Lean für Manager - Peter Pautsch - E-Book

Lean für Manager E-Book

Peter Pautsch

4,9

Beschreibung

Mit Lean Management können sämtliche wertschöpfenden Tätigkeiten optimal aufeinander abgestimmt, Verschwendung vermieden und gleichzeitig hohe Kundenanforderungen mit höchsten Qualitätsansprüchen erfüllt werden! Doch Lean ist mehr als nur der Einsatz bestimmter Methoden. Nötig ist ein Kulturwandel, einhergehend mit einem neuen Verständnis von Management. Gefragt ist der Coach und Mentor, der seine Mitarbeiter in der selbständigen Lösung von Problemen unterstützt, trainiert und eine aktive Rolle in der ständigen Verbesserung der Prozesse einnimmt.Dieses Werk stellt dar, warum und wie der Einsatz von Lean Management einem Unternehmen und auch seinen Managern großen Nutzen bringt und was Lean konkret für das Management bedeutet - sowohl im direkten Handeln als auch im Hinblick auf die Unternehmenskultur. Highlights- Stellt die zentrale Rolle des Managers im Lean Management dar- Zeigt, wie Hoshin Kanri umgesetzt wird (Hoshin Kanri vereint Führen durch Ziele und Strategieumsetzung)- Mit vielen Beispielen und praktischen Tipps

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Peter Pautsch

Lean für Manager

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Buches, oder Teilen daraus, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2016 Carl Hanser Verlag Münchenwww.hanser-fachbuch.de

Lektorat: Lisa Hoffmann-Bäuml Herstellung: Thomas Gerhardy Umschlagmotiv: Andrea Schwarz Umschlaggestaltung: Stephan Rönigk

ISBN 978-3-446-44559-8 E-Book ISBN 978-3-446-44656-4

Verwendete Schriften: SourceSansPro und SourceCodePro (Lizenz)

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort

1 Alexander Mackenzie ‒ der Weg zum Pazifik

2 Quo vadis Management?

3 Szenarien der Innovation

3.1  Management-„Kosmetik“ mit Werkzeugen und Methoden

3.1.1  Management by Objectives ‒ Sie bekommen, was Sie messen

3.1.2  Risiken und Chancen „kosmetischer“ Veränderungen

3.2  Managementrevolution ‒ die radikale Veränderung

3.2.1  Unternehmen ohne Manager ‒ Chaos oder Zukunftsmodell?

3.2.2  Risiken und Chancen radikaler Veränderungen

3.3  Lean Light: eine Alternative?

3.3.1  Sichtbare und unsichtbare Elemente

3.3.2  Risiken und Chancen von Lean Light

4 Lean Management ‒ eine Unternehmensphilosophie

4.1  Vision und Ziele ‒ Zielkoordinaten durch Hoshin Kanri

4.2  Der Weg zum Ziel ‒ den Prozess mit Hoshin Kanri steuern

4.3  Kennzahlen im Lean Management ‒ Schrittmacher: Kundennachfrage

4.4  Die Managementaufgabe ‒ der Manager als Coach und Mentor

4.4.1  Problemlösekompetenz erhöhen

4.4.2  Hansei: sich selbst immer wieder hinterfragen

4.5  Risiken und Chancen von Lean Management

5 Von der Theorie zur Praxis

5.1  Den richtigen Zeitpunkt wählen

5.2  Veränderung managen

5.2.1  Stufe 1: Schaffung eines Bewusstseins für eine dringende Veränderung

5.2.2  Stufe 2: Formierung einer Führungsgruppe, welche die Veränderung leitet

5.2.3  Stufe 3: Entwicklung einer Vision und Strategie

5.2.4  Stufe 4: Kommunikation der Vision und Ziele

5.2.5  Stufe 5: Mitarbeiter zur Umsetzung der Vision befähigen

5.2.6  Stufe 6: Kurzfristige Erfolge erreichen

5.2.7  Stufe 7: Konsolidierung der Erfolge und weiteres Vorantreiben der Lean-Management-Implementierung

5.2.8  Stufe 8: Verankerung der Lean-Philosophie in der Unternehmenskultur

5.3  Risiken und Chancen der Einführung

5.3.1  Steiniger Weg

5.3.2  Lohnendes Ziel

6 Executive Summary

Literatur

Glossar

Der Autor

Vorwort

Hätten Sie gerne ein „Patentrezept“? Bei dem eine Methode oder ein Instrument verständlich dargestellt wird, die Umsetzung im Unternehmen nur eine Frage der Schulung und des Trainings der Mitarbeiter ist und der Erfolg garantiert ist? Genau so funktioniert Lean Management nicht. Lean ist keine Methode vergleichbar einer One-Klick-Option im Internet.

Dieses Fachbuch wird Sie in die Welt des Lean Management einführen und Ihnen die eher verborgene und nicht sichtbare Seite von Lean zeigen. Die meisten Fachbücher, mit nur wenigen Ausnahmen, heben auf die sichtbaren Elemente von Lean ab. Aber die unsichtbare Seite, vergleichbar der dunklen Materie im Weltall, ist das entscheidende Element von Lean, welche die eigentliche Wirkung ausmacht. Die sichtbaren Methoden und Instrumente von Lean Management im Unternehmen umzusetzen, ist zwar ein zeitraubender Weg und nicht ohne Widerstände vor allem in der mittleren Managementebene möglich, aber letztlich gut „machbar“. Die damit erreichbaren Erfolge sind vorzeigbar, gereichen dem Initiator zu Ruhm und Ehre im Unternehmen, halten sich aber im Benchmark-Vergleich ausgewählter Leistungsindikatoren im Verhältnis zu wirklich schlanken Unternehmen in Grenzen.

Mit diesem Werk werden Sie erfahren, wie Ihr Unternehmen auch zu den wirklich schlanken Unternehmen gehören kann und was sich in Ihrem Unternehmen erreichen lässt, wenn dieses von der Lean-Philosophie getragen wird und die Unternehmenskultur deren Anforderungen genügen soll. Sie werden aber auch erfahren, welcher Kraftakt erforderlich ist, um Ihr Unternehmen entsprechend „umzubauen“. Training und Schulung der Mitarbeiter werden hierfür bei Weitem nicht ausreichen. Auch das Engagement eines erfahrenen Beraters reicht alleine nicht, ein Kopfnicken des CEO und ein „dann machen Sie mal“ ist definitiv zu wenig. Lean Management in der nachhaltig wirkungsvollen Variante erfordert deutlich mehr.

Ich möchte Sie mit diesem Werk in die Denkweise des Lean Management, die sich erheblich von der hergebrachten unterscheidet, einführen. Dabei werde ich die Unternehmenskultur beschreiben, die erforderlich ist, um den Prozess der Zielbildung und den Weg zu den Zielen zu beschreiten, sowie den Wandel der Funktion der Führungskräfte in einem Lean-Unternehmen vorstellen. Damit fehlt Ihnen zwar noch ein beachtlicher Teil des Methodenwissens und die Kenntnis der Instrumente des Lean Management, Sie erhalten aber einen Eindruckvon den Möglichkeiten ebenso wie eine Vorstellung von dem Umfang der Aufgabe, eine Lean-Initiative im Unternehmen erfolgreich zu starten.

Sie werden erkennen, dass Lean Management beachtliche Potenziale freisetzen kann, mehr, als Sie sich je vorstellen konnten. Sie erkennen aber auch, dass der Weg hierzu lang und schwierig werden wird: Per aspera ad astra.

Peter Pautsch

Nürnberg, Herbst 2015

Dank

1Alexander Mackenzie ‒ der Weg zum Pazifik

Alexander Mackenzie, 1764 in Stornoway geboren, zählt zu den großen Entdeckern der Welt. Er war der erste, der Nordamerika durchquerte. Mackenzie startete am großen Athabaska-See und fuhr von dort aus den Peace River hinauf. Er überquerte die Rocky Mountains und erreichte den Pazifischen Ozean am 22. Juli 1793. Davor hatte er den nach ihm benannten Mackenzie River in einer 100-Tage-Reise befahren und das Nördliche Eismeer erreicht.

Bild 1.1 Alexander Mackenzie (Quelle: Wikipedia)

Die Entdeckungsreise von Alexander Mackenzie ist in zweierlei Hinsicht von hoher strategischer Bedeutung. Einerseits aus wirtschaftlicher Sicht: Mackenzie war Partner der Northwest Company, ein Wettbewerber der berühmten Hudson's Bay Company, deren Geschäftsfeld der Pelzhandel war. Problem dieses Geschäfts war der 5-Jahresrhythmus. Das Gewinnen der Pelze in der Wildnis Kanadas, der Transport mit Kanus über die Seen und Flüsse Kanadas bis nach Montreal und der Transport mit Segelfrachtschiffen nach England und zu den anderen europäischen Märkten. Im Gegenzug mussten die Tauschwaren für die Pelzjäger indianischer Provenienz über den gleichen Weg zurücktransportiert werden. Der Zugang zur Westküste über die Rocky Mountains versprach eine deutliche Verkürzung dieses Rhythmus. Auch stellten die russischen Pelzhändler in dieser Region eine ernst zu nehmende Konkurrenz dar.

Andererseits war die geopolitische Bedeutung der Entdeckungsreise für Großbritannien bzw. später Kanada erheblich. Durch die Reise von Alexander Mackenzie wurde die kanadische Westgrenze bis zum Pazifik erweitert, woraus sich Landansprüche für die dazwischen liegende Region ableiten ließen. Hätte Mackenzie die Reise nicht unternommen, wären Landansprüche der Spanier oder Russlands geltend gemacht worden.

Umso erstaunlicher ist, das Mackenzie seine Entdeckungsreise nicht mit staatlichen Geldmitteln finanziert hatte, sondern mit den Geldern der North West Company, eine der großen Pelzhandelsgesellschaften der damaligen Zeit. Allerdings hatte er seinen Geschäftspartnern den wahren Grund seiner Reise nicht verraten, denn in Anbetracht des Risikos der Unternehmung hätten die Widerstände der Geschäftspartner den Start vereitelt.

Warum schreibt der Verfasser in einem Fachbuch über Management über einen Entdecker der Frühzeit des nordamerikanischen Kontinents? Die Antwort ist einfach: Alexander Mackenzie hatte all die Eigenschaften, die einen exzellenten Expeditionsleiter bzw. Manager ausmachen. Alle die nachfolgend beschriebenen Eigenschaften machen einen Manager aus, der aus dem Blickwinkel des Lean Management als hervorragend bezeichnet werden muss. Damit lässt sich zeigen, dass die Grundgedanken der Lean-Philosophie völlig unabhängig von Zeit, regionaler Kultur und persönlichem Hintergrund sind. Diese Eigenschaften entwickeln sich aus der Erkenntnis heraus, dass es nur einen Weg gibt, welcher den Erfolg einer Mission garantiert. Diesen Weg in Anbetracht der Gegebenheiten des Umfelds, der persönlichen Kompetenz und der verfügbaren Ressourcen zu finden, ist die Strategie erfolgreicher Manager.

Betrachten wir die „Erfolgsgeschichte“ von Alexander Mackenzie im Detail, finden wir folgende interessante Aspekte, die heute aktueller sind, denn je. Eine überzeugende Vision ist eines der Erfolgsgeheimnisse von Unternehmen, Projekten oder Expeditionen. Auf den ersten Blick mag man an dieser Aussage zweifeln und die Bedeutung infrage stellen. Eine Vision, das sind doch nur Worte. Aber Worte sind oft die einzige „Waffe“ die wir haben, um Menschen von einer Sache oder einem Vorhaben zu überzeugen.

Die Reisebegleiter von Mackenzie waren sogenannte Voyageurs. Erfahrene Männer, die mit einem Birkenrindenkanu umgehen konnten und die Kraft und Ausdauer hatten, lange Strecken zu bewältigen. Wie bei jeder Expedition gab es auch bei der von Mackenzie einen Punkt, der geradezu nach einer Aufgabe des Vorhabens und Rückkehr rief. Die Expeditionskanus waren in sehr wildes Wasser eines Flusses geraten, die Kanus waren allesamt zerstört, die Ladung, Lebensmittel und Ausrüstung konnten zum Glück gerettet werden. Die Voyageurs waren verzweifelt und sahen keine andere Alternative als die Rückkehr, ohne das Ziel erreicht zu haben (Meissner o.J.).

Alexander Mackenzie nutzte die Tatsache, dass die Voyageurs aus Frankreich aus der Normandie stammten. Bei der Erschließung Kanadas, genauer Neu-Frankreichs, waren viele Franzosen aus der Normandie ins Land gekommen. Mackenzie erklärte den Voyageurs, dass diese als Normannen ja von den Wikingern abstammen. Die Wikinger hatten die Normandie, aber auch Schottland, wo Mackenzie herstammte, erobert und besiedelt. Damit stammten sie von einem „Geschlecht von Helden“ ab (Meissner o.J., S. 192). Mackenzie erzählte von Erik dem Roten, der nach Grönland fuhr, und Leif Erikson, der bereits Kanada entdeckt hatte.

Noch nie hatte jemand den Voyageurs diese Vergangenheit der Normannen vor Augen geführt. Die Abstammung von Helden und großen Entdeckern bot den Mitgliedern von Mackenzies Entdeckungsreise eine Vision, welche die katastrophale Ausgangssituation vergessen ließ. Die Vision gab den Männern neuen Mut und die Energie, alle Kräfte zu mobilisieren und einen Weg zu suchen, der die Fortsetzung der Reise ermöglichte.

Das gewählte Transportmittel, das etwa sieben Meter lange Birkenrindenkanu, hatte nicht nur den Vorteil der hohen Reisegeschwindigkeit in flussreichen Regionen, es konnte auch aus den bestehenden Ressourcen in Kanada nicht nur repariert, sondern sogar neu gebaut werden. Da die Voyageurs nicht nur mit den Kanus umgehen konnten, sondern auch geschickte Bootsbauer waren, ließen sich aus den am Ort des Geschehens vorgefundenen Bäumen relativ schnell neue Kanus bauen. Die Reise wurde fortgesetzt und letztlich konnte das Ziel, der Pazifik, erreicht werden.

Dies zeigt mehr als deutlich, was eine überzeugende Vision bewirken kann. Dies gilt nicht nur für Entdeckungsreisen, sondern auch für Unternehmen. John P. Kotter schreibt in einem Buch zum Thema Change Management (Kotter 1996, S. 8 f.): „Whenever you cannot describe the vision driving a change in five minutes or less and get a reaction that signifies both understanding and interest, you are in for trouble.“

Ein weiterer interessanter Aspekt der Entdeckungsreise von Alexander Mackenzie ist der Zeitfaktor. Management verlangt heute nach Verkürzung der Durchlaufzeit für die Produktion, um auf Marktanforderungen zu reagieren. Die Laufzeit von Produktentwicklungsprozessen muss angemessen kurz sein, um mit innovativen Produkten vor dem Wettbewerber auf dem Markt präsent zu sein. Auftragsabwicklungsprozesse müssen den Erwartungen der Kunden entsprechen, um wettbewerbsfähig zu sein.

Für Alexander Mackenzie war „Zeit“ der entscheidende Faktor für den Erfolg seiner Mission. Im Norden des amerikanischen Kontinents sind die Winter lang und die Sommer kurz. Mackenzie konnte seine Reise erst im Juni beginnen. Davor war ein Befahren der Seen und Flüsse wegen des Eises nicht möglich. Eine Reise auf dem Landweg war wegen der Schneehöhe ebenfalls ausgeschlossen. Schon im September beginnt wieder der Winter und verhindert Reisen über lange Distanzen. Es war also wichtig, während der kurzen Sommer eine möglichst weite Strecke zurückzulegen.

Mackenzie wählte hierzu das Birkenrinden-Kanu. Es ist ca. sieben Meter lang und relativ leicht und kann mittels der lokal vorhandenen Ressourcen gebaut und repariert werden. Durch das geringe Gewicht bei hoher Stabilität ist, je nach Größe, eine Zuladung von bis zu 1,5 Tonnen möglich. Darüber hinaus werden nicht nur akzeptable Geschwindigkeiten auf den Seen und Flüssen Nordkanadas erreicht, auch ein Transport über Land ist problemlos möglich. Dies ist wegen der vielen, mit Booten nicht befahrbaren Stromschnellen auf den Flüssen auch oft notwendig.

Eine hohe Reisegeschwindigkeit wird aber nicht nur durch die Wahl des Transportmittels erreicht, sondern ebenso durch die Auswahl der mitgeführten Ausrüstung und des Proviants. Letzterer lässt sich auch durch die Jagd auf die reichlich vorhandenen Wildtiere beschaffen. Dies kostet jedoch Zeit und reduziert die Reisegeschwindigkeit. Deshalb nahm Mackenzie größere Mengen des sogenannten Pemmikan mit, welches er auch in Depots für die Rückreise einlagerte (vgl. Meissner o.J., S. 92). Pemmikan ist die traditionelle „Notnahrung“ der Indianer Nordamerikas und besteht aus Bison- und anderem dunklen Fleisch, welches in dünne Scheiben geschnitten und getrocknet wird. Weitere Zutaten sind Talg, Knochenmarksfett und Beeren. Diese frühe „Astronautennahrung“ hat im Verhältnis zum Gewicht einen sehr hohen Nährwert.

Bei der Wahl der Ausrüstung, die auf die Reise mitgenommen werden sollte, hatte Mackenzie folgende Methode (vgl. Meissner o.J., S. 169). Er nahm drei Blatt Papier zur Hand. Auf das erste Blatt schrieb er, was er als unbedingt notwendig erachtete. Auf das zweite Blatt schrieb er, was sehr notwendig war, und auf das dritte, was notwendig war. Nachdem alle Blätter beschrieben waren, zerriss er die letzten beiden Blätter und schrieb auf das erste Blatt „davon die Hälfte“. Damit beschränkte sich seine Ausrüstung auf das notwendige Minimum und ermöglichte ein geringes Transportgewicht. Seine Strategie bei der Planung seiner Reisen brachte ihm bei den Indianern den Namen „Kitchi-Emko“ ein, was so viel wie „schneller Mann“ bedeutet (vgl. Meissner o.J., S. 114).

Die Grundhaltung von Mackenzie, seine Reisen „schnell“ und „schlank“ zu bewältigen, ist auch an der Form der Dokumentation seiner Reisen erkennbar. Das von ihm geführte Tagebuch enthielt das, was wir heute mit der Abkürzung ZDF belegen: Zahlen, Daten und Fakten. Bei Mackenzie beinhaltete die Aufzeichnung den Tag, die jeweilige Uhrzeit, den Standort mit Geokoordinaten, die Besetzung der Kanus und besondere Vorkommnisse. Auch zu einer späteren Zeit hat Mackenzie das Tagebuch nie durch Schilderungen der Landschaften oder persönliche Empfindungen ergänzt. Er hielt dies für „Verschwendung“ und konzentrierte sich auf das Notwendigste. Betrachten wir hingegen umfängliche Prozessbeschreibungen mit vielen Worten oder Qualitätsmanagement-Dokumentationen über viele Textseiten, so würden wir uns einen Alexander Mackenzie wünschen, der die Dinge auf den Punkt bringt.

Bemerkenswert ist auch die Fehlerkultur von Alexander Mackenzie. Die erste Reise von Mackenzie, die im Juni 1789 begann, führte nicht, wie geplant zum Pazifik, sondern endete im Nordpolarmeer. Den Fluss, den Mackenzie dabei befuhr, benannte man später nach ihm. Er selbst nannte den Fluss „Disappointment River“. Auf diesen Fehlschlag angesprochen, vertrat Mackenzie die Auffassung: „Jeder Pelzhändler machte Fehler, es kam nur darauf an, aus diesen Fehlern zu lernen.“ (Meissner o.J., S. 150) Eine Einstellung gegenüber Fehlern, die für jeden Manager selbstverständlich sein sollte.

Ein Problem, welches Mackenzie auf seiner ersten Reise erkannt hatte, waren seine unzureichenden navigatorischen Kenntnisse. Die Bestimmung des Breitengrades gelang ihm mit Hilfe des Sextanten recht gut, zur genauen Bestimmung des Längengrades fehlten ihm die Kenntnisse. Mackenzie entschloss sich deshalb, wieder „in die Schule zu gehen“ und sich diese Kenntnisse anzueignen. Für einen Pelzhändler, der Partner in einer der angesehensten Gesellschaften in Kanada war und damit eine bereits sehr hohe Managementebene erreicht hatte, eine bemerkenswerte Entscheidung. Die Bereitschaft, Defizite zu erkennen und zu akzeptieren, diese durch Lernen auszugleichen und erneut den Versuch zu starten, das ursprüngliche Ziel, die persönliche Vision zu realisieren, ist eine außergewöhnliche Eigenschaft, die einer der Erfolgsfaktoren von Mackenzies Entdeckungsreisen ist.

Die Abenteuer des Entdeckers Alexander Mackenzie zeigen, dass unabhängig vom kulturellen Hintergrund, der verfügbaren Geldmittel und Ressourcen, der existierenden Technologie und der organisatorischen Strukturen Führungsqualitäten existieren, die aus einer klar definierten Einstellung gegenüber Aufgaben, Herausforderungen und Fehlern resultieren.

Literatur

Kotter, J.P.: Leading Change. Boston1996   

Meissner, H.-O.: … immer noch 1000 Meilen zum Pazifik ‒ Die Abenteuer des Alexander Mackenzie. Buchgemeinschafts-Ausgabe o.J.   

2Quo vadis Management?

Das Beispiel von Alexander Mackenzie zeigt, dass Lean mehr als ein Schlagwort ist und mit westlicher oder fernöstlicher Kultur wenig zu tun hat, sondern mit der persönlichen Lebensphilosophie und der Art und Weise, wie Ziele festgelegt und realisiert werden und mit Problemen umgegangen wird. Die entscheidende Frage, die dem Leser jetzt gestellt wird, lautet: Sind Sie damit zufrieden, wie Ihre Abteilung, Geschäftseinheit oder Ihr Unternehmen geführt wird?

Eine Frage, die Außenstehenden gegenüber zumeist positiv beantwortet wird. Beantworten Sie diese Frage aber für sich persönlich und unter Berücksichtigung all der Unzulänglichkeiten und täglichen Probleme, der unbefriedigenden Ergebnisse all Ihrer Bemühungen, des täglichen Sands im Getriebe des Unternehmens, wäre die Antwort wahrscheinlich eine andere. Sie leisten gute Arbeit und haben sich die ständige Verbesserung von Prozessen und Abläufen auf die Fahne geschrieben. Sie scheitern aber immer wieder an Sachzwängen, organisatorischen Widerständen und oft einfach nur an unbeschreiblicher Arroganz von Kollegen. Lassen wir einmal diese unbefriedigenden Dinge außer Acht und stellen uns ein ideales Unternehmen vor. Wie könnte dies aussehen?

Für Ihr Unternehmen gibt es eine Vision, die nicht nur Ihre Mitarbeiter begeistert, sondern auch Kunden, Lieferanten und Shareholder.

Die Unternehmensziele werden mit deutlich weniger Ressourcen erreicht, als dies bei den klassenbesten Wettbewerbern der Fall ist.

Planabweichungen und andere Probleme werden in Echtzeit, d. h. ohne jegliche zeitliche Verzögerung erkannt.

Angemessene Reaktionen auf Planabweichungen, Veränderungen im Unternehmensumfeld und Probleme erfolgen unmittelbar und sofort.

Alle Entscheidungen (z. B. Investitionen, Prozessänderungen, Einstellung von Mitarbeitern, Bonuszahlungen aufgrund persönlicher Leistungen) werden dort getroffen, wo die größte Kompetenz im Hinblick auf den Wertbeitrag für das gesamte Unternehmen vorhanden ist.

Strategien und Unternehmensziele werden von jedem Mitarbeiter gleichermaßen in der täglichen Arbeit verfolgt.

Das hört sich nach einem perfekten Unternehmen an, unerreichbar, eine nette Illusion, theoretisches Konstrukt abgehobener Wissenschaftler. Die Ausführungen in diesem Fachbuch werden zeigen, dass diese „Illusion“ möglich ist und dass es Unternehmen gibt, die diesem Ideal schon sehr nahe gekommen sind.

Der Weg dahin ist mit vielen Verzweigungen, Risiken und Chancen verbunden. Deshalb ist es notwendig, die Optionen darzustellen, die sich dem Manager bieten, um aus einer unbefriedigenden Ausgangssituation auszubrechen.

Bild 2.1 Aufbau der Kapitel

Bild 2.1 gibt einen Überblick über den Aufbau der Kapitel. In Kapitel drei werden drei Szenarien der Innovation aufgezeigt. Zunächst wird der Tatsache Rechnung getragen, dass viele Manager eine Vorliebe für Werkzeuge und Methoden haben: Sobald eine neue oder bereits bekannte Methode für brauchbar erachtet wird, sind Schulung der Mitarbeiter und die Einführung im Unternehmen nur noch eine Formsache. Der Umfang des erforderlichen Veränderungsmanagements ist überschaubar und die damit verbundenen Risiken sind (scheinbar) gering.

Eine in vielen Unternehmen angewendete Methode ist das „Management by Objectives“ ‒ das Führen mit Zielen. Abgeleitet aus der Unternehmensstrategie werden mit den Führungskräften Ziele vereinbart, die auch die Grundlage für die variable Vergütung sind. Die konstatierte einseitige Fokussierung in vielen Unternehmen auf finanzwirtschaftliche Ziele hat zur Entwicklung der Balanced Scorecard geführt, in welcher auch nichtfinanzielle und die langfristige Entwicklung von Unternehmen betreffende Kenngrößen enthalten sind.

Die Chancen dieser und vieler anderer Methoden liegen in einer wesentlich besseren Strukturierung des Managementprozesses und in einer besseren Transparenz bei der Überprüfung der Zielerreichung am Ende des Geschäftsjahres. Die Risiken scheinen demgegenüber gering. Aber ist dies wirklich so? Vermittelt die „Methodengläubigkeit“ möglicherweise eine falsche Sicherheit? Die Sicherheit auf dem richtigen Kurs zu sein und das Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen? Die Ausführungen zu diesem Kapitel werden zeigen, dass die Sicherheit eine vermeintliche ist und weitaus mehr Risiko beinhaltet, als zunächst erwartet.

Im zweiten Szenario wird dem Leser eines Fachbuchs für Manager etwas Unglaubliches zugemutet. Es wird ein Unternehmensmodell vorgestellt, welches ohne Manager auskommt. Damit nicht genug, es wird das Fallbeispiel eines Unternehmens vorgestellt, welches auf der Basis dieses Modells arbeitet. Dieses Unternehmen ist nicht nur sehr erfolgreich, sondern auch noch in seiner Branche Marktführer.

Selbst wenn man geneigt ist, dieses Modell als Exot beiseitezulegen, lassen sich jedoch sehr interessante Erkenntnisse darüber gewinnen, wie Unternehmen geführt werden könnten, die dem eingangs geschilderten Ideal entsprechen. Selbstverständlich sind die Risiken erheblich. Die Vorstellung, in einem deutschen Konzernunternehmen wie z. B. Siemens ein entsprechendes Unternehmensmodell einzuführen, würde dem CEO kalte Schauer über den Rücken jagen und einen Unternehmenswechsel in Erwägung ziehen lassen. Die Chancen, die sich daraus eröffnen, sind allerdings unübertroffen und stellen eine echte Managementrevolution dar. Allein deshalb lohnt sich eine Diskussion darüber.

Im dritten Szenario steht Lean Management als Führungsmodell im Vordergrund. Den meisten Managern ist Lean bekannt und in vielen Branchen, allen voran in der Automobilindustrie, eingeführt und gängige Praxis. Deshalb wird die Darstellung der Grundlagen von Lean Management auf das für das Verständnis Notwendigste beschränkt. Ein Verweis auf andere Fachbücher ist bei Lesern in der Regel nicht sonderlich beliebt (dann muss ich das Buch auch noch erwerben …), muss aber notwendigerweise erfolgen. Der Grund, warum das vorliegende Fachbuch auch für Manager interessant ist, liegt in dem Umstand, dass das Thema „Unternehmensführung“ im Vordergrund steht. Dem Shopfloor-Management wird demgegenüber relativ weniger Beachtung geschenkt.

Bei der Bewertung von Lean Management in der Unternehmenspraxis sind zwei grundsätzliche Modelle anzutreffen. Das eine könnte man als Lean Management „Light“ bezeichnen und die andere Variante basiert auf einer speziellen Unternehmensphilosophie, die alle Denk- und Handlungsmuster in Richtung Lean leitet.

In der Praxis ist Light-Variante wesentlich häufiger anzutreffen als die in diesem Buch beschriebene Variante. Besucht man ein Unternehmen, welches Lean Management „Light“ realisiert hat, erhält man den Eindruck, dass alles „stimmt“: 5S, Zoning, Kanban, Just-in-Time, Visualisierung der Kennzahlen in allen Abteilungen, selbst ein War Room (obeya) ist vorhanden. Von Kulturveränderung ist aber kein Ansatz zu entdecken, allenfalls Lippenbekenntnisse der Manager.

Die mit dieser Lean-Variante verbundenen Risiken scheinen überschaubar. Im Grunde wird Lean als ein Methodenbaukasten verstanden, der richtig angewendet zu bemerkenswerten Verbesserungen der Schlüsselkennzahlen führen kann. Grund der Einführung ist oft die Forderung von Kunden (z. B. Anforderung der Hersteller in der Automobilindustrie an deren Zulieferunternehmen), ein neuer CEO, der von der Erfolgen von Lean-Unternehmen beeindruckt ist, oder ein Beratungsunternehmen, welches dem Trend der Zeit folgt und dem Kunden zur Einführung rät.

Wer Lean als Methodenbaukasten betrachtet (es gibt im Lean Management mehr 50 Instrumente und Methoden) und ständig nach Checklisten, Methoden und How-To-Anweisungen sucht, hat Lean allerdings nicht verstanden. Lean ist eine Unternehmensphilosophie, die auf der Basis einer ausgeprägten und tiefgreifenden Unternehmens- und Führungskultur beruht. Instrumente und Methoden sind nur Mittel zum Zweck und werden nach Bedarf genutzt und auf die jeweilige Aufgabenstellung hin zugeschnitten. Wer dies nicht begriffen hat, geht das Risiko ein, dass Wettbewerber, welche Lean nicht nur in der Light-Variante umgesetzt haben, „das Rennen machen“, und damit mittel- bis langfristig die Marktposition auf dem Spiel steht.

Lean Management ist kein Methodenbaukasten, sondern eine Unternehmensphilosophie. Instrumente und Methoden sind nur Mittel zum Zweck.

In Kapitel vier wird Lean Management in der „echten“ Variante vorgestellt. Hierbei geht es nicht um den operativen Aspekt des Lean Management. Vielmehr soll das Führungsmodell vorgestellt werden. Damit wird dem Manager eine Vorstellung davon gegeben, wie das Unternehmen im Sinne der Lean-Philosophie umgebaut werden kann.

Im ersten Abschnitt des Kapitels wird dargestellt, wie eine überzeugende Vision für das Unternehmen entwickelt und in Unternehmensziele übersetzt werden kann. Hierzu wird eine Methodik angewendet, die unter dem Begriff Hoshin Kanri (Policy Deployment) bekannt ist. Diese geht wesentlich weiter als Management by Objectives oder die Balanced Scorecard und beinhaltet die durchgängige Festlegung und Detaillierung der Ziele für jede Hierarchieebene bis hinunter zu jedem einzelnen Mitarbeiter. Der Prozess der Zieldefinition beinhaltet eine vertikale Abstimmung (Abstimmung der Führungsebenen von oben nach unten, aber auch von unten nach oben) und einer Abstimmung zu vorgelagerten und nachgelagerten Funktionen (horizontale Abstimmung der Ziele). Hoshin Kanri ist damit Management by Objectives und der Balanced Scorecard deutlich überlegen.

Eine der größten Schwächen von Management by Objectives ist, dass der Weg zum festgelegten Ziel weitgehend dem verantwortlichen Manager überlassen ist. Dieser wird das Ziel (fast) immer erreichen (Sie bekommen, was Sie messen). Im Lean Management hingegen wird der Weg zum Ziel mit Prozesskennzahlen gesteuert, da es (im Sinne der gesamtunternehmerischen Ziele) auf das Wie der Zielerreichung ankommt. Auch hier erweist sich Lean Management als ganzheitlicher Ansatz, der auch den Weg zum Ziel aktiv steuert.

Die geschilderte, differenzierte und wertorientierte Vorgehensweise bei der Zieldefinition und Umsetzung erfordert über die bekannten Kennzahlen hinaus weitere Informationen, welche z. B. den Wertbeitrag einer geplanten Veränderung oder das Ausmaß von Verschwendung quantifizieren. Diese Informationen sind vor allem nicht in aggregierter Form größere Funktionseinheiten im Unternehmen betreffend erforderlich, sondern bis auf die Ebene der operativen Tätigkeiten. Damit ist es möglich, dem anfangs geschilderten Ideal einer Echtzeitdetektion und -steuerung von Planabweichungen und Problemen sehr nahe zu kommen.

Ein weiterer Aspekt von hoher Bedeutung im Lean Management ist die Synchronisierung der Erstellung von Produkten und Dienstleistungen mit der Kundennachfrage. Der Manager, der jemals Just-in-Time in einem Produktionsunternehmen planen und realisieren musste, weiß genau, wovon die Rede ist. Ohne Lagerbestände nach Just-in-Time-Anforderungen zu produzieren, ist die Kür des Lean Management im Shopfloor. Hierfür sind Kennzahlen erforderlich, welche den Takt für die Steuerung der Produktion mit der Kundennachfrage definieren.

Lean Management als Unternehmensphilosophie erfordert einen anderen Managertypus als das „klassische“ Management. Der Anweisung gebende und kontrollierende Manager hat in einem Lean-Unternehmen keinen Platz. Gefragt ist der Coach und Mentor, welcher seine Mitarbeiter bei der selbstständigen Lösung von Problemen unterstützt und trainiert, der eine aktive Rolle in der ständigen Verbesserung der Prozesse einnimmt und alle Hindernisse beseitigt, die seine Mitarbeiter an einer effektiven Erfüllung ihrer Aufgaben hindern. Der Manager hat damit keine „Macht“ im klassischen Sinn mehr, sondern die Aufgabe besteht im Befähigen und Ermöglichen.

Die Chancen dieses Führungsmodells sind in der Fachwelt unbestritten und die Empirie weist die Erfolge in aller Deutlichkeit nach (Bild 2.2, Bild 2.3).

Bild 2.2 Marktkapitalisierung im Jahr 2014, Toyota im Unternehmensvergleich in Mio. EURO (Quelle: onvista 2015)

Bild 2.3 Rendite pro Auto im Jahr 2014 von Toyota im Unternehmensvergleich (Quelle: CAR Center 2014)

Typische Kommentare gegenüber diesen Zahlen sind: Ja, Toyota … über 50 Jahre Erfahrung mit Lean Management (trifft zu), hat Lean Management erfunden (trifft nur teilweise zu), liegt an der japanischen Kultur, die auf westeuropäische Verhältnisse nicht übertragbar ist (trifft definitiv nicht zu). Eine weitere typische Reaktion ist der Hinweis auf die spektakuläre Rückrufaktion von Toyota in den USA wegen angeblich klemmender Gaspedale mit dem eklatanten Reputationsverlust. In einer klein gedruckten Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11. August 2010 war Folgendes zu lesen: „Das vorläufige Ergebnis aus dem Bericht der Verkehrssicherheitsbehörde (NHTSA): Letzten Endes waren an den meisten Unfällen wegen angeblich unfreiwilliger Beschleunigung wohl die Fahrer selbst schuld. In mindestens 35 von 58 Unfällen traten die Fahrer überhaupt nicht auf die Bremse. In den anderen Fällen bremsten sie nur halbherzig.“ Es drängt sich die Vermutung auf, dass die Rückrufaktion von Wettbewerbern hochgespielt wurden, um einem missliebigen Konkurrenten zu schaden.

Es gibt also keine „Ausrede“, warum die Veränderung zu einem echten Lean Management nicht begonnen werden sollte. Selbstverständlich gibt es Risiken. Ein Unternehmen zu verändern, erfordert ein umfassendes Change Management mit dem Risiko des Scheiterns. Die Konsequenz des Scheiterns wären finanzielle Verluste und ein negatives Image. Hinzu kommt, dass die erforderlichen Veränderungen in fast allen Fällen mehr Zeit benötigen, als die Zeitdauer der Präsenz eines Managers im Unternehmen. Wenn die personenbezogene Kontinuität der verantwortlichen Manager nicht gegeben ist, kann eine Veränderung zu Lean wahrscheinlich nicht gelingen.

Die Frage, die sich aus der Betrachtung des Risikos bei der Umsetzung von Lean Management ergibt, ist: Wie kann Lean Management im Unternehmen eingeführt werden? Patentrezepte gibt es nicht. Zu verschieden sind Branchen, Unternehmen und deren organisatorische und personelle Strukturen. Es gibt jedoch eine empfehlenswerte Vorgehensweise, die sich in der Praxis bewährt hat und zumindest wesentliche Voraussetzungen und Prinzipien des Change Management bei der Lean-Einführung beschreibt (Kapitel fünf).

Auch in diesem Kapitel sollen dem Leser die Chancen und Risiken, mit denen im Rahmen eines Umsetzungsprozesses zu rechnen ist, nicht vorenthalten werden. Jeder Manager kennt die informellen Strukturen gewachsener Unternehmen (glücklich der Manager, der ein Unternehmen „auf der grünen Wiese“ aufbauen darf), die „Seilschaften“ im mittleren Management, die Egoismen mancher Führungskräfte und die Veränderungsresistenz mancher „altgedienter“ Abteilungsleiter. Diese „Hindernisse“ zu überwinden, wird nicht in jedem Fall gelingen. Der Verfasser hat auch schon erlebt, wie Unternehmensübernahmen hoffnungsvollen und gut verlaufenden Realisierungsprojekten ein jähes Ende bereitet haben.

Dennoch sollte sich der Leser nicht entmutigen lassen und sich nicht bereitwillig den bestehenden Strukturen unterwerfen. Ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Wege zu beschreiten, die zu einem wirtschaftlicheren, für Kapitalgeber attraktiveren und nicht zuletzt menschlicheren Unternehmen führen, ist die nobelste Herausforderung, der sich ein Manager stellen kann.

Da nicht alle Begriffe für jedermann geläufig sind, ist hinten noch ein Glossar angehängt, das Ihnen kurz die wichtigsten Begriffe des Lean Managements erläutert.

Literatur

CAR Center Automotive Research/Universität Duisburg-Essen. Zitiert nach Quelle:http://www.welt.de/wirtschaft/article118779825/So-viel-verdienen-die-Autohersteller-pro-Fahrzeug.html. Aufgerufen am 15.8.2015   

Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Entlastung für Toyota Studie: An tödlichen Unfällen waren oft Fahrer schuld. 11. August 2010   

Onvista: http://www.onvista.de/aktien. Aufgerufen am 4.7.2015    

3Szenarien der Innovation

Bild 3.1 Kapitelübersicht

In diesem Kapitel werden verschiedene Optionen darüber vorgestellt, wie ein Unternehmen geführt werden kann. Den Anfang macht ein Führungsmodell, welches vielfach eingeführt ist und als „bewährt“ gilt: Management by Objectives. Dem soll ein mehr oder weniger „radikales“ Führungsmodell gegenübergestellt werden: ein Unternehmen ohne Manager. Den Abschluss bildet eine scheinbare Variante von Lean Management, welche bei genauerem Hinsehen zwar kein Lean Management ist, aber auf den ersten Blick den Anschein erweckt.

Ziel dieses Kapitels ist das Aufzeigen des Spektrums möglicher Ansätze zu einem Führungsmodell für Unternehmen. Besonderer Wert wird dabei auf die Herausarbeitung der Chancen und Risiken gelegt. Am Ende des Kapitels ist die Frage zu beantworten, ob hinter diesen Szenarien der Innovation Ansätze stehen, welche geeignet sind, Unternehmen langfristig und dauerhaft zum Erfolg zu führen.

3.1  Management-„Kosmetik“ mit Werkzeugen und Methoden

Besonders beliebt bei Managern sind Werkzeuge und Methoden. Ist die Methode erst verstanden und wird sie in der Anwendung beherrscht, verändert sich das Unternehmen in die gewünschte Richtung. Ein Werkzeug oder eine Methode ist aber nichts anderes als z. B. eine Kamera für einen Fotografen. Der Fotograf verwendet eine Kamera, um damit seine Ideen von einem guten Foto umzusetzen. Sieht man sich hingegen die Werbung der Kamerahersteller an, so glauben wir, dass man mit der beworbenen Kamera gute Fotos machen kann. Der Fotograf Andreas Feininger hat einmal gesagt, er kenne einen Amateurfotografen, der eine umfangreiche Fotoausrüstung von hoher Qualität und beachtlichem Wert besäße. Er habe aber noch nie ein ansehenswertes Foto von diesem Fotografen gesehen. Er kenne aber auch einen Profifotografen, der nur zwei Kameras besäße, damit aber Weltklassefotos machen würde (Feininger 1965, S. 50).

Machen wir diesen Fehler beim Kauf einer Kamera, hält sich der „Schaden“ in Grenzen. Im Unternehmen führen Werkzeug- und Methodengläubigkeit allerdings oft zu falschen Entscheidungen und weitreichenden Konsequenzen.

3.1.1  Management by Objectives ‒ Sie bekommen, was Sie messen

Management by Objectives hat den Charme eines relativ einfach einzuführenden Führungsmodells, welches weit verbreitet ist und sich in der Praxis zu bewähren scheint. Die Vorgehensweise ist nach klassischer Lehrbuchumsetzung wie folgt (in Anlehnung an Hugenberg/Wulf 2004, S. 338 ff.):

Der erste Schritt dieser Führungstechnik ist die Vereinbarung gemeinsamer Ziele zwischen Führungskraft und den zugeordneten Mitarbeitern. Die Struktur der Zielkaskadierung ist dabei unidirektional von oben nach unten. Abgeleitet aus den übergeordneten Unternehmenszielen werden Ziele für die jeweils darunter liegende Führungsebene definiert, vereinbart und für einen festgelegten Zeitraum (in der Regel ein Geschäftsjahr, möglich sind aber auch Zwischenziele mit kürzeren Zeiträumen) fixiert und dokumentiert.

Wird dieser Prozessschritt „nach Lehrbuch“ durchgeführt, dann genügen die Ziele folgenden Anforderungen:

Ziele sind:

realistisch,

marktorientiert,

differenziert,

ebenenorientiert,

mit Konsequenzen verbunden.

Die Zielformulierung umfasst:

Inhalt (Beschreibung des Ziels, ggf. Definition einer Kennzahl),

Ausmaß (Quantifizierung des Zielerreichungsgrads, soweit möglich),

Zeitpunkt(e) (für die Erreichung des Ziels und ggf. von Zwischenzielen).

Ein Blick in die Praxis bei Betrachtung so mancher Zielvereinbarung lässt gewisse Zweifel aufkommen, ob diese Anforderungen berücksichtigt wurden.

Eine weitere wichtige Forderung des Management by Objectives ist die Einbindung des Mitarbeiters in den Zielbildungsprozess. Ziel ist es hierbei, den Mitarbeiter weder zu überfordern noch zu unterfordern. Damit soll ein hohes Maß an Motivation beim Mitarbeiter bewirkt werden.

Management by Objectives in einer Unternehmensberatung