Lela Hundertschön, Krokodilkind und der schusslige Zauberer Prax - Klaus Möckel - E-Book

Lela Hundertschön, Krokodilkind und der schusslige Zauberer Prax E-Book

Klaus Möckel

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Beschreibung

Im schönen Land Prix, wo es noch Kobolde, Vampire und feuerspeiende Drachen gibt, lebt in einem kleinen Haus der Zauberer Tino Prax, ein lustiger Bursche mit langem Haar und großen Ohren. Da er in der Schule nicht richtig aufgepasst hat und überhaupt etwas schusslig ist, passiert es ihm oft, dass er beim Hexen etwas verwechselt. Zum Beispiel zaubert er Lela Hundertschön, die von ihm verehrt wird, Blumen in die Wohnung, die so große Büsche bilden, dass sie alle Zimmer ausfüllen. Lela muss immer wieder den Zauber-Reparaturdienst um Hilfe bitten, worüber sie sehr erzürnt ist. Sie will nichts mehr von Tino wissen und beginnt lieber ein Studium an der "Höheren Schule für Ahnenspuk". Der Zauberer ist darüber sehr traurig, möchte gar nicht mehr leben. Doch dann beschließt er, sich einen kleinen Gefährten herbeizuhexen, einen sprechenden Hund. Aber wie vorauszusehen, bringt er wieder etwas durcheinander, und so sitzt ihm plötzlich ein kleines Krokodil gegenüber. Geschockt versucht er es loszuwerden, doch das kluge Tier hat etwas dagegen. Krokodilkind ist unternehmungslustig und erstaunlich gewitzt, sein "Papa" möchte es schon bald nicht mehr missen. Dabei hat es die kleine Echse mit diesem Zauberer, der einen aus Versehen an die Decke klebt und sich selbst in einen Bottich hext, wirklich nicht leicht. Doch die beiden werden Freunde, und als Lela Hundertschön plötzlich verschwindet, ohne dass man weiß, weshalb und wohin, machen sie sich unverzüglich auf die Suche. Ein gefährliches Unterfangen beginnt, bei dem sie es mit wilden Hornissen, Riesenschlangen, Drachen und vor allem dem Meister aller Hexer, Wassilow Dongi, zu tun bekommen, der sich für den größten Magier im Lande Prix hält und für Lela ein schreckliches Schicksal vorgesehen hat. Doch die beiden finden auch Verbündete wie die gestrenge Schuldirektorin Tramora, die ihre ganz besonderen Gründe hat, gegen Dongi zu kämpfen, und sie wissen sich vor allem immer wieder selbst zu helfen. Spannende Abenteuer und eine Menge Überraschungen hält diese fantasievolle Geschichte für den Leser bereit. Mit dem schussligen Zauberer Prax und seinem schlagfertigen Freund Krokodilkind hat der Autor ein Gespann geschaffen, das Kindern wie Erwachsenen ans Herz wächst.

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Impressum

Klaus Möckel

Lela Hundertschön, Krokodilkind und der schusslige Zauberer Prax

ISBN 978-3-95655-199-4 (E-Book)

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

© 2014 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Erster Teil: Die Entführung

1. Ein trauriger Zauberer

Im Land Prix hinter den dreizehn Meeren, wo es noch Geister, Kobolde, Hexen und feuerspeiende Drachen gibt, lebte einmal ein Zauberer, der in der Schule nicht richtig aufgepasst hatte. Deshalb beherrschte er die hohe Kunst des Verwandelns und Verhexens nur schlecht, verdrehte die Zauberformeln und schuf dabei manches Durcheinander. Einmal zum Beispiel, als er seine Lieblingsspeise herbeiwünschte, Mandelpudding mit Erdbeersoße, landete sie statt auf seinem Tisch auf der Terrasse des Nachbarn. Dort saß gerade der Kater Moritz und putzte sich. Die Speise klatschte vor ihm auf die Fliesen und spritzte ihm in die Schnauze, so dass er nicht nur vor Schreck einen Satz zur Seite machte, sondern auch minutenlang blind war und zehnmal hintereinander niesen musste. Rot und weiß besprenkelt, sah er selber wie ein Pudding aus.

Der Kater fauchte, doch als er sich abzulecken begann, war der Ärger vorbei - die Speise schmeckte ihm. Der Zauberer aber verzichtete auf einen zweiten Nachtisch. Wer wusste, was bei einer Wiederholung des Experiments passieren würde.

Ein andermal verlangte es Tino Prax, denn so hieß der junge Mann, bei starkem Gewitter nach einem Regenschirm. Er zückte seinen Zauberstab, ein altes, wunderbar glitzerndes Erbstück, in das allerlei Zeichen eingeritzt waren, und rief "Magrifax pix perplix!". Doch was geschah? Plötzlich hielt er in der anderen Hand eine gefährliche Giftschlange, die ihn anzischte und beißen wollte. Mit einer Verwünschung schleuderte er sie von sich, aber sie wurde zum gelben Blitz, der hinter ihm in die Erde fuhr und ihm die Waden verbrannte. Er konnte noch von Glück reden, dass er nur pitschnass wurde und bloß mit angesengtem Hosenboden nach Hause kam.

Tino Prax war ein lustiger Kerl mit großen Ohren und langem blonden Haar, das er jeden Morgen sorgfältig um seine Ohren herumlegte. Damit wollte er Lela Hundertschön gefallen, der Tochter eines ehemaligen Lehrers, denn in die hatte er sich verliebt. Allerdings wurde seine Liebe nicht erwidert. Zwar trafen sie sich ein paarmal, aber dabei blieb es dann auch. Lela interessierte sich nicht mehr für ihn, studierte sie doch inzwischen an der "Höheren Schule für Ahnenspuk" und hoffte, eines Tages in den Geisteradel aufzusteigen.

Prax zauberte Lela wunderschöne Blumen aufs Zimmer, deren prächtigste ein Geflecht ihrer beider Namen bildeten. Nur zerfielen die Sträuße leider schnell zu Staub oder wucherten zu unansehnlichem Buschwerk empor, das die ganze Stube füllte. Lela musste mehrmals den Reparaturzauberdienst holen, was ihr natürlich nicht gefiel. Sie schickte alle Rechnungen an Tino und forderte ihn nachdrücklich auf, sie endlich in Ruhe zu lassen. Nicht nur, dass er ihr völlig gleichgültig sei, sie würde ihn auch für ungeschickt und aufdringlich halten, wolle nichts mehr von ihm hören oder sehen.

Als er diese Botschaft bekam, war Tino am Boden zerstört. Er bezahlte die Rechnungen, indem er ein anderes Erbstück von der Großmutter ins Pfandhaus brachte, seinen magischen Handschuh. Man konnte damit verschlossene Türen fremder Leute öffnen, was aber zu Recht als unanständig galt und strengstens verboten war. Dennoch fiel es ihm sehr schwer, den magischen Handschuh wegzugeben, hatte er doch lange Zeit mit dem Gedanken gespielt, in Lelas Abwesenheit bei ihr einzudringen und ihr ein Schokoladenherz oder eine große mehrstöckige Torte mit seinem Signum zu hinterlassen. Nun aber schien alles verloren, und so brauchte er auch diesen Türöffner nicht mehr.

In der Tat, Tino Prax war zutiefst niedergeschlagen, verfiel ganz und gar in Trübsinn. Er aß kaum, trank nur manchmal etwas Wasser, ging nicht mehr aus dem Haus, ja, er spielte sogar mit dem Gedanken, sich von den Felsen hinter der Stadt in die Schlucht zu stürzen, an deren Grund ein reißender Bergbach sprudelte. Das Leben, sagte er sich, hat für mich ja doch keinen Sinn mehr.

Das ging lange Zeit so, sieben Stunden, sieben Tage, sieben Wochen. Bis eines Morgens vorm Fenster einige Kinder mit einem Hund herumtollten. Es handelte sich um eine Promenadenmischung mit braunem Wuschelfell, glänzend schwarzen Augen und ebenso schwarzen Pfoten. Obwohl der Hund ein bisschen hinkte, machte er lustige Sprünge, rannte allen Bällen hinterher, die man ihm zuwarf, war für jeden Spaß zu haben. Er schien ein Herz und eine Seele mit den Kindern, die ihn umherjagten und mit ihm schmusten. Sogar in den Teich jenseits der Straße stürzte er sich, wenn sie einen Stock ins Wasser warfen.

Was für ein treues und freundliches Tier, dachte Prax, und ihm kam eine Erleuchtung. Musste er denn unbedingt ein Mädchen wie Lela an seiner Seite haben, um fröhlich zu sein? Gut, sie war, wie schon der Name sagte, sehr schön mit ihrem langen, rötlichen Haar, ihren strahlend blauen Augen und der schlanken Figur. Auch jetzt noch, nachdem sie ihn so hatte abblitzen lassen, bebte sein Herz, wenn er an sie dachte. Doch vielleicht konnte ihm so ein vierbeiniger Gefährte gleichfalls ein wenig Freude bringen, und sei es nur zum Trost. Es kam auf einen Versuch an.

2. Die alte Truhe

Nun hätte der Zauberer, selbst wenn er im Augenblick kaum Geld besaß, sich einen Welpen im Tierheim oder bei einem Züchter aussuchen und vielleicht auf Raten bezahlen können. Aber da gab es einen Haken. So ein Vierbeiner würde ihm schon gut tun, doch er brauchte auch jemanden, mit dem er sich unterhalten, seine Gedanken austauschen konnte. Ich bin schon viel zu lange allein, sagte sich Tino, habe keine Freunde, spreche höchstens mal mit dem Nachbarn übers Wetter. Was nützt es, wenn ich meine Sorgen einem Tier anvertraue, das mir nicht antwortet. Es hört mir zu, schaut mich mit treuen Knopfaugen an, doch verstehen kann es mich nicht. Einen Rat kann es mir gleich gar nicht geben.

Deshalb beschloss Prax, auf Züchter und Tierheim zu verzichten, und schlug einen anderen Weg ein. Er wollte im "Großen Buch der Hexenkünste" nachlesen und sich ein Hündchen herbeizaubern. Ein sprechendes Hündchen! Er war überzeugt, dass es eine Anleitung dafür gab.

Tino stieg also in den Keller seiner wackligen Hütte hinunter, um nach dem Buch zu suchen, das gleichfalls von der Großmutter stammte. Oder vom Vater ihres Großvaters, wer wusste das schon so genau. Eins stand fest, er hatte eine Ewigkeit nicht darin gelesen, die altertümliche Schrift und verzwickte Abfassung der Sätze hatten ihn davon abgehalten. Tino Prax war einfach ein bisschen faul. Lieber war er seiner Eingebung gefolgt und dem, was ihm einst in der Schule beigebracht worden war. Genauer gesagt, was er sich davon gemerkt hatte, denn dass es da große Lücken gab, haben wir bereits erfahren.

Hier könnte man fragen, ob Prax denn keine Eltern hatte, die ihm beim Zaubern und anderweitig mit Rat und Tat zur Seite stehen konnten. Nein, die hatte er leider nicht mehr. Schon vor Jahren, als er gerade mal zehn gewesen war, hatten sie bei einem schlimmen Unfall ihr Leben verloren. Sie waren beim Flug über die Berge mit einem fremden, viel zu schnellen Besen zusammengestoßen und abgestürzt.

Wie üblich bei den Zauberern, gab es im Keller eine alte, eisenbeschlagene Truhe mit zwei gewaltigen Schlössern, in der im Allgemeinen die Wertsachen aufbewahrt wurden. Tino aber besaß außer dem Buch und seinem Zauberstab keine Wertsachen, weshalb die Truhe meist offen stand. Sie war mit allerhand Kram gefüllt, mit leeren Bonbonbüchsen, einem kaputten Ventilator, einem Papierdrachen ohne Schwanz, mit zerbeulten Fußballschuhen, einem Bumerang und einem Nagelbrett, auf dem Prax einst Fakir geübt hatte.

Das "Buch der Hexenkünste" musste unter all diesem Krempel liegen. Als der Zauberer sich jedoch nach vorn beugte, um es hervorzuziehen, begannen die Blechbüchsen wie von selbst zu scheppern, und unvermutet sprang ihm aus dem Dunkel eine Ratte entgegen. Erschrocken stieß Tino ein "Bibifax kek" hervor, einen Abwehrspruch gegen Gespenster und andere Spukgestalten. Die Ratte allerdings schien wenig beeindruckt. Zwar zog sie sich, beleidigt pfeifend, in einen Winkel des Kellers zurück, blieb dort aber sitzen, ohne Furcht zu zeigen, und putzte sich mit der Pfote die langen Barthaare, so als habe sie soeben ein prächtiges Mahl genossen.

Der Zauberer warf ihr einen ärgerlichen Blick zu und holte das schwere Buch hervor. Richtig wütend aber wurde er, als er es in dem schwachen Licht betrachtete, das durch eine Luke in den Keller drang. Nun begriff er, worin die Mahlzeit der Ratte bestanden hatte. Sie hatte das kostbare Werk an allen vier Ecken angeknabbert und sogar Seiten herausgerissen. Als er den Band aufschlug, lösten sie sich, flatterten zu Boden. Von einigen Blättern waren nur noch Reste vorhanden.

Prax schleuderte aufgebracht eine Blechbüchse nach der Ratte, so dass sie aufhörte, an sich herumzuputzen, und endlich durch eine Ritze verschwand. Mit einem letzten frechen Pfeifen, als wollte sie sagen: Warum lässt du die Truhe auch wochenlang offen stehen?

3. Das Zauberbuch

Als Tino die losen Seiten eingesammelt, das Buch nach oben gebracht und es mit einem weichen Lappen vorsichtig gesäubert hatte, sah es wieder ganz ordentlich aus. Gewiss, die Schrift war hier und da verblasst, bei manchen Formeln fehlten Anfang oder Ende, doch ihm kam es im Moment ja nur auf ein einziges Kapitel an: auf die Anleitung zum Erschaffen eines sprechenden Vierbeiners. Er hoffte, dass die Ratte nicht gerade diese Seite zerfetzt hatte.

Mit Feuereifer begann Prax zu blättern. Am Anfang standen die einfachen Sachen: Wie man einen Rinderbraten auf den Tisch zaubert oder verschwinden lässt, wie man Feuer löscht, ohne Wasser, Sand oder eine Decke zur Hand zu haben, wie man eine Glühbirne ohne Strom zum Leuchten bringt. Schwieriger war es da schon, sich in ein Rad, einen Tisch oder eine Sitzgelegenheit zu verwandeln.

Tino erinnerte sich an eine Schulstunde, in der sie das geübt hatten, und musste plötzlich lachen. Wie lange war das nun schon her! Sie hatten die Aufgabe: "Werde zum Stuhl" nicht richtig ernst genommen, deshalb hatte es bei keinem geklappt. Außer bei Korintus, ihrem Klassenersten, einem ziemlichen Streber. Der hatte sich in verschiedene Sessel verwandelt, und, um es ihnen zu zeigen, in der großen Pause gleich noch eins draufgesetzt. Da stand er plötzlich als ein prächtiger Fürstenstuhl vor ihnen, mit vergoldeter Lehne und zierlich gedrechselten Beinen. Er wollte zeigen, wie viel Fantasie er besaß.

Das Schönste aber: Er hatte den wichtigen Spruch für die Rückverwandlung vergessen - was für ein Gaudi! Zu zweit und zu dritt hatten sie sich auf ihn gesetzt, so dass er unter der Last fast zusammengebrochen war. Natürlich hatten sie ihm die Formel nicht verraten, sondern ihn anstelle des üblichen Stuhls hinters Lehrerpult geschoben. Der Lehrer der nächsten Stunde aber, ein zerstreuter alter Herr mit Namen Barnabil, merkte das nicht. Er ließ sich nieder und erzählte mit großen Gesten von der Hexenkunst der Vorfahren.

Irgendwann fiel Korintus die vertrackte Formal dann doch noch ein, und als sich der Lehrer einmal von seinem Sitz erhob, wurde er schnell wieder er selbst, schlich geduckt zu seinem Platz zurück. Barnabil aber setzte sich polternd auf den Hintern, und all das geschah so überraschend, dass die ganze Klasse in Lachen ausbrach.

Barnabil glaubte, Korintus habe ihm einen Streich spielen wollen, und verdonnerte ihn zu fünfzigmaligem Abschreiben der Abhandlung "Wie man aus einem Königssohn einen Frosch macht". Zwei Stunden quälte sich der Angeber damit ab.

Aus einem Königssohn einen Frosch, dachte Prax jetzt, das ist immerhin ein Hinweis. Warum nicht statt diesem Kaltblüter einen sprechenden Hund herbeizaubern. Aber wo sollte er einen Königssohn hernehmen. Allzu viele davon gab es im Land nicht.

Er blätterte weiter, und die Aufgaben wurden verzwickter. Durch ein verschlossenes Tor gehen, ohne sich zu verletzen und ohne Spuren zu hinterlassen. Über Wasser schreiten, ohne die Schuhe nass zu machen. Mit einem Flugring auf zweihundert Meter Höhe steigen. Einen Schatz finden, der am Grund eines unbekannten Gewässers liegt.

Einen Schatz hätte Tino Prax gern gefunden, ganz gleich, ob das Gewässer bekannt war oder nicht. Aber dazu waren unendlich viele Vorbereitungen zu treffen und genaue Regeln einzuhalten, wofür ihm im Augenblick die Zeit fehlte. Nein, Zaubern war wirklich keine einfache Sache!

Prax schlug einige Seiten um und stieß auf ein in kräftigen Farben gemaltes Bild. Ein kleines Mädchen kniete auf einer Wiese und hielt drei Pflanzen in der Hand. Eine davon kannte der Zauberer, es war Sauerampfer. Eine zweite mit langen schmalen Blättern konnte Spitzwegerich sein – als Kind hatte er der Mutter welchen für den Salat gebracht. Die dritte hatte gelbe Blüten und kleine runde Blätter, er glaubte sie noch nie gesehen zu haben.

Es war ein bewegtes Bild, wie man sie bei Werbungen im Fernsehen findet. Plötzlich zerrieb das Mädchen die Pflanzen über einer Schüssel mit dampfendem Wasser, und ein kurzer Zauberspruch wurde sichtbar: "Oreni Reni Noreni Dux, werde zum Luchs!" Das Mädchen schwang einen Stab, und ein Vierbeiner mit großen spitzen Ohren und schönem gefleckten Fell sprang aus der Schüssel. Das ist dann wohl ein Luchs, dachte Tino, der sich bei solchen Wildtieren nicht auskannte. Er begann die Erläuterung zu studieren, die unter dem Bild stand.

"Willst du ein Wesen erschaffen, mit vier, sechs oder acht Beinen, mit scharfen Zähnen oder einem Horn, schlank oder gedrungen, mit Fell oder glänzender Haut, dann suche diese drei Kräuter. Doch achte darauf, dass es bei abnehmendem Mond geschieht! Sprich die Formel, die im siebzehnten Kapitel verborgen ist, und schwinge den Stab. Aber wiederum Achtung, denn dem Tier muss das Zeichen entsprechen, das du im Kapitel siebenundzwanzig entdeckst."

Tino kratzte sich den Kopf – das war wirklich kompliziert. Erst das siebzehnte und dann das siebenundzwanzigste Kapitel! Sehr geheimnisvoll das Ganze!

Zwei Tage und drei Nächte brauchte Prax, um die Formel und die jeweiligen Tierzeichen zu finden: Es gab eins für jede Gattung, für Pferde, Schweine, Rehe, Hasen. Er studierte und studierte, ein Durcheinander von Worten und Bildern, das er lange Zeit nicht entschlüsseln konnte. Zum Glück hatte die Ratte hier nur die Ecken abgenagt. Erst als er, vom vielen Grübeln und Kombinieren schon wirr im Kopf, auf die Idee kam, mit dem Zauberstab über die Seiten zu streichen, formierten sich die Buchstaben und ergaben einen Sinn:

  "Lehm aus dem Graben,

Dreifach Arznein,

Schreibe mit Blut

Das Zeichen hinein.

Feuer und Wasser,

Sag deinen Spruch,

Im Morgennebel

Wag den Versuch."

Der Spruch selbst lautete: "Assem, Axedem, sollst dich erheben aus totem Erdreich zu wachem Leben".

Der Zauberer ging ans Werk. Er holte Lehm aus dem Graben hinterm Haus, stellte die größte Schüssel auf den Herd, die er in der Küche fand, füllte sie mit Wasser. Er legte einen großen Klumpen Lehm bereit, suchte bei abnehmendem Mond auf der Wiese Spitzwegerich und Sauerampfer. Doch dann gab es Probleme. Er hatte Schwierigkeiten, die dritte Pflanze zu finden, die im Buch abgebildet war, die mit den gelben Blüten. Er brauchte wiederum Stunden, um sie an einer sumpfigen Stelle nahe des Teiches zu entdecken. Wenigstens hoffte er, dass es die richtige war.

Zum Glück war Herbst, so dass morgens vorm Fenster der Nebel wallte. Als Tino alles bereit hatte, wurde er plötzlich nervös. Er bekam nachts kein Auge zu, stand lange vor Morgengrauen auf. Und genau da fiel ihm ein, dass er ja das Wichtigste vergessen hatte. Sein Hündchen sollte doch sprechen können! Davon aber hatte in der Anleitung kein Wort gestanden.

In fliegender Hast schlug Prax erneut das Zauberbuch auf, denn er durfte nicht warten, bis der sich Nebel verzogen hatte. Tatsächlich, kein Hinweis, wie dem zum Leben erweckten Wesen die menschliche Sprache vermittelt werden konnte. Erst an einer ganz anderen Stelle des Werks fand er in der Rubrik "Besonderheiten" die Bemerkung:

"Willst du aber, dass ein Vierbeiner, ein Vogel oder ein Lurch redet, als wäre er deinesgleichen, so verdopple das Zeichen und wiederhole den Spruch. Aber sei sorgsam in deinen Ausführungen."

Das werde ich, dachte Tino erleichtert, und schürte das Feuer im Ofen. Das Wasser in der Schüssel begann zu dampfen, es wurde Zeit, den Lehmklumpen hineinzuwerfen.

Zunächst aber musste er sich in den Finger schneiden, um etwas Blut zu erhalten. Klar, dass ihn das große Überwindung kostete, wer tut sich schon gern selbst weh. Schließlich griff er dennoch beherzt zum Messer und drückte die Schneide ins Fleisch. Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen, doch zugleich trat ein dicker Tropfen aus der Wunde.

Mit der blutigen Messerspitze ritzte Prax zweimal das Zeichen für Hund in den Lehmklumpen, ein großes H mit einer Schleife unten. In seiner Aufregung verhedderte er sich jedoch, so dass aus dem zweiten H eine Art K wurde, was er freilich nicht merkte. Er bestreute den Lehmklumpen mit den Kräutern und warf ihn ins kochende Wasser. Dann schwang er seinen prächtigen Zauberstab: "Assem, Axedem, sollst dich erheben, aus totem Erdreich zu wachem Leben!" Diese Worte wiederholte er, ganz wie es im Buch verlangt wurde.

Das Wasser brodelte und zischte, eine gewaltige Dampfwolke stieg zur Decke, sonst aber geschah nichts. Eine ganze Weile jedenfalls. Bis auf einmal mit einem Knall die Schüssel vom Herd sprang und scheppernd durch die Stube rollte. Auf dem Boden aber, in einer Pfütze, lag ein grünliches kleines Ding mit spitzer Schnauze, schuppigem Schwanz und vier zur Seite gespreizten Pfoten.

"Das ... das ist kein ... k...kein Hund", stotterte Tino überrascht.

Die Spitzschnauze hob sich vom Boden. "Natürlich bin ich kein Hund", sagte sie.

"Und wer bist du dann?"

"Krokodilkind."

"Krokodilkind?"

"Was sonst? Das sieht man doch." Das grüne Ding richtete den Oberkörper auf, indem es sich auf die Vorderbeine stützte, und schaute sich neugierig im Raum um.

"Dich will ich nicht!" Prax hatte sich etwas von seinem Schrecken erholt und griff zum Zauberstab.

"Und warum hast du mich dann herbeigeholt?"

"Offenbar ist mir da ein Fehler unterlaufen. Ich wollte einen Hund. Diesen Fehler werde ich jetzt korrigieren."

Das Krokodilkind schien ein Stück gewachsen. Es richtete den Oberkörper noch weiter auf und sah Tino durchdringend an: "Auf meine Kosten! Das nenne ich eine feine Moral."

Wider Willen fühlte sich der Zauberer von diesem Argument berührt. "Du willst mir ein schlechtes Gewissen machen."

Die kleine Echse schwieg.

"Aber gerade warst du noch ein Lehmklumpen. Riplifax Tex Plex ..." Prax hob den Stab.

"Halt", sagte Krokodilkind mit fester Stimme. "Ein Lehmklumpen war ich mal. Jetzt bin ich viel mehr, ein lebendes Wesen."

"Aber du bist kein Hund, mit dem ich mich unterhalten kann."

"Wir unterhalten uns doch. Das andere hatten wir schon", erklärte die Echse.

Ein wenig ratlos ließ Tino den Zauberstab wieder sinken. Irgendwie begann ihn dieses Krokodil zu beeindrucken.

4. Freunde?

Um ehrlich zu sein – Prax war sich gar nicht sicher, ob er das Krokodil mit einem seiner Zaubersprüche wieder zu Lehm machen konnte, über so etwas hatte er bisher nicht nachgedacht. Außerdem erinnerte er sich an die Mühen, die er aufgewandt hatte, um dieses Wesen zu erschaffen. Nun war es da und hatte zumindest in einem Punkt recht: Sie unterhielten sich. Nein, anständig wäre es nicht, den Grünling gleich wieder ins Nichts zurückzuschicken. Warten wir mal ab, wie er sich weiterhin benimmt, überlegte der Zauberer.

"Wie stellst du dir das mit uns beiden vor?", fragte er.

"Hast du einen Teich in deinem Garten?"

"Drüben über der Straße ist einer, aber da kannst du nicht hin, du würdest die Leute erschrecken."

"Warum?"

"Sie fürchten, dass du nach ihnen schnappst. Du bist zwar noch klein, aber du könntest wachsen."

"Das will ich hoffen", sagte Krokodilkind. "Hast du wenigstens einen Tümpel hinterm Haus?"

"Höchstens eine große Pfütze."

"Das genügt für den Anfang. Wir können sie ja vertiefen." Und als würde Krokodilkind schon immer hier leben, wandte es sich zur Hintertür.

"Einen Moment", rief Prax.

"Was ist denn noch?"

"Du hast wahrscheinlich scharfe Zähne."

"Und ob. Klein, aber scharf!"

Das könnte später gefährlich für mich werden, dachte Tino, behielt es freilich für sich.

Das Reptil begriff trotzdem. "Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten", sagte es ein wenig herablassend. "Ich bin doch dein Freund. Ab jetzt kannst du mich übrigens Kroko nennen, das ist einfacher." Dann begab es sich ohne jede Hast in den winzigen Garten des Zauberers, um seine Pfütze in Augenschein zu nehmen.

Die Tage vergingen, und Prax brachte es nicht fertig, Kroko mit der lustigen grünen Schnauze zurück in einen Lehmklumpen zu verwandeln, obwohl er inzwischen die Formel dafür gefunden hatte. Der Grund: Sie gewöhnten sich aneinander. Der Zauberer hatte Tisch und Stuhl in den Garten gestellt, so dass er dort frühstücken oder auch Abendbrot essen konnte, wenn schönes Wetter war. Für seinen kleinen Gast kaufte er Hunde- und Katzenfutter mit großen Fleischstücken, brachte auch manchmal Fisch vom Markt mit. Bei schlechtem Wetter speisten sie in der Küche.