Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text - Susanne Kabatnik - E-Book

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text E-Book

Susanne Kabatnik

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Beschreibung

Warum existieren Konstruktionen wie Frage stellen oder Antwort geben, wenn es verbale Entsprechungen wie fragen oder antworten gibt? Empirische Studien zeigen, dass solche Nomen-Verb-Verbindungen im Vergleich zu Verben spezifische syntaktische Leistungen aufweisen, z.B. die Möglichkeit zur Attribuierung sowie Änderungen der Valenz. Auf Textebene zeichnet sich dadurch ein Zusammenspiel der Konstruktion mit anderen sprachlichen Einheiten ab und Informationen können so unterschiedlich perspektiviert und gewichtet, aber auch anders im Textverlauf eingebettet werden als mit dem Basisverb. Funktionsverbgefüge werden in diesem Band als kohärenzstiftende Mittel im Kontrast zu ihren polnischen Äquivalenten auf textuelle Funktionen hin untersucht. Die Datengrundlage bildet das deutsche und das polnische Wikipedia-Artikel-Korpus (2015) des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache.

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Susanne Kabatnik

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text

Eine korpusbasierte quantitativ-qualitative Untersuchung am Beispiel des Deutschen und des Polnischen

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Die Veröffentlichung beruht auf einer Dissertation der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim.

 

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ISSN 1860-7373

Print-ISBN 978-3-8233-8421-2

ePub-ISBN 978-3-8233-0245-2

Inhalt

1. Einleitung1.1. Untersuchungsgegenstand und Terminologie1.2. Positionierungen zu Funktionsverbgefügen2.1. 1. Wie sich Stilratgeber Funktionsverbgefügen gegenüber positionieren2.2. 1. Wie Funktionsverbgefüge in DaF-Lehrwerken behandelt werden2.3. 1. Funktionsverbgefüge in der linguistischen Forschungsliteratur3 1. Textlinguistischer Hintergrund4 1. Forschungsfragen und Ziele2. Daten und Methode2.1. Generierung von Funktionsverbgefügen2.2. Wahl der Korpora2.3. Datenerhebung und Vorgehensweise3. Zur Extraktion textgrammatischer und -semantischer Analysekategorien3.1. Erweiterung der Nominalphrase3.1.1. Artikelwörter3.1.2. Adjektive3.1.3. Funktionsverb-Partizipien3.1.4. Funktionsnomen-Komposita3.1.5. Genitivphrasen3.1.6. Präpositionalphrasen3.1.7. Satzförmige Erweiterungen3.2. Valenz3.2.1. Valenzverschiebung3.3. Position des Funktionsnomens3.4. Referenz3.5. Zusammenfassung4. Analyse4.1. Quantitative Analyse nach textgrammatischen und -semantischen Kategorien4.1.1. Frage stellen und zada(wa)ć pytanie4.1.2. Antwort geben und da(wa)ć odpowiedź4.1.3. Entscheidung treffen und podjąć/podejmować decyzję4.1.4. Zusammenfassung4.2. Qualitative Analyse: Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text4.2.1. Informationsanreicherung4.2.2. Informationsverdichtung4.2.3. Informationsperspektivierung4.2.4. Informationsgewichtung4.2.5. Wiederaufnahme von Informationen5. Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse6. Fazit und AusblickLiteraturverzeichnisOnline-Datenbanken & RessourcenAnhangKorpusabfragenWortliste Funktionsverbgefüge – Kookkurrenzanalyse und Zuordnung polnischer KonstruktionenDanksagung

1.Einleitung

„Seitdem ich denken kann

Will ich dem Schicksal diese eine Frage stellen, ob man es lenken kann

Als ich sechs war

Mussten wir unsre Sachen packen und unendlich weit wegfahr’n“

KC Rebell: Leer; Album: Abstand, 2016 (Hervorhebung S.K.)

Den Gegenstand der Untersuchung bilden in der vorliegenden Arbeit die deutschen und polnischen Funktionsverbgefüge Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen, zada(wa)ć pytanie, da(wa)ć odpowiedź und podjąć/podejmować decyzję (Kamber 2008, Klinger 1983). Die Konstruktionen bestehen aus einem Funktionsverb und -nomen und korrespondieren mit einem Basisverb, wie z.B. fragen. Zu Funktionsverbgefügen existieren jedoch unterschiedliche Auffassungen: In Stilratgebern finden sich seit über einem Jahrhundert abwertende Äußerungen – gegenwärtig auch auf Schreibblogs, in Universitätsrichtlinien für Abschlussarbeiten sowie in modernen Textanalysetools im WWW –, die Funktionsverbgefüge als schlechtes und unverständliches Behördendeutsch abtun und dazu raten, die Gefüge mit einfachen Verben zu ersetzen (vgl. Wustmann 1891: 416f.; Mackowiak 2011: 72; Textwende: Schreibtipps1; s. Kap. 1.2.1). In Lehrwerken für den DaF-Unterricht finden Funktionsverbgefüge keine oder nur wenig Beachtung (vgl. Giacoma 2017; s. Kap. 1.2.2). In der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen werden Konstruktionen, wie Frage stellen, in Gegenüberstellung mit dem Basisverb als bedeutungsgleich aufgefasst – die Substitution mit dem Basisverb, wie z.B. in Er stellt ihr eine Frage vs. Er fragt sie etwas, würde lediglich mit stilistischen Veränderungen einhergehen (vgl. Hoffmann 2017: 225). Das einführende Zitat des Rappers KC Rebell lässt jedoch bereits vermuten, dass Funktionsverbgefüge, wie Frage stellen, spezifische kommunikative Leistungen entfalten können: Mit diese eine Frage bezieht sich KC Rebell auf eine ganz bestimmte Frage, die in Anschluss mit ob man es lenken kann spezifiziert wird. Solche Gefüge weisen nämlich syntaktische Leistungen auf, zu denen die Möglichkeit zur Attribuierung, Änderungen der Valenz und der kommunikativen Struktur sowie die Referenzfähigkeit gehören (Żmigrodzki 2000; Hinderdael 1985). Auf der Textebene zeichnet sich ein Zusammenspiel der Konstruktionen mit anderen sprachlichen Einheiten, wie Artikelwörtern und Nebensätzen, ab und Informationen können so nicht nur unterschiedlich modifiziert und fokussiert, sondern auch anders in den Textverlauf eingebettet werden als mit dem Basisverb (vgl. Klinger 1983; Storrer 2013). Bislang fand die Textebene in der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen jedoch wenig Beachtung und es fehlt eine systematische Klassifikation nach textuellen Leistungen. Die Forschungsfragen beziehen sich in der vorliegenden Untersuchung auf die Verknüpfung von Funktionsverbgefügen mit anderen sprachlichen Einheiten sowie ihre Leistungen im Textzusammenhang und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Deutschen und im Polnischen.

In Kapitel 1 werden verschiedene Typen von Funktionsverbgefügen sowie unterschiedliche Zweige der germanistischen Forschungsliteratur der vergangenen sechzig Jahre zu Funktionsverbgefügen vorgestellt und mit den verschiedenen Auffassungen in Stilratgebern sowie dem gegenwärtigen und durch eine Lehrwerkanalyse ermittelten Stand zu Funktionsverbgefügen in DaF-Lehrwerken in Verbindung gebracht. Zudem wird der theoretische Hintergrund der vorliegenden Arbeit erläutert: Wesentliche Theorien und Konzepte aus der linguistischen Teildisziplin der Textlinguistik werden eingeführt und erklärt.

In Kapitel 2 gehe ich auf die Datengrundlage und die Untersuchungsmethoden der vorliegenden Arbeit ein. Der Untersuchungsgegenstand wurde mithilfe einer Kookkurrenzanalyse durch die automatische Generierung von statistisch signifikanten deutschen Funktionsverbgefügen eingegrenzt, die polnischen Funktionsverbgefügen zugeordnet wurden (s. Kap. 2.1). Die Untersuchung der generierten Funktionsverbgefüge auf ihre Leistungen im Textzusammenhang wird auf der Datengrundlage von polnischen und deutschen Artikeln aus den Wikipedia-Korpora des IDS durchgeführt. Methodisch geleitet wird die vorliegende Arbeit vom korpusbasierten, quantitativ-qualitativen Ansatz nach Lemnitzer/Zinsmeister (2015). Unter Anwendung des traditionellen Substitutionstests mit dem Basisverb werden die Leistungen von Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang sichtbar gemacht.

In Kapitel 3 wird auf Basis der Forschungsliteratur für die quantitative und qualitative Analyse der Treffer(kon)texte ein mehrdimensionales, textgrammatisches und -semantisches Kategoriensystem entwickelt. Ausgehend vom Deutschen übertrage ich die Annahmen in der Analyse der Daten auf das Polnische. Die textuellen Analyseebenen beziehen sich auf Erweiterungen, Valenz, Position und die Referenz der Funktionsverbgefüge, für die weitere Subklassifizierungen im Zusammenhang mit der Ebene des Textes vorgestellt werden.

In Kapitel 4 werden die quantitativen Ergebnisse zur Korpusuntersuchung vorgestellt. Ich gehe dabei auf die Bereinigung der Treffer sowie die einzelnen textgrammatischen und -semantischen Analyseebenen der Funktionsverbgefüge-Paare ein. Hierbei werden anhand von empirischen Ergebnissen kommunikative Leistungen von Funktionsverbgefügen überprüft. Im qualitativen Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit werden die Funktionsverbgefüge unter Anwendung des Substitutionstests auf ihre Leistungen im Textzusammenhang untersucht, nämlich auf die Anreicherung, Verdichtung, Perspektivierung, Gewichtung und Wiederaufnahme von Informationen im Text.

Im fünften und letzen Kapitel der Arbeit werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst, diskutiert sowie Schlussfolgerungen sowohl für die linguistische Forschung an Funktionsverbgefügen als auch die didaktische und schulpraktische Aufarbeitung der Gefüge abgeleitet. Die Erkenntnisse werden in den gegenwärtigen Forschungskontext gesetzt. Die vorliegende Arbeit ist relevant für die empirische Auseinandersetzung mit Funktionsverbgefügen in der Polonistik, der kontrastiven Linguistik, für die Textlinguistik und für DaF-Verlage. Die Arbeit richtet sich an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Studierende dieser Bereiche, als auch an Stilkritiker*innen und auch Software-Entwickler*innen im texttechnologischen Bereich, da sich wiederholende Forderungen aus Schreib- und Stilratgebern in modernen Tools zur automatischen Analyse und Korrektur von Texten wiederfinden (s. Kap. 1.2.1).

1.1.Untersuchungsgegenstand und Terminologie

Den Gegenstand der Untersuchung bilden in der vorliegenden Arbeit die Konstruktionen Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen sowie ihre Äquivalente im Polnischen. Die Konstruktionen bestehen aus einem verbalen – stellen, geben, treffen – und einem nominalen Element – Frage, Antwort, Entscheidung – und bilden gemeinsam eine semantische Einheit, die mit einem korrespondierenden Basisverb zusammengefasst werden kann, wie fragen, antworten und entscheiden (vgl. Kamber 2008; Heine 2006: 49, Hermann 2019). Derartige Verbindungen aus einem Nomen und einem Verb – häufig als Funktionsverbgefüge bezeichnet (Kamber 2008) – zu definieren, gestaltet sich insgesamt jedoch problematisch und ist Ágel (2017: 315) zufolge „eine der undankbarsten grammatischen Aufgaben“. Der Gegenstand müsste nach Ágel (2017: 315) einerseits von angrenzenden Disziplinen, wie der Phraseologie- und Kollokationsforschung, abgegrenzt werden. Und andererseits ergeben sich durch die Abgrenzungsproblematik unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Konstruktionen zum Untersuchungsgegenstand Funktionsverbgefüge gerechnet werden können und welche nicht. Denn es existieren verschiedene Typen von Gefügen, die sich nicht nur semantisch, morphologisch und (morpho)syntaktisch, sondern auch pragmatisch voneinander unterscheiden (vgl. Helbig/Buscha 2011: 83ff.).

Semantische Besonderheiten weisen beispielsweise Nomen-Verb-Verbindungen, wie in Kontakt kommen und in Gang bringen, auf, denn in Kontakt kommen im Sinne von ‚jemand kommt mit etwas in Kontakt‘ unterscheidet sich von kontaktieren durch den Ausdruck von Passivität (vgl. Eroms 2000: 168f.) und in Gang bringen von gehen durch die Anzeige von Kausativität (vgl. Helbig/Buscha 2011: 84) im Sinne von ‚jemand bewirkt, dass etwas in Gang gebracht wird‘. In anderen Gefügen, wie z.B. Antwort geben oder Entscheidung treffen, ist der Ausdruck von Passivität oder Kausativität in Gegenüberstellung mit den Basisverben antworten und entscheiden nicht zu verzeichnen (vgl. Hoffmann 2017: 225; Heringer 2014: 115; Storrer 2013: 198). Morphologische Unterschiede zu Nomen-Verb-Verbindungen, wie in Kontakt kommen und Entscheidung treffen, finden sich in Gefügen, wie Angst haben und Dienst leisten: Denn Angst haben steht nicht mit einem Verb in einem Ableitungsverhältnis, wie bei Kontakt – kontaktieren und Entscheidung – entscheiden, sondern mit einem Adjektiv (vgl. Welke 2007: 219; Helbig 1979: 274; Kamber 2008: 22), d.h. Angst steht mit ängstlich in Relation, und außer Kraft setzen weist kein korrespondierendes Basisverb auf (vgl. Helbig/Buscha 2011: 70ff.), vgl. *kraften. Morphosyntaktisch können die Gefüge aus einem Verb und einer Nominalphrase bestehen, wie z.B. Arbeit und Hilfe leisten, oder aus einem Verb und einer Präpositionalphrase, wie z.B. zum Staunen oder Laufen bringen (vgl. Helbig/Buscha 2011: 68; Hinderdael 1985; Heidolph et al. 1984: 440). Zudem weisen einige Nomen der Gefüge die Fähigkeit zur freien Artikelwahl und zur Pluralbildung sowie die Möglichkeit zur Attribuierung auf, andere dagegen nicht (vgl. Helbig/Buscha 2011: 89f.; Heidolph et al. 1984: 441f.), vgl. z.B. die richtigen Entscheidungen treffen vs. *in die richtigen Fahrten kommen.

Engelen (1968) beispielsweise zählt nur präpositionale Verbindungen, wie zur Entscheidung kommen oder in Vergessenheit geraten, zum Gegenstandsbereich der Funktionsverbgefüge. Dagegen finden sich bei von Polenz (1963), Daniels (1963), Schmidt (1968) und Popadić (1971) sowohl präpositionale Gefüge als auch akkusativische, wie in Ordnung und zur Aufführung bringen oder Entscheidung treffen und Antwort geben. Welke (2007: 219), Helbig (1979: 274) und Kamber (2008: 22) rechnen zu Nomen-Verb-Verbindungen sowohl Verbalsubstantive, wie in Fahrt kommen von fahren, als auch Adjektivableitungen, wie in Gefahr sein von gefährlich. Die Definitionsproblematik ist jedoch nicht nur der Grund für die unterschiedlichen Ein- und Abgrenzungskriterien der Gefüge, sondern auch für die terminologische Vielfalt in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand:

Funktionsverbformel (von Polenz 1963)

Nominale Umschreibung (Daniels 1963)

Streckform (Schmidt 1968)

Funktionsverbgefüge (Engelen 1968, Herrlitz 1973, Persson 1975, Helbig 1979/1984, von Polenz 1987, Gautier 1998, Pottelberge 2001, Heringer 1988, Seifert 2004, Heine 2006, Storrer 2006a, Storrer 2006b, Storrer 2013, Kamber 2008, Zifonun et al. 1997, Burger 2015, grammis 2019: Elementare Prädikate1, Ágel 2017, Taborek 2018)

Funktionsverbfügung (Heringer 1968, Bahr 1977)

Analytische Verbalverbindung (Popadić 1971)

Nominalisierungsverbgefüge (von Polenz 1987, Storrer 2006a, Storrer 2006b, Zifonun et al. 1997, grammis 2019: Elementare Prädikate2, Ágel 2017)

Verbonominale Konstruktionen (Pottelberge 2001)

Streckverbindungen (Heringer 1988)

Streckverbgefüge (Storrer 2006b, Storrer 2013)

Verbale Phraseme und singuläre Kollokation (Burger 2015)

Kollokativgefüge (Ágel 2017)

Nach der Einteilung der Autoren und Autorinnen handelt es sich bei den in der vorliegenden Arbeit untersuchten Gefügen Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen (s. Kap. 2.1) nach Storrer (2006b, 2013, Taborek 2018) um Streckverbgefüge, nach Heringer (1988) um Streckverbindungen, nach Zifonun et al. (1999) um Nominalisierungsverbgefüge, nach Ágel (2017) um Kollokativgefüge und nach Kamber (2008) um Funktionsverbgefüge im weiteren Sinn. Die verschiedenen Termini können sich dabei auf den gesamten Gegenstandsbereich beziehen oder sie fokussieren einen bestimmten Subtyp der Nomen-Verb-Verbindungen.

Trotz der verschiedenen Herangehensweisen der Autoren und Autorinnen haben sich v.a. drei Definitionsansätze durchgesetzt: Erstens bezieht sich der Terminus ‚Funktionsverbgefüge‘ als Oberbegriff auf verschiedene Nomen-Verb-Verbindungen (vgl. z.B. Gautier 1998, Helbig/Buscha 2001/2011, Seifert 2004, Heine 2006, Kamber 2008), d.h. sowohl in Gang kommen, in Kontakt treten, in Frage stellen und in Kauf nehmen als auch Frage stellen, Schaden nehmen und Anwendung finden werden als Funktionsverbgefüge bezeichnet, auch wenn sie sich syntaktisch, semantisch und funktional voneinander unterscheiden (Abbildung 1). Zweitens wird in Anlehnung an von Polenz (1987) sowohl der Terminus ‚Nominalisierungsverbgefüge‘ als auch ‚Funktionsverbgefüge‘ verwendet (vgl. von Polenz 1987, Zifonun et al. 1997, Storrer 2006a, grammis 2018: Elementare Prädikate3, Ágel 2017). Als ‚Funktionsverbgefüge‘ werden lediglich die Konstruktionen bezeichnet, die sich durch den Ausdruck einer bestimmten Aktionsart vom entsprechenden Verb unterscheiden – Kontakt halten unterscheidet sich von kontaktieren durch den Ausdruck von Durativität (Abbildung 2). Mit ‚Nominalisierungsverbgefüge‘ werden dagegen verschiedene Nomen-Verb-Verbindungen als Oberbegriff zusammengefasst, also z.B. Antwort geben oder in Wegfall kommen. Drittens wird diese Unterscheidung mit ‚Nominalisierungsverbgefügen‘ als Oberbegriff und ‚Funktionsverbgefügen‘ als Terminus für einen bestimmten Subtyp durch einen weiteren Subtyp ergänzt: Funktionsverbgefügen, wie in Gang bringen oder in Wegfall kommen, werden Streckverbgefüge, wie Frage stellen oder Entscheidung treffen, gegenübergestellt (vgl. Storrer 2006b, 2013; Taborek 2018; Abbildung 3).4

Abbildung 1:

‚Funktionsverbgefüge‘ als Oberbegriff für Nomen-Verb-Verbindungen

Abbildung 2:

‚Funktionsverbgefüge‘ als Teilmenge von Nominalisierungsverbgefügen

Abbildung 3:

‚Funktionsverbgefüge‘ und Streckverbgefüge als Subtypen von Nominalisierungsverbgefügen

Die Gegenüberstellung von Gefügen, wie in Gang bringen oder in Wegfall kommen, einerseits und Nomen-Verb-Verbindungen, wie Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen, andererseits (Abbildung 3) basiert v.a. auf morphosyntaktischen und semantischen Unterschieden in Bezug auf den Grad der Festigkeit und Lexikalisierung des jeweiligen Konstruktionstyps, der sich beispielsweise a) in der Attribuierungsfähigkeit, b) der freien Artikelwahl, c) der Möglichkeit zur Pluralbildung und d) der Referenzfähigkeit der Gefüge manifestiert (vgl. Heidolph et al. 1984: 441f.; Helbig/Buscha 2011: 87ff.; s. Kap. 3; 4.2.1):5

a) Attribuierung

Gruppe 1

Gruppe 2

*in guten Gang bringen

*in richtigen Wegfall kommen

?in schneller Bewegung bleiben

gute Fragen stellen

die richtigen Antworten geben

wichtige Entscheidungen treffen

b) Artikelwahl

Gruppe 1

Gruppe 2

?in einen/den/keinen Gang bringen

*in einen/den/keinen Wegfall kommen

?in einer/der/keiner Bewegung bleiben

eine/die/keine Frage stellen

eine/die/keine Antwort geben

eine/die/keine Entscheidung treffen

c) Pluralbildung

Gruppe 1

Gruppe 2

*in (die/viele) Gänge bringen

*in (die/einige) Wegfälle kommen

*in (den/zahlreiche) Bewegungen bleiben

(viele) Fragen stellen

(einige) Antwort(en) geben

(zahlreiche) Entscheidungen treffen

d) Referenzfähigkeit

Gruppe 1

Gruppe 2

*Das Auto wurde in Gang gebracht. Er/Der Gang…

*Vergünstigungen kommen in Wegfall. Er/Der Wegfall…

?Man sollte immer in Bewegung bleiben. Sie/Die Bewegung…

Die Fragen wurden erneut gestellt. Sie/Die Fragen…

Er hat ihm Antworten gegeben. Sie/Die Antworten…

Die Entscheidungen wurden getroffen. Sie…

Die Gefüge der Gruppe 1 (in Gang bringen) drücken eine Aktionsart aus und verhalten sich syntaktisch wie Phraseologismen im engeren Sinn (vgl. Burger 2015: 57/161; Helbig/Buscha 2011: 69f.), d.h. die Gestalt der Konstruktionen ist in Bezug auf die Möglichkeit zur Attribuierung, Artikelwahl und Pluralbildung festgelegt und die Konstruktionen sind nicht referenzfähig.6 Die Verbindungen aus Gruppe 2 weisen eine starke Bedeutungsähnlichkeit zum Basisverb auf (vgl. grammis online 2018:7 Nominalisierungsverbgefüge; Hoffmann 2017: 225; Heringer 2014: 115) und verhalten sich im Satz wie freie Wortverbindungen aus Nomen und Verben (vgl. Helbig/Buscha 2011: 88ff.; Storrer 2006b: 286), d.h. sie sind attribuierbar, der Artikel ist frei wählbar, Pluralbildung ist möglich und die Nomen der Gefüge sind referenzfähig – sie können also je nach kontextuellen Gegebenheiten und Erfordernissen verändert und angepasst werden.

Durch die obigen Beispiele zu in Bewegung bleiben und der Bedeutungsveränderung in in einer/der Bewegung bleiben von unspezifischer zu spezifischer Lesart und der dadurch möglichen Referenzfähigkeit wird deutlich, dass auch Konstruktionen der Gruppe 1 einen geringeren Grad an Festigkeit und Lexikalisierung aufweisen können, d.h. auch Gefüge der Gruppe 1 – Funktionsverbgefüge im engeren Sinn – , können mehr oder weniger fest und lexikalisiert sein. Ich schlage deswegen eine skalare Betrachtungsweise der verschiedenen Konstruktionstypen nach ihrem Festigkeits- und Lexikalisierungsgrad vor, von links nach rechts mit absteigendem Grad:

Abbildung 4:

Mehrworteinheiten nach Grad der Festigkeit und Lexikalisierung

Den linken Endpunkt der Skala in Abbildung 4 bilden Phraseologismen, die sich durch ihre übertragene Bedeutung von Funktionsverbgefügen unterscheiden (vgl. Tao 1997: 26f.; Helbig/Buscha 2011: 69f./85), sie teilen aber mit einigen Gefügen Eigenschaften: In grün hinter den Ohren sein und in Gang bringen ist beispielsweise die Artikelwahl und die Möglichkeit zur Pluralbildung festgelegt und die Nomen sind nicht referentiell zu verstehen (vgl. Burger 2015: 17f.;/19ff.; Basarić/Petrič 2015: 183), vgl. ?in die Gänge bringen. Die Gänge… und ?grün hinter dem Ohr sein. Das Ohr… .8

Abstufungen finden sich z.B. in der Attribuierung von in schnelle Vergessenheit geraten oder große Anstrengungen unternehmen. Rechts in der Skala stehen Konstruktionen mit einem niedrigen Grad an Festigkeit und Lexikalisierung. Den rechten Endpunkt bilden Kollokationen (vgl. Burger 2015: 38), wie Zähne putzen, die sich von Funktionsverbgefügen dadurch unterscheiden, dass es sich bei den Lexemen Zähne und putzen im Saussure’schen Zeichenbegriff um mehrere Signifikate und Signifikanten handelt (vgl. Saussure 1967), die nicht mit einem bedeutungsverwandten Lexem in Relation stehen, wie z.B. *zähnen im Sinne von ‚Zähne putzen‘. Dagegen korrespondieren Frage stellen, Anstrengungen unternehmen und in Vergessenheit geraten beispielsweise mit fragen, sich anstrengen und vergessen (vgl. Helbig/Buscha 2011: 69; Tao 1997: 12ff.).

Wie ich im Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit zeigen werde, können weniger lexikalisierte und feste Gefüge, wie Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen verschiedene Verknüpfungsrelationen im Text herstellen, wie z.B. die Wiederaufnahme von oder den Verweis auf vorerwähnte oder nachstehende Informationen im Text: Sie haben die Frage gestellt, sie wurde aber nicht beantwortet (s. Burger 2015: 161; Gautier 1998). Es wäre jedoch denkbar, dass auch die linkspositionierten und festeren Gefüge, bestimmte Leistungen im Textzusammenhang entfalten können, wie z.B. in:

Die Maschine wurde in Gang gebracht – das In-Gang-bringen hat lange gedauert;

Die Opfer sind in Vergessenheit geraten – das Vergessen schreitet schnell voran;

Sie sind miteinander in Kontakt getreten – Der Kontakt hielt lange an.

In (1) bezieht sich das In-Gang-bringen rückwärtsgewandt auf in Gang bringen, das Vergessen auf Vergessenheit in (2) und Kontakt auf das Nomen des Gefüges in Kontakt kommen in (3). Da sich die Gefüge durch eine starke Heterogenität auszeichnen, ist die in Abbildung 4 präsentierte skalare Betrachtungsweise von unterschiedlichen Typen von Funktionsverbgefügen in Bezug auf ihren Grad der Lexikalisierung und Festigkeit nicht in regelmäßigen Abstufungen aufzufassen, sondern vielmehr mit sich kreuzenden Merkmalen, wie z.B. der Möglichkeit zur Attribuierung von bspw. große Anstrengungen unternehmen oder in lange Vergessenheit geraten trotz ungrammatischer Singular- bzw. Pluralform bspw. in *eine Anstrengung unternehmen oder *in Vergessenheiten geraten. Und weil sich textuelle Leistungen womöglich gar nicht nur auf einen spezifischen Typus von Nomen-Verb-Verbindungen beziehen können, sondern auch auf andere Arten von Gefügen, wähle ich für die Zwecke der Untersuchung von Nomen-Verb-Verbindungen auf ihre Leistungen im Textzusammenhang die weite Definition nach Kamber (2008: 22ff.; s. Abbildung 1).

Im Folgenden bezeichne ich die Gefüge Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen als Funktionsverbgefüge, die sich aus den Funktionsverben stellen, geben und treffen und den nominalen Komponenten Frage, Antwort und Entscheidung zusammensetzen. Analog zu ‚Funktionsverb‘ verwende ich den Terminus ‚Funktionsnomen‘ (Wotjak/Heine 2007, Basarić/Petrič 2015). Der semantisch-funktionale Vergleich von Funktionsverbgefügen und ihren Basisverben bildet die Basis für verschiedene Forschungsarbeiten und Positionierungen sowohl von Laien als auch Expert*innen, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden.

1.2.Positionierungen zu Funktionsverbgefügen

Zu Funktionsverbgefügen existieren verschiedene Positionen, die in diesem Kapitel vorgestellt werden. Da die vorliegende Arbeit textuelle Leistungen von Funktionsverbgefügen fokussiert, sind für diesen Beitrag v.a. die Auffassungen in Schreibratgebern, in Lehrwerken für den DaF-Unterricht sowie in der linguistischen Forschungsliteratur zu Leistungen von Funktionsverbgefügen relevant. Seit über einem Jahrhundert stehen Funktionsverbgefüge in Schreibratgebern in negativer Kritik: Die Gefüge würden den Text unnötig verlängern, sie klingen unschön und sollen vermieden werden. Trotz entsprechender Antworten auf die Kritik der Ratgeber seitens der Linguistik, finden derartige Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen mit der Digitalisierung Einzug ins WWW, z.B. in Form von Schreibblogs und modernen Textanalysetools, die in Abschnitt 1.2.1 gezeigt werden. Da im DaF-Unterricht auch Fertigkeiten der Textproduktion eingeübt werden, wird Abschnitt 1.2.2 von der Frage geleitet, ob bzw. inwiefern Funktionsverbgefüge im Unterricht für Deutsch als Fremdsprache behandelt werden. Abschnitt 1.2.3 handelt von wesentlichen Untersuchungsergebnissen zum Gegenstand Funktionsverbgefüge aus 60 Jahren Forschung.

2.1.1. Wie sich Stilratgeber Funktionsverbgefügen gegenüber positionieren

Die Stilistik blickt auf eine jahrzehntelange Tradition der Abwertung von Funktionsverbgefügen in Stil- und Schreibratgebern zurück. Bereits 1963 fassen Daniels und von Polenz abwertende Bezeichnungen aus verschiedenen Stilratgebern – darunter Wustmann (1891), Engel (1931) und Reiners (1945) – zusammen, wie z.B. aufgeblähte Wendungen, Sprachbeulen, Verbsurrogate, unechte Zeitwörter, Zeitwortattrappen, Abklatschwörter und schwülstige Umschreibungen – wer Funktionsverbgefüge verwendet, der leide zudem an einer Dingwortseuche oder Verbaphobie (Daniels 1963: 9f.; von Polenz 1963: 11; s.a. Wustmann 1891: 416). Trotz zahlreicher linguistischer Publikationen zu Funktionsverbgefügen, in denen Linguisten und Linguistinnen der Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen seit den Arbeiten von Kolb (1963), v. Polenz (1963) und Daniels (1963) mit Untersuchungsergebnissen entgegnen – Funktionsverbgefüge zeichnen sich durch semantische, syntaktische und kommunikative Funktionen aus (u.a. Schmidt 1968, Klein 1968, von Polenz 1987, Heine 2006, Storrer 2013; s. Kap. 1.2.3) –, wird die Abwertungstradition in der Ratgeberliteratur bis in die Gegenwart weitergeführt:

Die einfachste Spielart der Hauptwörterkrankheit sind die Streckverben. Jedes Verbum kann man auseinanderstrecken, indem man das Verbum in ein Hauptwort verwandelt und ein farbloses Zeitwort hinzufügt. […] Namentlich Menschen, die von Natur Langweiler und Kanzleiräte sind, neigen zu dieser Form der Hauptwörterei. Sie sind zu faul, um zu besprechen, zu prüfen und zu entscheiden. Sie treten in Erwägungen ein, sie nehmen die Sache in Bearbeitung, sie stellen etwas unter Beweis […] und fällen schließlich – so Gott will – eine Entscheidung. Meiden Sie die Streckverben! (Reiners 2009: 72)

In der 37. Auflage von Reiners Stilfibel (2009) wird nicht nur weiterhin für das Vermeiden von Streckverbgefügen plädiert, es zeigt sich darüber hinaus, dass sich die Forderung Reiners „Meiden Sie die Streckverben“ auch in anderen Ratgebern, wie z.B. bei Mackowiak (2011) und List (2013), wiederfindet:

Funktionsverbgefüge (veraltet auch Streckformen) nennt man diese Ausdrücke. Sie machen einen Text etwas weniger verständlich, weil sie vom Leser verlangen, erst einmal die Beziehung zwischen dem Verb und dem Substantiv nachzuvollziehen: Wen stelle ich an? Überlegungen. Das wäre beim einfachen Verb überlegen gar nicht nötig. Hier wird nur aufgebläht. (Mackowiak 2011: 72)

Mehr Verben, weniger Substantive: Handlungen werden durch Verben wiedergegeben. Verben sind frisch, farbig, lebendig und anschaulich. Sätze mit vielen Hauptwörtern sind ermüdend. […] Diese Verben nennt man Streckverben: in Erwägung ziehen erwägen, Verzicht leisten verzichten […] Bei diesen Verben können wir Zeit sparen, wenn wir die Vorsilbe weglassen, denn sie ist überflüssig. (List 2013: 12)

Reiners (2009), Mackowiak (2011) und List (2013) zufolge machen Funktionsverbgefüge Texte weniger verständlich, werden nur von Langweilern und Kanzleiräten gebraucht und sollen vermieden werden. Die Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen schlägt sich gegenwärtig jedoch nicht nur in Schreibratgebern in Printform nieder, sondern sie breitet sich nun auch im Internet aus: Auf Schreibblogs, Webseiten von Universitäten und in modernen Textanalysetools finden sich Ratschläge zur Vermeidung von Nomen-Verb-Verbindungen beim Verfassen von Texten, vgl. das folgende Beispiel aus der Zeit online:

Abbildung 5:

Zeit online – deutsche Stilkunde

So schreibt die Zeit online unter dem Titel „Die Krone der Hässlichkeit“, Funktionsverbgefüge gehörten zum „Bürokratenjargon“ und werden als „schwer verständliches abstoßendes Deutsch“ abgetan – anzeigen sei anstelle von zur Anzeige bringen „sowieso das bessere Deutsch“ (Zeit online: Lektion 12 – Sätze und Nominalstil1; Abbildung 5). Die Schreibblogs „Textwende“ und „Die Brief-Profis“ vergleichen Funktionsverbgefüge mit mittelalterlicher Folter: „Im Mittelalter wurden Menschen unter Schmerzen auf der Streckbank in die Länge gezogen. Heute werden nur noch Verben gewalttätig verlängert“ (Abbildung 6) und „Streckverb klingt so nach Folter“ (Abbildung 7). Verdeutlicht wird dieses Sinnbild durch die Illustration in Abbildung 6, in der eine Figur in die Länge gezogen wird und um Hilfe ruft. Begleitet werden derartige Äußerungen von dem Ratschlag, Funktionsverbgefüge, wie z.B. eine Änderung vornehmen oder eine Feststellung machen, durch Verben, wie ändern oder feststellen, zu ersetzen:

Abbildung 6:

Textwende – Schreibtipps: Besser schreiben mit Verben2

Abbildung 7:

Die Brief-Profis – Behördendeutsch in verständliche Sprache umwandeln3

Wie bei Reiners (2009), Mackowiak (2011) und List (2011) werden Funktionsverbgefüge auf Schreibblogs im Internet als Behördendeutsch abgetan und sind „kraftlos und abstrakt“ (Textwende: Schreibtipps4). Durch die Substitution der Gefüge mit den entsprechenden Basisverben sollen die Texte wieder in „verständliche Sprache“ (Die Brief-Profis: Behördendeutsch) übersetzt werden, wodurch impliziert wird, dass Texte mit Funktionsverbgefügen weniger oder nicht verständlich sind.

Zudem ist zu beobachten, dass die Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen auch in den universitären Bereich dringen, denn verschiedene Universitäten raten ihren Studierenden zum Verfassen von Abschlussarbeiten, auf Funktionsverbgefüge zu verzichten und sie mit dem Basisverb zu ersetzen, vgl. die folgenden Abbildungen:

Abbildung 8:

TU Braunschweig – Gestaltungsrichtlinien für wissenschaftliche Ausarbeitungen des Instituts für Bauwirtschaft und Baubetrieb5

Abbildung 9:

TU Chemnitz – Workshop zu wissenschaftlichem Arbeiten und Schreiben6

In den Gestaltungsrichtlinien für wissenschaftliche Ausarbeitungen des Instituts für Bauwirtschaft und Baubetrieb der TU Braunschweig (Abbildung 8) sowie in einem Workshop zu wissenschaftlichem Schreiben der TU Chemnitz (Abbildung 9) findet sich der Ratschlag verankert, Funktionsverbgefüge, wie unter Beweis stellen und eine Analyse durchführen, mit Basisverben, wie beweisen und analysieren, zu ersetzen. Funktionsverbgefüge sollen als Sprachmüll vermieden werden. Interessant ist, dass es sich bei der TU Braunschweig und der TU Chemnitz um technische Universitäten handelt, die Funktionsverbgefüge für wissenschaftliche Ausarbeitungen vermeiden wollen, denn Untersuchungen zu Funktionsverbgefügen hinsichtlich ihrer Textsortenspezifik zeigen, dass Funktionsverbgefüge häufig in technischen und wissenschaftlichen Texten verwendet werden (vgl. Vigašová 1968, Richter 1988) und werden als geradezu typisch für diese Textsorten gehandhabt. Der Grund dafür wird in den Leistungen von Funktionsverbgefügen zur Terminologiebildung gesehen, denn z.B. Transportarbeit bzw. gute Vorarbeit leisten oder Sicherheitsmaßnahmen treffen (Popadić 1971: 56/57) haben eine fachspezifische Bedeutung, die mit einem einfachen Verb nicht ausgedrückt werden kann (vgl. Popadić 1971: 56; s. Kap. 1.2.3). Deswegen ist es verwunderlich, dass gerade technische Universitäten in Workshops und Richtlinien zu gutem wissenschaftlichem Stil davon abraten, Funktionsverbgefüge zu verwenden.

Auffällig ist an der Kritik aus dem Internet, dass sich der Wortlaut der frühen Stilkunde wiederholt, vgl. z.B. aufgeblähte Wendungen (zitiert nach Daniels 1963: 9) oder Blähverben (List 2013: 12) mit „Gemeint sind Verben, die sich mit einem Substantiv aufblähen“ (Die Brief-Profis: Behördendeutsch7). Es entsteht der Eindruck, die Ratschläge der Autoren und Autorinnen lassen sich auf Wustmanns Stilkunde „Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen“ aus dem Jahre 1891 zurückführen, in der er den Verbsurrogaten ein Kapitel widmet und sie als „Schwulst“ bezeichnet (Wustmann 1891: 416ff.):

Abbildung 10:

Wustmann (1891: 417)

Auf Wustmann (1891) basierende Ratschläge zur Vermeidung von Nomen-Verb-Verbindungen finden sich aber nicht nur in der Ratgeberliteratur zum Verfassen von guten (wissenschaftlichen) Texten, sondern auch in modernen Online-Anwendungen zur automatischen Textprüfung, in die Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen eingespeist werden. Der Benutzer oder die Benutzerin gibt einen beliebigen Text in ein Textfenster des Analysetools im Internet ein und wird ggf. durch eine Warnung auf einen Fehler oder ein Problem im Text aufmerksam gemacht. Der Text soll anschließend entsprechend überarbeitet werden. Um dies zu demonstrieren, habe ich die konstruierten Sätze Dass ich heute eine Entscheidung treffen muss, steht fest und Dass sie heute eine Frage stellt, war klar in die Online-Anwendungen „Textanalysetool“ und „Wortliga“ zur Überprüfung eingegeben.

Abbildung 11:

Entscheidung treffen im „Textanalysetool"8

Abbildung 12:

Frage stellen im Textanalysetool "Wortliga"9 (Hervorhebung S.K.)

Die eingegebenen Sätze Dass ich heute eine Entscheidung treffen muss, steht fest und Dass sie heute eine Frage stellt, war klar werden von beiden Programmen als einfach eingestuft (s. rechte Seite in Abbildung 11 und Abbildung 12). Interessant sind dabei die Fehlermeldungen der Softwaresysteme, denn beide Programme stufen die Funktionsnomen Entscheidung und Frage als problematisch ein und fordern die Benutzer*innen zur Vermeidung des Nominalstils bzw. zur Suche nach Synonymen auf (s. rechte Seite in Abbildung 11 und Abbildung 12), obwohl die Nomen Entscheidung und Frage als Grundwortschatz des Deutschen eingestuft werden können (vgl. Klein 2013: 41). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Wustmanns Sprachkritik aus dem Jahre 1891 auch in Online-Softwaresystemen zur automatischen Textprüfung im Internet des 21. Jahrhunderts Anwendung findet.

Die abwertenden Kommentare zu Funktionsverbgefügen in Stilkunden des 19. und 20. Jahrhunderts finden sich in gegenwärtigen Schreibratgebern on- und offline wieder. Betroffen sind im Internet verschiedene Schreibblogs, Websites von Universitäten sowie automatische Korrekturhilfen im Internet: Die Konstruktionen seien hässlich, zu lang; sie würden den Text aufblähen und ihn weniger verständlich machen. Zusätzlich fordern die Ratgeber*innen dazu auf, Funktionsverbgefüge durch entsprechende Basisverben zu ersetzen, d.h. die Ratschläge beziehen sich auf die Ebene des Textes in Bezug auf Produktion und Rezeption. Weil das Produzieren und Rezipieren von Texten zu den Zielkompetenzen im Fremdsprachenunterricht gehören, werden im Folgenden Lehrwerke für den DaF-Unterricht auf die Thematisierung von Funktionsverbgefügen überprüft.

2.2.1. Wie Funktionsverbgefüge in DaF-Lehrwerken behandelt werden

Im DaF-Unterricht sollen Lerner und Lernerinnen rezeptive wie produktive Fertigkeiten der Zielsprache Deutsch erlernen. Dazu gehören das Hör- und Leseverstehen sowie die Sprech- und Schreibkompetenz (vgl. Rössler 2012: 57; Funk et al. 2014: 84/108), d.h. sowohl die Textrezeption als auch -produktion sind als Zielkompetenzen der Lerner und Lernerinnen für den DaF-Unterricht zentral (Funk et al. 2014). Funktionsverbgefüge kommen in verschiedenen, auch alltagssprachlichen Textsorten mündlich wie schriftlich vor, z.B. in Zeitungstexten (Popadić 1973, Kamber 2008), Wikipedia-Artikeln (Storrer 2013), literarischer Prosa (Daniels 1963, Storrer 2013), aber auch in Musik-Texten und gesprochener Sprache (s. Kap. 1.2.3). Zudem sind Funktionsverbgefüge frequent (vgl. z.B. Kamber 2008, Storrer 2013; s. Kap. 2.1) – Frage stellen ist eines der häufigsten Gefüge (vgl. Kamber 2008, s. Kap. 2.1; 4.1) – und sie kommen, wie ich in Abschnitt 1.2.3 zeigen werde, in einer Vielzahl typologisch unterschiedlicher Sprachen vor. Frage stellen findet sich beispielsweise in romanischen, slawischen und germanischen Sprachen sowie im Türkischen (s. Kap. 1.2.3). Es könnte also hinsichtlich der Erstsprachen der Lerner*innen sinnvoll sein, besonders frequente Konstruktionen in Lehrwerke mit aufzunehmen und sie in Bezug auf ihre Form und Funktion zu thematisieren. Untersuchungen zu Mehrworteinheiten, wie Kollokationen, Phraseologismen und Funktionsverbgefüge, zeigen jedoch, dass sie in DaF-Lehrwerken nicht oder nur selten behandelt werden (Targońska 2018: 75; Ďurčo/Vajičková 2016: 125; Flinz i. Dr.: 12; Kamber 2008, Giacoma 2017). Giacoma (2017) bezeichnet Funktionsverbgefüge als „Schwarzfahrer der Didaktik“ und schreibt: „Wenn man Fremdsprachenlernen als eine Reise betrachtet, könnte man demzufolge denken, dass FVG heimlich und ohne gültige Fahrkarte mit den Lernenden mitfahren“ (Giacoma 20171). Dies muss zwar nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Konstruktionen dadurch überhaupt nicht erworben werden könnten (vgl. Pagonis/ Salomo 2014). Es scheint aber zumindest so, als würde kein besonderer Fokus auf Funktionsverbgefügen liegen, was sich mit der Analyse der folgenden DaF-Lehrwerke in Bezug auf die Thematisierung von Funktionsverbgefügen deckt: Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012), studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016). In nur zwei von fünf Lehrwerken werden Funktionsverbgefügen thematisiert, nämlich studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016).

Im Unterschied zu Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012) handelt es sich bei studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016) um Lehrwerke der Niveaustufe B1, d.h. Lehrwerke, die Funktionsverbgefüge nicht explizit thematisieren sind A1-Lehrwerke. Zur Niveaustufe A1 schreibt das Goethe-Institut:

Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen. (Goethe-Institut 2019: Niveaustufen2;Hervorhebung S.K.)

Die Thematisierung von Funktionsverbgefügen und anderen polylexikalischen Einheiten könnte demnach erst ab einer höheren Niveaustufe angesetzt sein. Wohl gemerkt, verwendet jedoch auch das Goethe-Institut bei der Beschreibung der Niveaustufe A1 die Funktionsverbgefüge Frage stellen und Antwort geben, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Zu vertraute[n], alltägliche[n] Ausdrücke[n] könnten also auch Gefüge wie Frage stellen und Antwort geben gehören (vgl. Klein 2013: 41), sodass eine Thematisierung von Funktionsverbgefügen bereits ab einer früheren Niveaustufe sinnvoll sein könnte (Ďurčo/Vajičková 2016: 125). Wie werden Funktionsverbgefüge also in den anderen beiden Lehrwerken behandelt?

In klipp und klar (B1, Fandrych et al. 2016) wird erklärt, was Funktionsverbgefüge sind, aus welchen Komponenten sie bestehen und welche semantischen Funktionen sie in Gegenüberstellung mit dem Basisverb übernehmen, wie z.B. die Markierung einer beginnenden Handlung durch in Gang bringen oder den Ausdruck von Ernsthaftigkeit durch Gespräch führen anstelle von sprechen (vgl. Fandrych et al. 2016: 130f.). Zudem werden die folgenden Aufgabentypen aufgeführt:

ein Lückentext, in dem die passenden Funktionsverben ergänzt werden sollen,

eine Zuordnungsübung, in der die Komponenten des Gefüges einander zugeordnet werden sollen,

eine Ergänzungsaufgabe, in der eine Liste von Funktionsverbgefügen erstellt werden soll,

und eine Interpretationsaufgabe, in der erklärt werden soll, was im präsentierten Satz betont wird (Abbildung 13).

Die verschiedenen Aufgabentypen sowie die theoretische Thematisierung von Funktionsverbgefügen im Grammatikteil von klipp und klar (B1, 2016: 130/131) lassen darauf schließen, dass Funktionsverbgefügen in diesem Lehrwerk ein höherer Stellenwert zugeschrieben wird als beispielsweise in studio d (B1, 2013), in dem – wie ich unten zeigen werde – lediglich weniger umfangreiche Aufgaben ohne weitere Erklärungen aufgeführt werden. In Bezug auf die Ebene des Textes erscheint in von klipp und klar (B1, 2016) die angesprochene Interpretationsaufgabe zu Funktionsverbgefügen relevant:

Abbildung 13:

Interpretationsaufgabe zu Funktionsverbgefügen in klipp und klar (Fandrych et al. 2016: 131)

Abbildung 13 zeigt eine Übung aus klipp und klar (B1, 2016), in der die Aufmerksamkeit der Lerner und Lernerinnen auf zusätzliche Bedeutungsaspekte im Zusammenhang mit Funktionsverbgefügen gelegt wird. Die zusätzlichen Bedeutungsaspekte der Gefüge beschränken sich laut der Übung aber nicht nur auf die Bedeutung der Gefüge im Vergleich mit den Basisverben, sondern sie hängen auch mit der Abfolge der Wörter im Satz zusammen. So kann zur Debatte in g) Die Eltern stellen dieses Problem noch einmal grundsätzlich zur Debatte und h) Zur Debatte steht seit Jahren auch die Zahl der verfügbaren Studienplätze durch die Stellung der Glieder im Satz unterschiedlich betont werden (Daniels 1963: 228f.; Wöllstein 2014: 39). Diese Übung stellt jedoch einen Einzelfall in den untersuchten Lehrwerken dar. Andere Übungen fokussieren Funktionsverbgefüge im Zusammenhang mit den entsprechenden Basisverben, die die Gefüge in Substitutionsaufgaben ersetzen sollen, vgl. die folgende Übung (Fandrych et al.: 131):

Abbildung 14:

Substitutionsübung zu Funktionsverbgefügen in klipp und klar (Fandrych et al. 2016: 131)

Abbildung 14 zeigt eine Übung aus dem DaF-Lehrwerk klipp und klar (Fandrych et al. 2016: 131), in der die in einem Text vorkommenden Funktionsverbgefüge durch die entsprechenden Verben ersetzt werden sollen. Trotz der Thematisierung von zusätzlichen Bedeutungsaspekten von Funktionsverbgefügen in klipp und klar soll der Text in der Substitutionsaufgabe paraphrasiert werden, was einen Widerspruch darstellt. Bereits im ersten Satz des zu paraphrasierenden Textes Viele Menschen bringen ihre Abneigung gegen Rauchen in der Öffentlichkeit deutlich zum Ausdruck geht durch die Paraphrase mit ausdrücken, also Viele Menschen drücken ihre Abneigung gegen Rauchen in der Öffentlichkeit deutlich aus, die durative bzw. iterative Lesart des Funktionsverbgefüges (vgl. Eroms 2000: 167, Helbig/Buscha 2011: 73) verloren. Die Paraphrase stellt folglich zwar keine echte Ausdrucksalternative dar (vgl. Kap. 4.2 Ergebnisse), soll aber trotzdem eingeübt werden, was aus (fremdsprachen-)didaktischer Perspektive kontraproduktiv erscheint. Zudem wirkt der Textauszug durch die hohe Dichte an Funktionsverbgefügen unauthentisch, geradezu so, als hätte man einen Text mit den entsprechenden Verben einfach umformuliert, und die Lerner und Lernerinnen sollen den Text wieder in die ursprüngliche Form bringen. Dies wäre aber genauso unangebracht, denn auch die mit den Funktionsverbgefügen korrespondierenden Basisverben (entscheiden – Entscheidung treffen) weisen wie auch die Gefüge ein spezifisches Kombinations- und Funktionspotenzial auf (vgl. Storrer 2006a: 176), d.h. sowohl durch die Substitution von Funktionsverbgefügen mit Basisverben als auch durch die Substitution von Basisverben mit Funktionsverbgefügen werden spezifische Ausdrucksmöglichkeiten der jeweiligen Konstruktion ignoriert, was neueren und gebrauchsbasierten Ansätzen für den Fremdsprachenunterricht nicht entspricht (vgl. Goldberg 1995, Tomasello 2003, Stoll 2008, Klages/Pagonis 2014).

 

Im Lehrwerk studio d (B1, Funk et al. 2013) werden Funktionsverbgefüge zwar auch thematisiert, im Vergleich zu klipp und klar (B1, Fandrych et al. 2016) jedoch nicht in gleicher Ausführlichkeit, denn in studio d sind keine Erklärungen zu Nomen-Verb-Verbindungen enthalten, d.h. auch keine Definitionen oder andere Hinweise zur Bedeutung und Funktion, vgl. die folgenden Übungen in Abbildung 15:

Abbildung 15:

Übungen zu Funktionsverbgefügen in studio d (B1, Funk et al. 2013: 75)

Abbildung 15 zeigt vier Übungen zu Funktionsverbgefügen aus dem DaF-Lehrwerk studio d (B1, Funk et al. 2013: 75). Es sollen zuerst Funktionsverben mit Funktionsnomen verknüpft werden, die danach entsprechenden Basisverben zugeordnet werden sollen. Mit dem Hinweis „Nomen-Verb-Verbindungen können ersetzt werden“ sollen in der nächsten Übung alle Funktionsverbgefüge im Text mit Basisverben ersetzt werden und im Anschluss daran soll diskutiert werden, welcher Text verständlicher und besser im Ausdruck ist (Funk et al. 2013: 75). Zwei von vier Aufgaben zielen in studio d auf die Substitution mit dem Basisverb; die vierte Aufgabe zur Diskussion in der Gruppe thematisiert die Verständlichkeit des Textes mit und ohne Funktionsverbgefüge. Der Grund für derartige Aufgaben mit dem Fokus auf die Substitution von Funktionsverbgefügen könnte sein, dass Funktionsverbgefüge seit über einem Jahrhundert in Schreibratgebern als schlechter und unverständlicher Stil abgetan werden (vgl. Wustmann 1891: 416ff.; Daniels 1963: 9f.; Reiners 2009: 72; Mackowiak 2011: 72; s. dazu ausführlich Kap. 1.2.1). Gefüge, wie Frage stellen und Entscheidung treffen, sollen den Ratgebern zufolge vermieden werden und mit einem Basisverb, wie fragen oder entscheiden, ersetzt werden (vgl. Reiners 2009: 72), was in Lehrwerken, wie studio d – Die Mittelstufe (B1, Funk et al. 2013) und klipp und klar (B1, Fandrych et al. 2016), zur Übung gemacht wird.

Die Analyse der Lehrwerke Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012), studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016) ergibt, dass Funktionsverbgefüge trotz ihrer Relevanz für den DaF-Unterricht durch ihr Vorkommen in verschiedenen Textsorten und Sprachen sowie ihre Frequenz nur in zwei von drei untersuchten DaF-Lehrwerken behandelt werden. Die ausführlichste Darstellung von Funktionsverbgefügen bietet das DaF-Lehrwerk klipp und klar (B1, 2016). Es ist das einzige der untersuchten Lehrwerke, das eine Übung mit dem Schwerpunkt auf semantischen Funktionen der Gefüge anbietet. Fokussiert werden in den Übungen die Zuordnung von Funktionsverben und -nomen sowie die Substitution mit einem einfachen Verb. Funktionsverbgefüge werden insgesamt also kaum im konkreten Sprachgebrauch thematisiert, was erstens als Hinweis für den Einfluss von Ratschlägen zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen aus der Ratgeberliteratur gewertet werden kann und zweitens auch neueren Ansätzen der Fremdsprachendidaktik nicht entspricht. Im nächsten Abschnitt werden Untersuchungsergebnisse aus 60 Jahren Forschung zu Funktionsverbgefügen zusammengefasst.

2.3.1. Funktionsverbgefüge in der linguistischen Forschungsliteratur

Die germanistische Forschungsliteratur blickt gegenwärtig auf knapp sechzig Jahre Forschung zu Funktionsverbgefügen zurück, die anhand der Vorstellung verschiedener Forschungszweige zu Funktionsverbgefügen in Grundzügen vorgestellt werden soll.1 Trotz der unterschiedlichen Untersuchungsschwerpunkte haben die Forschungsarbeiten zu Funktionsverbgefügen den Bezug zur Kritik am Gebrauch von Funktionsverbgefügen gemeinsam (z.B. Daniels 1963, von Polenz 1963, Heringer 1968, Schmidt 1968, Storrer 2013), die in zahlreichen Stil- und Schreibratgebern wiederholt aufgegriffen wird: Funktionsverbgefüge gehören zu schlechtem Stil und sollen mit einfachen Verben ersetzt werden (vgl. Wustmann 1891: 416ff.; Reiners 1943–2009), weil sie „Texte weniger verständlich machen“ würden (Mackowiak 2011: 72; s. dazu ausführlich Kap. 1.2.1). Der Forschungszweig zu Funktionsverbgefügen in Verbindung mit dem Ausdruck von Aspekt und Aktionsart mit den frühen Arbeiten z.B. von Kolb (1963), v. Polenz (1963), Heringer (1968) und Klein (1968) legt jedoch offen, dass sich Funktionsverbgefüge von Basisverben unterscheiden:

Durch die Verbindung des punktuellen Grundverbums entscheiden mit einem Erstreckungsverbum wird der an sich momentane Vorgang des Entscheidens zeitlich zerdehnt. Zur Entscheidung bringen ist nicht dasselbe wie entscheiden, sondern bedeutet ‚einer Entscheidung zuführen, eine Entscheidung herbeiführen‘ oder ‚eine Entscheidung vorbereiten und treffen‘. (von Polenz 1963: 14; Hervorhebung im Original)

Die pauschale Verurteilung nominaler Fügungen ist nicht gerechtfertigt. Die grammatikalisierten Funktionsverbfügungen mit kommen und bringen werden vor allem dazu benutzt, um die Wertigkeit und die Aktionsart des Grundverbs zu verändern. (Heringer 1968: 121; Hervorhebung im Original)

Wegen der semantisch-aspektuellen Unterschiede zwischen den Konstruktionstypen können Funktionsverbgefüge nicht immer durch Basisverben ersetzt werden (von Polenz 1963: 14; Heringer 1968: 121) – wie in Stilratgebern gefordert wird. Im Anschluss an die Ergebnisse von v. Polenz (1963), Heringer (1968) und Klein (1968) werden Funktionsverbgefüge nach verschiedenen Aktionsarten systematisiert. Gefüge mit dem Ausdruck einer andauernden Handlung, also durativen Aktionsart, sind z.B. zur Verfügung stehen oder in Kontakt bleiben. Der Beginn einer Handlung, d.h. in inchoativer Aktionsart, kann durch Gefüge, wie in Gang kommen und in Kontakt treten, markiert werden (vgl. z.B. Klein 1968, Fabricius-Hansen 1975, Fink 1976, Bahr 1977, von Polenz 1994, Kang 2010; s. Kap. 1.1).

Ein weiterer Forschungszweig innerhalb der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen setzt sich mit der Problematik einer Definition des Untersuchungsgegenstandes Nomen-Verb-Verbindung auseinander (u.a. Dobrovol´skij 1979, Helbig 1979, Dyhr 1980, Lehmann 1983, von Polenz 1987, Elsayed 2000, van Pottelberge 2001, Wotjak/Heine 2005, Helbig 2006). Die Forschungsarbeiten thematisieren Funktionsverbgefüge in Bezug auf die Kriterien zur Eingrenzung des Gegenstandes und zur Abgrenzung von anderen angrenzenden linguistischen Disziplinen, wie der Phraseologie- und der Kollokationsforschung. Die Schwierigkeit der Definition von Funktionsverbgefügen liegt v.a. an der Vielzahl unterschiedlicher Konstruktionen, die sich sowohl funktional als auch formal voneinander unterscheiden (vgl. Tao 1997: 7ff./12ff.; Helbig/Buscha 2011: 83ff.; s. dazu auch Kap. 1.1). Ob eine Konstruktion zum Gegenstandsbereich der Funktionsverbgefüge gerechnet werden kann oder nicht, entscheidet sich mit der Wahl einer engeren oder weiteren Definition des Untersuchungsgegenstandes. Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit wird die weite Definition nach Kamber (2008) angewendet, in der unterschiedliche Typen von Nomen-Verb-Verbindungen zum Untersuchungsgegenstand gezählt werden (vgl. Kamber 2008: 22ff.; s. Kap. 1.1).

In Bezug auf die Bedeutung Funktionsverbgefügen, wie Frage stellen, Antwort geben oder Entscheidung treffen, in Gegenüberstellung mit ihren Basisverben, also fragen, antworten und entscheiden, finden sich in der Forschungsliteratur die folgenden Auffassungen:

Der Terminus „Streckformen“ ist stilistisch wertend gedacht. [Streckformen] […] sind Verbalphrasen, die nicht nur verbale Teile enthalten, aber an Stelle von einfachen Verben stehen. Zwar ist ihr Kern ein Verb, aber daneben enthalten sie noch verbale Teile in nominaler Form:

Wer kann [Hilfe leisten]?

Wer soll [Auskunft geben]?

(Heringer 2014: 115; Hervorhebung S.K.)

„Funktionsverbgefüge“ (Streckformen), d.h. Konstruktionen aus Funktionsverb und (präpositional regiertem) Substantiv, die formal i.d.R. durch ein einfaches Verb ersetzbar sind, aber dann ihren amtlichen Charakter verlieren: […] ein Geständnis ablegen[…]. (Hoffmann 2017: 225; Hervorhebung S.K.)

Nominalisierungsverbgefüge unterscheiden sich semantisch von entsprechenden einfachen Prädikatsausdrücken in der Regel nicht hinsichtlich der Verifikationsregeln für die damit gebildeten Prädikate, sondern hinsichtlich ihrer pragmatisch-stilistischen Wirkungen: Für Nominalisierungsverbgefüge ist typisch der Gebrauch in akademischer, technischer, amtssprachlicher oder formal-öffentlicher Rede, wie schon v. Polenz 1987 festgestellt hat. Sie sind also im Wesentlichen pragmatisch bedingte Varianten der einfachen Ausdrücke. (grammis online 20192: Nominalisierungsverbgefüge; Hervorhebung S.K.)

Heringer (2014), Hoffmann (2017) und grammis (2019) zufolge werden Gefüge, wie Frage stellen und Entscheidung treffen, anstelle von einfachen Verben verwendet; sie können ersetzt werden, weil sie sich semantisch nicht von Basisverben, wie fragen und entscheiden, unterscheiden und lediglich Varianten der Verben darstellen.3 Die Unterschiede zwischen diesen Nomen-Verb-Verbindungen und Basisverb-Konstruktionen, wie z.B. in Sie stellt ihm eine Frage. vs. Sie fragt ihn etwas, seien v.a. auf stilistischer Ebene angesiedelt und eine Substitution des Gefüges mit dem Basisverb hätte lediglich den Verlust des „amtlichen Charakters“ zur Folge (vgl. Heringer 2014: 115; Hoffmann 2017: 22; grammis online 20184: Nominalisierungsverbgefüge). Dies spiegelt sich in den Auffassungen der Stil- und Schreibratgeber, die Gefüge, wie Frage stellen und Entscheidung treffen, seit Wustmann (1891: 416f.) stilistisch als schwülstiges Behördendeutsch und Behördenjargon abtun, denn „[n]amentlich Menschen, die von Natur Langweiler und Kanzleiräte sind, neigen zu dieser Form der Hauptwörterei“ (Reiners 2009: 72) und „[w]er so etwas schreibt, hat einen Stock verschluckt“ (Textwende: Besser schreiben mit Verben5).

Als Hinweis auf die angesprochenen stilistischen Unterschiede werden Studien zur Textsortenspezifik6 – ein weiterer Forschungszweig in der Forschung zu Nomen-Verb-Verbindungen – herangezogen, die zeigen, dass die Gefüge häufig in Textsorten mit offiziellem Sprachduktus und amtlichen Charakter vorkommen, wie z.B. in politischer Berichterstattung (Panzer 1986), technischer Fachsprache (Vigašová 1968), wissenschaftlichen Texten (Richter 1988), Texten aus Wirtschaft und Handel (Schaarschuh 1990, Marušić 2012) und in Gesetzestexten (Seifert 2004, Crestani 2013, Storrer 2013). Die Hypothese, dass Funktionsverbgefüge häufiger in Gesetzestexten vorkommen, konnte allerdings nicht bestätigt werden, denn

[d]er empirische Befund hat […] ergeben, daß die Gebrauchsfrequenz der FVG in Gesetzestexten a) nicht höher als in anderen fachsprachlich geprägten Textsorten und b) zumindest in der Gegenwart kein konstantes Merkmal ist. Offensichtlich handelt es sich bei der Auffassung, FVG seien besonders typisch für die Gesetzessprache, um ein Vorurteil. (Seifert 2004: 201f.)

Außerdem weist Pottelberge (2001) darauf hin, dass es unter Funktionsverbgefügen im weiteren Sinn sowohl Konstruktionen gibt, die einen elaborierten Sprachgebrauch kennzeichnen, wie z.B. eine Kalkulation vornehmen, als auch Gefüge, die stilistischer näher am Standard anzusiedeln sind (vgl. Pottelberge 2001: 249). Deswegen kommen Funktionsverbgefüge nicht nur in amtlichen und offiziellen Textsorten vor, sondern finden auch in einer Vielzahl anderer kommunikativer Gattungen7 Anwendung, wie z.B. Zeitungstexten (Schmidt 1968, Popadić 1971), literarischer Prosa (Storrer 2013), Wikipedia-Artikeln (Storrer 2013), in gesprochenen Texten (1) (vgl. Deppermann 2006: 45) oder in Rap-Texten (2)(3), vgl. folgende Beispiele:

was (.) äh äh herr kretschmann (.) ich würde gerne ihnen nachher auch noch ne ◄frage stellen ► (.) hh ähm

(ID: FOLK_E_00064_SE_01_T_05; Hervorhebung S.K.)

„Vermiss die Fam, die Gang, die Straßen

Richter legen uns in Ketten, aus Stacheldraht

Kinder schlafen in Zellen wegen Tatverdacht

Immer Fragen stellen – LKA, zu abgefuckt, der verkackte Staat“

(187 Straßenbande: Lieblingszahl, Album: Der Sampler 3; Hervorhebung S.K.)

„Du denkst du und deine Spinner-Clique kickt Raps und kommt gegen mich an? […]

Ich rap weltklasse auch wenn ich dafür kein Geld fasse

Ich kick Rhymes die Chicks aufblühen und verwelken lassen“

(Morlockk Dilemma, Leipzig steht in Flammen, Album: Egoshooter; Hervorhebung S.K.)

Weil Beispiel (1) aus den Stuttgart 21 Schlichtungsgesprächen (Folk-Korpus, IDS) – einem politischen und öffentlichen Diskurs zum Neubauprojekt des Stuttgarter Bahnhofs – stammt, könnte argumentiert werden, dass derartige Gespräche zwar mündlich vermittelt sind, sich aber durch den offiziellen und öffentlichen Rahmen der Veranstaltung durch als konzeptionell schriftlich klassifizieren lassen (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 17). Den nachstehenden Beispielen (2) und (3) aus den Musiktexten der Rapper der 187 Straßenbande und Morlock Dilemma kann jedoch durch Ausdrücke und Wendungen wie Fam (Familie), Gang, Chicks, abgefuckt und verkackter Staat kein amtlicher Sprachduktus attestiert werden. Wären Funktionsverbgefüge, wie Frage stellen, also stilistisch markiert, dann würden sie vermutlich nicht in Rap-Texten vorkommen, die sich durch einen provokativen und vulgären Sprachstil auszeichnen (vgl. Androutsopoulos 2003, Kabatnik 2014). Funktionsverbgefüge werden aber nicht nur im Rap verwendet, es können sich darüber hinaus auch neue und textsortenspezifische Gefüge, wie z.B. Raps oder Rhymes kicken für rappen oder rhymen (engl. ‚sprechsingen‘) entwickeln. Die Existenz von Funktionsverbgefügen lässt sich demnach nicht oder zumindest nicht allein mit amtlichem oder elaboriertem Stil von Funktionsverbgefügen (im weiteren Sinn) im Vergleich mit Basisverben begründen (vgl. Pottelberge 2001: 249f.).

Zudem sind Funktionsverbgefüge kein allein deutsches Phänomen und kommen in einer Vielzahl verschiedener Sprachen vor, z.B. im Englischen (z.B. Stevenson et al. 2004), Französischen (z.B. Cortès 1999), Japanischen (z.B. Ahn 1990), Niederländischen (z.B. Klimaszewska 1983) sowie in vielen slawischen Sprachen, wie dem Russischen (z.B. Abramov 1989) und Polnischen (z.B. Żmigrodzki 2000; Taborek 2018).8 Das Funktionsverbgefüge Frage stellen existiert beispielsweise in den folgenden Sprachen (Tabelle 1):

Sprache

Funktionsverbgefüge

Basisverb

Englisch

to ask [sb.] a question

to ask

Niederländisch

de [o. een] vraag stellen

Vragen

Französisch

poser une question à qn

questionner qn sur qc

Portugiesisch

fazer uma pergunta (a alguém)

Perguntar

Spanisch

hacer [o plantear]una pregunta a alguien

preguntar por

Italienisch

porre una domanda

domandare [oder chiedere] (qc) a qu

Latein

proponere quaestionem

Quaerere

Polnisch

zadawać [perf. zadać] komuś pytanie

pytać [perf. s oder za pytać]

Russisch

зада́ть кому́-ли́бо вопро́с

спроси́ть св.

Slowenisch

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Tabelle 1:

Frage stellen und fragen in 15 Sprachen (Pons-Online 2019)

Den Wörterbucheinträgen in Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass das Funktionsverbgefüge Frage stellen in allen Sprachen jeweils ein eigenständiges Lemma bildet und es ist – zumindest für die Sprachen mit lateinischem Alphabet – abzulesen, dass die meisten Gefüge in einem Ableitungsverhältnis mit den Basisverben stehen, vgl. z.B. das Polnische zadawać/zadać pytanie vs. pytać oder das Türkische soru sormak vs. sormak -e -i. Eine Ausnahme bildet das Englische mit to ask a question vs. to ask. Zudem weisen diese 15 Sprachen durch ihre unterschiedliche Entstehung und Entwicklung auch starke typologische Varianz auf: das Türkische als agglutinierende, das Chinesische als isolierende Sprache und die flektierenden Sprachen, wie das Deutsche und das Polnische (vgl. Haarmann 1976, Moravcsik 2013). Trotz der sprachsystematischen Unterschiede haben die aufgeführten Sprachen gemeinsam, dass das Funktionsverbgefüge Frage stellen in ihrem Wortschatz vorkommt, sogar im Lateinischen.

Im Polnischen, der Vergleichssprache dieser Arbeit, existieren Funktionsverbgefüge im weiteren Sinn, wie z.B. Frage stellen – zadać/zadawać pytanie, aber auch Funktionsverbgefüge im engeren Sinn, wie in Gang bringen – auf Polnisch puścić coś w ruch ‚etwas in Gang bringen‘, was überraschend ist, weil es für in Gang bringen ja das Verb uruchomić ‚in Gang bringen‘ gibt, d.h. trotz des Ausdrucks von Kausativität durch das Verb uruchomić ‚in Gang bringen‘ existiert im Polnischen ein kausatives Funktionsverbgefüge, das mit dem Basisverb in Ableitungsrelation steht und ebenfalls Kausativität ausdrückt (vgl. Korytkowska 2004; Skibicki 2016: 288ff.). Würden die Funktionen von Funktionsverbgefügen also allein im Ausdruck von Aspekt und Aktionsart liegen, dann dürfte es im Polnischen dem Ökonomieprinzip der Sprache nach (Sivula 1989, Barz 1997) keine Funktionsverbgefüge geben. Und würden sich Funktionsverbgefüge, wie Frage stellen, nicht von Basisverben unterscheiden, würde dies bedeuten, dass sich typologisch unterschiedliche Sprachen semantische Dubletten leisten würden (vgl. s. Kap. 1.2.3). Warum existieren derartige Mehrwortlexeme in so vielen typologisch unterschiedlichen Sprachen, wenn es entsprechende Basisverben gibt?

In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Forschungszweig wesentlich, der sich mit den Arbeiten von Daniels (1963), Schmidt (1968) und Popadić (1971) entwickelte. Diese Arbeiten konzentrieren sich v.a. auf die semantischen und syntaktischen Leistungen von Funktionsverbgefügen in Gegenüberstellung mit Basisverben, d.h. sie untersuchen die Konstruktionen auf ihren pragmatischen Mehrwert. Die Autoren und Autorinnen werten in ihren Analysen authentische Sprachdaten in Form von literarischer Prosa (Daniels 1963) und Zeitungsartikeln aus (Schmidt 1968, Popadić 1971) und stellen damit die ersten Arbeiten mit korpuslinguistischem Ansatz dar. Häufig finden sich in diesen Arbeiten Funktionsverbgefüge im weiteren Sinn, wie z.B. eine Feststellung machen (Daniels 1963: 230), einen Befehl geben (Schmidt 1968: 50) oder Arbeit/Beitrag leisten (Popadić 1971: 43f.), d.h. weniger lexikalisierte und syntaktisch restringierte Gefüge (Daniels 1963; Schmidt 1968: 56; Popadić 1971, Eroms 2000; Hinderdael 1985; Storrer 2006a, 2006b, 2007, 2013). Derartige Leistungen von Funktionsverbgefügen werden in der Forschungsliteratur zu Nomen-Verb-Verbindungen unter stilistischen, syntaktischen oder kommunikativen Leistungen zusammengefasst (vgl. Daniels 1963, Schmidt 1968: 56; Hinderdael 1985), vgl. die folgende Auflistung:

Modifikation und Spezifizierung der Funktionsnomen durch Attribute (vgl. Daniels 1963: 230; Popadić 1971: 56; Hinderdael 1985: 256; Heine 2005: 163f.; Helbig/Buscha 2011: 90)

„Zusammenballung und Konzentration von Aussagen auf engem Raum“ (Daniels 1963: 227, s. dazu auch Schmidt 1968: 70f.; Popadić 1971: 56; Hinderdael 1985: 256ff.; Seifert 2004: 106, 195)

Verteilung der Komponenten des Gefüges auf mehrere Sätze (vgl. Daniels 1963: 230; Storrer 2006a: 173; Schmidt 1968: 49f.; Popadić 1971: 51)

Valenzreduzierung und Vereinheitlichung der Valenz (Heringer 1968; Popadić 1971: 40; Hinderdael 1985: 214; Seifert 2004: 192; Helbig/Buscha 2011: 93; Heidolph et al. 1984: 439)

Präzision der Aussage (Schmidt 1968: 97; Popadić 1971: 25), Aussagenverallgemeinerung (vgl. Hinderdael 1985: 213f.; Popadić 1971; Helbig/Buscha 2011: 93)

Perspektivierung der Handlung (vgl. Daniels 1963: 226/229; Schmidt 1968: 68)

Betonung und Gewichtung unterschiedlicher Positionen der Glieder im Satz (Popadić 1971: 25; Hinderdael 1985: 159; Helbig/Buscha 2011: 94), Auswirkungen auf kommunikative Struktur und thematische Progression (vgl. Hinderdael 1985: 218f.; Seifert 2004: 192; Heine 2006: 162ff.)

Referenzfähigkeit (Heidolph et al. 1984: 441; Eroms 2000: 170), Wiederaufnahme im Folgetext (Seifert 2004: 197; Schmidt 1968: 73; Hinderdael 1985: 221; Storrer 2006a/2013, Gautier 1998; Helbig/Buscha 2011: 88)

Semantische und syntaktische Leistungen von Funktionsverbgefügen werden mit kommunikativen verknüpft und die Autoren und Autorinnen weisen auf besondere Leistungen von Funktionsverbgefügen im Textzusammenhang hin (vgl. Gautier 1998, Seifert 2004, Storrer 2006a, 2013). Beispielsweise können die Funktionsnomen durch Attribute modifiziert werden und so auf eine bestimmte Weise im Text dargestellt werden (vgl. Daniels 1963: 230; Popadić 1971: 56; Hinderdael 1985: 256; Heine 2006: 163f.; Lucius-Hoene/Deppermann 2004: 171) oder die Informationen können im Text unterschiedlich angeordnet und wiederaufgenommen werden, wodurch sich eine „unterschiedliche kommunikative Struktur“ (Hinderdael 1985: 218f.; s.a. Heine 2006) ergibt, die die „thematische Progression“ (Seifert 2004: 192; s.a. Storrer 2013) im Text beeinflusst.

Die aufgeführten Arbeiten zeigen, dass Funktionsverbgefüge spezifische semantische, syntaktische und kommunikative Funktionen erfüllen können. Trotz der zahlreichen Hinweise in der Forschungsliteratur auf den Zusammenhang von Funktionsverbgefügen mit der Strukturierung von Informationen im Text, existiert keine mir bekannte deutsche, polnische bzw. deutsch-polnische Monographie, die Leistungen von Nomen-Verb-Verbindungen auf der Ebene des Textes fokussiert. Was also bislang fehlt, ist eine systematische Klassifikation von Funktionsverbgefügen nach ihren Leistungen im Textzusammenhang. Auf den textlinguistischen Hintergrund der vorliegenden Arbeit gehe ich im Folgenden ein.

31. Textlinguistischer Hintergrund

In der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen werden Leistungen der Konstruktionen in Gegenüberstellung mit Basisverben aufgeführt (vgl. z.B. Seifert 2004), die sich auf syntaktische, semantische und kommunikative Eigenschaften von Äußerungen beziehen. Dazu gehören beispielsweise die Erweiterung der Nominalphrase des Gefügenomens, Änderungen der Thema-Rhema-Gliederung und die Wiederaufnahme des Gefügenomens im Folgetext (Hinderdael 1985: 218f.; Seifert 2004: 192; Heine 2006: 162ff.; Heidolph et al. 1984: 441; Eroms 2000: 170). Diese Leistungen lassen sich von der Ebene des Textes aus betrachten, also aus Sicht der Textlinguistik, auf deren wesentliche Konzepte und Theorien ich im Folgenden eingehe.

Die Textlinguistik befasst sich mit dem Zusammenhang sprachlicher Einheiten und ihrer Verknüpfung zu einem textuellen Gebilde (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 13; Brinker/Cölfen/Pappert 2018: 13). Die grundlegende Analyseeinheit der Textlinguistik ist der Text, der definiert wird als

[…] thematisch und/oder funktional orientierter, kohärenter sprachlicher oder sprachlich-figürlicher Komplex, der mit einer bestimmten […] Kommunikationsabsicht […] geschaffen wurde, eine erkennbare kommunikative Funktion […] erfüllt und eine inhaltlich und funktional abgeschlossene Einheit bildet. (Göpferich 1995: 56f.)

Wesentlich ist innerhalb der Textlinguistik das hier angesprochene Konzept der Kohärenz, das sich als inhaltlicher und formaler Zusammenhang von Sinnrelationen im Text beschreiben lässt (vgl. Busse 1992; Brinker/Cölfen/Pappert 2018: 24). Kohärenz kann implizit durch die mentale Verknüpfung von sprachlichen Einheiten durch den/die Rezipent*in erzeugt werden oder explizit durch grammatisch-funktionale sprachliche Mittel auf der Textoberfläche, d.h. durch die sog. Kohäsion und ihre Kohäsionsmittel, mit denen Inhalte im Text miteinander verknüpft und wiederaufgenommen werden können (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 84f.; Brinker/Cölfen/Pappert 2018: 29/36; Breindl 2016: 42; s. Kap. 3.4; 4.2.5).

Mit Konnexion wird die Textverknüpfungsart bezeichnet, mit der sprachliche Einheiten auf linearer Ebene durch Konnektoren miteinander verbunden werden (vgl. Brinker et al. 2001: 331; Schwarz-Friesel/Consten 2014: 84ff.), wie z.B. durch die Kon- oder Subjunktionen und und weil im folgenden Beispiel:

Karl und Sophie können nicht kommen (S1), weil sie keine Zeit haben (S2).

Sowohl die Nominalphrasen Karl und Sophie als auch die beiden Sätze Karl und Sophie konnten nicht kommen und sie hatten keine Zeit werden durch die Kon- bzw. Subjunktionen und und weil additiv bzw. kausal miteinander verbunden. Je nach Art der Verknüpfung wird hier von einer textuellen Ko- oder Subordination gesprochen (vgl. Brinker et al. 2001: 331f.). Demnach werden die Nominalphrasen Karl und Sophie durch und koordiniert, die beiden Sätze S1 und 2 werden dagegen subordiniert.

Konnexion kann aber auch implizit realisiert werden, d.h. die Verknüpfung der sprachlichen Einheiten ist auf der Textoberfläche nicht sichtbar, sondern wird vom/von der Rezipient*in/en mental hergestellt, wie z.B.:

Sie konnten nicht kommen (S1). Sie haben keine Zeit (S2).

Die Verknüpfung zwischen Satz 1 und 2 kann hergestellt werden, weil angenommen wird, dass durch die Anordnung der Sätze eine Folge und Ursache ausdrückt wird, d.h. eine kausale Relation (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 86f.). Dass es sich bei Satz 2 um eine Begründung für den in Satz 1 ausgedrückten Sachverhalt handelt, wird nur nicht – wie oben in Bsp. (1) durch eine kausale Subjunktion – explizit gemacht (vgl. Brinker et al. 2001: 338f.), sondern wird geschlussfolgert. Dieser Schlussfolgerungsprozess wird in der Textlinguistik als Inferenz bezeichnet (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 70; Breindl 2016: 38ff.; s. Kap. 4.2.5.1.5).

Dass die beiden Sätze als Folge und Ursache verstanden werden können, liegt zudem an ihren Subjekten sie, die als dieselben Textreferent*innen interpretiert werden können – sie aus Satz 1 wird in Satz 2 wiederaufgenommen. Die Wiederaufnahme und Weiterführung von Textreferenten wird in der Textlinguistik mit dem Konzept der Phorik beschrieben (vgl. Brinker/Cölfen/Pappert 2018: 29; Schwarz-Friesel/Consten 2014: 76f.; Stede 2018: 64f.): In einem Text werden nämlich nicht nur sprachliche Einheiten durch Konnexion miteinander verknüpft, sondern es wird auch eine Textwelt aufgebaut, in die fiktive wie real existierende Textreferenten eingeführt werden können (vgl. Schwarz-Friesel/Consten 2014: 58f.), wie z.B.:

Heute ist ein Virologe zu Gast.

Durch die Nominalphrase ein Virologe