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Stell dir vor, du bist ein intelligenter, kreativer und hilfsbereiter Mensch. Trotzdem hast du das Gefühl, irgendwie falsch zu sein. Willkommen in der Welt der Introvertierten. Du bist gerne allein, möchtest dich aber dennoch mit anderen Menschen verbinden. Du hast viel zu sagen, bleibst aber meistens still. Du möchtest gehört werden, aber nicht im Rampenlicht stehen. Du liebst Bücher mehr als Partys, die du ohnehin früh verlässt, und brauchst Zeit, um dich von Lärm und vielen Menschen zu erholen. Wie du es schaffst, all deine Bedürfnisse zu verstehen und deinem leisen Temperament einen neuen Wert zu verleihen, zeigt dir dieses Buch: - Warum Introvertierte andere Bedürfnisse haben als Extravertierte - Welche Vorurteile und Missverständnisse über Introvertierte entstehen und wie du sie entkräftest - Wie Kommunikation und Freundschaft zwischen Introvertierten und Extravertierten gelingt - Welche unterschätzten Potenziale in deinem introvertierten Temperament schlummern und wie du sie nutzen kannst Was würdest du tun, wenn dir klar wird, dass introvertiert zu sein keine Schwäche, sondern deine größte Stärke ist?
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Seitenzahl: 243
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Vorwort für Introvertierte
Vorwort für Extravertierte
Introversion verstehen
1.1 Ich bin kompliziert. Aber nur für die, die mich nicht verstehen.
1.2 Dein neuer Anfang
1.3 Bin ich introvertiert?
1.4 Darum ticken Introvertierte anders als Extravertierte
1.5 Warum Introversion kein Mangel ist
1.6 Vorurteile über Introversion – und was dahintersteckt
1.7 Introvertierte und Freundschaft
Intro-Potenziale erkennen
2.1 Starke Potenziale von Introvertierten
2.2 Meisterhafte Intro-Stärken
2.3 Meister des Gesprächs
2.4 Meister des Vergnügens
2.5 Meister der Gedanken
2.6 Meister der Stille
Lasst uns leidenschaftlich introvertiert sein!
Danke
Über die Autorin
Anmerkungen
Literaturempfehlungen
Introversion ist ein Werkzeug, dessen Gebrauch man erlernen kann.
Susan Cain
Mir sind in den letzten Jahren viele introvertiert veranlagte Menschen begegnet, die unglücklich mit ihrer Persönlichkeit sind. Bis vor wenigen Jahren ging es mir ebenso. Ich habe mich oft gefragt, warum es mir so schwerfällt, mit anderen locker zu plaudern. Oder warum ich mich gut fühle, wenn eine Verabredung abgesagt wird. Ich bin gerne alleine und genieße meine Ruhe, aber ich möchte die Menschen in meinem Leben, die mir wichtig sind, nicht vernachlässigen. Mein Freundeskreis ist sehr übersichtlich, und manchmal fehlen mir wichtige Kontakte, doch ich tue mich schwer damit, diese zu knüpfen. Ich fühle mich nicht einsam, aber alle und alles um mich herum scheint mir einflüstern zu wollen, dass ich es bin.
Für uns Introvertierte fühlt es sich oft so an, als würden wir nicht so richtig in diese Welt passen. Von überall ruft man uns zu: »Sei offen! Hab viele Freunde! Nutze deine Beziehungen! Unter vielen Menschen ist es schöner als allein!«. Unsere westliche Gesellschaft hat die extravertierte Persönlichkeit zum Ideal ernannt und fordert alle auf, diesem Ideal nachzustreben. Als stiller, introvertierter Mensch ist es schwierig geworden, zu sich selbst zu finden, die eigene, stille Persönlichkeit mit ihren vielen Facetten wertzuschätzen und entgegen den Erwartungen der Gesellschaft den eigenen Weg unbeirrt fortzusetzen.
Vor einigen Jahren fiel mir ein Artikel über leise und laute Menschen in die Hände. Darin wurde über die Eigenschaften von introvertiert veranlagten Menschen geschrieben, und was sie von den extravertiert veranlagten Menschen unterscheidet. Dieser Artikel hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet: Ich begann zu verstehen, warum ich Bedürfnisse habe, die sich manchmal sehr von denen anderer Menschen unterscheiden. Warum ich gerne alleine bin und meine Ruhe genieße. Warum ich viel und lange nachdenke. Warum ich auf andere manchmal langweilig und unscheinbar wirke.
Ich habe mich seitdem intensiv mit dem Persönlichkeitsmerkmal Introversion auseinandergesetzt, schreibe einen Blog für leise Menschen und möchte dazu beitragen, dass Introvertierte ihre ganz eigenen Stärken entdecken und ausleben.
Bevor du deine introvertierte Persönlichkeit verdammst und zu den angeblich perfekten, extravertierten Menschen sehnsuchtsvoll aufschaust, schau doch erst einmal etwas genauer hin, was du da eigentlich am liebsten verdammen würdest. Schließlich hat die Natur beide Temperamente hervorgebracht und es nicht als sinnvoll erachtet, die leisen Exemplare im Laufe der Evolution auszusortieren. Introversion ist weder besser noch schlechter als andere Persönlichkeitsmerkmale – und sie sollte die Wertschätzung erhalten, die ihr heutzutage vielfach verwehrt bleibt.
Ich lade dich ein, deine introvertierte Seite besser kennenzulernen. Hast du schon einmal über deine Stärken nachgedacht? Über die, die du nicht trotz, sondern wegen deiner Veranlagung zur Introversion hast? Du kannst dich heute auf die Reise machen und unsichtbare, schlafende, verkümmerte oder sogar längst perfektionierte Talente und Potenziale in dir entdecken. Die introvertierten Potenziale, die ich für besonders wertvoll halte, stelle ich dir in diesem Buch vor. Ich bin mir sicher, dass du mehr als eins davon in dir selbst wiederfindest. Ich möchte dir Mut machen, diese Potenziale weiterzuentwickeln und sie weit in den Vordergrund deines Lebens zu rücken.
Ich lade dich ein auf eine Entdeckungsreise in die Tiefen deines stillen Wesens: Es erwarten dich neue Blickwinkel, ein gestärktes Selbstwertgefühl, der ein oder andere Aha-Moment sowie viele Tipps und Übungen für deinen Alltag.
Am Ende des Buches wird deine introvertierte Welt bestimmt ein klein wenig anders aussehen – oder sich vielleicht deutlich gewandelt haben: in eine Welt, in der deine introvertierte Persönlichkeit ein großes Geschenk ist.
Lena Noa
Ich bin so dankbar, dass du dieses Buch in den Händen hältst und erwägst, es zu lesen. Es gibt nicht viele extravertiert veranlagte Menschen, die ehrlich interessiert an der Welt der Introvertierten sind (jedenfalls sind mir noch nicht viele begegnet). Wir Intros kämpfen uns tapfer durch ein Leben in einer Gesellschaft, die ihre Scheinwerfer fast ausschließlich auf extravertiertes Verhalten gerichtet hat. Die Stärken von introvertierten Menschen werden vielfach ignoriert, oder sogar bewusst als unerwünscht klassifiziert. Was für ein fataler Verlust für alle!
Introvertierten Menschen wird es von Kindheit an sehr schwer gemacht, sich mit ihren innersten Bedürfnissen nach Ruhe und Rückzug wertvoll und stark zu fühlen, denn die Rückmeldungen zu ihrem Verhalten sprechen eine andere Sprache. »Spiel doch mal mehr mit den anderen Kindern!«, hören wir schon im Sandkasten. »Mit der stimmt was nicht, sie ist so viel allein.« So wird unsere Persönlichkeit schon im Kindesalter be- bzw. verurteilt. Man meint, uns therapieren zu müssen oder zumindest immer wieder dazu anzuhalten, unsere Bedürfnisse zu ignorieren und uns den Erwartungen anderer anzupassen. So haben viele als Erwachsene verinnerlicht, auf ihre Bedürfnisse keine Rücksicht zu nehmen, nach fremden Überzeugungen zu leben und den Wert der eigenen, introvertierten Persönlichkeit gering zu schätzen.
Umso mehr ist es mir eine Herzensangelegenheit, introvertierten Menschen zu helfen, ein neues, starkes Selbstbild zu entwickeln, und extravertierte Menschen dabei zu unterstützen, uns Introvertierte besser zu verstehen. Ich kann es gut nachvollziehen, dass es für Menschen, die ihre Energie aus ihren Freundeskreisen und lebhaften Aktivitäten schöpfen, schwer zu verstehen ist, dass andere Erfüllung und Glück im Alleinsein und bei stillen Beschäftigungen finden.
Es ist wichtig zu verstehen, wie Introvertierte ticken und was sie alles zu bieten haben. Wie sie mit ihren eigenen Talenten und Potenzialen der Welt das geben können, was ihr aktuell an vielen Stellen fehlt – und was unsere extravertiert-orientierte Gesellschaft von ihnen lernen kann.
Womöglich habe ich mit dem Titel dieses Buches falsche Erwartungen bei dir geweckt. Ich richte dieses Buch an Introvertierte und alle, die es werden wollen. Zugegeben, an dieser Stelle bin ich nicht ganz korrekt. Natürlich kann dich dieses Buch nicht von einem extravertierten zu einem introvertierten Menschen umkrempeln (auch wenn du schon lange davon träumen solltest). Selbst der beste Therapeut täte sich schwer daran. Introversion und Extraversion sind angeborene und im Kern unveränderliche Veranlagungen in der Persönlichkeit, wie du in späteren Kapiteln erfahren wirst. Die gute Nachricht ist aber, dass wir alle sowohl introvertierte als auch extravertierte Anteile in uns tragen, wobei die eine oder andere Seite dominiert. Ich biete dir die Chance, deine introvertierte Seite besser kennenzulernen, sie zu stärken und so neue Potenziale in dir zu entdecken, die dir vielleicht bislang verborgen geblieben sind.
Introversion hat in unserer westlichen Welt (noch) keinen guten Ruf. Und sie ist mit vielen hartnäckigen Missverständnissen behaftet. So hält sich zum Beispiel bei vielen die Überzeugung, dass Introversion und Schüchternheit dasselbe sind (stimmt nicht, so viel kann ich schon verraten). Introvertierte Menschen werden als langweilige Eigenbrötler beurteilt, manchmal auch als desinteressiert oder arrogant wahrgenommen. In diesem Buch möchte ich dich vom Gegenteil überzeugen! Für Introvertierte spielt sich ein bedeutender Teil ihres Lebens in ihrer Innenwelt ab, und nur auserwählten, vertrauten Menschen gewähren sie Einblick. Einen kleinen Einblick in meine introvertierte Welt gewähre ich dir in diesem Buch.
Wenn du offen dafür bist, introvertierte Menschen aus einer neuen Perspektive zu sehen und dich von ihren Stärken überzeugen zu lassen, wenn du deine eigene introvertierte Seite neu entdecken willst und Impulse für dein Wachstum suchst, dann wirst du in diesem Buch viele Anregungen, wichtiges Intro-Basiswissen und alltagstaugliche Übungen finden.
Herzlich willkommen in der Welt der Introvertierten!
Lena Noa
Menschen reagieren komisch auf Dinge, die sie nicht verstehen. Inklusive Introversion.
Die Leute haben oft ein falsches Bild von mir. Ich rede wenig und bin gerne für mich. Darum empfinden sie mich als langweilig, ungesellig und manchmal sogar als kühl und abweisend. Ich erhalte weniger Einladungen als andere. Ich interessiere mich aber für die vielfältigsten Themen und kann mich stundenlang über diese unterhalten. Die Wahrheit ist, dass Belanglosigkeiten mich langweilen und ich keine Zeit und Energie dafür verschwenden will, mich mit ihnen zu beschäftigen. Es fällt mir schwer, Interesse vorzutäuschen, um jemandem zu gefallen. Warum sollte ich auch? Es fühlt sich für mich nicht richtig an.
Ich versuche, unbedeutende Plaudereien zu vermeiden. Weil mir wenig Unbedeutendes einfällt, das ich zum Gespräch beitragen könnte. Leider mache ich immer wieder die Erfahrung, dass viele es bei diesen Plaudereien belassen wollen. Sie fühlen sich bedrängt, wenn ich mit einer tiefergehenden Frage versuche, ein Gespräch in eine interessantere Richtung zu lenken. Oder sie können mit einer anderen Meinung als ihrer eigenen nichts anfangen.
Aber ich höre dir aufmerksam zu, wenn du etwas Spannendes zu erzählen hast, das mich interessiert. Dann will ich alles darüber wissen und löchere dich mit Fragen, wenn du es zulässt. Mich interessiert zum Beispiel immer, was du denkst, was dir wichtig ist und welche Gründe dich zu deinen Entscheidungen geführt haben. Ich höre auch zu, wenn du über deine Gefühle reden möchtest oder einen guten Rat brauchst. In solchen Momenten findest du keinen besseren Zuhörer als einen introvertierten Freund.
Ich genieße es sehr, introvertiert zu sein. Viele in meinem Umfeld verstehen es nicht. Wenn sie mich freundlich aus meinem angeblichen Mauseloch herausholen wollen, um »das Leben zu genießen«, bin ich ihnen nicht böse – denn sie zeigen, dass sie mich mögen und mir etwas Gutes tun wollen. Aber die meisten wenden sich schon nach kurzer Zeit von mir ab, wenn ich nicht den Unterhaltungswert liefere, den sie sich erhofft hatten. Es ist ein ewiger Konflikt zwischen dem eigenen Bedürfnis nach Ruhe und Alleinzeit und dem Druck der gesellschaftlichen Erwartungen.
Meine persönliche Freiheit ist ein ganz wichtiger und bestimmender Faktor in meinem Leben. Freundschaften und Beziehungen halten nur, wenn dieses Freiheitsbedürfnis akzeptiert wird. Ebenso verstehe ich es sehr gut, wenn andere ihren Freiraum brauchen. Ich respektiere das bei anderen, so wie ich es von anderen erwarte, dass sie es bei mir respektieren. Niemand wird sich von mir in irgendeiner Weise bedrängt fühlen.
Viele denken, dass es mir nicht gut geht, wenn ich zu Hause bleibe und für mich sein will. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Ich fühle mich alleine entspannt, gehe kreative Projekte an, habe Zeit zum Lesen und Nachdenken, und spüre vor allem keinen Anpassungs- oder Unterhaltungsdruck von außen. Und ich fühle mich nie einsam. Ich kann mich tagelang zu Hause einschließen, ohne auf Ansprache von außen angewiesen zu sein. Ich brauche niemanden, der mich zu etwas motiviert. Alleinsein hilft mir beim Denken – und Schreiben.
Ich bin lieber allein als in einem sozialen Umfeld, das mir nicht entspricht und meine Energie verbraucht. Ich fühle mich dann nicht einsam oder traurig, weil ich diese Wahl selbst getroffen habe.
Einsam fühle ich mich erst in Gesellschaft von Menschen, die mich nicht verstehen. Einsamkeit hat für mich nichts mit fehlender körperlicher Nähe zu tun. Einsamkeit bedeutet für mich, niemanden zu haben, mit dem ich mich über meine Gedanken und Ideen austauschen kann.
Ich bin gerne allein, aber ich möchte nicht allein gelassen werden. Ich möchte zu deiner Party eingeladen werden – aber das Recht haben, abzusagen.
Ich beobachte gerne meine Umgebung und nehme dabei mehr Details wahr als andere. Ob es der kleine Käfer vor meinen Füßen ist oder das, was in einem Gespräch zwischen den Zeilen gesagt wird – ich habe feine Antennen für alles, was mich umgibt. Ich nehme es mit meinen Sinnen auf, lasse meine Gefühle in mir sprechen und muss anschließend alles im Kopf verarbeiten, sortieren, analysieren, interpretieren. Kannst du dir vorstellen, was das an Energie verbraucht? Verstehst du jetzt, warum ich mich regelmäßig aus der Welt ausklinken muss?
Für Introvertierte wie mich ist es einfach, tief in ein Thema oder Projekt einzutauchen. Denn es ist das, was mich motiviert, erfüllt und belebt. Mein Kopf schreit begeistert »Hurra«, wenn er gefordert wird. Wie ein Hund, der ganz aufgeregt ist, wenn er raus darf zum Gassigehen. Das Erschaffen von etwas Neuem – und sei es nur ein neuer Gedankengang – schenkt mir Energie und lässt mich die Zeit vergessen.
Allein kann ich am besten arbeiten. Je mehr Zeit ich allein zur Verfügung habe, desto effektiver und produktiver arbeite ich. Ich tausche mich auch gerne mit Kollegen aus – aber, um ehrlich zu sein, ich arbeite lieber allein an einem Projekt, und wenn Zeitdruck herrscht, dann nerven mich die Plaudereien im Flur.
Meine Ansprüche an die Menschen, mit denen ich Zeit verbringen möchte, sind hoch. Ich habe nur eine geringe Toleranz für soziale Kontakte, die meinen Ansprüchen nicht genügen. Wenn ich dich zu meinen Freunden zähle, erfüllst du viel von dem, was mir wichtig ist: Du akzeptierst mein Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug, du interessierst dich für die gleichen Themen wie ich, du versuchst mich zu nichts zu überreden – und vor allem fühle ich mich sicher in deiner Gegenwart.
Trotzdem habe ich ebenfalls ein großes Bedürfnis nach sozialen Bindungen. Introvertierte sind schließlich auch nur Menschen. Meine schönsten Erinnerungen sind solche, bei denen ich mit lieben Menschen zusammen war. Ich habe nur nicht immer und ständig das Verlangen, meine sozialen Bindungen zu spüren. Die Dosis an sozialen Kontakten, die ich brauche, um mich wohlzufühlen, ist deutlich geringer als bei extravertierten Menschen.
Ich rede nicht viel. Ich denke mehr als ich spreche. Ich bin meistens still und teile nur einen Bruchteil meiner Gedanken anderen Menschen mit.
Es ist nicht so, dass ich schüchtern bin und mich nicht traue zu reden. Ich empfinde es oft nur nicht als notwendig, meine Gedanken auszusprechen. Und ich halte nicht alle Gedanken für würdig, auch ausgesprochen zu werden. Es gibt so vieles, was meinen Gedankenstrom fließen lässt, aber jeder einzelne Gedanke wird einer gründlichen Betrachtung unterzogen. Die Gedanken sind manchmal so schnell und turbulent, dass ich mit der Zunge sowieso nicht hinterherkomme. Andere Menschen würden sich die Ohren zuhalten, wenn sie den ununterbrochenen Gedankenstrom in meinem Kopf hören könnten. Ich brauche Zeit dafür, alles zu überdenken, zu beobachten, zu verstehen und zu korrigieren. Erst dann sind meine Gedanken bereit, herausgelassen zu werden.
Ja, ich verliere mich manchmal in meinen Gedanken. Aber wenn ich etwas zu sagen habe, dann kannst du dich darauf verlassen, dass es gut von allen Seiten durchdacht wurde.
Ich gebe der Bedeutung von Wörtern Zeit. Darum spreche ich weniger und leiser. Ich spreche Gedanken aus, die ich verstehe, die mich begeistern, die ich für wichtig erachte und als wahr empfinde – denn das ist es, was Sprechen für mich bedeutet.
Wenn ich in einer Gruppe von Menschen etwas sagen will, sortiere ich erst meine Worte im Kopf vor. Bis ich dann soweit bin, ist der passende Moment vorbei und schon längst ein neues Thema auf dem Tisch. Ich hinke dem Gespräch oft hinterher – aber nicht, weil ich dumm wäre, eher im Gegenteil: Die vielen Aspekte, die ich vorab im Kopf sortiere, beschäftigen mich zu lange.
Manchmal wünsche ich mir, geselliger zu sein, mehr plaudern zu können, weniger zu denken und mehr im Außen zu erleben. Aber wenn ich es tue – gegen den inneren Widerstand –, rächt es sich mit Erschöpfung und anschließenden langen Zwangsruhepausen. Es gibt immer mal wieder Momente und Situationen, in denen ich zum Beispiel ausgelassen feiern kann. Aber Trubel kostet mich viel Energie, darum muss ich meine innere Waage mit längeren Phasen des Rückzugs wieder ausgleichen. Ich habe gelernt, meine Balance zwischen äußeren Aktivitäten und Ruhezeiten (die in Wahrheit nur innere Aktivität – Kopfarbeit – sind) zu finden.
Und egal, wie sehr ich mich auch bemühe, den Erwartungen meines Umfeldes gerecht zu werden, interessant und unterhaltsam zu sein – ich schaffe es meist nicht, diese Erwartungen zu erfüllen. Im Vergleich zu einem durchschnittlichen Extro wirke ich trotzdem oft langweilig, schüchtern oder verschlossen, unhöflich oder kalt.
Inzwischen frage ich mich, warum ich mir bestimmte extravertierte Verhaltensweisen antrainieren soll, nur weil sie von anderen mehr anerkannt sind. Sie tun mir nicht gut. Bin ich deswegen schlechter als andere, bedauernswert oder zweitklassig? Für mich fühlt es sich nicht so an.
Viele Menschen verstehen nicht, was es heißt, introvertiert zu sein. Ich begegne Unverständnis und Vorurteilen. Dinge, die für mich normal sind, die mir Freude bereiten und zu meinem Wohlbefinden beitragen, empfinden extravertierte Menschen als komisch.
Andere Leute nehmen es schnell persönlich, wenn ich mich dagegen entscheide, Zeit mit ihnen zu verbringen. Sie verstehen nicht, dass ich andere Bedürfnisse habe als sie. Sie verstehen nicht, dass es um mein Bedürfnis nach Alleinsein geht, und nicht um meine Gefühle ihnen gegenüber. Oder um ihre Bedürfnisse nach Gesellschaft. Nimm es nicht persönlich, wenn ich mich ausklinke. Es sei denn, ich sehe absolut keine Gemeinsamkeit mit dir. Dann ist es persönlich.
Es tut mir weh, wenn andere Menschen mich als unsozial und unnormal bezeichnen. Früher hat es mir wehgetan, weil ich dazugehören wollte, zur Welt der Extravertierten. Heute tut es mir weh, weil die Welt so viel bunter ist. Diese Menschen verpassen viel, wenn sie nur ihre eigene Sicht auf die Welt zulassen.
Ich bin nicht schüchtern. Ich kann gut auf fremde Menschen zugehen. Ich entscheide aber selbst, wann und wie ich dazu bereit bin und ob ich mir von dem neuen Kontakt etwas verspreche. Damit meine ich nicht, dass ich nur Kontakt zu Menschen will, von denen ich mir irgendeinen Vorteil erhoffe. Ich meine damit, dass ich den Menschen interessant finde, den ich kennenlernen möchte, vielleicht schon eine Gemeinsamkeit mit ihm entdeckt habe, mich für das interessiere, was er tut oder zu sagen hat, oder einfach nur weil ich mich gut fühle in seiner Gegenwart. Wie gesagt, ich habe Ansprüche an die Menschen, mit denen ich mich umgebe und denen ich meine Energie schenke. Wenn du dazu gehörst, hast du für mich schon viel richtig gemacht.
Sicherheit ist für mich ein großes Thema. Ich lasse mich schnell von anderen verunsichern. Weil ich über alles, was sie mir sagen, lange und gründlich nachdenke und von allen Seiten beleuchte. Und bei diesen Gedanken ist immer einer dabei, der dafür spricht, dass die anderen mit ihrer Meinung oder Kritik recht haben.
Wenn ich mir aber sicher bin, dass ich dir vertrauen kann, dann ist das etwas anderes. Dann diskutiere ich gerne verschiedene Meinungen mit dir, und nehme deine Kritik auf, um mich weiterzuentwickeln. Mein Sicherheitsgefühl hilft mir dann, wohlwollende Kritik zu erkennen und anzunehmen.
Überhaupt lernst du eine ganz andere Seite von mir kennen, wenn ich mich in deiner Gegenwart sicher fühle. Ich kann mich dann öffnen, meine Lebhaftigkeit und Kreativität sprudeln lassen, und fühle mich frei, ganz ich selbst zu sein. Wenn ich mich bei dir nicht sicher fühle, dann bleibe ich zurückhaltend oder sogar verschlossen. Habe Geduld mit mir.
Introvertierte werden häufig dafür kritisiert, distanziert zu sein. Ich brauche meinen freien Rückzugsraum, um meine Energien aufzuladen, Eindrücke zu verarbeiten, oder um an meinen Projekten zu arbeiten. Und ich achte sehr sorgfältig darauf, in diesen Zeiten nicht gestört zu werden. Dann lasse ich auch schon mal das Telefon klingeln. Keine Sorge, wenn ich soweit bin, kümmere ich mich wieder um den Rest der Welt.
Ich möchte nicht länger das Gefühl vermittelt bekommen, dass ich mich für meine Persönlichkeit entschuldigen muss. Ich möchte das Gefühl haben, für meine stille, besonnene Art respektiert zu werden. Ich möchte, dass die Menschen ihre extravertierten Brillen abnehmen und sehen, wie Introvertierte mit ihren ganz besonderen Stärken unsere Gesellschaft bereichern.
Ich möchte mehr Menschen kennenlernen, die so denken und fühlen wie ich. Von außen kann man es Intros nicht ansehen, dass sie introvertiert sind. Besonders nicht, wenn sie geübt darin sind, als Pseudo-Extros in der lauten Welt unterzutauchen.
Das Problem ist nicht, anders zu sein. Das Problem ist, andere zu finden, die genauso anders sind wie ich.
Lasst uns unsere Stärken kennenlernen und der Welt zeigen, was ihr ohne uns Introvertierte entgehen würde.
Zeigt euch, liebe Intros!
Wenn du die Stärke hast, allein ins Kino oder Restaurant zu gehen, dann kannst du alles im Leben schaffen.
Es gab vor einigen Jahren eine interessante Untersuchung darüber, warum sich manche Menschen glücklicher fühlen als andere. Der Journalist Robert Blondin reiste rund um die Welt, um Hunderte von Menschen zu befragen und herauszufinden, was Menschen glücklich macht. Dabei ging er auf eine besondere Art vor: Er fragte die Menschen, die er traf, wen sie aus ihrem Umfeld, ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, als besonders glücklich bezeichnen würden. Dann fuhr er zu genau diesen Personen und fragte sie, ob sie sich selbst auch als glücklich bezeichnen würden. Anschließend interviewte er sie.
Blondin konnte eine klare Tendenz aus seinen Interviews herauslesen: Es waren nicht die reichen, schönen, gesunden oder berühmten Menschen, die am glücklichsten waren. Als glücklich beschrieben sich vor allem die Menschen, die eine Krise in ihrem Leben erfolgreich überstanden hatten. Die Erfahrungen aus der Krise hatten sie wachsen lassen und ihnen eine neue Perspektive auf ihr Leben ermöglicht. Sie waren stolz auf sich, auf ihren Mut, ihr Durchhaltevermögen und ihre Art, wie sie die Krise gemeistert hatten.
Diese Erkenntnis finde ich sehr beruhigend. Jeder von uns muss kleinere und größere Lebenskrisen bewältigen. Ist es nicht schön zu wissen, dass hinterher, nach der überstandenen Zeit, ein glücklicheres Leben auf einen wartet? Mir gibt dieser Gedanke Mut, mich den Krisen zu stellen.
Arbeitslosigkeit, Trennungen, Tod – all das ist mir in meinem Leben schon begegnet, hat mich herausgefordert und mich gezwungen, über mich und mein Leben nachzudenken. Doch die längste (und, wie ich heute weiß, selbstgestrickte) Krise war geprägt von jahrelangen Selbstzweifeln und Unsicherheit. Ich empfand mich als zu still. Nur selten gesprächig. Häufig nachdenklich statt spontan, immer ernsthaft statt albern, mehr zu Hause als unterwegs.
Als introvertierter Mensch konnte und wollte ich so vieles von dem, was das Leben angeblich erfolgreich, spannend, ja sogar lebenswert machen soll, nicht leisten. Viele meiner Freunde und Bekannten taten sich nicht so schwer wie ich darin, ihre Zeit lebhaft zu genießen. Ich war verunsichert und wütend auf mich selbst, dass ich so zurückhaltend, oft sogar verschlossen, still und ungesellig war und es nicht schaffte, mehr aus mir herauszukommen. So, wie es viele von mir erwarteten – und sich dann schnell enttäuscht abwandten.
Vor ein paar Jahren begann ich, den Kampf nach und nach aufzugeben und, noch ein wenig enttäuscht über mich selbst, meine stille Art einfach zu akzeptieren – mit dem Ergebnis, dass ich mich plötzlich frei, unabhängig, kreativ und selbstbewusst fühlte. Ich sah mich und meine Introversion auf einmal mit neugierigen, interessierten und erstaunten Augen.
Heute zeigen mir die Gespräche mit anderen introvertierten Menschen immer wieder, dass die meisten mit ihrem Charakter hadern, so wie ich früher. Das Gefühl, anders zu sein, schürt ihre Selbstzweifel und Unzufriedenheit.
Wenn du Frieden mit dir, mit deinem eigenen Selbst schließen kannst, beginnst du, dich aus einer neuen Perspektive zu sehen – und viele tolle, besondere, individuelle Wesensmerkmale an dir zu entdecken.
Du hast dich entschieden, dieses Buch zu lesen, und damit schon den ersten und wichtigsten Schritt hinter dir: Du hast entschieden, dass sich in deinem Leben etwas ändern darf. Dein Versuch, im Leben klarzukommen, läuft bisher nicht so zufriedenstellend, wie du es gerne hättest.
Mit der Entscheidung, etwas zu ändern, hast du die Energie in dir, diese Veränderung auch wirklich herbeizuführen.
An dieser Stelle habe ich eine gute Nachricht für dich: Du musst gar nicht viel verändern! Alles, was du brauchst, um als introvertiert veranlagte Persönlichkeit in unserer Kultur zufrieden und glücklich zu leben, steckt bereits in dir: Es ist eine Schatzkiste voll unentdeckter Potenziale und schlummernder Stärken. Wahrscheinlich hast du sie lange unterdrückt oder einige davon noch gar nicht bei dir entdeckt. Das soll sich jetzt ändern. Gerade als introvertierte Persönlichkeit hast du die Chance, Lücken zu schließen, Sinn zu stiften und Balance herzustellen: für dich selbst, für deine Familie und Freunde und für die Gesellschaft, in der wir leben.
Dieses Buch wird dich ein Stück auf deinem Weg begleiten, dir Mut machen und an so manchen Stellen auch die Augen öffnen. Ich wünsche mir, dass du am Ende dich und deine Persönlichkeit mit anderen Augen siehst und sagen kannst:
»Ich bin glücklich, introvertiert zu sein!«
Wenn ich über das Gegenstück zu Introversion schreibe, dann schreibe ich Extraversion. Mit einem »a«.
Ich werde immer wieder gefragt, warum ich »Extraversion« und »extravertiert« schreibe, und nicht die geläufigere Schreibweise »Extroversion« bzw. »extrovertiert« mit »o«. Viele haben den Begriff Extraversion noch nie gehört, wollen mich auf einen angeblichen Schreibfehler hinweisen oder fragen mich, ob es noch etwas anderes ist als Extroversion.
Welche Schreibweise ist denn nun richtig?
Die Antwort lautet: Beides ist richtig.
Der fachlich richtige Ausdruck ist Extraversion, und davon abgeleitet entsprechend extravertiert. Carl Gustav Jung, der berühmte Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie, hat die Begriffe Introversion und Extraversion als Erster verwendet und in der Psychologie geprägt. Im Laufe der Zeit wurde aus extravertiert im allgemeinen Sprachgebrauch extrovertiert, als sprachliche Analogie zu introvertiert. In Wikipedia heißt es, dass unzureichende Lateinkenntnisse zu dieser Wortveränderung geführt haben.1
Vermutlich hat die Schreibweise mit »o« so weite Verbreitung gefunden, weil es als Wortpaar Introversion – Extroversion noch besser zusammenpasst und eingängiger klingt.
Fachlich korrekt ist nach wie vor Extraversion. Da ich über Introversion schreibe, habe ich mich entschieden, entsprechend auch die korrekte Schreibweise des Gegenstücks dazu zu verwenden.
Interessant ist, wie der Duden die beiden Begriffe erläutert. Zunächst einmal sind beide aufgeführt und damit als richtig anerkannt – es ist also nicht falsch, von Extroversion zu schreiben (wenn auch fachlich nicht ganz korrekt).
Wenn ich im Duden »extravertiert« nachschlage, kann ich als Bedeutung nachlesen: »Nach außen gerichtet, für äußere Einflüsse leicht empfänglich«. Wunderbar.
Wenn ich aber »extrovertiert« nachschlage, dann wird als Bedeutung angegeben: »extravertiert«. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass doch bitte unter der ursprünglichen Schreibweise des Wortes nachzuschlagen ist.
Außerdem wird nur »extravertiert« als das Gegenteil von »introvertiert« benannt. Der Duden hat sich also eindeutig festgelegt.2
Ich gebe zu, ich verwende gerne hin und wieder die Abkürzungen »Intros« und »Extros«. Es liest sich flüssiger als der sperrige Begriff »Introvertierte«. Aber du merkst, dass ich hier auch ungenau in der Schreibweise werde. Die Abkürzung »Extras« ist einfach zu mehrdeutig und gibt mir immer das Gefühl, die Extravertierten hätten von der Natur etwas »extra« mitbekommen, irgendeine Art von Bonus, den wir Intros nicht haben. Das mag ja teilweise stimmen, aber andersherum ist es genauso: Wir Intros haben auch einige Boni, die den Extros vorenthalten sind!
Wenn du nicht weißt, was ein Extravertierter denkt, hast du nicht zugehört.
Wenn du nicht weißt, was ein Introvertierter denkt, hast du nicht gefragt.
Jack Falt
Lange Jahre meines Lebens hatte ich das Gefühl, nicht richtig in diese Welt zu passen, anders zu sein als meine Freunde. Ich war gerne für mich, hatte keine Lieblingsmusik und tat mich schwer, mit Freunden oder Fremden einfach nur zu plaudern.
Ich wollte keine Außenseiterin sein und versuchte, mich anzupassen. Ich ging auf Partys, obwohl ich mich schon bei dem Gedanken, mir die Nacht bei lauter Musik und stundenlangem Smalltalk um die Ohren schlagen zu müssen, erschöpft fühlte. Ich hatte lange Gespräche mit netten Leuten, auch wenn mir mehr nach Ruhe und Lesen zumute war. Ich hörte die angesagte Musik, um mitreden zu können, und fühlte mich wohler, wenn es wieder still war.
Es war anstrengend und kraftraubend, ständig das zu tun, was andere von mir erwarteten oder von dem ich dachte, dass sie es von mir erwarten würden. Ich wollte dazugehören, meine Freunde nicht verlieren und mich so verhalten wie sie. Ich versuchte, mich anzupassen.
Erst als ich schon erwachsen war und mir häufiger Menschen begegneten, die gar nicht so anders waren und ähnlich dachten wie ich, begann ich, mich mit Persönlichkeitsmerkmalen und Charaktereigenschaften zu beschäftigen. Ich las viel und lernte, dass es laute und leise Menschen gibt. Was für eine Erkenntnis! Plötzlich war ich nicht mehr anders, sondern ganz normal. Ich wusste es vorher nur nicht!
Kein Wunder, denn in unserer Gesellschaft bestimmen die lauten Menschen, wie wir miteinander kommunizieren, was als Stärke bzw. gute Charaktereigenschaft anerkannt wird und wie wir erfolgreich werden.
Unsere Welt ist laut und schnell. Schon als Kinder lernen wir, dass extravertierte Charaktereigenschaften besser, wertvoller und erfolgreicher sind als introvertierte. Im Schulunterricht wird die mündliche Beteiligung am Unterricht höher bewertet als die schriftliche Note. Im Sportverein trainieren wir in Gruppen, und wer sich bei sozialen Veranstaltungen wie Vereinsfesten nicht blicken lässt, ist schnell Außenseiter.