht. Das macht meine Situation nicht besser.

„Wo sind Sie denn? Ich finde nicht mehr hinaus!“, hörte sie in diesem Augenblick Eliza rufen. Ihre Stimme klang zwar gedämpft durch die dichten Reihen der Hecken, aber doch laut genug, dass man sie nicht überhören konnte.

Oh Gott, das ist wirklich der schlechtmöglichste Zeitpunkt, ging es Agatha durch den Kopf. Ich kann unmöglich antworten, ohne dass mich auch die beiden anderen hörten.

Schon erklang die Stimme des Dukes.

„Eliza?!“, rief er erstaunt. „Bist du etwa allein in diesem … diesem … Heckenlabyrinth?“ Dann wandte er sich offensichtlich zu seiner Begleiterin um: „Es war ohne Zweifel meine Tochter, die da gerufen hat. Sie gestatten, Gräfin, dass ich mich auf die Suche nach ihr mache?“

Er wartete die Antwort nicht ab, und schon knirschte der Kies unter seinen forschen Schritten.

„Ja, wo ist denn jetzt die Cousine des Adjutanten?“, feixte die Gräfin hinter ihm her. „Ja, wo ist sie denn? Sie ist doch für das Kind zuständig, hätte ich gedacht.“

Am liebsten wäre Agatha hoch erhobenen Hauptes aus den Hecken hervorgetreten und hätte sie erwürgt. Und doch entschied sie sich instinktiv, genau das Gegenteil zu tun, nämlich weiter in den Irrgarten hineinzugehen und hinter der nächsten Ecke zu verschwinden. Dabei benutzte sie absichtlich den schmalen Streifen Gras zwischen Hecke und Kies, damit niemand ihre Schritte hören konnte. Sie beeilte sich, die nächste Abzweigung zu nehmen und … stand in einer Sackgasse. Auch das noch! Auf keinen Fall durfte der Duke erfahren, dass sie die Ungeheuerlichkeiten der Gräfin mitangehört hatte. Wie sollte sie ihm sonst je wieder unbefangen unter die Augen treten können? Daher wäre sie am liebsten einfach in dieser stillen Ecke stehen geblieben. Andererseits durfte sie Lizzy nicht zu lange im Ungewissen lassen. Also schürzte sie schweren Herzens die Röcke wieder, um dorthin zurückzueilen, woher sie gekommen war. Sie war so vertieft darin, jeden Laut zu vermeiden, dass sie den Herzog übersah, der sich ihr auf Zehenspitzen näherte, um oben über die Hecken blicken zu können. Der unerwartete Aufprall war so heftig, dass sie einen erschrockenen Schrei ausstieß. Landmark umfasste sie reflexartig mit beiden Armen und konnte so ihren Sturz vermeiden. Da standen sie nun, starrten sich mit weit aufgerissenen Augen an und waren beide für einen kurzen Moment nicht in der Lage, sich zu bewegen.

„Einzig und allein für das Kind zuständig? Wollen Sie mir das immer noch weismachen, mein Teuerster?“, meldete sich die höhnische Stimme der Gräfin hinter dem Herzog zu Wort. Dieser ließ Agatha so schnell los, dass sie taumelte. Sie sah noch immer zu ihm auf. Seine Lippen waren aufeinandergepresst, seine Gesichtsfarbe blass. Er sagte keinen Ton.

Zum Glück meldete sich in diesem Augenblick Lizzy zu Wort. Sie schien sich in der Zwischenzeit ganz in der Nähe zu befinden.

„Lady Agatha?“, rief sie. „Waren Sie das, die soeben geschrien hat? Ist irgendetwas geschehen? Wo sind Sie denn?“

„Ich komme schon“, antwortete Agatha und machte sich daran, der unerfreulichen Szenerie zu entfliehen.

„Ja, ja, gehen Sie mir nur aus den Augen“, keifte die Hausherrin hinter ihr her. Diesmal sprach sie englisch mit einem deutlichen, harten deutschen Akzent. „Ich will Sie nicht wiedersehen, Miss. Sie sind am Abend bei Tisch unerwünscht, merken Sie sich das!“

Agatha verschwand, ohne ein Wort darauf zu sagen, hinter der nächsten Hecke und eilte Lizzy entgegen.

Kapitel 4

Der Abend verlief für Agatha dann doch um einiges erfreulicher, als es der höchst unangenehme Zwischenfall im Garten hätte erwarten lassen. Zuvorkommende Diener hatten ihr den Wunsch erfüllt, eine Kupferbadewanne auf ihr Zimmer zu bringen. Diese wurde eimerweise mit heißem Wasser aus der Küche gefüllt, und saubere Leinentücher lagen bereit. Sie hatte Lizzy den Vortritt gelassen, bevor sie dann selbst in das warme Wasser eintauchte. Es tat so gut, einige Minuten ganz für sich allein zu haben. Man hatte ihnen zwei Zimmer mit einer Verbindungstür zugewiesen, und ihr Schützling hatte sich in seinen Bereich zurückgezogen, um vor dem Abendessen noch einige deutsche Ausdrücke und Redewendungen zu lernen. Am kommenden Morgen würden sie wieder in die Kutsche steigen, und da wollte Lizzy Bertram mit ihrem neuen Wissen überraschen, wie sie ihrer Duenna freimütig gestanden hatte.

Mit einem wohligen Aufseufzen tauchte Agatha ihren Kopf in das warme Wasser und begann dann, die Haare mit jener milden Seife zu reinigen, die ihre Cousine Penelope aus Ölen und Kräutern selbst hergestellt hatte. Der Tag war angenehm warm gewesen, daher war auch keine allzu kalte Nacht zu erwarten. Sie war zuversichtlich, dass ihre Haare bis zum nächsten Morgen trocken sein würden. An diesem Abend würde sie außer Lizzy und der Dienerschaft keiner mehr zu Gesicht bekommen, das hatte sich die Gräfin schließlich ausdrücklich verbeten. Ja gut, sie hätte natürlich auf einen Platz bei Tisch bestehen können. Sie war die Witwe eines englischen Adeligen und die Cousine eines Viscounts, allein schon deswegen hatte man sie mit Respekt zu behandeln. Andererseits war sie durchaus froh, dass es ihr erspart bleiben würde, das Dinner unter den kritischen Augen der Gräfin einnehmen und sich weitere gehässigen Mutmaßungen anhören zu müssen. Um wie viel lieber würde sie Lizzy beim Abendessen auf ihrem Zimmer Gesellschaft leisten. Da diese noch nicht ihr Debüt gegeben hatte, verboten es ihr die Konventionen, unter Erwachsenen zu speisen. Agatha beschloss spontan, dass sie sich in Wien nicht an diese Konventionen halten würde.

Kurze Zeit später kam Hearts, ihre treue Kammerfrau, um ihr beim Abtrocknen zu helfen. Agatha war gerade in ein Nachthemd geschlüpft, hatte die nassen Haare unter einem Turban versteckt, und Hearts war dabei, ihr in den mit Spitze verzierten, seidenen Morgenmantel zu helfen, als es an der Tür klopfte.

Ein Hausmädchen trat ein. Die Wangen waren gerötet, und sie verhaspelte sich mehrmals, als sie in ihrem schönsten Deutsch vermeldete: „Seine Durchlaucht, der Herzog, schickt mich, gnädige Frau. Ich soll gnädiger Frau ausrichten, dass gnädige Frau sehr wohl zum Abendessen im Speisesaal erwartet werden. Der Herzog sagt, er erwarte die gnädige Frau pünktlich um halb sieben, halten zu Gnaden!“

Agatha sah ratlos zu Hearts hinüber. Diese blickte ebenso ratlos zurück. Keine von ihnen hatte den vorgebrachten Wortschwall verstanden. Also wurde Lizzy geholt, die sich mit Feuereifer daranmachte, die Worte des Hausmädchens zu übersetzen. Agatha ahnte, dass ihr diese Fertigkeit ihres Schützlings auch in Wien gute Dienste leisten würde. Dann schickten sie die junge Dienerin mit der Botschaft an den Herzog zurück, dass sie ihm danke, sich aber wegen starker Kopfschmerzen außerstande sähe, der freundlichen Einladung Folge zu leisten. Er möge die Freundlichkeit besitzen, sie bei der Gräfin zu entschuldigen. Sie fand diese Antwort sehr gelungen und begab sich in Lizzys Zimmer, wo eine andere Dienerin soeben dabei war, ein kaltes Abendessen auf dem Tisch anzurichten.

„Wenn ich Ihnen auftrage zu kommen, dann haben Sie diesem Befehl Folge zu leisten“, lautete der erste Satz des Herzogs, als sich die Kutsche am nächsten Vormittag wieder in Bewegung setzte.

„Oh sieh an, das wusste ich nicht“, entgegnete Agatha, die durch eine lange, geruhsame Nacht zu ihrer Gelassenheit zurückgefunden hatte. Sie sah interessiert zu ihm hinüber: „Sie haben das Recht, mir Befehle zu erteilen? Wie kommt denn das? Hat man Sie zu meinem Vormund erklärt, ohne dass ich etwas davon weiß? Möchten Sie, dass ich Sie Oheim nenne?“

Bertram, der soeben die Seite des Buches gesucht hatte, an der sie am Tag zuvor ihren Unterricht beendet hatten, hielt inne, sah zu Eliza hinüber und riss verzweifelt die Augen auf. Geht denn die Streiterei schon wieder los?, sollte dieser Blick besagen. Das fand Lizzy offensichtlich so amüsant, dass sie zu kichern begann. Der junge Viscount fragte sich mit schlechtem Gewissen, ob es wirklich klug war, sich eine Dreizehnjährige zur Verbündeten zu machen. Noch dazu gegen ihren eigenen Vater und gegen ihre eigene Anstandsdame. Andererseits war sie für ihn der einzig vernünftige Mensch in diesem Fahrzeug.

Der Duke schnappte hörbar nach Luft: „Oheim? Also wirklich! Ich bin, mit Verlaub, kaum fünf Jahre älter als Sie.“

Agatha lächelte zufrieden.

„Wie konnten Sie nur so dumm sein, das Abendessen auf Ihrem Zimmer einzunehmen, gerade so, als wären Sie Lizzys Gouvernante?“, wollte er wissen.

Das zufriedene Lächeln verschwand wieder. „Ich war bei Tisch nicht erwünscht, das kann Ihrer Erinnerung doch nicht entfallen sein. Die Gräfin hielt mich für … für …“ Errötend brach Agatha ab.

„Das haben Sie also gehört?“ Der Herzog presste die Lippen zu einem Strich zusammen.

Eliza beugte sich nach vorne. „Wofür hat Sie die Gräfin gehalten, Lady Agatha?“, fragte sie interessiert.

Als keiner der Erwachsenen daran dachte, ihr zu antworten, lehnte sie sich wieder zurück und begann mit Bertram eine Konversation, in die sie geschickt die Redewendungen einflocht, die sie am Vorabend gelernt hatte. Er lobte sie in den höchsten Tönen und beeilte sich dann, diese Ausdrücke mehrmals zu wiederholen, um sie auch selbst in seinen Wortschatz aufzunehmen.

„Sie haben sich nicht viel Mühe gegeben, den schändlichen Verdacht aus der Welt zu räumen“, raunte Agatha dem Duke zu. „Von einem Gentleman hätte ich erwartet, dass er mich gegen solche Attacken beschützt …“

Sie bemerkte selbst, wie bitter ihre Stimme klang. Am Vorabend war sie noch froh gewesen, den Fängen der Gräfin entkommen zu sein. Sie wusste selbst nicht, warum es sie an diesem Morgen derart erzürnte, dass er sich nicht stärker für sie eingesetzt hatte und ihr jetzt stattdessen Vorwürfe machte. Andererseits musste sie im Stillen zugeben, hatte er nicht unrecht. Sie hätte sich auch selbst für sich stark machen können. Schließlich war sie eine erwachsene, selbstbewusste Frau … In diesem Augenblick entfuhr ihr ein erschrockenes: „Oh, entschuldigen Sie bitte vielmals!“

Die Kutsche war in eine so enge Linkskurve abgebogen, dass Agatha, die in Gedanken versunken nicht damit gerechnet hatte, gegen den Duke geschleudert worden war. Geistesgegenwärtig hielt er sie mit beiden Händen fest und verhinderte so, dass sie von der Bank rutschte. Agatha beeilte sich, sich wiederaufzurichten, und zupfte mit hektischen Bewegungen den Rock ihres Reisekleids zurecht. Es war nun schon das zweite Mal, dass sie aus Versehen in seinen Armen gelandet war. Sie wunderte sich, dass sie es nicht unangenehm fand, ihm so nahe zu sein. Er roch gut. Nach Sandelholz und Rosmarin.

„Natürlich habe ich mich für Sie eingesetzt“, hörte sie ihn da sagen. „Denken Sie denn, die Gräfin hätte es anderenfalls zugelassen, dass man Sie doch zu Tisch holt?“, fragte er, ohne auf den Zwischenfall einzugehen. Er hatte sich also doch auf ihre Seite gestellt? Agatha nahm es mit Freude zur Kenntnis. „Sie sind mir dadurch in den Rücken gefallen, dass Sie trotz allem nicht zum Dinner erschienen sind“, lautete nun sein Vorwurf.

Agatha bemühte sich, ihr schlechtes Gewissen zu verdrängen.

„Im Irrgarten haben Sie geschwiegen!“, bestand sie daher weiterhin, die Schuld bei ihm zu suchen.

„Im Irrgarten war ich zu überrascht, um überhaupt irgendetwas zu sagen“, verteidigte er sich. „Wie hätte ich denn ahnen können, dass Sie in mich hineinlaufen würden?“

„Sie sind doch in mich hineingelaufen!“, sah sich Agatha bemüßigt, richtigzustellen.

Bertram rollte mit den Augen. Lizzy kicherte wieder.

„Wie auch immer es war, die Vorwürfe der Gräfin waren haltlos“, sagte der Herzog. „Da gebietet es doch der reine Menschenverstand, dass man entschlossen dagegen auftritt und sich nicht in seinem Zimmer versteckt, als hätte man ein schlechtes Gewissen. Man hat dem Feind die Stirn zu bieten und …“

„Ist denn die Gräfin Weiningen unser Feind, Papa?“, meldete sich seine Tochter überrascht zu Wort. „Ich dachte, sie sei Mamas Cousine und wir würden sie mögen.“

Er war kurz irritiert, überlegte, was er am besten antworten sollte, und warf Agatha einen hilfesuchenden Blick zu. Die genoss seine Sprachlosigkeit viel zu sehr, um ihm tatsächlich beizustehen.

„Natürlich mögen wir die Gräfin, Eliza“, sagte er schließlich, um einen ruhigen Tonfall bemüht. „Ich habe ganz generell gesprochen. Lady Agatha weiß, was ich meine. Konzentriere du dich auf deinen Deutschunterricht. Diese Unterhaltung ist nicht für deine Ohren bestimmt.“ Um dann an Agatha gewandt fortzusetzen: „Und dann auch noch Kopfschmerzen vorzutäuschen! Die fadenscheinigste aller Ausreden. Ich hätte Ihnen da mehr Einfallsreichtum zugetraut, wenn es schon sein musste …“

In dieser Tonart ging es weiter, bis sie in einer überfüllten Poststation haltmachten.

Eigentlich hatten sie vorgehabt, rasch ein einfaches Mittagsmahl zu sich zu nehmen und ohne Verzögerung zu ihrem nächsten Ziel, einer Stadt namens Nürnberg, weiterzufahren. Doch wie es sich herausstellte, waren die Köche von den zahlreichen Reisenden so heillos überfordert, dass sich die Wartezeit auf das Essen schier endlos hinzog. Der Herzog schickte Bertram mehrmals in die Küche, um sicherzustellen, dass sie im Extrazimmer nicht vergessen wurden. Dann endlich wurden dicke Würste auf groben Steintellern aufgetischt. Dazu gab es gestampfte Kartoffeln und ein säuerliches Kraut, das mit viel Kümmel gekocht worden war. Der Duke und Bertram spülten alles mit Bier hinunter, das man hier in großen Krügen servierte und das zu ihrer Überraschung kalt getrunken wurde.

Alles in allem dauerte der Aufenthalt in der Poststation um einiges länger als geplant, und so stimmte der Duke anschließend ohne zu zögern dem Vorschlag des Kutschers zu, bei der Weiterfahrt von der Poststraße abzuweichen.

„Der Stallbursche hat mir eine Abkürzung beschrieben, Euer Gnaden. Durch die können wir die verlorene Stunde gut und gern bis zum Abend wieder hereinholen. Die Nacht verbringen wir dann, wie geplant, im Gasthof Graue Gans in Nürnberg.“

„Wir sollten auf der Poststraße bleiben“, meldete sich Agatha zu Wort. „Dort sind wir sicher. Wer weiß, in welchem Zustand die kleinen Straßen hier sind. Auf meiner Reise nach Florenz …“

„Ach, hören Sie doch auf mit Florenz!“, fuhr der Herzog sie an. „Wenn ein Einheimischer eine Abkürzung empfiehlt, dann wird das seine Richtigkeit haben. Außerdem: Warum soll der Zustand der Nebenstraßen schlecht sein? Es hat mehrere Tage lang nicht mehr geregnet.“

Damit waren Agathas Bedenken kurzerhand vom Tisch gewischt und der Duke wandte sich an den Kutscher, um seine Zustimmung zur Abkürzung zu wiederholen. Dieser bedankte sich, erklomm den Bock und schon fuhren die Fahrzeuge aus dem Innenhof der Poststation hinaus. Zuerst ging es noch ein kurzes Stück auf der breiten Straße entlang, bis sie zu einem Bildstock kamen. Da fuhr der Wagen in einen unbefestigten Weg ein, um mitten durch ein abgeerntetes Maisfeld zu rumpeln.

Gegen achtzehn Uhr musste sich selbst der Duke of Landmark eingestehen, dass sie sich verirrt hatten und den vorgesehenen Gasthof nie und nimmer vor Einbruch der Dunkelheit erreichen würden. Er war ungehalten und rechtschaffen müde. Dazu kam, dass ihn Agatha bereits mehrmals auf diese Möglichkeit hingewiesen hatte, was auch nicht dazu geeignet war, seine Laune zu heben.

Der Wagen wurde angehalten, der Kutscher sprang vom Bock und öffnete den Schlag: „Es tut mir leid, Euer Gnaden. Ich habe mich genau an die Beschreibung des Burschen gehalten, und doch dürfte ich irgendwo eine falsche Abzweigung erwischt haben, ah … da kommen die anderen. Sehr gut.“

Die letzten Worte betrafen die beiden kleineren Kutschen, die eben in seine Sichtweite gekommen waren.

„Von sehr gut kann keine Rede sein“, fuhr ihn sein Herr missmutig an. Wie alle anderen auch, war er in den letzten Stunden durchgeschüttelt worden, und jeder Knochen im Leib tat ihm weh. Er war hungrig, durstig und fühlte sich wie erschlagen. All das machte ihn äußerst gereizt. „Fahr weiter und sieh zu, dass wir die nächste Stadt erreichen. Irgendwo muss sich doch da ein bewohntes Gebiet befinden.“

Agatha war auf die andere Seite gerutscht und drückte nun ihre Nase an die mit Lehm beschmutzte Fensterscheibe. „Wir stehen vor einem Gasthaus, wie mir scheint“, informierte sie ihn. „Lassen Sie uns doch hierbleiben.“

Das Steinhaus war klein und gedrungen. Aus dem Inneren der Gaststube schien sanftes Kerzenlicht nach außen. Agatha hob den Kopf und sah Rauch aus dem gemauerten Kamin aufsteigen. Das Schild über der Tür war so stark verwittert, dass man den Namen nicht mehr lesen konnte, doch es wies das Haus ohne Zweifel als Gastbetrieb aus.

„Das war auch meine Idee, Mylady“, bestätigte der Kutscher ihre Worte. „Die Gastwirtschaft ist nicht groß, doch sie scheint ganz passabel zu sein.“

„Ich finde das kleine alte Häuschen hübsch“, rief Lizzy aus, die sich nun ebenfalls zum Fenster gelehnt hatte. „Es hat etwas Märchenhaftes, findet ihr nicht auch?“

Bertram lächelte.

Agatha verzog zweifelnd die Lippen. Sie hatte auf ihren Reisen schon zu viele negative Erfahrungen gesammelt, um noch an ein Wunder zu glauben.

„Das Wirtshaus interessiert mich nicht im Geringsten“, fuhr der Duke auf. „Es ist geplant, dass wir heute in Nürnberg übernachten, also werden wir nach Nürnberg fahren. Schließen Sie die Tür, es zieht!“

Der erfahrene Kutscher, der schon so lange in seinen Diensten stand, dass er sich das Vertrauen seines Herrn erarbeitet hatte, wagte einen Widerspruch: „Das erscheint mir nicht ratsam, Euer Gnaden. Wenn ich nach vorne schaue, scheinen ausgedehnte Wälder vor uns zu liegen.“

„Wälder gibt es hier überall“, lautete die trockene Antwort, „die haben uns bisher nicht gestört und werden uns auch jetzt nicht stören.“

„Euer Gnaden, mit Verlaub, ich halte es für ein viel zu großes Risiko, zu so später Stunde in einen Wald hineinzufahren“, ließ der Diener nicht locker. „Man weiß nie, welches Gesindel sich dort herumtreibt.“

Noch war der Duke nicht geneigt, nachzugeben. „Wir sind bewaffnet“, wandte er ein, doch es klang nicht mehr ganz so überzeugt.

Der Kutscher warf einen Blick gegen den Himmel und wagte einen neuerlichen Vorstoß: „Außerdem wird es in Kürze Regen geben, vielleicht sogar Sturm. Der Wind frischt bereits auf …“

Wie zum Beweis seiner Worte fegte ihm eine heftige Böe den hohen Hut vom Kopf. Geistesgegenwärtig griff er nach dem fortfliegenden Zylinder, erwischte ihn gerade noch und drückte ihn fest auf seine grauen Locken. Erste dicke Tropfen klatschten gegen das Kutschendach. Jetzt musste auch der Herzog wohl oder übel einsehen, dass an eine Weiterfahrt nicht mehr zu denken war.

Kurze Zeit später standen sie dicht aneinander gedrängt in einem muffigen, engen Hauseingang. Die Decke war so niedrig, dass sich der hochgewachsene Herzog vorbeugen musste, um nicht anzustoßen. Die Wände waren roh und von Flecken übersät. Da niemand gekommen war, um nach ihren Wünschen zu fragen, übernahm Walterton, der Kammerdiener des Dukes, das Kommando. Agatha mochte ihn nicht besonders. Er war ihr zu hochnäsig, und sie hatte ständig das Gefühl, er versuche seinen Herrn an Vornehmheit noch zu übertreffen. Allerdings war er auch energisch, wie sie in diesem Augenblick feststellte.

„Landlord, come at once!“, rief er nämlich in voller Lautstärke und öffnete dann mit einem Ruck die Tür zum Schankraum. Der Geruch, der ihnen entgegenschlug, war so ekelhaft, dass sich Agatha vor Schreck den Ärmel vor die Nase hielt. Es roch nach abgestandenem Bier, ranzigem Talg, verdorbenem Fleisch und nach sonst so allerlei. Sie wollte gar nicht darüber nachdenken, was alles die Ursachen für diesen Gestank sein konnten, und gab Lizzy mit einer Handbewegung das Zeichen, sie solle ihre Nase ebenfalls bedecken. Mit großen Augen sah sie zur Sitzbank hinüber, die aus groben Brettern zusammengezimmert war. Waren das zwei Katzen, die da in der Ecke saßen, oder zwei besonders wohlgenährte Ratten? Der Kammerdiener eilte zu einem der kleinen Fenster, und sofort hatte sie Gewissheit: Ja, es waren Ratten, die jetzt quiekend das Weite suchten. Lizzy schrie auf, Agatha legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Sie wünschte sich, das hätte auch jemand bei ihr gemacht. Wo waren sie da nur hingeraten?

Laut und deutlich grollte draußen der erste Donner. Auch das noch! Bei einem Gewitter gab es sicher kein Fortkommen mehr. Walterton hatte inzwischen eines der Fenster mit einem so starken Schwung aufgerissen, dass es aus den Angeln kippte und schräg vor der Wand zu hängen kam. Es donnerte abermals. Heftiger Wind fuhr ins Innere des Raumes und wirbelte den Dreck auf, der auf dem Fußboden lag. Die Zugluft verstärkte sich noch, als nun die den Fenstern gegenüberliegende Tür aufging und ein untersetzter kleiner Mann mit einer ledernen Schürze eintrat. Er hatte ein aufgedunsenes Gesicht und tiefe, dunkle Ringe unter den Augen.

Mit großen Schritten war er beim Kammerdiener, packte ihn am Arm, riss ihn vom Fenster weg und brüllte: „Bist du wahnsinnig geworden, du Brotz? Von dir lass ich mir doch net meine Stube auseinandernehmen. Geht‘s dorthin, woher ihr gekommen seid, ihr Großkopferten!“

Dann drückte er mit geübtem Griff das Fenster wieder in den Rahmen zurück.

Agatha wandte sich zu Bertram um, um zu erfahren, was der Mann gesagt hatte, doch der zuckte nur ratlos mit den Schultern. Sie hatten zwar erkannt, dass das der Wirt sein musste, und begriffen, dass er ungehalten war. Aber sie hatten nicht ein Wort, das er von sich gegeben hatte, verstanden.

„Einen Augenblick, guter Mann“, meldete sich nun der Duke zu Wort. Agatha war sich nicht sicher, ob er so langsam sprach, weil er den Wirt beruhigen wollte, oder ob ihm die Worte in der fremden Sprache nicht schneller einfielen. „Wo genau befinden wir uns denn hier? Ich hatte angenommen, dass in diesem Land deutsch gesprochen würde.“

„Was wüllst?“, fuhr ihn der Wirt an und krempelte seine Ärmel hoch. „Ich bin net dein guter Mann, merk dir das, du gscherter Hammel!“

Da er damit zu beweisen schien, dass Deutsch doch nicht seine Muttersprache war, hielt es der Duke für angebracht, seine Frage auf Französisch zu wiederholen. Dass das schon gar keine gute Idee war, stellte sich umgehend heraus: „Sag bloß, du bist a Franzos, du Wanzen? Das wird ja immer schlimmer!“, war die Reaktion, die er darauf erhielt. Nun war das Gesicht des Wirts feuerrot angelaufen.

Der Duke runzelte die Stirn und sah zum ebenso ratlosen Bertram hinüber. Ein Blitz durchzuckte die Dämmerung, der nächste Donner folgte auf dem Fuße. Heftiger Regen prasselte gegen die kleinen Fensterscheiben.

„Ich fürchte, der Mann will uns mitteilen, dass es im Haus eine schlimme Ungezieferplage gibt“, sagte der junge Viscount nun. „Die Wörter schlimm und Wanzen habe ich verstanden. Der Mann scheint also doch eine Art von Deutsch zu sprechen.“

„Was ist denn das für eine Schreierei?“, meldete sich nun die Stimme der Wirtin, die im Türrahmen aufgetaucht war und kampfeslustig die drallen Arme in die Hüften stemmte.

„Kaputt machen wollen die uns alles, die Saupreißen, die französischen!“, setzte sie ihr Gatte ins Bild.

Und wieder donnerte es.

Agatha drehte sich zu ihrem Cousin um. Sie hatte auf ihren Reisen die Erfahrung gesammelt, was man am besten tat, um solch kritische Momente abzuwenden: „Schnell, Bertram, gib der Frau Geld. Versuch sie auf deine Seite zu ziehen. Sei großzügig!“