Leuchtende Dunkelheit - dunkles Licht - Klaus Fahrendorf - E-Book

Leuchtende Dunkelheit - dunkles Licht E-Book

Klaus Fahrendorf

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Beschreibung

Ein 2008 autorisierter Lehrer für ZEN-Kontemplation im "Programm Leben aus der Mitte" präsentiert in seinem fünften Buch eine Auswahl an klassischen sog. Koans aus der ZEN-Tradition mit Dharma-Unterweisungen, die immer wieder schauen, ob und wieweit diese alten Texte Relevanz für uns moderne Menschen haben und was dem klassischen Verständnis aus unserer heutigen Übungs- und Lebenspraxis hinzugefügt werden kann und muss, damit ZEN lebendig bleibt.

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EPUB
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Seitenzahl: 444

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Leuchtende Dunkelheit – Dunkles Licht

ZEN-Unterweisungen

Klaus Fahrendorf

Illustrationen

von Markus Koch und

Ulrike Rögner-Fahrendorf

© 2023 Klaus Fahrendorf

© Umschlagbilder: Ulrike Rögner-Fahrendorf

© Illustrationen: Markus Koch; Ulrike Rögner-Fahrendorf

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-347-78517-5

Hardcover

978-3-347-78528-1

E-Book

978-3-347-78533-5

Printed in Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

… in der Dunkelheit wohnt Gott, ja Gott ist Dunkelheit und diese Dunkelheit, Gottes Dunkelheit, ja dieses Nichts, ja das leuchtet, ja aus Gottes Dunkelheit kommt das Licht, das unsichtbare Licht, denke ich und ich denke, das alles habe ich mir wohl nur ausgedacht, ja natürlich, denke ich …, aber eigentlich ist das Licht nicht sichtbar vielleicht, oder kann nur ich es sehen, andere nicht? Oder können manche anderen es auch sehen? Aber die meisten anderen sehen es nicht, allerdings sehen sie es trotzdem, nur ohne es zu wissen, da bin ich ganz sicher, sie sehen es, aber sie wissen nicht, dass sie eine leuchtende Dunkelheit sehen und sie denken, es wäre es etwas anderes, so ist das, und ohne dass ich es verstehen könnte, ist es in der Nacht, in der Dunkelheit, dass Gott sich zeigt, …

… tief im Menschen ist Gott, dort ist das Reich Gottes … es ist allem, was es gibt, gemeinsam … ja dies Unsichtbare im Sichtbaren, … ja, das zeigt sich in Raum und Zeit als leuchtende Dunkelheit, denke ich …

(Jon Fosse, Der andere Name, 2019 Hamburg, S. 460 f. und S. 463)

Eines Tages gab Ummon seinen Mönchen folgende Unterweisung: „In jedem Menschen gibt es ein Licht. Will man es sehen, geht das nicht. Es ist düster und dunkel. Was ist dieses Licht, das jeder besitzt?“

Und er gab sich selbst die Antwort: „Die Küche! Die Vorratskammer! Das Tempeltor!“

Er sagte auch: „Ein gutes Ding ist weniger gut als nichts.“

(Hekiganroku, Koan Nr. 86)

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

Kapitel 1: ZEN

ES GIBT KEIN ZEN!?

DIE ANGEBUNDENE KATZE

SORGE TRAGEN FÜR

Kapitel 2: TRAUM

Hekiganroku Nr. 40: Nansens „Blumenstrauch“

Row, row, row your boat

Der Schmetterlingstraum55

Mumonkan Nr. 25: Die Predigt vom dritten Sitzplatz

Hekiganroku Nr. 41: Jôshû und der Große Tod

Hekiganroku Nr. 44: Kasans Trommelschläge

Kapitel 3: UMMON

Hekiganroku Nr. 87: Ummons „Medizin und Krankheit“

Hekiganroku Nr. 60: Ummons Wanderstab

Hekiganroku Nr. 86: Ummons „Licht“

Kapitel 4: GEGENSÄTZE

Mumonkan Nr. 24: Reden und Schweigen hinter sich lassen

Hekiganroku Nr. 43: Tôzans „Kälte und Hitze“

Kapitel 5: SEIN

Hekiganroku Nr. 94: Das Nichtsehen im Shûrangama-Sutra

Hekiganroku Nr. 100: Haryôs schärfstes Schwert

Hekiganroku Nr. 55: Dôgos Kondolenzbesuch

Kapitel 6: FAKTUM

Shôyôroku Nr. 5: Seigens „Was kostet der Reis?“

Mumonkan Nr. 23: Weder gut noch böse denken

Kapitel 7: WEITER

Mumonkan Nr. 46: Vorwärtsgehen von der Spitze einer Stange

Mumonkan Nr. 15: Tôzans sechzig Schläge

Kapitel 8: WIRKLICHKEIT

Hekiganroku Nr. 83: Der alte Buddha und der Pfeiler

Hekiganroku Nr. 46: Kyôshôs Regentropfen

Zum Autor und zu den Künstlern

Bildnachweis

Glossar

Literaturverzeichnis

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Vorwort

Mich, der ich hier gerade diese Zeilen, ausgehend von einem einführenden Impuls in einem Sesshin in meinen Rechner eingebe, und Sie, die Sie jetzt diese Zeilen lesen, eint etwas ganz Entscheidendes, wessen wir uns nur allzu selten bewusst sind und zu wenig zur Grundlage unseres Denkens, Fühlens, Sehens und Handelns machen: Wir sind hier in der Ganzheit von Geist und Körper. Bewusst benutze ich an dieser Stelle nicht das Wort Leib, weil ich jegliche Überhöhung, die oftmals mit dieser Wortwahl verbunden ist, vermeiden möchte. Nein, ich meine wirklich diesen Körper, der altert, Falten hat, Schwächen und Gebrechen zeigt, der aber die Fähigkeit besitzt, auf alles um ihn herum und in ihm verborgen in wunderbarer Weise zu reagieren, zum Beispiel all die Gefühle so auszudrücken, dass schon dadurch ohne weitere Worte Kommunikation erfolgt und wir uns als Menschen verstehen – in der Erfahrung und mit einem Erfahrungswissen von jedermann und jederfrau. So finden wir, je mehr wir dieses Zusammenwirken von Geist und Körper achtsam zulassen und aufmerksam beobachten, hin zu diesem Weg, der der Zen-Weg genannt wird. Ein Weg der Praxis, ganz konkret – mit Körper und Geist – in äußerlicher und innerlich vollzogener Aufrichtung.

Diese Kommunikation, wie sie gerade in einem Sesshin oder bei sonstiger gemeinschaftlicher Meditation in den Zeiten gemeinsamen Schweigens im Zazen stattfindet, hat wenig gemein mit dem, womit man sich allenthalben befasst, wenn von Kommunikation die Rede ist, die verbessert werden müsse, die bestimmte Regeln beachten müsse, wenn sie funktionieren solle, jener Kommunikation, die Gegenstand von Wissenschaft und ihrer Anwendung in Unternehmen, Institutionen, Verbänden, Vereinen und Gruppen ist.

In gemeinschaftlich praktizierter Meditation gelten andere Regeln, nämlich die, einfach da zu sein, den Geist im Zusammenwirken mit dem Körper im natürlichen Agieren machen zu lassen, was er der persönlichen Situation und Beschaffenheit entsprechend tut. Es ist nichts gefordert, außer uns dem aufmerksam und achtsam zu überlassen und genau hin zu schauen.

Dieses Buch handelt von Koans, Schulungsmitteln für Zen-SchülerInnen. In den Koans wird der Kern der Zen-Praxis jeweils beispielhaft und originell immer wieder aufgezeigt. Es ist an uns, ihn zu entdecken und zu realisieren – in unserer individuellen Originalität. Die Koans sind voll von derartiger Kommunikation. Und die jeweiligen Protagonisten scheren sich nicht um Konventionen oder gewöhnliche Regeln einer Kommunikation.

Genauso wenig wie dies etwa die sich gerade öffnende Blüte des Kirschbaums tut oder das Klappern der Rollade im Wind oder das Hupen der Autos da draußen. Aber all dies ist im Gespräch, im Austausch mit uns. Erwidern wir dies?! Spüren wir den Boden, den Windhauch, den wärmenden Sonnenstrahl, den Schmerz im Knie, in der Hüfte, im Rücken? Und die Freude, diesen oder jenen Moment ungefiltert, in seiner So-heit zu erleben? Aber auch das Leid, so es uns begegnet? Und dies alles in der Erkenntnis, dass dies alles, wie auch das, was ich ein Ich nenne, leer ist, ohne eigene, sich aus sich selbst heraus ergebende Substanz oder Essenz?

So sind wir eigentlich pausenlos in einem Prozess involviert, genannt das Leben, in dem es Grobes und Feines gibt, Unbearbeitetes und Gestaltetes, Ungestüm-Wildes und Gezähmt-Friedsames. Und all dies ist in uns und um uns herum ständig in Aktion und vor allem in Interaktion.

Diese geheimnisvolle Dynamik von Leerheit und Dinglichkeit sowie ihr In-Eins-Fallen prägt auch die künstlerischen Illustrationen in diesem Buch. Beide, sowohl Markus wie Ulrike, befassen sich in den hier abgelichteten Arbeiten mit vorgefundenen Dingen aus Natur und Umwelt, die von ihnen in unterschiedlichen Haltungen und Herangehensweisen akzentuiert werden.

Fundstücke, so bezeichnet Ulrike ihre Objekte aus dem Material Holz, die sie zu in ihnen gesehenen oder erspürten „Aussagen“ näher und deutlicher hin bearbeitet hat.

Markus sieht seine Objekte in der Tradition der Suiseki (jap. oder chin. Shang Shi), auf Deutsch Literaten – oder Gelehrtensteine, überwiegend gefunden im Großstadtdschungel, im Bauschutt, auf der Straße usw., die er, der Tradition folgend, auf verschiedenartigen Sockeln präsentiert und somit ihres bloßen Daseins als Backstein, Asphaltbrocken o. Ä. entledigt.

So in weitestem Sinne ähnlich verhält es sich auch mit den Teishos von mir. Sie präsentieren diese alten Koans, wahren und achten die Tradition und schauen immerzu, welche Relevanz sie für uns heute haben und was wir dem klassischen Verständnis aus unserer Übungs- und Lebenspraxis hinzufügen können, so dass Zen lebendig bleibt und wir in ihm.

Und genau deshalb praktiziere ich Zen und habe mich der Aufgabe verschrieben, es weiterzugeben. Und genau deshalb freue ich mich, hier mein fünftes Zen-Buch vorstellen zu können.

Klaus Fahrendorf (Cloud of Merciful Awareness)

Bochum, im Juni 2023

Kapitel 2

TRAUM

Hekiganroku Nr. 40: Nansens „Blumenstrauch“

Engos Einführung

Aufhören und erlöschen, sich zurückziehen und aufgeben:

am eisernen Baum sprießen Blüten hervor.

Gibt es das? Kann es so sein?

Ein schlauer Bursche kommt zu Fall.

Auch wenn er sich in jeglicher Hinsicht hervorgetan hat,

muss er es hinnehmen, dass seine Nasenlöcher durchbohrt werden.

Sagt mir, wo hat er sich verwickelt, wie vertan, was ist der Fehler?

Schaut her; ich zitiere ein Beispiel.

Der Fall

Der hohe Beamte und Würdenträger Rikukô sagte in einem Gespräch mit Nansen: „Jô Hosshi sagte: ‚Das ganze Universum und ich selbst, wir haben die gleiche Wurzel. Alle Dinge und ich selbst sind eins.‘ Ist das nicht absolut wunderbar?“

Nansen zeigte auf einen Blumenstrauch im Garten, wandte sich Rikukô zu und sagte: „Heutzutage sehen die Menschen solche Blumen wie im Traum.“

Setchôs Vers

Getrennt, doch nicht ein Einzelsein

sind Sehen, Hören, Fühlen, Wissen.

Im Spiegel siehst du nur zum Schein

ein Bild von Bergen und von Flüssen.

Schon sinkt der Mond – Im Frosthauch friert

die Schattenwelt, um Mitternacht.

Wer ist es, der im Teich mit dir

sein Spiegelbild betrachtet?

Teisho

Ich muss Sie warnen: Sie werden, wenn ich mein Teisho erst einmal beende, nicht mehr wissen als jetzt. Aber vielleicht ein besseres Gefühl, besser noch: ein deutlicheres Gespür dafür bekommen haben, was mit „Nicht-Wissen“ im Sinne des Zen gemeint ist und was es heißt, dass Zen nicht lehrt, sondern „zeigt“.14

ZEN ZEIGT WORAUF?

Worauf? Nur auf das Faktum. Was das nun wieder heißt, wird in dem vorliegenden Koan sehr subtil veranschaulicht, – wenn wir genau hinschauen.

Dieses Koan hat es „wirklich“ in sich. Damit zu „arbeiten“ als ein Übender fühlt sich an, als wenn man mit bloßen Händen einen Fisch fangen will. Oder, um ein anderes Bild zu nehmen, was sich hierbei mir aufgetan hat: Dieses Koan ist glitschig wie ein Stück Seife in der Dusche, welches einem immer wieder wegflutscht und unkontrolliert in der Duschwanne herumschwirrt.

Wir werden durch dieses Koan in ein unauflösbar scheinendes Netz von Gedanken über wahr und/oder unwahr, über richtig und/oder falsch, über real und/oder irreal, über Existenz und/oder Nichtexistenz, Sein und/oder Nichtsein verstrickt.

Es handelt sich um ein sog. Nanto-Koan, von Hakuin Zenji als eines der schwierigsten 8 Koans bezeichnet, weil die Tücke in dem Bewusstseinszustand von Nansen liegt, der jenseits jeglichen logischen Verstehens liegt und den zu erfassen und zum Ausdruck zu bringen der Übende aufgerufen und herausgefordert wird.15

LEBEN, STERBEN UND NEU LEBEN

Dahingehend stimmt einen gleich die Einführung von Meister Engo direkt ein:

Aufhören und erlöschen, sich zurückziehen und aufgeben:

am eisernen Baum sprießen Blüten hervor.16

Was hier aussieht, als wenn es sich um zwei Phasen handelt, die eine das Loslassen, das Ablassen und Aufhören bis hin zur Aufgabe, und die zweite, bildlich gesprochen, das Hervorsprießen von Blüten oder Blumen, ist in Wahrheit ein Ablauf, den man in drei Abschnitte aufteilen kann: Aufgeben, zum eisernen Baum werden, Blumen sprießen lassen. Abstrakt formuliert: Leben, Gestorbensein, neues Leben.

Manche mögen hier an eine berühmte Zen-Geschichte denken, in der ein Meister – es war Seigen Gyoshi (660 – 740) – sagt:

Als ich ein junger Mann war und nichts von Zen wusste, waren Berge Berge und Flüsse Flüsse. Als ich dann etwas mehr vom Zen verstand, waren Berge nicht mehr Berge und Flüsse nicht mehr Flüsse. Als ich dann tiefe Einsicht in die Zen-Lehre erlangte, waren Berge wieder Berge und Flüsse wieder Flüsse.17

Engos Einführung lockt uns weiter, indem sie quasi unseren Unglauben, unseren Zweifel aufnimmt – und uns wie einen Spiegel unserer Kleingläubigkeit vorhält:

Gibt es das? Kann es so sein?

UND SCHLAUHEIT KOMMT ZU FALL

Die Antwort ahnen wir. Wir sind ja nicht dumm. Sie lautet: „Ja!“ „Aha“, sagt Engo still vor sich hin und setzt nach:

Ein schlauer Bursche kommt zu Fall.

Auch wenn er sich in jeglicher Hinsicht hervorgetan hat,

muss er es hinnehmen, dass seine Nasenlöcher durchbohrt werden.

Auch wenn wir ja so schlau sind oder meinen, es zu sein, sollten wir sehr aufpassen, dass wir nicht gleichsam am Nasenring durch die Manege gezerrt werden. Das passiert nämlich, wenn wir mit Schlauheit dem Geheimnis von Leben und Tod auf die Spur zu kommen versuchen. Mehr noch, wenn wir glauben, es reiche loszulassen, aufzugeben, so dass wir schließlich auf die Früchte, die Blüten schauen, das absolut Wunderbare erleben, was uns da in großer oder kleiner Münze geschenkt werden mag, und in diesem Zustand glauben verweilen zu können, weil wir „es“ nun „erreicht haben“.

Sagt mir, wo hat er sich verwickelt, wie vertan, was ist der Fehler?

Ja, genau! Was läuft hier falsch? Folgen wir Engo, der sagt: „Schaut her; ich zitiere ein Beispiel.“ Also zum Fall:

Da haben wir den Rikukô, der uns als hoher Beamter und Würdenträger, der er war, vorgestellt wird. Rikukô war aber auch ein ernsthaft Übender und ein Schüler bei Meister Nansen, der von diesem auch Inka, d.h. die Dharma-Übertragung, erhielt, mithin zum sog. Erwachen gekommen war. Wir wissen nicht, ob sich dies vor oder nach der im Koan geschilderten Episode ereignete. Wir wissen aber aus der Überlieferung, dass Rikukô bei dem Begräbnis seines Meisters Nansen in der Trauerfeier vor dem Altar schallend gelacht haben soll und dafür „natürlich“ von dem Tempelpriester kräftig gescholten wurde. Daraufhin soll Rikukô erwidert haben, der Priester solle ihm bitte etwas sagen, dass er, Rikukô, weinen könne. Das gelang dem Priester – aus Sicht des Zen: natürlich – nicht. Meister Chokei,18 als er davon hörte, sagte: „Das Auge des Priesters war blind. Bei solcher Gelegenheit sollte man lachen und nicht weinen.“ Yamada Kôun, von dem ich die Geschichte habe, kommentiert: „Für den verstorbenen Meister war das Universum voller Lachen das beste Gebet.“19

Da war Rikukô also kein „schlauer Bursche“ mehr!

Zur Zeit unseres Koans indes lag sein Interesse (noch) sehr in theoretischen Studien zur Frage der Wesensnatur und so studierte er fleißig die Werke von Jô Hosshi, den er ja auch in unserem Fall begeistert zitiert.

NUR EIN SPRECHEN ÜBER EINEN TRAUM

Jô Hosshi (chin.: Sengchao; 382 – 414) war einer von vier hervorragenden Schülern des Kumarajiva, der 401 von Indien nach China gegangen war, viele buddhistische Schriften ins Chinesische übersetzt und großen Einfluss auf die Entwicklung des Buddhismus in China hatte. Jô war aber auch selbst ein herausragender buddhistischer Gelehrter mit entsprechend publizierten Diskursen.20 Aus der Abhandlung „Das Nirvana hat keinen Namen bzw. kann nicht benannt werden“21 zitiert Rikukô nun diesen Satz: „Das ganze Universum und ichselbst, wir haben die gleiche Wurzel. Alle Dinge und ich selbst sind eins.“, und fügt hinzu: „Ist das nicht absolut wunderbar?“

Meister Bansho merkt in seinem Kommentar zum nahezu identischen Koan Nr. 91 Shôyôroku zu diesem Ausdruck seiner Begeisterung durch Rikukô kurz und trocken an, Rikukô habe kaum realisiert, dass dies – in der Tat – nur ein Sprechen über einen Traum darstelle.22 Was meinte Bansho damit? Das erfahren wir in seinem weiteren Kommentar, wie auch bei Meister Engo im Hekiganroku.

Die Frage des Rikukô sei durchaus außergewöhnlich, so lesen wir da, aber er sei nicht über die Grenzen der buddhistischen Lehre und ihrer Bedeutung hinausgegangen. Wenn man aber den Lehrinhalt als das letzte/ultimative/höchste Paradigma ansehe, stelle sich die Frage, warum Shakyamuni Buddha damals auf dem Geierberg die Blume gehoben und gedreht habe und warum Bodhidharma aus dem Westen gekommen sei.23 Daran haperte es also bei Rikukô!

Gut festgestellt. Aber was bedeutet das für uns? Worum genau geht es? Woran genau fehlt es hier (noch)? Was ist das, was anderen, die diesen Text des Jô Hosshi lasen, nicht mangelte, so z.B. Meister Shitou, der dabei tief erwachte und dieses Erwachen in einem berühmten Gedicht ausdrückte?24

Träumen und Erwachen, darum scheint es zu gehen. Der eine träumt weiter, der andere wird plötzlich wach.

Yamada Kôun Roshi ordnet sogar den Text von Jô Hosshi selbst als bloß konzeptionell ein.25 Die Worte von der „gleichen Wurzel“ und von dem „Eins-sein“ seien bloße Konzepte. Wenn man sage „Eins“, werde damit ja vorausgesetzt, dass es auch „Zwei“ gebe. Eine wirkliche Einheit aber sei nicht mal mehr „Eins“!26

Damit sehen wir erneut – aus anderer Perspektive beleuchtet –, woran es bei Rikukô und vielen anderen fehlt, die so leichthin und oftmals begeistert von Einheit, vom Eins-Werden und ähnlichen Erlebnissen und/oder Einsichten sprechen. Aus „Zwei“ „Eins“ zu machen gelingt nur dem theoretisch-philosophisch/theologisch arbeitenden Verstand.

Aber in Wirklichkeit ändert sich dadurch überhaupt nichts. In wirklicher Einheit stellen sich solche Fragen schon gar nicht!

IM–DAZWISCHEN, IN KEINER SEITE ALLEIN

Nun muss ich mich aber nicht nur bremsen. Ich muss sogar sozusagen etwas zurückrudern, damit wir nicht – genauso wie Rikukô – in ein falsches Fahrwasser geraten. Denn es sieht ja im Moment so aus, als ob es nur um authentische Erfahrung von leerer Einheit ginge, an der es Rikukô noch gemangelt, er also insoweit noch nur geträumt habe. Aber schauen wir doch genauer hin.

Beginnen wir mit den Worten, wie sie sich dem zitierten Satz von Jô Hosshi anschließen. Sie lassen sich aus den englischen Übersetzungen27 in etwa wie folgt herausfiltern:

Sind die Myriaden Dinge dasselbe wie Ich, gibt es keine [Frage nach] Existenz oder Nichtexistenz.28Denn wenn sie von mir getrennt und verschieden von mir wären, würde dies bedeuten, dass keine Kommunikation möglich wäre und dass der geheimnisvolle Mittlere Weg, auf dem / in dem die Identität und Wesensgleichheit von Existenz und Nichtexistenz erfahren wird, in seiner Omnipräsenz gefährdet sein würde. Deshalb ist er nicht getrennt von der Welt und er ist nicht Teil der Welt. Er ist in alldem, aber gehört zu keiner Seite. Der Weg liegt im Im-Dazwischen („in-between“).

„Das Selbst, so sagt es Sama Amy, ist weder das eine noch das andere, sondern verweilt im „Dazwischen“ (in-between). Als Geheimnis zeigt es sich bald als dies bald als jenes.“29

Im-Dazwischen; in alldem sein, aber in keiner Seite allein …

DIE EINE WURZEL NIRGENDS FESTZUMACHEN

Damit kommen wir der Frage näher, die man ja auch Jô Hosshi oder Rikukô stellen könnte, nämlich:

Was ist dieselbe, die eine Wurzel?30

Das ist ja die Frage, die aber zugleich eine Falle sein kann, die man sich damit stellt.

In dem „Lied vom Erwachen“ (Shôdôka) von Yoka Daishi (665 – 713) heißt es:

Versuche weder die Täuschungen zu eliminieren, noch suche nach dem, was real ist. Unwissenheit, genauso, wie sie ist, ist Buddha-Natur. Dieser weltliche Körper selbst, der wie ein Phantom in dieser Welt erscheint und verschwindet wie ein Phantom, ist nichts anderes als die Realität des Lebens. Wenn du zur Wirklichkeit des Lebens erwachst, ist dort nicht irgendein einzelnes Ding, auf das du zeigen und sagen könntest, „Dies ist es!“31

Und Gerry Shishin Wick ergänzt:

Wenn Du aufwachst, kannst du es immer noch nicht benennen. Zu sagen, dies sei real und jenes nicht real, ist in Täuschung zu verfallen.32

Wir können also nirgends hin zeigen und sagen, das ist es, ich habe es. Denn es ist tatsächlich so, wie es schon in früheren Zeiten gesagt wurde:

Wenn du es in den Phänomenen erkennen willst, wirst du in gewöhnlichen Gefühlen landen. Wenn du deinen unterscheidenden Verstand benutzen willst, um es herauszubekommen, wirst du feststellen, dass du suchen kannst, wie du willst, es aber nicht finden wirst. Gantô sagte dazu: „Das ist die Lebensaufgabe für einen Menschen, der auf das Höchste ausgerichtet ist. Er enthüllt genau das bisschen vor den Augen, genauso wie ein Blitz, der alles erhellt.“… Der höchste Weg wurde nicht weitergegeben von noch so vielen tausend Weisen.33

Du schaust und schaust, und was siehst du? Ein (Spiegel-)Bild! Wie Meister Engo es zum Ausruf von Rikukô: „Ist das nicht wunderbar!“ anmerkte, verhält es sich aber so: Ein Bild eines Kuchens kann einen Hunger nicht stillen.34

Wenn du, Rikukô, das so sagst und es wunderbar findest, was dann? Wenn ich dir zustimme, und wir beide finden es wunderbar, was nun? Wo, so frage ich dich, ist die Welt hier draußen? Schließen wir sie im Moment nicht dabei aus? Und was nun, Rikukô und du gelehrter Jô Hosshi? Seid ihr nicht wie in einem Traum von etwas über etwas verfangen? Wo ist denn die eine Wurzel und die durch sie vermittelte Einheit? Zeigt sie mir!

Warum sagte Meister Nansen, der es ja mit Rikukô zu tun hatte, nicht einfach zu diesem: „Ja! Das ist wirklich(!?) wunderbar!“? Wenn er das getan hätte, hätte er sich genauso wie Rikukô in jenem Moment lediglich in den Grenzen und Vorgaben der buddhistischen Lehre bewegt, man hätte sich wechselseitig der Wertschätzung versichert und mit dem bloßen „Ja, das ist wirklich wunderbar!“den Kern des ZEN verfehlt, wie er sich z.B. in der Übertragung von Shakyamuni Buddha auf Mahakashyapa, der Übertragung von diesem auf Ananda und dem Kommen des Bodhidharma aus dem Westen zeigte. Ich sprach davon schon.

„Nein“, wäre auch keine adäquate Antwort/Reaktion von Meister Nansen gewesen. Denn es ist in der Tat wunderbar! Schon im An-Fühlen, im Daran-Glauben, im dies für Möglich-Halten, erst recht im Dafür-Halten und noch mehr im Dies-Bezeugen in Präsenz!

Also bleibt nur das Zeigen, das Hin-Deuten, wie Nansen es ja spontan in genau jenem Moment schlicht, einfach und konkret tut. Er sagt nichts, sondern zeigt. Die, die unser letztes Buch35 schon mal aufgeschlagen haben, werden dort hinter dem Titelblatt, den anderen Texten vorangestellt, u.a. ein Zitat von Thomas Merton bemerkt haben, in dem er treffend bemerkt, dass Zen nicht lehrt, sondern zeigt. Nansen als Zen-Meister lehrt nicht, er zeigt, und dies in ganz wörtlichem Sinn – und zunächst ohne Worte.

WORAUF ALSO ZEIGEN?

Worauf zeigt er? Was zeigt er? Worauf sollen auch wir schauen?

Auf den Finger? Auf die Blume? Den Mond? Die Wurzel? Das Universum? Auf dich? Auf mich? Auf die Buddha-Natur? Das Reich Gottes? Die Buddha-Natur auf sich selbst? Du auf dich selbst?

Was ist hier das wahre Faktum?

Was hat Mahakashyapa gesehen, als Shakyamuni Buddha die U-dumbara-Blume hochhielt und drehte? Was hat Ananda gehört, als Mahakashyapa ihn 20 Jahre später beim Namen rief?

Erneut: Was ist jene eine nämliche Wurzel? Was/Wer ist jenes/jener Eine (wovon Mumonkan Nr. 45 handelt)?

Was ohne Scheinheiligkeit antworten? Was ist da zu tun?

Entscheide dich! „Glotz nicht so blöd“, würde Kodo Sawaki wohl sagen. Und lass die wilden Gedanken.

„Ein kraftvoller Mensch würde hier ein Kehrwort zum Ausdruck gebracht haben”, so die Randbemerkung von Engo.36 Von Rikukô kommt aber nichts.

Also spricht Nansen. Dies ist ein zweiter Versuch, um seinerseits Rikukô mit einem Kehrsatz auf den Kern zu stoßen: „Heutzutage sehen die Menschen solche Blumen wie im Traum.“ Nansen spricht in einer allgemein gehaltenen Formulierung, meint aber ersichtlich den vor ihm sitzenden Rikukô.

Will er damit zwischen Jô Hosshi, den Rikukô gerade begeisternd zustimmend zitiert hatte und der ja ungefähr 4 Jahrhunderte früher gelebt hatte, und Rikukô selbst trennen? Vielleicht nicht, wenn er – wie Yamada Kôun meint – auch bei Jô Hosshi nur ein konzeptionelles Verständnis vermutet. Letztlich ist aber dies auch egal. Nansen will – und nur das ist entscheidend – diesen Rikukô vor ihm auf etwas stoßen, was entscheidend ist für ein tatsächlich (!) echtes und umfassendes Verständnis von Inhalt und Kern von Wirklichkeit, von Leben und Tod.

Wie im Traum, also wie Träumende, als ob sie in einem Traum seien, sähen sie diese Pfingstrose da vorne, als ob diese ein Traumgebilde ist oder als ob wir, die auf sie Schauenden, Träumende sind? Was denn nun von beidem? Was sieht Rikukô, und wie? Was sieht Nansen, und wie?

Nun endlich kommen wir zu dem, was Sie alle wahrscheinlich schon vom ersten Moment an nach Hören dieses Koans beschäftigt: zum Stichwort „Traum“! Hier sollten wir aber genauer hinschauen. Nansen sagt: „wie im Traum“.