Verlobung wider Willen - Sophia Farago - E-Book

Verlobung wider Willen E-Book

Sophia Farago

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Beschreibung

England, 1813. Penelope, zweitälteste Tochter der Viscountess of Panswick, hat soeben ihren vierten Heiratsantrag abgelehnt. Seit ihr bei ihrem Debüt in London das Herz gebrochen wurde, würde sie am liebsten ein beschauliches Leben auf Lancroft Abbey führen, umgeben von ihren geliebten Tieren. Doch Lady Panswick möchte ihre Tochter so schnell wie möglich unter die Haube bringen. Also organisiert sie einen Ball zu dem passende Junggesellen eingeladen werden. Und sie nimmt Penelope das Versprechen ab, einen fünften Heiratsantrag in jedem Fall anzunehmen. Doch nicht nur die Ballvorbereitungen halten Penelope in Atem. Sie kümmert sich auch um einen verletzten Soldaten, von dem ihre Mutter annimmt, es sei ein entfernter Verwandter. Wer ist dieser Mann wirklich?

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Seitenzahl: 450

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Über das Buch:

England, 1813.

Sophia Farago

Verlobung wider Willen

Edel Elements

Edel Elements Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2016 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2016 by Sophia Farago

facebook.com/4xSophiawww.sophias-romane.at

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Agency GmbH, München.

Covergestaltung: DesignomiconLektorat: Dr. Rainer SchöttleKorrektorat: Anika BeerKonvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-774-5

facebook.com/edelelementswww.edelelements.de

Die Lancroft Abbey Reihe

Die Familiengeschichte von Lancroft Abbey und eine Liste der wichtigsten Personen finden sich im Anhang.

Kapitel 1

Lancroft Abbey, Tunbridge Wells, Kent,Frühsommer 1813

Lady Penelope Barnett war glücklich. Der Regen der letzten Tage hatte aufgehört, der scharfe, für die Jahreszeit ungewöhnlich kalte Wind hatte sich gelegt. An diesem Vormittag im Mai schien die Sonne bereits seit dem frühen Morgen und beflügelte nicht nur Penelopes eigene Lebensgeister, auch die Schafe hatten sich aus dem engen Unterschlupf begeben und grasten nun friedlich nebeneinander auf der saftigen Wiese. Manche vollführten so fröhliche Luftsprünge, dass sie sie zum Lachen brachten. Wie schön es hier war! Wie friedlich und beschaulich! Penelope seufzte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dann wäre sie für immer auf Lancroft Abbey geblieben, hätte sich tagsüber um die Tiere ihrer Nachbarin Lady Stonesdale gekümmert und die Abende mit Mutter und Cousine Agatha vor dem offenen Kamin verbracht. Natürlich hatte sie insgeheim stets davon geträumt, dass sich eines Tages, wie durch ein Wunder, ein passender Gentleman auf den Landsitz verirren würde, der sie nicht nur lieben, sondern sich auch noch nahtlos in dieses ländliche Idyll einfügen würde. In ihren Träumen hatte ebenjener Gentleman blondes, volles Haar und ein höchst anziehendes Lächeln, genauso wie ein ganz bestimmter Herr, der sich bei ihrem Debüt in London als alles andere denn ein Gentleman entpuppt hatte. Und an den sie keinesfalls mehr denken wollte.

Die Turmuhr von St. George im nahen Benenden schlug zehn Mal und schreckte Penelope aus den Gedanken auf. Um Himmels willen, sie musste umgehend nach Hause! Für elf Uhr hatte sich James Northbrook angesagt. Mutter war sich sicher, dass er heute nur aus einem einzigen Grund vorsprach, nämlich um ihr, ihrer zweitältesten Tochter die eine, die ganz bewusste Frage zu stellen. Und diese Tochter stand da, am Rande der Weide, und hatte wieder einmal die Zeit völlig vergessen. Die Stiefelchen waren voller Lehm, die Haare zerzaust. Ihr schneller Blick streifte die Hände. Die schwarzen Ränder unter den Fingernägeln sahen alles andere als adrett und damenhaft aus.

Penelope schürzte die Röcke und lief zu Morning Glory hinüber, die unter dem großen Eichenbaum friedlich graste. Mit einem geübten Satz war sie im Sattel und ergriff die Zügel. Hoffentlich würde Mama nichts von ihrem verspäteten Nachhausekommen und ihren verschmutzten Kleidern bemerken! Es war Lady Panswick ohnehin ein Dorn im Auge, dass sie sich jeden Tag in den Ställen und auf den Weiden herumtrieb, wie sie es nannte. Nicht, dass sich Mama eine eitle Tochter gewünscht hätte, deren einzige Interessen schöne Kleider und Tand gewesen wären. Und wegen der sie sich mehrmals die Woche der mühevollen Aufgabe hätte unterziehen müssen, sie als Anstandsdame auf Bälle und Musikabende in Tunbridge Wells zu begleiten. Nein, sie war froh, dass Penelope keinen großen Wert auf gesellschaftliche Veranstaltungen legte. Doch sie hätte sich sicher gewünscht, ihre Zweitälteste würde sich mehr für Haushaltsführung interessieren und endlich die Kissenüberzüge besticken, die für den Grünen Salon so dringend benötigt wurden. Vor allem aber hätte sie sich gewünscht, sie hätte einen der drei Heiratsanträge angenommen, die ihr schon unterbreitet worden waren.

Während das Pferd eine lange Gerade entlanggaloppierte, korrigierte Penelope ihre Gedanken. Zumindest zwei der Gentlemen wären in Mamas Augen als passende Bewerber durchgegangen. Den dritten, einen gewissen Mr Sherman Stottleby, hatte auch sie einen affektierten Tunichtgut genannt, der nichts anderes konnte, als das Erbe seines Onkels durchzubringen. Penelope hätte, in Erinnerung an diesen Heiratsantrag, beinahe laut losgelacht. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um es nicht zu tun. Am Wegesrand hatte sie nämlich einen der Pächter von Lancroft Abbey mit seinen zwei Knechten entdeckt, die Bünde mit Reisig geschultert hatten. Sie waren stehen geblieben und zogen zum Zeichen ihrer Ehrerbietung die Filzhüte vom Kopf. Penelope beeilte sich, freundlich zu winken, während sie an ihnen vorbeigaloppierte. Das gelang ihr zum Glück mit äußerster Selbstbeherrschung ganz gut. Die Schwester eines Viscounts, die schallend lachend durch die Gegend ritt, das wäre ein willkommener Anlass für manche Bewohner gewesen, um sich das Maul zu zerreißen.

Doch der Heiratsantrag war wirklich allzu komisch gewesen. Sie hatte Mr Stottleby auf einem Ball in den Assembly Rooms kennengelernt und er war ihr auch bei den nächsten Veranstaltungen nicht von der Seite gewichen. Penelope hatte schon befürchtet, dass er ihr einen Antrag machen würde, und sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie ihn zurückweisen konnte, ohne seinen Gefühlen allzu großen Schaden zuzufügen. Dann hatte der Bedauernswerte allerdings den Fehler begangen, mit seiner Frage völlig unvermittelt herauszuplatzen, als nicht nur sie im Wohnzimmer anwesend gewesen war, sondern auch Mama, Cousine Agatha und ihre kleine Schwester Vivian, die vom Institut für Höhere Töchter ein paar Tage Ferien bekommen hatte. Zuerst hatte sie den Eindruck gehabt, er wäre zu einem ganz normalen Vormittagsbesuch erschienen. Man hatte geplaudert und Höflichkeiten ausgetauscht. Und Vivian hatte sich ganz offensichtlich weder an seiner gepuderten Perücke sattsehen können noch an seinem Dreispitz, den er unablässig in den Händen drehte. Kaum jemand trug in diesen Tagen noch eine Perücke. Das war so altmodisch! Und nur ganz alten Herren und ausgewiesenen Traditionalisten vorbehalten. Und auch der Dreispitz war schon lange durch den Zylinder ersetzt worden. Als Mr Stottleby plötzlich aufgestanden war, um sich vor sie hinzustellen – Gott, war sie überrascht gewesen! Geradezu überwältigt! Noch dazu war seine Perücke verrutscht und bot ein höchst seltsames Bild. Und die Wangen hatten die Farbe der dunkelroten Seide seiner bestickten Weste angenommen. Vivian ließ einen erschreckten Schrei vernehmen, worauf Cousine Agatha zu kichern begann und sie selbst nicht anders konnte, als in dieses Kichern einzustimmen. Obwohl sie sich doch so sehr bemüht hatte, es nicht zu tun. Mutter raunte ihr von der Seite ein strenges „Hör sofort auf!“ zu. Leider bezog Mr Stottleby diese harschen Worte auf sich. Mutter hatte eine laute Stimme, selbst wenn sie zu flüstern glaubte. Er hielt mitten im Satz inne, sah Ihre Ladyschaft mit angstgeweiteten Augen an, stammelte eine Entschuldigung, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Man hatte den armen Mann seither in Tunbridge Wells nicht wiedergesehen.

 

Penelopes Versuch, ungesehen auf ihr Zimmer zu gelangen, scheiterte kläglich, da ihre Mutter sie bereits in der offenen Wohnzimmertür erwartete. Kritische Augen musterten den lehmbespritzten Rocksaum und die von Matsch völlig durchweichten Stiefelchen mit einem tadelnden Blick.

„Wo bist du gewesen? Und wie siehst du schon wieder aus? Hast du vergessen, was dich heute erwartet?“

Oh nein, Penelope hatte nicht vergessen, dass ihr in Kürze der vierte Heiratsantrag bevorstand. Schließlich hatte ihre Mutter in den letzten Tagen von nichts anderem gesprochen. Heute war Mama, dem hoffnungsfrohen Anlass gemäß, ungewöhnlich elegant gekleidet. Lady Panswick war eine tüchtige, tatkräftige Frau, die ihre korpulente Gestalt gern in praktische, robuste Baumwollkleider steckte, um ihren Pflichten in Haus und Hof besser nachgehen zu können. Wer nicht wusste, dass es sich bei dieser Dame um die verwitwete Viscountess handelte, hätte sie auf den ersten Blick mit einer Pächtersfrau verwechseln können. Allerdings nur so lange, bis er in ihre wachen Augen geblickt und ihre scharfzüngige Sprache erfahren hätte, die sehr viel Klugheit und Menschenkenntnis verriet. Das Kleid, das Mylady heute trug, bestand aus einer tannengrünen Chemise mit gerafftem Halsausschnitt aus Seidencrepe. Dazu trug sie ein Überkleid mit rückwärtigen Kellerfalten aus lindgrünem gestreiften Leinen.

„Mama, du bist so elegant!“, rief Penelope erstaunt, ohne auf die Fragen ihrer Mutter einzugehen. Diese wusste doch auch so, dass sie den Vormittag wieder auf Lady Stonesdales Weide verbracht hatte. Das musste sie ihr nicht auch noch ausdrücklich bestätigen. Und: Wie hätte sie vergessen können, was sie heute erwartete? Wo doch der bevorstehende vierte Heiratsantrag für viele unruhige Nächte gesorgt hatte.

„Ja, natürlich bin ich das“, sagte Ihre Ladyschaft soeben, „und ich bedaure es sagen zu müssen, zum Unterschied zu dir, Penelope. Meine Kleidung entspricht dem Anlass, der vor uns liegt. Mr Northbrook wird sicher bei mir vorsprechen wollen, nachdem er dir seinen Antrag gemacht hat. Da kann ich ihm doch nicht gut in einem fadenscheinigen Tageskleid entgegentreten. Was ist denn mit deinen Fingern?“

Ihre Ladyschaft ergriff die Hände ihrer Tochter und unterzog sie einer kritischen Musterung, während diese wieder einmal feststellte, dass die Hände ihrer Mutter zwar sauberer waren, ihr jedoch an Schwielen und Kratzern an nichts nachstanden.

„Mein Kind, mein Kind!“, sagte Lady Panswick schließlich kopfschüttelnd, „man sollte doch annehmen, du seist ein wenig vernünftiger. Ein junger Mann von heute wünscht sich eine zarte Elfe, die ihn durch Grazie und Eleganz überzeugt. Du bist zwar zweifelsfrei eine Schönheit, doch deine Hände gleichen eher denen eines Bauerntrampels.“

„Aber du hast doch auch …“, versuchte Penelope einen Einwand, wurde aber umgehend zurechtgewiesen.

„Ich bin alt und verwitwet, das ist ganz etwas anderes! Jeder weiß, dass ich nach dem Tod deines Vaters ein Landgut zu leiten habe, bis dein Bruder alt genug ist, um es zu übernehmen. Auch wenn wir, Dank deines Schwagers, jetzt einen tüchtigen Verwalter haben, bleibt genug, worum ich mich kümmern muss. Unserer Heimat, Lancroft Abbey zuliebe!“

„Wie recht du hast, Mama! Lancroft Abbey ist auch meine Heimat. Kann ich nicht einfach hier wohnen bleiben? Zumindest noch ein paar Jahre? Hier bin ich glücklich. Ich bin doch erst zweiundzwanzig, Mama. Warum ist es denn so wichtig, dass ich mich jetzt schon vermähle?“

„Erst zweiundzwanzig!“, rief Ihre Ladyschaft aus und hob in einer dramatischen Geste beide Arme. „Erst zweiundzwanzig! Als ich so alt war wie du, da war ich seit einem Jahr verheiratet und trug bereits deine Schwester Frederica unter dem Herzen.“ Dann legte sie ihrer Zweitältesten die Hand auf die Schulter und schaute ihr eindringlich in die Augen: „Wenn Gott will, dann bekommst du heute deinen vierten Heiratsantrag, Penelope. Du bist zwar eine Schönheit, doch Schönheit ist vergänglich. Worauf willst du warten? Und, vor allem, wie lange noch? Bis deine Haare grau und deine Zähne braun geworden sind? Ich würde mich an deiner Stelle auch nicht darauf verlassen, dass noch einmal so ein passender Gentleman des Weges kommt. Drei Bewerber hast du schon verschmäht …“

„Der erste war kaum jünger, als Papa gewesen wäre! Der zweite liebte London und konnte gar nicht genug davon erzählen, welche Bälle und Gesellschaften ich für ihn ausrichten sollte. Ich hasse London, das weißt du, Mama. Und solch große gesellschaftliche Verpflichtungen machen mir Angst. Und der dritte Bewerber war einfach nur lächerlich.“

„Das war er wohl!“, gab Lady Panswick zu, die für ihre Ehrlichkeit bekannt war. „Aber Northbrook ist es nicht. Im Gegenteil, er scheint mir ein höchst passabler Mann zu sein. Außerdem ist er kaum dreißig, also in passendem Alter. Er liebt das Landleben ebenso sehr wie du. Mir ist nicht bekannt, dass seine Familie überhaupt ein Haus in der Hauptstadt besitzt. Also hast du auch nicht zu befürchten, dass er sich jede Season dort aufhalten will. Ich wüsste nicht, was es an ihm auszusetzen gäbe. Wirklich nicht!“

„Ich finde ihn ja auch ganz angenehm“, gab Penelope zu. „Aber ich liebe ihn nicht!“, hätte sie noch gern angefügt. Doch sie wusste zu gut, dass Mama diesen Einwand nicht gelten lassen würde. Sie selbst war dereinst eine Vernunftehe eingegangen und doch hatte sich diese mit den Jahren als durchaus erfreulich und gelungen herausgestellt.

„Natürlich habe ich euren Vater geliebt!“, hatte sie vor etwa einem Jahr ausgerufen, als Vivian sie direkt danach gefragt hatte. „Noch nicht bei unserer Heirat natürlich, aber nach ein, zwei Jahren, als wir uns aneinander gewöhnt hatten. Und ab dann genau in dem Ausmaß, das sich für eine Lady unseres Standes geziemt. Liebe ist etwas anderes als das, worüber ihr in euren Romanen lest. Solch himmelhochjauchzende Gefühle, wie sie in Novellen beschrieben werden, gibt es im wirklichen Leben nicht. Und selbst wenn es sie gäbe, wären sie wohl eher etwas für die unteren Stände.“

„Ich will keine Widerworte hören!“, sagte Ihre Ladyschaft in diesem Augenblick und hob abwehrend die Hand, noch bevor Penelope ein Wort gegen Mr Northbrook hätte vorbringen können. „Und jetzt hinauf mit dir in dein Zimmer. Rosie muss wahre Wunder vollbringen, wenn sich dich in weniger als einer Stunde von einem verschmutzten Wildfang in eine repräsentable junge Lady verwandeln will.“

Kapitel 2

Vom Vorplatz aus war Hufgetrappel zu hören und die große Standuhr schlug laut und vernehmlich zur vollen Stunde. Penelope saß in ihrem neuen, himmelblauen Tageskleid auf dem Sofa im Salon und knetete ein Batisttaschentuch in den vor Aufregung schweißnassen Händen. Rosie hatte ihre blonden Locken gebürstet, am Hinterkopf aufgesteckt und mit einem Seidenband in der Farbe des Kleides geschmückt. Ein paar Locken kringelten sich um die Ohren und im Nacken. Penelope verschwendete keinen Gedanken daran, wie außergewöhnlich hübsch sie war. Sie dachte nur: Ach, wäre doch alles schon vorüber! Hätte er doch schon den Antrag gestellt. Und hätte ich doch schon die alles entscheidende Frage hinter mich gebracht, ob er mir gestatten würde, mich auch in seinem Heim um die Tiere zu kümmern.

Pferde und Schafe waren ihr Lebensinhalt. Sie hatte sich in den letzten Jahren so großes Wissen über die Heilkunst von Tieren angeeignet, dass selbst der erfahrene Stallmeister von Lady Stonesdale ihr Respekt zollte und sie bisweilen um Rat fragte. Würde ihr Mr Northbrook erlauben, sich entgegen allen Konventionen, weiter um Vierbeiner zu kümmern? Wenn seine Antwort auf ihre Frage ja lauten sollte, worauf sie inständig hoffte, dann würde das auch ihre Antwort auf seine Frage sein. Denn Charles Northbrook schien tatsächlich ein angenehmer Mensch zu sein, der einen ganz passablen Gatten abgeben konnte. Vom Sehen kannte sie ihn seit ihrer Kindheit. Sein Vater war der jüngere Bruder eines Viscounts und die Familie lebte auf einem Landsitz südlich von Tunbridge Wells. Da war es nur natürlich, dass man sich immer mal wieder über den Weg lief. Allerdings war Charles fast acht Jahre älter und darum hatte er lange Zeit keinen zweiten Blick auf sie verschwendet. Vor drei Jahren verlobte er sich mit einer jungen Dame, die wenig später an demselben Fieber verstarb, das auch Penelopes Vater, den Viscount of Panswick, sowie den Ehemann ihrer Cousine Agatha dahingerafft hatte. Inzwischen war die Trauerzeit vorüber und Charles Northbrook wandelte wieder auf Freiersfüßen. So kam es, dass sie seit einigen Wochen das Ziel seiner Aufmerksamkeit war. Anfangs hatte sie das gar nicht bemerkt und bei abendlichen Veranstaltungen völlig unbefangen mit ihm geplaudert und sich aufs Parkett führen lassen. Erst als sie von Mama eindringlich ermahnt worden war, diese Chance nicht wieder ungenutzt verstreichen zu lassen, war sie sich der Tatsache bewusst geworden, dass er sie umschwärmte. Bei diesem Gentleman würde sie keinen akzeptablen Grund finden, ihn abzulehnen. Sie dachte an die hoffnungsfrohen Erwartungen ihrer Mutter und beschloss, alles zu tun, um an diesem Abend als verlobte Frau zu Bett gehen zu können.

„Ist es Ihnen recht, wenn wir das Teetablett hier platzieren, Lady Penelope?“

Die Worte des Lakaien schreckten sie aus ihren Gedanken. Sie fand die vielen Diener, die sie umgaben, immer noch gewöhnungsbedürftig. Seit ihre älteste Schwester Frederica im letzten Jahr den reichen Earl of Derryhill geheiratet hatte, standen, im Gegensatz zu früher, ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung, die es Mama erlaubten, einen standesgemäßen Haushalt zu führen. Penelope bemerkte, dass einer der kleinen runden Tische zum Sofa gerückt worden war und ein zweiter Diener sich bemühte, eine bodenlange, weiße Tischdecke darüber zu breiten.

In diesem Augenblick wurde laut und vernehmlich der Türklopfer betätigt. Das konnte nur eines bedeuten: Mr Northbrook war eingetroffen.

„Ja, gern“, antwortete sie daher schnell, während ihr Herz vor Aufregung noch um einige Takte wilder zu schlagen begann. „Aber bitte beeilen Sie sich, mein Gast scheint soeben angekommen zu sein.“

„Natürlich, Mylady!“

Der Diener rückte das Tablett auf dem Tisch zurecht, legte kleine Silberlöffel neben die feinen Tassen aus blau-weißem Wedgwood Porzellan und schob die Etagere in Reichweite, auf die die Köchin kleine süße Köstlichkeiten drapiert hatte. Dann zogen sich die beiden mit einer Verbeugung zurück und wären im Türrahmen beinahe mit dem Butler zusammengestoßen. Dieser beobachtete ihren Abzug mit erhobenen Augenbrauen, bevor er sich umdrehte, um mit würdevoller Stimme zu verkünden: „Mr Charles Northbrook, Mylady.“

Da ihm dieser bereits auf dem Fuße folgte, hatte Penelope keine Zeit mehr „Ich lasse bitten!“ zu sagen. Rasch ließ sie ihr Taschentuch hinter einem Kissen verschwinden und sprang auf, um ihrem Gast entgegenzugehen. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, dass der Butler den Raum wieder verlassen hatte. Natürlich nicht, ohne die Tür einen Spaltbreit offen stehen zu lassen. Ein Mann und eine junge Frau, die weder miteinander verwandt noch verheiratet, ja noch nicht einmal verlobt waren, hatten sich keinesfalls allein hinter geschlossenen Türen aufzuhalten. Niemand wusste das besser als der oberste Diener eines herrschaftlichen Hauses. Penelope war mit Mr Northbrook allein.

Rasch warf sie ihm einen Blick zu, bevor sie in einen angemessenen Knicks versank. Mama hatte sich nicht geirrt! So elegante Kleidung trug man nicht zu einem informellen Vormittagsbesuch. Nur für Ereignisse von Gewicht zwängten sich junge Herren schon tagsüber in ihre engste Jacke aus Schurwolle. Penelope gestand sich ein, dass diese die trainierten Schultern ihres Verehrers vortrefflich betonte. Das Halstuch war so kunstvoll geknüpft, dass es ihren Bruder Bertram vor Neid hätte erblassen lassen. Er versuchte seit Jahren, die kunstvolle Technik zu perfektionieren, doch diese Bemühungen waren nicht immer von Erfolg gekrönt.

„Meine liebe Lady Penelope!“ Ihr Besucher kam mit großen Schritten näher und ergriff die Hand, die sie ihm entgegenstreckte, um sich galant darüber zu verbeugen.

Sie wusste, dass sie eigentlich die Augen weiterhin sittsam zu Boden hätte schlagen müssen, aber dafür war sie viel zu gespannt darauf, seine Gesichtszüge zu beobachten. Wie würde er blicken, während er sich ihr erklärte? Würde er ernst schauen? Wild und zu allem entschlossen? Oder freundschaftlich mit einem Zwinkern in den Augen?

Rasch erinnerte sie sich an ihre Manieren: „Wie schön, Sie zu sehen, Mr Northbrook. Mama wird sich sehr freuen, dass Sie uns besuchen. Ich werde sie umgehend holen lassen.“

Sie ging ein paar Schritte zur Seite und tat so, als würde sie zum Klingelstrang greifen. Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seinen Widerspruch, der prompt erfolgte.

„Einen Augenblick!“, hörte sie seine Stimme hinter ihrem Rücken. Auch diese klang atemlos.

Penelope ließ den Arm wieder sinken. Ihre Mutter wäre alles andere als erfreut gewesen, hätte sie sie gerufen, bevor der Antrag vorgebracht worden war. Aber sie hatte das Gefühl gehabt, zumindest so tun zu müssen, um den Anstand zu wahren. Nun drehte sie sich langsam um und bemühte sich um ihr reizendstes Lächeln. Wieder begann ihr Herz wie wild zu schlagen. Gleich war es so weit! Gleich würde er vor sie hintreten! Gleich gab es kein Entkommen mehr.

Sei glücklich!, befahl eine strenge innere Stimme, die verräterisch nach der ihrer Mutter klang. Du bist alt genug! Willst du wirklich warten, bis deine Schönheit vergangen ist? Er ist besser als viele andere. Sei froh, dass er dich zur Gemahlin nehmen will!

Mr Northbrook stand nun vor dem kleinen Teetischchen, das extra für ihn aufgebaut worden war, die Wangen gerötet, das Lächeln saß etwas schief. Der Atem ging schnell und stoßweise. Dass er ebenso aufgeregt war wie sie selbst, beruhigte Penelope etwas. Vielleicht passten sie doch besser zusammen, als sie insgeheim fürchtete.

„Meine liebe Lady Penelope!“, sagte er noch einmal und ergriff wieder ihre Rechte. Mit einer hektischen Bewegung sank er vor ihr auf ein Knie … und dann nahm das Unglück seinen Lauf.

Kapitel 3

Während nämlich Mr Northbrook niedersank, hatte er nur Augen für Penelope, die ihm so schön und reizvoll erschien, dass es ihm schwerfiel, nicht nur die richtigen Worte, sondern überhaupt Worte zu finden. Seine Freunde würden ihre Münder vor Staunen und Neid nicht mehr zubringen, wenn sie erst erfuhren, dass es ihm gelungen war, das schönste Mädchen der Grafschaft als Trophäe nach Hause zu führen. Und was noch erfreulicher war: Er würde mit dem Earl of Derryhill verschwägert sein, der nicht nur einer der reichsten Männer des Königreichs war, sondern auch als äußerst großzügig galt, was seine Familie betraf. Mr Northbrook hatte erst letzte Woche ein Gespann von vier Grauen bei Tattersalls in London gesehen und allein der Gedanke, dass er die berechtigte Hoffnung hegen konnte, diese in Kürze sein Eigen zu nennen, ließ seinen Atem noch schneller fließen. Von diesen höchst erfreulichen Zukunftsaussichten abgelenkt, den Blick auf seine zukünftige Braut gerichtet, entging es ihm, dass er mit dem Stiefel entlang des weißen Tischtuchs rutschte und sich sein Spor in der Lochstickerei verhedderte. Auch Penelope bemerkte das Unheil erst, als es nicht mehr aufzuhalten war. Der Stiefel zog das Tischtuch mit sich und dieses wiederum das Tablett. Das feine Service fiel zu Boden, wo es mit lautem Klirren zu Bruch ging, der heiße Tee ergoss sich über Sofa und Teppich.

„Was zum Teufel …?“

Vom Lärm hinter seinem Rücken irritiert, sprang Mr Northbrook auf und stellte beim Blick an sich hinunter fest, dass der Tee auch unschöne Flecken auf seiner biskuitfarbenen Hose hinterlassen hatte. Er beugte sich hinunter, um seinen Stiefel aus dem Tischtuch zu befreien, und als er wieder hochkam, warf er Penelope einen derart verärgerten Blick zu, als wäre sie an dem Missgeschick schuld gewesen. Das bemerkte sie allerdings nicht. Ihre Augen hatten nämlich etwas ganz anderes entdeckt. Etwas, das ihr das mühsam aufrechterhaltene Lächeln mit einem Schlag aus dem Gesicht wischte.

„Sind das etwa Sporen?“, fragte sie, weil sie ihren Augen nicht trauen wollte.

Ungläubig sah sie von seinen Stiefeln zu seinem Gesicht hinauf und gleich darauf wieder zurück. In den letzten Jahren hatte sie nicht nur einmal all ihre Heilkünste anwenden müssen, wenn Besucher ihre Pferde mit Sporen verletzt hatten und die Wunden versorgt werden mussten. Penelope hasste Menschen, die ihre Vierbeiner auf diese Weise quälten, nur um etwas schneller an ihr Ziel zu gelangen.

„Selbstverständlich sind das Sporen!“, stand Mr Northbrook nicht an, ihren schrecklichen Verdacht frei heraus zu bestätigen. „Mein alter Gaul ist faul geworden, dem muss man Beine machen.“

Stirnrunzelnd blickte er zum Teetischchen hinüber.

„Jetzt holen Sie doch endlich jemanden, der sich um diese Malaise kümmert. Der dumme Tee hat bereits meine …“ Er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, wie unschicklich es war, vor einer Dame das Wort Hose in den Mund zu nehmen, und korrigierte sich auf „Stiefel durchnässt!“

Sprach’s und ging an das andere Ende des Raumes, um sich dort vor einen der großen Gobelins zu stellen und mit vor der Brust verschränkten Armen zu erklären: „Ich kann erst dann zum Grund meines Hierseins kommen, wenn diese Unordnung beseitigt ist. Also beeilen Sie sich, bitte!“

Er klang nun gar nicht mehr charmant, sondern eher aufgebracht und vielleicht auch eine Spur trotzig.

In Penelope stiegen die unterschiedlichsten Gefühle hoch. Und alle waren unerfreulich, was Mr Northbrooks Ambitionen betrafen. Wie kam dieser Mann dazu, sie zu behandeln, als wäre sie sein Dienstbote? Noch dazu in ihrem eigenen Elternhaus! Wie konnte er ihr die Unordnung vorwerfen, die er selbst verursacht hatte? Und vor allem aber: Wie konnte er auch nur im Entferntesten annehmen, dass sie einen Mann heiraten würde, der in Kauf nahm, dass ein Tier verletzt wurde, seinen eigenen Befindlichkeiten zuliebe?

Energisch zog sie am Klingelstrang.

Während sie das tat, schob sich das mahnende Gesicht ihrer Mutter vor all die anderen Gedanken. Oh Gott, Mama würde toben! Wie sollte sie ihr auch erklären, warum sie auch den vierten Antrag abgelehnt hatte? Lady Panswick würde keinen ihrer Vorbehalte verstehen.

Der Butler erschien so schnell im Türrahmen, dass sie den Verdacht hatte, er hätte in der Nähe gewartet.

„Sie haben geläutet, Mylady?“

Das rasche Hochschnellen einer Augenbraue deutete an, dass er das Chaos auf den Teppich bemerkt hatte. „Ich werde das Unheil umgehend beseitigen lassen!“

„Ich danke Ihnen, Shipton, doch das hat Zeit. Zuerst möchte sich Mr Northbrook verabschieden“, antwortete Penelope, ohne eine Miene zu verziehen.

Shiptons Augenbrauen schnellten abermals nach oben.

Auch der Besucher blickte mit großen Augen zu ihr hinüber. „Wie bitte!?“, fuhr er auf. „Also, ich habe doch noch gar nicht … Sie wissen doch noch überhaupt nicht …“

Um Penelopes Selbstsicherheit war es lange nicht so gut bestellt, wie sie vorgab. Konnte dieser schreckliche Mann nicht einfach gehen? Mit wachsender Verzweiflung fragte sie sich, was ihre vernünftige große Schwester wohl in so einer Situation antworten würde.

„Bemühen Sie sich nicht, Sir. Manche Dinge bleiben besser ungesagt“, brachte sie schließlich hervor.

Natürlich konnte er das nicht unwidersprochen hinnehmen. Nun waren seine Wangen ebenso rot geworden wie die der anderen drei abgewiesenen Verehrer.

„Was erlauben Sie sich, Miss?“, fuhr er sie an. „Also, ich lasse mich doch nicht einfach …“

„Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Mr Northbrook!“, unterbrach sie ihn, verzweifelt bemüht, ihrer Stimme weiterhin einen würdevollen Klang zu geben. „Er war sehr aufschlussreich. Unser Butler bringt Sie zu Ihrem armen Pferd!“

Shipton hielt bereitwillig die Tür auf: „Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sir!“

Mr Northbrook blieb nichts anderes übrig, als sich dieser unmissverständlichen Aufforderung zu fügen. Er tat dies mit einer steifen Verbeugung und einem zwischen zusammengekniffenen Zähnen hervorgepressten „Wie Sie wünschen, Mylady!“ Gefolgt von einem ebenso hervorgepressten „Landei!“

Der Stich, den sie in ihrem Herzen verspürte, erstaunte Penelope. Sie hatte nicht angenommen, dass man sie mit diesem Schmähwort immer noch verletzen konnte. Ein Gentleman der Londoner Gesellschaft hatte sie während ihres Debüts mit diesem unrühmlichen Etikett versehen. Das machte damals rasch die Runde und damit ihre Chancen am Heiratsmarkt zunichte. Für die Londoner High Society gab es nichts Schlimmeres als Menschen, denen Stallgeruch anhaftete, wie sie es nannten. Frederica und sie waren damals geradezu aus der Hauptstadt geflohen, froh, auf Lancroft Abbey wieder sicheren Unterschlupf zu finden. Mr Northbrook besuchte seinen Club in London mehrmals im Jahr. Also war es eigentlich kein Wunder, dass er von ihrem unerfreulichen Spitznamen erfahren hatte. Aber dass er sich als so schlechter Verlierer erwies und sich nicht verkneifen konnte, sie mit diesem abfälligen Wort zu bedenken, das war wirklich arg. Obwohl Penelope das wusste und obwohl ihr dieser Mann nicht das Geringste bedeutete, war sie doch gekränkt, wieder als Landei bezeichnet zu werden. Es fiel ihr zunehmend schwerer, sich nichts anmerken zu lassen. Sie deutete einen Knicks an und schaute dem Besucher nach, der mit raschen Schritten dem Butler in die Eingangshalle folgte.

Daraufhin ging sie zur Tür, um diese leise zu schließen. Jetzt war es allerdings mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Sie sank aufs Sofa, suchte hektisch nach dem versteckten Taschentuch und brach in Tränen aus. Mama würde jeden Augenblick kommen und erfahren wollen, warum ihr Galan das Haus bereits wieder verlassen hatte. Wenn sie erst hörte, dass er das tun musste, ohne den Antrag überhaupt vorzubringen, würde sie mehr als ungehalten sein. Und ihr tagelang ins Gewissen reden. All das wusste Penelope. Was aber tatsächlich alles auf sie zukommen würde, das konnte sie in diesen Augenblick natürlich noch nicht ahnen.

Kapitel 4

Lady Panswick war nicht ungehalten. Nein, sie war außer sich. So hatte ihre Tochter sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Ja, natürlich, Mama war streng. Wenn es sein musste, lenkte sie sowohl ihre fünf Kinder als auch die Dienerschaft mit eiserner Hand. Und doch kannte man sie vor allem als praktisch veranlagte Frau mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und einer gesunden Portion Humor. Die exaltierte Art, die Damen ihres Standes oft zu eigen war, wurde von ihr mit äußerstem Missfallen beurteilt. Man hatte Ihre Ladyschaft noch selten den Tränen nahe gesehen. Und wenn, dann geschah dies aus Trauer, selten auch aus Rührung, aber bisher noch nie aus enttäuschten Gefühlen. Und noch nie hatte man sie hysterisch brüllen gehört. In diesem Augenblick schrie sie allerdings so laut, dass ihre Stimme durch die geschlossene Zimmertür in die Eingangshalle hinausdrang und der Butler sich bemüßigt fühlte, die verschreckten Hausmädchen in das Küchengeschoss zu scheuchen und den jungen Gärtner, der gekommen war, um das Blumengesteck in der Mitte der Halle zu erneuern, unverrichteter Dinge wieder fortzuschicken.

Ihre Ladyschaft hatte sich mit ihrer vollen stattlichen Größe von fast sechs Fuß vor ihrer Tochter aufgebaut, die noch immer auf dem Sofa saß und abwechselnd erschrocken zu ihr hinaufschaute oder in das Taschentuch schluchzte.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, brüllte sie nun nicht zum ersten Mal zu Penelope hinunter. „Sporen! Sporen! Fast jeder junge Stutzer, der etwas auf sich hält, trägt heutzutage Sporen. Ich heiße das auch nicht gut“, räumte sie ein, um sich dann erneut aufzubäumen: „Aber darum geht es doch nicht! Es geht darum, dass das wohl der dümmste aller Gründe ist, eine so vorteilhafte Heirat auszuschlagen. Ich habe dir aufgetragen, diesen Antrag anzunehmen. Es steht dir nicht zu, meine Wünsche zu missachten, Penelope.“

Sie machte kehrt und begann auf dem Teppich im Kreis zu gehen, wie ein Raubtier im Käfig. Ein höchst gefährliches Raubtier. Penelope war ganz elend zumute. Sie mochte es nicht, wenn Mama ihr böse war. Andererseits bereute sie keine Sekunde lang, den Antrag abgelehnt zu haben. Oder, wie es Ihre Ladyschaft exakter ausdrückte: „Meine Tochter war sich zu gut, den Mann überhaupt seinen Antrag vorbringen zu lassen! Ich bin so enttäuscht von dir, Penelope, bitter enttäuscht!“

Sie seufzte laut auf.

Ihre Tochter seufzte mit.

Und wieder ging Lady Panswick schweigend ein paar weitere Kreise und hing ganz offensichtlich ihren Gedanken nach, bis sie schließlich abrupt stehen blieb: „Aber vielleicht ist ja noch nicht aller Tage Abend. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Morgen gibt Mary Ann Stevensen eine kleine Gesellschaft. Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, diese zu besuchen. Doch nun werden wir es tun, denn ich gehe davon aus, dass Northbrook ebenfalls anwesend sein wird. Wenn du ihn freundlich anlächelst, Penelope, und deinen Charme spielen lässt, dann besteht vielleicht noch Hoffnung. Noch hast du ihn nicht offiziell abgewiesen. Noch kannst du …“

„Das werde ich nicht tun, Mama!“, unterbrach sie Penelope so ungewohnt energisch, dass sie ihre Mutter damit für kurz zum Verstummen brachte. So kannte sie ihre Zweitälteste gar nicht. Frederica konnte energisch sein und Vivian, ihre Jüngste, erst recht. Aber Penelope war doch sonst so freundlich und leicht zu lenken. Zumindest war sie es früher immer gewesen.

„Ich verbitte mir diesen frechen Tonfall!“, fuhr Ihre Ladyschaft auf. „Die Hauptstadt hat dir nicht gutgetan! Seit deinem Debüt vor zwei Jahren bist du manchmal wie ausgewechselt!“

Was sollte Penelope darauf sagen? Dass ihr in London ein gewisser Henry Bernard Markfield das Herz gebrochen hatte? Dass er mit ihren Gefühlen nur gespielt hatte, um ihre Zuneigung für seine Zwecke auszunutzen? Dass sie sich bis über beide Ohren in ihn verliebt hatte, er ihr Vertrauen aber nur dazu verwendete, Derryhill zu zwingen, ihm ein Offizierspatent zu kaufen? Dass er immer noch in ihrem Kopf herumspukte, obwohl sie sich bemühte, es nicht zuzulassen? Nein, das hatte sie Mama bisher verschwiegen und jetzt war bestimmt nicht der geeignete Zeitpunkt, sie in dieses Geheimnis einzuweihen.

Sie bemerkte erstaunt, dass ihre Mutter neben ihr Platz genommen hatte und ihre Rechte mit beiden Händen umschloss. Anscheinend hatte sie sich wieder etwas beruhigt.

„Penelope“, sagte sie und blickte ihr ernst in die Augen. „Hör mir gut zu! Deine ältere Schwester Frederica ist hübsch, deine jüngere Schwester Vivian ist ebenfalls hübsch. Doch du, Penelope, bist eine Schönheit. Eine Schönheit, die stets zu hohen Hoffnungen Anlass gegeben hat. Doch was machst du mit deinem dir von Gott gegebenen Geschenk? Nichts! Du verbringst die Tage draußen auf der Weide oder im Stall. Du kümmerst dich keinen Deut darum, dass dein Teint im Sommer seine noble Blässe verliert und dass deine Kleider schmutzig werden wie die einer Dienstmagd. Nein“, sie hob abwehrend die Hand, „lass mich aussprechen! Auf Bällen und Gesellschaften bist du zu allen Leuten freundlich, lächelst brav und plauderst charmant. Und doch habe ich immer das Gefühl, du machst dies alles nur aus Pflichtbewusstsein und nicht aus jener unbekümmerten Begeisterung, die von einem Mädchen deines Alters eigentlich erwartet wird. Gibt es denn wirklich im gesamten, weiten Umkreis von Tunbridge Wells nicht einen Gentleman, der, um es romantisch auszudrücken, dein Herz ein wenig höherschlagen lässt?“

Sie blickte fast flehentlich zu ihrer Tochter hinüber, doch diese schüttelte nur stumm den Kopf.

„Keinen einzigen?“, hakte sie nach.

„Nein, Mama, keinen einzigen.“

Von der Tatsache ermutigt, dass sich ihre Mutter beruhigt zu haben schien, erlaubte sich Penelope einen neuen Vorstoß: „Warum ist es denn so wichtig, dass ich heirate, Mama? Ich habe doch noch jede Menge Zeit, auf den Richtigen zu warten. Warum kann ich nicht, bis er in mein Leben tritt, in Ruhe hierbleiben, mich die Tiere kümmern und mit dir und Cousine Agatha ein friedliches, glückliches Leben führen?“

Lady Panswick war für einen kurzen Moment abgelenkt: „Agatha ist doch gar nicht da! Sie ist zu ihren seltsamen Verwandten auf den Kontinent gereist.“

„Das weiß ich doch, Mama, aber sie kommt bestimmt wieder zurück. Stell dir vor, wie enttäuscht sie sein wird, wenn ich ihr nicht weiterhin Gesellschaft leiste!“, setzte Penelope hoffnungsfroh hinzu. Mama liebte ihre Nichte. Vielleicht war das ja das Argument, das sie zum Umdenken bewegte?

Es war es nicht, wie sich umgehend herausstellen sollte. Ihre Ladyschaft hatte die Hand ihrer Zweitältesten abrupt losgelassen und war so schnell aufgestanden, wie es ihr massiger Körper zuließ.

„So, wie du dir das vorstellst, so geht das nicht! Du musst aus dem Haus, Penelope, und zwar so schnell wie möglich!“

„Ich muss aus dem Haus?“, wiederholte ihre Tochter. Ihre Tränen waren längst versiegt, jetzt war sie fassungslos. „Was meinst du bloß damit?“

Mylady zog seufzend beide Augenbrauen hoch, seufzte abermals und sank wieder aufs Sofa zurück. „Ich wollte es dir eigentlich erst später sagen, aber bitte, anscheinend führt kein Weg daran vorbei. Dein Bruder Bertram hat ein Auge auf Clarissa Harristowe geworfen und es besteht tatsächlich die Aussicht, dass sie ihn erhören wird!“ Es klang so, als könnte sie dieses große Glück selbst kaum fassen.

Penelope hatte keine Ahnung, wer Clarissa Harristowe war und warum sie ihretwegen aus dem Haus musste. „Und?“, forderte sie ihre Mutter auf, mit der Erzählung fortzufahren.

„Und?“, wiederholte diese ungläubig. „Ja, verstehst du denn nicht? Es handelt sich um die jüngste Tochter des Duke of Stainmore! Unser lieber Bertram wird eine Herzogstochter ehelichen! Weißt du, was das bedeutet? Das bedeutet, dass wir zu den namhaftesten Familien des Königreichs aufsteigen. Bertram stehen natürlich auch jetzt schon als Viscount alle Türen offen. Aber als Schwiegersohn eines Herzogs, da hat auch sein Wort viel mehr Gehör. Euer Vater wäre so stolz auf ihn!“

Penelope verstand noch immer nicht: „Das ist ja wunderbar! Ich freue mich für ihn!“, sagte sie pflichtbewusst und hoffte, dass ihr Bruder glücklich wurde, Herzogstochter hin oder her. „Was hat das mit mir zu tun, Mama?“

Lady Panswick sprang wieder auf. „Was das mit dir zu tun hat?“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Sag, bist du wirklich so naiv? Wenn der Viscount eine so hochgestellte Braut nach Lancroft Abbey heimführt, dann darf keine unverheiratete Schwester im Haus wohnen und das junge Glück trüben.“

Während Penelope diesen ungeheuerlichen Satz erst einmal verdauen musste, war Ihre Ladyschaft bereits auf dem Weg zu ihrem Schreibtisch.

„Ich weiß, was ich machen werde. Wenn dir kein Gentleman des Umkreises genehm ist, meine Tochter, dann werde ich die Countess of Titchwell und ihren jüngsten Sohn einladen. Wir haben einst zusammen debütiert, die gute Edith und ich. Ihr Sohn, ich habe seinen Namen vergessen, ist im passenden Alter. Er soll zwar das schwarze Schaf der Familie sein, aber das macht nichts, schließlich hast du ja eine Vorliebe für Schafe.“ Mit diesen Worten stellte Ihre Ladyschaft ihren trockenen Humor wieder einmal anschaulich unter Beweis.

Leider stand ihrer Tochter nicht der Sinn danach, dies zu würdigen.

„Aber Mama!“, rief sie stattdessen aus. „Du kannst mich doch nicht so einfach verkuppeln! Was wird die Countess von mir denken, wenn du mich ihrem Sohn förmlich an den Hals wirfst?“ Jetzt war auch sie aufgesprungen. „Wenn du gestattest, Mama, dann begebe ich mich nun wieder hinaus auf die Weide. Dort ist es friedlich und niemand will mir jemanden aufzwingen.“

Wenn Lady Panswick eines nicht mochte, dann war das ein so offen zur Schau gestellter Widerstand.

„Oh nein, so kommst du mir nicht davon! Du hast vier Anträge abgelehnt. Du kannst zu Gott beten, dass du noch einen fünften bekommst!“

„Aber …“

Eine strikte Handbewegung ließ sie innehalten. „Du kannst mir dankbar sein, dass ich dich dabei unterstütze, einen geeigneten Gatten zu finden. Denn was ich dir jetzt sage, ist mein voller Ernst: Ich erwarte von dir, dass du den fünften Antrag annimmst, Penelope. Und ich werde alles daransetzen, dass dieser nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt. Schau mir in die Augen und gib mir deine Hand darauf!“

Sie war ihrer Zweitältesten gegenübergetreten und hielt ihr nun auffordernd ihre Rechte entgegen.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Mama! Ich kann dir doch nicht versprechen, einen Antrag anzunehmen, wenn ich nicht weiß, von wem er vorgebracht wird.“

Ihre Mutter blieb hart: „Doch, das kannst du. Und das wirst du. Du hattest deine Chance, einen Mann nach deinem Geschmack zu wählen. Du hast all diese Chancen ungenutzt gelassen. Doch den nächsten Antrag, der dir gestellt wird, wirst du annehmen.“

Penelope wurde das Herz schwer. Sie suchte Zuflucht in kindlichem Trotz: „Und wenn ich mich weigere, was dann?“

„Dann hast du hier nichts mehr zu suchen. Dann kannst du irgendwo eine Stelle als Gesellschafterin annehmen.“

„Mama!“

Lady Panswick hörte diesen flehenden Ruf und erschrak selbst über die unfreundlichen Worte, die sie geäußert hatte. Andererseits erschien ihr Penelope trotziger, als sie es als Dreizehnjährige je gewesen war. Sie wusste, da half kein gutes Zureden, da half nur unbeugsame Strenge.

„Du gibst mir jetzt sofort deine Hand darauf, dass du den nächsten Antrag annehmen wirst!“, forderte sie daher noch einmal, nach außen hin ungerührt.

Penelope war ihre folgsamste Tochter und daher verwunderte es sie nicht, dass sie ihrem Wunsch nachkam und ihr die Hand reichte. Für kurz überwältigte sie der Impuls, das Mädchen in den Arm zu nehmen und zu trösten. Zu sagen, dass nichts so heiß gegessen wurde wie gekocht. Doch dann dachte sie an den Ernst der Lage und die Herzogstochter und entschied sich dafür, beim strengen Vorgehen zu bleiben. Ja, sogar noch ein Schäufelchen nachzulegen.

„Und damit du darüber nachdenken kannst, welche Chance du dir durch die Zurückweisung von Mr Northbrook entgehen hast lassen, verbiete ich dir in den nächsten Wochen den Umgang mit den Schafen. Sowohl mit unseren, als auch mit denen von Lady Stonesdale.“

Penelope schnappte nach Luft.

„Mama, bitte!“, nun war das Flehen unüberhörbar.

„Geh! Die Unterredung ist beendet!“ Ihre Mutter wandte den Blick ab und nahm einen Briefbogen aus der Ledermappe, um ihr angekündigtes Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Kapitel 5

Es war einige Tage später, als die ältere Lady Derryhill ihr Lorgnon beiseitelegte, das sie seit Neuestem zum Lesen benötigte, und das Schreiben von Lady Panswick sinken ließ. Nachdenklich sah sie zu ihrer Schwiegertochter hinüber, die zu einem überraschenden Vormittagsbesuch in der Brook Street erschienen war, um ihr den Brief ihrer Mutter zu zeigen. Obwohl die vielen aufregenden Informationen wie ein bunter Wirbel durch ihre Gedanken fegten, fiel ihr doch auf, wie hübsch Frederica heute wieder war. Das olivgrüne Tageskleid unterstrich die Farbe ihrer Augen, die dunklen Haare waren kunstvoll à l’Aphrodite hochgesteckt. Ihr Sohn hatte wahrlich Glück, so eine reizende Gemahlin gefunden zu haben, die nicht nur ein erfreulicher Anblick war, sondern auch von wachem Verstand, gediegenem Humor und herzerwärmender Liebenswürdigkeit. Und sie hatte das große Glück, durch Frederica eine höchst erfreuliche Gesprächspartnerin gefunden zu haben, die ihr Leben bereicherte und sie an so aufregenden Dingen teilhaben ließ wie diesem Schreiben. Lady Derryhill liebte ihren einzigen Sohn aus tiefstem Herzen. Und doch hatte sie sich immer eine Tochter gewünscht. Durch seine Vermählung vor zwei Jahren war dieser Wunsch in Erfüllung gegangen.

„Die kleine Harristowe also“, sagte sie schließlich. „Das wäre natürlich eine höchst wünschenswerte Verbindung. Dein Bruder würde dadurch Mitglied einer der einflussreichsten Familien des Königreichs. Der Schwiegersohn des Herzogs von Stainmore. Das wäre für euch alle äußerst erfreulich. Es sei denn …“

Sie verzog den Mund zu einer unwilligen Grimasse, zog dann die Luft scharf zwischen den Zähnen ein und schwieg. Natürlich war Frederica viel zu neugierig geworden, um dieses Schweigen geduldig hinzunehmen.

„Es sei denn, was? Gibt es irgendwelche Bedenken, was Miss Clarissa Harristowe betrifft, Cassandra?“

Ihre Schwiegermutter hatte sie nach der Trauung gebeten, sie künftig mit dem Vornamen und nicht mit Mama anzusprechen. Das war zwar ungewöhnlich, doch Frederica hatte gerne eingewilligt. Mama war ihre Mutter auf Lancroft Abbey und die hatte so gar nichts gemein mit dieser zierlichen, fröhlichen, ja manchmal verwegenen, höchst modischen Dame, die ihr jetzt gegenübersaß.

„Nicht direkt gegen die junge Lady, denn die wurde mir bisher noch nicht vorgestellt “, räumte diese nun ein, „aber ihre Mutter ist eine wahre Plage. Und ihre Großmutter, die Herzoginwitwe, ein alter Drachen.“

Natürlich war Frederica sofort Feuer und Flamme: „Erzähl mir von den beiden, bitte, Cassandra. Ich muss alles erfahren, was du weißt.“

In der nächsten Viertelstunde war sie dann hin- und hergerissen. Die Schilderungen ihrer Schwiegermutter waren so bildhaft, dass sie sich das affektierte Gehabe der gegenwärtigen Herzogin von Stainmore nur allzu deutlich vorstellen konnte. Sie war nicht traurig darüber, der Duchess noch nicht begegnet zu sein. Dasselbe galt für deren Schwiegermutter, deren scharfe Zunge landauf und landab gefürchtet zu sein schien. Frederica war amüsiert und fasziniert und gleichzeitig wurde ihr ganz angst und bang. Hoffentlich war Clarissa aus der Art geschlagen, sonst stand ihrem Bruder Bertram wahrlich keine wünschenswerte Zukunft bevor. Als sie diese Bedenken äußerte, wiegte Lady Derryhill nachdenklich den Kopf. „Ja, das hoffe ich auch für ihn! Aber ich nehme an, er ist so vernünftig wie du und weiß, was er tut.“

Frederica errötete über dieses Kompliment und sagte, bei Bertram hätte sie dahingehend keine Zweifel. Er sei tatsächlich ein vernünftiger junger Mann und nicht so ein Heißsporn wie ihr jüngster Bruder Nicolas oder gar Vivian, die Drittälteste.

Ihre Schwiegermutter nahm das mit Wohlwollen zur Kenntnis: „Ich denke, wir werden bald selbst die Gelegenheit haben, uns ein Bild von Lady Clarissas Charakter zu machen.“ Sie nahm den Brief und das Lorgnon noch einmal zur Hand und überflog einige Zeilen. „Deine Mutter schreibt hier, es sei ihr Wunsch, die Herzogstochter möglichst rasch kennenzulernen.“ Sie las die nächsten Sätze laut vor: „Als ich Bertrams Zeilen las, war es mein erster Impuls, die junge Lady und ihre Chaperon nach Lancroft Abbey einzuladen. Bei näherem Nachdenken überkamen mich jedoch Zweifel. Wird sich eine Herzogstochter dazu herablassen, der Witwe eines Viscounts einen Besuch abzustatten, ohne dass andere höhergestellte Personen zu ihrer Unterhaltung anwesend sind? Natürlich würde ich es vorziehen, die Auserwählte meines ältesten Sohnes würde sich nicht durch derartigen Standesdünkel auszeichnen, doch solange ich sie nicht persönlich kennengelernt habe, kann ich mir dessen nicht sicher sein. Vor allem aber möchte ich mir die Schmach ersparen, eine Abfuhr erteilt zu bekommen.“

Frederica kannte diese Bedenken ihrer Mutter natürlich schon. Sie waren einer der Gründe für ihren Besuch gewesen und sie freute sich, dass sie die Bitte, die sie auf dem Herzen hatte, nicht laut aussprechen musste, da ihr Lady Derryhill zuvorkam: „Ich denke, wir können deine liebe Mutter beruhigen, Frederica, was meinst du? Sollen die verwitwete Duchess of Derryhill und ihre Schwiegertochter, die gegenwärtige Duchess of Derryhill, Lancroft Abbey einen Besuch abstatten? Wenn wir beide anwesend sind, dann steht dem Aufenthalt der kleinen Harristowe sicher nichts mehr im Wege.“

Frederica klatschte begeistert in die Hände, bevor ihr Lächeln einem besorgten Blick wich: „Würdest du die weitere Reise und all die damit verbundene Mühe wirklich auf dich nehmen, Cassandra? Es handelt sich immerhin um eine Strecke von mehr als vierzig Meilen.“

Eine wegwerfende Handbewegung wischte alle Bedenken vom Tisch: „Und wenn schon“, entgegnete Ihre Ladyschaft leichthin. „Wir können unterwegs zwei Mal übernachten, damit es nicht allzu strapaziös werden wird.“ Sie hielt kurz inne und warf einen prüfenden Blick auf den Bauch ihrer Schwiegertochter und dann in ihr Gesicht: „Bist du sicher, dass es für dich nicht zu strapaziös wird?“, wollte sie schließlich wissen.

Frederica errötete. Es war sehr taktvoll, dass Cassandra ihr die Frage nicht direkt stellte, aber sie wusste auch so, was sie damit gemeint hatte. Schließlich war sie nun schon fast zwei Jahre verheiratet und immer noch nicht guter Hoffnung. Schweigend schüttelte sie den Kopf und wagte dabei gar nicht, der anderen in die Augen zu sehen.

„Gut, dann soll es so sein. Ich freue mich darauf, deine Mutter wiederzusehen. Und natürlich auch Penelope.“

Ach ja, Penelope! Die Erwähnung dieses Namens brachte Frederica sofort auf andere Gedanken.

„Hast du gelesen, Cassandra? Meine Schwester hat wieder einmal einen Antrag abgelehnt. Es war bereits ihr vierter!“

„Ich habe auch zuerst zwei Anträge abgelehnt“, sagte Ihre Ladyschaft leichthin. Dann runzelte sie die Stirn. „Denkst du, dieser – wie hieß er noch mal? – geistert immer noch durch ihren Kopf und verhindert, dass sie sich neu verlieben kann?“

Nicht, dass Frederica dieser Verdacht nicht schon auch gekommen wäre. Doch sie konnte nicht glauben, dass Penelope so dumm war, Henry Markfield auch nur eine Träne nachzuweinen. Nicht nach allem, was sie bei ihrem Debüt erlebt hatte.

„Markfield? Nein, ich denke nicht. Der dient auf dem Festland und ist ohnehin unerreichbar. Sorgen macht mir viel mehr, dass Mama befürchtet, Penelope könnte keinen passenden Antrag mehr bekommen und als alte Jungfer enden!“

„Also bitte“, kam der prompte Protest Ihrer Ladyschaft. „Deine Schwester ist eine Schönheit. Es war eben unter all den Verehrern noch nicht der Richtige dabei. Vielleicht gelingt es uns beiden ja, einen passenden Gentleman auf sie aufmerksam zu machen.“

„Uns beiden?“, rutschte es Frederica heraus.

Ihre Schwiegermutter nickte nachdrücklich. „Das Schicksal deiner Schwester liegt mir fast ebenso sehr am Herzen wie deines, meine liebe Frederica. Vergiss bitte nicht, dass ich es war, die sie in die Gesellschaft eingeführt hat. Wie heißt nur dieser gut aussehende Gentleman, der eben vom Kontinent zurückgekommen ist, um das Erbe seines Vaters anzutreten? Der große Herr mit den dunklen Haaren?“

Frederica hielt die Luft an: „Du meinst doch nicht etwa den frischgebackenen Viscount of Badwell?“

Dieser Gentleman war vor einigen Wochen auf der Bildfläche erschienen und hatte mit seinem verwegenen Aussehen die Damenwelt in Entzücken versetzt. Da Frederica glücklich verheiratet war, hatte er sie damit nicht einfangen können. Zuerst war sie ihm skeptisch gegenübergestanden, kurz darauf hatte er ihre Sympathie jedoch gänzlich verspielt. Sie war Ohrenzeugin gewesen, als er über die Dummheit der Gesellschaft lästerte. Frederica hatte noch nie eine Vorliebe für Arroganz gehabt. Und Penelope noch weniger.

Zum Glück kam umgehend Lady Derryhills entrüsteter Protest: „Wo denkst du denn hin, meine Liebe? Wie schlecht wäre es wohl um meine Menschenkenntnis bestellt, würde ich einen Mann, den sie insgeheim den Teufel nennen, mit einer jungen Frau in Verbindung bringen wollen, die du zu Recht Lämmchen nennst? Nein, nein, für einen Mann wie den Viscount kommt nur eine unterwürfige Frau in Frage, die seinen Sarkasmus als gottgegeben hinnimmt. Oder, und das würde ich persönlich äußerst charmant finden, eine junge Lady, die ihm Paroli bieten kann. Doch wenn ich mich in London so umsehe“, sie seufzte kurz auf, „dann ist von so einer jungen Dame weit und breit nichts in Sicht. Doch zurück zu deiner Schwester! Ich würde ihr gern den Gentleman vorstellen, den wir letzten Samstag auf dem Ball der Herzogin von Wellbrooks kennengelernt haben. Du weißt schon, der mit dem zwar etwas schütteren Haar, aber den hübschen rehbraunen Augen. Soweit ich mich erinnern kann, stammt er aus Essex. Derryhill schien ihn zu kennen …“

„Oh, dann meinst du vermutlich Mr Angram.“

Das Nicken Ihrer Schwiegermutter zeigte Frederica, dass sie dieses Mal ins Schwarze getroffen hatte. Sie erwog den Gedanken. Würde dieser ernsthafte junge Mann zu ihrer Schwester passen? Warum eigentlich nicht? Sie hatte sich mit ihm unterhalten. Er erwies sich als angenehmer Gesprächspartner, der sie mit kleinen Geschichten über Erlebnisse auf dem Kontinent zu interessieren wusste. Gut, er war keine Stimmungskanone, aber das war Penelope auch nicht. Und er hatte, fiel ihr zu ihrer eigenen freudigen Überraschung ein, voll Begeisterung über das Gestüt erzählt, das zu seinem Erbe gehörte. Also liebte er Tiere, zumindest Pferde. Das war das Allerwichtigste.

„Finanziell dürfte es allerdings nicht allzu gut um ihn bestellt sein“, dämpfte Ihre Ladyschaft die rosigen Zukunftspläne, die Frederica soeben für Penelope zu spinnen begonnen hatte. „Das Anwesen soll zwar umfangreich, das Herrenhaus ein stolzer Bau aus dem fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert sein, aber es fehlen ausreichende Mittel, um alles mehr als nur notdürftig zu erhalten. Das meint zumindest meine liebe Freundin Sarah, und die irrt so gut wie nie.“

Fredericas Hoffnungen, in Mr Angram einen geeigneten Bewerber für ihre Schwester gefunden zu haben, sanken. Bei der lieben Freundin Sarah handelte es sich nämlich um niemand Geringeren als Lady Jersey, eine der mächtigen Patronessen des Almack Clubs, den man allgemein als Londons wichtigsten Heiratsmarkt bezeichnete. Wenn jemand gut informiert war, dann sie. Die nächsten Worte ihrer Schwiegermutter ließen Fredericas Hoffnung jedoch rasch wieder steigen.

„Ich werde Anthony bitten, die Mitgift deiner Schwester zu erhöhen. Wir müssen sie für die Männerwelt noch interessanter machen. Sie ist schon zu lange auf dem Markt, als dass Schönheit allein ausreicht.“

Frederica wusste, dass sie jetzt eigentlich protestieren sollte. Penelope war immer noch ungewöhnlich schön und Anthony, Fredericas Gatte, war ohnehin schon sehr großzügig gewesen. Doch sie hatte die Londoner Gesellschaft in der Zwischenzeit kennengelernt und wusste, dass Cassandra recht hatte. Also schwieg sie. Ihrer Schwester zuliebe.

Lady Derryhill war schon beim nächsten Gedanken: „Am besten wird es wohl sein, wenn du deiner Mutter vorschlägst, einen Ball zu organisieren. Dann hätten wir einen guten Grund, in Gesellschaft anzureisen. Mitte Juni wäre dafür der beste Zeitpunkt. Dann ist einerseits die Season hier zu Ende und andererseits haben wir uns alle noch nicht auf unsere Landsitze zurückgezogen, um den Sommer abseits der Großstadt zu genießen. Ein Abstecher nach Tunbridge Wells wäre eine willkommene Idee, als Abschluss der Season gewissermaßen. Dazu laden wir diesen Mr Angram ein und vielleicht noch einen anderen passenden Junggesellen. Bis dahin haben wir genügend Zeit, eine Auswahl zu treffen. Was meinst du?“

Was Frederica dazu meinte? Sie war begeistert! Begeistert von der Idee, Penelope zu helfen, und auch begeistert, selbst wieder einmal in ihr Elternhaus zu kommen.

„Außerdem“, fiel ihr ein, „kann Mama Bertram und seine Angebetete einladen. Zu einem Ball wird sich auch eine Herzogstochter herablassen. Noch dazu, wenn du persönlich anwesend sein wirst.“

„Wenn wir beide anwesend sein werden!“, korrigierte Ihre Ladyschaft. „Und wir bitten Derryhill, mit uns zu kommen, um dem Ganzen noch mehr Glanz zu verleihen.“

Das war ein weiterer Teil des Plans, der Frederica ausnehmend gut gefiel.

Kapitel 6

Zur selben Zeit, als sich die Damen Derryhill ein Gläschen Veilchenlikör genehmigten, um auf ihren so erfreulichen Plan anzustoßen, stand ein gewisser Joe Frimley vor der Poststation in Hastings, etwa dreißig Meilen südlich von Tunbridge Wells – und außerdem am Rande der Verzweiflung. Er war müde, er war hungrig und jeder Knochen im Leib tat ihm weh.

Am Vorabend war er, von Frankreich kommend, hier im Hafen eingetroffen. Die Überfahrt mit dem alten Schoner war anstrengend gewesen und in dem Loch, das man ihm in einer der heruntergekommenen Hafenkneipen als Zimmer vermietet hatte, war an schlafen kaum zu denken gewesen. Hinter der Wandvertäfelung hatte sich ein Dutzend Ratten ein stundenlanges Wettrennen geliefert. Ihre grellen Pfiffe klangen ihm auch jetzt noch in den Ohren. Von der Schänke her waren bis weit nach Mitternacht Gelächter und lautes Gejohle zu ihm hinauf gedrungen, und als wären das nicht schon genug störende Geräusche gewesen, hatte der Mann, mit dem er sich die Strohsäcke, die als Bett dienten, teilte, nicht nur tief und fest geschlafen, sondern auch geröchelt und geschnarcht, dass es eine wahre Freude gewesen war.

Apropos Zimmernachbar: Joe sah zur Hausmauer hinüber. Er hatte den Mann auf die Bank davor gesetzt, bevor er sich ins Innere der Poststation aufgemacht hatte, um sich nach Fahrtmöglichkeiten für sie beide zu kümmern. Er selbst musste weiter in den Westen, nach Bexhill, wo seine Frau, so hoffte er zumindest, bereits sehnsüchtig auf ihn wartete. Sie bewirtschaftete den kleinen Hof allein und musste sich dabei auch noch um die vier munteren Kinder kümmern, die er ihr bei seinen Heimaturlauben quasi als Andenken hinterlassen hatte.