Lady Eve, die Sünde der Väter - Ria Wolf - E-Book

Lady Eve, die Sünde der Väter E-Book

Ria Wolf

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

London 1861. Evelyn, der vorlauten Tochter des spielsüchtigen Baronet Barseley, mangelt es an lukrativen Heiratskandidaten. Worüber sie sehr froh ist, denn es gibt nur einen Mann, mit dem Evelyn sich eine Ehe vorstellen kann. Längst hat sie ihr Herz Steven Jorden, dem Bruder des Duke of Stoneford zu Füßen gelegt. Doch der nimmt sie nicht einmal wahr. Ihre Eltern ersinnen einen schändlichen Plan, um sie in eine einträgliche Heirat zu zwingen. Evelyn flüchtet vor deren Absicht und landet direkt in Stevens Armen. Die Folgen dieser schicksalhaften Begegnung sind leidvoll für die junge Frau und bringen eine erschütternde Wahrheit ans Licht. Zudem soll ihr Ungeborenes einem skrupellosen Earl untergeschoben werden. Wer ist die grünäugige Schöne, die ihn in seinen Träumen verfolgt? Steven will sie wiederfinden! Keine andere Frau erreicht sein Herz wie diese. Doch sie scheint wie vom Erdboden verschwunden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lady Eve, die Sünde der Väter

Ria Wolf

Historischer Liebesroman

Lady Eve, die Sünde der Väter

by Ria Wolf

Copyright © 2017 Marita Böttcher, 33829 Borgholzhausen

Alle Rechte vorbehalten

Coverdesign © 2017: Sarah Buhr

www.covermanufaktur.de

Lektorat/Korrektorat: Korky, 33334 Gütersloh

Taschenbuch ISBN: 9781521816820

Sämtliche Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch erwähnt werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Besitzer.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Über die Autorin

Weitere Bücher der Autorin:

Buchempfehlungen:

1. Kapitel

London 1861

Eve

„Wir sind bankrott!“

Der Bariton ihres Vaters drohte sich in dem kleinen Salon zu überschlagen. Wie immer, wenn er seinem Zorn Luft machte. Ihr kam es vor, als wandelten sich unter der herrschenden Stimmung die sonst so geliebten hellblauen Blüten der Wandbespannung zu Eisblumen und der fein flirrende Staub in dem eindringenden Sonnenstrahl vor dem Fenster zu eisigem Nebel. Fröstelnd rieb sie sich die Arme. Tatsächlich war es schwülwarm, aber solche Schauer überfielen sie stets, wenn der Vater sich so gereizt zeigte. Seine Eröffnung kam nicht überraschend. Mit den Finanzen stand es in der Familie Barseley, seit sie zurückdenken konnte, nicht gut. Deshalb hätten sie auf dem Land bleiben und dieses Haus für die Saison vermieten sollen, wie sonst auch, statt die letzten Reserven für ihr Debüt zu verschwenden.

Anklagend streckte er ihr den Zeigefinger entgegen, schaute jedoch nicht sie, sondern ihre Mutter an. „Wenn dieses dämliche Weibsbild mit ihrem vorlauten Mundwerk nicht auch noch die wenigen reichen Verehrer vergrault hätte, die eine Ehe mit ihr in Betracht zogen, wären wir aus der Misere, Elisabeth. Aber nein, dieses dumme Stück muss ihnen ja Vorträge über Investitionsgüter und produktive Landwirtschaft halten. Wofür zur Hölle, habe ich den letzten Penny in ihr Debüt investiert?“

Er reckte vier seiner kurzen wurstigen Finger in die Höhe. „So viele Einladungen hatten wir in den sechs Wochen, die wir hier sind. Lächerliche vier. Nicht mal für einen Ball, nur Soireen. Und sie verdirbt sich die wenigen Chancen mit intellektuellem Geschwafel!“

In Eve brodelte Wut über diese Ungerechtigkeit. Trotz ihrer neunzehn Jahre interessierte sie sich mehr für Landwirtschaft und Investment als ihr Vater. Ihrer Meinung nach hätte ihm mehr Engagement darin gut zu Gesicht gestanden und ihre Familie vielleicht vor der finanziellen Notlage bewahrt. Leider beschäftigte er sich lieber mit Trinken und Glücksspielen. Und nachdem sich nun herausgestellt hatte, dass die Vermählung ihrer Schwester mit Lord Carstleright auch kein Geld in die Familie brachte, sondern nur einen weiteren Spieler, der zudem noch darauf drängte, endlich die Mitgift für Margaret zu erhalten, sollte sie selbst nun mit einer Eheschließung die Familienkasse füllen.

„Ich wollte dieses dumme Debüt nicht!“, konnte sie nicht an sich halten. „Es ist einfach peinlich, wie ihr mich jedem reichen Idioten anbietet. Ihr führt mich vor, wie … wie eine Zuchtstute!“

Mit wenigen Schritten war ihr Vater bei ihr und schlug ihr heftig ins Gesicht. Unter der Wucht stürzte sie zu Boden. Ihre Wange brannte höllisch, ein stechender Schmerz fuhr ihr zugleich durch den linken Ellenbogen. Sofort war der Vater wieder über ihr und zerrte ihren Kopf an den Haaren empor. Auf vertraute Weise begann ihr Herz vor Angst zu rasen. Aber sie würde auch heute seinen Wutanfall überstehen. Irgendwie.

„Was fällt dir ein, so mit mir zu reden?“ Er erhob die Hand zu einem weiteren Schlag.

Voller Grauen erwartete sie den nächsten Schmerz, da fiel ihre Mutter ihm zum Glück in den Arm. „Nicht, Charles! Evelyn ist unser letztes Kapital. Wenn du sie wieder grün und blau schlägst, will sie erst recht keiner.“

Ihr Kapital, ja. Das Einzige, was für ihre Eltern zählte. Sie verfluchte den Umstand eine Frau zu sein und wünschte, ihr Vater schlüge einmal derart zu, dass die hinterlassenen Spuren sie für alle Zeit als Heiratskandidatin ausschlossen. Sie wollte aufs Land zurück, um ihre Zeit mit wichtigeren Dingen als Mode und hirnloser Konversation zu verbringen. Das Gemüse in ihrem Garten musste schon erntereif sein und es gab ja keine Bediensteten, die sich darum kümmern konnten. Das Unkraut würde alles erstickt haben oder die Früchte verfault sein, bis sie wieder heimkam. Es waren ihre Kartoffeln, die sie über die Winter brachten und ihre Kohlsorten. Ebenso die Erbsen und Bohnen. Und dass die Mahlzeiten nahrhafte Fleischeinlagen hatten, verdankten sie ihrer Kaninchen- und Hühnerzucht. Wenn ihr Vater und ihr Schwager die typischen Beispiele für Ehegatten waren, sah sie nichts Erstrebenswertes darin sich zu vermählen.

Der einzige Mann, der ihr bisher gefallen hatte und sie an etwas anderes als ihre Ernteerträge denken ließ, war Lord Steven Jorden, der Bruder des Duke of Stoneford. Doch der wusste ja nicht einmal, dass es sie gab. Nahm sie nicht mal wahr, wenn sie ihm im Park begegnete. Sein Anblick weckte merkwürdige Gefühle in ihrem Inneren und ließ sie tollpatschig über ihre eigenen Füße stolpern. Himmel, so stellte sie sich einen Engel vor. Er sah aus, wie dieser David von Michelangelo, dessen Kopf sie auf einem Bildnis gesehen hatte. Stevens Haar war nur nicht so lockig. Er trug es kurz geschnitten und nach hinten gebürstet. Seine tiefblauen Augen strahlten wie zur Erde gefallene Sterne. Außerdem überragte er die meisten seiner Freunde um gut einen Kopf. Nur mit seinem Bruder war er gleichauf.

Leider gehörte Lord Steven nicht zu dem Gesellschaftskreis, in dem ihre Eltern sie vorführen konnten. Sie hatte ihn nur einige Male im Hyde Park gesehen, wenn ihre Mutter dort mit ihr auf und ab spazierte. Alles, was Rang und Namen besaß, fand sich nachmittags dort ein. Da es ihrer Mutter an Einladungen in die Häuser des höheren Adels mangelte, versuchte sie sich dort, auf der Suche nach einer Patronin, bei den entsprechenden Leuten anzubiedern. Gott, wie unangenehm, wenn die Damen hochnäsig auf sie herabschauten, weil ihre Mutter, als Gattin eines Baronets, nur noch dem niederen Adel zugeordnet wurde und ihre Mittellosigkeit kein Geheimnis war. Schnell versuchte man sie stets abzuwimmeln. Auch ehemalige angebliche Freundinnen ihrer Mutter mochten sie heute nicht mehr kennen, weil sie unter ihrem Stand geheiratet hatte.

Die ledigen Herren, auf die ihre Mutter sie zuschob, lüfteten nur kurz den Hut und eilten weiter, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Diese zogen es vor, eine Braut zu wählen, die nicht unbedingt vom selben Stand, so doch zumindest vermögend sein sollte. Der Adel war immer gut über seinesgleichen informiert. Und die Herren, welche ihre Mutter zu ignorieren gedachte, weil sie nicht über genug Besitztum verfügten, sahen sie auf so merkwürdige Weise an, dass sie sich unschicklich entblößt fühlte. Besonders dieser grässliche Lord Warrington. Zwar ein Earl, aber laut ihrer Mutter ohne nennenswertes Kapital. Sie machte deswegen drei Kreuze. Ein Gruseln befiel sie jedes Mal, wenn er sie musterte.

Lord Steven Jorden hatte sie im Park einmal fast umgeritten, als das Pferd seiner weiblichen Begleitung scheute. Dabei hatte er sie natürlich nicht richtig bemerkt. Er sprang nur von seinem großen Fuchs, um seinen Hut aufzusammeln. Während er sich flüchtig bei ihr entschuldigte, hatte er kaum die Augen von seiner schönen blonden Begleiterin lassen können.

Sie seufzte innerlich. Wenn die Vormundschaft über sie von ihren Eltern schon übergangslos an einen Mann weitergereicht werden sollte, dann wäre ihr so ein schöner recht. Aber ihre bisherigen Verehrer bestanden nur aus unansehnlichen, blasierten Hungerhaken oder fetten, ältlichen Herren. Was für abschreckende Aussichten.

Sie schob ihre verträumten Gedanken an Steven in die hinterste Ecke ihres Herzens und legte alles Flehen in ihren Blick, als sie zu ihrem Vater aufschaute. „Sie könnten doch unser Land viel produktiver bewirtschaften lassen, Vater. Der Boden ist der Beste weit und breit. Mit etwas … “

„Hör auf! Sehe ich etwa aus wie ein Bauer? Außerdem haben wir das Land nicht mehr, wenn du nicht bis Ende der Saison eine gute Partie gemacht hast. Du bist unsere letzte Investition, die wir noch einsetzen können. Und so wahr wir hier stehen, du wirst uns vor dem Bankrott retten oder wir werfen dich auf die Straße und lassen dich für verstorben erklären, bevor du uns die Haare vom Kopf frisst!“

Bevor sie ihnen die Haare vom Kopf fraß? Wie konnte er nur ignorieren, dass Tisch und Vorratskammer ohne ihre Mühen leer blieben? Warum zählte das für ihn nicht? Sie erwartete schon längst nicht mehr, jemals ein Zeichen der Zuneigung von ihm, ihrer Mutter oder von ihrer Schwester zu erhalten, aber konnten sie nicht wenigstens ihre Arbeit anerkennen? Mehr wünschte sie sich doch gar nicht. Selbst mit der Gefühllosigkeit ihrer Mutter hatte sie sich über die Dauer ihrer Lebensjahre abgefunden. Hatte irgendwann begriffen, dass sie niemals in der Weise geherzt werden würde wie ihre Schwester Margaret oder die Bauernkinder auf den Feldern von ihren Eltern.

Oft hatte sie sich gefragt, woher das rührte. Auch warum ihr Aussehen überhaupt nicht in diese Familie passte. Mutter und Schwester waren blassblond mit wässrigen blaugrauen Augen und ihr Vater hatte braune Augen und eine stumpfe mausbraune Haarfarbe. Ihre Augenfarbe war dagegen intensiv grün, ihr Haar rabenschwarz. In ihr schien sich das sprichwörtliche schwarze Schaf der Familie zu versinnbildlichen. Da sie zudem noch über ein recht rebellisches Wesen verfügte, war es nicht weiter verwunderlich, dass, entgegen der gesellschaftlichen Gepflogenheit, die jüngere Margaret im letzten Jahr vor ihr in der Gesellschaft debütierte und binnen kürzester Zeit mit einem kleinen dicken Viscount verheiratet worden war.

Margaret verdankten sie die Einladungen zu den vier Soireen, doch sie bedauerte nicht, ihre Schwester nur noch selten zu sehen. Sie empfand es mehr als Segen. So stand sie deren Bosheiten nicht mehr hilflos gegenüber. Margaret hatte viel dafür getan, ihre geschwisterlichen Gefühle abzutöten. Ständig wurde sie von ihr mit Beleidigungen wie Bastard beschimpft. Bastarde waren uneheliche Kinder. Wie gemein sie so zu nennen, wo sie genauso legitim geboren war wie Margaret. Und wo sie noch zusammenlebten, versuchte die Schwester alles zu zerstören, woran ihr Herz hing. Den Kaninchen legte sie giftige Pflanzen in die Gehege. In ihre Lieblingskleider riss sie Löcher oder beschmierte sie mit Kot aus den Ställen. Aus Büchern fehlten oft unzählige Seiten, ihre Schuhe trieften vor Nässe, weil sie im Regen im Freien gelegen hatten. Warum sie das tat, konnte Eve nicht nachvollziehen. Margaret war doch sowieso der Eltern Liebling.

Mochte die Frage warum, ihr auch manchmal wie ein Brenneisen ins Herz fahren, genauso schnell verwarf sie diese auch wieder. Die Natur brachte eben hervor, was sie wollte. Das hatte sie an ihrer Kaninchenzucht gesehen und die Familie konnte man sich leider nicht aussuchen. Andere Mädchen wurden von ihren Verwandten vielleicht liebevoller behandelt, aber letztendlich genauso herzlos an die aussichtsreichsten Kandidaten vermarktet, ohne ein Wörtchen bei der Wahl des Gemahls mitreden zu dürfen. Das hatte sie in den wenigen Wochen hier in London schon mitbekommen.

„Lady Sybill Alberton gibt in zwei Wochen einen Maskenball“, gab ihre Mutter nachdenklich von sich. „Entweder sie lädt uns ein oder ich schicke eine Notiz aufs Land zu ihrem tatterigen Gatten, dass ich sie auf der Soiree bei Lady Parbelton beim Herumhuren erwischt habe. Wie ich den Alten in Erinnerung habe, würde er ihr daraufhin sofort sämtliche Gelder streichen und sie einsperren. Er mag sie ja selbst nicht mehr bedienen können, aber er ist kein Mann, der sich ungestraft Hörner aufsetzen lässt.“ Ihr Blick senkte sich berechnend auf Eve. „Außer dem Alten weiß jeder, was auf Sybills berüchtigten Maskenbällen getrieben wird und es dürfte ein Leichtes sein, Eve dort in das Bett eines passenden Kandidaten zu legen. Vielleicht ist ja sogar der Duke of Stoneford da und lässt sich mit unserem Engelchen hier in flagranti erwischen.“

Eve glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Wie tief wollte diese Familie noch sinken? Entsetzen presste mit eisiger Faust ihre Eingeweide zusammen. Sie sollte einem Mann aufgenötigt werden! Was für ein erbärmlicher Hintergedanke! Und ihm ins Bett gelegt zu werden, bedeutete doch sicherlich, dass etwas Ähnliches passieren sollte, wie ein Kaninchenbock seine Weibchen deckte. Das war absolut indiskutabel.

„Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Ich soll auf so schäbige Art den Karren aus dem Dreck ziehen, den Ihr Herr Vater; mit Eurer Spielsucht hinein gefahren habt? Oh nein, ohne mich!“

Kraftvoll zog ihr Vater sie an den Armen auf die Beine und schüttelte sie. Dann heftete sich sein Blick auf ihren Busen. Ihre Kehle schnürte sich auch diesmal eng zusammen, als er eine Hand darauf legte, sie drückte und wog wie einen Brotlaib. Für gewöhnlich machte er es ähnlich nur, wenn die Mutter nicht in der Nähe war und jedes Mal hatte sie das Gefühl, dass ein Vater so etwas nicht tun sollte. Die Anwesenheit ihrer Mutter machte es allerdings nicht erträglicher.

„Und ob du das wirst, Mädchen. Die Idee deiner Mutter ist hervorragend. Es ist deine Pflicht als Tochter, uns vor dem Bankrott zu bewahren. Und du wirst tun, was wir dir sagen, sonst verkaufe ich dich vielleicht an ein Hurenhaus. Angeblich bezahlt man gut für Jungfrauen, da kommt durch dich wenigstens etwas Geld herein.“

2. Kapitel

Eve

Ihre Wangen glühten vor Scham, als sie an dem dünnen Stoff ihres Kostüms zupfte. Ihre Mutter hatte sie in ein weißes griechisches Wickelgewand gekleidet. Sie sollte die Göttin Helena darstellen. Darunter durfte sie weder Untergewand noch Pantalons tragen und kam sich fürchterlich nackt vor. Nicht mal als Nachthemd würde sie dieses freizügige Kleidungsstück in Erwägung ziehen, für das ihre Mutter sogar eines ihrer neuen Debütkleider versetzt hatte. Mit einer blonden Perücke musste sie ihr zu exotisch wirkendes schwarzes Haar verbergen. Bisher gelang es ihr noch, sich das Kratzen der ständig juckenden Kopfhaut zu verkneifen. Zu allem Überfluss trat ihre Mutter stets auf den Saum ihres Kleides, sobald ein Mann näher kam, und zog ihr damit den Ausschnitt bis fast auf die Brustknospen hinunter.

Nach dem dritten Mal konnte sie dieses demütigende Verhalten nicht mehr ertragen. In einem Moment, wo ihre Eltern ihr die Rücken zukehrten und die Gästeschar in Augenschein nahmen, machte sie sich davon und suchte ihr Heil in einer dunkleren Ecke hinter Dominos, bunten Fabelwesen und Möchtegernköniginnen.

Die Sicherheit stellte sich als trügerisch heraus. Die Herren, vermeintlich geschützt von ihren Masken, begannen ihre guten Manieren zu vergessen. Sie fühlte ihre Rückseite betatscht und hinein gekniffen. Selbst ihr Busen wurde von mancher Hand gestreift. Um dem zu entgehen, schob sie sich weiter durch die Menge. Das Einzige, worüber sie etwas Genugtuung empfand, war, dass der Duke of Stoneford gar nicht an diesem Fest teilnahm. Beim Einsteigen in die Droschke gab der Kutscher sein Wissen zum Besten, dass der Duke einen Ball bei Lord und Lady Montgomery besuchte. Ihre Mutter hatte deswegen Zeter und Mordio gegiftet.

Ein Satyr streckte den Arm nach ihr aus. Sie beugte sich hinunter, huschte unter dem Gliedmaß davon und durch den nächstgelegenen Durchgang. Ein Blick über die Schulter verriet ihr, dass sie dem Satyr nicht die Mühe einer Verfolgung wert war.

Zischend entwich ihr Luft, weil ihre Flucht abrupt an einer harten breiten Brust endete. Eve prallte ab und kippte hintenüber. Ein starker Arm schlang sich um ihre Taille und bewahrte sie davor, auf dem Boden zu landen. Ihr Schreck löste sich umgehend in Verzauberung auf. Schicksalhafterweise hatte Zeus, der Gemahl von Helena, sie aufgefangen. Und dieser war kein anderer als Steven Jorden. Trotz seiner goldfarbenen Halbmaske erkannte sie ihn sofort. Das Haar, die Augen, die etwas spöttisch verzogenen Lippen, unverkennbar.

„Welch Glück ich habe. Eine wunderschöne Göttin sinkt mir fast zu Füßen.“ Das Raunen seiner Stimme rieselte wie warmes Öl über ihren Rücken. Ihr Herz begann so wild zu klopfen, dass ihr fast schwindelig wurde.

Glockenhelles, abfälliges Auflachen der ägyptischen Königin Kleopatra neben ihm, stach in den Zauber, wie eine Nadel in eine Seifenblase. Ihre Gastgeberin, der Eve bei ihrer Ankunft vorgestellt worden war. Schon da hatte Lady Sybill Alberton sie abwertend betrachtet und sie dann, samt ihren Eltern, keines weiteren Blickes mehr gewürdigt. Vom ersten Moment an, fand sie die Frau unsympathisch.

Die Alberton schnaubte. „Eine Göttin, mein Lieber? Wohl eher ein verschrecktes Huhn, das einer der Herren für seine Spielereien mitgebracht hat. Lass die Finger davon.“ Energisch zog sie an seinem Arm.

Mit einem bedauernden Zwinkern, begleitet von einem Schulterzucken, entließ Steven Jorden sie aus seinem Halt und folgte der resoluten Führung seiner Kleopatra. Eve glaubte, noch immer die feste Umarmung zu spüren. Die Wärme seiner Finger durch den dünnen Stoff auf ihrer Haut. Ihr Puls wollte sich kaum beruhigen. Wenn Steven es täte, käme ihr der Deckakt vielleicht nicht so indiskutabel vor. Aber sie konnte sich diesen Mann beim besten Willen nicht ruckelnd an ihrer Rückseite vorstellen.

Es kostete sie viel Überwindung, nicht weiter in der Menschenmenge nach ihm Ausschau zu halten. Ein Mann wie er war unerreichbar für sie und es bedeutete nur Selbstqual, ihn mit seiner Kleopatra zu beobachten. Schnell stibitzte sie ein Glas Champagner vom Tablett eines als Schafhirten verkleideten Dieners und hoffte, das Getränk kühlte und tröstete sie etwas.

Alle Bediensteten trugen die gleiche Verkleidung, stellte sie rasch fest, denn aus einem Glas Champagner wurden bald drei, obwohl sie das Zeug sonst gar nicht mochte. Weiter und weiter entfernte sie sich von dem Trubel in dem großen Ballsaal und streifte durch angrenzende Räume. Jedes Zimmer schien ein eigenes Märchen oder eine Sage zum Thema zu haben.

In dem, dass sie nun betrat, dominierte grün. Die Wandbespannung in apfel– bis moosgrün musste die Idee für diesen verwunschenen Wald vorgegeben haben. Nun ja, ein echter Wald war schöner als diese Improvisation aus vielen großen Topfpflanzen und Efeuranken, die von der Decke und an jeder Schrankecke hingen. Aber als Versteck bis zum Ballende konnte dieser Raum durchaus seinen Zweck erfüllen. Sie schritt um ein Kanapee, hinter dem sie sich gern niederlassen wollte.

Ein Aufschrei stieg ihre Kehle hinauf, schnell presste sie eine Hand auf ihren Mund. Fast wäre sie über ein Paar am Boden gestolpert. Was es da tat, sah sehr anstößig aus. Der Kopf des Mannes steckte unter dem Rock der Frau! Sah er sich ihren intimsten Bereich an? Um Himmels willen, wie konnte er nur? Und wie konnte die Dame das zulassen? Dieses Benehmen war unmöglich! Sollte sie die beiden daran erinnern? Nein! Besser, sie tat, als hätte sie nichts gesehen. Ein Disput führte nur ihre Eltern her.

Um ihre Fassung ringend, eilte sie aus dem Raum und wählte als nächstes Versteck einen schweren Vorhang im Korridor, hinter dem sich hoffentlich eine Nische verbarg. Sie schlüpfte hinter den samtenen braunen Stoff und blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Um die Hüften eines Herren waren zwei Frauenbeine geschlungen. Sein schockierend nackter Po ruckte immer wieder nach vorne. Leises, zweistimmiges Ächzen. Ein schwerer Duft, den sie nicht bestimmen konnte, hing wie Nebel in der Nische. Sie taumelte rückwärts, ließ den Vorhang zwischen sich und das Paar fallen. Dann rannte sie den Korridor entlang, fort vom Ballsaal, fort von diesen Menschen, die jeden Anstand missachteten. Sie stolperte über eine Teppichkante und bewahrte sich nur mit Mühe davor, lang hinzuschlagen. Himmel, sie hatte noch nie das entblößte Hinterteil eines Mannes gesehen und es war doch ein Gebot der Schicklichkeit, die Mitmenschen davor zu bewahren.

Fast hatte sie die Hoffnung auf ein einsames Fleckchen in diesem Haus aufgegeben, als sie eine menschenleere Bibliothek betrat. Vielleicht schreckte der Intellekt in den Büchern die Gäste ab. Ihr sollte es nur recht sein. Um auf jeden Fall unentdeckt zu bleiben, setzte sie sich hinter einen wuchtigen grünen Ohrensessel auf den Boden, lehnte sich an das Möbelstück und atmete tief durch. Diesen Ball konnte man bestimmt nicht als solchen bezeichnen, spiegelte nicht im Entferntesten die Kultiviertheit und Eleganz wider, die in euphorischen Schilderungen bei den Soireen beschrieben wurden. Das ganze Gebaren hier war fürchterlich enttäuschend.

Was sie aus ihrem Glas noch nicht verschüttet hatte, stürzte sie in einem Zug hinunter und versuchte sich zu sammeln. Der Champagner rieselte ihr mittlerweile sehr wärmend durch die Adern. Sie fühlte eine gewisse Entspannung und begann in Erinnerung an den nackten, wackelnden Hintern und dass ein Mann aus nächster Nähe den Schambereich einer Frau betrachtete, zu kichern. Sicherlich war das schockierend gewesen, doch es entbehrte auch nicht der Komik.

Von der anderen Seite des Möbelstückes erklang die Stimme ihrer Mutter. Das Kichern blieb Eve im Halse stecken.

„Verdammt, wo ist sie nur, Charles? Ob sich schon einer dieser trunkenen Trottel über sie hergemacht hat? Wir müssen sie unbedingt finden und mit dem Kerl erwischen.“

„Bei unserem Glück lässt sie sich von einem bespringen, der ebenso bankrott ist wie wir, Elisabeth. Du hättest das Weibsbild nicht aus den Augen lassen dürfen.“

„Ich hatte ja gehofft, dass Lord Steven ihr mehr Aufmerksamkeit schenkt. Immerhin ist er der Bruder des Duke. Aber ich habe ihn eben noch an Lady Sybills Seite im großen Saal gesehen.“

„Lord Steven“, stieß ihr Vater verächtlich aus. „Der hat weder Titel noch Vermögen vorzuweisen. Ist halt nur der Zweitgeborene und spielt und hurt von der Apanage, die sein Bruder ihm zahlt. Würde dieser Laffe unsere Eve heiraten, ließe der Duke uns trotzdem am langen Arm verhungern. Der ist geizig wie ein Schotte, sonst gäbe er seinem Bruder ja wenigstens einen seiner vielen Landsitze zur Verwaltung.“

„Aber wenn der Duke stirbt, bevor er legitime Nachkommen zeugt, tritt Lord Steven seine Nachfolge an. Das sollte man nicht außer Acht lassen.“

„Der Mann ist noch keine Dreißig. Da bleibt Zeit genug die Erbfolge zu sichern. Sein vorzeitiges Ableben wäre ein glücklicher Zufall, auf den ich vielleicht hoffen, aber nicht warten könnte, meine Liebe. Ich brauche das Geld jetzt, sonst lande ich im Schuldnergefängnis.“

„Zufällen kann man auch auf die Sprünge helfen“, brummelte ihre Mutter zu Eves Entsetzen. „Aber der Kerl ist ja zu sehr von den Reizen einer Lady Sybill vereinnahmt, um ein Küken wie Eve überhaupt zu bemerken. Was tust du denn da, Charles?“

Eve schaute vorsichtig um die Kante des Sessels. Ihre Mutter schlug dem Vater auf die Finger, weil er sich an ihrem Dekolleté zu schaffen machte.

„Einige frivole Einblicke haben mich erregt. Und wenn du mir jetzt nicht schnell Abhilfe verschaffst, greife ich mir eben eins der anderen Weiber.“

„Das könnte dir so passen! Nachher bist du noch der Idiot, der für einen Schaden geradestehen muss. Komm mit zum Sofa.“

„Ganz mein Gedanke. Sonst würde ich bestimmt nicht auf dich zurückgreifen.“

„Du bist so ein Widerling!“

„Halt den Mund und heb die Röcke!“

Ihre Mutter raffte undamenhaft die Säume hoch und stützte sich auf dem Sofa ab. Sie zischte: „Dann mach schon. Wir müssen schließlich weiter nach Evelyn suchen.“

Ihr Vater begann an seiner Hose zu nesteln und stellte sich hinter seine Frau. Als seine Hüften rhythmisch gegen das Hinterteil ihrer Mutter klatschten, wandte Eve sich mit vorgehaltener Hand glucksend ab. Noch ein ruckelnder Männerhintern. An ihr würde keiner ruckeln, das schwor sie sich. Himmel noch mal, sie musste dieser dubiosen Feier irgendwie entkommen, egal was für eine Strafe ihr dann drohte. Keine Maßregelung konnte so schlimm sein, wie die boshaften Kompromittierungsabsichten ihrer Eltern, um sie möglichst profitabel an einen Mann zu bringen.

Sie nutzte die Gelegenheit, solange die beiden miteinander beschäftigt waren, und schlich auf Händen und Knien aus dem Zimmer. Ihre Flucht trieb sie in entlegene Winkel des Hauses. Doch, statt irgendwo einen Hort der Ruhe zu finden, sah sie sich fast überall manierlosen Rendezvous von Männern und Frauen ausgesetzt. Es wurde ungeniert geküsst, teilweise waren die Brüste der Damen entblößt und wurden betatscht. Wie konnten sich Angehörige des Adels nur derart gehenlassen? Aber den Absichten ihrer Eltern kam das wohl gelegen! Verdammt, sie konnte sich nicht einmal eine Kutsche nehmen, um heimzufahren. Nicht einen einzigen Penny nannte sie ihr Eigen, um eine Droschke bezahlen zu können.

Da sie gezwungen war hierzubleiben, zeigte sich die Gelegenheit womöglich nützlich, mehr über die menschliche Paarung zu erfahren. Wie es ihre Eltern getan hatten, sah dem Deckakt der Kaninchen ziemlich ähnlich, aber hinter dem Vorhang lagen die Beine der Frau um die Hüften des Mannes. Sie mussten sich dabei angesehen haben! Weshalb war diese Ruckelei überhaupt nötig, um ein Weibchen zu schwängern? Es war doch ein Kreuz, dass ihre Mutter ihre diesbezüglichen Fragen stets mit Schweigen quittierte. Warum konnte man darüber nicht reden?

Langsam schlenderte sie an den geöffneten Türen von kleineren Salons vorbei, immer darauf bedacht, ihren Eltern nicht über den Weg zu laufen. In dunkle, verhangene Nischen, aus denen Rascheln, Gemurmel und manchmal sogar Stöhnen drang, wollte sie nicht schauen. Bei dem Stöhnen war sie zunächst versucht zu glauben, dass jemand Hilfe benötigte, aber Worte wie: Komm schon, ja, ja dazwischen, ließen doch eher vermuten, dass es irgendwie zu dem gehörte, was auch Kopulation genannt wurde. Paarung! Kopulation, Befruchtung oder körperliche Vereinigung, hatte in dem kleinen Wörterbuch ihres Vaters gestanden. Reiben und Ruckeln erschien ihr für den Begriff Vereinigung doch ein bisschen zu … äußerlich.

Die Nischen waren zu dunkel, um Details zu erkennen. Außerdem käme sie sich ziemlich närrisch vor, wenn sie den ruckelnden Herren über die Schulter schaute, um das Geheimnis zu ergründen. Vielleicht sollte sie einfach einen der Gäste um eine ausführliche Erklärung bitten. Womöglich erhielt sie von Fremden, die sich hier unkultiviert betrugen, eher eine vernünftige Antwort als von ihrer Mutter.

Eine überproportioniert große Maske, in den Farben blutrot und schwarz, über einer der Türen, erregte Ihre Aufmerksamkeit. Schillernd gaben die Federn unterschiedlichster Längen um sie herum die Farbtöne wieder und wiegten sich leicht in der kaum merklichen Zugluft des Flures. Wie auch die roten und schwarzen hauchzarten Schals, die aus dem zu einem Oh geöffneten Mund hervorquollen und den direkten Blick in den Raum dahinter versperrten. Ihr schauderte bei dem Anblick der leeren Augenhöhlen in dem finsteren Farbenspiel und doch konnte sie sich der Neugier, die sie weckte, nicht entziehen. Die Schals strichen wie Wind über ihr Gesicht, als sie das Zimmer betrat.

Beeindruckt blieb sie stehen. Rote und schwarze Bahnen Seide hingen im Wechsel wie durchscheinende Wände von den Decken herab. Speichen eines Rades gleich, endeten sie zur Mitte des Raumes an griechischen Säulen aus schwarzem geäderten Marmor. Die Radnabe bestand aus einem schwarzsamtenen Podest, gekrönt von einem golden schimmernden Kristalllüster. Doch die Sicht auf das Podest war nicht ungehindert. In unzähligen Falten fallende schwarze Gaze umschloss es wie einen Käfig. Gab durch das Licht des Kristalllüsters vermutlich mehr den Blick hinein frei, auf das Szenario, als von dort in die Zwischenräume der Speichen.

Tief versanken ihre Füße in dickem blutroten Teppich, dass sie glaubte auf Wolken zu gehen. Obwohl sie weniger an Wolken denken sollte. Fegefeuer käme dem Ambiente näher, denn flackernde Wandlampen warfen, mit ihrem orangefarbenen Schein hinter gemusterten Schirmen, düstere Schattenspiele um sich. Ein schwerer Duft von Rosen stieg ihr in die Nase. Jeder ihrer Schritte wirbelte mehr auf. Langsam ließ sie die seidigen Stoffbahnen über ihre Arme streifen, während sie von Speiche zu Speiche das Podest umrundete, ohne den Blick davon wenden zu können.

Es war nicht die darauf kniende weizenblonde Frau, die sie fesselte. Der Anblick von Korsett und Seidenstrümpfen war ihr von Mutter, Schwester und sich selbst vertraut, wenn auch nicht in sündigem rot und schwarz. Und gewiss nicht mit heraushängenden Brüsten. Nein, es waren die beiden Herren. Nackt, bis auf schwarze Halbmasken. Blass und samtig schimmerten ihre Leiber vor dem dunklen Hintergrund. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, wie ein Mann unter seiner Kleidung beschaffen sein würde. Darüber hatte sie sich nie den Kopf zerbrochen. Warum auch? Es war selbstverständlich, stets ordentlich gekleidet voreinander zu erscheinen. Jetzt leibhaftig zu sehen, was für Formen sonst unter Lagen von Stoffen verborgen waren, kam dem Lüften eines gut gehüteten Mysteriums gleich.

Etwas ragte an ihren Unterleibern wie ein viel zu großer Finger hervor. Männer hatten dort noch einen Finger? Und dazu noch so einen Großen? Was hatte sich die Natur nur dabei gedacht? Sie verbarg sich hinter einer Marmorsäule und spähte nur heimlich hinüber, denn die Drei wollten in ihrer Nacktheit bestimmt nicht neugierig begafft werden. Andererseits hätten sie das Zimmer dann abschließen sollen. So konnte doch jeder Gast hereinstolpern und ihre Blößen sehen.

Was hatten sie vor? Warum trugen sie keine Kleidung, außer das Wenige der Dame? Selbst wenn man sich für die Nachtruhe fertig machte, war der Körper mehr bedeckt.

Einer der Männer kniete vor der Frau, in der sie bestürzt Lady Pommery, die Gattin des Earl of Pommery, erkannte. Der andere hinter ihr. Dieser strich mit den Händen an ihrem Körper entlang, bis er ihre Brüste erreichte. Er drückte und bearbeitete sie, ähnlich wie Eve es schon eine Milchmagd mit Kuheutern hatte tun sehen. Lady Pommery schien das zu gefallen, sie seufzte leise. Ob der sympathische Earl of Pommery auch auf diesem Fest war und gestattete, dass seine Gattin von anderen Männern angefasst wurde? Der Earl hatte eine Glatze, war klein und schmächtig. Diese beiden Herrn hingegen waren schlank, sahen kräftig aus und glichen sich wie ein Ei dem anderen. Natürlich, das mussten die Zwillinge Eckelsfield sein, die sie auch schon im Hyde Park und auf der Soiree bei Lady Parbelton gesehen hatte. Beide trugen links am Kinn ein verräterisches Muttermal, wobei sie den kleinen dunklen Punkt jetzt nur bei dem Hinteren erkennen konnte.

Ungewohnte Hitze stieg in ihrem Leib auf und ihre Haut begann zu prickeln, als die Herren Lady Pommerys Brüste abtasteten. Der vordere Eckelsfield beugte sich herab, nahm eine der Knospen in seinen Mund. Bei dem Anblick strafften sich ihre eigenen fast schmerzhaft. Sie presste eine Hand dagegen und strich darüber. Sofort konnte sie nachvollziehen, warum Lady Pommery sich aufstöhnend nach hinten lehnte. Es durchschauerte den ganzen Körper auf sehr schöne Weise.

Die Hände der Lady legten sich an die blanken Pobacken des hinteren Zwillings und zogen ihn näher an sich. Bei Gott, sah das alles verboten aus, und doch faszinierend. Sie merkte, dass sie die Luft anhielt, vermochte kaum ihre Atmung zu kontrollieren, als er mit seiner Linken die geheimste Stelle der Lady berührte. Die Pommery begann sich zu wiegen, stöhnte lauter. Hm, Kaninchen taten das nicht. Eine merkwürdige Reaktion.

Durch den Stoff ihres Wickelgewandes berührte sie ihren eigenen Schoß. Stellte sich vor, es wäre die Hand eines Mannes. Nicht eine der Eckelsfields! In ihrer Fantasie ließ sie es Steven tun. Beim Waschen hatte sie dem nie Beachtung geschenkt, aber jetzt … wie empfindlich sie dort war. Allerdings fühlte sie ihre Scham auch peinlich feucht werden. Selbst als sie den Druck wieder verringerte. Die Empfindlichkeit schien die Kraft aus ihren Beinen zu rauben. Halt suchend lehnte sie ihre Stirn an die Säule. Sicherlich wäre es anständiger zu gehen. Diese Drei hatten sich anscheinend hier her zurückgezogen, um ihre eigene Neugier zu stillen, was Kleidungsstücke beim anderen Geschlecht verhüllten und erkundeten das nun ausgiebig. Nach einer Kopulation sah das jedenfalls nicht aus. Der Vater hatte vorhin ja auch nur den Rock der Mutter gehoben und umgehend mit dem Ruckeln angefangen. Der Kerl hinter dem Vorhang war ebenfalls angekleidet geblieben … bis auf den Hintern. Hm, bis auf den blanken Hintern. Vielleicht tat sich hier doch noch mehr als ansehen und befühlen. Diese Beobachtung war auf jeden Fall schon weit interessanter und aufschlussreicher gewesen, als die von Kaninchen und Hühnern. Bei dichtem Fell- und Federkleid gab es außer dem Ruckeln nichts zu sehen. Jetzt wusste sie wenigstens schon, wie ein Mann unter seiner Kleidung aussah.

Hier ruckelte niemand, aber der Anblick, wie sie sich gegenseitig erforschten, bewegte etwas tief in ihr. Es beschleunigte ihren Puls, wie der vordere Zwilling die bloßen Brüste befühlte und der hintere ihre geheimste Stelle. Es trieb ungewohnte Hitzewellen durch ihren eigenen Leib, machte ihn empfindlich und verleitete ihren Schoss Feuchtigkeit auszustoßen. So etwas hatte sie noch nie gespürt.

Die Pommery reckte ihren Po wie das Hinterteil eines Pferdes dem hinteren Zwilling entgegen. Eves Puls schien ihre Adern sprengen zu wollen, als dessen Hand immer hektischer deren Scham streichelte. Es fuhr Eve so heiß in selbige Stelle, dass sie ihre Hand dagegen presste, um dem Pulsieren Herr zu werden. Aber damit verstärkten sich ihre eigenen Empfindungen nur noch mehr. In ihren Brüsten war ein Ziehen, wie kurz vor der Monatsblutung und doch anders, und ihr ganzer Körper begann zu glühen wie im Fieber. Sie fühlte sich ins Taumeln geraten … von starken Armen aufgefangen und gehalten, die gar nicht da sein konnten. Heißer Atem streifte ihren Hals, Lippen glitten an ihrem Ohrläppchen entlang und forcierten ihren ungewohnten Rausch.

„Hier finde ich also meine anbetungswürdige grünäugige Göttin Helena wieder … und vor Wollust geradezu am Vergehen“, hauchte es heiser an ihrem Ohr.

Sie glaubte, in einem Traum zu versinken. Ihr angebeteter Steven hielt sie, wie sie es sich oft erträumt hatte. Es konnte nur ein Traum sein, geschürt von zu viel Champagner, ihrer Fantasie und dem Szenario, das sie beobachtete. Seine warmen Finger schoben sich unter den zarten Stoff auf ihre Brust und streichelten ihre aufgerichteten Knospen. Das Gefühl war so unglaublich schön, dass sie sich wie schmelzende Butter in der Sonne vorkam. Jeder Kraft beraubt, lehnte sie sich an ihn.

Sein Atem ging schwer an ihrem Hals. „Ist meine Göttin etwa so sehr von dem Gedanken berauscht, von zwei Männern gleichzeitig geliebt zu werden?“

Benommen schüttelte sie den Kopf. Auch wenn ihr der Ausdruck lieben für diese unanständigen Berührungen befremdlich schien, verstand sie dennoch, in welchem Zusammenhang er stand. Und mochte der Anblick sie auch merkwürdig betäuben, so wollte sie gewiss nicht selbst von Männern derart skandalös berührt werden. Aber sie brachte kein Wort heraus, um etwas zu erklären, und verdrängte, dass die herrlichen Liebkosungen an ihrem Busen bereits äußerst entehrend waren. Sie wollte nur, dass es nicht aufhörte. Genoss die Umarmung des Angebeteten und die Gefühle, die er in ihr hervorrief, wie durch einen dichten Nebel, während ihre Augen gebannt an dem Treiben auf dem Podest hingen.

Unter dem sanften Kneten und Reiben schien ihr Leib ein Eigenleben zu entwickeln, begann sich darunter zu winden. Eine warme große Hand schob sich über ihre an ihrem Schoß. Schien sie ermahnen zu wollen, dass es nicht schicklich war, was sie da tat. Nein. Wo ihre nur geruht hatte, wusste diese Große besser, wonach es ihre pulsierende Mitte verlangte. Fingerkuppen drückten und strichen hindurch. Mit einem unbeherrschten leisen Aufschrei glaubte Eve zu zerfließen.

Heiser stöhnte Steven an ihrer Wange. „Oh, Gott … dann verursacht diese Nässe also nur schon der Anblick des Schauspiels?“

Sie nickte, obwohl es ja nicht ganz stimmte. Ohne seine Streicheleien wäre es bestimmt nicht so intensiv geworden. Es kam ihr peinlich viel vor. Trotzdem vermochte sie sich ihm nicht zu entziehen. Es war doch nur ihre überschäumende Fantasie oder nicht? Irritiert nahm sie wahr, wie sich etwas Hartes gegen ihr Gesäß drängte und an ihr rieb. Doch Stevens Lippen legten sich über ihre und seine eindringende Zunge berauschende ihre Sinne auf weitere Art und verbannte jede Verwirrung.

Sie bekam kaum noch Luft. Aber die brauchte sie auch nicht, denn wozu musste sie in einem fantastischen Traum atmen. Stevens Finger zwischen ihren Schenkeln und an ihrer Brust machten sie schwebend. Samtig füllte seine Zunge ihren Mund. Schmeckte nach dem kräftigen Bukett eines Weins und etwas, was viel persönlicher war. Schmeckten Menschen, wie sie auch unterschiedlich dufteten? Dann würde sie diese rauchige Note von nun an immer mit ihm verbinden.

Sie kam sich leer und beraubt vor, als er den Kuss beendete. Aber viele kleine Küsse auf ihre Mundwinkel trösteten sie darüber hinweg. In zitternden Schüben strich sein Atem über ihr Gesicht. Schließlich dirigierte er sie mit sanftem Druck seiner Wange, dem Schauspiel auf der anderen Seite der Gaze wieder mehr Beachtung zu schenken.

„Das beruhigt mich“, raunte er kurzatmig. „Denn ich mag es auch nicht, einen anderen Mann dabeizuhaben, dennoch … das Treiben ist sehr erregend. Sieh weiter hin, Liebste.“

Alles, was sie fühlte und sah, ließ sie nach mehr verlangen. Nur wusste sie nicht nach was. Was könnte dieses Rauschen in ihren Adern denn noch steigern? Warum kam ihr das hier noch nicht genug vor? Es fiel ihr schwer, die Augen offen zu halten, wollte aber auch nichts verpassen. Der hintere Zwilling strich mit seinem großen Finger über die Pobacken der Lady, dann schien das Ding in ihr zu verschwinden. Unverständnis machte Eve einen Moment ihre eigenen Gefühle vergessen. Wo war es hin? Worin konnte es … ? Oh Gott … es gab nur zwei Möglichkeiten, aber das musste der Pommery doch fürchterliche Schmerzen bereiten.

Der Zwilling zog seinen Unterleib zurück und sie wurde wieder Zeuge, wie er sich erneut in ihrem Schoss versenkte, ohne dass diese vor Schmerzen aufschrie. Im Gegenteil, sie wirkte … euphorisch. Plötzlich glaubte Eve, das Ding selbst in sich zu spüren, in sich hinein und hinausfahren. Das Gefühl raubte ihr den letzten Funken eigenen Willens. Sie konnte nicht dagegen an, die nie gekannten, alles verzehrenden Empfindungen heraus zu stöhnen.

„Ja, reite meine Finger, geliebte Göttin, nimm sie dir tiefer … noch tiefer … ja … soo, jaaa. Bei Gott … bist du eng … und ein wahrer Vulkan. Wenn ich dich nicht auf der Stelle nehme, sterbe ich vor Sehnsucht.“

3. Kapitel

 

Steven

Jeder Ruck ihres Unterleibs nagte an seiner Beherrschung. Noch nie hatte er eine Partnerin mit dieser ehrlichen, selbstvergessenen Hingabe erlebt. Noch nie so eine brennende Begierde nach einer Frau verspürt. Nach ihrem engen heißen Schoß, ihren prachtvollen Brüsten, ihren unglaublichen Lustseufzern. Sie wand sich in seinen Armen, wie eine Besessene … von ihm Besessene. Als sie kam, berauschte ihn das Erstaunen in ihren weit aufgerissenen Augen. Er trank den Aufschrei von ihren Lippen, bis sie schlaff in seinen Armen zusammensackte.

Rasch ließ er sich mit ihr auf den weichen Teppich sinken, denn seine Beine begannen ihm zitternd den Dienst zu versagen. Das smaragdgrün ihrer Augen leuchtete ihn hingerissen und anbetend an. Er schob seine lästige Halbmaske auf den Hinterkopf und versenkte seine Zunge zwischen ihren glänzenden Lippen. Wollte jedoch überall an ihr zugleich sein und glitt schon kurz danach an ihrem Hals entlang, über die gezackte Narbe an ihrer Schulter, bis er schließlich ihre wohlgeformten Brüste erreichte und ihre Spitzen tief in seinen Mund zog. Seine Hand suchte das Paradies zwischen ihren Schenkeln. Als er sie dort wieder berührte, versuchte sie ihn träge von sich zu schieben, wie er es von gerade befriedigten Frauen nicht anders kannte und wusste, dass es nur kleiner Anreize bedurfte sie erneut in Flammen zu setzen. Besonders diese Frau wollte er bis zum Letzten auskosten.

„Das war erst der Anfang, geliebte Göttin“, raunte er an ihrer Brustknospe. „Jetzt trage ich uns gemeinsam in den Himmel.“

Im Hintergrund hörte er Lustschreie und lautes Stöhnen wie ein begleitendes Orchester. Sein Geschlecht pulsierte fast schmerzhaft im selben Rhythmus. Voller Ungeduld wühlte er den faltigen Stoff seiner Göttin auseinander, bis die Lagen ihren Bauch und Unterleib ganz freigaben. Weit spreizte er ihre Knie und glitt mit seiner Zunge an ihrem Nabel entlang, bis an ihren nassen Schoß. Etwas, wonach es ihn sonst bei fremden Frauen nie gelüstete, da er sich nie sicher war, wie viele Männer sich bereits in ihnen hinterlassen hatten. Bei dieser konnte er gegen diesen Trieb nicht an. Wollte einfach nur noch ihren süßen Nektar trinken. Der lockende Duft brachte ihn schier um den Verstand. Noch länger konnte er sich ihren Geschmack nicht verwehren.

Wunderbar kehlig schrie seine Göttin auf. Hemmungslos zuckte ihm ihr Unterleib entgegen. Eisern hielt er ihn gefangen und nahm jeden Tropfen von ihr auf, bis er das Gefühl hatte, sein Schaft wolle platzen. Doch er wollte sich nicht ergießen, ohne sie überhaupt um sich gespürt zu haben. Das abgehackte laute Aufstöhnen eines der Zwillinge war zusätzliches Gift für seine Selbstbeherrschung. Er umklammerte die schmalen Hüften seiner Gespielin und hob sie passend an.

Sein ungestümes Eindringen trieb sie eine Handbreit über den Teppich. Aber nicht das war es, was ihn geschockt innehalten ließ. Auch nicht das Gefühl von einer Keule aus Erregung getroffen worden zu sein, als sie ihn endlich umschloss, sondern der kurze, feste Widerstand, den er durchbrochen hatte.

Schmerz und Panik glommen in den aufgerissenen Augen seiner himmlischen Helena. Das konnte doch unmöglich wahr sein. Diese lüstern anderen zuschauende, an sich herumspielende Frau, war noch Jungfrau gewesen? Wie kam eine Jungfrau auf Sybills Maskenball? Bei Gott, jetzt war es nicht mehr zu ändern. Er könnte nicht einmal aufhören, wenn das Haus in Flammen stände. Der Schreck mochte den drohenden Erguss etwas zurückgedrängt haben, dennoch brannte das Verlangen danach wie Höllenfeuer in seinen Adern und in seinem Unterleib. Ihr sämiges Fleisch zuckte um seinen Schaft. Versenkte ihn mit seiner feuchten Hitze. Wie losgelöst von seinem übrigen Leib pumpten seine Hüften gegen ihren Schoß. Trieben ihn immer wieder tief in sie hinein.

Der Schmerz schwand aus ihren schönen Augen, wandelte sich in Leidenschaft. Schließlich drängte sie seinen Stößen genauso heftig entgegen, wie er sie nahm. Sein Kopf schien unter der Masse der Empfindungen nur noch zu wabern, in seinem Leib fühlte er eine riesige Blase anwachsen, die auf seinen Schaft zurollte. So etwas hatte er noch nie verspürt. Sein ganzes Innerstes schien sich in dieser Blase zu versammeln, um hinauskatapultiert zu werden. Du musst raus, bevor es passiert, schrie ein letzter Funken seines Verstandes. Er konnte nicht mehr atmen, als die Blase in seinen Schaft vordrang. Du musst raus!

Sein Unterleib ignorierte den Funken Vernunft. Rammte ihn weiter in sie hinein. Plötzlich fühlte er sein Geschlecht wie von einer eisernen Faust umschlossen. Wellen melkten ihn. Seine Gespielin schrie unter ihrem Höhepunkt auf und er zersplitterte in einem irren Farbenspiel.

Nach Luft ringend erwachte er aus einer kurzen ungewohnten Bewusstlosigkeit. Er fand sich mit dem Gesicht zwischen ihren Brüsten wieder. Die Muskulatur seiner Arme sträubte sich noch zitternd gegen das Abstützen, trug ihn nur widerstrebend. Er fing den Blick ihrer glänzenden, vom Akt beseelten Augen ein. Die Nebel um sein Hirn lichteten sich immer rascher, machten den Tatsachen Platz.

Wie verbrannt zog er sich aus ihr zurück und blieb noch einen Moment zwischen ihren Beinen knien. Die Hoffnung sich getäuscht zu haben schwand in Sekundenschnelle. Blut klebte an den Innenseiten ihrer Schenkel, an dem weißen Stoff ihres Gewandes und an ihm. Wut breitete sich wie eine dunkle Wolke in seinen Eingeweiden aus. Er hatte von den Tricks gehört, die manche Matronen mit ihren Schützlingen nutzten, um in eine gute Familie oder Vermögen einzuheiraten. Aber hier? Auf einem der berüchtigten Maskenbälle Sybills? Sie konnten doch nicht eingeschleust werden, ohne dass die Gastgeberin davon wusste und Sybill würde ihn, oder einen anderen ihrer Galane, niemals einer dermaßen böser Gefahr aussetzen. Er sah sich um, in der Erwartung einer zeternden, aber zufriedenen Mutter oder eines ebensolchen Vaters.

Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass außer dem Dreier in der Mitte des Zimmers niemand in der Nähe war. Die drei waren noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um ihm und dem Mädchen Aufmerksamkeit zu schenken. Die Standhaftigkeit der Zwillinge war berüchtigt, Lady Pommery damit vertraut, ihnen bis zur völligen Erschöpfung jeden Dienst zu erweisen. Es war einfach Glück, dass sich heute keine weiteren Gäste an ihrer Darbietung ergötzten oder zu ihnen gesellt hatten. Später, wenn hier härtere Spielarten der Erotik stattfanden, würde sich das sicherlich ändern.

In dieser Nische hatte ihn auch niemand von der Tür aus beobachten können. Hastig stemmte er sich auf die wackeligen Beine. Er musste fort, bevor man ihn mit diesem kleinen durchtriebenen Luder sah. Ein Luder, das ihn auf Befehl oder auch eigenem Antrieb in eine Heiratsfalle locken wollte. Zur Hölle mit ihren sagenhaften grünen Augen, die seinen Verstand schon vernebelten, seit sie ihm im Saal in die Arme gefallen war. Die ihn auch an ein unvergessliches Augenpaar im Hyde Park erinnert hatten. Der Vorfall im Saal musste schon ein geplanter Zusammenstoß gewesen sein und das Zusammenspiel ihrer Augen und des dünnen Gewandes hatten die Wirkung auf seine Libido nicht verfehlt. Was hätte sie noch angestellt, um ihm nahe zu kommen? Ach was! Sie war vermutlich nur dem Antrieb gefolgt, sich mit dem Nächstbesten, mit ordentlichem Stammbaum, erwischen zu lassen. Jeder wäre auf sie reingefallen und hätte sie nur für einen ebenso lüsternen Gast gehalten, wie alle übrigen hier.

Voller Enttäuschung und Verachtung für die Falle schaute er auf sie hinunter. Sie hatte immer noch ein glückliches, gesättigtes Lächeln auf den Lippen.

„Dein Plan ist nicht aufgegangen, kleine Hure! Ich werde dich ganz bestimmt nicht heiraten. Und wenn du erzählst, ich hätte dich entjungfert, streite ich es ganz gewiss ab. Such dir einen anderen Narren, um ihn in eine Heirat zu zwingen. Übung hast du ja jetzt!“

Die Kante der Maske schrammte scharf über seinen Nasenrücken, als er sie zu ruppig vor sein Gesicht zog. Die glückliche Miene seiner vermeintlichen Göttin wandelte sich zu seiner Genugtuung in Unglauben. Das bestätigte nur seine Vermutung. Zorn und Enttäuschung, dass so ein einmaliger Höhepunkt nur einem bösen Hinterhalt entsprungen war, schäumten in ihm über. Er würde dieses verdammte Fest sofort verlassen und nie wieder einen Maskenball besuchen. Mit einem raschen Rundumblick versicherte er sich noch einmal, dass niemand sie beobachtete, und eilte davon.

 

„Was zur Hölle ist los mit dir, Steven?“

Die Gereiztheit seines Bruders war nicht zu überhören. Auch in den Blicken in seinem Rücken spürte Steven sie wie glühendes Eisen. Verständlich. Seine Unruhe würde bald einen Trampelpfad im Teppich hinterlassen und den Brandybestand innerhalb kürzester Zeit vernichtet haben. Er ärgerte sich selbst darüber, konnte seine Unruhe aber nicht anders kompensieren. Der Pegel in der Brandykaraffe sank rapide. Er füllte sein Glas erneut, drehte sich zu seinem Bruder um und hielt fragend die Karaffe in die Höhe.

Allan schüttelte den Kopf. „Nein danke. Und wenn ich mich nicht irre, ist das jetzt das vierte Glas, das du dir innerhalb der letzten halben Stunde genehmigst. Wenn du also nicht einfach beschlossen hast Säufer zu werden, würde ich gern wissen, was dir zu schaffen macht.“

Steven drückte den kristallenen Stöpsel in die Öffnung und setzte das Gefäß viel zu hart auf der blanken Platte des Schranks auf. Es drängte ihn, seinem Bruder zu gestehen, was er angestellt hatte, fand aber nicht die richtigen Worte. Am liebsten würde er gar nicht darüber sprechen und es einfach nur vergessen, aber gerade das Letztere war ihm nicht möglich und Ersteres zwingend notwendig.

„Ich mache mir wirklich Sorgen“, sagte Allan eindringlich. „So kenne ich dich gar nicht. Also raus mit der Sprache. Wir haben doch immer über alles reden können.“

Er spürte seine Zähne unter seinem Groll mahlen. Vermochte die Kiefer jedoch nicht zu entspannen. Die Lässigkeit, mit der sein Bruder in seinem bequemen Sessel vor dem Kamin saß war beneidenswert. Sollte Allan sich wirklich Sorgen machen, so war ihm wie immer keine Gefühlsregung anzusehen. Dessen schon legendäre Selbstbeherrschung sollte als Weltwunder deklariert werden. Seinem Bruder wäre dieses Missgeschick niemals passiert. Der ließ sich nicht von Emotionen mitreißen. Das hatte er noch nicht einmal als Kind getan. Selbst als ihre Eltern bei dem Kutschenunfall starben, war Allans Trauer beherrscht, während er selbst in wilder Verzweiflung sein ganzes Zimmer in Trümmer legte.

Gegen Allans Stärke fühlte er sich wie ein Versager. Nicht, dass er ihm das Erbe mehrerer Titel und des gesamten damit verbundenen Vermögens neidete. Ganz und gar nicht. Es war eine schwere Bürde und Allan trug sie mit einer Ruhe und Würde, zu der er sich niemals fähig fühlte. Ihn drängte es eher, sich eines Tages etwas Eigenes aufzubauen, etwas aus dem Nichts zu erschaffen. Außerdem ging es ihm ja nicht schlecht als Zweitgeborener. Allan gab ihm eine großzügige monatliche Apanage, die manchen Titelerben vor Neid erblassen lassen würde. Aber er hatte noch nicht den Anstoß gefunden, um überhaupt mit etwas Eigenem zu beginnen. Auch etwas, was Allan nie passieren würde. Wenn der eine Idee ins Auge fasste, begann er auch direkt daran zu arbeiten.

Er konnte seinem Bruder nicht länger in die Augen schauen. Wollte nicht sehen, wie dessen Zuneigung wegen seines ehrlosen Verhaltens in Verachtung umschlug. In die Verachtung, wie er sie selbst für sich empfand. „Ich habe Mist gebaut, Allan. Das ist passiert.“

„Was für Mist? Hast du mehr Geld verspielt als du zur Verfügung hast? Muss ich dich auslösen? Himmel, wenn es mich nicht ein ganzes Gut kostet, ist das zwar immer noch nicht erfreulich, aber kein Beinbruch. Ich lasse es dich nur abarbeiten, das schwöre ich dir.“

Steven quittierte diese Annahme mit einem Schnauben. Wenn es doch nur um Spielschulden ginge. „Ich verspiele nie mehr als ich selbst zu tragen vermag, das weißt du.“

„Bisher. Aber du wärst nicht der Erste, dem so eine Dummheit beim Glückspiel passiert. Doch wenn es das nicht ist, was dann?“

Der Hals wurde Steven eng, sein Herz begann schmerzhaft zu rasen. Es laut auszusprechen kam ihm vor, als würde er seine Schandtat wiederholen. Dem Mädchen noch einmal richtig wehtun. Denn sein hirnloses ungestümes Eindringen hatte ihr Schmerzen bereitet. Und seine abschließenden Worte, und wie er sie liegen ließ, mussten wie Prügel auf sie niedergegangen sein, wenn sie ohne Vorsatz in diese Situation geraten war. Reifliches Nachdenken und ein Gefühl sagten ihm, dass sie nicht geplant haben konnte von ihm defloriert zu werden. Sie hatte in dem Sadosaal nicht wissen können, dass er dort auftauchen würde oder ein anderer liquider Kandidat. Sie war mit sich selbst und der Beobachtung des Treibens beschäftigt gewesen. Er hatte sich an sie herangemacht, nicht umgekehrt. Was zur Hölle hatte sie nur auf diesem verruchten Fest zu suchen gehabt? Doch Allan sollte von ihm erfahren, was geschehen war. Nicht von Dritten oder von aufgebrachten Eltern, die ihn bald wie ein Sturm heimsuchen mussten.

„Ich … ich habe … eine Jungfrau kompromittiert“, würgte er sich heraus.

„Oh.“

Den Todesstoß von Allans Augen erwartend, sah er von seinem Glas auf. Dessen Stirn hatte sich nur in leichte, fragende Falten gelegt. Verstand er die Tragweite nicht? Begriffsstutzigkeit gehörte doch sonst nicht in sein Repertoire. Nein. Eher konnte er diese Torheit nur nicht glauben.

„Ja, oh, Bruderherz. Und vermutlich stolpert bald ein aufgebrachter Vater herein und fordert die Behebung des Schadens in Form einer Eheschließung.“

„Wie unangenehm“, stieß Allan kaum hörbar aus. Dann bohrte sich dessen tiefblauer Blick in seinen. „Wie zum Kuckuck bist du an eine Jungfrau geraten? Ich hatte den Eindruck, du gingest ihnen ebenso geschickt aus dem Weg wie ich.“

„So war es bisher auch.“ Steven nahm seine unruhige Wanderung wieder auf. Hinter sich vernahm er ein nachdenkliches Räuspern.

„Nun … wenn es nur eine etwas verfänglich scheinende Situation gewesen ist, Steven, ist die Familie vielleicht bereit mithilfe eines bescheidenen Sümmchens dieses banale Debakel zu vergessen.“

Bevor er sich zu zügeln vermochte, stand er vor seinem Bruder und brüllte heraus: „Es war kein banales Debakel! Ich habe sie defloriert!“

Zum ersten Mal hörte er aus dem Mund seines Bruders ein wüstes Schimpfwort und sah dessen Gesichtszüge von Fassungslosigkeit gezeichnet. „Wie zur Hölle konnte dir so eine Eselei passieren, Steven?“

Das hatte er sich selbst schon die ganze vergangene Nacht gefragt. „Es war gestern Abend auf dem Maskenball von Lady Alberton. Ich habe absolut nicht damit gerechnet, dort auf eine Jungfrau zu treffen.“

Allan sprang aus seinem Sessel, langte nach ihm. Steven machte sich bereit, den verdienten Fausthieb entgegenzunehmen. Doch Allan entriss ihm nur das Glas und leerte es selbst in einem Zug. „Du verdammter Idiot. Wie oft habe ich dir gepredigt, dich von diesen Maskenbällen fernzuhalten? Vor allem, wenn Frauen wie Lady Alberton sie veranstalten? Himmel noch mal, du bist ganz offensichtlich auf den ältesten Trick der Welt reingefallen. Wer ist das Frauenzimmer, dem du auf den Leim gegangen bist?“

Voller Unbehagen zuckte Steven die Schultern. „Weiß ich nicht.“

Das Glas schlug unangenehm laut gegen Allans Zähne. Ungläubig sah er ihn an. „Du weißt es nicht?“

„Nein. Nur, dass sie unbeschreiblich grüne Augen mit goldenen Sprenkeln hatte.“

„Grüne Augen mit goldenen Sprenkeln. Na bravo. Sonst keine Erkennungsmerkmale?“

Vor Scham begannen Stevens Wangen zu brennen. „Ich denke, die blonden Haare waren nicht echt. Sie … nun … an anderer Stelle habe ich sie dunkler in Erinnerung.“

„Anscheinend auch noch ein sehr obszönes Zusammentreffen“, stieß Allan angewidert aus.

Steven spürte, wie sich die Hitze in seinem Gesicht vertiefte. „Trotz deiner zahlreichen Liebschaften weißt du anscheinend nicht, was es mit sich bringt, von Leidenschaft mitgerissen zu werden, Allan. Aber das hätte mich auch gewundert, du bist ja in allem beherrscht!“

„Meine Liebschaften, Bruderherz, erfüllen ihren Zweck. Leidenschaft ist nur was für verantwortungslose Idioten, zu denen ich dich eigentlich bisher nicht zählte.“

„Herzlichen Dank!“

Entschuldigend drückte sein Bruder ihm die Schulter. „Es ist nur … du bist fürchterlich emotional, Steven, lässt dich anscheinend zügellos gehen, ohne die Folgen zu bedenken.“

„Emotional und vielleicht auch zügellos, aber ich habe stets darauf geachtet, mich nur auf Witwen oder verheiratete Frauen einzulassen, wie du. Und genauso achte ich darauf, mich nicht in ihnen zu hinterlassen.“

Nur gestern Abend war ihm die Situation völlig entglitten. Und es war ein unglaublicher Genuss gewesen, sich so urgewaltig in dem Mädchen zu verströmen. Von ihrem Inneren gemolken zu werden. Eine Götterspeise mit einem fürchterlich bitteren Nachgeschmack. Wie es der Kleinen jetzt wohl ging? Hatte sie noch einen anderen Galan gefunden, dem sie ihre Defloration anhängen konnte? Hätte er sich das Gespräch mit Allan womöglich sparen können, weil sie sich über seine Schuldgefühle nur amüsieren würde?

„War diese Jungfrau etwa schon so alt, dass du sie für eine Witwe halten konntest? Dann Gnade dir Gott, wenn du sie nüchtern und bei Tageslicht siehst“, spottete Allan.

Dem Scherz konnte Steven nichts abgewinnen. „Nein. Sie war jung und schön und wie sie da stand und sich …“ Die Erinnerung an ihren Anblick wühlte ihn noch immer auf. Aber es ging seinen Bruder nichts an, in was für einer Situation er sie angetroffen hatte. Erst mit dem Öl an seinen Fingern wurde ihm bewusst, wie er sich die Haare raufte. Fahrig strich er sie wieder glatt und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. „Durch das Treiben der übrigen Gäste war ich nur blind für ihre Unberührtheit.“

Der Humor schwand so schnell von Allans Mundwinkeln, wie er hervorgebrochen war. „Ich finde es dennoch erschreckend, dass du nicht mal weißt, wem du die Unschuld geraubt hast. Hat sie dich denn erkannt oder hattest du eine Maske auf?“

„Ich habe die Maske nach hinten geschoben. Sie störte mich. Ich denke, das Mädchen hat mich erkannt.“

Sein Bruder schockierte ihn mit einem weiteren unflätigen Fluch, den er ihm niemals zugetraut hätte, dann seufzte er gefasst. „Erstaunlich, dass noch kein Vater mit geladenem Gewehr vor der Tür steht. Genau darauf zielt diese habgierige Bagage doch ab, die alles versucht, ihre Töchter in unseren Stand und in unser Vermögen einzuheiraten.“

„Dein Vermögen, Allan“, erinnerte ihn Steven. „Bei mir ist nichts zu holen. Vielleicht ist ihnen das im Laufe der Nacht ja noch eingefallen.“

„Das würde sie nicht an dem Versuch hindern, möglichst viel aus mir für dieses Desaster herauszuschlagen. In der Hoffnung, dass wir einen Skandal vermeiden wollen. Hat euch jemand gesehen, auf den sich die Eltern als Zeugen berufen könnten?“

„Nein, ich denke nicht.“

„Denken!“ Allan warf die Hände hoch, ging zum Barschrank und goss sich den Rest des Brandys ein. „Das hättest du besser gestern Abend tun sollen.“

Er stürzte den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter. Stille breitete sich aus. Das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims hallte unangenehm laut wieder. Eine ganze Weile später fragte Allan leise: „Was gedenkst du zu tun, wenn der Vater hier auftaucht? Wirst du deiner Pflicht nachkommen?“

Darüber hatte Steven auch schon den Rest der vergangenen Nacht und die Stunden bis jetzt nachgedacht. Und er war immer noch zu keinem Entschluss gekommen.

„Steven! Was gedenkst du zu tun?“

„Ich weiß es nicht. Ich bin erst fünfundzwanzig. Eine Ehe sahen meine Pläne jetzt noch nicht vor.“

„Halte ich auch noch für ein bisschen verfrüht“, stimmte sein Bruder zu. „Und da es sich bei dieser Jungfrau kaum um eine reiche Erbin gehandelt haben wird, verbaut dir eine Ehe mit ihr die Chance eine solche reiche Erbin zu ehelichen und damit etwas solides Eigenes aufzubauen.“

Stevens Nackenhaare sträubten sich. „Ich brauche keine reiche Erbin, um mir etwas aufzubauen. Ich bekomme das auch allein hin!“