Todeshimmel - Thriller - Wilhelm J. Krefting - E-Book
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Todeshimmel - Thriller E-Book

Wilhelm J. Krefting

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Beschreibung

Der rasante Thriller um eine der populärsten Verschwörungstheorien: Chemtrails Ein Berliner Professor will die Existenz von giftigen Chemikalien in den Kondensstreifen von Flugzeugen nachweisen. Außerdem ist er überzeugt, einen Zusammenhang zwischen den absichtlich von der Regierung versprühten Chemtrails und der Zunahme von Alzheimer-Erkrankungen entdeckt zu haben. Kurze Zeit später wird er ermordet. Nach und nach sterben immer mehr Studenten aus dem Umfeld des Professors, was Journalist Wolf Steeler und Hauptkommissar Peter Relow auf den Plan ruft. Ihre Ermittlungen führen sie auf die Spur einer unbekannten Organisation. Bald geraten sie selbst ins Fadenkreuz eines brutalen Killers, was sie jedoch nicht davon abhält, immer tiefer in ein Geflecht aus Lügen, Vertuschung und Korruption vorzudringen. Was sie dabei aufdecken, übertrifft am Ende selbst ihre kühnsten Erwartungen... "Todeshimmel" ist der zweite Thriller aus der "Wolf Steeler"-Reihe. Er setzt keine Kenntnis des ersten Buches ("Am siebten Tage sollst Du sterben", ebenfalls erhältlich) voraus.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Impressum

Prolog

Wolf nahm das Geschehen wie ein Unbeteiligter wahr. Er fühlte sich ungefähr so, als würde er die Szene vor sich aus einem Glaskasten beobachten: die Menschen am Tisch, die Pistolenläufe neben ihm und das Heulen der Sirenen. Er hatte Angst um seine Freundin, die direkt neben ihm stand. Sie zitterte. Er durfte sie nicht einmal in den Arm nehmen, um sie zu beruhigen.

Wie war er hier gelandet? Noch vor wenigen Tagen war er nur Journalist, nun stand er an dem Ort, wo sich sein Schicksal entscheiden würde.

Plötzlich drang ein heller Feuerschein von draußen in die Halle und blendete ihn. Sekunden später wurde das Gebäude von einer Detonation erschüttert. Wolf schaute aus dem Fenster. Was er sah, ließ ihn zusammenzucken. Nicht auch noch das, dachte er sich. Dann brach Panik aus.

Eine Woche zuvor …

Berlin-Tegel

Der Lastwagen rauschte durch die Nacht.

„Schnell fahren, nicht erwischen lassen und auf keinen Fall stoppen“, wiederholte der Fahrer Hans Borschowski die Anweisung, die ihm vor seiner Abfahrt vor einer halben Stunde mit auf den Weg gegeben wurde. Und so steuerte Borschowski, mit Scheuklappen und das Lenkrad fest umklammert, den 40-Tonner stur seinem Ziel entgegen: dem militärischen Teil des Flughafens in Tegel. Der Trucker mied dabei auf seinem Weg, wohlwissend um die brisante Fracht, die er hinter sich herzog, viel befahrene Straßen, um nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig zu erregen.

Der vorbeifahrende Truck wirbelte Staub und Steinchen von der Straße auf. Michael lag direkt am Straßenrand im Gras und bedeckte seinen Kopf mit beiden Armen, um nichts von dem umherfliegenden Dreck abzubekommen. Als es wieder ruhig war, zog Michael ein Funkgerät aus der Hosentasche an seinem Oberschenkel.

„Hagen, heute kommt er tatsächlich, müsste in ungefähr fünf Minuten am Tor sein, verstanden?“

„Verstanden, danke. Halte dich für später bereit!“, bestätigte Hagen und steckte sein Funkgerät ein.

Hagen lag nur wenige Meter vom Maschendrahtzaun in Wartestellung, der den Flughafen Berlin-Tegel umgab. In seinem Bundeswehr-Tarnanzug war er in der Dunkelheit, die nur von einigen, von ihm fortleuchtenden Suchscheinwerfern durchschnitten wurde, fast nicht zu erkennen. Hagen hatte Angst. Er durfte nicht gefasst werden. Mit seiner Verhaftung würde er das gesamte Unternehmen gefährden. Er gab sich einen Ruck. Hagen robbte los und versaute sich auf seinem Weg durch das vom Tau feuchte Gras fast den kompletten Anzug. Er fühlte sich an seine Grundausbildung bei der Bundeswehr erinnert.

Als er am Zaun angekommen war, tauchten die Scheinwerfer des Trucks in einiger Entfernung auf. In ein paar Minuten würde er das Tor zum Flughafengelände erreicht haben, das nur wenige hundert Meter von ihm entfernt war. Er musste sich beeilen. Hagen wühlte hektisch in seiner Hosentasche herum, bis er einen Seitenschneider zutage förderte. Schnell begann er damit, mehrere Maschen im Zaun zu durchtrennen, bis er sich ein Loch geschaffen hatte, durch das er hindurchpasste. Es war höchste Zeit. Der Lkw hatte bereits das Tor passiert und hatte damit den militärischen Teil des Flughafens befahren. Der Laster war jetzt deutlich langsamer unterwegs und bewegte sich im Schritttempo auf eine neben dem Rollfeld geparkte Transall-Maschine zu.

Hagen zwängte sich durch das Loch im Zaun und befand sich nun ebenfalls auf dem Flughafengelände. Niemand hatte ihn bisher entdeckt. In geduckter Haltung rannte er, so schnell er konnte, auf den Lkw zu, den er unbedingt noch abfangen musste. Hinter einem Bundeswehr-Geländewagen, der in der Nähe des Torhäuschens abgestellt war, kniete er sich hin und legte eine kurze Pause ein, um sich den gröbsten Schmutz von seinem Tarnanzug zu klopfen und seine Rangabzeichen auf der Schulter zurechtzurücken. Die Abzeichen hatte er zusammen mit dem Anzug und den Stiefeln in einem Bundeswehr-Shop ersteigert. Jetzt hatte er jeweils zwei Streifen auf jeder Schulter und war damit Obergefreiter – kein Rang, der ihm absolute Befehlsgewalt verlieh, um es milde auszudrücken, aber immerhin etwas, mit dem es sich gut tarnen ließ.

Hagen atmete ein paarmal tief durch. Er stellte sich hin und kam hinter dem Geländewagen hervor. Dann lief er los und tat so, als wenn er immer schon zum Personal des Stützpunktes gehört hätte, um bloß nicht aufzufallen. Er kam nur wenige Meter weit, bis plötzlich eine Stimme hinter ihm ertönte.

„Halt, stehen bleiben!“

Es war einer der Wachmänner am Tor. Hagen blieb stehen und drehte sich langsam um. Ein Soldat kam auf ihn zu und hielt ihm etwas hin.

„Sie haben etwas verloren“, sagte er und reichte ihm sein Namensschild.

Beim Abklopfen des Schmutzes von seiner Kleidung musste Hagen wohl versehentlich sein Namensschild entfernt haben, das er dankbar und erleichtert entgegennahm und sich wieder an die Brust heftete.

„Wir wollen doch nicht, dass Sie hier als Namenloser herumlaufen, oder, Obergefreiter Kwiatkowski?“, sagte der Soldat vor ihm, der einen Streifen mehr als er auf der Brust hatte und damit ein Hauptgefreiter war.

„Nein, natürlich nicht, vielen Dank.“

Das war noch mal gutgegangen. Hagen musste sich beeilen, der Lkw hatte die Transall schon fast erreicht. Die letzten Meter sprintete er und kam zusammen mit dem Truck an der Transportmaschine an.

Hans Borschowski setzte den Truck bis auf wenige Meter an die geöffnete Ladeklappe der Transall heran. Hagen blieb in einiger Entfernung stehen und versuchte, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, während er sein Smartphone aus der Hosentasche kramte, die Filmen-Funktion aktivierte und das Gerät in die Brusttasche steckte, sodass er das Geschehen mit der wenige Millimeter aus der Tasche herausschauenden Linse aufnehmen konnte.

Einige Soldaten kamen aus dem Laderaum der Transall, warfen ihre Kippen weg und öffneten den Auflieger des Lkw.

Aus einem Hangar rollte ein Gabelstapler herbei, auf den zwei Soldaten ein Fass aus dem Lkw wuchteten. Dann fuhr der Stapler in den Laderaum der Transportmaschine und kam etwas später mit leerer Gabel wieder raus. Das wiederholte sich fünfmal.

„Das ist der Jackpot“, dachte sich Hagen im Stillen und freute sich bereits darauf, mit absolut spitzenmäßigem Videomaterial wieder nach Hause zu kommen. Das sollte vorläufig als Beweis genügen.

Hagen zog sein Smartphone aus der Brusttasche und beendete die Aufnahme. Er drückte die „Per E-Mail senden“-Taste und wählte ein paar Adressen aus seinem digitalen Adressbuch aus. Dann schickte er das Video auf die Reise.

Hagen wollte gerade gehen, als einer der Soldaten ihn plötzlich entdeckte.

„Hey du, steh’ da nicht so faul rum und mach dich lieber mal nützlich!“, rief er herüber.

Ein Anflug von Panik breitete sich in Hagens Magengegend aus, ungefähr so, als würde er gerade mit einer Achterbahn in den Abgrund fahren. Hagen schluckte. Er hatte keine andere Wahl, er musste herübergehen und mithelfen, denn wenn er jetzt davonlief, würde man ihn verhaften und dann wäre er aufgeflogen.

Trotz Angststarre zwang er sich, zur Transportmaschine zu gehen, wo ein Leutnant ihn bereits anwies, beim Umladen der Fässer zu helfen. Die meisten der schweren Stahlfässer standen bereits mit Gurten aneinander festgezurrt in der Transall. Sie befanden sich schön verteilt im Bauch der Maschine, sodass das Flugzeug in der Luft nicht aus der Balance geraten konnte. Nur noch zwei Fässer fehlten.

Hagen sprang in den Laderaum des Lkw und peilte eines der beiden Fässer an. Er musste es irgendwie mehrere Meter durch den Auflieger bis zur Tür befördern, wo der Gabelstapler bereits wartete. Hagen überlegte, was er am besten machen könnte. Ein Gefreiter kam her und nahm sich das andere der verbliebenen Fässer vor. Er zog es am oberen Ende zu sich heran, kippte es, bis es auf seinem Schwerpunkt stand, und rollte es auf der Kante bis auf die Palette. Hagen kopierte die Methode, und sie funktionierte ganz prima, obwohl das Fass mit Sicherheit mehrere hundert Kilo wog.

Nun war der Lastwagen leer. Ganz langsam wendete der Gabelstapler und fuhr mit Schrittgeschwindigkeit in Richtung Rampe. Hagen sprang vom Lkw und lief direkt neben der Europalette, um das ziemlich wackelig stehende Fass im Notfall abstützen zu können. Das war ein fataler Fehler. Der Stapler kam beim ersten Anlauf nicht über die Kante zwischen Laderampe und Boden, weshalb er noch einmal ein Stück für einen längeren Anlauf zurücksetzte. Der Fahrer steuerte den Gabelstapler jetzt mit einem gehörigen Tempo auf die Rampe zu. Hagen, der noch immer auf der Rampe stand, war das nicht geheuer. Er ging bis zum äußersten Rand der Rampe, um am Ende nicht noch überfahren zu werden.

Der Stapler schaffte es mit Anlauf über die Kante, versetzte der Rampe dabei jedoch einen so gehörigen Stoß, dass Hagen sein Gleichgewicht verlor und rückwärts auf den harten Asphaltboden des Flughafens fiel und sich den Hinterkopf leicht stieß. Für einen kurzen Augenblick verlor er das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, wollte er aufstehen, konnte sich aber nicht bewegen. Er hörte nur, wie die Soldaten auf der Rampe laut riefen. Dann hörte er einen Rums.

Vom Ruck, den der Gabelstapler beim Befahren der Rampe abbekommen hatte, war ein Fass auf die Laderampe gefallen und rollte auf den Abgrund zu. Hektik brach unter den Soldaten aus, zwei von ihnen stürmten auf das rollende Fass zu. Sie kamen zu spät.

Hagen lag noch immer am Boden und konnte sich nicht bewegen. Starr schaute er nach oben und sah, fast wie in Zeitlupe, wie ein gelbes Fass über den Abgrund der Rampe rollte, über die Kante kippte und seinem Gesicht immer näher kam. Das war das Letzte, was er sah, dann war es dunkel. Hagen war tot.

Es war jedoch nicht der Aufschlag des Fasses, der ihn das Leben kostete. Beim Aufprall hatte sich der Deckel gelöst, was zur Folge hatte, dass sich ein paar hundert Liter Chemikalien zum großen Teil über Hagens Gesicht entleerten und seine Schleimhäute und die Lunge verätzten.

Alles passierte in Sekundenschnelle. Die Soldaten, die Hagen zur Hilfe eilten, konnten nichts mehr tun.

„Verdammte Scheiße, was sollen wir denn jetzt machen?“, brüllte ein Hauptgefreiter, der Hagen verzweifelt von der Laderampe aus anstarrte.

Unten bei der Leiche waren zwei seiner Kameraden, ein Leutnant und ein Hauptgefreiter, erfolglos damit beschäftigt, Hagens Vitalzeichen zu suchen. Kein Puls und keine Atmung.

„Der hat’s hinter sich. Wer ist das eigentlich, Obergefreiter Kwiatkowski?“, fragte der Leutnant mit einem Blick auf Hagens Namensschild.

„Nee, ich habe den noch nie hier gesehen“, antwortete der Hauptgefreite. Er fasste in die Halsöffnung von Hagens T-Shirt und tastete nach der „Hundemarke“, einem teilbaren Metallplättchen an einer Kette, das jeder Soldat um den Hals trägt und auf dem wichtige Informationen über ihn eingeprägt sind. Er fand nichts außer einer silbernen Kette mit einem Kreuz.

„Ich glaube, das ist kein Soldat“, sagte der Hauptgefreite.

Der Leutnant nickte. „Kennt hier irgendjemand einen Obergefreiten Kwiatkowski?“, rief er.

Die Soldaten, die sich inzwischen um die Leiche versammelt hatten, schauten in Hagens Gesicht und blickten dann einander fragend an. Keiner hatte den vermeintlichen Obergefreiten Kwiatkowski vorher auf dem Stützpunkt oder sonst irgendwo gesehen. Der Leutnant kontrollierte Hagens Taschen. Zuerst entdeckte er das Funkgerät, dann zog er das Smartphone aus der Brusttasche. Er schaute nach. Was er sehen musste, versetzte ihn sehr in Rage, denn in der noch geöffneten E-Mail-Ansicht war zu erkennen, dass von dem Handy aus Daten verschickt worden waren. Ein Video. Der Leutnant öffnete die Datei.

„Scheiße!“

Der Obergefreite wurde neugierig und ließ sich das Video zeigen. Es waren seine Kameraden und er beim Verladen der Fässer vom Lkw in die Transall.

„So eine Scheiße“, stimmte der Hauptgefreite zu.

Im Kopf des Leutnants begann es zu rattern. Durfte, nein, konnte er überhaupt den Vorfall verschweigen oder musste er ihn dem Major melden? Er blickte zur Leiche und traf eine eindeutige Entscheidung.

„Ich werde zum Major gehen. Ihr passt hier auf, bis ich mit den Befehlen wiederkomme!“

Der Hauptgefreite und die anderen Kameraden salutierten.

Leutnant Mahnke hatte Angst vor dieser Meldung. Major Kaiser, der Kommandant der Luftwaffenbasis am Flughafen Tegel, war launisch und unberechenbar und ein Zwischenfall von derartiger Tragweite würde ihn garantiert zur Weißglut bringen – und Leutnant Mahnke vielleicht die nächste Beförderung kosten. Vor der Schreibstube des Majors atmete Mahnke tief durch, dann klopfte er. Unverzüglich bat der Major ihn herein. Der Leutnant baute sich salutierend vor dem Major auf, bis der ihn zum Rühren aufforderte. Der Major war ein kräftiger Mann um die Fünfzig, hatte einen wuchtigen Kopf und ausladende Gesichtszüge, in denen sich Jahrzehnte voller Gram widerzuspiegeln schienen. Er hatte eine Ausstrahlung, als könnte ihm nichts und niemand in der Welt das Wasser reichen, als spreche aus ihm die absolute Überlegenheit in allen Belangen.

„Was ist los, Leutnant?“, fragte der Major, ohne sich dabei von seiner Arbeit, dem Unterschreiben einiger Unterlagen, ablenken zu lassen.

„Es gab einen Zwischenfall beim Verladen.“

„Was für einen Zwischenfall?“

Leutnant Mahnke legte dem Major, der sich immer noch nicht ablenken ließ, das Smartphone auf den Schreibtisch.

„Wenn der Herr Major sich das Video einmal anschauen würde ...“, sagte Leutnant Mahnke.

Major Kaiser legte seinen Kugelschreiber aus der Hand, nahm das Handy und drückte die Start-Taste. Als das Video vorbei war, tauschte er das Video wieder gegen den Kugelschreiber und unterschrieb weiter Dokumente.

„Bestrafen Sie denjenigen, der das Video gemacht hat und vernichten Sie den Film. Und passen Sie auf, dass das nicht noch einmal passiert!“, sagte er.

„Das könnte ein Problem werden. Derjenige, der das Video gemacht hat, ist tot. Er konnte das Video aber vorher noch per E-Mail verschicken. Er war kein Soldat, konnte sich aber irgendwie unbemerkt auf die Basis schleichen.“

Der Major hielt inne. Er legte den Kugelschreiber zur Seite und erhob sich von seinem Stuhl. Stehend überragte er den Leutnant um einen Kopf, was ihn noch imposanter erscheinen ließ. Er umrundete Leutnant Mahnke, der immer noch steif vor dem Schreibtisch stand, und schaute ihm dabei ins Gesicht.

„Sie hatten die Verantwortung dafür, dass solche Zwischenfälle nicht geschehen. Wenn Sie das nicht in Ordnung bringen, dann werden Sie es bereuen, haben wir uns verstanden, Herr Leutnant? Ich will nicht wissen, wie Sie es anstellen, aber sorgen Sie dafür, dass die Leiche verschwindet und dass das Video nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Den Rest bringen Sie wie gewohnt über die Bühne. Und jetzt raus!“

„Jawohl, Herr Major.“

Leutnant Mahnke wäre es lieber gewesen, Major Kaiser wäre komplett ausgerastet und hätte ihn angeschrien. Die ruhige Art kam ihm fast schon psychopathisch vor und machte ihm Angst. Wie auch immer, er musste die Angelegenheit schnellstens und so diskret wie möglich klären.“

„Hagen, Hagen, hörst du mich? Hallo, Hagen, bitte kommen!“

Michael wurde langsam nervös, denn er hatte jetzt schon minutenlang nichts mehr von Hagen gehört. Was sollte er nur tun, wenn ihm was zugestoßen war? Er beschloss, es noch wenige Minuten weiter zu versuchen, vielleicht hatte Hagens Walkie-Talkie nur eine Störung.

Leutnant Mahnke war fest entschlossen, den Major nicht zu enttäuschen – im ganz eigenen Interesse. Zügig und mit festem Schritt marschierte er zur Transall. Die ratlos wirkenden Soldaten hatten sich auf die Ladeklappe des Flugzeugs gesetzt und sahen gelangweilt aus, ein paar von ihnen rauchten. Beim Anblick des Leutnants sprangen sie auf und nahmen unwillkürlich Haltung an.

„Männer, aufgepasst. Dieser Mann ist unbefugt auf das Gelände des Stützpunkts gekommen und hat ganz offensichtlich Spionage betrieben. Wir werden uns nun seiner Leiche entledigen“, sagte der Leutnant und zeigte auf Hagens leblosen Körper.

„Wie sollen wir das anstellen, Herr Leutnant? Und dürfen wir das denn so einfach?“, fragte der Hauptgefreite.

„Machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob wir das dürfen oder nicht, Sie haben Ihre Befehle, Hauptgefreiter! Und was die Beseitigung angeht, habe ich eine Idee: Unser Freund hier wird mit dem Flugzeug verreisen.“

Einige Minuten später hielt einer der Soldaten das große ausgelaufene Fass am Boden fest, während zwei weitere Hagens Leiche von oben in das große Stahlfass hinabließen. Der tote Körper passte nicht ganz herein, um den Deckel zu platzieren, mussten sie Hagens Kopf so fest nach unten drücken, dass sein Genick brach. Den Deckel verschweißten die Soldaten anschließend, bevor sie das Fass zu den anderen im Laderaum der Transall-Maschine stellten und festzurrten.

Leutnant Mahnke schloss die Ladeluke und schickte die Männer auf ihre Stuben. Bevor er selbst ging, wollte er noch etwas erledigen. Er holt sein Handy aus der Tasche und drückte auf die Wählen-Taste.

„Ich bin’s. Du musst für mich was erledigen, dürfte aber nicht so ganz sauber werden. Wir sprechen morgen.“

Leutnant Mahnke legte auf und atmete tief durch. Wie konnte er nur so werden? Er blickte hinauf in den Himmel. Das Mondlicht brach sich in einer Reihe von Kondensstreifen, die er weit oben erkennen konnte. Er verharrte so lange dort, bis die Streifen fast vollständig verschwunden waren. Dann drehte er sich zum Gehen um.

Mit dem Fuß stieß er plötzlich an einen Gegenstand, der mehrere Meter über den Asphalt geschleudert wurde. Es war das Funkgerät des Mannes, das einer dort hatte liegen lassen. Leutnant Mahnke hob es auf. Und schaltete es ein.

„Hagen, hallo, Hagen, hörst du mich? Bitte kommen!“

Für einen kurzen Augenblick überlegte der Leutnant, ob er den Ruf erwidern sollte. Ob er einfach antworten sollte, dass Hagen es nicht geschafft habe und der Spion aufgeflogen sei. Er entschied sich jedoch dagegen und informierte stattdessen die Wachen, um das Gelände herum nach Eindringlingen abzusuchen. Wie er erwartet hatte, fanden sie jedoch nichts, da Michael weit genug weg noch immer im Gras versteckt war.

Im Morgengrauen startete die Transall-Maschine mit ihrer Fracht vom Flughafen und verließ wenige Minuten später den Berliner Luftraum.

Michael, der stundenlang immer verzweifelter darauf gewartet hatte, dass Hagen sich doch noch melden würde, konnte jetzt nicht mehr auf den Schutz der Nacht bauen und verließ niedergeschlagen sein Versteck, um nach Hause zu gehen. Was sollte er jetzt nur machen?

Wolf Steelers Wohnung, Berlin-Prenzlauer Berg

Wolf saß auf seinem Bett und ließ den Blick durch die Wohnung wandern. Hier hatte er die längste Zeit gewohnt, in ein paar Tagen würden Wolf und Lina in eine andere Wohnung ziehen. So schön die vier Wände in der Schliemannstraße auch waren, so sehr war in den vergangenen Monaten der Wunsch aufgekommen, sich zu verändern. Außerdem war die Wohnung auf Dauer zu klein für zwei Personen. Wolf hätte nie gedacht, dass er jemals wieder vor der Situation stehen würde, mit einer Frau zusammenzuziehen, sein Leben nicht allein zu verbringen, sondern mit einer Partnerin. Lina hatte ihm buchstäblich nach einer schwierigen Zeit neuen Lebensmut gegeben und Wolf war tatsächlich wieder verliebt. Er empfand ein Gefühl, wie es normalerweise nur Paare erleben, die erst seit ganz kurzer Zeit zusammen waren – und das, obwohl die beiden nun schon seit knapp zwei Jahren ein Paar waren.

Der klackende Schlüssel der Badezimmertür riss Wolf aus seinen Gedanken. Lina wankte leicht schlaftrunken aus dem Bad und ließ sich auf das Bett fallen. Vorsichtig schmiegte sie sich an Wolf an und legte ihren Kopf auf seinen Schoß. Wolf streichelte ihren Kopf.

„Guten Morgen, Schatzi“, sagte Lina und seufzte entspannt.

„Morgen“, antwortete Wolf.

In Momenten wie diesen war Wolf sicher, noch nie zuvor in seinem Leben glücklicher gewesen zu sein. Selbst die Alpträume, unter denen er früher gelitten hatte, waren fast vollständig verschwunden. Nur manchmal schreckte er noch aus dem Schlaf auf – dann, wenn er träumte, dass er Lina verlieren würde.

Ein guter Freund hatte ihm mal gesagt, dass das Wolfs persönliches Trauma sei: die Angst, nach dem Tod seiner Ex-Freundin Verena noch einen geliebten Menschen zu verlieren. Doch er hatte die Angst mittlerweile ganz gut im Griff.

„Ich glaube, wir müssen gleich schon los zur Schlüsselübergabe“, sagte Lina.

„Ist es schon so spät?“, fragte Wolf und schaute auf den Wecker. „Dann werde ich mal schnell im Bad verschwinden.“

Lina dachte nicht daran, Wolf gehen zu lassen. „Noch ein bisschen“, protestierte sie und drückte ihren Kopf auf Wolfs Oberschenkel. Der hatte keine andere Wahl, als Lina noch ein paar Minuten weiterzustreicheln, bevor er sich mit einer Kitzel-Attacke schließlich von Lina loseisen konnte und im Bad verschwand.

Die zukünftige Wohnung von Wolf und Lina lag in der Lychener Straße, der Parallelstraße zur noch aktuellen Wohnung in der Schliemannstraße, direkt am Friedhofspark Pappelallee. Zu Fuß waren es nur knapp zehn Minuten bis dorthin. Wolf und Lina hatten sehr viel Glück, ihre Traumwohnung dort zu finden, denn Prenzlauer Berg war ihnen schon sehr ans Herz gewachsen. Das einzige Manko bestand für die etwas abergläubische Lina lediglich in der Tatsache, dass ein Friedhofspark direkt nebenan lag und es dort vielleicht spuken könnte. Wenn Lina mit diesem Argument kam, erntete sie in der Regel nur einen sparsamen Blick aus Wolfs Richtung, für den die Wohnung perfekt war. Altbau, Parkettboden, hell, hohe Decken und genug Platz, sich aus dem Weg zu gehen, wenn man mal seine Ruhe brauchte.

Das Treppenhaus war sehr geräumig, nur gab es leider keinen Aufzug. Die Möbel mussten später dann wohl zu Fuß in den dritten Stock gebracht werden.

Der Makler, durch den Wolf und Lina an ihr neues Domizil gekommen waren, wartete bereits in der Wohnung. Er hatte die beiden immer gut beraten und war sehr nett. Nur machte er ab und zu ziemlich dumme Sprüche, die Wolf und Lina gar nicht lustig fanden, aber aus Höflichkeit immer lachten. Auch heute enttäuschte er sie nicht.

„Wenn ich mir die hohen Decken und den Stuck hier anschaue, bekommt der Ausdruck ‚My Home is my Castle‘ doch eine ganze neue Bedeutung, nicht wahr?“

Wolf und Lina grinsten gequält.

„Na ja, hier haben Sie auf jeden Fall die Schlüssel, zweimal Haus, zweimal Wohnung und Briefkasten und Keller. Wann ziehen Sie denn ein?“

„Ungefähr zwei Wochen, vorher kommen wir leider nicht dazu“, antwortete Wolf.

„Die Wohnung wird schon nicht weglaufen, ist ja ziemlich immobil, wenn sie verstehen, was ich meine …“

Wolf und Lina grinsten wieder.

„Wie dem auch sei, ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wohnen hier. Und sollten Sie mal wieder auf der Suche sein, rufen Sie mich einfach an!“

Der Makler verabschiedete sich und Wolf machte hinter ihm die Tür zu. Im Wohnzimmer nahm er Lina in den Arm und drückte sie fest an sich.

„Ich freue mich auf unsere erste gemeinsame Wohnung, das wird toll“, sagte er. Dann küsste er sie.

Zufrieden und voller Vorfreude auf ihr neues Nest, verließen Wolf und Lina die Wohnung und gingen zurück in die Schliemannstraße.

„Ich fahr’ dann mal los in die Redaktion, soll ich dich mitnehmen?“, fragte Lina.

Eigentlich bot sie Wolf jeden Tag an, ihn in ihrem neuen Auto mitzunehmen. Seitdem Lina beim Berliner Morgen, der Zeitung, bei der Wolf vorher auch angestellt war, als Redakteurin arbeitete, konnte sie sich einen neuen Golf leisten und war nicht mehr auf den alten, klapprigen Fiesta angewiesen. Deshalb sagte Wolf auch ab und zu ja, da er nicht mehr befürchten musste, beim ersten Unfall direkt zu sterben. Meistens, so auch heute, lehnte Wolf jedoch ab, da er das U-Bahn-Fahren einfach zu sehr mochte. Wolf und Lina verabschiedeten sich voneinander.

Vom U-Bahnhof Klosterstraße war es nicht weit bis zum Amtsgericht Mitte. Wolf hatte nur noch wenige Minuten bis zur Urteilsverkündung, die er unter keinen Umständen verpassen durfte. Diesen Fall hatte er über Wochen verfolgt und journalistisch begleitet. Am letzten Prozesstag wollte er noch einmal einen richtigen Rundumschlag machen, mit einem großen Feature, wenn möglich einem Interview mit dem Beklagten und allem, was dazu gehört.

Die Verhandlung hatte für einiges Aufsehen gesorgt. Der Direktor eines anderen Berliner Gerichts hatte über Jahre Immobilien, die eigentlich zwangsversteigert werden sollten, unter der Hand an Freunde, Bekannte und Verwandte vermittelt. Aufgeflogen war der Fall, weil eine Kollegin des Direktors Wolf gegenüber nicht den Mund halten konnte und er daraufhin den Fall aufgedeckt hatte. Nach der Geschichte mit Sven Bäumer vor zwei Jahren war dies bereits der zweite Fall, bei dem Wolf eine Autorität ins Wanken beziehungsweise zu Fall brachte.

Wolf wurde von einem Beamten durch die Sicherheitsschleuse im Amtsgericht gelotst, bevor er die imposante Eingangshalle betrat. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es in den Verhandlungssaal, fast hätte ihm ein Gerichtsdiener die Tür vor der Nase zugemacht. Wolf hatte just im Pressebereich des Zuschauerraums neben einigen Kollegen Platz genommen, als der Richter alle Anwesenden schon wieder aufforderte, sich zu erheben. Er machte es kurz und schmerzlos, es wurde spannend.

„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Beklagte wird zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Bitte nehmen Sie wieder Platz.“

Wolf hatte, realistisch betrachtet, mit nichts anderem als einer Bewährungsstrafe gerechnet. Dennoch war er ein wenig enttäuscht, hatte er doch auf eine Strafe ohne Bewährung gehofft.

Er hörte aufmerksam der Urteilsbegründung zu und machte sich Notizen. Zwischendurch schaute er zum Anwalt des Beklagten hinüber, der die Urteilsbegründung zufrieden nickend aufnahm. Sein Mandant hatte es nicht für nötig empfunden, selbst im Gericht zu erscheinen, wartet jetzt vermutlich zu Hause auf den Anruf und würde sich anschließend freuen, dass er nicht hinter Gitter musste.

Trotz der milden Strafe freute sich Wolf darüber, am Ende doch sein Ziel und damit einen weiteren Sieg für die Gerechtigkeit errungen zu haben, denn der Direktor war nun vorbestraft und würde sich einen neuen Beruf suchen müssen.

Nach der Urteilsbegründung schloss der Richter die Verhandlung. Wolf versuchte noch, den Anwalt zu einem Interview zu bewegen, scheiterte aber, da dieser ziemlich bald verschwand. Wie auch immer, Wolf hatte genug Material für einen schönen Artikel – und für einen bösen Kommentar über korrupte Richter und Politiker hatte er immer genügend Ideen. Jetzt nur noch schnell in sein Büro, den Artikel schreiben, und dann raus damit an seine „Kunden“, denn seitdem er als freier Journalist arbeitete und nicht mehr beim Berliner Morgen angestellt war, schrieb er für mehrere Berliner und überregionale Zeitungen. Das war ein Leben, von dem er immer geträumt hatte, denn er konnte endlich selbst bestimmen, über was und für wen er schreiben konnte, und musste nicht mehr spurten, wenn ein launischer Chefredakteur es von ihm verlangte. Alles in allem war Wolf derzeit sehr zufrieden. Er hatte insbesondere in den vergangenen zwei Jahren ein paar Weichen gestellt, die sein Leben in der richtigen Spur hielten. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er ein Flugblatt in die Hand gedrückt bekam.

„Oh, Entschuldigung“, sagte Wolf erschrocken, nachdem er auf dem Rückweg zum U-Bahnhof Klosterstraße in Gedanken einen jungen Mann anrempelte und dadurch aus den tiefsten Gedanken gerissen wurde.

„Schon gut, nichts passiert“, sagte der junge Mann, der offenbar Student war, da er eine Umhängetasche von der Humboldt-Uni trug. „Hier, nehmen Sie einen Flyer mit, wir müssen dagegen was tun!“, sagte er, drückte Wolf einen Flyer in die Hand und ging weiter.

Wolf sah sich den Flyer an. Er sah darauf mehrere Flugzeuge, die ein Geflecht aus Kondensstreifen hinter sich herzogen. Der Text war aber noch spannender: „Die Zerstörung des Himmels – Globales Chemie-Verbrechen in unserer Atmosphäre – Haben Sie schon mal in den Himmel geschaut und Kondensstreifen entdeckt, die anscheinend nie verschwinden wollen? Es klingt wie eine unglaubliche Horrorphantasie – und doch haben neueste Enthüllungen bestätigt: Im Rahmen eines US-Projektes sprühen Flugzeuge eine gefährliche Aluminium-Mischung in den Himmel, auch in Europa. Die chemischen Schwaden sollen die Erdatmosphäre abkühlen und die Ozonschicht sanieren. Der Nebeneffekt: Unabsehbare Schäden für Gesundheit und Umwelt! Prof. Dr. Werner Lauert, renommierter Forscher an der Humboldt-Universität, forscht seit langem an diesem Phänomen. Kommen Sie zu seiner öffentlichen Vorlesung zu dem Thema im Audimax der Humboldt-Universität, wenn Sie mehr über dieses ungeheuerliche Projekt erfahren möchten!“

An sich klang das Thema ganz spannend. Vielleicht würde es genug Futter für eine Story bieten. Beginn der Vorlesung war heute um 15 Uhr. Wolf schaute auf seine Uhr. Wenn er jetzt schnell ins Büro fahren und die Geschichte über das Ende der Verhandlung schreiben würde, könnte er es noch schaffen. Er legte einen Zahn zu und erwischte sprintend und völlig außer Atem gerade noch die U-Bahn, die bereits im Begriff war loszufahren.

Redaktion Berliner Morgen, Berlin-Mitte

Lina hatte sich in den vergangenen Jahren sehr gut in der Redaktion des Berliner Morgen eingelebt. Das lag zum großen Teil daran, dass das Team der Zeitung für sie nicht fremd war, da sie vorher bereits längere Zeit als Redaktionsassistentin dort gearbeitet und ihre Kontakte aufgebaut hatte. Nachdem Wolf sich entschieden hatte, den Berliner Morgen zu verlassen und als freier Journalist weiterzumachen, war eine Planstelle frei geworden. Auf Wolfs Empfehlung beim Chefredakteur Faber hin war dann ganz schnell die Entscheidung für die mehr als gut qualifizierte Lina gefallen.

Lina arbeitete in der Politikredaktion und betreute das Thema Innenpolitik, Wolfs ehemaliges Thema. Kurioserweise saß sie auch an Wolfs altem Schreibtisch, weshalb man mit Fug und Recht behaupten konnte, dass sie in dessen Fußstapfen getreten war. Nicht ganz zu Unrecht zerrissen sich die Kollegen hinter Linas Rücken stets scherzhaft das Maul darüber, aber Lina konnte das egal sein, denn sie leistete exzellente Arbeit, hatte außergewöhnlich gute Ideen für neue Geschichten und recherchierte so hartnäckig wie ein Terrier, der sich in der Wade eines Politikers festgebissen hatte. Manchmal arbeitete sie sogar mit Wolf zusammen – immer dann, wenn er dem Berliner Morgen wieder exklusiv eine Geschichte anbot, die in Linas Themenschwerpunkt fiel.

Anfangs hatte Lina Bedenken gehabt, ob sie als Journalistin eine Beziehung zu einem anderen Journalisten wegen der Gefahr, immer in einer Art Konkurrenzkampf zueinander zu stehen, durchhalten könne. Mit Wolf war das jedoch kein Problem. Vermutlich wäre es früher oder später eines geworden, wenn Wolf weiter als Festangestellter beim Berliner Morgen gearbeitet hätte und es selbst nach Feierabend kein anderes Gesprächsthema gegeben hätte. So war jedoch alles perfekt.

Das Telefon klingelte. Faber. Er bat Lina, kurz nach oben in sein Büro zu kommen. In solchen Momenten überkam Lina immer ein leichtes Gefühl von Panik, da sie immer annahm, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Auf der anderen Seite freute sie sich, da Linas beste Freundin, Frau Reimer, noch immer in Fabers Vorzimmer arbeitete.

„Hi Süße, wie geht’s?“, fragte Lina, die Frau Reimer wie üblich überraschte.

„Hi, Mensch, ich freu‘ mich, dich zu sehen, jetzt geht’s mir gut!“

„Ich glaube, der Chef erwartet mich, deshalb habe ich nicht so viel Zeit. Sollen wir später vielleicht zusammen mittagessen?“

„Klar, gern, sag‘ Bescheid!“

Lina klopfte an die Durchgangstür zu Fabers Büro. Er bat sie herein.

„Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind. Ich hab’ eigentlich kein schlimmes Anliegen, es geht nur um eine ganz undramatische Geschichte, um die ich Sie bitten möchte. Ich wollte gerade in der Redaktionskonferenz dazu nichts sagen, weil ich weiß, dass Sie das Thema vielleicht persönlich berührt. Es geht um Transmed.“

Lina stockte der Atem. Persönlich hatte sie mit Transmed nicht wirklich etwas zu schaffen, im Gegensatz zu Wolf. Wolfs Ex-Freundin Verena war vor rund vier Jahren deswegen gestorben, weil Transmed ein in unzureichendem Maße getestetes Asthma-Medikament auf den Markt gebracht hatte. Lina erinnerte sich zurück an ihr erstes Date mit Wolf und wie er ihr damals die Geschichte erzählte.

Verena, Wolfs ehemalige Freundin, ist gestorben, weil ein Medikament, das sie eingenommen hatte, illegalerweise zu früh zugelassen wurde. Wolf war noch immer überzeugt, dass der damalige Bundestagsabgeordnete Sven Bäumer schuld daran hatte. Wolf hatte Lina die ganze Geschichte erzählt. Normalerweise ist es sehr schwierig, überhaupt eine Zulassung für ein Medikament zu bekommen. Meistens dauert das mehr als zehn Jahre. Ganz abgesehen davon, dass von tausenden Hoffnungsträgern bei den Pharma-Unternehmen oft nur einer am Schluss in der Apotheke landet. Die Testphase ist in verschiedene Stadien unterteilt. Bei Transmed ging es damals um ein neuartiges Asthma-Medikament. Wolfs Informant aus der Firma hatte ihm gesagt, dass das Mittel bei den präklinischen Studien an Zellkulturen und Tierversuchen noch sehr vielversprechend war. Keine schlimmen Reaktionen, gute Verteilung im Körper, keine Nebenwirkungen. Normalerweise scheitern die meisten Medikamente in der Präklinik, weil sie sich als giftig, schädlich für einen Embryo oder als krebserregend erweisen. Theoson, das Asthma-Mittel von Wolfs Freundin, schien aber absolut in Ordnung zu sein und durfte deshalb ohne Probleme in die Phase I übergehen. In Phase I wird das Medikament das erste Mal an 60 bis 80 Menschen getestet. Vor jedem einzelnen Test muss die Zustimmung einer unabhängigen Ethik-Kommission eingeholt werden, die aus Medizinern, Juristen, Theologen und Laien besteht. Nach Phase I wird darüber entschieden, ob das Medikament Tablette, Spritze, Kapsel oder sonst was wird. Theoson wurde ein Spray.

Wenn in Phase I alles gut gelaufen ist, wird in Phase II und III das Medikament das erste Mal an Kranken getestet. Dabei wird auch auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten geachtet. Wenn das Medikament auch die beiden Phasen überstanden hat, darf es immer noch nicht einfach so verkauft werden. Der Hersteller muss erst einen Antrag bei den Zulassungsbehörden stellen, die ihm dann nach Prüfung aller Ergebnisse die Genehmigung erteilen. Oder auch nicht. Allein das Zulassungsverfahren dauert im Durchschnitt eineinhalb Jahre. Und genau da kam Sven Bäumer ins Spiel. Transmed stand damals kurz vor der Insolvenz und wollte sich mit Theoson aus den Schulden retten. Ein so langes Zulassungsverfahren hätte das Unternehmen in der Form nicht überlebt.

Nun gab es die Möglichkeit, ein beschleunigtes Zulassungsverfahren zu beantragen, was eigentlich nur in Ausnahmefällen möglich ist. Durch die Kontakte einiger Mitglieder des Transmed-Managements zu Sven Bäumer, der wiederum gute Freunde im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat, das in dem Fall für die Zulassung verantwortlich war, gab es für Theoson eine beschleunigte Zulassung – und das, obwohl es dafür absolut keinen Grund gegeben hätte.

Verena hatte schweres Asthma und Theoson schien recht vielversprechend zu sein. Doch das stimmte nicht. Als Verena das Mittel zum ersten Mal nahm, erlitt sie einen anaphylaktischen Schock und fiel ins Koma. Einige Tage später starb sie im Krankenhaus. Sie hatte gleich mehrere der Wirkstoffe nicht vertragen. Neben Verena starben sechs weitere Patienten in den ersten Wochen, nachdem Theoson auf den Markt gebracht worden war.

---ENDE DER LESEPROBE---