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Einigen Kindern fällt es besonders schwer, lesen zu lernen. Hunde können diesen Kindern wertvolle Unterstützer sein und dazu beitragen, sie zum Lesen zu motivieren und Ruhe, Konzentration sowie Spaß am Lesen zu fördern. Andrea Beetz und Meike Heyer führen in die verschiedenen Ansätze des "Lesens mit Hund" ein und zeigen wichtige Voraussetzungen bei Leselernhund, pädagogischer Fachkraft, Kind und Setting auf. Neben den Grundlagen zur Lesekompetenz erörtern die Autorinnen die Indikationen und Hintergründe der positiven Effekte einer hundgestützten Leseförderung. Anschauliche Beispiele aus der Praxis runden das Buch ab.
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Seitenzahl: 168
Veröffentlichungsjahr: 2025
Andrea Beetz • Meike Heyer
Leseförderung mit Hund
Grundlagen und Praxis
Mit 18 Abbildungen und 2 Tabellen
3., unveränderte Auflage
Ernst Reinhardt Verlag München
Prof. Dr. Andrea Beetz ist Dipl.-Psychologin. Sie lehrt und forscht an der IUBH Internationale Hochschule als Professorin u. a. zur Mensch-Tier-Beziehung und zu tiergestützten Interventionen.
Meike Heyer hat Sonderpädagogik studiert und ist Fachreferentin für den Einsatz von Hunden in der Schule in Deutschland.
Ebenfalls von Andrea Beetz im Ernst Reinhardt Verlag erschienen: Hunde im Schulalltag. Grundlagen und Praxis, 5. Aufl. (ISBN: 978-3-497-03075-0)
Hinweis
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-497-03309-6 (Print)
ISBN 978-3-497-61963-4 (PDF-E-Book)
ISBN 978-3-497-61964-1 (EPUB)
3., unveränderte Auflage
© 2025 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
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Printed in EU
Coverbild unter Verwendung eines Fotos von Lea Stahmer und ©iStock.com/ivanmateev
Satz: FELSBERG Satz & Layout, Göttingen
Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]
Inhalt
Vorwort
1Hintergrund und Entwicklung des Lesens mit Hund
2Lesekompetenz: Entwicklung und Defizite
2.1Definition von Lesekompetenz
2.2Einflussfaktoren auf den Leseprozess
Prozessebene • Subjektebene • Soziale Ebene
2.3Schulische Entwicklung der Lesekompetenz
3Pädagogische Ansätze der Leseförderung
3.1Grundlagen der Lesedidaktik
3.2Förderung der Wort- und Satzidentifikation: Silben, Morpheme, Strukturwörter
3.3Lautlese-Verfahren zur Förderung der Leseflüssigkeit
Wiederholtes Lesen • Begleitendes Lautlesen
3.4Lesestrategien trainieren
4Positive Effekte von Hunden in Therapie und Pädagogik
4.1Tiere hellen die Stimmung auf
4.2Tiere fördern positive Sozialkontakte
4.3Kontakt mit Tieren mildert Angst und Stress
4.4Schul- und leistungsbezogene Effekte von Hunden
Effekte von Schulhunden • Der Einfluss von Hunden auf schulisch relevante Leistungen
5Erklärungsansätze für die positiven Wirkungen von Tieren
5.1Biophilie
5.2Bindungstheorie
Bindung und ihre Funktion • Bindung, Regulation und Lernen • Hunde helfen, Stress zu regulieren
5.3Oxytozin in der Mensch-Hund-Interaktion
5.4Stressregulation, Exekutive Funktionen und Lernen
5.5Tiere fördern erfahrungsgeleitetes Lernen
5.6Tiere fördern Selbstwirksamkeit
5.7Hunde motivieren
6Lesen mit Hund – Wirkungsweise und Indikation verschiedener Ansätze
6.1Mögliche Effekte des Hundes beim Lesenlernen
6.2Verschiedene Ansätze des Lesens mit Hund
Lesen mit Hund – Einzelförderung • Förderung in der Kleingruppe
6.3Indikation verschiedener Ansätze des Lesens mit Hund
6.4Aktivitäten des Hundes in der Leseförderung
7Effekte des Lesens mit Hund
7.1Berichte über Effekte von Leselernhunden
7.2Studien zu Effekten des Lesens mit Hund
7.3Effekte der hundegestützten Leseförderung
LeseMuT – eine hundegestützte Leseförderung in der 6. Jahrgangsstufe • Lesen mit Lex und Finchen – eine hundegestützte Leseförderung in der 3. Jahrgangsstufe
7.4Fazit zur Forschung zum Lesen mit Hund
8Rund um das Lesen mit Hund
8.1Organisatorisches
Genehmigungen • Versicherung • Hygiene und Gesundheit
8.2Das Leselernhund-Team
Eignung des Leselernhundes / Schulhundes • Stressvermeidung beim Hund
8.3Regeln im Umgang mit dem Hund
8.4Ausbildung des Leselernhund-Teams
9Lesen mit Hund – Beispiele und Übungen
9.1Lesen mit Hund bis hundegestützte Leseförderung – der Hund als Zuhörer
9.2Übungen mit dem Leselernhund
Übungen zur Wort- und Satzidentifikation • Übungen zur Verbesserung der Leseflüssigkeit • Lesestrategietraining • Exemplarische Förderstunde
10Ausblick
Literatur
Weiterführende Websites
Bildnachweis
Sachwortregister
Vorwort
Das vorliegende Buch ist für alle gedacht, die mit Hunden die Lesekompetenz von Kindern aktiv fördern wollen, oder die daran interessiert sind, wieso und in welcher Art und Weise das Lesen mit Hund positive Effekte erzielen kann. Angesprochen sind sowohl Pädagogen als auch Ehrenamtliche, die in Leseprogrammen mit Hund arbeiten, sowie alle, die sich über die Thematik informieren möchten.
Basierend auf unserem eigenen Hintergrund aus Psychologie, Pädagogik und Sonderpädagogik mit einem besonderen Schwerpunkt auf der hundegestützten Pädagogik und tiergestützten Intervention möchten wir dem Leser grundlegende Informationen zur Förderung von Lesekompetenz, zu Effekten von Mensch-Tier-Interaktionen und deren zugrunde liegenden Mechanismen vermitteln. Darauf aufbauend erläutern wir verschiedene Ansätze der hundegestützten Leseförderung, deren nachgewiesene Wirkungen sowie notwendigen Voraussetzungen. Abschließend zeigen wir an ausgewählten Unterrichtsbeispielen, wie das Lesen mit Hund in der Praxis gestaltet werden kann.
Für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Werkes möchten wir uns herzlich bei Rainer Wohlfarth, Karin Zychlinski und Dieter Franzen für hilfreiche fachliche Anregungen bedanken. Unser Dank gilt zudem Ninja Pommrehn für die gemeinsame Durchführung der Studie zur Leseförderung mit Hund sowie allen Freunden, Kollegen, Kindern und Eltern, insbesondere Lea Stahmer und Anna Wöltjen, für die Bereitstellung von Bildmaterial.
Erlangen / Oldenburg im Februar 2020,
Andrea Beetz und Meike Heyer
Anmerkung: Im folgenden Text werden zum Zweck der besseren Lesbarkeit die Begriffe Schüler, Lehrer, Pädagoge und Hund synonym für beide Geschlechter verwendet.
Hintergrund und Entwicklung des Lesens mit Hund
Zusammenfassung
Lesekompetenz ist heute in westlichen Gesellschaften unabdingbar für die gesellschaftliche Teilhabe. Unterstützung beim Lesenlernen und Leseförderprogramme bei Problemen im Leselernprozess sind daher von großer Bedeutung. Einen besonderen Ansatz stellt das Lesen mit Hund dar, dessen Entwicklung und Grundlagen hier kurz skizziert werden.
Die Fähigkeit zu lesen ist eine unabdingbare Voraussetzung, um am Leben in modernen Gesellschaften aktiv teilhaben zu können. Nicht nur der Wissenserwerb basiert weitgehend auf der Lesekompetenz. In Zeiten elektronischer Kommunikation wird auch das Sozialleben zunehmend von Lesekompetenz dominiert. So nehmen soziale Netzwerke beim Aufbau und Erhalt von Freundschaften in Kindheit und Jugend, aber auch im Arbeitsleben von Erwachsenen, an Bedeutung zu. Die Teilhabe an solchen sozialen Netzwerken ist ohne E-Mails, SMS, Chats etc. nicht denkbar, welche ein grundlegendes Verständnis der Schriftsprache fordern.
Obwohl Lesekompetenz immer wichtiger wird, zeigen große Schulleistungsstudien wie PISA und IGLU, dass bei Schülern im deutschsprachigen Raum ein großes Defizit im Bereich der Lesekompetenz besteht. Damit weisen die Studien auch auf einen entsprechenden Bedarf an Leseförderung hin (Stubbe et al. 2007; OECD 2004). Lesetrainings sollten dabei neben der Lesekompetenz ein positives lesebezogenes Selbstkonzept und die Lesemotivation (→ Kap. 3) fördern. Denn diese beiden Faktoren sind neben Intelligenz, Lernstrategien und Decodierfähigkeit wichtige Grundlagen für den Erwerb einer hoch ausgeprägten Lesefertigkeit (Artelt et al. 2002).
In der Praxis gestaltet es sich oft schwierig, Schüler zur aktiven Teilnahme an einer Leseförderung zu motivieren. Besonders Kinder und Jugendliche mit ausgeprägten Schwierigkeiten beim Lesen haben ein negatives lesebezogenes Selbstkonzept entwickelt. Sie erwarten beim Versuch, besser lesen zu lernen, weitere Misserfolge und verbinden Lesen mit Langeweile, Anstrengung und Stress. Dies führt dazu, dass sie versuchen Situationen zu meiden, in denen sie lesen müssen (Hasselhorn / Gold 2009; Möller / Trautwein 2009; Roth 2006; Wild et al. 2006). Es ist daher nicht ratsam, Kinder zur Teilnahme an einer Leseförderung zu verpflichten, da die Lernbereitschaft eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Leseförderung darstellt. Vielmehr sollten Situationen geschaffen werden, die bei Kindern das Leseinteresse wecken und positive Erlebnisse beim Lesen vermitteln, sodass Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft gleichsam von selbst zunehmen. Um die Lesekompetenz und auch das Leseselbstkonzept nachhaltig zu verbessern, bedarf es zudem eines stabilen Leseverhaltens in der Freizeit. Dies kann nur erreicht werden, wenn Lesen nach und nach positiv besetzt wird und zunehmend Freude bereitet.
Genau hier setzen Förderprogramme zum Lesen mit Hund an. Den meisten Kindern und Jugendlichen macht es Freude, mit Tieren zu interagieren. Werden Tiere nun bei Aktivitäten eingesetzt, die eigentlich eher mit Langeweile oder Frustration assoziiert sind, dann wird die Freude, welche in der Interaktion mit Tieren erlebt wird, auch auf die als eher unangenehm empfundene Tätigkeit übertragen. Zudem wirken Tiere motivierend und fördern implizit die Anstrengungsbereitschaft. Sie unterstützen das Lernen allgemein durch: Angst- und Stressminderung, Motivationsförderung, Verbesserung der Stimmung, Förderung der Kommunikation und des Vertrauens (Beetz et al. 2012). Besonders wichtig erscheint die Förderung des Vertrauens, da eine gute Beziehung zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft die Basis erfolgreichen Lernens bildet (Beetz 2019; Pianta et al. 2002).
Auf die zugrunde liegenden Mechanismen, die tiergestützte Interventionen wertvoll und im Vergleich zu Standardinterventionen ohne Tiere erfolgreich machen, geht dieses Buches noch vertiefend ein (→ Kap. 4 und 5).
In der Praxis des Lesens mit Hund ist es durchaus verbreitet, sich einen halbwegs geeigneten Hund zu suchen und dann einfach „loszulegen“. Wir plädieren dagegen dafür, sich zunächst ein grundlegendes Verständnis der erwarteten Wirkungen und zugrunde liegenden Mechanismen tiergestützter Arbeit anzueignen. Auch sind wir der Meinung, dass umfassende Kenntnisse der verschiedenen Ansätze der Leseförderung notwendig sind, um die Lesekompetenz nachhaltig verbessern zu können. Nur dann kann aus unserer Sicht das „Lesen mit Hund“ als Ansatz der Leseförderung optimal für Kind und Hund umgesetzt werden und seine volle Wirkung entfalten. Bleibt der Erfolg trotzdem aus, hilft ein vertieftes Hintergrundwissen, die eigene pädagogische Arbeit zu reflektieren und modifizieren zu können.
Eines der ersten Programme, die Hunde in der Leseförderung einsetzten, wurde in den USA bereits 1999 von der Organisation Intermountain Therapy Animals entwickelt. Dieses Programm ist unter dem Namen R.E.A.D. (Reading Education Assistance Dogs) in den USA ein großer Erfolg. Ausgebildete Leselernhund-Teams (→ Kap. 8) gehen in Kindergärten, Jugendeinrichtungen, Schulen, Jungendgefängnisse, Bibliotheken oder auf spezielle Veranstaltungen. Dort stehen die Hunde als Lesepartner für leseschwache Kinder und Jugendliche zur Verfügung, die dem Hund vorlesen, so gut sie können. Die Kinder und Jugendlichen können auch leise für sich lesen, dabei aber Körperkontakt zum Hund haben. Der Hund ist beim Lesen ein mehr oder weniger aufmerksamer „Zuhörer“, der manchmal beim Zuhören auch einschläft. Vor allem ist er aber ein nicht wertender Begleiter beim Lesen. Ziel des R.E.A.D.-Programms ist v. a. die Übung des Lesens in einem motivierenden und entspannungsfördernden Umfeld. Es wird berichtet, dass die Kinder den Kontakt zum Hund durchweg positiv aufnehmen und positive Veränderungen hinsichtlich der Lesekompetenz und -motivation zeigen (www.therapyanimals.org).
Inzwischen gibt es einige ähnliche Programme in den USA und auch im deutschsprachigen Raum. Diese sind unter den entsprechenden Stichworten im Internet leicht zu finden, unterscheiden sich in der Qualität jedoch erheblich. Sie werden häufig über Spenden finanziert und können daher für interessierte Einrichtungen kostenfrei angeboten werden, wobei es inzwischen auch kommerzielle Anbieter gibt. Wir möchten an dieser Stelle nicht weiter auf die verschiedenen Anbieter eingehen bzw. Empfehlungen aussprechen. Woran Interessierte ein qualitativ hochwertiges Programm erkennen können, verdeutlicht eine Checkliste (→ Kap. 8.4). Weshalb das Leselernhund-Team deren Kriterien erfüllen sollte, erläutern die folgenden Kapitel. Die Lesekompetenz unter Einsatz eines Hundes zu fördern, stellt eine tiergestützte Intervention dar.
Tiergestützte Aktivitäten, Interventionen und Pädagogik lassen sich, teilweise angelehnt an die Definitionen der International Society for Animal-Assisted Therapy (www.aat-isaat.org), wie folgt beschreiben (Beetz 2012 a, 14–15):
Tiergestützte Aktivitäten (animal assisted activities, AAA) werden meist von einer Person mit ihrem Tier (üblicherweise Hund), häufig auf ehrenamtlicher Basis, durchgeführt. Das AAA-Team hat mindestens ein einführendes Training und eine Vorbereitung auf die tiergestützte Aktivität erhalten. AAA sind häufig Besuche in sozialen Einrichtungen mit motivationaler, bildender bzw. pädagogischer Intention oder sollen der Erholung des Klienten dienen.
Tiergestützte Therapie (animal-assisted therapy, AAT) führt ein Therapeut mit einer Ausbildung in einer anerkannten Therapieart (Psychotherapie, Physiotherapie, Ergotherapie o. Ä.) und mit entsprechendem Fachwissen über die eingesetzte Tierart durch. AAT ist an einem therapeutischen Ziel ausgerichtet. Die eingesetzten Tiere sind speziell für den Einsatz mit Menschen sozialisiert und ausgebildet worden.
Tiergestützte Pädagogik (animal-assisted pedagogy/education, AAP/AAE) führt eine Fachkraft mit einer pädagogischen oder heil-/sonder-/sozialpädagogischen Ausbildung und entsprechendem Fachwissen über die eingesetzte Tierart durch. Die Intervention ist auf ein pädagogisches Ziel ausgerichtet, welches Bildung und/oder Erziehung betrifft. Dazu zählt die Förderung von sozioemotionalen und kognitiven Fähigkeiten sowie „Exekutiven Funktionen“ (→ Kap. 6). Die eingesetzten Tiere sind speziell für den Einsatz mit Menschen sozialisiert und ausgebildet worden. In der Praxis kann es zu Überschneidungen mit der tiergestützten Therapie kommen.
Tiergestützte Interventionen umfassen alle tiergestützten Maßnahmen, die auf die Erreichung eines bestimmten (Förder-)Ziels ausgerichtet sind. Eine Fachkraft führt sie durch, die gemeinsam mit ihrem geeigneten Tier eine Ausbildung absolviert hat. Tiergestützte Pädagogik und Therapie fallen demnach unter diesen Oberbegriff. Ebenso erfüllen einige tiergestützte Aktivitäten, wenn auch nicht alle, diese Kriterien. Im Deutschen findet sich v. a. im Bereich der (Sonder-)Pädagogik der Begriff der tiergestützten Fördermaßnahme, die ebenso zu den tiergestützten Interventionen zählt.
Wie aus den Definitionen ersichtlich ist, fällt das Lesen mit Hund in den Grenzbereich tiergestützter Aktivitäten. Das Lesen mit Hund kann von pädagogischen Fachkräften angeleitet werden (z. B. im Rahmen von freien Vorlesezeiten), kann aber auch von Ehrenamtlichen begleitet werden. Das Lesen mit Hund leitet in der Praxis selten eine pädagogische Fachkraft an. Überwiegend bilden Ehrenamtliche mit einer geringen pädagogischen Ausbildung und wenig Hintergrundwissen zur Leseförderung diese Möglichkeit der tiergestützten Aktivität / Intervention an. Für diese Ansätze verwenden wir den weiter gefassten Oberbegriff Lesen mit Hund.
Andere Ansätze haben dagegen einen professionelleren Fokus und finden meist direkt im Rahmen der regulären Leseförderstunden in der Schule statt bzw. ersetzen diese. Hier setzen Pädagogen überwiegend ihren eigenen speziell dafür ausgebildeten Hund (→ Kap. 8) strukturiert und aktiv in der Leseförderung v. a. in Kleingruppen ein. Dies ist in mehrfacher Hinsicht von Vorteil. So kann ein entsprechend ausgebildeter Hund z. B. ein Buch aus mehreren Büchern aussuchen und einem Kind zum Lesen bringen. Bei gezielter Auswahl des Lesematerials kann das Gelesene unter Anleitung der Lehrkraft mit dem Hund umgesetzt werden (z. B. wenn das Buch von Fütterung, Fellpflege oder dem Geben von Signalen handelt) und dann weiter in der Gruppe gemeinsam besprochen werden. Sowohl beim Lesenlernen als auch bei der Förderung des Textverständnisses, der Grammatik und beim Erwerb von Lesestrategien erscheint eine solche zielorientierte hundegestützte Leseförderung sinnvoller. Für diese gezieltere und durch die Anleitung einer pädagogischen Fachkraft geprägte Form des „Lesens mit Hund“ verwenden wir den Begriff der „hundegestützten Leseförderung“, welche zur tiergestützten Pädagogik bzw. zu den tiergestützten Interventionen gezählt wird.
Lesen mit Hund bezeichnet eine tiergestützte Aktivität, die meist auf ehrenamtlicher Basis durchgeführt bzw. von Personen ohne pädagogischen Hintergrund angeleitet wird. Das Leselernhund-Team hat mindestens ein einführendes Training und eine Vorbereitung auf das Lesen mit Hund erhalten und es liegen Grundkenntnisse über Hunde beim Hundeführer vor. Ziel ist die Förderung der Lesekompetenz v. a. über deren emotionale und motivationale Komponenten. Je nach Ausmaß der pädagogisch ausgerichteten Anleitung des Lesens mit Hund durch den Hundeführer kann Lesen mit Hund auch zu den tiergestützten Interventionen gezählt werden.
Leseförderung mit Hund bzw. hundegestützte Leseförderung führt eine Fachkraft mit einer pädagogischen oder heil-/sonder-/sozialpädagogischen Ausbildung, mit Kenntnissen der Leseförderung und entsprechendem Fachwissen über Hunde durch. Die Intervention ist auf die Verbesserung der Lesekompetenz mit ihren emotionalen, motivationalen und sozialen Aspekten ausgerichtet. Auch die Durchführung von Leselehrgängen zum eigentlichen Erwerb der Lesefähigkeit in der Schule unter Einbezug eines speziell ausgebildeten Hundes kann hierzu gezählt werden. Die Leseförderung mit Hund zählt zur tiergestützten Pädagogik und zu tiergestützten Interventionen. Die Übergänge zum Lesen mit Hund sind fließend, wenn z. B. im regulären Unterricht ein Kind in einer Leseecke zwar allein mit dem Hund liest, aber unter Aufsicht der pädagogischen Fachkraft.
In den letzten Jahren erfreut sich das Lesen mit Hund auch im deutschsprachigen Raum immer größerer Beliebtheit. Leider erfolgt dies jedoch mit schwankender Qualität und Effektivität, abhängig von der Ausbildung und Eignung des Mensch-Leselernhund-Teams. Insgesamt werden im gesamten Bereich der tiergestützten praktischen Arbeit, also auch beim Lesen mit Hund, die eingesetzten Tiere oft aus Enthusiasmus für die Methode überfordert. Dies ist ethisch fraglich und tierschutzrechtlich relevant. Zudem ist zu bedenken, dass ein Tier, das sich in der Situation nicht wohlfühlt oder sogar Stressreaktionen zeigt, kaum positiv wirken kann. Ein gestresster Hund wird Aufregung und Angst beim Kind kaum mindern und somit das Lesen nicht unterstützen können. Eine andauernde Überforderung des Tieres kann im schlimmsten Fall zu aversiven Reaktionen des Tieres führen.
Das vorliegende Buch bietet eine theoretische wie praktische Einführung in die Thematik der Leseförderung mit Hund. Aufgrund des dargestellten wissenschaftlichen und theoretischen Wissens kann die pädagogische Fachkraft die hundegestützte Förderung individuell anpassen, denn eine Anpassung an das eigene Lehr- und Lernumfeld oder an die individuellen Bedürfnisse der betreuten Kinder und Jugendlichen ist durchaus sinnvoll. Vielleicht kann das Buch auch dazu animieren, Defizite in anderen Bereichen spielerisch mit Hunden anzugehen.
Aufgrund unserer wissenschaftlichen Beschäftigung wie unserer eigenen praktischen Erfahrungen mit der hundegestützten Leseförderung wünschen wir uns eine Verbreitung dieser Methode. Denn dieser hundegestützte Ansatz hat – bei einer guten, fundierten Umsetzung – das Potenzial, Kindern und Jugendlichen das Lesenlernen zu erleichtern und allen Beteiligten mehr Spaß an der Leseförderung zu vermitteln.
Lesekompetenz: Entwicklung und Defizite
Zusammenfassung
Wie wird Lesekompetenz definiert? Und welche Faktoren spielen im Hinblick auf den Leseprozess, das Individuum und sein soziales Umfeld beim Erwerb der Lesekompetenz eine Rolle? Diese Fragen sollen im vorliegenden Kapitel beantwortet werden und bilden die Grundlage für ein Verständnis möglicher Schwierigkeiten beim Erwerb der Lesekompetenz.
„Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten Möglichkeiten.“ (Aldous Huxley, ohne Jahr)
Das Ausmaß der erworbenen Lesekompetenz hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Schullaufbahn und infolgedessen auch auf den beruflichen Werdegang eines jeden Schülers. Eine systematische hundegestützte Leseförderung bedarf der Einbettung in einen theoretischen Kontext von Lesekompetenz, welcher in diesem Kapitel dargelegt wird. Dazu gehören die Definition von Lesekompetenz, verschiedene Einflussfaktoren und die übliche Entwicklung im Rahmen der Schule sowie entsprechend auffallende Defizite bzw. Schwierigkeiten.
2.1Definition von Lesekompetenz
Die Frage, wodurch Lesekompetenz charakterisiert wird und welche Fähigkeitsdimensionen diese beinhaltet, beantwortet die Wissenschaft mit verschiedenen Kompetenzmodellen. In der aktuellen Diskussion über die Definition von Lesekompetenz stehen sich das kulturwissenschaftlich fundierte Modell der Lesesozialisationsforschung und das kognitionspsychologisch fundierte Modell der PISA-Studie gegenüber (Hurrelmann 2010). Ein Konsens besteht darüber, Lesen als multifaktoriellen Prozess zu verstehen, der aktive Anforderungen an den Leser stellt (Bertschi-Kaufmann 2010; BMBF 2010; Hurrelmann 2006). Das PISA-Modell betont dabei die kognitiven Prozesse, die für das Lesen erforderlich sind. Das Modell der Lesesozialisationsforschung hingegen berücksichtigt einzelne Prozesse und Strukturen von Lesekompetenz und analysiert ihr Zusammenwirken (Hurrelmann 2010).
Definition von Lesekompetenz nach dem PISA-ModellAus der Perspektive des PISA-Modells wird Lesekompetenz als Informationsverarbeitungsprozess verstanden, um „geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (OECD 2001, 23).
Dabei unterteilt das Modell die Lesekompetenz in zwei Teilprozesse: textimmanente und wissensbasierte Verstehensleistungen.
Während bei textimmanenten Verstehensleistungen die im Text enthaltenen Informationen eine ausreichende Verständnisgrundlage bieten, erfordern wissensbasierte Verstehensleistungen die situationsadäquate Interpretation durch Einbeziehung vorhandenen Vorwissens. Zum Lesen und Verstehen eines Romans benötigt man nur den Roman selbst (textimmanentes Verstehen). Um hingegen einen Bericht über die Veränderung unseres Gesundheitssystems zu verstehen, ist Vorwissen zum Gesundheitssystem nötig (wissensbasiertes Verstehen). Innerhalb der beiden Bereiche werden nochmals jeweils die drei Teildimensionen Informationen ermitteln, textbezogenes Interpretieren sowie Reflektieren und Bewerten unterschieden (Hurrelmann 2010). Der Leser muss also beim Lesen des Berichts über das Gesundheitssystem die neuen Informationen zunächst erfassen. Diese kann er dann mit seinem Vorwissen über das bisherige Gesundheitssystem vergleichen und sich abschließend eine Meinung darüber bilden, ob er die Neuerungen für sinnvoll erachtet.
Definition von Lesekompetenz nach dem Modell der LesesozialisationsforschungDie Lesesozialisationsforschung betrachtet in ihrem Modell die aktiven und konstruktiven Leistungen des Lesers und definiert Lesekompetenz als die „Fähigkeit zum Textverstehen im Horizont einer kulturellen Praxis, zu der es gehört, dass sich (1) kognitives Textverstehen, (2) Motivation und emotionale Beteiligung, (3) Reflexion und Anschlusskommunikation (mit anderen Lesern) ergänzen und durchdringen“ (Hurrelmann 2010, 23).