Leichen-Doppel: Leichenernte + Leichenspiel - Wilhelm J. Krefting - E-Book
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Leichen-Doppel: Leichenernte + Leichenspiel E-Book

Wilhelm J. Krefting

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Beschreibung

Zwei Krimis in einem Band! Inhalt "Leichenernte": Das kleine Dörfchen Rodenfeld wird Schauplatz eines grausigen Verbrechens. Der größte Bauer im Ort wird brutal ermordet in einem Maisfeld aufgefunden. Bei seinen Ermittlungen taucht Hauptkommissar Wilfried Kötter immer tiefer in die Abgründe des Dorfes ein und merkt schnell, dass fast jeder der Einwohner ein Motiv hatte, den „Maisbaron“ zu töten. Während Kötter immer mehr sprichwörtliche Leichen aus den Kellern der Rodenfelder zutage fördert, wird er gezwungen, sich mit seiner ganz eigenen „Leiche“ auseinanderzusetzen und gerät obendrein noch selbst in Lebensgefahr... Inhalt "Leichenspiel": Ein mysteriöser Mordfall erschüttert das Münsteraner Stadttheater: Schauspieler und Playboy Lars Lindner bricht während einer Vorstellung tot auf der Bühne zusammen. Nach ersten Ermittlungen deutet für Kommissar Wilfried Kötter alles darauf hin, dass der Täter im vom Neid zerfressenen Ensemble des Theaters zu finden ist, doch je tiefer Kötter in das Privatleben des Opfers eindringt, desto mehr Widersprüche tun sich auf. Bald sterben weitere Schauspieler und das Chaos ist perfekt. Auf der Suche nach dem Mörder erlebt Kötter immer mehr Überraschungen, die ihn an den Rand der Verzweiflung bringen, wobei er ganz nebenbei ein altes Geheimnis des Theaters lüftet…

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

Leichenernte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Epilog

Leichenspiel

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Impressum

Leichenernte

Kapitel 1

Bernhard Schulze Rodenfeld schreckte aus dem Schlaf. Die Tür zum großen Maststall unten auf dem Hof machte einen ungeheuren Lärm. Irgendjemand hatte nach dem Füttern vergessen abzuschließen. Jetzt schlug der starke Herbstwind die schwere Metalltür auf und zu. „Was ist los, warum schläfst du nicht weiter?“, fragte Bernhards Frau Emma. „Nimm‘ die verdammten Ohrstöpsel raus, dann weißt du was los ist“, antwortete Bernhard barsch. Gehorsam nahm Emma die Ohrstöpsel raus. „Nicht schon wieder, wir haben doch gestern noch gesagt, dass die Tür nach dem Füttern verschlossen sein muss.“ „So ist das nun mal, wenn man mit Vollidioten zusammenarbeitet“, beschwerte sich Bernhard. Der Bauer stieg fluchend aus dem Bett. „Bis gleich“, sagte Emma, schob sich die Stöpsel zurück ins Ohr und legte sich wieder hin. Bernhard ging aus dem Schlafzimmer in den Flur und stieg vorsichtig die knarzende Holztreppe des alten Bauernhauses hinunter. Unten zog er sich die Gummistiefel an, schloss die jahrhundertealte Holztür aus Eiche auf und trat auf den Hof. Sofort registrierte ihn der installierte Bewegungsmelder, ging auf dem Hof das Licht an. Der Bauer konnte sehen, wie die Tür zum Schweinestall vom Herbstwind hin- und hergeschlagen wurde. „Was für Deppen, morgen setzt es aber richtig was“, nahm sich Bernhard vor und marschierte Richtung Stall. Der Wind war sehr stark, er trug nur einen Pyjama und ihm wurde langsam kalt. Bis zum Stall waren es aber nur 50 Meter, die würde er schon überleben. Auf halbem Weg erwischte Bernhard eine starke Bö, die ihm genau ins Gesicht blies. Für einige Sekunden musste er ganz schön kämpfen, um nicht hintenüber zu kippen. Er konnte sehen, wie die Stalltür mit einem lauten Knall gegen die Wand donnerte. „Wenn da jetzt ein Stück aus der Wand gebrochen ist, ziehe ich den Wurstaugen die Reparaturkosten vom Lohn ab“, dachte der Bauer. Er war am Stall angelangt. Tatsächlich, ein großes Stück war von einem der roten Wandsteine abgebrochen. In Bernhard brodelte es. Hoffentlich hatten die nicht auch noch vergessen, die Schweine zu füttern. Er beschloss, lieber einmal nachzuschauen, bevor er abschloss. Bernhard trat durch die Stalltür ins komplette Dunkel des Schweinestalls. Alles, was er sah, waren einige kleine rote Lämpchen der Futtermaschinen, die sich bis in die Tiefe des Stalles fortsetzten. Hinzu kam das rote Leuchten der Infrarot-Lampen, mit dem die kleinen Ferkel besonders jetzt im Herbst schön warm gehalten wurden. Das rötliche Schimmern tauchte den gesamten Stall in eine Art rotes Grundrauschen, das man ohne fremde Lichtquelle aber erst richtig wahrnahm, wenn sich die Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Bernhard suchte mit der Hand nach dem Lichtschalter, der irgendwo neben der Tür war. Auf einmal war ihm, als hätte sich in seinem Augenwinkel etwas bewegt. Er wandte den Blick wieder in den Stall. Nichts bewegte sich. Er schaute noch einmal genauer hin, während er mit der Hand weiter nach dem Lichtschalter an der Wand suchte. Mit viel Fantasie zeichnete sich da die Silhouette von irgendetwas ungefähr zwei Meter vor ihm ab. Mit noch mehr Fantasie war es eine menschliche Gestalt. Bernhard wurde es mulmig. Er tastete hektisch nach dem Lichtschalter, den er nach einigen Sekunden fand. Er drückte ihn. Endlose Augenblicke verstrichen, in denen die Leuchtstoffröhren zündeten und dabei immer wieder kurz aufblitzten. Noch während die Röhren blitzten, hatte Bernhard bereits Gewissheit, es stand tatsächlich jemand vor ihm. Ihm stockte der Atem. Wer war es? Erst als der gesamte Stall erhellt war, sah er auch, mit wem er es zu tun hatte. Oder besser nicht, denn die Person vor ihm trug eine schwarze Sturmhaube. Außerdem hielt sie eine Forke in der Hand. Dieser Anblick war selbst für Bernhard, den nichts aus der Ruhe brachte, im ersten Moment sehr unangenehm. Die Tatsache, dass dieser Kasper vor ihm sich ohne Erlaubnis auf seinem Grund und Boden aufhielt und ihn dazu noch bedrohte, holte den Bauern aber sehr schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. „Was bist du denn für einer und was willst du hier mitten in der Nacht? Nimm die alberne Sturmhaube ab, damit ich sehen kann, wem ich gleich eins in die Fresse schlage!“ Der Fremde im Stall stand wie angegossen da. „Na los, oder soll ich erst nachhelfen?“, schrie der Bauer. Er trat einen großen Schritt auf den Mann mit der Sturmmaske zu. Im gleichen Moment streckte dieser mit einem Schwung die Forke nach vorne und rammte sie dem Bauer mit voller Wucht in die Brust. Er schrie laut auf. „Du Bastard, du elender Bastard, wenn ich dich in die Finger bekomme!“, rief Bernhard und versuchte die Forke herauszuziehen, die die Person vor ihm aber noch immer fest in den Händen hielt. Während Bernhard im wahrsten Sinne des Wortes wie am Spieß weiter vor sich hin schrie und seinem Peiniger Beleidigungen entgegenbrüllte, drückte dieser die Forke immer weiter in den Brustkorb des Bauern. Nach einigen Sekunden wurden Bernhards Worte auf einmal undeutlich. Blut quoll aus seinem Mund, und er verdrehte die Augen. Dann war es ganz still und der Bauer sackte zu Boden. Vor den Augen seines Mörder zuckte er noch ein paar Mal auf dem kalten Betonboden, bevor auch das letzte bisschen Leben aus seinen Gliedern gewichen war. In diesem Moment gab es im Schweinestall ein mächtiges Getöse. Die Schweine waren wach geworden und schrien nun mit ohrenbetäubendem Lärm, weil sie wohl gemerkt hatten, dass irgendetwas nicht stimmte. Der Mörder mit der Sturmhaube, der gerade noch voller Genugtuung auf den Bauern geschaut hatte, wurde aus seiner Absenz gerissen. Jetzt war Eile gefragt. Er packte die Forke, die tief in Bernhards Brustkorb steckte, und schleifte den toten Körper des Bauern aus dem Stall hinaus. Dabei zog er eine breite Blutspur hinter sich her. Sie waren auf der Mitte des Hofs, als wie aus dem Nichts die Schweinwerfer eines Pickup auftauchten, der mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit auf den Hof fuhr und kurz vor ihnen zum Stehen kam. Heraus kam noch eine maskierte Gestalt, die dem Mörder dabei half, den Körper auf die Pritsche zu werfen. Wenige Augenblicke später war der Pickup vom Gelände verschwunden und fuhr durch die stürmische Herbstnacht. Zurück blieb der Hof von Bauer Schulze Rodenfeld – mit brennendem Licht im Schweinestall, einer Tür, die der Wind auf- und zuschlug und einem Augenpaar, das aus der hintersten Ecke des Schweinestalls alles unbemerkt mitangesehen hatte.

Kapitel 2

Was für eine dicke Suppe war das schon wieder heute Morgen? Lutz Erning saß auf dem Bock seines Maishäckslers und sah vor lauter Nebel fast nichts. Blindflug war angesagt, was ihn allerdings nicht weiter störte. „Die Dinger lenkten sich ja heute schon fast von alleine“, dachte er und ließ seinen Blick durch das Cockpit schweifen, das eher dem eines Flugzeugs glich als einer Landmaschine. Aber so gern Lutz seinen Job auch machte: Es tat gut, wenn man ab und zu auch mal ein bisschen Verantwortung abgeben konnte und trotzdem alles lief. In diesem Moment ertönte ein lautes Scheppern aus dem Gebiss des Häckslers, der Motor schaltete sich ab und unzählige rote Warnleuchten fingen im Cockpit an zu blinken. Lutz stöhnte. „Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben“, sagte er zu sich selbst, atmete einmal tief durch und versuchte anhand der leuchtenden Symbole im Cockpit herauszufinden, was das Problem war. Er vermutete, dass er mit dem schweren Stahlgebiss in etwas hineingefahren war. Doch was es war, konnte er aufgrund des dichten Nebels nicht sehen. Er beugte sich in seiner Kanzel vornüber, um zu schauen, ob er nicht doch etwas erkennen konnte. Doch da war außer einem dichten Grau nichts. Gerade als er sich zurücklehnen wollte, schlug ein menschliches Gesicht gegen die Frontscheibe. Lutz erschreckte sich zu Tode und schrie in der Kanzel nach Leibeskräften, während das Gesicht langsam an der Scheibe hinabrutschte und dabei eine Spur aus Blut hinterließ, die aus dessen Mund lief. Das war zu viel für Lutz. Er trat die Tür der Kanzel auf, sprang mit einem Satz heraus in den weichen Ackerboden, der mit Maisstoppeln übersät war und rannte. Er rannte um sein Leben. Mitten in den Nebel. Er sah nicht, wohin. Nur weg von hier.

Als Lutz das Ende des Feldes erreicht hatte, war er so dermaßen außer Atem, dass er sich ins nasse Gras setzte, um zu verschnaufen. Die nächsten Minuten verbrachte er damit zu ergründen, ob das, was er gerade gesehen hatte, echt war oder ob er sich das eingebildet hatte. Immerhin hatte er abends zuvor in der Dorfkneipe mit den Jungs ordentlich einen gehoben. Und mit seinen über fünfzig Jahren konnte er das ja nun auch nicht mehr so gut vertragen wie früher. jedenfalls beschloss Lutz, erst einmal die Polizei zu rufen. Allein würde er mit Sicherheit keinen Schritt mehr auf das Feld setzen. Er kramte in seiner grünen John-Deere-Weste herum, holte ein steinzeitlich anmutendes Mobiltelefon hervor und wählte die 110. „Hier Notrufzentrale“, meldete sich eine Frau. „Hallo, hier Lutz, Lutz Erning. Kommen Sie vorbei, hier ist ein Toter.“ „Wo sind Sie denn?“ „Auf einem Maisfeld direkt neben dem Hof Schulze Rodenfeld.“ „Haben Sie sichergestellt, dass der Tote auch wirklich tot ist?“ „Ja, ich denke schon, wieso?“, fragte Lutz. „Vielleicht können wir ja noch einen Rettungswagen schicken?“ „Ne, nehmen sie lieber den Leichenwagen, da sind sie besser mit bedient.“ „Wissen Sie was? Wir schicken beide und die Polizei noch gleich mit dazu. Da sind wir auf alles vorbereitet. Was meinen Sie?“, fragte die Frau. „Gut, bis gleich.“ Lutz legte auf und steckte sein Handy zurück in seine Weste. Warum musste das ausgerechnet ihm passieren? Warum war er immer vom Pech verfolgt? Und eine Frage beschäftigte ihn ganz besonders: War es Zufall, dass die gruselige Gestalt an seiner Windschutzscheibe Bernhard Schulze Rodenfeld ähnelte?

Kapitel 3

Wilfried Kötter trat ein paar Mal mit voller Wucht gegen den Kaffeeautomaten auf dem Flur des Polizeireviers. Nichts passierte. Auch kein Trommeln half. Erst als der Hauptkommissar sich einmal mit voller Wucht gegen die dämliche Maschine warf, spuckte diese einen Becher mit brauner, zumindest wie Kaffee aussehender Brühe aus. Es wurde höchste Zeit, dass die Münsteraner Polizei mal wieder ein paar tausend Euro für einen neuen Kaffeeautomaten springen ließ, denn schließlich ist Kaffee der Saft, der Kötter und dessen Kollegen am Leben hielt. „Wir haben einen Mord!“, rief plötzlich eine Stimme hinter Kötter. Er zuckte zusammen und verschüttete einen großen Schluck heißen Kaffees über seine rechte Hand. „So ein Mist!“, rief er, nahm den Becher hektisch in die linke Hand und schüttelte sich die heiße Brühe ab. Er drehte sich um. Es war sein Chef, Hans Heuing. „Moin Wilfried. Entschuldigung“, sagte er. „Moin, passt schon. Was war das?“, fragte Kötter. „Wir haben einen Mord.“ „Wo?“ „Das ist so ein Kaff. Rodenfeld. 400 Einwohner. Ungefähr 40 Kilometer von Münster entfernt.“ Kötter war überhaupt nicht begeistert. Wie könnte die Woche schlechter anfangen als mit einem Ermordeten mitten am Arsch der Welt? „Gut, ich fahr hin. Wo ist Sandra?“, fragte Kötter. „Ach ja, die hat sich heute krankgemeldet. Ich kann dir leider keinen Ersatz-Kollegen mitgeben, da geht wohl eine Herbstgrippe herum“, sagte Heuing. „Heute wirst du wohl allein an die Front müssen, aber wenigstens sind die Jungs von der Spurensicherung schon da und leisten dir Gesellschaft.“ „Wunderbar. Dann fahr ich mal los“, grummelte Kötter. Seine Kollegin Sandra hatte sich am vergangenen Freitag schon so krank angehört. Eigentlich hatte Kötter ihr geraten, sich über das Wochenende ein wenig Ruhe anzutun. Aber bestimmt hatte sie genau das Gegenteil getan, und war mit ihren Freunden wieder im Kuhviertel unterwegs gewesen – wie eigentlich jedes Wochenende. Aber was sollte Kötter sich denn den Mund fusselig reden? Die jungen Dinger ließen sich heute ja sowieso nichts mehr sagen. Kötter leerte den Kaffee in zwei Schlucken und warf den Becher in den Mülleimer, der neben dem Automaten stand.

Auf dem Parkplatz stieg Kötter in seinen Mercedes Strich-Acht, Baujahr 1973. Sein liebstes Stück, seine Hobby, seine einzige Leidenschaft – und vermutlich das einzige Stück, das ihm seine zukünftige Ex-Frau nicht wegnehmen wollte. Seit zehn Monaten lebte Kötter mit seiner Ex nun in Trennung, was sie jedoch nicht davon abhielt, ihn mindestens dreimal pro Woche anzurufen und immer neue Forderungen zu stellen. Gut, dass ihre beiden Kinder, eine Tochter und ein Sohn, bereits erwachsen waren und Kötter nicht auch noch ein Sorgerechtsstreit belastete. Egal. Kötter stieg in seinen Benz und drehte den Zündschlüssel um. Das Schnurren des Dieselmotors machte ihn jedes Mal glücklich. Er legte den ersten Gang ein und fuhr los über den Parkplatz. Er musste rechts auf den Münsteraner Ring fahren und dann über die Steinfurter Straße raus aus der Stadt und dann den Schildern über die Landstraße folgen. Und dann war da irgendwo Rodenfeld. Es rumste. Kötter war einen Moment zu lang gedanklich bereits auf der Landstraße gewesen. Zurück im Hier und Jetzt war ihm ein Fahrradfahrer mit voller Wucht gegen den Kotflügel gefahren. Was einem so passierte, wenn man irgendwo in Münster mit einer halben Wagenlänge auf einem Radweg stand. Jetzt lag der Radfahrer, ein junger Mann, laut fluchend auf der Motorhaube von Kötters Wagen. Kötters Strich-Acht, seinem liebsten Stück. Kötter warf die Fahrertür auf und fluchte nun seinerseits auf den Radfahrer ein. Ob er denn keine Bremsen habe und ob er nie gelernt habe, vorausschauend Fahrrad zu fahren. Der junge Mann, vom schicken Kleidungsstil und den Segelschuhen her zu urteilen offenbar Student der Rechtswissenschaften, konterte, dass dessen Vater ihn verklagen würde und Kötter ja quasi schon mit einem Bein im Gefängnis stehe. Er selbst habe bereits Erfahrungen in der Juristerei gesammelt und wisse sie anzuwenden – zweifellos also ein Student der Rechtswissenschaften. Demonstrativ zückte dieser dann sein iPhone, oder wie diese Dinge heißen, und fotografierte das Nummernschild von Kötter. Dann hob er sein Fahrrad auf und fuhr weiter. Kötter musterte derweil kritisch die Front seines Fahrzeugs und stellte fest, dass das Auto keinen Kratzer abbekommen hatte. Die alten Autos waren offenbar alle besser und stabiler gebaut. Kötter stieg wieder ein, schaute diesmal besonders aufmerksam, ob nicht der nächste Jurastudent vorbeikam und fuhr los.

Kapitel 4

Thomas Horten kam durch die offene Gartentür zurück in seine Garage. Seine Hände hielt er nach oben, ungefähr so, wie ein Chirurg, der aufpassen musste, mit seinen schmutzigen Latexhandschuhen nichts anzufassen. Der Vergleich mit einem Chirurg war gar nicht so weit hergeholt, denn Hortens Hände und Oberarme waren fast bis zum Ellenbogen mit frischem Blut überzogen, das an einigen Stellen bereits zu trocknen begann, an anderen Stellen hier und da auf den grauen Betonboden der Garage tropfte. Horten stellte sich an das weiße Waschbecken und versuchte umständlich, um den Hahn nicht mit Blut zu versauen, mit beiden Ellenbogen das Wasser aufzudrehen. Auch wenn es ihm nicht ganz gelang, so öffnete er den Hahn doch so weit, bis ein schwacher Strahl in das Becken plätscherte. Horten hielt seine Hände darunter und wusch sie so weit ab, bis er gefahrlos den Hahn ganz offendrehen und auch den Arm von den gröbsten Blutresten befreien konnte. Er griff zu der Flasche mit Schmierseife, die neben dem Waschbecken stand, und pumpte sich eine großzügig bemessene Pfütze auf die Innenfläche der linken Hand. Dann begann er inbrünstig, seine Hände und Arme einzuschmieren, was er mit so einer Genauigkeit tat, dass ein Außenstehender bei dieser Szene fast an eine rituelle Waschung hätte denken können. Blutroter Schaum tropfte unter ihm in das Waschbecken, der sich in feinen Tröpfchen über die Keramik, den Wasserhahn und die geflieste Wand dahinter verteilte. Zusammen mit den Blutstropfen auf dem Boden der Garage konnte fast der Eindruck entstehen, als handle es sich bei Thomas Hortens Garage um eine Metzgerei. Ungefähr fünf Minuten lang brauchte Thomas Horten, um die sichtbaren Blutreste von Händen und Armen und unter seinen Fingernägeln vollständig zu entfernen. Man konnte nur mit Seife nicht jede Spur verwischen, das wusste er. Doch das musste er auch nicht, solange nur auf den ersten Blick alles in Ordnung schien. Horten nahm das rote Handtuch von seiner Werkbank und rubbelte sich trocken. Er betrachtete mit kritischem Blick das Handtuch und warf es dann in die Mülltonne. Dann griff er nach dem Schwamm, der ebenfalls auf der Werkbank lag, ließ ihn sich mit Wasser vollsaugen und wischte das Waschbecken und die Fliesen ab. Besonders sorgfältig ging er dabei nicht vor. Als nächstes nahm er sich die Blutstropfen auf dem Garagenboden vor. Nachdem er den Schwamm ein paar Mal kräftig durchgespült hatte, ging Horten hinüber zu seinem Pickup, der ein wenig weiter vorne in der Garage stand. Die Ladefläche war mit Blutflecken übersät, die das bloße Auge nur schwer erkennen konnte, da sie sich nicht wirklich vom schwarzen Kunststoff, aus dem die Fläche bestand, abhoben. Horten wischte ein paar Mal über die Ladefläche, wobei er sehr schludrig vorging. Ungefähr die Hälfte der Blutflecken hatte er übersehen, als er die Ladeklappe mit einem kräftigen Stoß zuschlug. Horten wrang den Schwamm noch zweimal gründlich aus, wusch sich die Hände und schaute sich die Garage noch einmal an. Dann ging er zurück ins Haus. Dieser Tag war mehr als erfolgreich gewesen, das musste er sich eingestehen.

Kapitel 5

Der Nebel schien mit jedem Kilometer, den Kötter sich weiter von Münster entfernte und sich Rodenfeld näherte, dichter zu werden. Fast konnte er nicht einmal das Ortsschild erkennen. Oder besser: die Ortsschilder. Denn, wie der Hauptkommissar feststellte, es dauerte nur ungefähr eine Minute vom Beginn bis zum Ende des Ortes. Auch das noch. Sollte das wirklich der erste Tatort werden, den er nicht finden konnte? Kötter wollte sich nicht die Blöße geben, bei einem der Kollegen von der Spurensicherung anzurufen, um nach dem Weg zu fragen. Damit würde er sich zum Gespött des gesamten Reviers machen. Kötter nahm sich vor, so lange durch den Ort zu fahren, bis er jemanden Fremdes traf, den er fragen konnte. Es dauerte fünf Minuten, bis er eine durch den Nebel spazierende ältere Frau traf, die er abfangen konnte. „Ah, der Acker mit dem Toten. Da müssen se aus dem Ort raus und dann die nächste links. Dann kommen se automatisch da hin. Wer sind se denn?“, fragte die Frau und schaute skeptisch auf das Nummernschild von Kötters Benz. „Kriminalpolizei Münster.“ „Dann sehen se ma‘ zu, dat se den Mörder finden. So Leute wollen wir hier nich“, sagte die Frau, blickte Kötter noch einige Sekunden lang mit Nachdruck an und verschwand wieder im Nebel. Ungefähr so hatte sich Kötter die Bevölkerung von Rodenfeld vorgestellt – ohne sich seinen Vorurteilen hingeben zu wollen. Er war Ermittler und er nahm sich vor, jetzt auf seinen Unvoreingenommenheitsmodus zu schalten. Selbst wenn es schwerfallen sollte. Kötter fuhr weiter, bis er das Ortsschild passiert hatte und bog links ab, wie es ihm die alte Frau gesagt hatte. Er sah noch immer nichts als Nebel. Tatsächlich erkannte er dann aber nach 200 Metern die sich langsam immer deutlicher abzeichnende Silhouette eines Streifenwagens am Rand des Landwirtschaftswegs. Dahinter parkte der Wagen seiner Kollegen von der Spurensicherung. Hier musste es irgendwo sein. Kötter stellte den Wagen ab, stieg aus und versuchte vergebens, im Nebel etwas zu erkennen. „Hallo? Hallo, wo seid ihr?“, rief er. Eine Minute später kam eine uniformierte Gestalt aus dem Nebel auf ihn zu. Es war ein Polizeibeamter. „Was rufen sie denn hier in der Gegend rum?“, fragte der Mann. „Wilfried Kötter ist mein Name, Kripo Münster.“ „Ah, hallo. Herbert Schnitzler. Ich bin hier der Dorfsheriff“, lachte der Mann und gab Kötter die Hand. „Wissen sie, einen Mord haben wir hier nicht oft. Das ganze Dorf weiß schon Bescheid. Sie müssen wissen, dass sich Nachrichten hier wie nix verbreiten, und das war schon vor dem Internet so, glauben sie mir“, sagte Schnitzler. „Ich glaub‘ ihnen ja“, sagte Kötter, „wo ist denn die Leiche?“ „Da hinten“, sagte Schnitzler und zeigte in den Nebel, „aber da dürfen wir nicht hin, die Leute von der Spurensicherung sind da noch zugange.“ „Na gut, warten wir noch“, sagte Kötter. Er hatte nicht wirklich Lust, sich jetzt von dem Dorfsheriff totquasseln zu lassen. „Wer hat denn den Toten entdeckt?“, fragte Kötter. „Das war der Lutz, ich meine, Ludger Erning, der hat den im wahrsten Sinne umgehäckselt, aber das kann der ihnen selbst sagen. Lutz! Luhutz! Komm´ mal eben nach hier hin, da ist ein Kollege aus Münster.“ Wenig später kam Lutz angetrottet. „Tach, Lutz heiß ich,“ sagte er, nahm seine ziemlich alt aussehende Cord-Mütze ab und reichte Kötter die Hand. „Guten Tag, Wilfried Kötter von der Kripo. Sie haben die Leiche gefunden?“ „Gefunden ist gut, die hat mich ja quasi angesprungen. Einen riesen Schrecken hat die mir eingejagt. Wenn `se so auf’m Bock sitzen und nix ahnend fällt da so ’ne Vogelscheuche in Ihren Häcksler rein…“ „Lutz….“, unterbrach ihn Schnitzler. „Ist doch wahr….“, erwiderte Lutz. „Na gut“, sagte Kötter, „und dann haben sie direkt die Polizei gerufen?“, fragte Kötter. „Ja, ich natürlich nix wie runter von meinen Häcksler und dann ab durch die Rabatten, sag ich mal“, sagte Lutz in seinem, wie Kötter fand, schrecklich ordinären westfälischen Akzent. „Und unser Hörbie hier, war dann auch direkt zur Stelle.“ „Aha“, sagte Kötter. „Haben wir denn ihre Telefonnummer, falls wir Rückfragen haben?“ „Ja, Hörbie hat die wohl. Hier auf’m Dorf kennt ja jeder jeden“, sagte Lutz und klopfte Schnitzler auf die Schulter. „Lass gut sein, Lutz, antworte nur auf die Fragen vom Herrn Kommissar, und gut ist“, sagte Schnitzler. „Vielen Dank, Herr Erning“, sagte Kötter. „Da nicht für. Wenn ich weiter häckseln darf, sagen `se einfach Bescheid. Und wär´ übrigens nicht schlecht, wenn’s schnell gehen würde mit ihre Ermittlungen. Et wartet noch mehr Mais hier. Kötter wusste erst nicht, ob er das soeben richtig verstanden hatte. Dann überlegte er kurz und antwortete. „Wir tun unser Bestes, Herr Erning!“ Nicht ganz zufrieden mit der Antwort setzte sich Lutz seine Cord-Mütze auf und trottete wieder in den Nebel. Herbert Schnitzler überkam das Gefühl, er müsse sich für Lutz, der übrigens auch noch sein Stammtischkollege war, entschuldigen. „Das mit dem Lutz tut mir leid, hier auf dem Dorf sind die Leute manchmal etwas einfacher unterwegs als bei ihnen in der großen Stadt“, sagte Schnitzler. „Also so groß ist Münster jetzt auch nicht. Das passt schon, Herr Schnitzler, machen Sie sich keine Gedanken“, antwortete Kötter, dem durchaus schon aufgefallen war, dass die Leute hier zu befragen, eine kleine Herausforderung werden könnte. Warum musste ausgerechnet dieser Fall im kleinsten Dorf der Welt ihn heimsuchen, obwohl er momentan sowieso schon mehr als genug Probleme hatte? In solchen Fällen musste Kötter immer unwillkürlich daran denken, dass das chinesische Wort für „Krise“ auch „Chance“ bedeutete – hoffentlich nicht die Chance auf einen Nervenzusammenbruch.

Auch Schnitzler witterte an diesem Morgen seine Chance. „Also, Herr Kommissar“, sagte er in einem Ton, der Kötter erst einmal stutzig machte und aufhorchen ließ. „Sie wissen ja, dass wir hier auf dem Land nicht allzu oft mit so grausigen Fällen zu tun haben, wie sie vielleicht. Und sie sind ja hier sozusagen neu, und da habe ich mir gedacht, dass….also….“ In diesem Moment wurde Schnitzler unterbrochen von einer Gestalt, die aus dem langsam lichter werdenden Nebel trat und weiße Schutzkleidung trug. Offensichtlich ein Mitarbeiter der Spurensicherung. „So, ihr könnt jetzt kommen, wir haben alles gesichert“, rief der Mann Kötter und Schnitzler zu. Kötter setzte sich in Bewegung, Schnitzler folgte ihm auf den Fuß. „…und da habe ich mir also gedacht, dass….“, versuchte Schnitzler seinen Satz von vorhin zu Ende zu bringen. Kötter unterbrach ihn: „Herr Schnitzler, können wir uns später weiter unterhalten? Ich würde mir nun erst einmal gern die Fundstelle anschauen.“ Schnitzler gehorchte aufs Wort. „Selbstverständlich“, sagte er etwas enttäuscht.

Nach etwa 50 Metern zeichneten sich die Umrisse eines grünen Ungetüms vor Kötters Augen ab. Noch ein paar Schritte weiter, und er konnte den Maishäcksler erkennen. Kötter verschaffte sich stets erst einmal von Weitem einen Überblick über den Tatort oder Fundort einer Leiche. Schnitzler war bereits vorgelaufen zu der Gestalt, die gegen das Führerhaus gelehnt war, und zu den Leuten von der Spurensicherung, die schon dabei waren, ihre Brocken einzupacken. Gegen das Führerhaus lehnte offensichtlich die Leiche, die tatsächlich ein wenig an eine umgemähte Vogelscheuche erinnerte. Kötter musste an die Worte von Ludger Erning denken. Während Kötter den Häcksler umrundete und dabei immer näher kam, konnte er erkennen, dass Schnitzler mit einigem Entsetzen auf die Leiche starrte und sich dabei nicht rührte. „Was ist los, Herr Schnitzler, haben sie noch nie einen Toten gesehen“, fragte Kötter. Es dauerte einen Augenblick, bis Schnitzler sich gefasst hatte. „Doch, natürlich. Aber Sie wissen höchstwahrscheinlich nicht, wer das ist“, sagte Schnitzler. „Nein, woher sollte ich das wissen? Bitte klären Sie mich auf.“ „Das ist Bernhard Schulze Rodenfeld, der größte Bauer hier im Dorf. Dem allein gehören mehr als die Hälfte der Ackerflächen. Deswegen haben den auch alle nur Maisbaron genannt. Der Hof von dem ist gleich hier um die Ecke“, sagte Schnitzler. „Aha“, bemerkte Kötter. In seinem Kopf fing es bereits an zu rattern. „Aber wie ist das denn passiert?“, fragte Schnitzler, noch immer unter Schock. „Um das herauszufinden, bin ich hier. Eine Frage würde mich erst einmal noch mehr interessieren: Wieso trägt er einen Schlafanzug?“ Schnitzler stutzte, das war ihm noch gar nicht bewusst aufgefallen. Kötter rief den Pathologen von der Spurensicherung zu sich und fragte nach dem Todeszeitpunkt, den dieser auf „etwa um 1 Uhr nachts herum“ schätzte. Die Frage nach Fremdeinwirkung erübrigte sich, da der Tote mit Kabelbindern an einer Mistgabel befestigt war, und er dies nicht selbst getan haben konnte. Irgendjemand, so vermutete Kötter, hatte Herrn Schulze Rodenfeld also vermutlich im Schlaf überrascht, getötet, hierher gebracht und an eine Mistgabel gebunden, die er in den Boden gesteckt hat. In diesem Moment wurde Kötter von einem Mitarbeiter der Spurensicherung aus seinen Gedanken gerissen, der mit einer Schrotflinte in seiner Hand angespurtet kam. „Hier, die habe ich in dem Vorfluter da hinten gefunden“, sagte der Mitarbeiter und hielt Kötter die tropfende Flinte hin. Kötter war zugegebenermaßen erleichtert. Das war bestimmt die Tatwaffe. Jetzt musste nur noch der Besitzer ausfindig gemacht werden, der Fall war so gut wie aufgeklärt, und er konnte endlich wieder aus diesem Kaff weg. Kötter nahm die Waffe, kippte den Lauf und war sofort enttäuscht. Er nahm die Patronen heraus und musste feststellen, dass sie beide noch voll waren. Mit großer Wahrscheinlichkeit war dies also nicht die Tatwaffe, und die Suche ging weiter. Welcher Mörder erschießt erst sein Opfer mit einer Schrotflinte, lädt daraufhin nach und wirft die Waffe auch noch weg? Er drückte dem Mitarbeiter der Spurensicherung wieder die Waffe in die Hand. „Hier, finden sie doch mal heraus, wem die gehört“, sagte er. Kötter dachte nach und strich sich dabei durch seine grau melierten, kinnlangen Haare. Er wandte sich wieder Leiche zu, deren Schlafanzug-Oberteil von vorne komplett blutdurchtränkt war. „Was ist denn eigentlich die Todesursache?“, fragte Kötter den Mitarbeiter. „Wir gehen davon aus, dass er erstochen wurde. Wir haben aber noch nicht genau geschaut, weil wir die Leiche noch in dieser Position lassen wollte, bis sie sich ein Bild gemacht haben.“ „Gut, das habe ich jetzt, dann bringen sie den Toten mal bitte in eine menschenwürdige Position. Herr Schnitzler, können sie da mal mithelfen?“, fragte Kötter. Schnitzler und der Mann von der Spurensicherung nahmen vorsichtig die Leiche und legten sie einige Meter entfernt vom Häcksler mit dem Rücken auf den durchweichten, maisstoppeligen Ackerboden. Eine Sache fiel den Männern sofort auf: Die Füße waren etwas oberhalb der Knöchel abgetrennt. Als Schnitzler dies sah, wurde ihm übel, und er drehte sich um, direkt in die Arme von Ludger Erning, der, so schien es, aus dem Nichts aufgetaucht war. „Hoppla, Herr Wachtmeister, nix gewohnt, wa!“, sagte Erning und schaute dem zügig in den noch nicht abgehäckselten Teil des Maisfeldes fliehenden Polizisten hinterher, der sich dort übergeben musste. „Schau an, isset doch der Maisbaron gewesen. Naja. Wann kann ich hier denn weitermachen? Zeit ist Geld“, sagte Lutz. „Sie scheinen nicht besonders überrascht zu sein, dass Herr Schulze Rodenfeld hier tot auf dem Acker liegt…“, bemerkte Kötter. „Dat überrascht mich auch nicht wirklich. Dat war nur eine Frage der Zeit, bis dem mal einer dat Licht ausknipst“, sagte Lutz. „Aha, warum?“ Kötter wurde neugierig. „Weil so ziemlich dat ganze Dorf den nicht mochte.“ „Sie also auch nicht?“, fragte Kötter. Lutz überlegte einen kurzen Augenblick. Kötter bildete sich in der Zeit ein, förmlich hören zu können, wie die Zahnräder unter der braunen Cord-Mütze arbeiteten. Lutz geriet in Rage. „Wat wollen se denn damit sagen? Dat ich den Maisbaron umgebracht hab‘? Dat glauben se doch wohl nich‘ im Ernst!“ „Naja, immerhin haben Sie die Leiche gefunden. Wo waren Sie denn gestern Nacht so gegen ein Uhr?“ „Na wo wohl? Inne Falle natürlich. Dat muss ich mir doch nich‘ gefallen lassen. Herbert! Heeerbeert, komma, der Kommissar will mir hier ans Bein pinkeln“, rief Lutz in die Richtung, in die Schnitzler verschwunden war. „Herr Erning, ich unterstelle ihnen hier gar nichts. Ich ermittle in einem Mordfall, und da ist es meine Pflicht, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. „Ja aber ich bring doch keinen um, und schon gar nicht den Maisbaron. Der bezahlt doch quasi auch mein Gehalt“, erklärte Lutz. „Das müssen sie mir mal erklären“, hakte der Kommissar nach. „Na ich und meine Kollegen, wir arbeiten ja alle für denselben Lohnunternehmer, Buschegge. Und der ist doch damit beauftragt, dem Rodenfeld seine Felder abzuernten“, sagte Lutz. „Soso. Und war der Rodenfeld vielleicht auch mal im Verzug mit den Zahlungen?“ „Jetzt fangen se schon wieder damit an. Heeerbert“, rief Lutz wieder nach Schnitzler, der aber bereits hinter ihm stand und sich mit einem Taschentuch den Mund abwischte. „Entschuldigung“, sagte er etwas verlegen. „Was ist denn los?“ „Der Kommissar sacht, ich hätte den Maisbaron um die Ecke gebracht“, sagte Lutz empört. Schnitzer versuchte die Situation zu beruhigen. „Also Lutz, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Der ist doch gerade erst mit den Ermittlungen angefangen“, sagte er und schaute Kötter fragend in die Augen. „Jetzt fall‘ du mir auch noch in den Rücken. Toller Freund bist du“, sagte Lutz und drehte sich trotzig um. Auch wenn es recht unwahrscheinlich schien, dass Lutz Erning den Mann umgebracht hatte, mochte Kötter es auf eine gewisse Art, ihn etwas zu ärgern. Er zügelte sich aber schnell wieder und beschloss, mit seiner gewohnten Professionalität weiterzumachen. „Halt, Herr Erning, nicht so schnell, wir brauchen sie noch“, sagte Kötter. „Wat is denn jetz‘ noch?“ „Schauen Sie sich mal die Leiche an. Ihnen wird bestimmt aufgefallen sein, dass die Füße fehlen. Hinter dem Häcksler sind die nicht und darum liegen die mit großer Wahrscheinlichkeit im Maistank, und wir brauchen die natürlich“, sagte Kötter. Zwei Mitarbeiter der Spurensicherung hatten in der Zwischenzeit bereits einen Zinksarg abgestellt. „Aber dann müsst‘ ich ja dat ganze Zeug hier jetzt aufm‘ Acker entleeren. Dat mach’ ich nich“, sagte Lutz. „Lutz, jetzt arbeite doch mal ein bisschen mit, das geht hier um `nen Mord“, ermahnte Schnitzler. Wieder ratterte es in Lutz‘ Schädel. Schließlich trottete er, unverständliche Worte in sich hinein brabbelnd, zum Häcksler und stieg in das Führerhaus. Er startete den Motor des stählernen Ungetüms und wenig später entleerte sich der Inhalt der Maschine auf das Feld. Kötter und Schnitzer besorgten sich Latexhandschuhe von den Kollegen der Spurensicherung und fingen an, in dem ungefähr zwei Meter hohen Haufen herumzuwühlen und dabei die Silage schön gleichmäßig über den Boden zu verteilen. Lutz betrachtete die Szene von seinem Führerhaus aus und stellte sich das Donnerwetter vor, das es von seinem Chef Buschegge geben würde. „Hier, ich hab einen“, rief Schnitzler nach ein paar Minuten aufgeregt. Er hatte einen Fuß gefunden, der noch immer vom Rest eines Gummistiefels umgeben war. Er hielt diesen in die Luft wie ein kleiner Junge, der gerade einen Pokal beim Fußball gewonnen hatte. „Es ist der Linke“, sagte er. „Gut, dann legen sie ihn doch bitte schon mal in den Sarg“, sagte Kötter und durchwühlte weiter den Haufen. Nach kurzer Zeit wurde auch er fündig. „So, und hier der zweite“, sagte er erleichtert. Er legte ihn zu dem anderen in den Zinksarg. „So, ham se jetzt wat se wollten?“, rief der noch immer erboste Lutz Erning von seinem Führerhaus herunter. Kötter schaute sich um und betrachtete noch einmal den kompletten Fundort. „Herr Erning, sie können in ein paar Minuten weitermachen, nur noch etwas Geduld“, sagte Kötter. Er sprach kurz mit einem Mann von der Spurensicherung, der mit seinem Kollegen die Leiche in den Zinksarg legte. „Ab mit ihm in die Pathologie nach Münster“, sagte Kötter schließlich. „Und sie halten sich bitte für weitere Fragen zur Verfügung“, rief er hinüber ins Führerhaus. Wieder brabbelte es aus der Richtung, dann knallte die Tür zu. Die Spurensicherung lud den Sarg mit der Leiche, die Forke und die Schrotflinte ein. „Herr Schnitzler, wo war noch der Hof Schulze Rodenfeld?“, fragte Kötter. „Ein Stück weiter die Straße runter.“ „Gut, da machen wir nämlich jetzt weiter. Würden Sie bitte vorausfahren? Die Spurensicherung folgt ihnen dann und ich komme auch gleich nach.“

Schnitzler salutierte förmlich vor dem Hauptkommissar aus Münster und spurtete zu seinem Streifenwagen. Die Kolonne aus zwei Fahrzeugen setzte sich in Bewegung. Der Nebel hatte sich fast komplett verzogen, und die Sicht war wieder gut. Sogar ein paar Sonnenstrahlen schienen Kötter jetzt ins Gesicht. Von Erleuchtung gab es jedoch keine Spur. Kötter atmete ein paar Mal tief durch und versuchte die spärlichen Informationen, die er bis jetzt sammeln konnte, in seinem Kopf zusammenzulegen. Es war eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten. Kötter ging zurück zu seinem Auto. Plötzlich entdeckte er auf der Straße, dicht bei seinem Wagen, einen Mann, der ihn fotografierte. Als dieser bemerkte, dass Kötter ihn entdeckt hatte, rannte er fort. „Halt, stehen bleiben!“, rief Kötter und lief los. Der weiche Ackerboden machte es ihm schwer, von der Stelle zu kommen, doch nach wenigen Metern hatte er zu seiner Freude wieder den Straßenbelag unter seinen Füßen, auf dem es schneller voranging. Der Mann, der vor ihm davon lief, war offenbar nicht besonders gut zu Fuß, denn er hatte sich erst ungefähr 50 Meter von Kötter entfernt. In solchen Situationen zahlte sich für den Kommissar das tägliche Jogging um den Münsteraner Aasee aus, denn nach kurzer Zeit hatte Kötter den Mann eingeholt. Er bekam dessen Jacke zu packen und stoppte ihn. „So mein Freund, nicht so schnell.“ Kötter riss den Mann herum und sah, warum er nicht der Schnellste war, denn er war um die 75 Jahre alt und bereits sehr gebrechlich. Augenblicklich lockerte Kötter den festen Handgriff, da er befürchtete, er könnte den Arm des alten Mannes zerdrücken oder dergleichen. „Ich bin ein freier Bürger dieses Landes, und ich darf sein, wo ich will“, sagte der Mann. Kötter schaute ihm in seine glasigen, etwas verunsicherten Augen. „Und wie heißen sie, bitteschön?“ „Heinz Maler“, sagte der Mann. „Herr Maler, ich bin Wilfried Kötter von der Kriminalpolizei Münster, und ich möchte sie fragen, seit wann sie schon an dem Maisfeld gestanden haben?“ „Dann zeigen sie mir doch mal ihren Ausweis, sonst sage ich nämlich gar nichts.“ Kötter kramte den Dienstausweis aus seiner Tasche hervor und hielt ihn Herrn Maler unter die Nase. Dieser betrachtete den Ausweis inbrünstig und entschied sich schließlich, zu antworten. „Seit zwei Minuten war ich schon an dem Maisfeld.“ „Und was haben sie da gemacht?“ „Ich war spazieren und habe gesehen, dass da die Polizei stand. Ich war neugierig und da habe ich ein paar Fotos gemacht.“ „Haben sie immer ihre Kamera dabei, wenn sie spazieren gehen?“ „Meistens. Das hier ist doch ein wunderbarer Herbstmorgen, schöne Motive gibt es da mit all dem Nebel und so. Fotografieren ist schon seit mehr als 50 Jahren mein Hobby, in dieser Zeit habe ich so viel hier im Dorf fotografiert, das glauben sie gar nicht. Wenn ich wollte, könnte ich ganz Rodenfeld vernichten!“ Hatte Kötter da gerade richtig gehört? „Wie meinen sie das denn jetzt?“, fragte er. „Naja, wenn man immer seine Kamera dabei habt, geraten einem schon manchmal Sachen vor die Linse, die für den ein oder anderen sehr belastend sein können. Ich weiß hier alles über jeden, aber ich würde davon natürlich niemals Gebrauch machen“, sagte Maler. „Nein, natürlich nicht“, sagte Kötter. „Was ist hier eigentlich passiert? Das ist doch hier ein Acker vom Maisbaron“, sagte Maler. „Das darf ich ihnen nicht sagen, sind ja laufende Ermittlungen. Aber sie kennen offenbar Herrn Schulze Rodenfeld?“ Heinz Maler schmunzelte. „Den kannte hier jeder, glauben Sie mir“, sagte er. „Wie kommen sie darauf, dass er tot ist?“, fragte Kötter, dem Maler offenbar gerade auf den Leim gegangen war. „Das hab` ich doch gar nicht gesagt!“ „Und warum ,kannte‘ dann jeder Herrn Schulze Rodenfeld?“, fragte Kötter. Aus dieser Sache konnte Maler sich nicht mehr herausreden. Er blickte etwas ertappt auf den Boden. „Dann werde ich jetzt mal ihre Kamera beschlagnahmen“, sagte Kötter. „Aber das ist meine gute Leica“, protestierte Maler. „Das bleibt auch ihre Leica, sie bekommen sie zurück, wenn der Fall abgeschlossen ist. Es sei denn, Sie geben mir jetzt den Film.“ Kötter hatte nie gedacht, dass er das im Zeitalter von Fotohandys und Digitalkameras jemals noch einmal zu jemandem sagen würde. Nach einigem Zögern öffnete Maler die Kamera, zog den Film heraus und übergab ihn dem Kommissar. „Da haben sie ihn. Und wer ersetzt mir jetzt den Film? Schwarzweiß-Filme sind wirklich teuer.“ „Dankeschön. Ich fürchte, auf dem Geld bleiben sie sitzen. Ich brauche dann übrigens noch einmal ihre genaue Adresse und am besten noch Telefonnummer, falls ich noch Rückfragen habe“, sagte Kötter. Heinz Maler brummelte etwas in sich hinein und diktierte, nein, knurrte Kötter seine Kontaktdaten in den Schreibblock. Diesen Morgenspaziergang hatte er sich anders vorgestellt, aber wenigstens durfte er seine Leica behalten. „Bitte behalten sie das mit dem Tod von Herrn Schulze Rodenfeld für sich, sie würden uns damit sehr helfen“, sagte Kötter um wenigsten etwas versöhnlich zu wirken. „Wir sind hier in Rodenfeld, Herr Kötter. Gehen sie mal davon aus, dass das ganze Dorf schon Bescheid weiß.“ Wie konnte Kötter auch nur einen Moment daran zweifeln? Er verabschiedete sich knapp von Heinz Maler und ging zu seinem Strich-Acht.

Kapitel 6

Helmut Euler saß an einem Tisch in seinem Keller, wackelte mit dem Stuhl hin und her und tippte nervös mit den Fingern auf dem Tisch herum. In seinem Kopf schwirrten tausende Gedanken herum, die ihn nicht mehr zur Ruhe kommen ließen. Ihm schnürte sich förmlich die Kehle zu, während er sich immer wieder dieselbe Frage stellte: Was war gestern Nacht nur schiefgelaufen? Es mochte ihm einfach nicht in seinen Schädel gehen. Und was war mit der Vereinbarung? Würden Sie ihn einsperren? Er versuchte sich zu beruhigen, indem er versuchte, verschiedene Gegenstände im Raum zu fixieren und sich daran zu erinnern, woher diese stammten. Ein Fehler. Helmut Eulers Blick wanderte wie durch Zauberhand gelenkt auf den Waffenschrank, in dem vier Schrotflinten nebeneinander standen. Eine fehlte. Er begann erneut zu grübeln.

Kapitel 7

Bis zum Hof Schulze Rodenfeld dauerte die Fahrt nur eine Minute. Er lag wirklich direkt hinter dem Maisfeld, in dem die Leiche gefunden wurde. Die Hofauffahrt markierte ein schönes altes Tor, bestehend aus zwei großen Sandsteinpfeilern und zwei großen schmiedeeisernen Flügeln, die weit offenstanden. Eines fiel Schnitzler direkt ins Auge: Jemand hatte an einen der Pfeiler in neonroter Farbe von unten nach oben die Worte „Teller statt Tank – Stoppt den Biogaswahn“ gesprayt. „Eine Schande“, dachte Kötter, der alles Alte sehr mochte. Auch deswegen fuhr er den alten Strich-Acht. Umso schlimmer, wenn man so etwas mutwillig besudelte. Kötter lenkte seinen Benz auf den Hof. Schnitzlers Streifenwagen und der Wagen von den Kollegen der Spurensicherung standen bereits mitten auf dem Hof. Kötter fuhr direkt bis zu dem großen alten und top-gepflegten Bauernhaus vor, stellte den Wagen ab und ging zu den Kollegen von der Spurensicherung, die auf dem Hof eine Erdprobe aus einer Fuge zwischen dem Kopfsteinpflaster kratzten. „Ihr seid also schon fündig geworden“, bemerkte Kötter. „Das war ehrlich gesagt auch nicht zu übersehen. Hier ist eine ziemlich eindeutige Blutspur, die von dem Stall da bis hierher führt“, sagte der Mitarbeiter. Kötter schaute hinüber zum Stall. Ihm fiel auf, dass der kalte, ausladende Industriehallencharakter des Stalls in krassem Gegensatz zu dem schönen alten Bauernhaus stand. Aber das war wohl der Fortschritt, der nach und nach die Landwirtschaft einholte. „Wo ist eigentlich Herr Schnitzler?“, fragte Kötter. „Der ist ins Haus gegangen. Er wollte die Witwe informieren“, antwortete der Mann von der Spurensicherung. Kötter nickte und ging hinüber zum Haus. Vor der schweren Haustür aus Eichenholz verbrachte er mehrere Sekunden vergeblich damit, eine Klingel zu finden. Stattdessen hing dort ein Seil, das zum Ziehen einlud. Kötter hatte schon öfter solche Klingeln an alten Bauernhäusern gesehen. Er zog einmal kräftig, und aus dem Innern ertönte ein helles Klingeln, gefolgt von Schnitzlers Stimme: „Es ist offen!“ Kötter drückte die Klinke hinunter und schob die Tür auf. Er gelangte in eine große Diele, die mit schachbrettartigem Muster gefliest war. Überall standen antike Möbel und an den Wänden hingen alte Ölgemälde, die mit Sicherheit aus dem vorvorletzten Jahrhundert stammten. Am anderen Ende des Raumes, gegenüber von den Eingangstüren, war eine große Feuerstelle, in der aber kein Herdfeuer brannte. Links davon stand ein großes Sofa. Darauf saß Schnitzler, im Arm hielt er eine ältere Frau, die völlig aufgelöst war und leise weinte. Sie trug einen Schlafanzug. Ganz offenbar war sie die Witwe von Bernhard Schulze Rodenfeld. „Guten Tag, ich bin Wilfried Kötter von der Kriminalpolizei Münster“, sagte Kötter, während er zu den beiden hinüberging. Es kam keine Antwort. Die Frau weinte weiter, Schnitzler schaute Kötter an. „Das ist Emma Schulze Rodenfeld, die Frau von Bernhard“, sagte Schnitzler, während Kötter sich in einen Sessel sinken ließ. „Ich habe ihr gerade gesagt, dass wir Bernhard auf dem Feld gefunden haben, und das wir alles tun, um herauszufinden, wie das passiert ist“, sagt Schnitzler. In den Augen von Kötter war der letzte Teil eine völlig überflüssige Information. Natürlich tat er immer alles, um einen Täter zu finden. In Anbetracht der Situation sparte er sich jedoch einen zurechtweisenden Kommentar in Schnitzlers Richtung. „Das werden wir sicherlich, Frau Schulze Rodenfeld. Es tut mir sehr leid, was ihrem Mann widerfahren ist. Wenn wir herausfinden möchten, was genau gestern Nacht passiert ist, müssen sie mir aber ein paar Fragen beantworten. Können sie das?“, fragte Kötter. Emma Schulze Rodenfeld nickte kaum merklich und schluchzte weiter. Schnitzler, der die Frau offenbar besser kannte, streichelte ihr über den Rücken. „Gut. Ihr Mann war gestern Nacht zunächst im Bett, richtig?“ Emma nickte. „Und dann ist er aufgestanden?“ Emma musste sich einen Augenblick fassen. Dann begann sie mit gebrochener Stimme zu erzählen. „Es war stürmisch. Bernhard ist aufgewacht, weil die Stalltür nicht zu war und immer wieder gegen die Wand geschlagen ist. Wir haben einen Mitarbeiter hier, der das öfter mal vergisst. Dann ist Bernhard aufgestanden, weil er die Tür wieder zumachen wollte. Und dann habe ich ihn nicht mehr gesehen.“ „Haben sie denn nichts auf dem Hof gehört? Schreie oder andere Leute oder irgendetwas? Zu welcher Seite zeigt denn ihr Schlafzimmer?“ „Das zeigt schon zum Hof. Aber ich habe immer Ohrstöpsel im Ohr, und ich bin, nachdem Bernhard aufgestanden ist, direkt wieder eingeschlafen. Das liegt auch an den Medikamenten….“, sagte Emma, der das offenbar ziemlich peinlich war. „Was denn für Medikamente?“, hakte Kötter nach. „Ich habe eine Depression, und da…. .“ Emma sprach nicht weiter. Kötter wollte nicht weiter nachbohren. „Gut, wann haben sie denn bemerkt, dass ihr Mann nicht zurück ins Bett gekommen ist?“ „Das war erst heute Morgen. Ich schlafe immer sehr lange, wenn Bernhard mich nicht weckt, auch wegen….sie wissen schon. Um Acht bin ich dann wach geworden und das Bett war leer. Ich bin dann nach unten und habe das ganze Haus abgesucht. Bernhard war nicht da. Dann bin ich raus, habe auf dem Hof geschaut und dann…“ Emma stockte wieder. „Schon gut, Emma, wir haben Zeit“, sagte Schnitzler beruhigend. „…und dann war da überall Blut.“ Kötter stutzte. „Frau Schulze Rodenfeld, warum haben sie denn nicht die Polizei gerufen? Dafür sind wir doch da.“ Emma nahm sich wieder Zeit, über die Frage nachzudenken. „Ich war einfach wie gelähmt vor Schock, konnte nicht mal den Telefonhörer abnehmen. Ich saß hier auf dem Sofa, und dann kam Herbert.“ Kötter kannte natürlich sehr viele Fälle, in denen Opferangehörige völlig traumatisiert waren. Dass jemand mehrere Stunden unter Schock auf einem Sofa festgefroren war, wunderte ihn deshalb nicht. „Frau Schulze Rodenfeld, hatte ihr Mann irgendwelche Feinde? Irgendjemand, für den sein Tod Vorteile gebracht hätte?“, fragte Kötter. Dies war offenbar eine sehr empfindliche Frage, denn Emma fing darauf bitterlich zu weinen an. Heftig schluchzend antwortete sie: „Er hat sich doch mit dem ganzen Dorf angelegt. Das ganze verdammte Dorf!“ Emma schrie jetzt. „Schon gut, schon gut“, versuchte Kötter zu beruhigen. „Ich versuche die Frage mal anders zu formulieren. Gibt es jemanden, dem sie am ehesten zutrauen, ihren Mann umgebracht zu haben? Wer ist zum Beispiel für die Schmierereien an ihrer Hofeinfahrt verantwortlich?“ „Ach das, das waren die Umweltaktivisten. Die gehen uns schon seit Monaten auf den Geist. Dann blickte Emma Kötter direkt in die Augen und sagte mit einer Bestimmtheit und gleichzeitig Verbittertheit, die Kötter selten erlebt hatte: „Ich traue allen zu, Bernhard umgebracht zu haben!“ Das reichte Kötter fürs Erste, auch wenn es ihm nicht weiterhalf. „Wir beenden die Befragung erst einmal. Ich möchte ihnen aber gern einen Polizeipsychologen vorbeischicken, wenn sie nichts dagegen haben. Herr Schnitzler, vielleicht bleiben sie hier, bis der hier ist?“, fragte Kötter in Schnitzlers Richtung. Schnitzler nickte, und auch Emma war einverstanden. „Ach so, vielleicht könnten Sie morgen um zehn Uhr nach Münster kommen und ihren Mann identifizieren?“, fragte Kötter. Auch das war in Ordnung. Kötter schälte sich aus dem Sessel, der ganz offenbar eine uralte ausgeleierte Federung hatte und ging zur Haustür. „Herr Kötter, Herr Kötter, warten sie kurz“, rief plötzlich Herbert Schnitzler hinter ihm. Kötter drehte sich um und wunderte sich, wie schnell Schnitzler es vom Sofa bis zu ihm geschafft hatte. „Was ist denn?“ „Ich wollte sie ja noch etwas fragen, vorhin auf dem Feld.“ Kötter war gespannt. „Dann schießen sie mal los.“ „Also, sie sind ja ganz allein hier am ermitteln, und da könnten sie ja bestimmt Hilfe gebrauchen. Und ich kenne mich hier im Dorf ja bestens aus und da wollte ich sie Fragen, ob ich für diesen Fall, also natürlich nur wenn sie wollen, also ob ich da wohl ihr Partner sein darf?“ Schnitzler schaute Kötter ins Gesicht. Kötter verzog keine Miene. Auch das noch. Ein übereifriger Dorfsheriff an seiner Seite. An Kötters Seite. Kötter, der in den vergangenen Jahren unzählige Partner verschlissen hatte, bis er schließlich eine gefunden hat, mit der er halbwegs gut klarkam. „Das ist sehr gut gemeint. Aber meine Partnerin ist nur heute nicht da, und morgen sind wir wieder zu zweit hier, aber wir arbeiten ja auch so zusammen und wenden uns an sie, wenn wir fragen haben.“ Schnitzler wich das erwartungsfrohe Lächeln aus dem Gesicht. Damit hatte er nicht gerechnet. Vielmehr hatte er gehofft, einmal bei einem großen Fall in Rodenfeld mitzuermitteln. Einmal nicht nur die Streiche aufklären, die die Rasselbande der Wolters-Jungs anstellte. Er schaute Kötter traurig ins Gesicht. Kötter war kein Unmensch. Schnitzler tat ihm fast leid, wie er da fast schon bettelnd vor ihm stand. Deshalb ließ er sich zu einer für seine Verhältnisse schon fast großzügigen Geste hinreißen, die ihm aber immer noch ein Hintertürchen freiließ: „Ich werde mal drüber schlafen, einverstanden?“ Augenblicklich kam das Lächeln zurück in Schnitzlers Gesicht. Er schüttelte aufgeregt Kötters Hand und flitzte zurück zum Sofa, auf dem er wieder neben Emma Platz nahm. Kötter hoffte, dass er das nicht bereuen würde. Kötter zog die schwere Eichentür von außen hinter sich zu und atmete tief durch. Nach ein paar Augenblicken richtete er seinen Blick in Richtung Stall und versuchte nachzuvollziehen, was in der Nacht passiert war. Mit jedem Schritt, den er nach vorne setzte, versuchte er ein Stück mehr zu ergründen, was in Bernhard Schulze Rodenfelds Kopf vorgegangen sein mochte, als er im Dunkeln, nur mit einem Schlafanzug bekleidet, nach draußen in den Sturm ging, um die Stalltür zu schließen. Hatten seine Mörder ihm aufgelauert? Hatte er sie kommen sehen, oder was es ein Hinterhalt? Wie viele Täter mochten beteiligt gewesen sein? Während er nachgedacht hatte, war er an der getrockneten Blutlache mitten auf dem Hof angekommen. Ein paar Schritte weiter entfernt war die Stalltür. „Herr Kötter, kommen sie mal vorbei, das dürfte Sie interessieren“, rief der Kollege von der Spurensicherung aus dem Stall zu ihm herüber. Es folgte eine Pause. „Herr Kötter?“ Der Hauptkommissar schreckte aus seinen Gedanken auf. „Ja, ich komme“, antwortete Kötter und ging die paar Schritte bis zur Tür. Im Stall waren die einzigen Lichtquellen Leuchtstoffröhren, die mit ihrem kalten Schein eine unangenehme Atmosphäre schufen. Kötter kniff die Augen zusammen. Auch das Klima in der große Halle war nicht besonders einladend, sondern vielmehr eine abstoßende Mischung aus tropischer Schwüle und dem Geruch nach Schweine-Exkrementen, die, wie Kötter übrigens fand, im Gegensatz zu den Abfallprodukten von Pferd oder Rind bestialisch stanken. Kötter atmete durch den Mund. Im Stall befanden sich zig Boxen mit Sauen und Ferkeln. Einige von ihnen schauten Kötter neugierig an. Er war irritiert. Die Augen von Schweinen hatten fast schon etwas Menschliches. „Schauen sie mal nach unten“, sagte der Mitarbeiter von der Spurensicherung und zeigte auf Kötters Füße, die mitten in einer Blutlache standen, die im Gegensatz zu der auf dem Hof noch nicht getrocknet war. Kötter zuckte vor Schreck zusammen und setzte unwillkürlich einen Schritt nach hinten. Hätte er sich nicht am Rahmen der Stalltür festgehalten, wäre er rückwärts nach draußen gekippt. Nach wenigen Sekunden hatte er sich wieder gefasst. „Wir gehen mal davon aus, dass das Blut auch von unserem Opfer stammt. Habt ihr eine Probe genommen?“, fragte Kötter. Der Mitarbeiter der Spurensicherung nickte. „Ist ihnen hier sonst irgendetwas aufgefallen?

---ENDE DER LESEPROBE---