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Geschichten unserer Grossmütter begleiten uns ein Leben lang. Die ehrenwerte Frau Rauber war Teil dieser ewigen Tradition und gab ihre Erzählungen weiter. Diese wurden sorgsam gesammelt, katalogisiert und niedergeschrieben, um sie mit einer neuen Generation zu teilen. Tauchen Sie ein in die wundersame Welt der Schweizer Sagen. Alle Geschichten in diesem Buch sind wahr, solange man sie nur glauben will.
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Seitenzahl: 68
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Vorwort des Erzählers
Vorwort des Schreibers
De brännendi Fuhrmaa
De Milchrieme
Prinzessin Chrüzliberg
De Schniider vo Riifelde
De Franzoseweiher bi Spreitebach
S Schwert vo de Mengis
D Schwarzgoldkünschtler us Venezie
Türst und Sträggele
s Fingerfäld vo Wettige
d Pestmannli
Stadt vo de bäder
D Hookler
D Herre vo Erlache und ere Hundegrabe
D Sebastiani-Bruederschaft
D Wettiger Gränze
De Styfeliriiter
Hungerstei
Die unsterblich Bruederschaft vom Rüsstal
De Gauner Bernhard Matter
De Chriegsmaagrabe
Die wiissi Frau vo Tägerfälde
D Habsburg
S Ammetier vo Aarau
Muettermilch und Königsstei
Stollewürmer
Helvetischi Geischterzüüg
Dr bösi Zwingherr vom Egelsee
De Rudolf vo Habsburg
D Schlangeköniginne
Füdlischliifete vo Länzburg
D Chornängel vom Seetal
Schloss Besserstei
Gfrüürchruut
D Kybele vo Länzburg
De Wanderfranke
De Lindegiiger uf em Ruckfeld
Geschichten leben, weil man sie erzählt.
Von Generation zu Generation weitergegeben, werden Geschichten nahezu unsterblich und erlauben uns einen seltenen Einblick in unsere Vergangenheit.
Ich hatte das Glück, Teil einer solchen Tradition des Erzählens zu sein: Seit ich denken kann, lehrte meine Grossmutter Ruth Rauber mich die Geschichten ihrer Familie, mit der Erwartungshaltung, dass ich sie dereinst an meine Nachfahren weitergebe.
Da einige dieser Erzählungen in keinen anderen Sagenbüchern zu finden sind, halte ich sie für zu kostbar, um sie in einer einzigen Blutlinie festzuhalten. Stattdessen möchte ich meinen Schatz an Erzählungen mit allen teilen, die Freude an solchen Legenden haben.
Um der Erzählertradition gerecht zu werden, erzählte ich also die Legenden und Lügen der Rauber weiter an meinen engsten Vertrauten Reto Buchmann, der aussortierte, was im Volksmund bereits altbekannt ist, und die Glanzstücke für die Leserschaft zu Papier brachte.
Der Leser ist herzlich eingeladen, in einem passenden Moment diese Geschichten weiterzuerzählen.
Eine grössere Ehre könnte er ihnen nicht erweisen.
Philipp Danzeisen
Die Schweiz ist voll mit Mythen und Legenden, welche leider oft von bekannteren Geschichten wie Grimms Märchen aus dem Rampenlicht gedrängt werden.
Darum war ich hocherfreut, als mein Bruder von anderen Eltern mit dem Projekt zu mir kam, die Erzählungen seiner Grossmutter zu verschriftlichen. Natürlich kam ich nicht umhin, meine eigenen Nachforschungen anzustellen und einige der Legenden in dieser Sammlung sind durchaus bekannte Geschichten oder leihen sich gewisse Namen und Themen aus. Ich war aber angenehm überrascht, auch solche zu hören, die selbst nach längerem Suchen nirgendwo anders zu finden waren und wohl wirklich original von der ehrenwerten Frau Rauber stammen – so zum Beispiel die Erzählung der Hookler.
Sollten aufmerksame Leser historische oder logische Ungereimtheiten feststellen, dann sind diese beabsichtigt. Mein Ziel war es, die Geschichten so zu erzählen, wie Philipp diese in Kindeszeiten bekommen hat.
Ob nun die Geschichtsschreibung oder die Frau Rauber falsch liegt, das weiss nur die Hexe Sträggele. Und die Sträggele fragt man nicht. Ich vertrete die Meinung, dass beide Recht haben.
Reto Buchmann
Niemand mag Tierquäler. Selbst der liebe Gott, der uns seine Kreationen geschenkt hat, wird zornig, falls jemand die Hand in Wut gegen die Schöpfung erhebt. Heute ist die Reuss1 gezähmt und nur die Stromschnellen, die auch geübte Schwimmer vermeiden sollten, erinnern uns daran, dass das Reusstal früher ein schlammiger Ort mit wildem Wasser war. Brücken gab es nur wenige und so mussten sich Fuhrmänner mühsam die wenigen Furten suchen, wo man es wagen durfte, den Fluss zu überqueren.
Einst war ein junger Gesell mit seinem Karren in einer dunklen Herbstnacht unterwegs. Er hatte sich in der Zeit verschätzt und das nächste Dorf lag noch Stunden entfernt, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Der Mond erhellte den Wald nur ein bitzeli2 und in der Dunkelheit wirkten die Äste der baumlosen Blätter wie Hexenfinger. Angst packte sein Herz, doch er wusste, dass er die Ladung Bierfässer zeitig abliefern musste, sonst würde ihm sein Lehrmeister mit der Rute das Fürchten lehren. Er trieb die beiden Ochsen mit einem Schnalzen der Zunge an, doch die gemütlichen Tiere liessen sich davon nicht beeindrucken.
Von Weitem hörte er über das Knistern des Laubes und die Schreie der nächtlichen Tiere das Rauschen der tobenden Reuss. Es hatte am Vortag geregnet und dies war die einzige Furt weit und breit, von welcher der Gesell wusste, dass man sie überhaupt überqueren konnte. Ihm wurde bang ums Herz, als er vor sich die schlammige Furt erblickte, die regelmässig vom Wasser überspült wurde. Der junge Mann sprach ein Stossgebet und trieb die Ochsen samt Karren vorwärts, doch es kam, wie es kommen musste und die Räder sanken wegen der schweren Last so tief ein, dass selbst die mächtigen Muskeln der Tiere nichts bewirken konnten.
Sein erster Gedanke war es, zur Geissel zu greifen und die Munis3 zu traktieren, doch als er zum ersten Hieb ausholte, bekam er ein schlechtes Gewissen – war es doch seine Schuld und nicht die der Tiere, dass sie hier feststeckten.
Der Gesell legte die Peitsche weg und sprang vom Fuhrbock ins knietiefe Wasser. Das eiskalte Nass liess ihn erschauern, aber er packte die Speichen der grossen Räder und mit einem „verreckte Cheib4!“ spannte er die Muskeln an. Leider waren die Räder zu tief im Schlamm eingesunken und die Ochsen muhten ihre Panik in die Nacht hinaus, denn sie fürchteten hier zu ertrinken. Er watete durch den Strom zu ihnen, sprach ihnen Mut zu und rieb ihre Schnauzen.
Der Gesell erstarrte, als er hinter dem Karren im Wald seltsame Feuer lodern sah und das Herz wollte ihm in die Hose rutschen, denn die Gestalt eines brennenden Mannes kam zwischen den Bäumen hervor. Seine Haut war pechschwarz verkohlt und die Augen glühten wie Kohlestücke. Trotz der Hitze, die von ihm ausging, fing die Natur um ihn herum kein Feuer. Die Flammen brannten sogar weiter, als er zu ihm ins Wasser stieg und wortlos anpackte, um den Karren ans nächste Ufer zu hieven.
Der höllische Neuankömmling grochste5 und schnaufte, knurrte und zerrte so fest, dass der Fuhrmann befürchtete, der seltsame Helfer würde seine Muskeln zerreissen. Überrumpelt wusste der Gesell nicht, was sagen und konnte nur, gefesselt von der Angst, zusehen, wie der brennende Mann seinen Wagen unter grossen Anstrengungen befreite. So schnell das ganze passiert war, war es auch wieder vorbei und die angsterfüllten Ochsen standen samt ihrem Anhang auf dem Trockenen. Der brennende Mann blieb vor dem jungen Mann stehen, nickte und streckte ihm die Hand entgegen.
Fast hätte der Gesell eingeschlagen, doch der Verstand meldete sich glücklicherweise früh genug. Er sah im verkohlten Gesicht des höllischen Geistes, welche Qualen dieser unter der Hitze litt. Damit der Fuhrmann sich den Topen6 nicht verbrennen würde, ergriff er einen Stecken vom Boden und reichte diesen dem Feuerphantom, welches ihn schüttelte wie eine Hand und im Unterholz verschwand. Für einige Herzschläge flackerten noch die Flammen des gepeinigten Körpers in der Nacht, dann war nichts mehr zu sehen.
Als der Gesell wieder alleine mit seinem Ochsenkarren im Walde stand, sprang er auf den Fuhrbock und als ob der Leibhaftige hinter ihnen her wäre, stampften die Tiere zum nächsten Dorf, wo er dem Wirte, dem er die Fässer auslieferte, die Geschichte erzählte. Der Gesell erwartete, ausgelacht zu werden, doch der alte Mann nickte wissend. Dies sei der Geist eines bösen Fuhrmannes gewesen, erklärte er mit der Pfeife im Mund. Wer in der Reuss stecken bleibe und lieber zur Geissel greife, um die Ochsen zu peinigen, als abzusteigen und zu helfen, der würde nach dem Tode zum brennenden Fuhrmann werden. Der liebe Gott habe ihn bestraft mit Flammen direkt aus der Hölle, die nimmer gelöscht werden könnten. Der Gesell schluckte leer und blickte auf die schwarzen Handabdrücke, welche der brennende Mann auf seinen Speichen und dem Wagen hinterlassen hatten. Seiner Lebtag wollten diese weder durch Farbe noch Sand verschwinden, aber er weigerte sich, den Wagen zu wechseln, um sich auf ewig daran zu erinnern, dass er die Tiere zu ehren und pflegen habe.
Wenn man mitten im Wald unterwegs ist und ein altes Holzstück findet, auf dem ein eingebrannter Handabdruck prangt, dann war das wohl auch wieder ein braver Fuhrmann, der sich seinen Topen nicht verbrennen wollte.
1 Fluss im Aargau, Schweiz
2 Schweizerdeutsch: ein bisschen
3 Schweizerdeutsch/allemannisch: Zuchtstier
4 Umgangssprachliches Fluchwort für Unzufriedenheit. Wörtlich: „gestorbener Kerl“, zu verstehen als „verdammter Kerl“
5 Schweizerdeutsch: grunzen wie ein Tier
6 Schweizerdeutsch: umgangssprachlich Hand