L.A. Confidential - James Ellroy - E-Book

L.A. Confidential E-Book

James Ellroy

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Beschreibung

»Ellroy ist der wichtigste zeitgenössische Krimiautor.« Der Spiegel Los Angeles 1951: Am Weihnachtsabend überfallen Unbekannte das Nachtcafé »The Nite Owl« und ermorden wie im Rausch die Gäste. Ed Exley, Jack Vincennes und Bud White vom LAPD sollen den Fall gemeinsam klären. Doch jeder von ihnen hat eine eigene Rechnung zu begleichen. Band 3 des berühmten L.A.-Quartetts. Lesen Sie auch Die Rothaarige. Die Suche nach dem Mörder meiner Mutter - James Ellroys wichtigsten autobiographischen Text; ein Klassiker der Kriminalliteratur.

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Das Buch

Tatort Los Angeles. Die fünfziger Jahre sind noch jung, als die Stadt der Engel von einem grausamen Verbrechen erschüttert wird: Unbekannte Täter überfallen am Weihnachtsabend das Nachtcafé »The Nite Owl« und ermorden wie im Rausch Gäste und Personal. Ein simpler Raubüberfall? Ein Gangsterkrieg? Drei eigenwillige Polizisten vom Los Angeles Police Department werden auf den Fall angesetzt: Ed Exley, ein junger Karrierist, Sergeant Jack Vincennes, der eine alte Rechnung begleichen will, und Bud White, selbsternannter Rächer geschändeter Frauen und Kinder – alle drei Opfer ihrer eigenen Vergangenheit. Als sich die Wege dieser Männer im Fall »Nite Owl« kreuzen, ist die Katastrophe unvermeidlich: Jeder ermittelt aus anderen Gründen, jeder verschweigt seine eigenen schmutzigen Geheimnisse. Währenddessen zieht der Fall Kreise, und eine zunächst kaum beachtete Spur führt zu einer jahrzehntealten, alptraumhaften Mordserie …

»L.A. Confidential«, auch unter dem deutschen Titel »Stadt der Teufel« erschienen, ist der dritte Teil einer Krimi-Tetralogie, in der James Ellroy ein düsteres Bild des Los Angeles der Nachkriegszeit zeichnet. Zur Popularität des stets an der Grenze zwischen Realität und Fiktion angesiedelten Romans trug nicht zuletzt die oscarprämierte Verfilmung von Curtis Hanson mit Russell Crowe, Kevin Spacey, Danny de Vito und Kim Basinger in den Hauptrollen bei.

Der Autor

James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, etliche seiner Bücher wurden verfilmt, darunter L. A. Confidential und Die Schwarze Dahlie(Black Dahlia)

Von James Ellroy sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Underworld-Trilogie:

Ein amerikanischer Thriller

Ein amerikanischer Albtraum

Blut will fließen

Die L.A-Serie:

Die Schwarze Dahlie

Blutschatten

L. A. Confidential

White Jazz

Außerdem:

Crime Wave

Der Hilliker-Fluch

Perfidia

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-buchverlage.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,Speicherung oder Übertragungkönnen zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ungekürzte Ausgabe Ullstein Taschenbuch

1. Auflage September 2006

2. Auflage 2010

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2006

© 2003 für die deutsche Ausgabe by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG

© 1991 für die deutsche Ausgabe by

Verlag Ullstein GmbH & Co. KG, Frankfurt/Main – Berlin

© 1990 by James Ellroy

Titel der amerikanischen Originalausgabe: L.A. Confidential

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Titelabbildung: Getty Images / © Marion Ettlinger

E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

E-Book ISBN 978-3-8437-1024-4

 

FÜR

MARY DOHERTY ELLROY

 

Ein Ruhm, der alles kostet und ohne Sinn ist –

Steve Erickson

PROLOG

21. Februar 1950

Ein verlassenes Motel in den Ausläufern der San-Bernardino-Berge; Buzz Meeks mietete sich ein mit vierundneunzigtausend Dollar, achtzehn Pfund hochwertigem Heroin, einer großkalibrigen Schrotflinte, einem 3 8er Special, einer 45 er Automatik und einem Schnappmesser, das er einem Pachuco an der Grenze abgekauft hatte – um kurz darauf das auf der anderen Seite parkende Auto zu entdecken: Mickey Cohens Schläger in einem Zivilwagen des LAPD, dazu etliche Tijuana-Cops auf der Lauer, sich einen Teil seiner Habe unter den Nagel zu reißen und seine Leiche in den San Ysidro River zu kippen.

Er war jetzt eine Woche auf der Flucht; er hatte sechsundfünfzig Riesen fürs Überleben ausgegeben: Autos, Schlupfwinkel zu vier- und fünftausend pro Nacht – Risikotarif – die Inhaber wußten, daß Mickey C. hinter ihm her war, weil er sein Drogengipfeltreffen und seine Frau aufgemischt hatte, und daß ihn die Polizei von L. A. wegen Mordes an einem der Ihren kriegen wollte. Der Kontrakt, den Cohen auf ihn rausgegeben hatte, vermasselte ihm jeden Direktverkauf des Stoffes – aus Angst vor Racheakten wollte keiner das Zeug haben; er konnte nichts Besseres tun, als den Dreck bei Doc Engleklings Söhnen zu bunkern – Doc würde ihn einfrieren, portionieren, später verkaufen und ihm seinen Anteil geben. Doc hatte früher mit Mickey zusammengearbeitet und war schlau genug, um vor dem Scheißkerl Angst zu haben; die Brüder knöpften ihm fünfzehn Riesen ab, schickten ihn zum El Serrano Motel und wollten seine Flucht vorbereiten. Heute abend nach Sonnenuntergang sollten ihn zwei Männer – Illegalenschlepper – zu einem Bohnenfeld fahren und ihn via Aerokoks nach Guatemala City verfrachten. Er hätte dann mehr als zwanzig Pfund Big H in den Staaten, die für ihn arbeiteten – falls er den Söhnen von Doc und sie den Schmugglern trauen konnten.

Meeks versteckte seinen Wagen in einem Pinienhain, wuchtete seinen Koffer heraus und sondierte das Terrain.

Das Motel hatte die Form eines Hufeisens, ein Dutzend Zimmer, die Berge im Rücken – unmöglich, von hinten heranzukommen.

Der Hof war mit losem Kies ausgestreut und übersät mit Ästen, Papierfetzen und leeren Weinflaschen – jeder Fußtritt würde knirschen, Autoreifen würden auf Holz und Glas knacken.

Es gab nur einen Zugang – die Straße, auf der er gekommen war. Die Kundschafter müßten sich durch dichten Wald kämpfen, wenn sie ihm ans Leder wollten.

Oder sie könnten in einem der Zimmer auf ihn warten.

Meeks schnappte sich die 10er Schrotflinte und fing an, Türen einzutreten. Eins, zwei, drei, vier – Spinnweben, Ratten, Badezimmer mit verstopften Toiletten, verschimmelte Lebensmittel, Zeitschriften in spanischer Sprache – die Schmuggler benutzten das Motel offensichtlich dazu, die Spics einzulogieren, ehe sie sie zu den Sklavenfarmen oben im Kern County brachten. Fünf, sechs, sieben – Bingo: mexikanische Familien, die sich auf Matratzen drängten und verängstigt auf den weißen Mann mit der Waffe starrten. »Ruhig, schön ruhig«, damit sie friedlich blieben. Die letzten paar Zimmer standen leer. Meeks holte sein Bündel, ließ es gleich hinter der Tür von Nummer 12 zu Boden fallen: Blick nach vorne über den Hof, eine Matratze auf durchgerittenen Federn, aus der die Füllung quoll – nicht schlecht für die letzte Absteige in Amerika.

Ein Kalender mit käsigen Weibern an der Wand; Meeks blätterte auf April und schaute nach seinem Geburtstag. Ein Donnerstag das Mädchen hatte schlechte Zähne, sah aber trotzdem gut aus, erinnerte ihn an Audrey: ehemalige Stripperin, ehemalige Geliebte von Mickey und der Grund dafür, daß er einen Cop umgelegt und den Cohen/Dragna-Deal hatte hochgehen lassen. Er blätterte weiter bis Dezember, rechnete seine Chancen aus, das Jahr zu überleben, und bekam plötzlich Schiß: Bauchflattern, eine Ader auf seiner Stirn übte Steptanzen, der Schweiß brach ihm aus.

Es wurde schlimmer – richtiges Muffensausen. Meeks legte sein Arsenal auf die Fensterbank, stopfte sich die Taschen voll Munition: Patronen für den 38er, Reservemagazine für die Automatik. Er steckte sich das Schnappmesser in den Gürtel, verbarrikadierte das hintere Fenster mit der Matratze, machte das vordere der Lüftung wegen einen Spaltbreit auf. Ein Luftzug kühlte seinen Schweiß; er sah den Mexenbälgern zu, die draußen mit einem Baseball spielten.

Lange Zeit verharrte er so. Draußen sammelten sich die Wetbacks, deuteten auf die Sonne, als könnten sie daran die Uhrzeit erkennen, warteten auf den Lastwagen, der sie abholen sollte – harte Knochenarbeit für drei arme Mahlzeiten und eine Pritsche. Es dämmerte. Die Mexen fingen an zu schnattern; Meeks sah zwei weiße Männer – einen fetten, einen dürren – auf den Hof kommen. Sie winkten leutselig; die Spics winkten zurück. Sie sahen nicht aus wie Cops oder wie Cohens Schläger. Meeks, die Schrotflinte hinter dem Rücken, trat hinaus.

Die Männer winkten: breites Grinsen, keine bösen Absichten. Meeks kontrollierte die Straße – eine grüne Limousine quer geparkt, dahinter etwas Hellblaues, zu glänzend, als daß es der Himmel zwischen den Föhren sein könnte. Er sah einen Lichtreflex auf Metalliclack, und da klickte es bei ihm: Bakersfield, das Treffen mit den Jungs, die ein bißchen Zeit brauchten, das Geld zu besorgen. Das meiseneifarbene Coupé, das ihm eine Minute später eine Breitseite verpassen wollte.

Meeks lächelte: ein freundlicher Kerl, keine böse Absicht. Den Finger am Abzug; ein Blick auf den Dürren: Mal Lunceford, ein Uniformierter vom Hollywood-Revier – er machte immer in Scrivener’s Drive-In den Serviererinnen schöne Augen, schmiß sich in die Brust und protzte mit seinen Schieß-Auszeichnungen. Der Fette, etwas näher, sagte: »Das Flugzeug steht bereit.«

Meeks riß das Gewehr nach vorne, feuerte eine Garbe ab. Der Fette bekam die Rehposten ab, flog zurück und verdeckte Lunceford – der ging ebenfalls zu Boden. Die Wetbacks flüchteten Hals über Kopf; Meeks rannte in sein Zimmer, hörte das Rückfenster splittern, riß die Matratze weg. Scheibenschießen: zwei Männer, drei Schrotladungen aus nächster Nähe.

Die beiden wurden buchstäblich zerfetzt; Glas und Blut spritzten auf drei weitere Männer, die sich entlang der Wand vorschlichen. Meeks machte einen Satz, warf sich zu Boden, feuerte auf drei Paar eng zusammengepreßte Beine; seine freie Hand wirbelte herum, schnappte sich einen Revolver aus dem Hosenbund eines der Toten.

Schreie auf dem Hof; schnelle Schritte auf dem Kies. Meeks ließ das Gewehr fallen, stolperte zu der Wand. Zu den Männern hin, schmeckte Blut – Kopfschüsse aus kürzester Distanz.

Gepolter im Zimmer; zwei Gewehre in Griffnähe. Meeks brüllte: »Wir haben ihn!«, hörte begeisterte Antwortrufe, sah Arme und Beine aus dem Fenster kommen. Er griff sich das nächstbeste Teil und zog ab, Vollautomatik: die Männer wie auf dem Präsentierteller, Putz explodierte, trockenes Holz fing Feuer.

Über die toten Körper hinweg hinein in das Zimmer. Die Vordertür stand offen; seine Waffen lagen immer noch auf dem Fensterbrett. Plötzlich ein seltsam dumpfes Geräusch; Meeks sah einen Mann breitbeinig am Boden liegen – er zielte von hinter dem Bettkasten aus auf ihn.

Er warf sich zu Boden, trat zu, verfehlte. Der Mann gab einen Schuß ab – knapp daneben; Meeks packte sein Schnappmesser, sprang, stach zu: in den Hals, ins Gesicht, und der Mann schrie, schoß – Querschläger heulten. Meeks schlitzte ihm die Kehle auf, kroch hin und trat die Tür zu, schnappte sich seine Waffen und holte erst einmal Luft.

Das Feuer breitete sich aus: röstete Fleisch und Pinienholz; die Vordertür war sein einziger Ausweg. Wie viele Männer lagen da draußen auf Lauer?

Schüsse.

Aus dem Hof: schweres Kaliber, das dicke Brocken aus der Wand riß. Einer erwischte Meeks am Bein; ein Schuß streifte ihn am Rücken. Er warf sich zu Boden, die Schüsse nahmen kein Ende, die Tür fiel aus den Angeln – er war mitten im Kreuzfeuer.

Keine Schüsse mehr.

Meeks schob sich die Waffen unter die Brust, stellte sich tot. Die Sekunden zogen sich hin. Vier Männer mit Gewehren kamen herein. Flüstern: »Mausetot« – »Wir sollten gaaaanz vorsichtig sein« – »Verrückter Okie-Scheißer.« Durch die Tür; Mal Lunceford nicht dabei; Schritte.

Fußtritte in die Seite, schweres Atmen, höhnische Bemerkungen. Ein Fuß wurde unter ihn geschoben. Eine Stimme sagte: »Fetter Sack.«

Meeks riß den Fuß weg; der zugehörige Mann fiel hintenüber. Meeks wirbelte herum und schoß – kurze Distanz, lauter Treffer. Vier Männer gingen zu Boden; Meeks sah alles verkehrt herum: den Hof, Mal Lunceford, der Fersengeld gab. Dann, direkt hinter ihm: »Hallo, mein Junge.«

Dudley Smith schritt durch die Flammen, geschützt durch einen schweren Feuerwehrmantel. Meeks sah seinen Koffer – vierundneunzig Riesen, das Dope – drüben neben der Matratze. »Dud, allzeit bereit.«

»Wie bei den Pfadfindern, mein Junge. Und, willst du ein letztes Wort sprechen?«

Selbstmord: einen Deal aufmischen, bei dem Dudley S. den Wachhund spielte. Meeks hob seine Waffen; Smith schoß zuerst. Meeks starb – und dachte, das El Serrano sehe genauso aus wie der Alamo.

ERSTER TEIL

Blutige Weihnacht

1

Bud White saß in einem Zivilwagen und sah zu, wie an dem Weihnachtsbaum auf dem Rathaus immer wieder die Zahl »1951« aufblinkte. Die Rückbank war vollgepackt mit Schnaps für die Revier-Party; den ganzen Tag lang hatte er Ladenbesitzer abgeklappert, ohne sich um Parkers Anordnung zu scheren. Verheiratete Männer hatten den Vierundzwanzigsten und den ersten Feiertag frei, nur die Junggesellen mußten Dienst schieben, und die gesamte Kriminalabteilung von Central war abgestellt, um Obdachlose einzukassieren: Der Chief wollte die örtlichen Penner auf Eis haben, damit sie nicht bei Bürgermeister Bowrons Gartenparty für arme, unterprivilegierte Kids hereinplatzten und die ganzen Kekse einsackten. Letztes Jahr zu Weihnachten hatte doch tatsächlich ein verrückter Nigger mit seinem Wiener gewedelt, in einen Krug Limonade gepißt, die für irgendwelche Waisenkinder gedacht war, und Mrs. Bowron aufgefordert: »Greif zu, olle Zicke.« William H. Parker hatte sein erstes Weihnachtsfest als Chief des Los Angeles Police Department damit zugebracht, die Frau des Bürgermeisters zum Ruhigstellen in die Wachstube des Central-Reviers zu bringen, und jetzt, ein Jahr danach, mußte er dafür bezahlen.

Die Schnapskartons auf der vollgepackten Rückbank zermatschten ihm die Wirbelsäule zu Wackelpudding.

Ed Exley, der stellvertretende Wachhabende, war ein scharfer Hund und machte möglicherweise Ärger, wenn sich mehr als hundert Cops im Mannschaftsraum einen ansoffen. Und Johnny Stompanato hatte sich schon zwanzig Minuten verspätet.

Bud drehte an seinem Sprechfunkgerät. Das Gemurmel wurde deutlicher: Ladendiebstähle, Überfall auf einen Schnapsladen in Chinatown. Die Beifahrertür ging auf; Johnny Stompanato rutschte auf den Nebensitz.

Bud schaltete die Innenbeleuchtung an. Stompanato sagte: »Fröhliche Weihnachten. Wo ist denn Stensland? Ich hab’ was für euch zwei.«

Bud musterte ihn genauer. Mickey Cohens Leibwächter war seit einem Monat arbeitslos – Mickey saß wegen einer Steuersache, einer Bundesangelegenheit, drei bis sieben Jahre auf McNeil Island. Johnny Stomp hatte nichts weiter zu tun, als sich die Finger zu maniküren und seine Hosen zu bügeln. »Für dich immer noch Sergeant Stensland. Er hat zu tun, Penner auflesen, und der Lohn ist eh derselbe.«

»Schade. Ich mag Dick, er hat Stil. Das wissen Sie ja, Wendell.«

Der süße Johnny: ganz Spaghettieleganz, die Löckchen zu einem strengen Pompadour frisiert. Bud hatte gehört, daß er ausgestattet war wie ein Pferd und sich trotzdem noch den Stall auspolsterte. »Spuck aus, was du hast.«

»Dick hat bessere Umgangsformen als Sie, Officer White.«

»Bist du scharf auf mich, oder willst du bloß plaudern?«

»Ich bin scharf auf Lana Turner, und Sie sind scharf auf Typen, die ihre Weiber prügeln. Außerdem hab’ ich gehört, daß Sie ein richtiges Schätzchen bei den Weibern sind und nicht besonders wählerisch, was das Aussehen betrifft.«

Bud ließ seine Fingerknöchel knacken. »Und du lebst davon, andere Leute fertigzumachen, und wenn Mickey noch so viel Geld für wohltätige Organisationen gibt, ist er keinen Deut besser als ein Dope-Dealer und Zuhälter. Auch wenn’s noch so viele Beschwerden hagelt, weil ich mit Typen, die ihre Weiber prügeln, zu hart umspringe, heißt das noch lange nicht, daß ich mit dir auf einer Stufe stehe. Capisce, du Scheißer?«

Stompanato lächelte – nervös; Bud sah aus dem Fenster. Ein Weihnachtsmann von der Heilsarmee zählte gerade die Münzen in seinem Sammelbecher, ein Auge auf dem Schnapsladen auf der anderen Straßenseite. Stomp sagte: »Hören Sie, Sie wollen Informationen, und ich brauche Geld. Mickey und Davey Goldman sitzen, und Mo Jahelka kümmert sich um alles, solange die zwei nicht da sind. Mo geht selber auf dem Zahnfleisch und hat keine Arbeit für mich. Jack Whalen wollte mich ums Verrecken nicht einstellen, und von Mickey kommt kein einziger gottverdammter Umschlag mehr.«

»Kein Umschlag mehr? Mickey ist doch fein raus. Ich hab’ gehört, daß er sogar das Gift aus dem geplatzten Deal mit Jack D. zurückgekriegt hat.«

Stompanato schüttelte den Kopf. »Da haben Sie falsch gehört. Mickey hat zwar den Kerl gekriegt, aber das Gift ist futsch und der Typ hat außerdem hundertfünfzig Riesen von Mickeys Geld mitgehen lassen. Also, Officer White, ich brauche Geld. Und wenn Ihr Informanten-Fonds noch was hergibt, besorg’ ich Ihnen ’n paar erstklassige neue Rangabzeichen.«

»Werd endlich sauber, Johnny. Werde ein guter Bürger, wie ich und Dick Stensland.«

Stomp kicherte höhnisch – es wirkte nicht überzeugend. »Ein Schlüsseldieb für zwanzig und ein Ladendieb, der seine Alte vermöbelt, für dreißig. Leisten Sie sich ’n schnellen Spaß: Ich hab’ auf dem Weg hierher gesehen, wie sich der Typ bei Ohrbach bedient hat.«

Bud nahm einen Zwanziger und einen Zehner aus der Tasche. Stompanato griff sofort zu. »Ralphie Kinnard. Er ist blond und fett, um die Vierzig. Trägt ’n Wildlederjackett und graue Flanellhosen. Ich hab’ gehört, daß er regelmäßig seine Frau vertrimmt und sie auf ’n Strich schickt, damit er seine Pokerschulden bezahlen kann.«

Bud machte sich Notizen. Stompanato sagte: »Beste Weihnachten, Wendell.«

Bud packte ihn am Schlips und zog; Stomp knallte mit dem Kopf aufs Armaturenbrett.

»Prost Neujahr, Schmalzkopp.«

* * *

Bei Ohrbach war es gedrängt voll – die Kunden umschwärmten Ladentische und Kleiderständer. Bud bahnte sich mit den Ellbogen einen Weg zum dritten Stock, ein wahres Paradies für Ladendiebe: Schmuck, edle Spirituosen in Kristall.

Ladentische, übersät mit Armbanduhren; Kassen, an denen die Leute in langen Schlangen standen. Bud hielt Ausschau nach blonden Männern, wurde immer wieder von Hausfrauen mit Kindern beiseite gedrängt. Dann, aus dem Augenwinkel: ein blonder Kerl mit Wildlederjacke, der gerade in der Herrentoilette verschwand.

Bud drängelte sich durch und ging hinein. Zwei alte Knacker standen an den Pinkelbecken; auf dem Boden der Toilettenkabine ringelten sich graue Flanellhosen. Bud bückte sich und blickte unten durch – Bingo: beide Hände voller Schmuck. Die Alten zogen ihre Reißverschlüsse hoch und gingen; Bud hämmerte an die Tür. »Komm raus, der Nikolaus ist da.«

Die Tür flog auf; eine Faust flog heraus. Bud wurde voll erwischt, fiel gegen ein Waschbecken, stolperte zu Boden. Manschettenknöpfe im Gesicht, Kinnard auf und davon. Bud rappelte sich hoch und nahm die Verfolgung auf.

Durch die Tür, Kunden versperrten ihm den Weg; Kinnard entwischte durch einen Nebenausgang. Bud jagte hinterher – über das Geländer und dann die Feuertreppe hinunter. Der Parkplatz war leer: keine Lieferfahrzeuge, kein Ralphie. Bud rannte zu seinem Streifenwagen, klemmte sich ans Funkgerät. »4A31 an Zentrale, dringend.«

Rauschen, dann: »Roger, 4A31.«

»Letzte bekannte Adresse. Weißer, männlich, Vorname Ralph, Nachname Kinnard. Ich nehme an, K-I-N-N-A-R-D. Schnell, ja?«

Der Mann gab sein Roger; Bud schlug ein paar kurze Haken: Bamm-bamm-bamm-bamm-bamm-bamm. Im Radio knackte es:

»4A31, Roger Ihre Anfrage.«

»4A31, Roger.«

»Antwort positiv: Kinnard, Ralph Thomas, weiß, männlich, Geburtsdatum –«

»Bloß die verdammte Adresse, hab’ ich gesagt –«

Der Mann von der Zentrale schnaubte verächtlich. »Das ist für deinen Weihnachtsstrumpf, du Scheißer. Die Adresse lautet: 1486 Evergreen, und ich hoffe, du –«

Bud schaltete den Kasten aus, fuhr in Richtung Osten nach City Terrace. Beinahe 40 Sachen, Daumen auf der Hupe. Knapp fünf Minuten bis Evergreen. Der 1200er und 1300er Block rasten vorbei; dann der 1400er – riesige alte Kästen in Fertigbauweise.

Er parkte, folgte den Hausnummern bis 1486 – ein weiß verputztes Haus mit einem Weihnachtsschlitten aus Neon auf dem Dach. Innen Licht, ein Vorkriegs-Ford in der Auffahrt. Durch ein Glasfenster: Ralphie Kinnard, der eine Frau im Bademantel vermöbelte.

Die Frau hatte ein aufgedunsenes Gesicht, Alter etwa fünfunddreißig. Sie wich vor Kinnard zurück; ihr Bademantel klaffte auf. Ihre Brüste waren voller blauer Flecken, die Rippen zerschrammt.

Bud ging zum Wagen zurück, um die Handschellen zu holen, sah die Lampe des Funkgeräts aufleuchten und meldete sich. »4A31 antwortet.«

»Roger, 4A31, ein APO. Zwei Streifenpolizisten wurden vor einer Kneipe an 1990 Riverside angegriffen, sechs Tatverdächtige flüchtig. Sie wurden aufgrund ihrer Nummernschilder identifiziert, andere Einheiten sind benachrichtigt.«

Bud verspürte ein leises Kribbeln. »Sieht’s schlecht aus für unsere Leute?«

»Roger. Fahren Sie zur 53rd Avenue Nummer 5314, Lincoln Heights. Festnahme Dinardo, D-I-N-A-R-D-O, Sanchez, Alter zweiundzwanzig, männlich, Mexikaner.«

»Roger. Und Sie schicken einen Streifenwagen nach 1486 Evergreen. Verdächtiger Weißer in Gewahrsam. Ich werde nicht mehr da sein, aber die Kollegen werden ihn schon finden. Sagen Sie ihnen, daß ich die Eintragung mache.«

»Einlieferung ins Revier Hollenbeck?«

Bud gab sein Roger, schnappte sich die Handschellen. Zurück zum Haus und zum Sicherungskasten an der Außenwand. Er legte einen Schalter nach dem anderen um, bis die Lichter im Haus ausgingen. Santas Schlitten blieb weiterhin erleuchtet. Bud packte das Kabel, das in einer Außensteckdose steckte, und zog kräftig daran. Der ganze Aufbau krachte zu Boden, die Rentiere explodierten.

Kinnard kam herausgerannt, stolperte über den abgestürzten Rudolph. Bud legte ihm die Handschellen an, knallte ihn mit dem Gesicht aufs Pflaster. Ralphie heulte auf und spuckte Kies. Bud spulte seine übliche Nummer zum Thema »Frauen prügeln« ab. »In zirka anderthalb Jahren kommst du wieder raus, und ich werde ge-nau wissen, wann es soweit ist. Ich werde rauskriegen, wer dein Bewährungshelfer ist, und mich an ihn ranschmeißen. Ich werde dich besuchen und sehen, wie’s dir geht. Wenn du sie auch nur noch einmal anrührst, werd’ ich’s sofort erfahren, und dann häng’ ich dir ’ne Anklage wegen Kinderschändung an. Weißt du, was die in Quentin mit Kinderschändern machen? Hä? Noch ’ne blöde Frage?«

Das Licht ging wieder an – Kinnards Frau fummelte am Sicherungskasten herum. Sie fragte: »Kann ich zu meiner Mutter?«

Bud leerte Ralphies Taschen aus – Schlüssel, eine Rolle Geldscheine. »Nehmen Sie den Wagen, und sehen Sie zu, daß Sie sich ein bißchen zurechtmachen.«

Kinnard spuckte einen Mund voll Zähne aus. Mrs. Ralphie schnappte sich die Schlüssel und zog einen Zehner aus der Rolle. Bud sagte: »Und fröhliche Weihnachten noch.«

Mrs. Ralphie warf ihm einen Kuß zu und fuhr den Wagen rückwärts aus der Auffahrt, direkt über die noch immer blinkenden Rentiere.

* * *

Avenue 53 – Code 2, ohne Sirene. Ein schwarz-weißer Streifenwagen war einen Moment schneller gewesen; zwei Blaue und Dick Stensland stiegen gerade aus und steckten die Köpfe zusammen.

Bud tippte kurz auf die Hupe. Stensland kam zu ihm. »Mit wem haben wir’s zu tun, Partner?«

Stensland deutete auf eine Hütte. »Der eine Typ, von dem in der Meldung die Rede war, vielleicht noch andere. Waren vermutlich vier Spics und zwei Weiße, die unsere Leute fertiggemacht haben. Brownell und Helenowski. Brownell hat vermutlich eine Gehirnverletzung, und Helenowski soll ein Auge verloren haben.«

»Ich höre immer soll und vermutlich.«

Stens stank nach Listerine und Gin. »Willst du mit mir Haare spalten?«

Bud stieg aus dem Wagen. »Keineswegs. Wie viele in Gewahrsam?«

»Bis jetzt Fehlanzeige. Wir haben die Ehre.«

»Dann sag den Blauen, sie sollen sich raushalten.«

Stens schüttelte den Kopf. »Das sind Kumpel von Brownell. Die wollen auch was abhaben.«

»Nix da, das ist unsere Sache. Wir nehmen sie fest, wir schreiben den Bericht, und dann schaffen wir’s bis zur Ablösung noch auf die Party. Ich hab’ drei Kisten: Walker Black, Jim Beam und Cutty.«

»Exley ist stellvertretender Wachhabender. Der ist ein verdammter Scheinheiliger, und du kannst drauf wetten, daß er für Alkohol im Dienst nichts übrig hat.«

»Yeah, und Frieling ist der eigentliche Wachhabende, und der ist genau so ein verdammter Säufer wie du. Also zerbrich dir den Kopf nicht wegen Exley. Außerdem muß ich vorher noch einen Bericht schreiben – also bringen wir’s hinter uns.«

Stens lachte. »Schwere körperliche Mißhandlung einer Frau? Was ist das – Paragraph sechshundertdreiundzwanzig, Absatz eins, des kalifornischen Strafgesetzbuches? Na gut, ich bin ein verdammter Säufer, und du bist ein verdammter guter Samariter.«

»Yeah. Und du bist ranghöher als ich. Und was jetzt?«

Stens zwinkerte ihm zu; Bud übernahm die Flanke – die Vordertreppe hoch, die Waffe bereit. Die Hütte war dunkel, Vorhänge zugezogen. Bud hörte einen Werbespot im Radio: Felix der Chevrolet-Kater. Dick trat die Tür ein.

Schreie. Ein Mann und eine Frau, beide Mexikaner, rannten weg. Stens zielte auf Kopfhöhe; Bud blockierte den Schuß. Den Flur entlang, Bud dicht auf, Stens mit pfeifendem Atem, Möbel stürzten um. Die Küche – die beiden Spics am Fenster. Endstation.

Die beiden drehten sich um, hoben ihre Hände. Ein Pachuco- Lümmel, ein hübsches junges Mädchen, etwa im sechsten Monat schwanger.

Der Junge stellte sich mit dem Gesicht an die Wand – ein Profi. Bud durchsuchte ihn. Ein Ausweis auf den Namen Dinardo Sanchez, ein Haufen Kleingeld. Das Mädchen heulte. Draußen jaulten Sirenen. Bud drehte Sanchez um, trat ihm in die Eier. »Das ist für unsere, Pancho. Freu dich. Diesmal bist du leicht davongekommen.«

Stens packte das Mädchen. Bud sagte: »Verschwinde, Herzchen. Eh mein Freund hier deine Aufenthaltserlaubnis sehen will.«

Das Wort »Aufenthaltserlaubnis« jagte ihr einen Schrecken ein – Madre mia! Madre mia! Stens schob sie zur Tür. Sanchez stöhnte vor Schmerzen. Bud sah eine Menge Blaue in der Auffahrt. »Lassen wir ihnen Pancho. Sollen die ihn mitnehmen.«

Stens atmete tief durch. »Wir übergeben ihn Brownells Kumpels.«

Zwei junge Cops schleiften Sanchez nach draußen. Stens sagte: »Du und die Weiber. Was kommt als nächstes? Kinder und Hunde?«

Mrs. Ralphie – voller blauer Flecken zum Weihnachtsfest. »Bin schon dabei, Komm, liefern wir den Schnaps ab. Wenn du dich benimmst, kriegst du ’ne eigene Flasche.«

2

Preston Exley zog mit einem Ruck das verhüllende Tuch weg. Seine Gäste brachen in laute Ohs und Ahs aus; ein Stadtrat klatschte und bekleckerte dabei eine Matrone aus der feinen Gesellschaft mit Eierpunsch. Ed Exley dachte: Das ist alles andere als der übliche Heiligabend eines Polizisten.

Er warf einen Blick auf seine Uhr. Acht Uhr sechsundvierzig – um Mitternacht mußte er auf dem Revier sein. Preston Exley wies auf das Modell.

Es nahm fast die Hälfte seines Wohnzimmers ein: ein Freizeitpark voller Berge aus Papiermache, Weltraumraketen, Wildwest-Städte. Am Eingang Comicfiguren: Moochie Mouse, Scooter Squirrel, Danny Duck – alles Raymond Dieterlings Kreaturen, bekannt aus der Sendung Dream-a-Dream-Hour und aus zahllosen Zeichentrickfilmen.

»Ladies und Gentlemen. Ich präsentiere Ihnen das Dream-a- Dreamland. Es soll von der Firma Exley Construction in Pomona, Kalifornien, gebaut werden und im April 1953 dem Publikum zugänglich sein. Es wird der schönste und größte Freizeitpark der Geschichte werden, eine Welt für sich, in der Kinder jeder Altersstufe die Segnungen von Spaß und Unterhaltung genießen können das Markenzeichen von Raymond Dieterling, dem Vater der modernen Zeichentrickkunst. In Dream-a-Dreamland werden Sie all Ihren Lieblingsfiguren begegnen. Es wird ein Anziehungspunkt sein für alle Jungen und Junggebliebenen.«

Ed starrte auf seinen Vater: Er war siebenundfünfzig, wirkte aber wie fünfundvierzig, ein Cop aus einem lange zurückreichenden Stammbaum von Cops, der jetzt in dieser riesigen Villa im Hancock Park seine Ansprache vor lauter Politikern hielt, die auf ein Fingerschnipsen von ihm hin ihren Heiligabend geopfert hatten. Die Gäste klatschten Beifall. Preston zeigte auf einen schneebedeckten Berg. »Pau’s World, Ladies und Gentlemen. Eine maßstabgerechte Nachbildung eines Berges der Sierra Nevada. Paul’s World wird den Besuchern eine atemberaubende Schlittenfahrt und eine Skihütte bieten, in der Moochie, Scooter und Danny Sketches für die ganze Familie aufführen. Und wer ist dieser Paul aus Paul’s World? Paul war Raymond Dieterlings Sohn. Er kam als Teenager im Jahre 1936 auf tragische Weise ums Leben, als er während eines Campingausflugs von einer Lawine verschüttet wurde – auf einem Berg wie diesem. So wurde aus einer Tragödie eine Lobeshymne an die Unschuld. Und vergessen Sie nicht, Ladies und Gentlemen, von jedem Dollar, den Sie in Paul’s World ausgeben, gehen fünf Cents an den Fonds für polio-gelähmte Kinder.«

Wilder Applaus. Preston nickte Timmy Valburn zu – dem Schauspieler, der in der Dream-a-Dream-Hour die Figur von Moochie Mouse verkörperte und mit seinen riesigen, vorstehenden Schneidezähnen ständig an einem Stück Käse knabbern mußte. Valburn stieß den Mann an, der neben ihm stand; der Mann erwiderte die Geste.

Art De Spain erhaschte Eds Blick; Valburn spulte seine Moochie- Nummer ab. Ed steuerte De Spain hinaus in die Halle. »Das ist ja eine riesige Überraschung, Art.«

»Dieterling wird’s in der Dream-Hour öffentlich ankündigen. Hat dein Vater dir nichts gesagt?«

»Nein, und ich wußte auch nicht, daß er Dieterling kennt. Hat er ihn damals beim Fall Atherton kennengelernt? War Wee Willie Wennerholm nicht einer von Dieterlings Kinderstars?«

De Spain lächelte. »Ich war damals nur ein kleiner Laufbursche für deinen Vater, und ich glaube nicht, daß die beiden großen Männer sich je über den Weg gelaufen sind. Preston kennt einfach die richtigen Leute. Ganz nebenbei, hast du den Maus-Menschen und seinen Kumpan gesehen?«

Ed nickte. »Wer ist denn das?«

Aus dem Wohnzimmer erklang lautes Lachen; De Spain steuerte Ed in das Arbeitszimmer. »Das ist Billy Dieterling, Rays Sohn. Er ist einer der Kameraleute für die Serie Badge of Honor, die jede Woche von Millionen Fernsehzuschauern für unser geliebtes LAPD die Werbetrommel rührt. Vielleicht schmiert sich Timmy Käse auf seinen Dingsbums, eh er ihm einen bläst.«

Ed lachte. »Art, du bist ein Pisser.«

De Spain fläzte sich in einen Sessel. »Eddie, von Ex-Cop zu Cop. Wenn du ein Wort wie ›Pisser‹ in den Mund nimmst, dann klingst du wie ein College-Professor. Und du bist in Wirklichkeit gar nicht ›Eddie‹ sondern ›Edmund‹.«

Ed rückte seine Brille zurecht. »Ich hör’ schon wieder gutgemeinte Ratschläge vom lieben Onkel. Bleib bei der Streife, weil Parker es auf diese Weise zum Chief gebracht hat. Kletter auf dem Verwaltungswege nach oben, weil du keinerlei Führungsqualitäten hast.«

»Du hast keinen Sinn für Humor. Und kannst du nicht endlich die Brille absetzen. Kneif meinetwegen die Augen zu oder sonst was. Abgesehen von Thad Green gibt es, glaub’ ich, keinen Mann in der Abteilung, der eine Brille trägt.«

»Guter Gott, du scheinst das Department wirklich zu vermissen. Ich glaube, wenn du Exley Construction und deine Fünfzigtausend pro Jahr aufgeben müßtest, um als Rookie beim LAPD einzusteigen, du würdest das glatt machen.«

De Spain zündete sich eine Zigarre an. »Bloß, wenn dein Vater auch mitmacht.«

»Einfach so?«

»Einfach so. Ich war Lieutenant, als Preston Inspector war, und ich bin immer noch die Nummer zwei. Wäre schön, endlich mit ihm auf einer Stufe zu stehen.«

»Wenn du dich nicht so gut im Holzgeschäft auskennen würdest, gäbe es Exley Construction heute gar nicht.«

»Danke. Und sieh zu, daß du endlich diese Brille los wirst.«

Ed nahm ein gerahmtes Photo zur Hand. Sein Bruder Thomas in Uniform, aufgenommen an dem Tag, bevor er starb. »Wenn du ein Rookie wärst, würd’ ich dich in die Mangel nehmen wegen Ungehorsam.«

»Das trau’ ich dir zu. Wie hast du bei der Prüfung zum Lieutenant abgeschnitten?«

»Als Bester von dreiundzwanzig Bewerbern. Ich war der Jüngste von allen, mit mehr als acht Jahren Abstand, war die kürzeste Zeit Sergeant und hatte die kürzeste Dienstzeit im Department.«

»Und du willst ins Detective Bureau, zu den Kriminalern?«

Ed stellte das Photo wieder hin. »Ja.«

»Also gut. Aber du mußt mindestens ein Jahr einkalkulieren, bis eine Stelle frei wird. Dann mußt du davon ausgehen, daß es wahrscheinlich eine Streifenstelle sein wird. Und schließlich mußt du damit rechnen, daß ein Transfer zum Bureau nicht bloß Jahre, sondern auch eine Menge Arschkriecherei erfordert. Du bist jetzt neunundzwanzig?«

»Ja.«

»Dann wirst du mit dreißig oder einunddreißig Lieutenant. So junge Leute von Rang machen sich schnell Feinde. Mal im Ernst, Ed. Du bist keiner von diesen Typen. Du bist nicht für Gewaltmethoden. Du gehörst nicht ins Bureau. Und Parker als Chief hat einen Präzedenzfall geschaffen, daß man auch als Streifenbeamter ganz nach oben kommen kann. Du solltest drüber nachdenken.«

Ed widersprach: »Art, ich will richtige Fälle bearbeiten. Ich habe gute Beziehungen, und ich bin mit dem Distinguished Service Cross ausgezeichnet worden, was für manch einen durchaus Gewaltmethoden bedeutet. Und ich werde eine Berufung ins Bureau bekommen.«

De Spain klopfte sich Zigarrenasche von seinem Kummerbund. »Können wir mal Tacheles reden, Sunny Jim?«

Der alte Kosename nagte an ihm. »Natürlich.«

»Also … du bist nicht schlecht, und mit der Zeit könntest du sogar wirklich gut werden. Ich zweifle auch keinen Moment an deinem Killerinstinkt. Aber dein Vater war nicht bloß skrupellos, sondern auch beliebt. Du bist das nicht, also …«

Ed ballte die Fäuste. »Also was, Onkel Arthur? Von einem Cop, der das Department für das große Geld verlassen hat, zu einem Cop, der das nie tun würde – wie lautet dein Ratschlag?«

De Spain verzog das Gesicht. »Also sei unterwürfig und mach dich an die richtigen Leute ran. Krieche William H. Parker in den Arsch und bete, daß du zur richtigen Zeit am richtigen Ort bist.«

»So wie du und mein Vater?«

»Touché, Sunny Jim.«

Ed sah auf seine Uniform: maßgeschneidertes blaues Tuch. Rasiermesserscharfe Bügelfalten, Sergeant-Streifen, ein einzelner Streifen für die dreijährige Militärzeit. De Spain meinte: »Du wirst bald goldene Streifen tragen, Eddie. Und eine Tresse an der Mütze. Und du kannst sicher sein, ich würde dich nicht aufziehen, wenn du mir nicht so viel bedeuten würdest.«

»Ich weiß.«

»Und du bist nun mal ein verdammter Kriegsheld.«

Ed wechselte das Thema. »Es ist Weihnachten. Du denkst sicher an Thomas.«

»Geht mir immer durch den Kopf, daß ich ihm vielleicht was hätte beibringen müssen. Er hatte nicht mal sein Pistolenhalfter aufgeknöpft.«

»Ein Handtaschendieb mit einer Waffe? Wie hätte er das wissen sollen?«

De Spain drückte seine Zigarre aus. »Thomas war ein Naturtalent, und ich hab’ immer gedacht, daß er mir noch was hätte beibringen können. Das ist auch der Grund, warum ich dir immer so zurede.«

»Er ist zwölf Jahre tot, und ich bring’s als Polizist viel weiter als er.«

»Ich will vergessen, daß du das gesagt hast.«

»Nein, du solltest es dir merken. Du wirst dich dran erinnern, wenn ich im Bureau bin. Und wenn Vater gleich einen Toast anbringt auf Thomas und auf Mutter, dann werde bitte nicht rührselig. Er leidet dann immer tagelang.«

De Spain erhob sich, er war rot angelaufen. Preston Exley betrat den Raum, in der Hand Cognacschwenker und eine Flasche.

Ed sagte: »Fröhliche Weihnachten, Vater. Und herzlichen Glückwunsch.«

Preston schenkte ein. »Ich danke dir. Exley Construction kriegt nicht nur den Auftrag für den Arroyo Freeway, sondern baut auch noch ein Königreich für ein vergöttertes Nagetier, und ich werde nie wieder ein Stück Käse anrühren. Ein Toast, Gentlemen. Auf meinen Sohn Thomas und meine Frau Marguerite, mögen sie ewig in Frieden ruhen, und – auf uns drei, die wir hier versammelt sind.«

Die Männer tranken ihre Gläser aus; De Spain goß nach. Ed brachte den Toast aus, den sein Vater am liebsten hatte: »Auf die Aufklärung von Verbrechen, die absolute Gerechtigkeit erfordern.«

Wieder wurden die Gläser geleert. Ed sagte: »Vater, ich wußte gar nicht, daß du Raymond Dieterling kennst.«

Preston lächelte: »Ich habe geschäftlich schon seit mehreren Jahren mit ihm zu tun. Art und ich haben den neuen Vertrag auf Raymonds Bitten hin geheimgehalten – er will die Sache unbedingt in seinem infantilen Fernsehprogramm ankündigen.«

»Hast du ihn damals in Zusammenhang mit dem Fall Atherton kennengelernt? «

»Nein, und außerdem war ich damals noch gar nicht im Baugeschäft. Arthur, möchtest du vielleicht auch einen Toast anbringen?«

De Spain goß noch einmal die Gläser voll. »Auf einen Bureau- Posten für unsern künftigen Lieutenant hier.«

Gelächter, aufmunternde Rufe. Preston sagte: »Joan Morrow hat sich nach deinem Liebesleben erkundigt. Ich glaube, die hat’s erwischt.«

»Kannst du dir eine Debütantin als Ehefrau eines Polizisten vorstellen?«

»Nein, aber ich könnte mir gut vorstellen, daß sie einen höheren Polizeibeamten heiraten würde.«

»Chef der Kriminalabteilung?«

»Nein, ich dachte eher an den Kommandeur des Streifendienstes.«

»Vater, Thomas sollte unter dir Chef der Kriminalabteilung werden, aber er ist tot. Du solltest mir nicht die Chance nehmen. Du solltest mich nicht dazu zwingen, einen alten Traum von dir zu verwirklichen.«

Preston starrte seinen Sohn an. »Du hast recht, mein Sohn. Und ich finde es sehr gut, daß du sagst, was du denkst. Ich gebe zu, das war ursprünglich mal mein Traum. Aber eigentlich glaube ich nicht, daß du den Blick für die menschlichen Schwächen hast, den ein wirklich guter Detective braucht.«

Sein Bruder: ein mathematisches Genie mit einer Schwäche für schöne Mädchen. »Und Thomas hatte ihn?«

»Ja.«

»Vater, ich hätte diesen Handtaschenräuber damals sofort erschossen, als er in die Tasche griff.«

De Spain fluchte. »Verdammt noch mal.« Preston bedeutete ihm zu schweigen. »Ist schon in Ordnung. Edmund, ich möchte dir nur ein paar Fragen stellen, ehe ich mich wieder meinen Gästen widme. Erstens: Wärst du bereit, einem Verdächtigen, der deiner Überzeugung nach schuldig ist, belastendes Material unterzuschieben, damit er wirklich angeklagt wird?«

»Ich müßte erst mal –«

»Antworte einfach mit Ja oder Nein.«

»Ich … Nein.«

»Wärst du bereit, hartgesottene bewaffnete Räuber in den Rücken zu schießen, um zu verhindern, daß sie etwaige Gesetzeslücken ausnutzen und dadurch ihrer verdienten Strafe entgehen?«

»Ich …«

»Ja oder Nein, Edmund.«

»Nein.«

»Und wärst du bereit, aus Verdächtigen, von denen du weißt, daß sie schuldig sind, ein Geständnis herauszuprügeln?«

»Nein.«

»Wärst du bereit, an einem Tatort belastendes Material zu arrangieren, um so den Staatsanwalt zu unterstützen?«

»Nein.«

Preston seufzte. »Dann halte dich, um Gottes willen, an Aufträge, bei denen du nicht gezwungen bist, solche Entscheidungen zu treffen. Benutze lieber den großartigen Verstand, den der Herrgott dir gegeben hat.«

Ed sah auf seine Uniform. »Ich werde meinen Verstand einzusetzen wissen, wenn ich Detective bin.«

Preston lächelte. »Detective oder nicht, du hast auf jeden Fall die Hartnäckigkeit, die Thomas gefehlt hat. Du wirst Großes leisten, mein Kriegsheld.«

Das Telefon läutete; De Spain nahm den Hörer ab. Ed mußte an verminte japanische Schützengräben denken – und konnte Preston nicht in die Augen sehen. De Spain sagte: »Es ist Lieutenant Frieling vom Revier. Er sagt, das Gefängnis ist fast voll, und heute abend sind zwei Beamte tätlich angegriffen worden. Zwei Verdächtige sind in Gewahrsam, vier weitere werden noch erwartet. Er sagt, du sollst dich so früh wie möglich zum Dienst melden.«

Ed drehte sich wieder zu seinem Vater um. Preston war bereits in der Halle und tauschte Witze mit Bürgermeister Bowron aus, der eine Moochie-Mouse-Mütze auf dem Kopf hatte.

3

Zeitungsausschnitte an seiner Pinnwand: »Drogenjäger bei Schießerei verletzt«; »Schauspieler Mitchum bei Razzia auf Marihuana-Höhle verhaftet«. Artikel aus Hush-Hush, eingerahmt auf dem Schreibtisch: »Drogensüchtige zittern, wenn Drogenjäger kommt«; »Schauspieler bestätigen: Badge of Honor authentisch dank technischer Beratung durch erfahrenen und erfolgreichen Polizisten«. Der Artikel über Badge enthielt auch ein Photo: Sergeant Jack Vincennes mit dem Star der Show, Brett Chase. Was fehlte, waren die Informationen aus dem Privatarchiv des Redakteurs: drei eingestellte Verfahren gegen den Päderasten Brett Chase wegen Unzucht mit minderjährigen Jungen.

Jack Vincennes sah sich im Narco-Stall um – verlassen und dunkel, nur auf seinem Schreibtisch brannte Licht. Zehn Minuten bis Mitternacht: Er hatte Dudley Smith versprochen, seinen Bericht über organisiertes Verbrechen für die Intelligence Division abzutippen; er hatte Lieutenant Frieling eine Kiste Schnaps für die Party auf dem Revier versprochen – Sid Hudgens vom Hush-Hush sollte eigentlich den Rum liefern, hatte aber noch nicht angerufen.

Dudleys Bericht: ein Gefallen seinerseits, weil er hundert Wörter pro Minute tippen konnte; die Gegenleistung: morgen ein Treffen mit Dud und Ellis Loew, Lunch im Pacific Dining Car – eine Sache, die ihm beim Büro des Staatsanwalts Einfluß verschaffen würde. Jack zündete sich eine Zigarette an und begann zu lesen.

Ein großartiger Bericht: elf Seiten lang, sehr wortreich, typisch Dudley. Inhalt: die Aktivitäten des L. A.-Mobs in der Zeit, da Mickey Cohen auf Eis lag. Jack machte ein paar Korrekturen und tippte los.

Cohen saß im Bundesgefängnis von McNeil Island: drei bis sieben Jahre wegen Steuerhinterziehung. Davey Goldmann, der für Mickey die Geldangelegenheiten regelte, saß ebenfalls dort: drei bis sieben Jahre, überführt wegen Steuervergehen in sechs Fällen. Smith prophezeite mögliche Auseinandersetzungen zwischen Cohens Günstling Morris Jahelka und Jack Whalen, genannt »Der Vollstrecker«; seit Mafia-Boss Jack Dragna deportiert worden war, hatten diese beiden Männer die besten Aussichten, die Kontrolle über Kredithaie, Buchmacher, Wettbüros und Prostitution zu übernehmen. Smith vertrat dabei die Auffassung, Jahelka habe zu wenig Einfluß, als daß er von der Polizei überwacht werden müßte; John Stompanato und Abe Teitlebaum, Cohens wichtigste Figuren, gingen jetzt offenbar ehrenhaften Geschäften nach. Lee Vachss, von Cohen als Killer angestellt, hatte sich auf den religiösen Bereich verlegt – er verkaufte jetzt Wundermittel, die garantiert mystische Erfahrungen bewirken sollten.

Jack tippte weiter. Dud lag absolut daneben: Johnny Stomp und Kikey Teitlebaum waren Vollblutganoven – die beiden würden nie ein ehrliches Leben führen. Er spannte ein neues Blatt ein.

Das nächste Thema: die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Cohen und Dragna im Februar 1950 – angeblich waren damals fünfundzwanzig Pfund Heroin und einhundertfünfzigtausend Riesen geklaut worden. Jack hatte gerüchteweise gehört, daß ein Ex-Cop namens Buzz Meeks das Gipfeltreffen der beiden hatte hochgehen lassen, abgehauen und dann in der Nähe von San Bernardino zusammengeschossen worden war. Dem Vernehmen nach waren es Cohens Ganoven und ein paar gekaufte Cops aus L. A. gewesen, die ihn umgelegt hatten. Auf Mickeys Auftrag hin. Meeks hatte Mick nach Strich und Faden beklaut und seine Frau gevögelt. Das H war angeblich verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Dudleys Theorie: Meeks hatte Geld und Stoff an unbekannter Stelle vergraben und war später von »einem oder mehreren Unbekannten« erschossen worden – vermutlich von einem von Cohens Killern. Jack mußte lächeln: Wenn das LAPD irgendwie am Tode von Meeks beteiligt war, würde Dud nie im Leben das Department mit hineinziehen – nicht einmal in einem internen Bericht.

Danach Smiths Zusammenfassung: Seit Mickey C. weg vom Fenster war, waren die Aktivitäten des Mobs beinahe zum Stillstand gekommen; das LAPD sollte am besten ein Auge auf alle neuen Gesichter haben, die versuchen könnten, Cohens alte Organisation zu übernehmen; die Prostitution hatte sich auf die Nachbarbezirke verlagert – mit der stillschweigenden Zustimmung des Sheriffs Department. Jack unterschrieb die letzte Seite mit »Hochachtungsvoll, Lieutenant D. L. Smith.«

Das Telefon läutete. »Narcotics, Vincennes.«

»Ich bin’s. Hungrig?«

Jack unterdrückte einen Wutanfall – ganz ruhig. Wer konnte wissen, was Hudgens für Material über ihn hatte. »Sid, Sie sind spät dran. Und die Party ist schon in vollem Gang.«

»Ich hab’ was besseres als Schnaps. Ich habe Bargeld.«

»Schieß los.«

»Folgendes: Tammy Reynolds, Co-Star von Hope’s Harvest. Der Film läuft morgen überall in der Stadt an. Ein Typ, den ich kenne, hat ihr grade ein paar Reefer verkauft. Garantiert genug für ’ne Verhaftung wegen Besitz und Mißbrauch. Sie sitzt da oben in den Hollywood Hills, Maravilla Nummer 2245, und zieht sich grade das Zeug rein. Sie schnappen sich das Mädchen, ich schreibe dafür ein Feature über Sie in der nächsten Ausgabe. Weil Weihnachten ist, überlass’ ich meine Aufzeichnungen außerdem Morty Bendish vom Mirror, also werden Sie auch in den Tageszeitungen groß rauskommen. Dazu noch fünfzig in bar und den Rum. Bin ich nicht ein verdammt guter Weihnachtsmann?«

»Bilder?«

»Jede Menge. Tragen Sie Ihren blauen Blazer, der paßt ausgezeichnet zu Ihrer Augenfarbe.«

»Hundert, Sid. Ich brauche zwei Streifenbeamte, das macht je zwanzig, und einen Zehner für den diensthabenden Leiter im Hollywood-Revier. Und außerdem werden Sie alles nötige arrangieren.«

»Jack! Es ist Weihnachten!«

»Nein, es ist ein Kapitalverbrechen, Marihuana zu besitzen.«

»Scheiße. In einer halben Stunde?«

»Fünfundzwanzig Minuten.«

»Ich bin da. Verdammter Erpresser.«

Jack legte auf, machte ein Kreuz in seinem Kalender. Wieder ein Tag, kein Schnaps, keine Drogen – schon seit genau vier Jahren und zwei Monaten.

* * *

Die Szenerie war vorbereitet – die Straße abgesperrt. Neben Sid Hudgens Packard standen zwei Uniformierte; ihren schwarzweißen Streifenwagen hatten sie auf dem Bürgersteig geparkt. Die Straße war dunkel und ruhig; Sid hatte einen großen Scheinwerfer aufbauen lassen. Man hatte einen guten Blick runter zum Boulevard – einschließlich Grauman’s Chinese Theater – ein idealer Aufhänger.

Sid begrüßte ihn mit Bargeld. »Sie sitzt im Dunkeln und staunt den Weihnachtsbaum an. Die Tür sieht ziemlich dünn aus.«

Jack zog seinen 38er. »Die Jungs sollen den Schnaps in meinen Kofferraum packen. Wollen Sie Grauman’s als Hintergrund?«

»Das gefällt mir! Jackie, Sie sind der Beste im ganzen Westen!«

Jack sah ihn sich genau an: dünn wie eine Vogelscheuche, irgendwo zwischen fünfunddreißig und fünfzig – ein Meister des Klatsches, der über alles im Bilde war. Entweder wußte er Bescheid über den 24. Oktober 1947, oder er wußte nichts. Wenn er im Bilde war, dann hatten Sie ein Arrangement auf Lebenszeit. »Sid, wenn ich sie aus dem Haus bringe, möchte ich auf keinen Fall von dem verdammten Scheinwerfer geblendet werden. Sagen Sie Ihrem Kameramann das.«

»Wird gemacht.«

»Gut. Und jetzt zählen Sie bis zwanzig.«

Hudgens fing an, mit den Fingern zu klopfen; Jack ging zum Haus und trat die Tür ein. Der Scheinwerfer flammte auf und ließ das Wohnzimmer in hellem Licht erstrahlen: Weihnachtsbaum, zwei junge Leute in Unterwäsche, eng umschlungen. Jack brüllte: »Polizei!«; die beiden Verliebten erstarrten; der Lichtkegel erfaßte einen dicken Beutel Marihuana auf der Couch.

Das Mädchen fing an zu heulen; der Junge wollte nach seiner Hose greifen. Jack setzte ihm einen Fuß auf die Brust. »Deine Hände. Schön langsam.«

Der Junge preßte die Handgelenke zusammen; Jack legte ihm mit einer Hand die Manschetten an. Die Blauen stürmten ins Haus und sammelten das Belastungsmaterial ein. Jack identifizierte den jungen Burschen als Rock Rockwell, ein Unschuldslamm von der RKO. Das Mädchen wollte weglaufen. Jack hielt sie fest. Er packte die beiden Verdächtigen am Kragen und ging mit ihnen durch die Tür und die Treppe hinunter.

Hudgens brüllte: »Grauman’s – solange wir noch genug Licht haben!«

Jack führte die beiden vor – zwei halbnackte Schönheiten in Unterwäsche. Blitzlichter flammten auf. Hudgens brüllte: »Schnitt! Einpacken, das war’s!«

Die Blauen übernahmen: Sie schleppten Rockwell und das heulende Mädchen zu ihrem Streifenwagen. In den umliegenden Häusern gingen Lichter an; ein paar Schaulustige machten die Türen auf und schauten heraus. Jack ging zurück ins Haus.

Eine dicke Wolke von Maryjane. Selbst vier Jahr später roch das Zeug immer noch gut. Hudgens war dabei, die Schubladen zu durchwühlen. Er fand Dildos, Hundehalsbänder mit Stacheln. Jack suchte das Telefon, studierte das Adreßbuch nach etwaigen Dealern: Fehlanzeige. Eine Visitenkarte fiel zu Boden. »Fleur-de-Lis. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Die Erfüllung all Ihrer Wünsche.«

Sid fing an, vor sich hin zu murmeln. Jack legte die Karte wieder zurück. »Lassen Sie mal hören, wie’s klingt.«

Hudgens räusperte sich. »Es ist der Weihnachtsabend in der Stadt der Engel, und während die anständigen Bürger den Schlaf der Gerechten schlafen, sind die Drogensüchtigen auf der Suche nach Marihuana, dem Kraut, dessen Wurzeln bis in die Hölle reichen. Tammy Reynolds und Rock Rockwell, Filmstars mit einem Bein im Hades, sitzen in Tammys glitzernder Hollywood-Bude und rauchen süßen Tee. Sie wissen nicht, daß sie ohne Asbesthandschuhe mit dem Feuer spielen. Sie wissen nicht, daß ein Mann unterwegs ist, um dieses Feuer zu löschen – der unaufhaltsame, unermüdliche, gefeierte Held der Verbrechensbekämpfung, Jack Vincennes, genannt Big V, der Schrecken aller Grasköppe und Süchtigen. Aufgrund eines anonymen Hinweises gelang es Sergeant Vincennes, bla-bla-bla. Wie gefällt’s Ihnen, Jack?«

»Ja, sehr. Sehr feinfühlig.«

»Von wegen. Die Auflage liegt bei neunhunderttausend und steigt weiter. Ich glaube, ich lass’ einfließen, daß Sie schon zweimal geschieden sind, weil Ihre Ehefrauen Ihren Kreuzzug nicht mitmachen wollten, und daß man Sie nach einem Waisenhaus in Vincennes, Indiana, benannt hat. Bigggg Viiee.« Sein Spitzname bei den Narcs: Trashcan Jack – eine Reverenz an frühere Tage, als er Charlie »Yardbird« Parker einmal vertrimmt und vor dem Klub Zamboanga in eine Mülltonne gesteckt hatte. »Sie sollten im Hinblick auf Badge of Honor ein bißchen die Trommel rühren. Daß Miller Stanton mein Kumpel ist, und wie ich Brett Chase beigebracht habe, wie man einen Cop spielt. So nach dem Motto: der große technische Berater im Hintergrund.«

Hudgens lachte auf. »Steht Brett immer noch auf kleine Jungs?«

»Können Nigger tanzen?«

»Nur südlich vom Jefferson Boulevard. Vielen Dank für die Story, Jack.«

»Ist doch klar.«

»Ich mein’s ernst. Ist immer wieder ein Vergnügen, Sie zu sehen.« Du verdammte Kakerlake, jetzt wirst du mir gleich zuzwinkern, weil du genau weißt, daß du mich diesem moralistischen Scheißer William H. Parker gegenüber festnageln kannst, wann immer du willst – Unterschlagung von Bargeld seit 1948 und so. Wahrscheinlich hast du alles sorgfältig dokumentiert, so daß du selber schön sauber bleibst und mich trotzdem fertigmachen kannst –«

Hudgens zwinkerte.

Jack fragte sich, ob er alles schwarz auf weiß hatte.

4

Die Party war in vollem Gang, der Mannschaftsraum zum Stehausschank umfunktioniert.

Eine offene Bar: Scotch, Bourbon, eine Kiste Rum, die Trashcan Jack Vincennes angeschleppt hatte. Dick Stenslands Spezialgebräu im Wasserkühler: Old Crow und Eierpunsch-Mix. Vom Plattenspieler kreischten obszöne Weihnachtslieder über Nikolaus und seine Rentiere. Der Laden war brechend voll: blaue Uniformen von der Nachtschicht und die Jungs vom Central-Revier, durstig nach der anstrengenden Jagd auf Stadtstreicher.

Bud beobachtete die Menge. Fred Turentine warf mit Darts auf Fahndungsplakate; Mike Krugman und Walt Dukeshearer spielten Nigger-Raten, wobei sie versuchten, Verbrecherphotos von Negern zu identifizieren – ein Vierteldollar für jeden Treffer. Jack Vincennes trank Sodawasser. Lieutenant Frieling lag bewußtlos über seinem Schreibtisch. Ed Exley versuchte die Männer zu beruhigen, gab es auf, machte sich an die Arbeit: Gefangene ins Wachbuch eintragen, Arrestberichte schreiben.

Fast jeder der Männer war betrunken oder kurz davor.

Fast jeder der Männer sprach nur von Helenowski und Brownell. Die Täter in Gewahrsam, die beiden Männer immer noch nicht zurück.

Bud stand am Fenster. Verworrene Gerüchte peinigten ihn: Brownie Brownell sollte sich die Oberlippe bis zur Nase aufgerissen und einer der Taco-Fresser Helenowski das linke Ohr abgebissen haben; Dick Stens habe sich ein Gewehr genommen und mache Jagd auf Spics. Letzteres schien ihm durchaus glaubhaft. Er hatte gesehen, wie Dick mit einem Ithaca-Vorderschaftrepetierer auf den Parkplatz gegangen war.

Der Lärm wurde brutaler – Bud ging nach draußen auf den Parkplatz und lehnte sich an einen Streifenwagen.

Es begann zu nieseln. Dann Unruhe an der Eingangstür zum Zellentrakt-Dick Stens schubste zwei Männer hinein. Ein Schrei; Bud wettete mit sich, welche Chancen Stens hatte, das Maß vollzumachen. Wenn er Schmiere stand: halbe-halbe – ohne ihn: zwei zu eins gegen Stens. Drüben vom Mannschaftsraum hörte man Frank Dohertys Tenor ein sentimentales »Silver Bells« singen.

Bud entfernte sich noch weiter von der Musik. Sie erinnerte ihn an seine Mutter. Er zündete sich eine Zigarette an und dachte trotzdem an sie.

Er hatte zugesehen, wie sie umgebracht worden war: Er war sechzehn Jahre alt gewesen und hatte nichts dagegen tun können. Der Alte war nach Hause gekommen. Er mußte die Warnung seines Sohnes ernstgenommen haben: Wenn du Mutter noch mal anrührst, bring’ ich dich um. Er hatte geschlafen und war dann aufgewacht – mit Handschellen an Hand- und Fußgelenken. Er hatte mit angesehen, wie der Scheißer Mutter mit einem Montiereisen zu Tode prügelte. Er hatte sich den Hals wund geschrien. Immer noch gefesselt, hatte er mit dem Leichnam in dem Zimmer gelegen: eine volle Woche, ohne Wasser, im Delirium – er hatte zugesehen, wie seine Mutter verfaulte. Ein den Dienst schwänzender Polizist fand ihn schließlich, und die L. A. Sheriffs fanden den Alten. Dann der Prozeß. Die Verteidigung plädierte auf verminderte Zurechnungsfähigkeit und Körperverletzung mit tödlichem Ausgang. Lebenslange Freiheitsstrafe. Nach zwölf Jahren wurde der Alte auf Bewährung entlassen. Sein Sohn – Officer Wendell White, LAPD beschloß, ihn zu töten.

Der Alte war nirgends zu finden.

Er war kurz nach seiner Freilassung untergetaucht. Bud hatte sämtliche alten Verstecke und Stammkneipen abgesucht – ohne Erfolg. Trotzdem suchte er weiter. Immer wieder wachte er nachts auf, das Schreien einer Frau im Ohr. Immer ging er den Schreien nach, aber meist waren es Belanglosigkeiten. Einmal hatte er eine Tür eingetreten und eine Frau gefunden, die sich die Hand verbrannt hatte. Ein andermal hatte er einen Mann und seine Frau beim Vögeln überrascht.

Der Alte war nirgends zu finden.

Dann wurde er ins Bureau aufgenommen; sein Partner wurde Dick Stens. Dick zeigte ihm alles Nötige, hörte sich seine Geschichte an, gab ihm den Rat, sich gezielt auf spezielle Fälle zu konzentrieren und sich dadurch von dem psychischen Druck zu befreien. Sein Alter mochte verschwunden bleiben, aber vielleicht würde er wenigstens seine Alpträume loswerden, wenn er seine Wut an Männern auslassen konnte, die Frauen prügelten. Bud suchte sich einen passenden ersten Kandidaten aus: ein Ehekrach; die Frau, die Anzeige erstattete, war seit langem wiederholt vertrimmt worden. Der Verhaftete war einer dieser ewigen Versager. Auf dem Weg zum Revier machte er einen kleinen Umweg und fragte den Kerl, ob er Lust hätte, zur Abwechslung mal ein Tänzchen mit einem Mann zu machen. Ohne Handschellen, und wenn er gewinnen sollte, werde er die Anzeige gegen ihn fallenlassen. Der Typ war einverstanden: Bud brach ihm das Nasenbein und den Kiefer und verpaßte ihm einen so heftigen Tritt in die Rippen, daß der andere einen Milzriß davontrug. Dick hatte recht gehabt -.seine schlechten Träume hörten spontan auf.

Bald hatte er wirklich den Ruf, der härteste Mann im LAPD zu sein.

Er machte weiter, ließ nicht locker: Wenn die Scheißkerle freigesprochen wurden, kriegten sie warnende Anrufe; wenn sie in den Knast kamen und auf Bewährung entlassen wurden, wurden sie mit fester Hand empfangen. Er zwang sich, keine sexuellen Offerten aus Dankbarkeit anzunehmen, und suchte seine Frauen woanders. Er führte eine genaue Liste von Gerichts- und Bewährungsterminen und schickte den Scheißern Postkarten ins Straflager. Er fing sich ein paar Beschwerden ein, weil er jemanden zu sehr unter Druck gesetzt hatte, ließ sich aber nicht beirren. Dick Stens machte einen ordentlichen Detective aus ihm, und dafür spielte er jetzt Kindermädchen für seinen Lehrer: Er sorgte dafür, daß er im Dienst wenigstens halbwegs nüchtern blieb, hielt ihn zurück, wenn er einen Anfall kriegte und allzu schießwütig wurde. Er hatte gelernt, sich unter Kontrolle zu halten. Stens dagegen bestand nur noch aus schlechten Gewohnheiten – schnorrte in den Kneipen herum und drückte zu oft ein Auge zu, wenn ein Ganove, den er auf frischer Tat erwischt hatte, ihm eine kleine Gefälligkeit erwies.

Die Musik klang plötzlich schief – eigentlich war es gar keine Musik mehr. Bud hörte Kreischen und Schreie aus dem Zellentrakt.

Der Lärm verdoppelte, verdreifachte sich. Bud sah, wie alles vom Mannschaftsraum zum Zellenblock stürmte. Blitzartig überkam es ihn: Stens ausgeflippt, Schnaps, eine wilde Fete – »Machen wir die Schweine fertig«. Er rannte los und krachte in vollem Lauf durch die Tür.

Der Laufgang war gedrängt voll, Zellentüren standen offen, Schlangen bildeten sich. Exley versuchte, mit lauten Rufen für Ordnung zu sorgen, und drängte sich in die Menge, ohne etwas zu erreichen. Bud fand die Liste mit den Gefangenen; jemand hatte ein paar Namen mit Häkchen versehen: »Sanchez, Dinardo«, »Carbijal, Juan«, »Garcia, Ezekiel«, »Chasco, Reyes«, »Rice, Dennis«, »Valupeyk, Clinton« – alle sechs, die Cops angegriffen hatten, waren in Gewahrsam.

Die Penner in der Ausnüchterungszelle stachelten die Männer an.

Stens rannte zu Zelle Nr. 4, einen Messingschlagring in der Hand.

Willie Tristano drückte Exley an die Wand, Crum Crumley nahm ihm die Schlüssel ab.

Cops drängelten von einer Zelle zur nächsten. Eimer Lentz grinste, über und über mit Blut bespritzt. Jack Vincennes stand beim Büro des Schichtkommandeurs – Lieutenant Frieling lag schnarchend auf seinem Tisch.

Bud stürmte mitten hinein.

Er bekam ein paar Hiebe mit dem Ellbogen, dann sahen die Männer, wer er war, und machten ihm die Bahn frei. Stens verschwand in Zelle Nr. 3. Bud drängte hinterher: Dick bearbeitete einen hageren Pachuco mit kräftigen Schlägen über den Schädel. Der Bursche war auf den Knien und suchte seine Zähne zusammen. Bud packte Stensland; der Mexikaner spuckte Blut. »Heeey, Miiiister White. Ich kennnn dich, du puto. Du mein’ Freun’ Caldo verprügel, weil er sein’ puto Frau haun. Sie ’ne Scheißhuuure, pendejo. Has’ du gar kein’ Scheiß-Grips?«

Bud ließ Stens los; der Mex zeigte ihm den Finger. Bud versetzte ihm einen Tritt, daß er lang zu Boden ging, und packte ihn am Genick. Anfeuerungsrufe: Weiter so, Jungs. Verdammte Scheiße. Bud knallte den Burschen mit dem Kopf auf den Boden. Ein Uniformierter drängte sich gewaltsam dazwischen. Die Stimme von Ed Exleys, dem reichen Söhnchen: »Hören Sie sofort auf, Officer! Das ist ein Befehl!«

Der Mexikaner trat ihm in die Eier – Volltreffer. Bud brach am Zellengitter zusammen und krümmte sich. Der Bursche stolperte aus der Zelle, geradewegs Vincennes in die Arme. Trashcan völlig entgeistert – Blut auf seinem Cashmere-Jackett. Er streckte den Kerl mit einer Links-Rechts-Kombination zu Boden. Exley rannte aus dem Zellenblock.

Rufe, Schreie, Kreischen, lauter als tausend Poilzeisirenen bei Alarm dritter Stufe.

Stens holte eine kleine Flasche Gin aus seiner Tasche. Bud sah schon jeden einzelnen Mann für alle Zeit nach Niggertown verbannt. Er stellte sich auf die Zehenspitzen: großartige Aussicht – Exley schüttete im Lagerraum den Schnaps in den Ausguß.

Stimmen: Recht so, Big Bud. Die Stimmen bekamen Gesichter – verzerrt und schief. Exley war immer noch mit dem Schnaps beschäftigt. Mr. Abstinenzler als Zeuge. Bud rannte, den Laufgang hinunter, schloß ihn ein.

5

Eingeschlossen in einen sechs Quadratmeter großen Raum. Keine Fenster, kein Telefon, keine Sprechanlage. Regale voller Formulare, Mops, Besen, ein verstopftes Waschbecken voll Wodka und Rum. Die Tür mit Stahlplatten verstärkt; Schnapsbrühe stank wie Erbrochenes. Durch das Heizungsgitter dröhnten laute Rufe und dumpfe Geräusche.

Ed hämmerte an die Tür – keine Antwort. Er brüllte in das Heizungsgitter – heiße Luft traf sein Gesicht. Er sah sich an den Armen festgehalten und bestohlen. Jungs vom Bureau, die sicher waren, daß er sie nie verpfeifen würde. Er fragte sich, was sein Vater tun würde.

Die Zeit verging schleppend; der Lärm hörte auf, wuchs, hörte auf, setzte wieder ein. Ed hämmerte wieder und wieder an die Tür ohne Erfolg. Der Raum wurde immer heißer; Schnapsgestank machte das Atmen schwer. Ed fühlte sich wie in Guadalcanal, als er sich vor den Japanern versteckt hatte, über sich einen Haufen Leichen. Seine Uniform war völlig durchnäßt. Wenn er versuchte, das Schloß aufzuschießen, würden die Kugeln wahrscheinlich von den Stahlplatten abprallen und ihn selbst treffen. Die Prügelaktion würde weite Kreise ziehen – eine Untersuchung durch Internal Affairs, Zivilklagen, Schwurgerichtsverfahren. Anklage wegen Mißhandlung im Amt. Eine Menge Karrieren würden zum Teufel gehen. Sergeant Edmund J. Exley am Kanthaken, weil er nicht in der Lage war, für Ordnung zu sorgen. Ed faßte einen Entschluß: Gebrauche deinen Verstand und wehre dich.

Er griff sich ein paar offizielle Formulare, drehte sie um und begann zu schreiben. Erste Version – die Wahrheit:

Es begann mit einem Gerücht: John Helenowski hat ein Auge verloren. Sergeant Richard Stensland trug die Einlieferung von Rice, Dennis, und Valupeyk, Clinton, ins Wachbuch ein – er verbreitete die Meldung. Plötzlich sprang der Funke über. Lieutenant Frieling, der Wachhabende, schlief, betäubt durch den Genuß von Alkohol im Dienst, ein Verstoß gegen die allgemeine Polizeivorschrift Nr. 4319. Sein Vertreter, Sergeant E. J. Exley, stellte fest, daß seine Büroschlüssel verschwunden waren. Die Mehrzahl der Männer, die an der Weihnachtsparty des Reviers teilnahmen, stürmte den Zellenblock. Die Zellen, in denen die sechs Verdächtigen saßen, welche die Polizisten angegriffen hatten, wurden mit Hilfe der verlorenen Schlüssel geöffnet. Sergeant Exley bemühte sich, die Zellentüren wieder zu verschließen, aber die Prügelei hatte bereits begonnen, und Sergeant Willis Tristano hielt Sergeant Exley fest, während Sergeant Walter Crumley ihm die Reserveschlüssel entwendete, die er an seinem Gürtel trug.

Sergeant Exley verzichtete darauf, seine Schlüssel mit Gewalt zurückzubekommen.

Weitere Einzelheiten:

Stensland dreht durch.

Polizeibeamte verprügeln wehrlose Gefangene. Bud White hat einen sich windenden Mann gepackt, eine Hand an seiner Kehle.

Sergeant Exley befiehlt Officer White aufzuhören. Officer White ignoriert den Befehl. Sergeant Exley erleichtert, als der Gefangene sich befreien kann und damit jede weitere Konfrontation überflüssig macht.

Ed wandt sich, schrieb weiter. 25. 12. 51 – Einzelheiten der gewalttätigen Übergriffe im Zellenblock Central. Wahrscheinlich würde Anklage vor dem Geschworenengericht erhoben, außerdem Disziplinarverfahren innerhalb des Departments. Chief Parkers Prestige zum Teufel. Ein neues Blatt Papier. Ed dachte an die Zelleninsassen, die Zeugen des Vorfalls waren – die meisten von ihnen Säufer -, und an die Tatsache, daß so gut wie alle Beamten schwer getrunken hatten. Sie waren als Zeugen kompromittiert, aber er war nüchtern gewesen, unkompromittiert, und er hatte wiederholt die Situation unter Kontrolle bringen wollen. Er suchte einen Weg, sich angemessen aus der Affäre zu ziehen. Das Department mußte versuchen, das Gesicht zu wahren. Die hohen Tiere würden einem Mann dankbar sein, der versucht hatte, schlechte Presse zu vermeiden, der genügend Weitsicht besaß, um vorauszusehen, was geschehen würde, und rechtzeitig geeignete Maßnahmen traf. Er machte sich an die zweite Version.

Eine ausführlichere Variante zur ersten Version – dieser Darstellung zufolge trugen nur einige wenige Beamte die Verantwortung an der Sache: Stensland, Johnny Brownell, Bud White und eine Handvoll anderer Männer, die bereits im Pensionsalter oder kurz davor waren – Krugman, Tucker, Heineke, Huff, Disbrow, Doherty – alles alte Fische, die man dem Büro des Staatsanwalts zum Fraß vorwerfen konnte, falls das Anklagefieber ausbrach. Eine sehr subjektive Darstellung, zugeschnitten auf das, was die Gefangenen in der Ausnüchterungszelle gesehen hatten. Die Angreifer hatten versucht, aus dem Zellenblock zu entkommen und andere Gefangene zu befreien. Eine leichte Verzerrung der Wahrheit – von anderen Zeugen kaum zu widerlegen. Ed setzte seine Unterschrift darunter, versuchte dann, durch den Heizungsschacht die dritte Version zu erfahren.

Sie ließ auf sich warten. Stimmen, die »Stens« drängten, er solle »aufwachen, wir haben was für dich.« White verließ den Zellenblock, murmelte vor sich hin, was für eine Verschwendung das doch sei. Krugman und Tucker brüllten Beleidigungen, beantwortet von lautem Wimmern. Von White oder Johnny Brownell war nichts zu hören. Lentz, Huff und Doherty patrouillierten auf dem Laufgang. Schluchzen, Stöhnen und Madre mia.

Sechs Uhr vierzehn früh.

Ed brachte Version Nummer drei zu Papier: kein Wimmern, kein Madre mia; die Männer, die die Cops angegriffen hatten, stachelten die übrigen Insassen des Gefängnisses auf. Er fragte sich, was sein Vater zu den Verbrechen sagen würde: Kollegen tätlich angegriffen, die Täter mißhandelt. Welcher der beiden Vorgänge verlangte absolute Gerechtigkeit?

Die Geräusche duch den Luftschacht wurden schwächer. Ed versuchte zu schlafen -- es gelang ihm nicht. Dann drehte sich ein Schlüssel im Schloß.

Lieutenant Frieling – bleich und zitternd. Ed schob ihn beiseite und ging den Flur hinunter.

Sechs Zellentüren standen offen – die Wände blutverschmiert. Juan Carbijal auf seiner Pritsche, unter dem Kopf ein rot getränktes Hemd. Clinton Valupeyk wusch sich mit Wasser aus der Toilette das Blut aus dem Gesicht. Reyes Chasco eine einzige Prellung; Dennis Rice bearbeitete seine Finger – blau angeschwollen, gebrochen. Dinardo Sanchez und Ezekiel Garcia in der Ausnüchterungszelle zusammengerollt.

Ed telefonierte nach Krankenwagen. Bei den Worten »Gefangenenabteilung, County Hospital« mußte er fast kotzen.