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Wilhelm J. Krefting

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Beschreibung

Dieser Doppelband beinhaltet Teil 3 und 4 der erfolgreichen Alexander-Hoorn-Reihe: „Sündenwald“ und „Waisenmacher“. Die ersten beiden Teile, „Kindsmörder“ und „Moormädchen“, sind im Doppelband „Unvergänglich“ zusammengefasst, der ebenfalls für Tolino erhältlich ist. Alle Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden. Buchbeschreibung „Sündenwald“: Ein Richter und ein Staatsanwalt werden auf bizarre Weise ermordet. In ihren Körpern findet die Polizei kleine Gegenstände und Zettel mit rätselhaften Hinweisen. LKA-Ermittler Alexander Hoorn vermutet, dass die Juristen gezielt aus dem Weg geräumt wurden. Kurz darauf taucht eine weitere Leiche mit versteckter Botschaft auf und Alexander ist sicher, dass er es mit einem Serienmörder zu tun hat, der erst am Anfang seines blutigen Werkes steht. Mit jedem weiteren Toten erhärtet sich ein zusätzlicher Verdacht: Die scheinbar zufällig ausgesuchten Opfer teilen ein düsteres Geheimnis. Die Zeit arbeitet gegen Alexander und er ahnt nicht, dass er selbst bereits Teil des Rätsels geworden ist… Buchbeschreibung „Waisenmacher“: Kriminalkommissar Alexander Hoorn lässt sich von seiner Arbeit beim LKA in Düsseldorf freistellen. Er will sich ganz auf die Suche nach seiner vor 20 Jahren verschwundenen Schwester Paula konzentrieren. Eine Spur führt ihn in den brandenburgischen Grenzort Grollwitz. Mit Alexanders Auftauchen im Dorf häufen sich rätselhafte Vorfälle. Zwei Männer werden ermordet und er gerät unter Verdacht, den Tod mitgebracht zu haben. Seine Suche steht schnell vor einer weiteren Herausforderung, als er einen Zusammenhang zwischen dem Mord an den beiden Männern und zwei vor langer Zeit spurlos verschwundenen Kindern entdeckt. Bei aller Grausamkeit nähren die Vorfälle Alexanders Hoffnung: Führt ihn die dunkle Vergangenheit von Grollwitz am Ende auch zu seiner Schwester? Die Antwort darauf scheint in einer verlassenen Herberge am Rande des Dorfs zu warten. Ein Ort, den sich seit Jahrzehnten niemand aufzusuchen traut. Alexander will herausfinden, warum. Doch er ahnt nicht, welch fatale Kette von Ereignissen er damit auslöst…

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Wilhelm J. Krefting

Unverletzlich

Inhaltsverzeichnis

Sündenwald

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Waisenmacher

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Impressum

Dieser Doppelband beinhaltet Teil 3 und 4 der erfolgreichen Alexander-Hoorn-Reihe: „Sündenwald“ und „Waisenmacher“.

Die ersten beiden Teile, „Kindsmörder“ und „Moormädchen“, sind im Doppelband „Unvergänglich“ zusammengefasst, der ebenfalls für Tolino erhältlich ist.

Alle Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.

Buchbeschreibung „Sündenwald“:

Ein Richter und ein Staatsanwalt werden auf bizarre Weise ermordet. In ihren Körpern findet die Polizei kleine Gegenstände und Zettel mit rätselhaften Hinweisen.

LKA-Ermittler Alexander Hoorn vermutet, dass die Juristen gezielt aus dem Weg geräumt wurden. Kurz darauf taucht eine weitere Leiche mit versteckter Botschaft auf und Alexander ist sicher, dass er es mit einem Serienmörder zu tun hat, der erst am Anfang seines blutigen Werkes steht.

Mit jedem weiteren Toten erhärtet sich ein zusätzlicher Verdacht: Die scheinbar zufällig ausgesuchten Opfer teilen ein düsteres Geheimnis. Die Zeit arbeitet gegen Alexander und er ahnt nicht, dass er selbst bereits Teil des Rätsels geworden ist…

Buchbeschreibung „Waisenmacher“:

Kriminalkommissar Alexander Hoorn lässt sich von seiner Arbeit beim LKA in Düsseldorf freistellen. Er will sich ganz auf die Suche nach seiner vor 20 Jahren verschwundenen Schwester Paula konzentrieren. Eine Spur führt ihn in den brandenburgischen Grenzort Grollwitz.

Mit Alexanders Auftauchen im Dorf häufen sich rätselhafte Vorfälle. Zwei Männer werden ermordet und er gerät unter Verdacht, den Tod mitgebracht zu haben. Seine Suche steht schnell vor einer weiteren Herausforderung, als er einen Zusammenhang zwischen dem Mord an den beiden Männern und zwei vor langer Zeit spurlos verschwundenen Kindern entdeckt. Bei aller Grausamkeit nähren die Vorfälle Alexanders Hoffnung: Führt ihn die dunkle Vergangenheit von Grollwitz am Ende auch zu seiner Schwester?

Die Antwort darauf scheint in einer verlassenen Herberge am Rande des Dorfs zu warten. Ein Ort, den sich seit Jahrzehnten niemand aufzusuchen traut. Alexander will herausfinden, warum. Doch er ahnt nicht, welch fatale Kette von Ereignissen er damit auslöst…

Über den Autor

Wilhelm J. Krefting lebt und arbeitet in Münster. Nach dem Abitur studierte er Politikwissenschaften und Journalistik und lebte einige Zeit in Australien, wo er für verschiedene deutsche und australische Zeitungen arbeitete.

Schreiben ist seine große Leidenschaft, und Krefting liebt es, seine vielfältigen Erlebnisse in spannende Geschichte zu gießen. Seine schriftstellerische Karriere begann der Autor 2013. Im Jahr 2016 veröffentlichte er mit „Aschekinder“ seinen ersten Tolino Nr. 1 eBook-Bestseller.

Sündenwald

Prolog

Der hart gefederte Lieferwagen holperte über den mit Schlaglöchern übersäten Wirtschaftsweg durch die Nacht. Frank Binder und Edgar Herbst rutschten im Laderaum von einer Seite auf die andere und hatten mit ihren gefesselten Händen und Füßen keine Chance zu verhindern, dass ihre Köpfe immer wieder gegen die Innenwände des Transporters prallten. Die Schmerzensschreie der Männer wurden von den Knebeln in ihren Mündern verschluckt und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass ihre Fahrt bald enden würde. Andererseits bezweifelten sie, dass sie wirklich an ihrem Ziel – wo auch immer das liegen würde – ankommen wollten. Was würde dort mit ihnen geschehen? Was führte der Mann am Steuer, der heute Abend brutal in ihre Häuser eingedrungen war, um sie zu entführen, im Schilde? Mit Sicherheit holt er uns nicht zum Abendessen ab, dachte Frank Binder. Als Staatsanwalt hatte er sich über die Jahre eine beträchtliche Anzahl an Feinden geschaffen. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis einer der Verurteilten eines Tages auf die Idee kommt, sich an mir zu rächen. Vielleicht jemand, der gerade frisch aus dem Gefängnis entlassen worden ist, dachte Binder.

Die gleiche Überlegung traf auf seinen Leidensgenossen Edgar Herbst zu. Auf ihn als Richter am Landgericht sogar noch viel mehr, denn am Ende ist er es doch, der Beschlüsse fasst und Urteile verkündet.

Frank Binder hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Die Stöße gegen seinen Kopf hatten inzwischen vielleicht eine Gehirnerschütterung ausgelöst. Er schätzte, dass die Fahrt jetzt etwa eine Stunde dauerte. Als er in den Lieferwagen geworfen wurde, lag Edgar Herbst schon auf dem kalten Holzboden. Es war zwar dunkel hier drin, doch als die Tür sich vorhin geöffnet hatte und für einen Moment Licht hereinfiel, hatte Binder die Panik in Herbsts Augen aufleuchten sehen. Binders Augen sahen inzwischen wohl genauso aus.

Plötzlich stoppte der Lieferwagen. Die beiden Männer rutschten nach vorn und wurden unsanft von der Vorderwand gestoppt.

Der Entführer schlug die Fahrertür zu. Augenblicke später öffnete sich die Schiebetür zum Laderaum. Es war Nacht, das schwache Licht einer Straßenlaterne fiel herein und blendete sie. Beide Männer hatten Angst. „Was wollen Sie von uns“, brüllte Frank in den Knebel. Mit Ausnahme eines unverständlichen Stöhnens kam nichts an.

„Gib dir keine Mühe, man versteht sowieso nichts. Und selbst wenn, es ist niemand hier, der dich hören könnte“, sagte der Mann an der Tür in einem unheimlich ruhigen Tonfall. Er trug eine Sturmhaube über dem Kopf und Frank fragte sich krampfhaft, ob und wo er den Mann schon einmal gesehen hatte. Er versuchte, sich an all die Angeklagten aus den vergangenen Jahren zu erinnern. Ohne Erfolg. Wenn er dem Entführer schon mal in irgendeinem Gerichtssaal begegnet sein sollte, dann war es schon sehr lange her.

„Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug. Dazu werde ich deine Fußfesseln aufschneiden. Solltest du auf dumme Gedanken komme, wirst du es bereuen, haben wir uns verstanden“, sagte der Mann. Seine Augen funkelten Frank durch den Schlitz in der Sturmhaube an. Frank zögerte einen Moment. Wo geht er mit mir hin? Will er mich jetzt umbringen? Wie auch immer, ich habe keine Wahl, als zu gehorchen. Frank rutschte zur Tür und schaute zu, wie der Mann seine Fesseln durchschnitt. Er setzte sich auf die Türkante und sah zum ersten Mal, wo er eigentlich war. Aus dem dunklen, bedrohlich wirkenden Wald ragte von einem Bergsporn in einiger Entfernung die erleuchtete Burg Altena in den schwarzen Himmel.

„Los, mitkommen“, befahl der Entführer.

Frank erhob sich und schritt mit zitternden Knien vorwärts über den Waldboden.

„Und du bleibst schön hier, ich komme gleich zurück“, sagte der Mann und knallte die Tür des Lieferwagens zu.

Frank sah, wie der Mann einen Bolzenschneider vom Beifahrersitz holte. Seine Gedanken rasten und er versuchte, nicht daran zu denken, was er mit dem Werkzeug alles anstellen würde.

Der Weg durch den Wald bis hoch zur Burg betrug einige hundert Meter. Der Entführer hatte sich einen Platz zum Parken ausgesucht, der gut versteckt im Gehölz lag. Frank kam auf dem weichen und nicht gut sichtbaren Untergrund nur langsam voran. Jedenfalls zu langsam für den Mann hinter sich, der ihm zum Antreiben immer wieder den Bolzenschneider in den Rücken rammte.

Als sie den asphaltierten Weg hinauf zur Burg erreichten, kam Frank bedeutend schneller vorwärts. Weit und breit war niemand zu sehen, der ihm hätte helfen oder zumindest die Polizei rufen können. Es war zum Verzweifeln: Schon oft hatte er das mittelalterliche Bauwerk besichtigt, damals noch mit seiner Ex-Frau, und jedes Mal mussten sie in einer langen Schlange von Touristen warten. Doch wo waren die ganzen Leute, wenn man sie einmal brauchte?

„Wir sind da, stehenbleiben“, raunzte der Mann, als sie das massive Steintor am Eingang des unteren Burghofs erreichten.

Frank gehorchte anstandslos und wehrte sich auch nicht, als sein Entführer das Seil um seine Handgelenke löste, um ihn kurz darauf mit Kabelbindern an zwei Ösen zu fesseln, die an der Innenseite des Tores aus der Natursteinwand ragten. In dieser Position sah er ein bisschen aus wie Jesus am Kreuz, nur umgekehrt. Frank hegte immer noch die Hoffnung, der Entführer würde Gnade walten lassen, wenn er sich nur kooperativ verhalten möge.

Franks Kopf lehnte so nah an der kalten Steinwand, dass er ihn kaum drehen konnte. Nur der Blick nach oben war problemlos möglich. Die Zacken des eisernen Falltors schwebten wenige Meter über ihm. Zum Glück war es schon lange ohne Funktion, Frank hatte es während all seiner Besuche auf der Burg nie im heruntergelassenen Zustand gesehen.

„Du fragst dich sicherlich, warum wir heute hier sind“, sagte der Entführer.

Frank wollte antworten, aber der Knebel erlaubte nur weitere unartikulierte Laute. Der Mann mit der Sturmmaske erwartete wohl gar keine Antwort. „Ich werde dir jetzt ein Rätsel stellen. Wenn du es beantworten kannst, darfst du gehen. Wenn nicht, musst du sterben. Hast du das verstanden?“

Ein Gefühl von Panik überkam Frank. Was für ein krankes Spielchen sollte das sein? Er schrie in den Knebel, Angstschweiß rann seine Schläfen hinunter.

„Hör lieber auf damit, ich werde das Rätsel nicht wiederholen.“

Frank versuchte sich zu beruhigen und seinen vor Angst schlotternden Körper unter Kontrolle zu bekommen. Die Worte des Entführers hämmerten auf ihn ein.

„Ein Spion will sich in die Burg einschmuggeln, muss aber an der Torwache vorbei. Da er das Passierwort nicht weiß, beobachtet er andere, wie sie das Tor passieren. Als erstes kommt ein dicker Mönch. Der Torwächter sagt ,16‘, worauf der Mönch schlicht ,8‘ antwortet. Dann kommt ein Bauer. Der Torwächter sagt ,28‘ und der Bauer entgegnet ,14‘. Als ein Händler kommt, sagt der Wächter ‚8‘ und bekommt als Antwort ,4‘. Alle dürfen passieren. Nun kommst du als unser Spion.“

Frank versuchte verzweifelt, sich weiter zu konzentrieren.

„Der Torwächter nennt dir die Zahl 12. Was antwortest du, um passieren zu dürfen?“

Franks Kehle schnürte sich zu. Vor lauter Adrenalin fiel ihm das Denken schwer. Die erste Zahl war 16, die Hälfte davon beträgt 8. Der Mönch durfte passieren. Das Gleiche gilt für 28 und 14 und 8 und 4. Das muss es sein.

Frank zitterte immer noch.

„Du musst nur ein bisschen dein Gehirn anstrengen und Logik walten lassen, mit deiner Angst kommst du hier nicht weiter. Wenn du die Lösung hast, gib mir ein Zeichen“, sagte der Entführer.

Frank glaubte, die sichere Antwort zu kennen, und nickte dem Mann zu, worauf er ihm den Knebel aus dem Mund zog.

Frank atmete schwer. „Wenn der Torwächter mir die Zahl 12 nennt, dann muss ich sie nur halbieren. Die Antwort ist also 6.“

„Bist du dir sicher?“, antwortete der Mann nach einer Pause.

„Ganz sicher.“

„Wie du meinst.“

Der Mann nahm den Bolzenschneider und verschwand hinterm Tor. Frank wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. „Wo gehen Sie hin? Bin ich jetzt frei? Ich wüsste außerdem gern, warum Sie mich entführt haben!“

Es kam keine Antwort. Frank hörte nur den Klang von Metall auf Metall, der von der Rückseite des Tores an sein Ohr drang.

„Hallo, hören Sie? Was machen Sie da? Lassen Sie mich gehen.“

Plötzlich ertönte ein Kratzen direkt über Franks Kopf. Er schaute nach oben. Das Falltor wackelte leicht, aber deutlich sichtbar. Das Geräusch von Metall auf Metall erklang ein weiteres Mal, das Falltor wackelte wieder, diesmal stärker. Scheiße. Wenn das Ding runterkommt, bin ich erledigt. Eine der an den Spitzen mit Blattgold überzogenen Zacken schwebte direkt über Franks Schädel. So will ich nicht sterben, nicht so.

Frank versuchte mit heftigen Bewegungen, die Kabelbinder durchzureißen. „Bitte, was wollen Sie von mir? Wir können doch über alles reden! Geben Sie mir noch eine Chance, das Rätsel zu ...“ Frank konnte sein Flehen nicht beenden, da einen Augenblick später das Falltor herabrauschte und sich der eiserne Zacken von oben durch sein Gehirn bohrte. Das Gewicht des Tores drückte ihn zu Boden, wo er unkoordiniert zuckend liegen blieb.

Franks Mörder hatte sich auf die andere Seite gerettet, bevor das Tor ihm den Rückweg versperren konnte. Zufrieden betrachtete er die Leiche, kramte etwas aus seiner Hosentasche und steckte es dem Toten in den Mund. Dann eilte er durch die Nacht zurück zum Lieferwagen im Wald.

Der harte Boden des Lieferwagens war äußerst unbequem und Edgars Gelenke schmerzten. Er hatte es aufgegeben zu versuchen, sich aus seiner Lage zu befreien, und auch die Hoffnung, jemand könnte ihn hören, mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen. Warum hat der Entführer uns hierhergebracht? Kommt er zurück? Was geschieht dann mit mir?

Die laute Schiebetür riss ihn aus seinen Gedanken. Scheiße, er ist wieder da. Der Entführer packte Edgar am Gürtel und schleifte ihn aus dem Laderaum. Vor Schmerz in den Knebel brüllend fiel er auf den Waldboden. Obwohl es dunkel war, sah er für einen Moment die Klinge eines langen Messers im schwachen Mondlicht aufblitzen. Wie durch eine Glocke hörte er die Stimme des Mannes:

„Ich werde dir jetzt ein Rätsel stellen. Wenn du es beantworten kannst, darfst du gehen. Wenn nicht, musst du sterben. Hast du das verstanden?“

Kapitel 1

Kriminalkommissar Bernd Hellmann war in aller Frühe von einer Kollegin der Streifenpolizei verständigt worden. Es gäbe einen Toten an der Burg und offensichtlich war das Grund genug, ihn um fünf Uhr morgens aus dem Bett zu klingeln.

Die Kollegen hatten das Gelände weiträumig gesichert und die Auffahrt zur Burg war mit einem Flatterband versperrt, an dem der Deckel von Bernd Hellmanns Kaffeebecher kurz hängen blieb. Von weitem sah Hellmann, dass das Falltor zum inneren Burghof herabgelassen war, zwei Männer der Feuerwehr brachten gerade eine Winde an, um es später wieder nach oben zu ziehen. Bevor die überall herumlaufenden Kolleginnen und Kollegen der Spurensicherung noch nicht fertig waren, würde hier jedoch alles so bleiben, wie es ist.

Erst als er oben angekommen war, erkannte Hellmann die übel zugerichtete Leiche eines Mannes am Fuße des Tores. Der Körper inklusive des Kopfes war von den Zacken des schweren Tores an mehreren Stellen durchbohrt worden. Man hätte mich vorwarnen sollen, auf leeren Magen ist das schwer zu ertragen.

„Was haben wir hier?“, erkundigte Hellmann sich beim Leiter der Spurensicherung, Friedhelm Banken.

„Ein Mann, um die vierzig Jahre alt. Ich schätze, dass er etwa sechs Stunden tot ist. Sieht nach Mord aus. Seine Hände waren mit Kabelbindern gefesselt. Als das Tor ihn niedergedrückt hat, hat es ihm die Haut an den Händen abgezogen.“

Hellmann kniete sich neben die Leiche. „Es ist leider nur der Hinterkopf zu erkennen. Kann die Feuerwehr das Ding nach oben ziehen?“

„Ja, das sollten wir jetzt tun, so kommen wir nicht weiter“, antwortete Banken.

Hellmann beobachtete gebannt, wie die Feuerwehr das Tor Zentimeter für Zentimeter nach oben kurbelte und die blutigen Zacken aus dem Körper der Leiche zogen. Der Einsatzleiter untersuchte die Mechanik, während seine Kameraden das Tor vor dem erneuten Herabfallen sicherten.

„Die Winde war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Das hat jemand durchtrennt und das Tor ist abgerauscht“, rief der Einsatzleiter. „Ich fass es jetzt mal nicht an wegen der Beweissicherung.“

„Ist gut“, antwortete Hellmann. Zusammen mit Friedhelm Banken nahm er die Leiche von der anderen Seite in Augenschein. Als er das Gesicht des Toten sah, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, überkam ihn ein Schock.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Banken.

„Ich kenne den Mann. Das ist Frank Binder, der Staatsanwalt.“

„Mmh, das erspart uns zumindest schon mal die Identifizierung der Leiche“, bemerkte Banken. Er untersuchte die Wunde am Kopf des Toten und inspizierte das Gesicht. „Was ist das denn?“ Banken holte eine lange Pinzette aus seinem Instrumentenkoffer und stocherte der Leiche damit im Mund herum.

Hellmann schaute neugierig zu, wie sein Kollege einen Zettel und ein Ästchen mit ein paar Blättern aus dem Mund zog und die Beweise sogleich in durchsichtigen Plastiktütchen sicherte.

„Darf ich mal sehen?“ Hellmann schaute sich insbesondere den Zettel näher an. „Da steht eine Fünf drauf. Was hat das zu bedeuten?“, überlegte er laut.

„Die Frage überlasse ich dann doch Ihnen“, antwortete Banken.

Auf einmal schallten laute Rufe aus dem Wald herauf bis zur Burg. Augenblicklich kam ein uniformierter Polizist die Steigung zur Burg heraufgelaufen. „Sie haben eine weitere Leiche gefunden, unten im Wald“, sagte er außer Atem.

Inzwischen waren Regenwolken aufgezogen und entleerten sich in dicken Tropfen über dem Sauerland. Bernd Hellmann und Friedhelm Banken stapften durch den Wald und sanken immer tiefer in den Boden ein. Meine Schuhe kann ich danach vergessen, dachte der Kriminalkommissar.

In der Nähe einer kleinen Lichtung lag die Leiche, ebenfalls männlich. Durch seine jahrelange Erfahrung abgehärtet, begann Banken sogleich mit der Untersuchung des toten Körpers. Hellmann benötigte einen Moment, um den Anblick zu verarbeiten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Tag noch schlimmer werden könnte, aber die Leiche im Wald stellte selbst den Toten am Burgtor in den Schatten. Der Tote lag mit nacktem Oberkörper auf dem matschigen Boden und sein Bauch war so tief aufgeschlitzt, dass bereits die Gedärme daraus hervorquollen. Noch schockierender als den unappetitlichen Anblick fand Hellmann die Tatsache, dass er auch diesen Toten kannte.

„Das ist Edgar Herbst, er war Richter am Landgericht“, sagte er.

„Den Namen kenne selbst ich“, bemerkte Banken.

„Ich schätze, da war jemand mit seinem Urteil unzufrieden. Jetzt mal ins Blaue geschossen.“

Hellmann trat näher an die Leiche heran. Obwohl er den Anblick und den Verwesungsgeruch der Leiche mehr als abstoßend fand, blieb sein Blick an etwas Ungewöhnlichem im Bauchraum hängen. „Was ist das da zwischen seinen Gedärmen. Das sieh nicht so aus, als würde es da hingehören.“

Banken schaute auf die Stelle, die Hellmann mit seinem Zeigefinger markierte. „Sie haben ein gutes Auge.“

Mit einer Zange, die er aus seinem Koffer nahm, zog Banken den Gegenstand heraus und hielt ihn in die Höhe. Verwundert betrachteten beide Männer das Objekt.

„Das ist ein kleiner Galgen, sieht aus wie ein Spielzeug“, sagte Banken.

„Offensichtlich. Und da ist was in der kleinen Schlinge.“ Hellmann zog einen kleinen Zettel aus der Schlinge und rollte ihn auseinander. „Da steht ,Ihr werdet mich grillen‘.“

„Was hat das zu bedeuten?“, überlegte Banken laut.

„Erst der Zettel mit der Fünf und jetzt das. Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung, was das bedeuten soll. Eines weiß ich allerdings: Ein toter Staatsanwalt und ein toter Richter an einem Tag, das heißt, dass wir auf jeden Fall das Landeskriminalamt hinzuziehen werden.“

Kapitel 2

Alexanders Dienst begann erst am späten Vormittag. Er mochte solche Tage, da er morgens dann immer alles erledigen konnte und die Zeit nach Feierband nicht mit nervtötender Hausarbeit verbringen musste.

Heute Morgen stand ein Termin mit Ahmed Demir in seinem Terminkalender. Der Privatdetektiv hatte auf der Suche nach Alexanders verschwundener Schwester Paula ein paar Dinge zutage gefördert, die ihn aufhorchen ließen. Neben dem Termin im Kalender hatte er ein paar Fragen notiert, die ihm seit ihrem letzten Treffen durch den Kopf gegangen waren. Wenn er ehrlich war, gingen ihm noch weit mehr Fragen durch den Kopf, und zwar für den Großteil des Tages, aber bei denen konnte Ahmed ihm nicht weiterhelfen. Es handelte sich überwiegend um Fragen wie „was wäre gewesen, wenn…“, in denen Alexander es sich selbst immer wieder implizit zum Vorwurf machte, nicht gut genug auf seine Schwester aufgepasst zu haben. Allerdings war er da der Einzige. Niemand, nicht einmal seine Eltern, dachten so wie er. Allerdings hatte er Angst davor, dass seine Schwester so denken könnte, wenn er sie eines Tages wiedersah. Ja, Alexander glaubte noch immer fest daran, dass seine Schwester noch lebte – nach über 20 Jahren und trotz der vielen Menschen, die ihm rieten, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen und die Tatsache zu akzeptieren, dass Paula tot war.

Flingerns Straßen waren nass vom Regen und der Gang über die kopfsteingepflasterte Birkenstraße, die dazu noch von rutschigen Tramgleisen durchzogen war, glich einem kleinen Spießrutenlauf.

Die Nachbarn von Ahmed Demir kannten Alexander und grüßten ihn nach anfänglicher Skepsis inzwischen freundlich, als er durchs Treppenhaus nach oben ging. Als der Privatdetektiv öffnete, wirkte er, wie gewohnt, ein wenig zerstreut, doch der Eindruck täuschte gewaltig. Alexander hatte mittlerweile das Gefühl, als kenne er den Mann schon ewig. Umgekehrt verhielt es sich wohl genauso, jedenfalls markierte heute den ersten Besuch, an dem Ahmed sich nicht für das vermeintliche Chaos in seiner Wohnung entschuldigte, und das war in Alexanders Augen schon ein Zeichen von gegenseitigem Vertrauen.

„Sie wollten noch über einige offene Fragen mit mir sprechen?“, begann Ahmed und stellte Alexander und sich selbst eine Tasse Tee auf den Tisch.

„Ja. Ich habe mir den Moment, in dem Paula verschwand immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Wie ist es möglich, dass sie jemand damals mitgenommen hat? Ich war doch nur kurz austreten“, sagte Alexander.

Ahmed nahm einen Schluck Tee. „Nun, ich war natürlich nicht dabei, als es passiert ist. Ich nehme aber mal an, dass Sie unter Schock standen und in so einer Situation verliert man in der Regel das Zeitgefühl. Vermutlich hat der kurze Augenblick also länger gedauert, als Sie denken. Außerdem ist das jetzt auch schon zwei Jahrzehnte her.“

„Mmh. Und Sie denken also, dass eine Schlepperbande oder ein Ring hinter der Entführung meiner Schwester steckt?“

„Ich habe recherchiert, dass zum Zeitpunkt des Verschwindens Ihrer Schwester einige Schlepperbanden in der Gegend aktiv waren ...“, erklärte Ahmed.

„Die hat die Polizei damals überprüft und überwacht“, unterbrach Alexander. So sehr er sich wünschte, Ahmed ohne Rückfragen glauben zu können, so deutlich meldete sich seine antrainierte Skepsis als LKA-Ermittler immer wieder.

„Das ist korrekt. Aber damals hat die Polizei sich auf die Banden konzentriert, die eher im westlichen Teil Europas aktiv waren. Das habe ich zumindest den Akten entnommen, die Sie mir gegeben haben. Die östlichen Schlepper waren damals hier noch nicht so emsig unterwegs und ich vermute, dass die Beamten sie deshalb nicht so auf dem Schirm hatten. Das wiederum hat mich veranlasst, meine alten Kontakte ins Milieu zu reaktivieren. Am Anfang hatte ich wenig Hoffnung, dass das klappt, aber ich habe tatsächlich von einem Informanten die HInweise bekommen, dass er damals von einem verschwundenen Mädchen gehört hat, das zur Beschreibung Ihrer Schwester passt.“

„Und der hat Ihnen einfach die Information gegeben?“, hakte Alexander skeptisch nach.

„Das hat natürlich einiges gekostet. Der Posten steht schon auf der Spesenrechnung.“

„Sehr gut“, antwortete Alexander, „wie machen Sie jetzt weiter?“

„Ich glaube, mein Informant weiß noch mehr. Ich werde versuchen, noch mehr aus der Quelle herauszubekommen.“

Das ergab für Alexander durchaus Sinn. „Wer ist denn diese Quelle?“

„Das darf ich nicht verraten. Wenn ich das Vertrauen von meinem Informanten missbrauche, dann werde ich nie wieder etwas von ihm erfahren. Dafür haben Sie doch Verständnis?“ Ahmed schaute Alexander eindringlich an.

Alexander arbeitete regelmäßig mit Informanten aus der Szene zusammen und natürlich wusste er, dass man deren Namen niemandem preisgab. Er war nur neugierig und verspürte einen inneren Drang, die Recherche selbst in die Hand zu nehmen. Das war aufgrund seiner beruflichen Verpflichtung jedoch gerade nicht möglich. Wie aufs Stichwort begann das Handy in seiner Hosentasche zu vibrieren. Sein Chef Hans Arends versuchte ihn zu erreichen.

„Das ist die Arbeit, es scheint wichtig zu sein, bitte entschuldigen Sie mich für einen Augenblick.“ Alexander ging zum Telefonieren in den Flur und kam Augenblicke später zurück in Ahmeds Büro. „Das ging schnell“, bemerkte der Detektiv, der es nicht einmal geschafft hatte, einen der Aktenordner auf seinem Schreibtisch vom Stapel zu nehmen und aufzuschlagen.

„Ja, ich muss los, tut mir leid. Machen Sie gern so weiter wie angekündigt“, sagte Alexander.

„Ich werde den Informanten, sobald es geht, erneut aufsuchen. Bis dahin durchforste ich noch mal die Unterlagen nach Hinweisen. Vielleicht ist mir etwas entgangen.“ Ahmed tätschelte den Aktenstapel.

„Gut, melden Sie sich gern, sobald Sie neue Erkenntnisse haben.“

Alexander beeilte sich, mit der Tram zum Landeskriminalamt zu kommen, auch wenn seine Schicht eigentlich erst in ein paar Stunden begann. Hans Arends hatte am Telefon gestresst geklungen. Als Alexander das Büro seines Chefs betrat, bestätigte sich dieser Eindruck: Unter Arends‘ Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab und insgesamt wirkte er übermüdet. Er bemühte sich dennoch, freundlich zu sein, und entschuldigte sich dafür, Alexander so früh zum LKA gebeten zu haben. „Sie wissen, dass der Krankenstand derzeit exorbitant hoch ist. Das müssen wir Übriggebliebenen halt mit Überstunden auffangen, das tut mir leid.“

„Schon gut. Es ist nicht so, dass ich nicht gern arbeiten würde“, entgegnete Alexander. Insgeheim freute er sich außerdem, dass er Ablenkung von den Gedanken bekam, die sich permanent um seine Schwester zu drehen schienen.

„Genau deshalb habe ich Sie angerufen“, scherzte Arends, das gezwungene Lächeln verlangte ihm viel Kraft ab.

„Dann kommen Sie mal zur Sache, worum geht es?“, fragte Alexander.

„Es kam ein Amtshilfeersuchen von der Kriminalpolizei in Altena. Heute Morgen wurden ein Richter und ein Staatsanwalt unweit der dortigen Burg tot aufgefunden. Ihr Ansprechpartner vor Ort ist Kriminalkommissar Bernd Hellmann von der örtlichen Polizei. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“

Kapitel 3

Verdammt noch mal, ich habe keine Lust, den Handwerker jetzt schon zum zweiten Mal wieder hier antanzen zu lassen. Bastian Stamm schob vorsichtig die nagelneue Küchenschublade zu. Die obere Kante schleifte an der Arbeitsplatte entlang. „Das ist doch Scheiße“, fluchte er. Wenn ich schon so viel Geld für eine neue Küche ausgebe, dann will ich auch, dass sie perfekt ist. Für sein eigenes Unternehmen hatte er schließlich auch den Anspruch, perfekte Ergebnisse abzuliefern – auch wenn Dienstleistungen im Bereich Unternehmensberatung natürlich etwas anderes waren als Küchen zu bauen. Bastian wählte die Nummer des Handwerkers und sprach ihm wütend auf die Mailbox. Generell war er ein in allen Dingen korrekter Mensch, manchmal nahm dieses Verhalten sogar schon übertriebene Ausmaße an und Bastians wenige Freunde vermuteten, dass es der Grund dafür war, dass seine Frau sich von ihm nach nur einem Jahr Ehe wieder scheiden ließ. Emotional hatte ihn das nicht besonders mitgenommen, das Unternehmen stand für ihn nun mal an erster Stelle und das hatte er jeder seiner Partnerinnen immer von Anfang an klargemacht. Es war eher der ungewohnte Umstand, dass eine Frau ihn verließ, der an seinem Ego kratzte, sonst war es immer umgekehrt gewesen.

Bastian manövrierte seinen Jaguar aus der engen Tiefgarage. Sein Appartement befand sich am äußeren Rand von Altena. So wohnte er irgendwie gleichzeitig in der Stadt und auf dem Land, was ihm schöne ausgedehnte Laufrunden durch die Natur ermöglichte. Bastian sah darin einen guten Ausgleich zu den 80-Stunden-Wochen, die für ihn keine Seltenheit darstellten. Von seinen Mitarbeitern verlangte er eine ähnliche Leistungsbereitschaft, was bei vielen nicht immer gut ankam. Doch wer Erfolg haben wollte, so lautete sein Credo, der musste diesem Ziel alles unterordnen.

In der Firma wurde er wie jeden Morgen von allen freundlich begrüßt. Vereinzelte Lästereien über den Chef folgten erst, wenn er in seinem großen Büro verschwunden war und damit begann, seine E-Mails zu durchforsten. Neben der digitalen Post lag heute tatsächlich ein Päckchen auf seinem Schreibtisch. Habe ich was bei Amazon bestellt?, war sein erster Gedanke, doch auf dem Päckchen stand kein Absender. Bastian riss das braune Papier auf und schüttelte den Inhalt auf den Schreibtisch. Zwei Steinchen kullerten heraus, ein schwarzer und ein weißer. Bastian hob sie auf und betrachtete sie. Was sollte das? Er erkundigte sich bei der Empfangssekretärin, woher das Päckchen stammte. „Das lag heute Morgen im Briefkasten“, antwortete sie schulterzuckend. Bastian kehrte zurück an den Schreibtisch und überlegte, wer ihm wohl diesen Streich gespielt haben könnte. Tatsächlich fiel ihm nur seine Ex-Frau ein. Ja, das wird es sein. Sie hatte schon immer einen kleinen Schlag schräg. Zufrieden darüber, eine Antwort auf das Rätsel gefunden zu haben, machte er sich an die Beantwortung seiner E-Mails.

Kapitel 4

Von Düsseldorf nach Altena benötigte Alexander laut Navigationssystem etwa anderthalb Stunden. Als er bei Hagen auf die A46 wechselte, überkamen ihn einige prägende Kindheitserinnerungen. Die Stadt galt gemeinhin als „Tor zum Sauerland“ und die deutlich bergiger werdende Landschaft rief ihm ein paar schöne Urlaube ins Gedächtnis, die er mit seinen Eltern in der Region verbracht hatte. Gefühlt jeder Holländer liebte das Sauerland und als halber Niederländer konnte auch er sich dem Reiz, der von der Natur hier ausging, nicht entziehen – auch wenn sie bei diesem verregneten Wetter gerade etwas eher Bedrohliches ausstrahlte.

Die Burg Altena in ihrer erhabenen Position war schon von Weitem gut zu erkennen. Dort erwartete ihn seine Kontaktperson, Kriminalkommissar Bernd Hellmann.

Es stellte sich heraus, dass Hellmann anders aussah, als Alexander es am Handy anhand der dunklen Stimme vermutet hatte. Sein Polizei-Kollege war eher schmächtig, nicht besonders groß und er hatte einen leichten Überbiss, was ihm ein dezent rattenhaftes Aussehen verlieh. Dennoch verhielt er sich zurückhaltend freundlich und kooperativ. „Wir freuen uns, dass Sie hier sind. Ich muss ehrlich sagen, dass wir mit der Situation im kleinen Altena ein wenig überfordert sind“, begrüßte er Alexander.

„Kein Problem, dafür sind wir da. Erzählen Sie mir doch bitte, was passiert ist.“

Alexander hörte aufmerksam zu. Genauso spannend wie den Bericht seines Kollegen fand er dessen Verhalten. Die Morde am Staatsanwalt und am Richter schienen Hellmann auf einer persönlichen Ebene sehr zu belasten. Am liebsten hätte er ihm den kollegialen Rat gegeben, solche Dinge nicht zu nah an sich heranzulassen, doch dazu kannte er ihn noch nicht gut genug. Vielleicht lag es auch am Zustand der Leichen, wie Alexander sehr bald feststellte, als ihm der vom Eisentor durchbohrte Staatsanwalt Frank Binder und der ausgeweidete Richter Edgar Herbst präsentiert wurden.

„Wir haben die Leichen genauso liegen lassen, wie wir sie gefunden haben. Sie sollten sich ein möglichst genaues Bild machen“, sagte Hellmann.

Alexander kniete sich neben den toten Richter mit der geöffneten Bauchdecke. Der Tote roch sehr unangenehm, doch das war nicht ungewöhnlich: Jedes Mal, wenn man einem Menschen den Bauchraum öffnete – egal ob bei einer Operation oder einer Obduktion – stank es. „Das haben Sie richtig gemacht.“

„Diesen Zettel mit der Zahl 5 haben wir im Mund des Staatsanwalts gefunden. Im Bauch des Richters befand sich ein kleiner Galgen mit diesem Zettel.“ Hellmann reichte Alexander das durchsichtige Tütchen mit der Nachricht. „Ihr werdet mich grillen“, las er vor, „was soll das bedeuten?“

„Das haben wir uns auch schon gefragt. Meine Vermutung ist, dass ein Verurteilter wohl nicht ganz mit dem Ausgang seines Verfahrens einverstanden war und sich an den beiden gerächt hat.“

„Ja. Aber die beiden Zettel… mmh.“ Alexander dachte laut nach.

„Die Fünf steht vielleicht für eine Haftstrafe von fünf Jahren und der Galgen versinnbildlicht die Strafe an sich. Früher wurde man gehängt“, vermutete Hellmann und schaute seines LKA-Kollegen in Erwartung einer Antwort an.

„Das ist eine Möglichkeit. Bis jetzt ist es sogar die Naheliegendste.“ Hellmann war zufrieden.

„Jedenfalls können die beiden Männer für die Leichenschau in die Gerichtsmedizin gebracht werden, falls die Kollegen von der Kriminaltechnik fertig sind“, sagte Alexander.

„Das sind sie.“ Noch während Hellmann mit Friedhelm Banken sprach, um die Überführung der Leichen zu veranlassen, kam ein Streifenpolizist angelaufen. Er unterbrach die Männer und erntete einen bösen Blick dafür.

„Im Haus des ersten Opfers wurde eingebrochen“, sagte der Polizist außer Atem.

„Im Haus des Staatsanwalts? Sind Sie sicher?“, fragte Hellmann.

„Ja, Frank Binder.“

Alexander hörte die Unterhaltung und kam dazu. „Das trifft sich doch hervorragend, wir müssen den Familien der Opfer ohnehin einen Besuch abstatten. Und den Familien die Nachricht überbringen, oder hat das schon jemand übernommen?“

„Nein“, antwortete Hellmann, „das müssen wir noch tun.“

Das Haus von Frank Binder lag im Stadtteil Dahle. Die Wohngegend war geprägt von Einfamilienhäusern mit großzügigem Garten. Alexander folgte Hellmann, der die richtige Adresse ohne Probleme fand. Die beiden Beamten parkten auf der Auffahrt vor Binders breiter Doppelgarage, ein Streifenwagen stand auch schon dort.

„Sie kennen sich hier gut aus, oder?“, bemerkte Alexander und knallte seine Autotür zu.

„Ich weiß, wo Frank Binder wohnt, er war immerhin Staatsanwalt.“

Hellmann und Alexander, die die offene Haustür und das eingeschlagene Seitenfenster bemerkten, warteten vor dem Haus.

„Waren Sie schon drin?“, fragte Alexander die beiden vor dem Haus wachenden Streifenpolizisten und deutete mit dem Kopf auf die Haustür.

„Nein“, antworteten die Uniformierten.

„Gut, wir warten auf die Kollegen von der Kriminaltechnischen Untersuchung. Wir wolle ja keine Spuren verwischen.“

Friedhelm Banken traf mit seinem Team eine Viertelstunde später ein. Es dauerte nicht lang, bis er das Haus zum Betreten freigab, zumindest das Erdgeschoss.

Bereits im Flur sahen Alexander und Hellmann, dass hier eingebrochen worden war. Die Schubladen des Garderobenschranks waren herausgerissen und ihr Inhalt, hauptsächlich Mützen und Schals, lagen auf dem Fußboden verstreut. Im Wohnzimmer und in den übrigen Räumen des Hauses setzte sich das Chaos fort. Der oder die Täter hatten alles durchwühlt und dabei auch die Bilder von den Wänden gerissen.

„Ich glaube, ich muss meine Theorie noch mal überdenken. Vielleicht handelt es sich bei den Morden doch nicht um einen Racheakt, sondern es ging den Tätern wirklich nur um die Wertgegenstände im Haus ihrer Opfer“, bemerkte Hellmann.

„Das wird sich herausstellen. Haben die Kollegen herausfinden können, ob in der Wohnung von Richter Herbst auch eingebrochen wurde?“, fragte Alexander.

„Die ist verschont geblieben. Er besaß offenbar eine gute Alarmanlage“, antwortete Hellmann.

Alexander inspizierte ein Bedienfeld neben Frank Binders Haustür. „Der Staatsanwalt hatte auch eine, aber die hat wohl nicht so gut funktioniert. Oder sie war von vornherein deaktiviert. Oder die Einbrecher haben sie rechtzeitig ausgeschaltet. Wir brauchen auf jeden Fall die Fingerabdrücke auf den Tasten.“

Alexander schaute sich im Wohnzimmer um. „Hier stehen gar keine Familienfotos oder dergleichen, hatte Binder keine Familie?“

„Seine Frau und er haben sich vor ein paar Jahren scheiden lassen, Kinder hatte das Paar nicht.“

„Und wie war die familiäre Situation von Richter Herbst?“, fragte Alexander.

„Genauso, Ehe geschieden, keine Kinder.“

„Es ist hilfreich, dass Sie so gut über die familiäre Situation der Opfer Bescheid wissen. Geschieden hin oder her, ich finde, dass wir die Ex-Frauen der beiden auf jeden Fall informieren sollten.“

„Ich übernehme das“, bot Hellmann an.

Alexander sah, wie Friedhelm Banken die Treppe herunterkam. „Im gesamten Haus scheint es keine Blutspuren zu geben. Mehr kann ich auf die Schnelle noch nicht sagen. Im Obergeschoss ist auch alles durchwühlt, wir nehmen gerade überall Fingerabdrücke“, berichtete der Leiter der Spurensicherung.

„Also tatsächlich ein simpler Einbruch“, warf Hellmann ein.

„Die Interpretation überlasse ich Ihnen. Wir sind nur hier, um Spuren zu sichern“, sagte Banken.

Alexander blendete die Unterhaltung der beiden aus. Er war damit beschäftigt, die losen Enden in seinem Kopf zu einem sinnergebenden Ganzen zusammenzufügen, was ihm nicht gelang. „Herr Hellmann“, begann er schließlich, „ich glaube nicht, dass es nur ein Einbruch war. Der Täter hätte sich nie die Mühe gemacht, Staatsanwalt Binder zur Burg zu befördern und so zuzurichten. Außerdem wurde bei Richter Herbst nicht eingebrochen. Ich denke, dass wir mal Ihrer heute Morgen im Wald geäußerten Vermutung nachgehen sollten, dass sich tatsächlich ein verurteilter Straftäter an den beiden rächen wollte.“

„Das finde ich gut.“ Hellmann freute sich, dass der LKA-Kollege seinen Vorschlag gut fand.

„Dann schlage ich vor, dass Sie die Ex-Frauen von Binder und Herbst informieren und ich mich mal auf den Weg zum Landgericht und zur Staatsanwaltschaft mache.“

Die für den Bezirk Altena zuständige Staatsanwaltschaft und das Landgericht hatten ihren Sitz in Hagen. Praktisch, das liegt direkt auf dem Rückweg. In beiden Institutionen eröffnete sich Alexander dieselbe Situation: Die ahnungslosen Kolleginnen und Kollegen von Binder und Herbst zeigten sich völlig überrascht vom Mord an den beiden. Bis auf wenige Ausnahmen. Spontan überkam Alexander die Vermutung, dass eventuell ein aufstrebender Kollege hinter den Morden steckte, um sich Platz auf der Karriereleiter zu schaffen. Doch er verwarf den Gedanken schnell wieder, da sich wohl niemand von ihnen die Mühe gemacht hätte, die Leichen so zuzurichten. Erfahrene Juristen wären doch sicherlich darauf bedacht gewesen, jeden Beweis und damit vor allem die Leichen verschwinden zu lassen.

Alexander bat die Sekretärinnen von Binder und Herbst freundlich um eine Liste der Verfahren, an denen die Männer in den vergangenen sechs Monaten beteiligt waren. Ich sag ja, dass unser Rechtssystem völlig überlastet ist. Es war eine mehrere Seiten lange Liste, weshalb Alexander beschloss, sich zunächst auf die Fälle aus dem letzten halben Jahr zu beschränken. Sollte seine Suche ergebnislos bleiben, konnte er immer noch weiter zurückgehen.

Froh darüber, alle Informationen erhalten zu haben, trat Alexander den Rückweg nach Düsseldorf an. Den Rest des Tages beabsichtigte er aktenwälzend im Büro zu verbringen. So kompliziert der Doppelmord auch erscheint, vielleicht ist die Lösung einfacher als gedacht. Vermutlich versuchte er sich die Situation schönzureden, denn unterbewusst glaubte er nicht daran, den Mörder in den Dokumenten auf seinem Rücksitz zu finden.

Kapitel 5

Um kurz nach acht Uhr abends war Bastian Stamm wieder zu Hause. Er wartete ungeduldig, bis das quietschende Tor der Tiefgarage sich in Bewegung setzte und nach oben fuhr. Auf halbem Weg blieb es unvermittelt stehen. Das darf nicht wahr sein, ich wohne in einer Bruchbude. Nichts funktioniert hier. Er wollte gerade aus seinem Jaguar aussteigen, als das Tor sich wieder in Bewegung setzte. Bastian drückte aufs Gas und der Jaguar fuhr mit quietschenden Reifen und etwas zu schnell die Einfahrt hinunter.

Im Aufzug, der ihn hinauf zur Wohnung beförderte, müffelte es eigenartig und Bastian war froh, als er oben ankam und den Lift verlassen konnte. Ein Abend auf der Couch mit einem Glas Rotwein ist jetzt genau das, was ich brauche.

Bastian zückte den Wohnungsschlüssel aus der Hosentasche. Er musste nur den Schlüssel ins Schloss stecken, und die Tür öffnete sich bereits einen Spaltbreit. Was soll das denn? Habe ich heute Morgen vergessen abzuschließen? Er inspizierte den Schließzylinder. Scheiße, da sind einige Kratzer. Wurde bei mir eingebrochen? Aber vielleicht waren die Kratzer auch schon vorher da und ich habe es nicht bemerkt? Ich bin nicht der erste Besitzer der Eigentumswohnung.

Langsam schob er die Tür ganz auf und trat vorsichtig ein. Wenn es wirklich Einbrecher waren, könnten Sie noch hier sein. Soll ich nicht besser die Polizei rufen? Lieber nicht. Wenn es keine Einbrecher sind, blamiere ich mich vor denen. Am Ende lande ich noch als Schlagzeile in den Medien. Unternehmer löst Polizeieinsatz aus, weil seine Tür kaputt ist. Vielleicht steckt auch meine Ex-Frau dahinter. Wenn ich daran denke, wie die versucht mich zu melken ...

„Wer ist da? Ich bin bewaffnet!“ Vielleicht konnte er mit einer falschen Drohung die potenziellen Einbrecher abschrecken. Allerdings antwortete niemand. Bastian ging durch den Flur, bis er die Badezimmertür erreichte. Er betätigte den Lichtschalter und steckte vorsichtig seinen Kopf hinein. Hier war definitiv niemand, auch nicht in der Dusche, die statt eines Vorhangs durch eine Glasscheibe abgeschirmt wurde.

Langsam schritt er durch den großen Wohn-Essbereich mit seiner riesigen Fensterfront und fand auch hier niemanden. Beim Umrunden der Kücheninsel griff er einmal in den Messerblock und griff nach einem langen Steakmesser. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Mit der Waffe in der Hand stieg er beruhigt die Treppe empor zur Galerie, wo er sorgsam den Schlafbereich inklusive seines geräumigen Kleiderschranks durchforstete. Jetzt hatte er seine komplette Wohnung durchsucht und niemand Fremdes war hier. Dann stimmt nur irgendetwas mit dem Schloss nicht. Das kann der Handwerker, der hoffentlich bald wegen der Küchenschublade hier antanzt, vielleicht gleich miterledigen.

Bastian steckte das Steakmesser zurück in den Block und besorgte sich auf dem Weg ins Badezimmer ein Stück Tesafilm, mit dem er die Tür zuklebte. Für einen Abend wird das schon gehen, sagte er sich. Es darf nur kein Windstoß kommen, sonst fliegt die Tür auf. Bevor er ins Bad ging, zweifelte er daran, dass der Tesastreifen heute Nacht halten würde, und er stellte zum zusätzlichen Schutz die große Vase vor die Tür. So ist es besser.

Nach der erholsamen heißen Dusche setzte er sich mit einem Glas Rotwein vor den Fernseher. Gegen Mitternacht – Bastian war auf dem Sofa eingeschlafen - wurde er von einem Geräusch geweckt. Es dauerte einen Moment, bis er sich orientieren konnte. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, nicht mehr auf dem Sofa einzuschlafen. Nun dachte er einen Augenblick lang, er wäre im Schlafzimmer und war verwirrt, dass er den flauschigen Teppich unter seinen Füßen spürte. Was war das für ein Geräusch?

Schlaftrunken taumelte Bastian durch die Wohnung, die das Mondlicht durch die Fensterfront sanft erhellte. Im Halbdunkel sah er, dass die Tür offen stand und die Vase umgefallen war. Dann war selbst die Vase nicht schwer genug. Gut, dass sie nur aus Blech ist, dachte er und betätigte den Lichtschalter im Flur. Bastian schlurfte zur Haustür und bückte sich, um die Vase wieder aufzurichten. In diesem Moment preschte eine Gestalt mit Sturmhaube aus der Badezimmertür hinter ihm auf ihn zu und schlug ihm auf den Schädel. Bevor Bastian wahrnehmen konnte, dass jemand in der Wohnung war, sah er nur noch schwarz und sackte zusammen.

Ein unsanftes Ruckeln weckte Bastian auf. Um ihn herum herrschte Dunkelheit und das Dröhnen eines alten Dieselmotors, das seine Kopfschmerzen verstärkte, drang an sein Ohr. Seine Hände und Füße waren gefesselt. So viel er wahrnehmen konnte, befand er sich in einem fahrenden Lieferwagen. Aber auf dem Weg wohin? Und wer war der Kerl am Steuer, der ihn vorhin in seiner Wohnung vermutlich auch niedergeschlagen hatte? Wahrscheinlich war er es, der tagsüber auch sein Türschloss manipuliert hatte, damit er nachts problemlos wieder in die Wohnung kam. Handelte es sich um einen sorgfältig geplanten Einbruch? Aber dann hätte er doch schon vor meinem Heimkommen die Wohnung ausräumen können. Vielleicht wollen Sie mich auch vorher beseitigen, damit sie mehr Zeit haben? Bastian wurde schlecht bei dem Gedanken. Er hoffte, dass er sich nicht übergeben musste, da er einen Knebel im Mund hatte.

Plötzlich wurde er gegen die Wand das Laderaums gedrückt und es begann heftig zu ruckeln. Der Fahrer war wohl auf eine nicht befestigte Straße abgebogen. Vielleicht ein Feld- oder Waldweg. Minutenlang wurde Bastian auf dem Boden kräftig durchgeschüttelt, bis der Wagen schließlich anhielt.

Die Schiebetür öffnete sich und die Gestalt mit der Sturmmaske baute sich vor ihm auf. Die gesichtslose Person, die von hinten vom Mond angestrahlt wurde, wirkte sehr furchteinflößend und trug eine Holzkiste in der Hand.

„Du kommst jetzt mit“, befahl die Person, der dunklen Stimme nach handelte es sich um einen Mann. Er schnitt Bastian die Fußfesseln durch, zog ihn aus dem Wagen und trieb ihn vor sich her wie ein Stück Vieh. Bei Bedarf rammte er Bastian die Holzkiste in den Rücken, damit es schneller vorwärtsging.

Es ging ein ganzes Stück bergauf und der Wald wurde immer dichter. Der Mann hinter Bastian schaltete irgendwann eine Taschenlampe an, weil nicht mehr genügend Mondlicht durch die Wipfel auf den Boden fiel.

Auf einmal tauchte eine kleine Lichtung auf, von der eine steinerne Stele mehrere Meter in die Höhe ragte. Sofort wusste Bastian, wo er sich befand. Das ist die Hexenstele auf dem Galgenberg in der Nähe von Balve. Was wollen wir hier denn? Es war schon ein paar Jahre her, dass er zum letzten Mal an diesem geschichtsträchtigen Ort gewesen war. Auf dem Galgenberg fanden zur Zeit der Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert mehrere hundert Menschen aus dem Balver Land den Tod. Panik keimte in Bastian auf. Was ist, wenn das irgendein krankes Arschloch ist, der mich hier in einem Ritual töten will? Die Angst davor zerstreute sich, als der Mann ihn weiter vorwärts in einen wieder dunkleren Teil des Waldes trieb. Bastian versuchte durch den Knebel zu fragen, was sie hier wollten, aber der Mann antwortete nicht. Er befahl ihm stattdessen, auf der Stelle stehen zu bleiben, während er einen Strick aus der Jacke zog und sich damit an einem Baum zu schaffen machte. Als Bastian die Schlinge entdeckte, die von einem dicken Ast herabhing, wurde er erneut panisch. Er versuchte fortzurennen, was jedoch mit noch immer gefesselten Händen sehr schwierig war. Nach wenigen Metern hatte der Mann ihn eingeholt.

„Ich habe gesagt, du sollst dableiben, jetzt komm wieder zurück.“

Bastian ließ sich zurückzerren, auch wenn ihm der Angstschweiß bereits auf der Stirn stand. Der Mann platzierte die Holzkisten unter der Schlinge. Jetzt wusste er, dass die Kiste für ihn als Tritt gedacht war. Er will mich wirklich umbringen. Warum denn? Was habe ich getan? Ist es ein Ex-Mitarbeiter? Bastian wimmerte, er sagte etwas, doch er war nicht zu verstehen. Abrupt riss der Mann ihm das Klebeband vom Mund und zog den Knebel heraus.

„Lassen Sie mich laufen, wir können über alles reden. Ich habe Geld“, flehte Bastian.

Der Mann lachte auf. „Geld. Glaubst du wirklich, dass es so einfach ist? Wenn ich dein Geld wollte, hätte ich dir in deiner Wohnung eine Waffe an den Kopf gehalten und dich gezwungen, es mir zu geben. Anzunehmen, ich wollte Geld, ist fast schon eine Beleidigung! Willst du mich beleidigen?“ Der Mann schaute Bastian an.

„Nein, nein, auf keinen Fall.“

„Na siehst du.“

„Wer sind Sie denn und was wollen Sie dann? Vielleicht können wir uns irgendwie anders einigen. Ich bin Unternehmer, ich habe gute Beziehungen. Überallhin, auch in die Politik.“

„Das glaube ich dir sofort. Wer ich bin, willst du also wissen.“ Der Mann zögerte kurz und riss sich die Sturmhaube vom Kopf.

Bastian war ratlos, er hatte den Mann noch nie gesehen.

„Du kennst mich nicht, oder? Das sieht dir ähnlich. Du interessierst dich nämlich für nichts anderes als für dich selbst“, sagte der Mann.

„Okay, ich gebe es zu, ich bin manchmal etwas egoistisch. Wollen Sie, dass ich mich ändere? Soll ich das für Sie tun?“ Bastian spekulierte, dass sein Entführer vielleicht so eine Art kranker Rächer war oder so etwas in der Art. Oder vielleicht der neue Typ seiner Ex-Frau.

„Nein. Ich mache dir aber ein Angebot. Ist stelle dir ein Rätsel. Kannst du es lösen, bist du frei. Kannst du es nicht lösen, wirst du am Galgen hängen.“

Bastian musste nicht lange überlegen. Was für eine Wahl hatte er schon? Wie schwer sollte das Rätsel denn wohl sein. Bestimmt würde er es lösen können. Auf seine Intelligenz hatte er sich schon immer verlassen können. „Na schön.“

Der Mann führte Bastian zur Holzkiste und half ihm daraufzusteigen, bevor er ihm den Strick um den Hals legte. Jetzt überkam Bastian doch die Angst. Der Entführer hatte sich ein bisschen mit der Größe seines Opfers verschätzt, weshalb er den Strick etwas straffer um den Baum legte.

Die Holzkiste war sehr instabil und Bastian wackelte gefährlich hin und her. Mit seinen gefesselten Händen hatte er Schwierigkeiten, die Balance zu halten. Hoffentlich kippe ich nicht vorher um.Dann war’s das. Der Typ soll sich einfach mit seinem beschissenen Rätsel beeilen und mich laufen lassen.

„Hör gut zu, ich werde das Rätsel nicht wiederholen.“

Bastian nickte.

Der Mann räusperte sich. „In einer antiken Stadt war es üblich, den zum Tode verurteilten Dieben eine letzte Chance zu geben, ihr Leben zu retten. Dabei mussten sie aus einem Säckchen einen Stein ziehen. Im Säckchen befanden sich ein weißer und ein schwarzer Stein. Zog der Dieb den weißen Stein, so gewährte man ihm die Freiheit, zog er hingegen den schwarzen Stein, so wurde er gehängt. Eines Tages wurde dem König dieser Stadt einer seiner kostbarsten Diamanten gestohlen. Als man den Dieb gefasst hatte, wollte der König sichergehen, dass dieser am Galgen hängt. Er befahl dem Henker heimlich, zwei schwarze Steine ins Säckchen zu legen. Am nächsten Tag ging der König mit seinem Gefolge und dem zum Tode Verurteilten zum Galgen, um ihn einen Stein ziehen zu lassen, damit er endlich gehängt werden konnte. Um den Galgen lagen überall schwarze und weiße Steine. Der Henker las zwei von ihnen auf – aber der Verurteilte konnte sehen, dass er zwei schwarze Steine in das Säckchen legte. Er hatte den Strick schon um den Hals, als ihm die rettende Idee kam – er zog und musste freigelassen werden. Beschreibe mir die rettende Idee!“

Bastian schnaufte. „Kommt da noch was?“, fragte er zögerlich. Er hatte keine Ahnung, was die Lösung sein könnte.

„Nein, da kommt nichts mehr, ich erwarte deine Antwort“, sagte der Mann und schaute Bastian eindringlich an.

„Können Sie das Rätsel noch mal wiederholen?“

„Ich fürchte nicht, also?“

Zum ersten Mal wurde Bastian ernsthaft nervös. „Ich kenne die Lösung nicht. Geben Sie mir einen Tipp.“

Der Mann trat vor und begann damit, auf die Holzkiste einzutreten, auf der Bastian jetzt immer mehr Probleme bekam, das Gleichgewicht zu halten.

„Bitte lassen Sie mich noch einmal nachdenken“, flehte er.

Der Mann hielt inne und gewährte Bastian die Chance, noch einmal in sich zu gehen. Der hatte vor Aufregung jedoch einen Blackout und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Der Mann begann wieder auf die Kiste einzutreten und ließ sich diesmal nicht durch Bastians Wimmern davon abbringen. Die ersten Bretter brachen durch, Splitter landeten auf dem Waldboden.

„Bitte, bitte! Lassen Sie mich gehen!“

„Warum? Du hast ja nicht mal eine Familie! Niemand wird dich vermissen. Du hattest deine Chance im Leben und du hast sie verspielt. Sogar ich habe dir die Chance gegeben, weiterzuleben und du hast sie nicht genutzt. Für alles, was man tut, bekommt man irgendwann die Rechnung, und jetzt wirst du deine begleichen.“

Mit einem letzten großen Tritt zerstörte der Mann den Rest der Holzkiste.

„Neeeiiiin!“ Bastians Schrei wurde jäh vom Strick um seinen Hals unterbrochen. Er hing jetzt in der Luft und strampelte wild mit den Beinen, während sein Peiniger ihn bei seinem Todeskampf beobachtete. Bastian bekam einen roten Kopf und seine Augen quollen hervor. Es fiel ihm immer schwerer, Luft zu holen, weshalb er irgendwann nur noch röchelte. Den Mann noch einmal um Vergebung zu bitten, wäre zwecklos gewesen, er war nicht mehr imstande, ein verständliches Wort zu artikulieren. Der Druck auf Bastians obere Wirbelsäule wurde unerträglich. Der Boden war doch nur wenige Zentimeter entfernt. Doch das war mehr als genug, um ihm das Genick zu brechen. Kurz bevor Bastian ein knirschendes Geräusch in seinem Nacken vernahm, dem ewige Dunkelheit folgte, zog Bastians Leben noch einmal vor seinem inneren Auge vorbei. All die Menschen, denen er begegnet war, all die schönen und schlechten Momente. Im Rückblick hätte er vieles anders gemacht. Besser. In diesem kurzen Augenblick des Bedauerns überkam ihn eine Erleuchtung: Er wusste, wer der Mann war, der ihn umbrachte. Jetzt sah er es ganz klar vor sich. Dann war es vorbei.

Kapitel 6

Gestern auf der Rückfahrt nach Düsseldorf hatte Alexander sich vorgenommen, den Rest des Tages in Klausur zu verbringen und die Aktenordner von der Staatsanwaltschaft und dem Landgericht in Hagen zu durchforsten. Aus dem Rest des Tages wurde Abend und schließlich Nacht, sodass er am Ende nur wenige Stunden Schlaf gefunden hatte. Wenn er wenigstens erfolgreich gewesen wäre, hätte er das noch wegstecken können. Sein Aktenstudium hatte jedoch nur einen einzigen brauchbaren Treffer ergeben, den Alexander für untersuchenswert befand. Es handelte sich um ein Verfahren, an dessen Ende ein 35-jähriger Mann, sein Name war Manfred Niedereggen, wegen wiederholter Körperverletzung zu einem Jahr Haft verurteilt worden war. Beide Toten, der Richter und der Staatsanwalt, waren beteiligt und während der Urteilsverkündung im Gerichtssaal anwesend. Wegen der Härte der Strafe war der Verurteilte damals ausgerastet und hatte allen Beteiligten üble Beschimpfungen und Todesdrohungen an den Kopf geworfen, bis ein Justizbeamter ihn abführte. Im Protokoll standen Dinge wie „wenn ich wieder draußen bin, mach ich euch fertig“ und „ich weiß, wo ihr wohnt, ihr Arschlöcher.“ Obwohl das für Alexander im ersten Moment nach Äußerungen im Affekt klang, beschloss er, dass Manfred Niedereggen dazu zu befragen sich lohnen könnte. Falls das zu keinem Erfolg führte, konnte er sich immer noch ein weiteres Mal mit dem Aktenstapel beschäftigen.

Als Alexander Hagen passierte, begann es zu regnen. Das war eine Sache, die er als Kind und später noch viele weitere Male festgestellt hatte: Im Sauerland und im Bergischen Land regnete es oft. Warum? Weil die feuchten Luftmassen aus dem Westen hier das erste Mal auf ein Gebirge treffen. Das hatte zumindest sein Erdkundelehrer in der Schule so erklärt.

Sein Kollege Bernd Hellmann erwartete Alexander rauchend vor der Polizeiwache in Altena.

„Haben Sie die Akten bekommen, die Sie gesucht haben?“, fragte er.

„Jawohl. Und ich habe etwas gefunden, das uns weiterbringen könnte. Begeistert bin ich zwar nicht, aber immerhin ist es schon mal ein Anhaltspunkt. Lassen Sie uns in Ihr Büro gehen, dort erkläre ich Ihnen alles.“

Hellmann hörte zu und spielte dabei mit seinem Kugelschreiber. „Das ist alles?“, fragte er, als Alexander fertig war.

„Ich sag ja, dass das nicht viel ist. Wie sieht es denn bei Ihnen aus? Haben Sie die Ex-Frauen der Männer informiert?“

„Ja, beide habe die Nachricht gefasst aufgenommen. Um nicht zu sagen emotionslos. Fast so, als wären sie froh darüber, ihre Ex-Männer los zu sein“, antwortete Hellmann.

„Vielleicht nehmen wir sie doch noch in den Kreis der Verdächtigen auf“, sagte Alexander.

Ein Kollege klopfte an Hellmanns Tür und stürmte, ohne die Antwort abzuwarten, ins Büro. „Es gibt einen weiteren Toten. In Balve auf dem Galgenberg.“

Auf der Fahrt nach Balve überlegte Alexander, wer der nächste Tote sein könnte. Wenn die Theorie des Rachefeldzugs eines verurteilten Straftäters stimmen sollte, musste es sich bei der Leiche logischerweise um einen weiteren am Verfahren beteiligten Menschen handeln. In welcher Form auch immer. Doch leider wusste Alexander bisher nur, dass der Tote ein Mann war.

Es war unmöglich, den Leichenfundort per Auto zu erreichen, und so mussten Alexander und Hellmann ihre Fahrzeuge frühzeitig zurücklassen und für mehrere hundert Meter einem schmalen Pfad durch den sauerländischen Wald folgen. Als sie die Hexenstele passierten, gab Hellmann ein kurzes Referat über den geschichtsträchtigen Ort zum Besten und Alexander fühlte sich für einen Augenblick wie ein Tourist auf einer Wanderung. Schon von weitem sah er den Körper eines Mannes an einem Ast baumeln. Die Spurensicherung bewegte sich in einigem Abstand zum Toten, um den Tatort nicht zu kontaminieren. Beim Näherkommen erkannte Alexander auch den Grund dafür: Ringsum den Erhängten lagen überall weiße und schwarze Steine.

„Haben Sie den Toten schon identifiziert?“, fragte Hellmann in Richtung der Kollegen von der Spurensicherung.

„Nein, wie denn? Wir wollten nicht über den Kies laufen, bis Sie kommen“, rechtfertigte sich Friedhelm Banken.

Hellmann beratschlagte sich kurz mit Alexander. „Wenn Sie Fotos geschossen haben, können Sie ruhig zur Leiche rüber“, sagte er.

Die Schritte von Friedhelm Banken und seinen Mitarbeitern knirschten auf dem Kies. Der Tote hing mit dem Rücken zu Alexander und Hellmann.

„Ohje“, entfuhr es Banken, der den Kopf des Toten in Augenschein nahm.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Hellmann.

„Ja. Den Anblick von erhängten Menschen finde ich allerdings sehr, naja, furchteinflößend.“

„Können Sie den Leichnam herunternehmen? Oder wenigstens umdrehen?“, fragte Hellmann.

„Noch ein paar Minuten, bitte. Ich möchte hier noch nichts anfassen, bevor wir keine Fotos gemacht und DNA-Proben gesammelt haben.“

Alexander verstand nicht, warum sein Kollege so ungeduldig war, und untersuchte lieber die nähere Umgebung. „Wer hat den Toten eigentlich gefunden?“

„Das kann ich leider nicht genau sagen. Der Anrufer, der sich heute Morgen in Altena meldete, hat seinen Namen nicht genannt“, antwortete Hellmann.

„Eines verstehe ich dann nicht: Wenn der Anrufer ein Wanderer war, der die Leiche entdeckt hat, warum meldet er sich dann bei der Polizei in Altena. Balve liegt doch gar nicht mehr im Zuständigkeitsbereich, oder?“, gab Alexander zu denken.

Hellmann hatte noch nicht darüber nachgedacht. „Das stimmt, Balve gehört zum Polizeibezirk Menden. Vielleicht wusste der Anrufer das nicht.“

Alexander zweifelte daran. „Der erste Reflex wäre doch, die 110 zu wählen und nicht die Nummer der Polizei in Altena.“

„Vielleicht kam der Wanderer aus Altena?“

„Vielleicht hat er auch beabsichtigt, dass die Polizei in Altena als Erstes von seinem Fund erfährt“, warf Alexander ein.

Hellmann fasste sich ans Kinn. „Sie glauben also, dass der Mörder selbst angerufen hat?“

„Ich glaube nicht, ich ziehe erst mal nur in Erwägung.“

Friedhelm Banken unterbrach die Männer. „Ich drehe den Toten jetzt vorsichtig in Ihre Richtung.“

Hellmann und Alexander schauten gespannt zu, während der Körper sich am Strick drehte. Der Kopf der Leiche zeigte steil nach oben. Es war offensichtlich, dass das Genick gebrochen war. Vorsichtig packten Friedhelm Banken und einer seiner Kollegen die Leiche an den Beinen, während ein Dritter, der auf einer kleinen Leiter stand, behutsam den Kopf aus der Schlinge zog. Die Männer legten den schlaffen Körper auf den mit den Kieselsteinen bedeckten Boden. Banken brachten den Kopf wieder in eine gerade Position. Das zu von Schmerz verzerrte Gesicht war nun gut zu erkennen. Alexander ging in die Hocke und inspizierte die Stelle, an der der Strick einen langen Bluterguss auf dem Hals hinterlassen hatte.

Hellmann wandte sich ab und übergab sich in ein Gebüsch hinter sich.

„Sie haben schon mal einen Erhängten gesehen“, kommentierte Banken. Hellmann kam zurück und wischte sich den Mund ab. „Das ist es nicht. Ich kenne den Mann. Das ist Bastian Stamm.“

Schon wieder ein Opfer, das Hellmann kennt, schoss es Alexander als Erstes durch den Kopf. Entweder handelte es sich tatsächlich um einen Zufall, oder das Sauerland war wirklich untereinander so eng miteinander vernetzt, wie die Gerüchte es besagten. „Wer ist Bastian Stamm?“

„Er kommt aus Altena und betreibt dort eine erfolgreiche Unternehmensberatung. Die sind international aktiv. Und einer der größten Zahler von Gewerbesteuer in der Stadt“, antwortete Hellmann.

Reflexartig suchte Alexander im Kopf nach möglichen Parallelen der Opfer. Abgesehen vom Wohnort fiel im spontan nichts ein, doch dazu wusste er noch zu wenig über das Opfer.

„Ich denke, wir müssen unsere Rache-Theorie noch einmal überdenken. Frank Binder und Edgar Herbst haben für das Rechtssystem gearbeitet, Bastian Stamm aber nicht“, sagte Hellmann.

Alexander kramte sein Handy aus der Tasche. Der Empfang hier oben war zwar nicht der beste, aber es reichte, um eine kurze Internet-Recherche durchzuführen. „Ich bin gerade auf der Internetseite von Stamm Consulting. Da steht, dass die im Bereich Rechtsberatung tätig sind. Unsere Theorie ist also noch im Rennen. Vielleicht haben wir es hier mit einer vermasselten Rechtsberatung zu tun. In der Folge kam es zu einer Verurteilung und der Bestrafte hat sich im Anschluss gerächt. So oder so brauchen wir eine Kundenliste von Stamm Consulting. Wenn dort der Name Manfred Niedereggen auftaucht, verdichtet sich der Hinweis, den ich aus den Akten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft gezogen habe und wir haben ihn vermutlich. Können Sie sagen, wie lange der Mann schon tot ist?“

Banken musterte die Leiche und schaute sich verschiedene Stellen des Körpers eingehend an. „Genaues kann ich nicht sagen, aber ich schätze mal seit zwei oder drei Uhr nachts.“

Alexander nickte.

„Was ist das?“, fragte Hellmann plötzlich, als Friedhelm Banken den Mund von Bastian Stamms Leichnam öffnete.

Banken schaute ihn fragend an. „Was meinen Sie?

---ENDE DER LESEPROBE---