Leib Jesu - Stefan Michaeli - E-Book

Leib Jesu E-Book

Stefan Michaeli

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Beschreibung

Wie lange soll das noch so weitergehen? Evangelikale Gemeinden sind hierzulande viel zu oft alles andere als eine Erfolgsgeschichte! Ein paar wenige blühen zwar noch, die Mehrzahl jedoch serbelt dahin oder geht gleich ganz unter. Wollen wir - sehenden Auges - dieses Elend ewig so fortsetzen? Könnte es sein, dass wir womöglich das Gemeindeverständnis, welches Jesus den Aposteln mit auf den Weg gab, nicht kapiert haben? Könnte tatsächlich! Absolut erstaunlich: Wir haben einen wesentlichen, ja sogar unverzichtbaren Aspekt von "Gemeinde" bisher einfach nicht zur Kenntnis genommen, obwohl er an vielen Stellen im Neuen Testament klar und deutlich beschrieben wird. Wie konnten wir dies bloß fortwährend übersehen? Es wird Zeit, jetzt endlich mal richtig hinzuschauen. Unsere Gemeinden sollten es uns wert sein! Denn nur ein komplettes Gemeindeverständnis, das vollumfänglich der biblischen Vorgabe entspricht, kann gesunde, wahrhaft "biblische" Gemeinden generieren!

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Seitenzahl: 486

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Autor:

Stefan Michaeli ist Theologe und war Gemeindepastor in mehreren freikirchlichen Gemeinden im südlichen Deutschland. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Er publiziert zum Selbstschutz unter einem Künstlernamen.

Der Autor steht gerne für Predigten, Referate, Schulungen oder Autorenlesungen zur Verfügung. Gerne kann mit dem Autor Kontakt aufgenommen werden unter: [email protected] oder über seine Webseite: stefanmichaeli.weebly.com.Über die Webseite können auch weitere Bücher des Autors bestellt werden.

Von Stefan Michaeli liegen bisher vor:

»Erbärmliche Gemeinden«(2005/2020)

»Hundertachtzig Grad verkehrt«(2020)

»Jesus provoziert!«(2021)

»Weihnachten, wie’s im Buche steht«(2023)

»Nur die Bibel!«(2023)

»Placebo-Glaube«(2025)

»Leib Jesu«(2025)

All denen gewidmet,

die der Bibel noch zutrauen,

die eine oder andere Überraschung zu enthalten.

Inhalt:

1. Bestandsaufnahme

2. Die „verlorene Theologie“

3. Die Quelle

4. Realpräsenz Jesu

5. Jesus besser verstehen

6. Die Apostel besser verstehen

7. Konsequenzen

8. Anwendungsversuche

9. Was nun?

Anhang: Weitere Bibelstellen

Jesus / Evangelien

Apostelgeschichte

Paulus

Petrus, Johannes, Jakobus

Hebräerbrief, Judasbrief

Offenbarung

1. Bestandsaufnahme

Unser „christliches Abendland“ hat ausgedient. Fast überall sonst auf der Welt wachsen die Gemeinden, finden geistliche Aufbrüche statt und manifestiert sich Jesus sichtbar und spürbar - außer bei uns in Europa. Zwar glauben hierzulande immer noch einige, dass wir in Deutschland zumindest theologisch noch tonangebend wären, aber geistlich sind wir nicht nur erfolglos, sondern für den Rest der Welt schlicht bedeutungslos geworden.

Auch wenn wir’s nicht wahrhaben wollen.

Die geistlich logische Konsequenz daraus wäre dann die Abwesenheit Gottes. Und tatsächlich überfällt mich in manchen deutschen Kirchgemeinden der Eindruck, dass seine Abwesenheit und damit einhergehend auch die Abwesenheit des Heiligen Geistes fast schon mit Händen greifbar ist.

Aber so etwas darf natürlich nicht laut gesagt werden. Stattdessen proklamieren wir, die „Evangelikalen“ und „Bibeltreuen“, umso überzeugter den anwesenden, handelnden und segnenden Gott; wir erzählen selbstbewusst von Erlebnissen mit ihm und schildern frohgemut eine Segnung nach der anderen, allesamt durch ihn höchstpersönlich dargebracht. Irgendein Merkmal seiner Gegenwart, und sei es ein zum „Wunder“ hochstilisiertes, aber in Wirklichkeit eher banales Alltagserlebnis, lässt sich immer herbeireden. Unbeirrbar proklamieren wir seine Präsenz und gehen mit der sturen Gewissheit durch den Alltag, dass Gott ganz nahe bei uns sei und Jesus sich Tag für Tag unmittelbar und untrennbar an unserer Seite befinde.

Fakt ist aber: Jesus ist woanders tätig. Nicht bei uns, nicht im „christlichen Abendland“, nicht in Deutschland. Um das zu sehen, braucht es keine prophetische Gabe und keinen hochgeistlich geschulten Durchblick. Es ist absolut offensichtlich und problemlos erkennbar. Denn inzwischen sind wir weltweit so gut vernetzt, dass jedermann das ohne viel Aufwand zur Kenntnis nehmen kann.

Falls er das will.

Stört uns das irgendwie? Macht das hierzulande irgendjemanden betroffen oder nachdenklich? Oder haben wir uns einfach damit abgefunden; sich selbstgenügsam und selbstzufrieden um uns selbst drehend?

Oder haben wir vielleicht sogar ein wenig vergessen, um was es beim „Christsein“ eigentlich geht, was der eigentliche Kern der Sache wäre?

Ja, worum geht’s denn?

Das ist ja nun aber kein Geheimnis. Eigentlich ist es Stoff der allerersten Unterrichtsstunden aus dem Kindergottesdienst. Es geht ganz einfach und simpel darum, dass Menschen für Gott gewonnen werden.

Natürlich als erstes wir selber. Ich persönlich muss erst mal für Gott gewonnen werden. Aber das ist nur der Einstieg zum Eigentlichen. Sobald ich selbst meine Hinwendung zu Gott gemacht habe, kann ich erkennen und verstehen, worum es auf dieser Welt und im Leben wirklich geht; wenn ich selbst für Gott gewonnen bin, verstehe ich sein allem übergeordnetes Ziel: Möglichst viele Menschen sollen für ihn „zurückgewonnen“ werden.

Nur ganz am Anfang geht es tatsächlich um mich. Sobald ich aber für Gott gewonnen bin und nun auf seiner Seite stehe, geht es sofort und in oberster Priorität um all die anderen, die auch für Gott gewonnen werden sollen.

Falls wir das versehentlich mal eben aus den Augen verloren haben sollten, nochmal kurz zur Erinnerung:

Als „Christen“, also als „Nachfolger des Christus“, sollten wir Jesu Werk fortsetzen. Jesus kam bekanntlich in die Welt, um genau das zu ermöglichen, worum es seinem Vater, also Gott, in allerhöchster Dringlichkeit geht: Menschen für sich zu gewinnen, sie also zu „retten“, sie in sein Reich einzuladen, sie zurück zu ihm, dem Vater, zu holen. Das war auch seines Sohnes Ziel; Jesu Sendung, Jesu Priorität. Und es war außerdem der einzige Grund seines Kommens; nur deswegen kam Jesus überhaupt zu uns auf die Erde.

Seine Nachfolger - also wir, die „Christen“, die „nach seinem Namen (!) genannt sind“ - sollen nun genau das fortsetzen. Genauso wie Jesus da war, um Menschen zu retten, sind jetzt wir da, um Menschen zu retten. Genauso wie es Jesus getan hat, nach seinem Vorbild und in seinen Auftrag. Einfach weitermachen, was Jesus zu Erdenzeiten getan hat. Sein Werk fortführen, seine Sendung zu unserer Sendung machen. Das drückt schon die Bezeichnung „Nachfolger“ aus.

„Wie du mich gesandt hast in die Welt, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Johannes 17,18). Mit diesen Worten bestätigt Jesus unsere Beauftragung. Übrigens gegenüber keinem geringeren als Gott höchstpersönlich. Er bestätigt seinem Vater, der ihm den Auftrag gegeben hat, dass er diesen Auftrag hiermit „eins zu eins“ weitergibt: Seine Nachfolger sind jetzt genauso wie er „in die Welt gesandt“. Deshalb kann er in den Himmel zurückkehren, denn der Auftrag – sein Auftrag, den er von Gott, seinem Vater, höchstpersönlich erhalten hat – wird ja weitergeführt. Der Auftrag, der schlicht und simpel darin besteht: Menschen für Gott zu gewinnen. Nur darin. Nix anderes.

Und folgerichtig teilt er das dann auch seinen Nachfolgern, also auch uns, mit: „Wie mich der Vater gesandt hat, sende ich euch!“ (Johannes 20,21). Genauso wie er: dieselbe Sendung, derselbe Auftrag.

Das ist die Basis, die Ausgangsposition für Nachfolger: Darum geht es bei „Nachfolge“, bei „Jüngerschaft“. Das wird oberste Priorität, übergeordneter Lebenssinn und Lebensinhalt ab genau dem Zeitpunkt, wenn jemand Jesus als seinen persönlichen Herrn und Retter erkennt und ihm sein Leben anvertraut. In diesem Augenblick wird dieser ein „Nachfolger“, ein „Jünger Jesu“, einer aus seinem Team. Einer also, dessen höchstes und wichtigstes Lebensziel ist, genau das umzusetzen, wofür Jesus sich selbst völlig hingegeben und im wahrsten Sinne des Wortes sein Leben eingesetzt hat: für die Rettung von Menschen.

***

„Menschenrettung“ ist also unser Auftrag als Nachfolger Jesu. Und zwar der vordringlichste, sozusagen der „Generalauftrag“. Darum hat sich das Leben eines Jüngers Jesu zu drehen. Stets und ausschließlich.

Man könnte das auch „permanent evangelistischer“ oder „konsequent missionarischer“ Lebensstil nennen – aber diese Begrifflichkeiten sind inzwischen so oft zitiert, beschworen und zustimmend abgenickt worden, dass sie sich längst abgegriffen haben. Deswegen gehe ich lieber sparsam mit solch hohlgenutzten Begriffen um. Auch wenn sie zutreffen.

Dieses oberste Ziel, nämlich Menschen zu Gott bringen, bestimmt nun also das Leben eines Christen. Genauso wie es Jesu Leben völlig bestimmt hat. Jeden Tag und in jeder Situation. Genauso bestimmt das also jetzt auch das Leben all seiner „Nachfolger“, jederzeit und überall. Übergeordnet und vorrangig. Oberste Priorität eben, genauso wie bei Jesus. Denn der Christ steht ja jetzt in Diensten dieses Jesus, hat ihm sein Leben – und damit auch seinen Lebenssinn, seine Lebensziele und seine Lebensgestaltung – anvertraut, ihm vollständig übergeben. Er wurde dadurch eben zum „Nachfolger“!

Das meint natürlich nicht, dass ein solcher Nachfolger deshalb völlig lebensfremd werden müsste. Eine „oberste Priorität“ im Leben zu haben, bedeutet durchaus nicht, dass es keine anderen wichtigen Aufgaben mehr anzupacken gäbe. Eine „oberste Priorität“ impliziert ja automatisch, dass es – allerdings nachgeordnet! – wohl auch noch andere Prioritäten gibt.

Also: Wir Nachfolger haben auch einen Beruf auszuüben; wir leben in und mit einer Familie; wir haben unsere Zeit zu planen, unsere Körperbedürfnisse sinnvoll zu stillen, unsere Umwelt und Kultur zu berücksichtigen, Gesetze einzuhalten und noch vieles mehr. Wir haben in dieser Welt zu leben! Und zwar bewusst und vernünftig.

Denn da, in dieser Welt, haben wir Aufgaben und Pflichten, die ernst zu nehmen sind und ausgeführt werden müssen. Aber diese sind eben nicht die „oberste Priorität“. Sondern: Wir führen alle diese Aufgaben, die uns das Leben und der Alltag stellt, auf dem Hintergrund dieser dringlichsten aller Aufgaben, dieses übergeordneten „Generalauftrags“, durch. Ja, wir ordnen sie alle selbstverständlich immer wieder dieser Lebensmaxime unter. Das heißt, wir gestalten unser Leben mit all seinen Herausforderungen und Pflichten immer so, dass der Auftrag Jesu dadurch nicht behindert oder verunmöglicht wird, sondern entweder „gleichzeitig“ oder wenigstens „trotzdem“, am besten aber „darin impliziert“ umgesetzt wird.

Das ist das ganz normale „Christsein“. Das war der normale Lebensstil eines Jüngers damals und ist genauso der eines Jüngers heute. Zumindest für alle diejenigen, die sich nach der klaren Berufung Jesu, die jedem seiner Nachfolger gilt, ausrichten. Ausgehend von seinem unmissverständlichen Sendungsbefehl, der uns – wie übrigens bei jedem „Befehl“ üblich! – in Pflicht nimmt: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ (Markus 16,15). Das tun wir natürlich ohne Wenn und Aber, weil wir begriffen haben, dass Jesu resignierter Seufzer „Was nennt ihr mich aber Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage?“ (Lukas 6,46) nicht etwa nur den damals anwesenden, sondern mit Sicherheit auch allen später noch nachfolgenden Jüngern (also uns!) gilt, sofern diese seine Prioritäten nicht berücksichtigen sollten. Und spätestens, wenn wir dann noch Jesu „Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte eingeht“ (Lukas 13,24) und „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: »Herr, Herr!« in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen meines Vaters im Himmel tun!“ (Matthäus 7,21) entdeckt haben, geht uns auf, dass es bei der Nachfolge Jesu eben nicht um eine fromme Ausprägung von „Ringelpiez mit Anfassen“ geht, sondern um alles! Um nichts weniger als um mein ganzes Leben, sowohl mein „Sein“ als auch mein „Tun“, und dies nicht nur umfassend, sondern völlig vereinnahmend. Es geht für Jesus-Nachfolger in allem und ausschließlich um diese oberste Lebens-Priorität: Menschen ermöglichen, zurück zu Gott zu finden. Und dies - nochmals sei’s betont - nicht nebenher, sondern als vordringlichste Lebensaufgabe überhaupt!

„Trachtet zuerst nach Gottes Reich!“ (Matthäus 6,33) beschreibt Jesus diesen Lebensstil, und mit der Ergänzung „… alles andere wird euch dann zufallen!“ markiert er unmissverständlich, dass dies als Prioritätensetzung zu verstehen ist.

Das ist erst mal – kurz zusammengefasst – das Grundlegende, die Basis, das Fundament, auf dem unsere Nachfolge aufbaut. Sofern sie denn ernst gemeint ist und sich an Jesus ausrichtet.

Aber eigentlich wussten wir das doch schon, oder? Ist ja – wie gesagt - ungefähr auf dem Niveau unserer ersten Sonntagschulstunden; das begreift doch jedes Kind, sofern man ihm das Fremdwort „Priorität“ erklärt. Und wir begreifen es auch. Natürlich. Selbstverständlich wissen wir das, und falls wir es mal kurzzeitig etwas aus dem Blick verloren haben sollten, wäre es jetzt wieder in unsern Fokus zurückgeholt.

Und da sollte es auch bleiben!

***

In meinem jahrzehntelangen Gemeindedienst hat sich meiner allerdings mehr und mehr der Verdacht bemächtigt, sich dass dieses grundlegende Verständnis von „Nachfolge Jesu“ nicht wirklich flächendeckend unter uns westlichen Christen durchgesetzt hat. Dass es mehr ist als „mal eben kurz vergessen“.

Fakt scheint mir vielmehr dies zu sein: Auch wenn uns dieses Verständnis von „Jesus als Herrn nachfolgen“ augenfällig und selbstverständlich auf fast jeder Seite des Neuen Testaments entgegenspringt, haben selbst wir Evangelikalen, die wir doch in der Regel so stolz darauf sind, die Bibel als unsere „Richtschnur im Leben“ zu bezeichnen, das nicht wirklich verinnerlicht! Geschweige denn bemühen wir uns ernsthaft, es nach bestem Wissen und Können umzusetzen.

Man braucht noch nicht mal einen ausgesprochen analytischen Blick, um festzustellen, dass sich die Prioritäten bei manchem wackeren Christen ganz gehörig verschoben haben und dass die oben genannte Priorität Nummer eins zumindest zeitweilig, zumeist jedoch dauerhaft und prägnant nach unten durchgesackt ist. Denn unser real existierender Lebensstil markiert im täglichen Vollzug durchaus, was uns wirklich wichtig ist. Und weil wir beileibe nicht inkognito leben, ist folglich auch beobachtbar, bei wem Jesus - inklusive sein wichtigstes Anliegen, also der „Hauptauftrag“ - tatsächlich Vorfahrt hat!

Darf ich es mal unverblümt aussprechen? Prioritätensetzung sieht bei uns ist in der Regel etwa so aus: Nummer eins ist die Familie, Nummer zwei Gesundheit und Wohlergehen und Nummer drei Geldverdienen. Und dann kommt vielleicht tatsächlich Jesus, Glaube und Gemeinde. Wobei das noch optimistisch eingeschätzt sein dürfte, denn dass Jesus und seine Sache gerne auch noch hinter Hobby, Urlaub und Ausschlafen auf Position sieben oder acht abrutscht, ist längst auch schon salonfähig in unseren Gemeinden.

Solche Prioritätensetzung wird unter uns Frommen weitestgehend nicht mehr kritisch hinterfragt. Von wem auch? Ein Lebensstil, bei dem die Jesus-Nachfolge de facto unter „ferner liefen“ in den Alltag eingebaut wird, hat sich als allgemein anerkannter „Level“ unter uns etabliert und wird ziemlich durchgehend toleriert. Wenn aber alle ihr „Christsein“ unisono so leben, wer soll‘ s dann noch hinterfragen?

Man könnte es auch so formulieren: Den meisten von uns genügt die eigene, persönliche Errettung völlig. „Hauptsache, ich komme in den Himmel! Und da ich ja „bekehrt“ bin, ist dies hiermit gesichert. Ergänzend dazu lasse ich mir ab und zu eine Prise „Heiligung“ im Sinne von ethischer und moralischer Gesinnungsveredelung angedeihen, wenn’s grad passt. Das dürfte ja bestimmt zur Sicherung meines persönlichen Himmelszutritts auch irgendwie noch dienlich sein. Ansonsten demonstriere ich meine Rechtgläubigkeit mit etwas Gemeindemitarbeit, wie das halt erwartet wird. Aber nur, solange die zu beglückende Gemeinde mir allsonntäglich einen fetten Lobpreis bietet und der Pastor nicht zu langweilig predigt sowie natürlich keinesfalls versucht, dabei persönlich zu werden.“

Eine solche Gesinnung ist klassisches „Ich-mich-meiner-mir!“, und darin erschöpft sich Christsein bei viel zu vielen von uns. Allerdings ist das keine „Nachfolge“, auch wenn wir uns „Nachfolger“ nennen; es ist auch keine Umsetzung des „Sendungsbefehls“, auch wenn wir diesen inbrünstig in unseren Bibelstunden (falls den solche überhaupt noch angeboten werden) durchdiskutieren, und es ist schon gar nicht „gesandt wie Jesus“. Denn der hatte nur eins im Sinn: die Rettung der Menschen.

Wir haben auch nur eins im Sinn: unsere eigene Rettung. Darum dreht sich unser „Christsein“. Und eine erdrückende Mehrheit von uns lässt sich satt und selbstzufrieden daran genügen.

Hier liegt der Hase im Pfeffer. Und zwar gründlich, denn es geht ja bei „gesandt wie Jesus“ um nichts weniger als um die Grundlage eines jesuskonformen Christseins schlechthin. Also um „Basics“, um das absolut Unverzichtbare! Um echte „Nachfolge“, um konkret gelebte Jüngerschaft eben. Denn nur Nachfolger, die tatsächlich Jesus nachfolgen, sind Nachfolger!

Wenn die Nachfolger nicht mehr nachfolgen, was dann? Dasselbe hat Jesus übrigens wortgleich mit dem Stichwort „Salz“ formuliert, nach Lukas 14,33+34 bezeichnenderweise mit direktem Bezug auf konsequent gelebte Jüngerschaft!

***

Was tun? Wen dieser Sachverhalt absolut nicht beschäftigt oder wenigstens etwas nachdenklich stimmt; wer das als selbstverständlich, als „leider nicht zu ändern“ und mit Schulterzucken hinnimmt oder sowieso mit seiner „Heiligung“ längst abgeschlossen hat, also zum Vornherein mit seiner Frömmigkeit bereits final zufrieden ist - der braucht hier nicht mehr weiter zu lesen. Ebenso all diejenigen, denen „verlorene Menschen“ nur noch als theologischer Terminus bekannt sind und die „Rettung durch Jesus“ ausschließlich auf sich selbst beziehen und als Synonym für „meinen persönlichen Freifahrschein in den Himmel“ betrachten. Denn: „Mitchristen“ dieser Kategorie ist in aller Regel auch völlig egal, dass – im Gegensatz zum Rest der Welt - hierzulande keine geistlichen Aufbrüche stattfinden; Jesus sich, wenn überhaupt, allenfalls marginal manifestiert und die allermeisten unserer Gemeinden saftlos vor sich hinserbeln.

Wer solcher biederen Selbstgenügsamkeit verfallen ist, darf hier getrost abbrechen, denn der Rest dieses Buches wird ihn mit größter Wahrscheinlichkeit durchgehend ärgern. Vermutlich noch stärker als bereits schon die bisherige Einleitung.

Mich allerdings beschäftigt dieses krasse Missverhältnis hierzulande zwischen der Nachfolge Jesu und unserer Bedeutungslosigkeit als dessen Zeugen schon seit langem, und zwar zunehmend und ziemlich existentiell. Fragen wie: „Woran liegt’s?“ „Woher kommt dieser katastrophale Level in unserem Lebensvollzug?“ „Könnte man daran etwas ändern?“ „Was könnte hier helfen?“ und „Wo ansetzen?“ haben mich in meinen ganzen pastoralen Dienst nie losgelassen.

Inzwischen meine ich, zumindest mal einen Schwachpunkt entdeckt zu haben, dessen Behebung uns hier weiterhelfen könnte und dessen Überwindung uns möglicherweise dienlich wäre, um wieder zu unserer obersten und dringlichsten Lebensaufgabe zurückzukehren, nämlich Menschen zu Gott zu führen. Also unseren Lebensauftrag auszuführen, den wir von Jesus übernommen haben, für den Jesus gestorben ist und für den wir eigentlich leben sollten. Sprich: tatsächlich wieder Jesu „Nachfolger“ zu werden. Auch punkto Auftrag und Bestimmung.

Dieser Schwachpunkt verbirgt sich in der logischen Folgefrage, die jeder zu stellen hat, wenn er sein Lebensziel, Menschen zu Gott zu führen, umsetzen will. Es geht um die Frage „Wie denn umsetzen?“

Wie sollen wir das tun: „Menschen retten“? Nach welchem Prinzip, nach welchen Leitlinien sollen wir dabei vorgehen? Wie sollen wir das praktisch anpacken? Wie kann man das bestmöglich angehen? Gibt uns Jesus, gibt uns die Bibel dazu ein Konzept, eine Handlungsanweisung, eine Strategie?

Selbstverständlich sind dazu etliche - und zumeist auch biblisch belegbare – Antworten unter uns im Umlauf. Um andere Menschen für Gott zu retten, sollten wir beispielweise „Zeugen sein“ (statt nur „schwätzen“), „diakonisch leben“ (also unser Christsein auch durch Taten bezeugen), „jederzeit bereit sein“ (sei es dazu „Zeit oder Unzeit“), und noch einiges mehr. Alles richtig. Alles wahr. Beherzigen wäre sinnvoll. Solches sollten wir tatsächlich – im Rahmen unserer Gaben und Möglichkeiten - umsetzen. Oder uns wenigsten um Umsetzung bemühen…

Aber es gibt noch einen weiteren biblischen Aspekt, der unabdingbar zu einem evangelistisch relevanten Lebensstil dazugehört. Einen entscheidend wichtigen, wie ich meine. Und den haben wir völlig aus den Augen verloren. Er ist nicht mal mehr ansatzweise in unserem Bewusstsein verankert, obwohl er so grundlegend wäre, dass ich diesen Verlust sogar mehr als nur wie einen vernachlässigten „Schwachpunkt“ empfinde, sondern vielmehr wie eine „verlorene Theologie“.

Diese „verlorene Theologie“ stand schon immer in der Bibel drin, aber sie wird von uns konsequent nicht zur Kenntnis genommen. Leider etwas typisch für uns, die wir so lautstark behaupten, „bibeltreu“ zu sein, dass wir ein zentrales Thema des Neuen Testaments einfach unter den Tisch gekehrt, überlesen und vergessen haben.

„Typisch für uns“ deswegen, weil ein Blick in die Kirchengeschichte – sogar auch nur in die neuere der letzten paar Jahre – deutlich zeigt, dass es natürlich eine Illusion ist, zu glauben, dass wir die Bibel ausgewogen lesen und gleichmäßig berücksichtigen würden. Es ist eben durchaus nicht so, dass wir alle biblischen Aussagen, Aspekte und Impulse angemessen zur Kenntnis nehmen und in unser Christsein integrieren, die Bibel also sozusagen „flächig“ interpretieren würden.

Vielmehr tauchen Begriffe, Sachverhalte und Themen plötzlich auf und rücken neu oder erneut in unser Bewusstsein, anderes dagegen verschwindet unvermittelt wieder aus unserem geistlichen Grundbestand oder verblasst unmerklich nach und nach.

Da taucht dann beispielweise plötzlich die Lehre von den „Geistesgaben“ auf und gewinnt an Gewicht, oder wir entdecken unvermutet den „Lobpreis“ als unverzichtbar für unsere Gottesdienste. Aber: War das nicht schon immer Bestandteil der Bibel? Warum wird das über Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte, vernachlässigt oder vergessen, um dann plötzlich wieder fröhlich Urständ zu feiern? Dann stürmt unerwartet das „Gebet des Jabez“ aus 1. Chronik 4,9+10 für Monate alle geistlichen Hitlisten und verschwindet kurze Zeit danach wieder: Ist das etwa gleichmäßiges, ausgewogenes Bibelverständnis?

Es geht auch umgekehrt: Wann haben wir beispielsweise zum letzten Mal eine Predigt zum Thema „kämpfen“ gehört? Das Thema wird über dreißig Mal im Neuen Testament thematisiert, und zwar ausdrücklich immer so, dass „geistliches kämpfen“ ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Nachfolge sei. Bei uns ist dieses Stichwort aber derzeit völlig out, da nicht kompatibel mit unserem zeitgeistig geprägten Wohlfühl- und Kuschel-Nachfolgeverständnis.

Also, die Mär, dass wir die Bibel immer als Gesamtes angemessen berücksichtigen würden, sollten wir schnellstens begraben. Auch da brauchen wir uns nichts in die Tasche zu lügen. Ist eben nicht so – wir haben kein „flächiges“ Bibelverständnis, sondern stattdessen ein exklusiv auswählendes: Manches ist uns gerade wichtig, anderes überlesen wir penetrant. Weder sinnvoll noch geistlich, aber leider Realität. Vielleicht liegt es ja lediglich daran, dass wir eben auch nur Menschen sind, ist aber trotzdem schade und Jesu Sache absolut nicht förderlich.

Auch unser Schwachpunkt, unsere „verlorene Theologie“, um die es in diesem Buch geht, gehört zur Kategorie „konsequent verdrängt und überlesen“, obwohl es sich dabei um eine zentrale neutestamentliche Aussage handelt. Sie wird dutzendfach wiederholt, meist mit akzentuierter Betonung, wie ich gleich noch aufzeigen werde. Wir aber ignorieren sie völlig oder deuten sie unzulässig und unbiblisch um, womit wir uns dann eben ein ziemlich schiefes Bibel- und Gemeindeverständnis mit bedenklich mängelbehafteten Auswirkungen auf unser real gelebtes Christsein einhandeln.

Man muss nämlich davon ausgehen, dass der Verlust dieser „Theologie“ dem Niedergang der evangelistisch-missionarischen Wirkungskraft in unserem Land starken, wenn nicht sogar entscheidenden Vorschub geleistet hat. Deswegen müssen wir sie endlich wieder neu entdecken. Nicht zuletzt, weil darin auch die Chance liegen würde, längst abgestorbene Bereiche unseres Christseins erneut zum Leben zu erwecken, so dass die von Jesus vorgesehene „oberste Lebens-Priorität“ als Nachfolger wieder wirkungsvoller zum Zuge kommen könnte.

Und weil diese „verlorene Theologie“ ganz zentral unsere Gemeinden betrifft, würde sie auch unsere Gemeinden neu beleben! Denn nicht nur die individuell gelebte Jesus-Nachfolge ist hierzulande inzwischen auf historischem Tiefststand angelangt, sondern in logischer Konsequenz auch die Gemeinschaften, die solche bestimmungsvergessenen beziehungsweise bestimmungsverweigernden „Christen“ bilden. Wir nennen diese Gemeinschaften nach biblischem Vorbild „Gemeinden“, aber sie sind es nur noch der äußeren Form nach. Substantiell stehen sie in aller Regel vor ihrem geistlichen Kollaps. Denn wenn sich lauter Fromme zusammenschließen, die allesamt vergessen haben, wozu sie „Christ“ sind und was ihr Hauptauftrag wäre, dann kann man diese Zusammenschlüsse zwar „Gemeinde“ nennen und versuchen, sich wie eine solche zu verhalten. Aber es sind dann keine echten Gemeinden mehr, nicht nach biblischem Vorbild, nicht in Gottes Augen und weder vom Heiligen Geist noch von Jesus unterstützt.

Da helfen dann auch hochglanzpolierte Gottesdienste mit perfekter Bühnenperformance, aufwendigen Licht- und Soundeffekten und anschließendem Kirchenbistro mit Gratiskaffee und Häppchen nichts mehr, betreffend ihrer geistlichen Relevanz und Wirksamkeit sind auch solche Vorzeigegemeinden Sterbefälle. Außen hui und innen pfui; uns selbst und gelegentlichen Besuchern können wir damit vielleicht noch etwas vorgaukeln, aber Gott bekanntlich nicht. Er offenbar sich zunehmend nicht nur in unserem Leben, sondern auch in unseren Gemeinden als der Abwesende, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen und seine höchstpersönliche Präsenz allsonntäglich und mit dem Brustton innigster Überzeugung proklamieren.

Nicht nur wir selbst, sondern auch unsere Gemeinden brauchen also dringend die Wiederentdeckung dieser „verlorenen Theologie“, um die’s im Folgenden geht. Und es wird sehr zentral um unsere Gemeinden gehen! Denn der Schwachpunkt, um den es in diesem Buch geht, liegt in unserem verloren gegangenen Gemeindeverständnis.

2. Die „verlorene Theologie“

Die vergessene biblische Wahrheit nenne ich die „Leib-Jesu-Theologie“. Wir entdecken sie vorzugsweise in den Paulusbriefen, denn Paulus hat sie nicht nur verstanden, sondern propagiert sie immer wieder aufs Neue. Es geht dabei in Kern um das richtige geistliche Gemeinde-Verständnis, das Paulus seinen Lesern immer wieder ans Herz legt. Diesen Kern, diese Wahrheit haben wir verloren und sollten wir unbedingt wieder zurückgewinnen!

Dass wir als Christen „Gemeinden“ bilden sollen, hat sich in unserem Bewusstsein zwar noch gehalten und wird auch umgesetzt. Zu einer (Orts-) Gemeinde zu gehören ist immer noch der Normalfall für Christen; dies ist zweifellos eine biblische Vorgabe und damit auch Bestandteil des Konzepts, also der Strategie, wie unser Lebensstil zu gestalten ist, damit wir Jesu Auftrag umsetzen können.

Dass wir uns also zu Gemeinden zusammenschließen sollen, ist wenigstens noch klar. Aber beim Verständnis, was diese Gemeinden denn nun darstellen sollen, welche Funktion diese Gemeinden konzeptuell haben müssten und wozu Gemeinde gut sein sollte: Da hapert’s gewaltig! Oder anders gesagt: Unser Gemeindeverständnis ist unterentwickelt, mangelhaft und fehlerbehaftet. Es ist genau betrachtet sogar höchst unbiblisch und damit einem christlichen Lebensstil seiner Mitglieder zur Umsetzung des Auftrags Jesu nicht nur hinderlich, sondern verunmöglicht diesen weitgehend!

Und genau deshalb brauchen wir unbedingt die Wiederentdeckung der biblischen Lehre vom „Leib Jesu“.

***

Jetzt aber konkret. Was ist die „Leib-Jesu-Theologie“ des neuen Testaments?

Dazu schauen wir genauer in die Bibel und beginnen am besten gleich bei dem Bibeltext, der uns als allererstes zum Thema „Leib Jesu“ einfällt: beim zwölften Kapitel des 1. Korintherbriefs. Dort entfaltet Paulus bekanntlich ein einprägsames Bild: Er bezeichnet uns als „Glieder“ am „Leib Jesu“. Überschrieben ist der Absatz in meiner Luther-Bibel mit „Viele Glieder – ein Leib“ und beginnt mit diesem Vers: „Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus!“ (1. Korinther 12,12).

Danach folgt eine Reihe von Beispielen, wie diese Glieder sich gegenseitig ergänzen und benötigen. Dieser Bibelabschnitt ist uns sicher gut bekannt, er wird in aller Regel als Gleichnis oder Vergleich ausgelegt mit dieser Zielrichtung: So wie die einzelnen Glieder eines menschlichen Körpers harmonisch zusammenspielen und sich gegenseitig ergänzen, so sollte auch das Zusammenspiel innerhalb einer Gemeinde funktionieren. Zweifellos ist diese Auslegung korrekt und im paulinischen Sinn. Genau das will uns Paulus in 1. Korinther 12 vermitteln.

Allerdings beinhaltet diese Sichtweise und Interpretation des Textes gleichzeitig auch eine kleine, aber nicht zu unterschätzende Unkorrektheit: Es handelt sich bei genauer Betrachtung in Wirklichkeit bei diesem von Paulus dargestellten „Leib“ nicht lediglich um ein Gleichnis oder eine Analogie! Zwar legen wir diesen Text fast immer gleichnishaft aus und vergleichen unsere Gemeindeharmonie mit dem Zusammenspiel der Glieder eines menschlichen Körpers. Das ist an sich nicht falsch, aber nur die halbe Wahrheit.

Welches nämlich das tatsächliche Verständnis von Paulus betreffend diesem „Leib“ in Bezug auf die Gemeinde ist, macht Paulus erst im Vers 27, also ganz am Schluss aller vergleichenden Beispiele, deutlich. Dort erklärt er nämlich: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von Euch ein Glied“ (1. Korinther 12,27).

Überraschung!

Bei diesem Vers hatte ich, zu meiner Schande sei’s gesagt, jahrelang etwas überlesen. Da fehlt nämlich ein Wort, das ich – irgendwie wohl unbewusst – immer in mein Verständnis mit hineingemogelt hatte. Es steht aber nicht da. Es fehlt, und es fehlt sehr offensichtlich!

So offensichtlich, dass ich inzwischen davon ausgehe, dass Paulus diesen Vers und diese Formulierung deswegen hier niedergeschrieben hat, um zu überraschen, ja zu provozieren und zu neuem Nachdenken zu verleiten. Er hat das Wort absichtlich und mit vollem Bewusstsein ausgelassen!

Um welches fehlende Wort handelt es sich?

Es ist das kleine Wörtchen „wie“!

Denn der Vers müsste doch eigentlich heißen: „Ihr aber seid wie der Leib Christi und jeder von Euch wie ein Glied“?

Dieses „wie“ fehlt aber!

Es muss auch nicht unbedingt ein „wie“ sein, es könnte auch irgendein anderes Wort eingefügt sein, das einen Vergleich, also ein Gleichnis, bildhafte Rede, markieren könnte. Paulus hätte beispielsweise auch formulieren können: „Ihr aber entsprecht einem Leib“ oder „es verhält sich mit Euch ähnlich einem Leib“. Solche Formulierungen werden ja andernorts im Neuen Testament für Gleichnisse oder Vergleiche verwendet. Hier aber steht nichts dergleichen, sondern eindeutig „ihr seid“! Punkt und basta. Der griechische Urtext ist eindeutig, und die meisten deutschen Übersetzungen geben das auch richtig wieder.

Womit wir uns also diese Frage stellen müssen: Ist Gemeinde als „Leib Jesu“ etwa gar keine Metapher, gar kein Gleichnis?

Oder hatte Paulus eventuell gerade mal kein griechisches Wort zur Verfügung, das einen Vergleich anzeigen könnte?

Selbstverständlich nicht. Paulus kennt mehrere Worte, die eindeutig einen Vergleich markieren, zum Beispiel, wenn er in im 1. Thessalonicherbrief doziert „Dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie die Wehen eine schwangere Frau“ (1. Thessalonicher 5, 3). Hier benutzt Paulus das griechische Wort ὥσπερ, das „gleichwie“ bedeutet und eindeutig einen Vergleich markiert.

Die Kurzform dieses Vergleichswortes heißt ὡς („wie“) und findet sich beispielsweise Römer 13,9: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.

Des Weiteren hat Paulus auch noch das Wort ὅμοια („gleichartig“) in seinem Wortschatz: „Neid, Saufen, Fressen und Gleichartiges“ (Galater 5,21) sowie die Umschreibung τύπος, also „Typ“ oder „Art“, was er in Römer 5,14 verwendet: ... wie Adam, welcher ist ein Bild/Abbild (wörtlich „Typus“) dessen, der kommen sollte“.

Paulus hat also genügend Wörter und Redewendungen auf Lager, mit denen er einen Vergleich anzeigen kann. Und Paulus als ausgebildeter Schriftgelehrter ist ja nun wirklich nicht derjenige, der sich nicht klar ausdrücken könnte.

Es scheint also, wie wenn Paulus in 1. Korinther 12 etliche Verse lang sagen wollte, dass es sich mit der Gemeinde „wie mit einem Leib“ verhalte – also Vergleich -, um dann plötzlich und unerwartet und zum allgemeinen Erstaunen diesen Vers hervorzuzaubern: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von Euch ein Glied!“

„Überraschung, liebe Korinther! Ihr dachtet wohl, dies hier wäre ein Gleichnis - aber das ist viel zu wenig! Das richtige Verständnis in seiner ganzen Tiefe offenbare ich euch erst zum Schluss: Es ist weit mehr als ein Gleichnis, weit mehr als ein Vergleich! Es ist nämlich: Realität!“

Es gibt für uns hier nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir vermuten, dass sich Paulus hier ausnahmsweise mal etwas unklar ausgedrückt hat - oder Paulus meint tatsächlich, was er schreibt.

Ich entscheide mich für zweiteres. Denn für Paulus ist absolut nicht typisch, dass er eigentlich gar nicht das meinen würde, was er schreibt. Und außerdem wäre dieser ganze Vers schlicht überflüssig, weil Paulus ansonsten nur wiederholen würde, was er ohnehin zuvor schon zwölf Verse lang entfaltet hat.

Eigentlich kann es hier nur eine Interpretation und eine Erkenntnis geben: Paulus sieht die Gemeinde nicht wie der Leib Jesu, sondern als der Leib Jesu!

Die Bedeutung dieses Verses kann man sich lauttechnisch dadurch erschließen, dass man beim Lesen das Wort „seid“ betont akzentuiert: „Ihr aber seid der Leib Christi ...“ Dann nämlich erkennt man plötzlich denn wahren Sinn der Aussage! Wetten, dass Paulus ihn im Sprachgebrauch genau so betonen würde, damit der Höhepunkt seiner Ausführungen auch erkannt wird? Zwölf Verse lang hat er die Gemeinde mit einem Leib verglichen, um dann damit zu verblüffen, dass er unvermittelt erklärt: „Dieser Vergleich ist noch viel zu wenig und bei Weitem zu kurz gegriffen. In Wirklichkeit seid ihr nicht wie ein Leib, sondern ihr seid der Leib Jesu!

Könnte es vielleicht sogar sein, dass Paulus das Ganze bereits von Anfang an genau so geplant hat: Zuerst als Vergleich formulieren und erst zum Schluss die Bombe platzen lassen? Spannungsaufbau mit anschließendem Knalleffekt? Könnte es sein, dass Paulus auf seiner schriftstellerischen Klaviatur vielleicht auch diesen einprägsamen Kniff auf Lager hat, um pädagogische Langzeitwirkung zu erzielen?

Dass das vermutlich genau so zutrifft, entdecken wir, wenn wir nochmals an den Anfang des Textes zurückgehen. Es erscheinen nun nämlich auch die einleitenden Verse zu diesem Abschnitt über den „Leib Jesu“ in einem ganz neuen Licht:

„Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft…“ (1. Korinther 12,12+13).

Plötzlich entdecken wir nämlich, wie ungewöhnlich dieses „so auch Christus“ am Schluss von Vers 12 formuliert ist! Die Formulierung ist sogar außerordentlich überraschend, denn logischerweise müsste hier etwas anderes stehen, nämlich „so auch die Gemeinde“. Das würde sich doch weit flüssiger und sinnvoller anhören: „Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch die Gemeinde.“ Das wäre klar, logisch und allgemein verständlich! Diese Formulierung drängt sich doch regelrecht auf, oder? „Wie der Leib […] so auch die Gemeinde!“ – so haben wir‘s doch eigentlich ohnehin schon immer verstanden, oder?

Hat Paulus aber nicht geschrieben! Stattdessen schreibt er „Wie der Leib […] so auch Christus!“, was eigentlich nur so interpretiert werden kann: Christus ist dieser „Leib mit vielen Gliedern!“

„Wie der Leib […] so auch Christus!“ Das steht doch da, oder? Einfach nochmal genau lesen und feststellen: Stimmt! Genau das steht tatsächlich in 1. Korinther 12,12! Und deshalb muss hier mit dem „Leib“ der „Gemeinde-Leib“ gemeint sein, alles andere würde keinen Sinn machen.

Ergo: Es steht eigentlich schon hier, in der Einleitung, nicht erst im Vers 27: Gemeinde ist Leib Jesu! Und auch hier ist es ebenfalls nicht als Vergleich formuliert!

Außerdem: wie fährt Paulus gleich im nächsten Vers weiter? „Denn wir sind […] zu einem Leib getauft!“ (1. Korinther 12,13). „Wir“ - also die Gemeinde. Die Gemeinde ist „zu einem Leib getauft“! Nicht etwa „wie zu einem Leib getauft!“, was ja wieder einen Vergleich markieren könnte. Nein, steht eben schon wieder nicht so da. Wieder fehlt das „wie“, wieder fehlt ein Vergleichswort. Also wieder nicht als Metapher!

Ergo: Es steht bei genauer Betrachtung bereits in der Einleitung klar und deutlich und sogar zweifach: Gemeinde ist Leib Jesu. Können wir folglich den Vers 27 ernsthaft noch anders interpretieren? Vielmehr muss man doch sagen: Der ganze Abschnitt mit den vergleichenden Beispielen, wie Glieder innerhalb eines Leibes miteinander harmonieren sollen, ist also einleitend und abschließend von der eindeutigen paulinischen Aussage eingerahmt: „Bitteschön nicht einfach nur als Vergleich verstehen, sondern es geht hier um Realität! Wirklichkeit! Tatsache! Fakt!“

Gemeinde ist Leib Jesu!

***

Der weitere Nachweis, dass Paulus das tatsächlich so meint, ist nun verblüffend einfach zu führen. Er ist erstaunlich deutlich und dermaßen unwiderlegbar, dass man sich als bibelorientierter Christ eigentlich in den Hintern kneifen müsste: Habe ich das wirklich und tatsächlich bisher stets übersehen und kein einziges Mal erkannt?

Jeder Bibelkenner weiß natürlich, dass der Begriff „Leib Jesu“ in etlichen Briefen von Paulus vorkommt. Und siehe da: Nirgendwo bei Paulus wird „Leib Jesu“ als Metapher oder sonstige bildhafte Darstellung für Gemeinde vorgestellt und als Vergleich formuliert!

Nirgendwo, abgesehen von der Ausnahme in 1. Korinther 12!

Hier im Einzelnen: So formuliert er etwa im Römerbrief: „... so sind wir viele ein Leib in Christus“ (Römer 12,5). Hier könnte auch stehen: „… so sind wir viele wie ein Leib in Christus“. Müsste sogar dastehen, wenn Paulus von einem Vergleich ausgeht! Steht aber nicht da!

Oder im Epheserbrief: „Gott [...] hat ihn [Jesus] gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist“ (Epheser 1, 22+23). Auch hier: Die Gemeinde ist sein Leib. Kein Hinweis auf Bildnis, Vergleich oder Analogie.

Ein paar Seiten weiter schreibt Paulus: „Redet die Wahrheit, [...] weil wir untereinander Glieder sind!“ (Epheser 4,25). Auch das ist wiederum Klartext: Wir sind Glieder und nicht „wie“ Glieder.

Und kurz darauf schreibt er erneut: „... wir sind Glieder seines Leibes“ (Epheser 5,30). Klingt das nach Gleichnis? Sicher nicht! Als Gleichnis formuliert müsst es ja auch hier heißen „... wir sind wie Glieder seines Leibes“.

Ebenso im Kolosserbrief: „Er [Jesus] ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde“ (Kolosser 1,18) und dann gleich noch einmal, damit auch wirklich jeder es kapiert: „... sein Leib, das ist die Gemeinde“ (Kolosser 1,24).

Bei keiner dieser Bibelstellen lässt sich hineininterpretieren, dass Paulus das als Gleichnis verstehen könnte. Jedes Mal sagt er: „So ist die Wirklichkeit! Gemeinde ist Leib Jesu!“ Da findet sich keinerlei Hinweis auf einen Vergleich, ein Bild und oder eine Analogie.

Wenn er also an sämtlichen (!) Stellen in seinen Briefen, wo der den Ausdruck „Leib“ in Sinne von „Gemeinde ist Leib Jesu“ verwendet, kein Vergleichswort einsetzt, dann ist zwingend anzunehmen, dass er auch keinen Vergleich meint! Die Gemeinde ist weder „synonym“ noch „entsprechend“ dem Leib. Sondern: Sie „ist“ der Leib!

Der eingangs erwähnte Abschnitt 1. Korinther 12, 15-26 stellt diesbezüglich eine absolute Ausnahme dar; sie ist die einzige in allen paulinischen Briefen. Nur dort und ausschließlich dort finden sich Verse zum Thema „Leib Jesu“, die als Vergleich oder als Gleichnis angelegt sind (wobei, nur am Rande vermerkt, sogar in diesen gleichnishaften Versen nirgendwo ein Vergleichswort wie „wie“ oder ähnliches auftaucht!).

An dieser Stelle einen Vergleich zu wagen bietet sich deshalb an, weil Paulus in 1. Korinther 12 über „Geistesgaben“ aufklärt, wie dem Anfang dieses Kapitels (Verse 1-11) sowie dem Schluss (Verse 28-31) klar zu entnehmen ist. Eingebettet in dieses Thema macht der Vergleich durchaus Sinn. Damit aber klar bleibt, dass der Vergleich wirklich als Ausnahme anzusehen ist, ist er eben sowohl einleitend (Verse 12 und 13) wie auch zusammenfassend (Vers 27) unzweideutig eingerahmt von der Klarstellung: Die Gemeinde ist aber Leib Jesu! Keiner möge auf den Gedanken kommen, „Leib Jesu“ sei vielleicht doch nicht mehr als nur ein Vergleich!

Paulus erlaubt sich in diesen Versen die bildhafte Auslegung einer eindeutig feststehenden Tatsache, um diese Tatsache anschaulicher zu machen. Dies wagt er im Vertrauen darauf, dass der geneigte Bibelleser natürlich diesen Vergleich immer auf dem Hintergrund der Verse, die den Vergleich umrahmen, anstellt. Diese Reife und dieses Lesevermögen der Korinther setzt er einfach voraus.

Das ist übrigens nichts anderes als die Grundlage jedes Vergleichs. Ein Vergleich funktioniert doch immer so, dass es ein Fakt gibt und dass diesem Fakt dann ein Vergleich zugesellt wird. Beides muss natürlich immer klar voneinander getrennt werden, was wir normalerweise auch automatisch schaffen.

Wenn ich also beispielsweise erkläre, dass mein Auto „rot wie eine Tomate“ ist, dann ist das Fakt ein rotes Auto, das mir gehört, und die Tomate ist der Vergleich, der das Aussehen meines Wagens anschaulich macht. Aber beides ist klar voneinander unterscheidbar. Fakt ist und bleibt das rote Auto. Das Auto ist rot! Die Tomate hingegen ist kein Fakt, sondern ein Vergleich, der an dieser Stelle Sinn macht, weil er das farbliche Vorstellungsvermögen meines Gesprächspartners aktiviert! Mein Auto ist aber deswegen keine Tomate, sondern bleibt immer ein Fahrzeug.

So funktionieren Vergleiche und das ist das Prinzip bildhaften Redens. Nichts anderes macht Paulus in 1. Korinther 12, und wir tun gut daran, Fakt und Vergleich auch da klar zu trennen. Man darf natürlich über den Leib Jesu gleichnishaft reden und predigen, so wie Paulus das hier mehrere Verse lang macht. Aber natürlich immer im Bewusstsein, dass das dann lediglich der Teilaspekt des Bildhaften, der Metapher, ist - und nicht etwa die Realität!

Wenn ich nun – wie Paulus in 1. Korinther 12 – den Tomaten-Vergleich mit meinem Auto ausweite, indem ich beispielsweise darüber sinniere, dass Rot eben eine Signalfarbe sei und dass das gut sein, weil man damit mein Auto im Gewimmel des Straßenverkehrs optisch gut wahrnimmt, genauso wie man die Tomate im Dickicht des Tomatenstauden-Grünzeugs dank der Signalfarbe sofort findet, dann bin ich mit dem letzten Gedanken („genauso wie …“) wieder wie Paulus auf der Vergleichsebene. Aber kein Mensch würde dadurch das dahinterstehende Fakt vergessen, dass mein Auto tatsächlich ein Auto ist, und zwar ein rotes – aber keine Tomate. Man unterscheidet völlig selbstverständlich zwischen Vergleich und Realität und ist jederzeit in der Lage, das Fakt parallel zum Vergleich automatisch mitzudenken!

Nur bei Paulus‘ Ausführungen über den „Leib“ in 1. Korinther 12 tun wir das nicht! Wer aber bei der Auslegung dieses paulinischen Vergleichs nur das Bild bemüht, aber das Fakt unterschlägt, bewegt sich im Bereich „fahrlässige Unterlassung“, weil er dem Zuhörer suggeriert, das Bild, die Metapher, wäre das Eigentliche! Das Auto wäre in Wirklichkeit eben doch nicht mehr als nur eine besondere Tomaten-Art!

Geistlich höchst bedenklich!

Weil wir aber lediglich ein einziges Mal, nämlich in 1. Korinther 12, „Leib Jesu“ vergleichend formuliert finden und sämtliche anderen Bibelstellen bei Paulus zu diesem Thema eindeutig und ausschließlich das Fakt („Gemeinde ist Leib Jesu“) als solches benennen, ist es umso verwunderlicher, warum wir nicht längst diesen klaren Sachverhalt in unserer Theologie verinnerlicht haben; das zwingend dazugehörige Fakt also konsequent hinter diesem Vergleich verdrängen.

Was lesen wir eigentlich, wenn wir die Bibel lesen? „Leib Jesu“ ist kein Vergleich!

Punkt!

Verstanden?

Dann muss es also etwas Reales sein. Wie aber ist das jetzt zu verstehen?

Nun, ganz einfach: Unsere Gemeinden sind als „Leib Jesu“ der realpräsente Teil Jesu mitten in unserer Welt. Jesus ist also nicht einfach im Himmel, sondern ein Teil von ihm ist da, ist anwesend: sein Leib. Der Leib Jesu - das ist jede einzelne Gemeinde, in der Jesus verkündigt wird, in der Jesus der Mittelpunkt ist, in der Jesus „lebt“. Da ist sein Leib, da ist Realpräsenz Jesu. Sichtbarer, greifbarer, fühlbarer, erlebbarer Jesus. Da ist Jesus.

Das „Haupt“ dieses Leibes Jesu ist natürlich im Himmel: „Alles hat Gott unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles“ (Epheser 1,22). Sein Leib als solcher hingegen ist hier auf der Erde: die Gemeinde. Und wir sind die Glieder, die diesen Leib bilden, untrennbar verbunden miteinander und mit dem Haupt im Himmel. Alles zusammen, Leib und Haupt, ergibt den „ganzen“ Jesus.

Dabei hat jeder von uns als Glied des Leibes eine bestimmte Funktion auszuüben, eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen. Nicht alle dieselbe, denn wir sind unterschiedliche Glieder mit unterschiedlichen Möglichkeiten, Begabungen und Fähigkeiten. Darauf weist Paulus nicht nur in 1. Korinther 12 anschaulich hin, sondern auch in Römer 12,4+5: „Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselben Aufgaben haben, so sind wir viele ein Leib in Christus“. In all ihrer Unterschiedlichkeit dienen aber sämtliche Glieder immer dem Leib und gehorcht immer dem Haupt. Denn dort, beim Haupt, wird geplant, von dort gehen die entsprechenden Befehle an die Glieder aus und von dort aus wird koordiniert. So ergibt das Ganze eine wirkungsvoll handelnde Einheit, eine ganze Person. Logisch, so funktioniert doch jedermanns Körper: Der Kopf gibt die Befehle, die Glieder des dazugehörenden Leibes führen aus. Wir, die Glieder, sind also nichts anderes als die „ausführenden Organe“ Jesu.

Das ist doch nicht schwierig zu verstehen, oder?

***

Einige Theologen führen nun an, dass Paulus mit „Leib Jesu“ nicht die heute bestehenden Ortsgemeinden bezeichnen würde, sondern dass der „Leib Jesu“ sich auf die „Universalgemeinde“ aller Gläubigen zu allen Zeiten aus allen Orten bezieht, also auf die Gemeinde, die wir einmal im Himmel bei Jesus beziehungsweise bei Gott sein werden. Folglich würde sich der Leib Jesu“ erst dann konstituieren, wenn wir alle zusammen am Ende der Zeiten mit Jesus vereint werden.

Nun ist zweifellos richtig, dass das Neue Testament mit dem Wort „Gemeinde“ auch mehrmals diese (noch nicht existierende!) Versammlung aller Gläubigen in der Neuen Welt Gottes bezeichnet. Aber von dieser „Gemeinde“ spricht Paulus nachweislich nicht im Zusammenhang mit dem Begriff „Leib Jesu“. Er meint stattdessen immer die existierenden Gemeinden innerhalb dieser Welt, die sogenannten „Ortsgemeinden“. Sonst würden beispielsweise seine Ausführungen „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit“ (1. Korinther 12,26) oder „... damit im Leibe keine Spaltung sei“ (1. Korinther 12,25) usw. keinen Sinn machen, denn im Himmel, wo sich ja die „Universalgemeinde“ erst real konstituieren wird, wird weder „gelitten“noch „gespalten“! Und wir brauchen dort auch nicht mehr „in gleicher Weise füreinander sorgen“, wie Paulus in Vers 25 doziert, denn im Himmel sorgt Gott höchstpersönlich für uns. Wir selber sind dort nicht nur sorgenfrei, sondern auch „fürsorgefrei“.

Ein aufmerksames Durchlesen von 1. Korinther 12 lässt also keinen Zweifel daran, dass Paulus mit „Leib Jesu“ ausschließlich unsere heute real existierenden Gemeinden gemeint haben kann. Unsere individuellen Gemeinden vor Ort: Diese sind „Leib Jesu“. Real existierender Jesus in dieser Welt, nicht in der zukünftigen!

Der theologische Fluchtversuch in die „Universalgemeinde“ ist bei diesem Thema folglich unzulässig, auch wenn es einen – allerdings nur einen einzigen! - Vers gibt, bei dem Paulus den Ausdruck „Leib Jesu“ eventuell auch auf die „Universalgemeinde“ gemünzt haben könnte: „… dass die Heiden Miterben sind und mit zu seinem Leib gehören …“ (Epheser 3,6). Dieser Vers kann so verstanden werden, dass Paulus im Sinnzusammenhang von den Heiden allgemein und weltweit redet. Andererseits könnte Paulus hier mit dem bewusst gewählten Terminus „Leib Jesu“ seine Epheser darauf hinweisen wollen, dass die Miterbenschaft eben auch die Heiden in ihrer Gemeinde vor Ort betrifft. Somit muss also auch dieser Vers durchaus nicht zwingend als Hinweis auf die „Universalgemeinde“ gedeutet werden.

Natürlich wäre es für uns einfacher zu verstehen, wenn mit Leib Jesus eben doch die „Universalgemeinde“ gemeint wäre, denn dann gäbe es nur ein Haupt mit einem einzigen Leib. „Einfacher zu verstehen“ darf aber hier kein Argument sein! Umso mehr es in unserm Fall eben biblisch absolut eindeutig ist, dass mit „Leib Jesu“ immer die einzelnen Ortsgemeinden bezeichnet werden. 1

Wir müssen es also zwingend so denken, dass es zwar nur ein Haupt, nämlich Jesus im Himmel, gibt, dieses Haupt aber viele verschiedene Leiber besitzt, die über die ganze Welt verteilt sind.

***

Es gibt etliche weitere Belege als nur die bisher genannten dafür, dass Paulus die Gemeinde als „Leib Jesu“ sieht. Im Kolosserbrief sehen wir, wie konkret er das versteht. Dort sagt Paulus zu unserer Überraschung: „... sein [Jesu] Leib, das ist die Gemeinde. Ihr Diener bin ich geworden ...“ (Kolosser 1,24+25).

Was? Wie? Entsetzen, oder? Denn das kann doch gar nicht sein!

„Wie kannst Du, Paulus, so platt behaupten, dass Du »Diener der Gemeinde« sein willst? Weißt Du denn nicht, dass unser Herr in der Bergpredigt ausdrücklich geboten hat »Niemand kann zwei Herren dienen!« (Matthäus 6,24)? Paulus, dienst du nun Jesus - oder dienst du der Gemeinde?“

Nun, wenn die Gemeinde der Leib Jesu ist, dann dient Paulus folglich nicht zwei Herren, sondern nur einem!

Bingo! Er dient natürlich Jesus, indem er dem Teil Jesu dient, den er vor sich hat: seinem Leib. Also der Gemeinde! Dienst an der Gemeinde und Dienst an Jesus ist eben deckungsgleich! Das weiß Paulus natürlich, denn dass die Gemeinde „Leib Jesu“ ist, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, die er in all seinen Ausführungen immer automatisch mitdenkt.

Den Ephesern schreibt Paulus: „Niemand hat je sein eigenes Fleisch gehasst; sondern er nährt und pflegt es, wie auch Christus die Gemeinde.“ (Epheser 5,29). Auch hier wieder: Natürlich pflegt Christus seinen Leib! Und die Gemeinde ist sein Leib! Selbstverständlich muss hier auch „sein eigenes Fleisch“ wörtlich so verstanden werden: Die Gemeinde ist „Jesu eigenes Fleisch“; Jesus betreibt also schlicht und ergreifend „Körperpflege“ an sich selbst! Wie jedermann das ganz selbstverständlich tut (oder tun sollte …)! Und genauso begründet das dann Paulus im darauffolgenden Vers: „Denn wir sind Glieder seines Leibes“ (Epheser 5,30). Selbstverständlich pflegt Jesus - genauso wie wir alle - „seinen Leib“!

Oder was bedeutet bei Paulus eigentlich die Formulierung „in Jesus“, wenn er beispielsweise den Philippern schreibt: „Grüßt alle Heiligen in Christus Jesus“ (Philipper 4,21)?

Da die „Heiligen“ in Philippi ja allesamt Glieder am Leib Jesu sind, sind sie also „in“ seinem Leib vereinigt. Die Formulierung „in Jesus“ macht dank dem Leib-Jesu-Verständnis sofort und völlig zwanglos Sinn! Genauso, wenn er den Philippern beispielsweise schreibt „Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht“. (Philipper 2,5): Die Gemeinschaft ist „in“ Jesus, denn sein Leib ist eine unzertrennbare Einheit! Sonst müsste es doch „wie es der Gemeinschaft mit Christus Jesus entspricht“ heißen!

Auch den Kolossern gegenüber benutzt er die Formulierung „in ihm [Jesus]“, und nicht etwa „mit ihm“ oder so ähnlich: „… und an dieser Fülle habt ihr Teil in ihm, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.“ (Kolosser 2,10).

Darüber hinaus ist an dieser Stelle wieder die Funktion Jesu als unser „Haupt“ erwähnt und auch noch in einen interessanten Zusammenhang gestellt: Paulus kann selbstverständlich bei den Kolossern davon ausgehen, dass sie sofort das „Leib-Jesu-Verständnis“ beim Stichwort „Jesus, der das Haupt ist“ assoziieren. Er hat ihnen ja bereits im ersten Kapitel seines Briefes (Verse 18 und 24) zweimal deutlich erklärt, dass sie der Leib Jesu sind.

Und jetzt stellt er das Haupt dieses Leibes, also Jesus, noch zusätzlich in den tröstlichen Zusammenhang, dass dieses Haupt ja die göttliche Souveränität besitzt, über sämtliche Mächte und Gewalten des Universums zu herrschen, denn „in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“, wie er unmittelbar im Vers davor (Kolosser 2,9) soeben erklärt hat!

Wieso „leibhaftig“? Wäre dieses Wort hier nicht eigentlich verzichtbar? Worauf will uns Paulus mit diesem „leibhaftig“ aufmerksam machen?

Meint er mit „leibhaftig“ vielleicht tatsächlich einen „Leib“ – der dann ja nur Jesu „Leib“, also die Gemeinde, sein könnte? Denn das griechische Wort für „leibhaftig“, das hier steht, hat ja auch tatsächlich denselben Wortstamm wir der „Leib“ beispielsweise in 1. Korinther 12.

Die Antwort gibt Paulus gleich selber im vorhin bereits zitierten Vers danach: „… und an dieser Fülle habt ihr Teil in ihm“ (Kolosser 2,10) - also in Jesus. In seinem Leib. Und genau das betont der Zusatz „leibhaftig“ in Vers 9, denn ansonsten wäre „leibhaftig“ nicht nur überflüssig, sondern auch sinnlos!

Wenn also die absolute Souveränität Gottes über alles, die „ganze Fülle Gottes“ in Jesus wohnt, wohnt sie nicht nur im „Haupt“, sondern auch in seinem „Leib“ (eben „leibhaftig“) – also auch in unserer Gemeinde. Deswegen hat die Gemeinde an der Fülle Gottes teil – „in ihm“!

Aber nicht nur den Philippern oder den Kolossern gegenüber verwendet Paulus den Begriff „in Jesus“ oder „in Christus“ oder „in ihm“. Diese interessante Formulierung finden wir in den Paulusbriefen insgesamt mehr als 120 Mal (!), und zwar in den Variationen „in ihm“ (15 mal); „im Herrn“ (9 mal); „in dem Herrn“ (34 mal); „in Christus“ (23 mal); „in Christus Jesus“ (42 mal) und „in Jesus“ (1 mal).2

Über 120 Mal „in“ Jesus?

Was für eine außerordentlich starke Formulierung! Kann oder darf man das so wörtlich nehmen?

Selbstverständlich. Seit wann sollte man Bibelworte nicht so nehmen, wie sie dastehen? Und wenn wir uns dazu in Erinnerung rufen, dass Paulus immer das meint, was er auch schreibt (sonst hätte Gott niemals zugelassen, dass das weit über hundert Mal in sein Neues Testament hineinkommt), dann haben wir keine Wahl: „in Jesus“ meint tatsächlich „in Jesus“!

Wie aber kann man diese „in ihm“-Formulierung anders erklären als mit der Lehre vom Leib Jesu?

Fakt ist doch auch hier wieder: Wir haben‘s bisher einfach immer überlesen und uns keinerlei Gedanken gemacht, warum das Paulus so formuliert. Vermutlich haben wir gedanklich jedes „in Jesus“ automatisch in „mit Jesus“ oder „bei Jesus“ umgewandelt. Wir hatten eben keine andere Interpretationsmöglichkeit, solange wir den „Leib Jesu“ nicht berücksichtigten! Aber den hatten wir ja bislang absolut nicht in unserem Bewusstsein …

Mit der „Leib-Jesu-Theologie“ ist man auch hier wieder gut beraten, denn damit macht das „in Jesus“ wirklich Sinn: Glieder sind ja nicht nur untrennbar mit dem Leib verbunden, sondern sie sind der Leib. Man ist also als Glied an Jesus Leib tatsächlich „in Jesus“. Genau darum schreibt Paulus das so, ein ums andre Mal. Damit das auch jedem unmissverständlich klar wird und klar bleibt.

***

So, bis hierher haben wir bereits weit mehr als ein Dutzend Bibelstellen gefunden und zusätzlich noch über Hundertzwanzig „in“-Formulierungen, mit denen Paulus ganz klar und eindeutig darauf hinweist, dass Gemeinde „Leib Jesu“ ist. Sind das nicht genügend Bibelbelege, aufgrund derer wir das tatsächlich ernst nehmen sollten?

Aufgrund dieser Anhäufung von eindeutigen Aussagen müsste „Gemeinde ist Leib Jesu“ doch längst ein Eckpfeiler unseres Glaubens und insbesondere unseres Gemeindeverständnisses sein; breit verankert in der evangelischen Christenheit, da wir doch alle dieselbe Bibel lesen und sie als vertrauenswürdige Grundlage unseres Glaubens und unserer gelebten Christusnachfolge erkannt haben.

Falls diese Bibelstellen aber vielleicht doch noch nicht genügen sollten, gibt es von Paulus noch etliche weitere, genauso eindeutige:

„… damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden“

(Epheser 4,12);

„Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hängt durch alle Gelenke, wodurch jedes Glied das andere unterstützt nach dem Maß seiner Kraft und macht, dass der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe“

(Epheser 4,15+16);

„… wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat“

(Epheser 5,23);

[der] sich nicht hält an das Haupt, von dem her der ganze Leib durch Gelenke und Bänder gestützt und zusammengehalten wird und wächst durch Gottes Wirken“

(Kolosser 2,19);

Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen“

(Kolosser 3,15);

„Denn ein Brot ist’s, so sind wir viele ein Leib“

(1. Korinther 10,17);

„… ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid“

(Epheser 4,4).

Auch für diese Bibelstellen gilt: Bei keiner einzigen davon ist „Leib Christi“ irgendwie vergleichend formuliert, sondern immer als Fakt, als Realität.

Allein die Anzahl an Bibelbelegen dazu ist dermaßen erdrückend, dass wir uns schon längst hätten fragen müssen: Wie konnten wir das laufend übersehen und - fast schon peinlich penetrant - daran vorbeischauen? Es sind so viele Bibelverse, die den „Leib Jesu“ eindeutig proklamieren, dass wir das wahrlich nicht als theologisch zweitrangiges Randthema abtun können!

Die Gemeinde ist präsenter Teil Jesu in der Welt, die Gemeinde ist sein „Leib“!

Woher hat Paulus das wohl? Wie kommt er zu dieser Erkenntnis? Auf welcher Grundlage traut er sich, das so zu behaupten?

Es liegt ihm ja offensichtlich sehr viel dran, uns das deutlich zu machen und es uns ans Herz zu legen, wenn er derart unaufhörlich darauf herumreitet. Man wird also davon ausgehen müssen, dass er sich das nicht willkürlich aus den Fingern gesaugt hat und es sich auch nicht mal so eben an einem lauen Sommerabend als originelle persönliche „Variante zum Thema“ ausgedacht hat.

1 Wir werden im 8. Kapitel „Anwendungsversuche“ noch einmal darauf zurückkommen, warum „Leib Jesu“ keinesfalls die universelle Versammlung aller Gläubigen bezeichnen kann.

2 Eine Auflistung all dieser Bibelstellen findet sich bei meinen Anmerkungen zu Römer 6,11 im Anhang dieses Buches.

3. Die Quelle

Woher hat Paulus sein Gemeinde-Verständnis als „Leib Jesu“? Es gibt dazu eine sehr naheliegende Vermutung. So naheliegend, dass sie sich geradezu aufdrängt: Paulus hat diese Sicht der Gemeinde von Jesus!

Aus den Berichten über Jesus, wie sie uns die Evangelien überliefern, ist das durchaus nachvollziehbar. Starten wir einmal mit der gleichnishaften Endzeit-Schilderung von Jesus in Matthäus 25, als er seinen Jüngern vom „Weltgericht des Menschensohns“ erzählt. Er erklärt, dass dabei die Menschen aller Völker in zwei Haufen getrennt werden, so wie ein Hirte Schafe und Böcke trennt. Daraufhin wird Jesus als richtender König zu einer der beiden Menschengruppen unter anderem sagen: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“ (Matthäus 25,40).

Da wir wissen, dass Jesus ausschließlich diejenigen mit „Brüder“ benennt, die bekehrte und wiedergeborene Nachfolger sind (man vergleiche dazu gerne mal mit der Konkordanz alle Bibelstellen, an denen Jesus Menschen als „Brüder“ bezeichnet!), wird man geradezu mit der Nase darauf gestoßen, dass Jesus hier offensichtlich in ähnlichen beziehungsweise sogar gleichen Kategorien wie Paulus denkt: Jesus, der König, war offenbar präsent, real, „leiblich“ anwesend in den „Brüdern“, an denen Gutes getan wurde von den Repräsentanten dieser Gruppe!

An dieser Stelle können wir auch gleich das leider weitverbreitete falsche Verständnis dieses „Weltgerichts“ in Matthäus 25 klären, dass es Jesus darum ginge, grundsätzlich irgendwelchen Menschen, egal wem, Gutes zu tun. Diese prophetische Gerichtsrede Jesu wird ja bevorzugt immer dann als Belegstelle herangezogen, wenn diakonisches Handeln als solches und somit auch „an jedermann“ belegt werden soll. Das ist jedoch unbiblisch in dem Sinne, dass es nicht das ist, was Jesus hier gemeint hat. Seine eindeutige Formulierung schließt diese Interpretation aus!

Richtig ist: Jesus weist darauf hin, dass es um barmherziges Handeln ausschließlich an Christen, also an seinen Nachfolgern, geht, und nicht etwa an jedem Menschen. Sonst hätte er hier nicht von „Brüdern“ gesprochen! Der König – und damit kann nur Jesus gemeint sein - erklärt ja ausdrücklich: „Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“ (Matthäus 25,35+36). Es wurde also von diesen Gerechten nicht „irgendwem“ Gutes angetan, sondern Jesus persönlich. Und Jesus persönlich ist eben nicht in „Jedermann“, sondern er ist explizit und ausschließlich in den „Brüdern“, denn die sind ja allesamt Glieder seines Leibes!

Jesus ist doch keinesfalls in jedem Menschen drin!

Mal angenommen, es wäre Jesus hier wirklich um „tut jedermann Gutes, egal wem“ gegangen, hätte dann der König nicht sinnvollerweise etwa so formulieren sollen: „Ihr habt Hungrigen zu essen gegeben, Durstigen zu trinken gegeben, Fremde aufgenommen usw.“?

Aber das sagt Jesus ja eben nicht, sondern er wiederholt bei jedem Beispiel ausdrücklich, ja geradezu penetrant, dass man es eben gerade nicht „irgendwem“, sondern dem König persönlich („mir“) getan habe!

An ihm, dem König, hat man diakonisch gehandelt, und genau das löst ja das Erstaunen der Angesprochenen aus. Diese wissen natürlich sehr wohl, ob sie in ihrem Leben tatsächlich barmherzig gehandelt haben und ob sie dafür zur Recht königliches Lob erwarten dürfen. Was sie aber nicht gewusst haben: Sie haben nicht erkannt, dass sie dem König persönlich Gutes getan haben. Sie erkannt in ihrem Gegenüber den König nicht! Genau dies löst ja ihr Erstaunen aus!

Und warum haben sie ihn nicht erkannt? Weil er in Gestalt „seines Leibes“ vor ihnen stand! Sie haben an Gemeinde-Gliedern, also an Jesu Nachfolgern, Gutes getan. Nämlich genau an denjenigen, die Jesus in seiner Erklärung – und zu ihrem Erstaunen! - „Brüder“ nennt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25,40). Er meint damit: Diese, an denen Ihr gehandelt habt, waren „mein Leib“, beziehungsweise eben dann auch meine „Brüder“ (und hier darf natürlich auch „Schwestern“ ergänzt werden).

Dieses Gleichnis als Begründung für „allgemeines Wohltun an der Menschheit schlechthin“ anzuführen ist somit eine Irrlehre und kann auch nicht mit Floskeln wie „Jesus ist doch trotzdem irgendwie in jedem Menschen drin“ oder „das sind doch alles Gottes geliebte Geschöpfe“ begründet werden. Das ist nichts anderes als „Gutmenschen“-Gefasel. Jeder ernsthafte Bibelleser weiß genau, dass als „Bruder des Königs“ nur jemand betitelt werden kann, der Jesu ernsthafter Nachfolger geworden ist.

Wer dieses prophetische Gleichnis Jesu trotzdem anders auslegt, zeigt dadurch lediglich, dass er zwar des Lesens mächtig, nicht aber des Verstehens fähig ist, so dass er dem Grundübel aller unbewussten Irrlehrer erliegt, nämlich seine vorgefasste Meinung irgendwelchen Bibelstellen überzustülpen statt zur Kenntnis zu nehmen, was tatsächlich in der Bibel steht.