Licht aus dem Osten - Peter Frankopan - E-Book
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Peter Frankopan

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Beschreibung

«‹Eine neue Geschichte der Welt› – dieses Buch verdient den Titel voll und ganz.» Peter Frankopan lehrt uns, die Geschichte neu zu sehen – indem er nicht Europa, sondern den Nahen und Mittleren Osten zum Ausgangspunkt macht. Hier entstanden die ersten Hochkulturen und alle drei monotheistischen Weltreligionen; ein Reichtum an Gütern, Kultur und Wissen, der das Alte Europa seit jeher sehnsüchtig nach Osten blicken ließ. Frankopan erzählt von Alexander dem Großen, der Babylon zur Hauptstadt seines neuen Weltreichs machen wollte; von Seide, Porzellan und Techniken wie der Papierherstellung, die über die Handelswege der Region Verbreitung fanden; vom Sklavenhandel mit der islamischen Welt, der Venedig im Mittelalter zum Aufstieg verhalf; von islamischen Gelehrten, die das antike Kulturerbe pflegten, lange bevor Europa die Renaissance erlebte; von der Erschließung der Rohstoffe im 19. Jahrhundert bis hin zum Nahostkonflikt. Schließlich erklärt Frankopan, warum sich die Weltpolitik noch heute in Staaten wie Syrien, Afghanistan und Irak entscheidet. Peter Frankopan schlägt einen weiten Bogen, und das nicht nur zeitlich: Er rückt zwei Welten zusammen, Orient und Okzident, die historisch viel enger miteinander verbunden sind, als wir glauben. Ein so fundiertes wie packend erzähltes Geschichtswerk, das wahrhaft die Augen öffnet.

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Peter Frankopan

Licht aus dem Osten

Eine neue Geschichte der Welt

Aus dem Englischen von Michael Bayer und Norbert Juraschitz

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

«‹Eine neue Geschichte der Welt› – dieses Buch verdient den Titel voll und ganz.»

 

Peter Frankopan lehrt uns, die Geschichte neu zu sehen – indem er nicht Europa, sondern den Nahen und Mittleren Osten zum Ausgangspunkt macht. Hier entstanden die ersten Hochkulturen und alle drei monotheistischen Weltreligionen; ein Reichtum an Gütern, Kultur und Wissen, der das Alte Europa seit jeher sehnsüchtig nach Osten blicken ließ. Frankopan erzählt von Alexander dem Großen, der Babylon zur Hauptstadt seines neuen Weltreichs machen wollte; von Seide, Porzellan und Techniken wie der Papierherstellung, die über die Handelswege der Region Verbreitung fanden; vom Sklavenhandel mit der islamischen Welt, der Venedig im Mittelalter zum Aufstieg verhalf; von islamischen Gelehrten, die das antike Kulturerbe pflegten, lange bevor Europa die Renaissance erlebte; von der Erschließung der Rohstoffe im 19. Jahrhundert bis hin zum Nahostkonflikt. Schließlich erklärt Frankopan, warum sich die Weltpolitik noch heute in Staaten wie Syrien, Afghanistan und Irak entscheidet.

Peter Frankopan schlägt einen weiten Bogen, und das nicht nur zeitlich: Er rückt zwei Welten zusammen, Orient und Okzident, die historisch viel enger miteinander verbunden sind, als wir glauben. Ein so fundiertes wie packend erzähltes Geschichtswerk, das wahrhaft die Augen öffnet.

Über Peter Frankopan

Peter Frankopan, geboren 1971, zählt zu den profiliertesten jüngeren Historikern Großbritanniens. Er ist Leiter des Zentrums für Byzantinische Studien an der Universität Oxford und äußert sich als Experte für die Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens regelmäßig in der internationalen Presse – auch zu den aktuellen Entwicklungen in der Region. «Licht aus dem Osten» führte in Großbritannien die Bestsellerlisten an.

Inhaltsübersicht

WidmungMottoVorwortErstes Kapitel Wo alles seinen Anfang nimmt – die Mitte der WeltZweites Kapitel Wege zur Erleuchtung – der Wettlauf der ReligionenDrittes Kapitel Rom liegt jetzt im Osten – das neue christliche ReichViertes Kapitel Zeiten des Aufruhrs – die revolutionäre OffenbarungFünftes Kapitel Von Mekka bis Cordoba – der Siegeszug des IslamSechstes Kapitel Schätze der Steppe – der neue WelthandelSiebtes Kapitel Was West und Ost verbindet – der lange Weg der SklavenAchtes Kapitel Kein Paradies auf Erden – das Zeitalter der KreuzzügeNeuntes Kapitel Herrschaft der Nomaden – das mongolische GroßreichTafelteil einsZehntes Kapitel Der Schwarze Tod – von Entdeckungen und KatastrophenElftes Kapitel Wo das Gold lockt – die Eroberung der Neuen WeltZwölftes Kapitel Zu Gast bei Osmanen, Persern und Moguln – der neue Reichtum des OstensDreizehntes Kapitel Herrscher der Meere – die Handelsmächte des NordensVierzehntes Kapitel Von East India bis New England – das britische WeltreichFünfzehntes Kapitel Ein Bär zieht in den Süden – der Streit um PersienSechzehntes Kapitel Auf stählernen Gleisen gen Osten – der Weg in den KriegSiebzehntes Kapitel Schwarzes Gold – das «Große Spiel» im OstenAchtzehntes Kapitel Quellen der Macht – die neuen Wege des ÖlsNeunzehntes Kapitel Deutscher Machthunger – die Kornkammern des OstensZwanzigstes Kapitel Schwarze Erde, rotes Blut – der VölkermordEinundzwanzigstes Kapitel Scheidepunkt Iran – wo der Kalte Krieg beginntZweiundzwanzigstes Kapitel Ein Riss durch den Osten – die Rivalität der SupermächteDreiundzwanzigstes Kapitel Spielverlängerung – der Kampf um die VormachtstellungVierundzwanzigstes Kapitel Verlorene Wetten – der Iran und seine NachbarnTafelteil zweiFünfundzwanzigstes Kapitel Die neuen Kreuzritter – der falsche Krieg gegen den TerrorSchluss Licht aus dem Osten – der Wiederaufstieg der SeidenstraßenLiteraturPersonenDankBildnachweis

Für Katarina, Flora, Francis und Luke

Dann hielten wir uns im Lande eines Türkenvolkes auf … Wir haben eine Gruppe gesehen, die die Schlangen anbetet, und eine Gruppe, die die Fische anbetet, und eine Gruppe, die Kraniche anbetet.

Ibn Fadlāns Reise zu den Wolgabulgaren

Ich, der Priester Johannes, bin Herr über die Herrschenden, und rage hervor in allen Reichtümern, die unter dem Himmel sind, an Tugend und Macht über alle Könige dieser Erde … Unser Land fließt über von Milch und Honig. In meinem Land schaden keine Gifte und quakt kein schwatzhafter Frosch, kein Skorpion ist dort, keine Schlange kriecht durchs Gras.

Angeblicher Brief des Priesterkönigs Johannes nach Rom und Konstantinopel, 12. Jahrhundert

Er hat einen großen Palast, mit einem Dach aus reinem Gold.

Notizen von Christoph Kolumbus über den Großkhan des Ostens, Ende des 15. Jahrhunderts

Wenn wir keine vergleichsweise kleinen Opfer bringen und unsere Politik in Persien jetzt ändern, werden wir zugleich unsere Freundschaft mit Russland aufs Spiel setzen und in relativ naher Zukunft … eine Situation vorfinden, in der unsere eigene Existenz als Empire in Gefahr sein wird.

Sir George Clerk an Sir Edward Grey, britischer Außenminister, 21. Juli 1914

Der Präsident würde auch dann gewinnen, wenn wir nur hier herumsitzen und nichts tun würden.

Stabschef von Nursultan Nasarbajew, Präsident von Kasachstan, unmittelbar vor den Wahlen von 2005

Vorwort

Als ich ein kleiner Junge war, zählte eine große Weltkarte zu meinen wertvollsten Besitztümern. Sie war an die Wand neben meinem Bett geheftet, und ich studierte sie jeden Abend vor dem Schlafengehen aufmerksam. Schon bald hatte ich mir die Namen und die Lage aller Länder eingeprägt, von denen ich mir die Hauptstädte merkte, sowie sämtliche Ozeane und Meere und die Flüsse, die in sie fließen. Die kursiv gedruckten Namen der großen Gebirgsketten und Wüsten fesselten mich, sie verhießen Abenteuer und Gefahr.

Als Teenager ärgerte ich mich dann immer mehr über den gnadenlos engen geographischen Fokus des Schulunterrichts, der sich auf Westeuropa und die Vereinigten Staaten konzentrierte und den Rest der Welt größtenteils gar nicht berührte. Wir hörten von den Römern in Britannien, von der normannischen Eroberung im Jahr 1066, von Heinrich VIII. und den Tudors, dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, der Industrialisierung im viktorianischen Zeitalter, der Schlacht an der Somme und dem Aufstieg und Fall des NS-Regimes. Ich schaute mir immer wieder die Karte an und sah riesige Regionen der Welt, die einfach völlig übergangen wurden.

Zu meinem vierzehnten Geburtstag schenkten mir meine Eltern ein Buch des Anthropologen Eric Wolf, das buchstäblich das Feuer in mir entfachte. Die akzeptierte und träge Geschichte der Zivilisation, so Wolf, halte sich an die Version, «wonach das antike Griechenland das alte Rom hervorgebracht hat, Rom wiederum das christliche Europa, das christliche Europa die Renaissance, die Renaissance die Aufklärung, und die Aufklärung politische Demokratie sowie die industrielle Revolution. Die Industrie wiederum soll – nachdem sie sich mit der Demokratie vermählt hat – die Vereinigten Staaten von Amerika gezeugt haben, die bekanntlich das Recht auf Leben und Freiheit sowie das Streben nach Glück verkörpern.»[1] Ich erkannte sofort, dass das genau die Geschichte war, die man mir erzählt hatte: das Mantra des politischen, kulturellen und moralischen Triumphs des Westens. Dabei hatte diese Version etliche Mängel; es gab andere Möglichkeiten, die Geschichte zu betrachten – Sichtweisen, die die Vergangenheit nicht aus der Perspektive des Siegers der jüngsten Geschichte wiedergaben.

Ich war begeistert. Auf einmal war offensichtlich, dass die Regionen, über die wir nichts erfuhren, verlorengegangen waren, erstickt von der uns hartnäckig eingebläuten Story vom Aufstieg Europas. Ich flehte meinen Vater an, mit mir die Hereford Mappa Mundi zu besichtigen, eine Weltkarte, die Jerusalem in den Mittelpunkt der Erde rückte, während England und andere westliche Länder an den Rand verwiesen wurden und so gut wie keine Bedeutung hatten. Als ich von arabischen Geographen las, deren Arbeiten Karten beigelegt waren, die auf den Kopf gestellt schienen und das Kaspische Meer zum Mittelpunkt hatten, war ich ebenfalls fasziniert – genau wie in dem Moment, als ich von einer bedeutenden mittelalterlichen Karte in Istanbul hörte, die eine Stadt namens Balasagun im Zentrum zeigte. Von dieser Stadt hatte ich noch nie gehört, sie erschien auf keiner aktuellen Karte, und bis vor kurzem war ihre frühere Lage nicht genau bekannt; dennoch galt sie einst als das Zentrum der Welt.[2]

Nun wollte ich mehr über Russland und Zentralasien wissen, über Persien und Mesopotamien. Ich wollte die Ursprünge des Christentums vom asiatischen Kontinent aus begreifen und wollte wissen, wie all die Menschen, die in den großen Städten des Mittelalters lebten, etwa in Konstantinopel, Jerusalem, Bagdad und Kairo, die Kreuzzüge wahrnahmen. Ich wollte etwas über die großen Imperien des Ostens erfahren, über die Mongolen und ihre Eroberungen, und verstehen, welchen Eindruck die Weltkriege hinterließen, wenn man sie nicht von Flandern oder von der Ostfront aus betrachtete, sondern von Afghanistan und Indien aus.

Ich hatte das große Glück, dass mir die Schule Gelegenheit bot, Russisch zu lernen. Mein Lehrer war Dick Haddon, ein brillanter Mann, der in der Marineaufklärung gedient hatte und glaubte, dass man die russische Sprache und duscha (Seele) am besten über ihre umfassende Literatur und Volksmusik verstand. Und ich hatte noch größeres Glück, als er anbot, allen Interessierten Arabischunterricht zu geben. Ein halbes Dutzend von uns machte er so mit der islamischen Kultur und Geschichte vertraut, und er führte uns die Schönheit des klassischen Arabisch vor Augen. Diese Sprachen eröffneten eine Welt, die nur auf ihre Entdeckung wartete – genauer, wie ich schon bald erkannte, auf ihre Wiederentdeckung durch uns im Westen.

 

Heute setzt man sich intensiv mit den absehbaren Folgen des raschen Wirtschaftswachstums in China auseinander, wo sich die Nachfrage nach Luxusgütern Voraussagen zufolge im kommenden Jahrzehnt vervierfachen wird, oder mit dem sozialen Wandel in Indien, wo mehr Menschen Zugang zu einem Mobiltelefon als zu einer Toilette mit Wasserspülung haben.[3] Aber keines der beiden Themen bietet einen guten Ansatzpunkt, um die Vergangenheit und Gegenwart der Welt zu erforschen. Jene Region, die zwischen dem Osten und dem Westen lag und die Europa mit dem Pazifik verband, bildete in Wirklichkeit jahrtausendelang die Achse, um die sich der Erdball drehte.

Diese mittlere Region zwischen Ost und West, die sich grob vom östlichen Ufer des Mittelmeers und vom Schwarzen Meer bis zum Himalaya erstreckt, mag als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Welt wenig verheißungsvoll erscheinen. Heutzutage beheimatet sie Staaten, die den Eindruck von Exotik und hinterster Provinz wecken, wie Kasachstan und Usbekistan, Kirgisistan und Turkmenistan, Tadschikistan und die Länder des Kaukasus; gemeinhin wird diese Region mit instabilen, gewalttätigen Regimen in Verbindung gebracht, die eine Gefahr für die internationale Sicherheit darstellen, wie Afghanistan, Iran, Irak und Syrien, oder die wenig Erfahrung mit demokratischen Gepflogenheiten haben, wie Russland und Aserbaidschan. Alles in allem handelt es sich dem Anschein nach um eine Region, in der eine Reihe gescheiterter oder im Scheitern begriffener Staaten liegt, angeführt von Diktatoren, die bei landesweiten Wahlen unglaublich hohe Zustimmung erhalten und deren Familien und Freunde eigene Interessen durchzusetzen verstehen, riesige Vermögen besitzen und politische Macht ausüben. Es sind Staaten, in denen Menschenrechte häufig mit Füßen getreten werden, in denen die freie Meinungsäußerung in Angelegenheiten des Glaubens, des Gewissens und der sexuellen Orientierung eingeschränkt ist und die Regierung diktiert, was in der Presse erscheinen darf und was nicht.[4]

Uns im Westen mögen diese Länder barbarisch erscheinen, aber sie sind keineswegs tiefste Provinz, kein unbekanntes Ödland. Genau genommen bildet die Brücke zwischen Ost und West exakt die Schnittstelle der Zivilisation. Diese Länder liegen nicht an der Peripherie der Weltpolitik, sondern mitten in ihrem Zentrum – und das schon seit Beginn der Geschichte. Hier finden wir die Wiege der Zivilisation, und viele glauben, dass hier sogar der Mensch erschaffen wurde: im Garten Eden, den «Gott der Herr pflanzte» mit «allerlei Bäumen, verlockend anzusehen und gut zu essen» und von dem gemeinhin angenommen wird, dass er in den fruchtbaren Landschaften zwischen Euphrat und Tigris lag.[5]

An dieser Schnittstelle von Ost und West wurden vor fast fünftausend Jahren große Metropolen gegründet; die Städte Harappa und Mohenjo-Daro im Indus-Tal waren Wunder des Altertums, mit Zehntausenden von Einwohnern und Straßen, die über ein hochentwickeltes Kanalisationssystem miteinander verbunden waren, wie man es in Europa noch Jahrtausende später nicht kannte.[6] Weitere Zentren der Zivilisation, wie Babylon, Ninive, Uruk und Akkad in Mesopotamien, waren berühmt für ihre Pracht und architektonischen Innovationen. Ein chinesischer Geograph, der vor über zweitausend Jahren schrieb, hielt fest, dass die Bewohner von Baktrien, das südlich des Flusses Oxus (Amudarja) im heutigen Norden Afghanistans liegt, legendäre Unterhändler und Kaufleute waren. Ihre Hauptstadt beherbergte einen Markt, auf dem eine riesige Vielfalt an Erzeugnissen angeboten wurde, die von fern hergeschafft worden war.[7]

In dieser Region sind die großen Weltreligionen entstanden; hier haben das Judentum, das Christentum, der Islam, der Buddhismus und der Hinduismus miteinander gerungen. Dies ist der Schmelztiegel, in dem Sprachgruppen miteinander wetteiferten, indoeuropäische, semitische und sinotibetische Sprachen neben den altaischen, türkischen und kaukasischen zu hören waren. Hier wurden große Imperien errichtet und zu Fall gebracht; die Nachwirkungen des Zusammenstoßes von Kulturen und rivalisierenden Mächten waren noch in Tausenden Kilometern Entfernung zu spüren. Versetzt man sich in diese Region zurück, eröffnen sich neue Möglichkeiten, die Vergangenheit zu betrachten. Es zeigt sich eine Welt, in der die Geschehnisse auf einem Kontinent Auswirkungen auf einem anderen hatten, in der die Folgen dessen, was sich in den Steppen Zentralasiens ereignete, noch in Nordafrika zu spüren waren, in der sich Ereignisse in Bagdad bis nach Skandinavien auswirkten, in der Entdeckungen in Amerika die Preise für Waren in China beeinflussten und die Nachfrage auf dem Pferdemarkt in Nordindien in die Höhe trieben.

Diese Erschütterungen breiteten sich entlang eines Netzwerks aus, das sich in alle Himmelsrichtungen erstreckte, über Routen, auf denen Pilger und Krieger, Nomaden und Kaufleute reisten, Waren und Produkte erworben und verkauft wurden und auf denen Ideen ausgetauscht, verändert und verfeinert wurden. Sie haben Wohlstand gebracht, aber auch Tod und Gewalt, Krankheiten und Katastrophen. Im späten 19. Jahrhundert gab der berühmte deutsche Geograph Ferdinand von Richthofen (der Onkel des Roten Barons aus dem Ersten Weltkrieg) diesem weitläufigen Netz einen Namen, der haften geblieben ist: «Seidenstraßen».[8]

Diese Handelswege dienen als das zentrale Nervensystem der Welt, das Menschen und Orte miteinander verbindet, aber unter der Oberfläche liegt, für das bloße Auge unsichtbar. So wie die Anatomie die Funktionsweise des Körpers erklärt, hilft uns das Verständnis dieser Verbindungen, die Funktionsweise der Welt nachzuvollziehen. Und doch ist dieser Teil der Welt, ungeachtet seiner Bedeutung, vom Mainstream der Geschichtsschreibung vergessen worden. Das liegt nicht zuletzt an jener Strömung, die man «Orientalismus» nennt – einer aufdringlichen und überwiegend abwertenden Sichtweise des Ostens: Dieser sei kaum entwickelt und dem Westen unterlegen, ebendeshalb lohne es sich auch nicht, sich ernsthaft mit ihm zu beschäftigen.[9] Ein weiterer Grund für das Vergessen liegt darin, dass die gängige Lesart der Geschichte mittlerweile so dominant und etabliert ist, dass kein Platz ist für eine Region, die als nebensächlich für den Aufstieg Europas und der westlichen Gesellschaft gilt.

Heute sind Dschalalabad und Herat in Afghanistan, Falludscha und Mossul im Irak oder Homs und Aleppo in Syrien oftmals Synonyme für religiösen Fundamentalismus und sektiererische Gewalt. Die Gegenwart hat die Vergangenheit fortgespült: Die Tage sind vorbei, als der Name Kabul Bilder von den Gärten heraufbeschwor, die der große Babur, der Gründer des Mogulreichs in Indien, anlegte und pflegte. Zu dem sogenannten Bagh-i-Wafa (Garten der Treue) gehörte eine Wiese voller Klee und ein Teich, der von Orangen- und Granatapfelbäumen umgeben war – worauf Babur außerordentlich stolz war: «Dieser Platz ist der schönste im Garten. In Zeiten, wenn die Orangen sich färben, zeigt sich seine ganze Pracht. Wirklich, dieser Garten ist wunderbar schön gelegen.»[10]

Ebenso verschleiern die heutigen Eindrücke vom Iran seinen einstigen Ruhm, als seine persischen Vorläufer der Inbegriff für guten Geschmack waren, von den bei Tisch servierten Früchten über die verblüffend exakten Miniaturporträts, die ihre legendären Künstler gestalteten, bis hin zu dem Papier, auf das die Gelehrten schrieben. Ein als wunderschön geltendes Werk, verfasst um 1400 von Simi Nischaburi, einem Bibliothekar aus Mashhad im Osten des Iran, dokumentiert ausführlich den Ratschlag eines Buchliebhabers, der dessen Leidenschaft teilte: Jeder, der sich anschicke zu schreiben, rät dieser feierlich, möge beherzigen, dass das beste Papier für Kalligraphie in Damaskus, Bagdad oder Samarkand hergestellt werde. Papier aus anderen Orten sei «für gewöhnlich rau, es schmiere und sei nicht haltbar». Ferner solle man beachten, dass es sich lohne, dem Papier einen leichten Farbton zu geben, ehe man Tinte darauf verwende, «weil Weiß den Augen weh tut und die kalligraphischen Meisterwerke, die bislang bekannt sind, alle auf getöntem Papier angefertigt wurden».[11]

Orte, deren Namen heute so gut wie vergessen sind, waren einst Zentren von Macht und Einfluss. Nehmen wir etwa Merw, im heutigen Turkmenistan gelegen, das ein Geograph des 10. Jahrhunderts als eine «entzückende, reizende, elegante, brillante, weitreichende und angenehme Stadt» und als die «Mutter der Welt» beschrieb; oder Ray, nicht weit vom heutigen Teheran, das einem Schreiber um die gleiche Zeit so prächtig erschien, dass er die Stadt als den «Bräutigam der Erde» und das «schönste Geschöpf» der Welt beschrieb.[12] Über den Rücken des asiatischen Kontinents verstreut, waren diese Städte wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht, die den Pazifik mit dem Mittelmeer verband.

Die städtischen Zentren spornten sich gegenseitig an, und die Rivalität unter den Herrschern und Eliten gab den Anstoß zum Bau von immer ambitionierterer Architektur und immer spektakuläreren Monumenten. Bibliotheken, Orte des Gebets, Kirchen und Observatorien von gigantischen Ausmaßen und Einfluss auf die Kultur entstanden in der ganzen Region und verbanden Konstantinopel mit Damaskus, Isfahan, Samarkand, Kabul und Kaschgar. Städte wie diese wurden zur Heimat herausragender Gelehrter, die auf ihren Gebieten bahnbrechende Entdeckungen machten. Nur eine Handvoll dieser Pioniere kennt man noch heute, Männer wie Ibn Sina, besser bekannt als Avicenna, oder al-Biruni und al-Chwarizmi, große Forscher der Astronomie und der Medizin. Vor Beginn der frühen Neuzeit lagen die herausragenden Geisteszentren der Welt, die Oxfords und Cambridges, die Harvards und Yales, jahrhundertelang weder in Europa noch im weiteren Westen, sondern in Bagdad und Balch, Buchara und Samarkand.

Dass sich die Kulturen, Städte und Völker entlang der Seidenstraße beständig weiterentwickelten, hat seinen Grund: Während sie Handel trieben und Ideen austauschten, lernten sie voneinander und regten weitere Fortschritte in der Philosophie, der Naturwissenschaft, Sprache und Religion an. Fortschritt war unerlässlich, wie ein Herrscher des Königreichs Zhao im Nordosten Chinas am äußersten Rand Asiens schon vor über zweitausend Jahren allzu gut wusste. «Ein Talent, den Pfaden von gestern zu folgen», erklärte König Wu-ling im Jahr 307 v. Chr., «reicht nicht aus, um die Welt von heute zu verbessern.»[13] Führende Persönlichkeiten der Vergangenheit begriffen sehr wohl, wie wichtig es war, stets auf der Höhe der Zeit zu bleiben.

Zwei große Seeexpeditionen am Ende des 15. Jahrhunderts führten jedoch dazu, dass sich der Hort des Fortschritts in der frühen Neuzeit verschob. Binnen sechs Jahren wurde nach 1492 das Fundament für eine massive Störung im Rhythmus der seit langem etablierten Austauschsysteme gelegt. Zuerst überquerte Christoph Kolumbus den Atlantik und machte damit den Weg frei für die Vereinigung zweier großer Landmassen, die bislang unberührt geblieben waren, mit Europa und anderen Teilen der Welt; wenige Jahre danach umrundete Vasco da Gama die Südspitze Afrikas und segelte weiter nach Indien. Völlig neue Seewege wurden erschlossen. Die Entdeckungen veränderten die Muster der Interaktion und des Handels und sorgten für eine beträchtliche Verschiebung im politischen und wirtschaftlichen Gravitationszentrum der Welt. Schlagartig verwandelte sich Westeuropa von einer regionalen Provinz zum Dreh- und Angelpunkt eines sich ausweitenden Kommunikations-, Verkehrs- und Handelssystems: Es wurde zum neuen Mittelpunkt zwischen Ost und West.

Der Aufstieg Europas löste einen erbitterten Machtkampf aus – und ein Ringen um die Kontrolle über die Vergangenheit. Während sich die Rivalen miteinander maßen, wurde die Geschichte neu geschrieben, wobei jene Ereignisse, Motive und Ideen hervorgehoben wurden, die sich in der ideologischen Auseinandersetzung einsetzen ließen, die neben dem Kampf um Ressourcen und die Beherrschung der Seewege tobte. Büsten von führenden Politikern und Generälen wurden angefertigt, auf denen sie eine Toga trugen und wie alte römische Helden aussahen; Gebäude wurden im prunkvollen, klassischen Stil errichtet, der sich den Ruhm der Antike zu eigen machte, als seien die Römer unmittelbare Vorläufer. Die Geschichte wurde verdreht und manipuliert, bis eine sich hartnäckig haltende Version entstand, der zufolge der Aufstieg des Westens nicht nur naturgemäß und unvermeidlich war, sondern auch das fortsetzte, was inzwischen verlorengegangen war.

 

Viele Geschichten brachten mich dazu, die Vergangenheit unserer Welt anders zu betrachten. Eine beeindruckte mich besonders: Nach der griechischen Mythologie ließ Zeus, der Göttervater, zwei Adler frei, an jedem Ende der Erde einen, und gebot ihnen, aufeinander zuzufliegen. Auf die Stelle, an der sich die beiden Adler trafen, legte Zeus einen heiligen Stein, den sogenannten omphalos – Nabel der Welt –, der die Kommunikation mit dem Göttlichen ermöglichte. Erst später erfuhr ich, dass die Vorstellung dieses Steins Philosophen und Psychoanalytiker schon sehr lange faszinierte.[14]

Ich weiß noch, wie ich meine Karte anstarrte, als ich diese Sage zum ersten Mal hörte, und mich fragte, wo sich die Adler wohl getroffen haben mochten. Ich stellte mir vor, wie sie von der Atlantikküste im Westen und von der chinesischen Pazifikküste im Osten abhoben und landeinwärts flogen. Die genaue Position variierte, je nachdem, wo ich mit den Fingern anfing, die gleiche Entfernung vom Ost- und vom Westrand zu messen. Aber ich landete immer irgendwo zwischen dem Schwarzen Meer und dem Himalaya. Nächtelang lag ich wach im Bett und grübelte über die Karte, die Adler des Zeus und die Geschichte einer Region, die in den Büchern, die ich las, mit keinem Wort erwähnt wurde – ja nicht einmal einen Namen hatte.

Vor nicht allzu langer Zeit teilten die Europäer den asiatischen Kontinent grob in drei Zonen ein: den Nahen, den Mittleren und den Fernen Osten. Aber wann immer ich in all den Jahren von den aktuellen Problemen gehört oder gelesen habe, kam es mir so vor, als habe die zweite Zone, der Mittlere Osten oder zumindest das, was im angelsächsischen Raum als Middle East bezeichnet wird, eine neue Bedeutung und sogar Verortung bekommen. Für gewöhnlich bezeichnen Angloamerikaner damit heute Israel, Palästina und deren Umgebung, gelegentlich auch den Persischen Golf. Mir wollte einfach nicht in den Kopf, warum mir ständig erzählt wurde, wie wichtig das Mittelmeer als Wiege der Zivilisation gewesen sei, wo doch auf der Hand lag, dass die Zivilisation nicht hier entstanden war. Der eigentliche Schmelztiegel, der «mediterrane Raum» im wörtlichen Sinn – die Mitte der Erde –, war nicht ein Meer, das Europa und Nordafrika voneinander trennte, sondern lag mitten auf dem asiatischen Kontinent.

Ich hoffe, es gelingt mir, andere zu ermuntern, Völker und Orte zu studieren, die über Generationen hinweg von den Gelehrten ignoriert wurden, indem ich neue Fragen aufwerfe und neue Forschungsfelder eröffne. Dabei will ich erreichen, dass Binsenweisheiten in Frage gestellt und kritisch überprüft werden. Vor allem möchte ich die Leser dieses Buches dazu inspirieren, die Geschichte einmal auf andere Weise zu betrachten.

Erstes KapitelWo alles seinen Anfang nimmt – die Mitte der Welt

Seit Beginn der Menschheitsgeschichte lag jene Region, in der Reiche gegründet wurden, im Osten. Die Tiefebene Mesopotamiens mit dem Schwemmland von Euphrat und Tigris lieferte den Nährboden für die Zivilisation – in ebendieser Region nahmen die allerersten Städte und Metropolen Gestalt an. Die systematische Landwirtschaft wurde in Mesopotamien und im ganzen «fruchtbaren Halbmond» entwickelt, einem Streifen mit außerordentlich ertragreichem Boden und reichlich Wasser, der sich vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer erstreckte. Hier wurden vor fast viertausend Jahren auch die ersten dokumentierten Gesetze verbreitet. Hammurabi, der König von Babylon, erlegte seinen Untertanen detaillierte Pflichten auf und verhängte grausame Strafen für Verstöße.[1]

Aus diesem Schmelztiegel gingen unzählige Königreiche und Imperien hervor, das größte aber war das Reich der Perser. Ihnen gelang es im 6. Jahrhundert v. Chr., ausgehend von einem Kernland, das im heutigen südlichen Iran liegt, ihre Nachbarn unter ihren Einfluss zu bringen. Sie erreichten die Küste des Ägäischen Meeres, eroberten Ägypten und drangen im Osten bis zum Himalaya vor. Diesen Erfolg verdankten sie laut dem griechischen Historiker Herodot vor allem ihrer Offenheit: «Kein Volk ist fremden Sitten so zugänglich wie das persische», schrieb er. Die Perser seien bereit, ihre eigene Art, sich zu kleiden, aufzugeben, wenn sie zu dem Schluss gelangten, dass die Mode eines besiegten Gegners eleganter sei. Deshalb hätten sie Stile der Meder ebenso wie der Ägypter übernommen.[2]

Die Bereitschaft, sich neue Ideen und Methoden anzueignen, war ein wesentlicher Faktor für den Aufbau eines Verwaltungsapparats, der es ermöglichte, ein Reich, dem viele verschiedene Völker angehörten, möglichst konfliktfrei zu regieren. Eine Bürokratie mit hochgebildeten Bediensteten beaufsichtigte die effiziente Verwaltung alltäglicher Angelegenheiten, dokumentierte alle Vorgänge von den Zahlungen an Arbeiter, die im königlichen Haushalt dienten, bis hin zur Bewertung der Qualität und Menge der auf Märkten gehandelten Waren. Die Bediensteten waren auch für die Instandhaltung und Reparatur eines das gesamte Reich umfassenden Straßennetzes zuständig, um das das ganze Altertum die Perser beneidete.[3]

Dieses Straßennetz, das die Küste Kleinasiens mit Babylon, Susa und Persepolis verband, erlaubte es, eine Entfernung von über zweitausendfünfhundert Kilometern im Laufe einer Woche zurückzulegen – eine Leistung, über die Herodot nur staunte. Er wies darauf hin, dass weder Schnee noch Regen, weder Hitze noch Dunkelheit die rasche Übermittlung von Botschaften verhindern konnten.[4] Investitionen in die Landwirtschaft und die Entwicklung innovativer Bewässerungstechniken, die den Ernteertrag erhöhten, trugen das Ihre dazu bei, das Wachstum der Städte zu fördern. Erst dadurch wurde es möglich, immer größere Bevölkerungen mit Hilfe der umliegenden Felder zu ernähren – und zwar nicht nur in den reichen Ackerbaugebieten an den Ufern von Euphrat und Tigris, sondern auch in den Tälern, die durch die mächtigen Ströme Oxus und Laxartes (heute Amudarja und Syrdarja) gespeist wurden, oder im Nildelta nach der Eroberung durch persische Truppen im Jahr 525 v. Chr. Das Persische Reich war ein Land des Überflusses, das den Mittelmeerraum mit dem Herzen Asiens verband.

Persien präsentierte sich als Garant für Stabilität und fairen Umgang, wie eine dreisprachige Inschrift belegt, die in eine Felswand bei Behistun gehauen ist. Auf Altpersisch, Elamisch und Akkadisch dokumentieren die Zeichen, wie Dareios der Große, einer der berühmtesten persischen Herrscher, Revolten und Aufstände niederschlug, fremde Eindringlinge vertrieb und weder den Armen noch den Mächtigen jemals Unrecht tat. Haltet das Land sicher, mahnt die Inschrift, und kümmert euch rechtschaffen um das Volk, denn Gerechtigkeit ist die Grundlage des Königreichs.[5] Die Toleranz gegenüber Minderheiten war geradezu legendär. Ein Vorgänger von Dareios, Kyros II., wurde gar als «Messias» bezeichnet und als derjenige, den der «Herr, der Gott des Himmels» gesegnet habe – eine Folge seiner politischen Maßnahmen, zu denen etwa die Befreiung der Juden aus dem babylonischen Exil zählte.[6]

Der Handel im alten Persien spülte Einnahmen in die Schatulle, die es den Herrschern ermöglichten, Kriegszüge gegen ausgewählte Orte zu finanzieren, die wiederum die Ressourcen des Reiches mehrten. Darüber hinaus konnten sich die Perser auf diese Weise bekanntlich einen auserlesenen Geschmack leisten. Spektakuläre Bauten wurden in den riesigen Städten Babylon, Persepolis, Pasargadae und Susa errichtet, wo König Dareios mit dem hochwertigsten Ebenholz und Silber aus Ägypten sowie Zedern aus dem Libanon, Blattgold aus Baktrien, Lapislazuli und Zinnober aus Sogdien, Türkis aus Choresmien und Elfenbein aus Indien einen prächtigen Palast baute.[7] Die Perser waren berühmt für ihren Hang zu Vergnügungen. Laut Herodot mussten sie nur von einem neuen Luxusartikel hören, und schon wollten sie ihn selbst besitzen.[8]

Dieses kommerzielle Gemeinwesen stützte sich auf ein aggressives Militär, das die Grenzen ausdehnte, aber auch zu verteidigen hatte. Im Norden, einer Gegend, die von Nomaden dominiert wurde, drohte unablässig Gefahr. Diese Völker lebten mit ihren Viehherden in den semiariden Grasgürteln, den sogenannten Steppen, die sich vom Schwarzen Meer quer durch Zentralasien bis zur Mongolei hinzogen. Sie waren für ihre Grausamkeit berüchtigt: Dem Vernehmen nach tranken sie das Blut ihrer Feinde und fertigten aus deren Skalps Kleider; einige verzehrten angeblich das Fleisch ihrer eigenen Väter.

Dennoch fand mit den Nomaden ein vielschichtiger Austausch statt, denn obwohl sie oftmals als unberechenbar beschrieben wurden, waren sie wichtige Handelspartner für die Versorgung mit Tieren, insbesondere mit edlen Pferden. Die Stämme konnten das Reich jedoch auch in Aufruhr versetzen, etwa als Kyros der Große, der Baumeister des Persischen Reiches im 6. Jahrhundert v. Chr., bei dem Versuch, die Skythen zu unterwerfen, getötet wurde; das Nomadenvolk trug seinen Kopf anschließend in einem Schlauch durch die Straßen, der mit Blut gefüllt war, das den Machtdurst des Herrschers ein für alle Mal stillen sollte.[9]

Dieser Rückschlag konnte Persiens Expansionsdrang nicht stoppen. Griechische Feldherren blickten mit einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht nach Osten und bemühten sich, von der Taktik der Perser auf dem Schlachtfeld zu lernen und ihre Technologie zu übernehmen. Autoren wie Aischylos nutzten Siege gegen die Perser, um die Tapferkeit der eigenen Soldaten zu preisen und die Gunst der Götter zu beweisen. Sie erinnerten in epischen Stücken und Werken an den heldenhaften Widerstand gegen die Versuche Persiens, in Griechenland einzudringen.[10]

«Ich kam in dieses theb’sche Land», sagt Dionysos in Euripides’ Stück Bacchae, aus «der Lyder und der Phryger goldergieb’gen Flur», aus dem sagenhaft reichen Osten, von einem Ort, wo die Ebenen Persiens von der Sonne verbrannt werden, wo Baktriens Städte von Mauern geschützt sind und wo kunstvoll errichtete Türme Küstenregionen überragen. Asien und der Osten waren jene Ländereien, wo Dionysos mit den göttlichen Mysterienspielen lange vor Griechenland seinen Tanz einführte.[11]

 

Kaum jemand studierte diese Werke aufmerksamer als Alexander der Große. Als er im Jahr 336 v. Chr. nach dem Mord an seinem Vater, dem herausragenden König Philipp, den Thron bestieg, stand außer Frage, in welche Richtung der junge, nach Ruhm strebende Feldherr vorstoßen würde. Keine Sekunde lang dachte er an Westeuropa, das überhaupt nichts zu bieten hatte: keine Städte, keine Kultur, kein Prestige, keinen Lohn. Für Alexander lagen, wie für alle alten Griechen, Kultur, Ideen und große Verheißungen – wie auch Gefahren – im Osten. Es war kein Wunder, dass sein Blick auf das größte Reich des Altertums fiel: Persien.

Nachdem Alexander die persischen Statthalter in Ägypten im Jahr 331 v. Chr. mit einem Handstreich abgesetzt hatte, drangen seine Truppen bis ins Kernland des Imperiums vor. Die entscheidende Schlacht fand im selben Jahr auf den staubigen Ebenen von Gaugamela statt, in der Nähe der heutigen Stadt Erbil im irakischen Kurdistan. Der makedonische König brachte einer zahlenmäßig weit überlegenen persischen Streitmacht unter dem Befehl von Dareios III. eine spektakuläre Niederlage bei – möglicherweise weil er nach einem erholsamen Schlaf gut ausgeruht war. Laut Plutarch bestand Alexander darauf, zuerst zu ruhen, bevor er in die Schlacht zog. Er schlief so fest, dass seine besorgten Feldherren ihn rütteln mussten, um ihn zu wecken. Anschließend kleidete er sich wie immer: Er setzte einen prächtigen Helm auf, der so sauber poliert war, dass er «wie reines Silber» schimmerte, packte das vertraute Schwert mit der Rechten und führte seine Truppen zu einem überwältigenden Sieg, der das Tor zu einem Weltreich öffnete.[12]

Auf Alexander, Schüler des Aristoteles, hatte man große Hoffnungen gesetzt. Er enttäuschte sie nicht. Nachdem er das persische Heer bei Gaugamela in die Flucht geschlagen hatte, rückte er weiter nach Osten vor. Eine Stadt nach der anderen kapitulierte vor dem jungen Helden, Städte, die für ihre Größe, ihren Reichtum und ihre Schönheit berühmt waren. Babylon legte die Waffen nieder, und die Bewohner bedeckten die Straße, die zu der großen Stadt führte, mit Blumen und Girlanden; zu beiden Seiten wurden Altäre aus Silber errichtet, die von Weihrauch umgeben waren. Käfige mit Löwen und Panthern wurden als Geschenk überbracht.[13] Binnen kurzer Zeit waren sämtliche Punkte entlang der königlichen Straße, die die großen Städte Persiens und das Kommunikationsnetz von der Küste Kleinasiens bis nach Zentralasien miteinander verband, in der Gewalt von Alexander und seinem Gefolge.

Einige moderne Historiker bezeichneten ihn verächtlich als «betrunkenen, jugendlichen Raufbold», doch allem Anschein nach bewies Alexander erstaunlich viel Takt im Umgang mit den neu eroberten Gebieten und deren Bevölkerung.[14] Er zeigte sich oft nachgiebig, wenn es um lokale religiöse Überzeugungen und Bräuche ging, bewies Toleranz und sogar Respekt: So war er etwa aufgebracht darüber, dass man das Grabmal Kyros’ des Großen geschändet hatte. Alexander ließ nicht nur das Grabmal wiederherstellen, sondern bestrafte auch diejenigen, die das Heiligtum entweiht hatten.[15] Zudem sorgte er dafür, dass Dareios III. ein Begräbnis bekam, das seinem Rang entsprach, und neben anderen persischen Herrschern beigesetzt wurde. Man hatte den Leichnam achtlos auf einen Karren geworfen, nachdem einer seiner eigenen Befehlshaber Dareios ermordet hatte.[16]

Alexander war nicht zuletzt deshalb imstande, immer mehr Gebiete in seine Gewalt zu bringen, weil er bereit war, sich auf die lokalen Oberschichten zu stützen. «Wenn wir uns Asien erhalten, nicht aber es bloß durchqueren wollen», sagte er der Überlieferung nach, «dann müssen wir sie [die besiegten Völker] der uns eigenen Milde teilhaftig werden lassen; erst ihre Treue wird dem Reich ewige Festigkeit verleihen.»[17] Lokale Würdenträger und alte Eliten wurden anerkannt und erhielten die Aufgabe, die eroberten Städte und Gebiete zu verwalten. Alexander selbst machte es sich zur Gewohnheit, traditionelle Titel anzunehmen und persische Kleidung zu tragen, um seinen Respekt vor den regionalen Bräuchen zu unterstreichen. Er legte Wert darauf, sich weniger als eindringender Eroberer denn als der jüngste Erbe eines alten Reiches zu präsentieren – ungeachtet all derjenigen, die meinten, er habe nichts als Leid über das Land gebracht und es in Blut getränkt.[18]

Wir dürfen nicht vergessen, dass ein großer Teil dessen, was wir über Alexanders Feldzüge, Erfolge und politische Maßnahmen wissen, von späteren Historikern stammt, deren Schilderungen häufig stark idealisiert sind und von Begeisterung für die Heldentaten des jungen Feldherrn geradezu überquellen.[19] Doch auch wenn bei den Quellen, die vom Zusammenbruch Persiens berichten, Vorsicht geboten ist, spricht die Geschwindigkeit, mit der Alexander die Reichsgrenzen immer weiter nach Osten ausdehnte, für sich. Er gründete eifrig neue Städte, die in der Regel nach ihm benannt wurden, heute aber meist unter anderen Namen bekannt sind, etwa Herat (Alexandria in Aria), Kandahar (Alexandria in Arachosia) und Bagram (Alexandria ad Caucasum). Der Bau dieser Posten – und die Verstärkung anderer, weiter im Norden gelegener, die sich bis ins Ferghana-Tal erstreckten – schuf neue Punkte entlang des asiatischen Rückens.

Neue Städte mit starken Verteidigungsanlagen sowie allein stehende Festungen und Forts wurden hauptsächlich zum Schutz vor den Stämmen der Steppe errichtet. Immer wieder überfielen diese dörfliche Gemeinschaften mit verheerenden Folgen. Alexanders Befestigungsprogramm sollte Gebiete sichern, die erst vor kurzem erobert worden waren. An anderen Orten begegnete man vergleichbaren Bedrohungen ganz ähnlich. Die Chinesen hatten bereits das Konzept des huaxia entwickelt, das eine zivilisierte Gesellschaft bezeichnete, die sich über den Gegensatz zu den als barbarisch wahrgenommenen Steppenvölkern bestimmte. Ein aufwendiges Bauprogramm erweiterte ein Netz aus Befestigungsanlagen zur sogenannten chinesischen Großen Mauer und folgte demselben Grundsatz wie Alexander: Expansion ohne Verteidigung war sinnlos.[20]

Im 4. Jahrhundert v. Chr. führte Alexander unablässig weiter Krieg, schlug einen Bogen durch den Hindukusch und marschierte das Indus-Tal hinab. Wiederum gründete er neue Festungsanlagen mit Garnisonen – allerdings schlugen ihm mittlerweile die Protestrufe seiner erschöpften und an Heimweh leidenden Männer entgegen. Aus militärischer Sicht waren Alexanders Errungenschaften zum Zeitpunkt seines Todes im Alter von zweiunddreißig Jahren in Babylon, anno 323 v. Chr., geradezu sensationell.[21] Die Geschwindigkeit und das Ausmaß seiner Eroberungen waren atemberaubend. Ebenso beeindruckend war – auch wenn es meist übergangen wird – die Größe seines Vermächtnisses und die Weise, wie sich die Einflüsse des alten Griechenlands mit jenen Persiens, Indiens, Zentralasiens und letztlich auch Chinas vermischten.

Auf den Tod Alexanders folgte eine Phase der Unruhen und internen Machtkämpfe unter seinen höchsten Befehlshabern, doch schon bald ging daraus ein Führer für die östliche Hälfte der neuen Gebiete hervor: ein im Norden von Makedonien geborener Feldherr namens Seleukos, der an allen großen Feldzügen des Königs teilgenommen hatte. Wenige Jahre nach dem Tod seines Schutzherrn fand er sich als Statthalter von Ländereien wieder, die vom Tigris bis zum Indus reichten; das Gebiet war so riesig, dass es weniger einem Königreich als einem eigenen Imperium ähnelte. Seleukos gründete eine Dynastie, die sogenannten Seleukiden, die fast dreihundert Jahre lang herrschen sollte.[22] Alexanders Siege werden häufig und leichthin als eine Reihe zwar brillanter, aber kurzfristiger Errungenschaften abgetan, sein Vermächtnis gilt gemeinhin als nur von kurzer Dauer. Dabei handelt es sich hier keineswegs um vorübergehende Erfolge; vielmehr waren sie der Beginn eines neuen Kapitels für die Region zwischen Mittelmeer und Himalaya.

In den Jahrzehnten nach Alexanders Tod wurden Ideen, Motive und Symbole aus dem alten Griechenland im Osten eingeführt, es erfolgte eine schrittweise und unbeirrbare Hellenisierung. Die Nachfahren seiner Generäle besannen sich auf ihre griechischen Wurzeln und hoben sie von sich aus hervor, beispielsweise auf den Münzen, die in den großen Städten geprägt wurden. Diese Städte lagen alle an strategisch wichtigen Punkten entlang der Handelsrouten oder in blühenden Agrarzentren. Die Form der Münzen wurde standardisiert: ein Bild des aktuellen Herrschers auf der Münzvorderseite mit Haarlocken, die von einem Diadem zusammengehalten werden, die Augen immer nach rechts gewandt, genau wie Alexander, dazu ein Bild Apollos auf der Rückseite, beschriftet mit griechischen Buchstaben.[23]

Die griechische Sprache war in ganz Zentralasien und im Indus-Tal zu hören – und zu sehen. In Ai Khanoum im Norden Afghanistans, einer von Seleukos neu gegründeten Stadt, wurden Sprüche aus Delphi in Stein gemeißelt, etwa der folgende:

Als Kind sei wohlerzogen.

Als Jugendlicher sei selbstbeherrscht.

Als Erwachsener sei gerecht.

Als alter Mann sei weise.

Als Sterbender habe keine Schmerzen.[24]

Noch über ein Jahrhundert nach Alexanders Tod wurde Griechisch täglich von Staatsbediensteten verwendet, wie aus Steuereinkünften und Dokumenten zum Lohn der Söldner aus Baktrien um 200 v. Chr. hervorgeht.[25] Die Sprache drang sogar tief in den indischen Subkontinent ein. Einige Edikte, die Ashoka aus der Dynastie der Maurya, der größte frühindische Herrscher, erließ, wurden samt griechischer Übersetzung verfasst. Offensichtlich profitierte davon auch die einheimische Bevölkerung.[26]

Die Nachwirkungen des kulturellen Austausches, der begann, als Europa und Asien aufeinanderprallten, waren verblüffend. Die ersten Buddha-Statuen tauchten erst auf, nachdem sich im Gandhara-Tal und in Westindien der Apollo-Kult etabliert hatte. Buddhisten fühlten sich vom Erfolg der neuen religiösen Bräuche bedroht und fingen an, ihre eigenen Kultobjekte zu schaffen. In der Tat besteht nicht nur ein Zusammenhang mit dem Auftauchen der ersten Buddha-Statuen, sondern auch zu deren Gestalt: Augenscheinlich lieferte Apollo das Muster, so stark war hier der griechische Einfluss. Bislang hatten Buddhisten bewusst auf visuelle Darstellungen verzichtet; nunmehr zwang sie die neue Konkurrenz zu reagieren, ein Konzept zu entlehnen und ihre Religion zu erneuern.[27]

Mit griechischen Inschriften verzierte Steinaltäre, Abbilder Apollos und erlesene Alexander-Miniaturen aus Elfenbein, die im heutigen Süden von Tadschikistan gefunden wurden, lassen darauf schließen, wie weit Einflüsse aus dem Westen vordrangen.[28] Das gilt, zumindest in einigen Bereichen, auch für den Eindruck der kulturellen Überlegenheit, den die Griechen vermittelten. So wurden sie in Indien weithin für ihre Fertigkeit in den Wissenschaften geschätzt: «Sie sind Barbaren», heißt es in einer Schrift, die unter der Bezeichnung Garga Samhita bekannt ist, «doch die Wissenschaft der Astronomie stammt von ihnen, und dafür müssen sie wie Götter verehrt werden.»[29]

Laut Plutarch sorgte Alexander dafür, dass die griechische Religion selbst im fernen Indien gelehrt wurde, mit dem Ergebnis, dass man die Götter des Olymps in ganz Asien anbetete. Junge Männer in Persien und darüber hinaus wuchsen mit der Lektüre Homers auf und sangen «die Tragödien des Euripides und Sophocles»; die griechische Sprache wurde gar im Indus-Tal unterrichtet.[30] Das könnte auch der Grund dafür sein, dass quer durch die großen Werke der Weltliteratur ähnliche Motive zu finden sind. Beispielsweise wurde angedeutet, dass das Ramayana, das große Epos in Sanskrit, an die Ilias und an die Odyssee angelehnt sei. Das Motiv der Entführung der treuen Ehefrau Sita durch Ravana, den Gegenspieler des göttlichen Rama, sei ein direkter Nachhall der Entführung Helenas durch Paris von Troja. Einfluss und Inspiration waren durchaus wechselseitig; manche Wissenschaftler argumentieren etwa, dass die Aeneis wiederum von indischen Texten wie dem Mahabharata beeinflusst wurde.[31] Ideen, Motive und Geschichten wanderten über die Handelsrouten, verbreitet von Reisenden, Kaufleuten und Pilgern: Alexanders Eroberungen erweiterten das Denken der Bevölkerung in den Ländern, die er eroberte, wie auch der Menschen an der Peripherie und jenseits der Grenzen, die mit den neuen Ideen, Bildern und Vorstellungen in Berührung kamen.

Der vielseitige Austausch zwischen Ost und West prägte selbst die Kulturen in den wilden Steppen. Das geht aus erlesenen Grabgaben hervor, die an der Seite von hohen Persönlichkeiten in den Gräbern von Tilla Tepe im Norden Afghanistans gefunden wurden. Die Schmuckstücke weisen künstlerische Einflüsse aus Griechenland auf – sowie aus Sibirien, Indien und darüber hinaus. Luxuswaren wurden in der Welt der Nomaden im Gegenzug für Vieh und Pferde gehandelt und gelegentlich als Tribut für Frieden bezahlt.[32]

 

Die Anbindung der Steppengebiete an eine immer enger zusammenrückende Welt wurde durch die wachsenden Ambitionen Chinas beschleunigt. Unter der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) hatte sich die Grenze des Reiches in mehreren Expansionswellen weiter ausgedehnt und erreichte schließlich eine Provinz, die damals Xiyu (oder «westliche Regionen») genannt wurde und heute unter dem Namen Xinjiang («Neues Grenzland») bekannt ist. Sie lag jenseits des Gansu-Korridors, einer über tausend Kilometer langen Passage, die das chinesische Landesinnere mit der Oasenstadt Dunhuang verband, einer Wegkreuzung am Rand der Wüste Taklamakan. An diesem Punkt konnte man zwischen einer nördlichen und einer südlichen Route wählen, die beide ihre Tücken hatten und bei Kaschgar wieder zusammenliefen. Kaschgar war seinerseits ein Verkehrsknoten inmitten der Gebirgsketten Himalaya, Pamir, Tienschan und Hindukusch.[33]

Die sich ausweitende Einflusssphäre Chinas verknüpfte die verschiedenen Gegenden Asiens miteinander. Zuvor waren die Netzwerke von den Yuezhi und vor allem den Xiongnu blockiert worden, nomadischen Stämmen, die wie die Skythen in Zentralasien ständig für Unruhe sorgten, aber auch ein wichtiger Handelspartner für Nutztiere waren: Schreiber der Han-Dynastie berichten im 2. Jahrhundert v. Chr. von Zehntausenden Rindern, die von den Steppenvölkern gekauft wurden.[34] Der Bedarf Chinas an Pferden kannte kaum Grenzen, da das Reich eine schlagkräftige Streitmacht in Bereitschaft halten musste, um die innere Ordnung aufrechtzuerhalten und auf Angriffe durch die Xiongnu oder andere Stämme antworten zu können. Pferde aus der westlichen Region Xinjiang waren besonders geschätzt und brachten Stammesoberhäuptern unter Umständen ein Vermögen ein. Als ein Yuezhi-Stammesführer eine große Lieferung von Waren gegen Pferde eintauschte und anschließend an andere weiterverkaufte, verdiente er damit das Zehnfache seiner Investition.[35]

Die berühmtesten und wertvollsten Reitpferde wurden im Ferghana-Tal gezüchtet, jenseits des großen Pamir-Gebirges, das sich vom heutigen Osten Tadschikistans bis in den Nordosten Afghanistans erstreckt. Die für ihre Stärke so bewunderten Tiere wurden, laut chinesischen Schreibern, von Drachen gezeugt und als hanxue ma oder «Blut Schwitzende» beschrieben – die Folge ihrer charakteristischen roten Ausdünstung, die entweder von einem lokalen Parasiten oder dadurch verursacht wurde, dass die Pferde eine ungewöhnlich dünne Haut hatten, weshalb die feinen Blutgefäße bei Anspannung leicht platzten. Einige besonders edle Exemplare wurden sogar zu Berühmtheiten und in Gedichten, Skulpturen und Gemälden verehrt, wo man sie häufig als tianma – «himmlische Pferde» – bezeichnete.[36] Manche zogen mit ihrem Besitzer in das nächste Leben ein: Einen Herrscher begrub man an der Seite seiner achtzig Lieblingsrösser. Die Ruhestätte wurde von den Statuen zweier Hengste und eines Terracotta-Kriegers bewacht.[37]

Die Beziehungen zu den Xiongnu, die die Steppen der Mongolei und das Grasland nördlich von China in ihrer Gewalt hatten, waren nicht immer einfach. Zeitgenössische Historiker beschrieben den Stamm als barbarisch. Notfalls würden sie sogar rohes Fleisch essen und Blut trinken; sie seien ein Volk, das «vom Himmel im Stich gelassen worden ist».[38] Die Chinesen zahlten lieber einen Tribut, statt Überfälle auf ihre Städte zu riskieren. Regelmäßig wurden Gesandte zu den gewaltbereiten Nomaden geschickt, die sich im Namen des Kaisers höflich nach der Gesundheit des obersten Stammesführers zu erkundigen pflegten.[39] Es entwickelte sich ein System der Tributzahlungen, das den Nomaden im Gegenzug für den Frieden Luxusgüter, einschließlich Reis, Wein und Textilien, gewährte. Die wichtigste Ware, die übergeben wurde, war Seide, ein Stoff, der von den Nomaden aufgrund seiner Beschaffenheit als Futter für Bettwäsche und Kleidung geschätzt wurde. Der chanyu (Stammesführer) verschenkte ihn als Belohnung an seine Untergebenen und hüllte sich selbst in Unmengen des kostbaren Stoffes, um seinen eigenen Status hervorzuheben.[40]

Es wurden beträchtliche Summen für die Wahrung des Friedens gezahlt. Im Jahr 1 v. Chr. bekamen die Xiongnu etwa dreißigtausend Rollen Seide und eine vergleichbare Menge Rohmaterial sowie dreihundertsiebzig Kleidungsstücke.[41] Einige Regierungsvertreter wollten glauben, dass die Vorliebe des Stammes für Luxuswaren ihren Ruin ankündigte. «Jetzt [habt ihr] diese Vorliebe für chinesische Gegenstände», sagte ein Gesandter einem Stammesführer, und auch die Bräuche der Xiongnu würden sich bereits verändern; China werde, sagte er zuversichtlich voraus, «am Ende siegen, indem es die ganze Nation der Xiongnu für sich gewinnt».[42]

Das war allerdings Wunschdenken. In Wirklichkeit forderte die Diplomatie, die den Frieden und gute Beziehungen wahrte, sowohl finanziell als auch politisch ein großes Opfer: Tribut zu zahlen war ein Zeichen der Schwäche. Also beschlossen die Kaiser der Han-Dynastie, das Problem der Xiongnu ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Zunächst wurde ein massiver Versuch unternommen, die Kontrolle über die fruchtbaren westlichen Regionen von Xiyu zu übernehmen; die Nomaden wurden zurückgetrieben, während die Chinesen in einer Reihe von Feldzügen, die im Jahr 119 v. Chr. endete, den Gansu-Korridor ihrem Reich einverleibten. Im Westen lag der Pamir und jenseits davon eine neue Welt. China hatte ein Tor zu einem transkontinentalen Netzwerk aufgestoßen – das war die Geburtsstunde der Seidenstraße.

Mit der Expansion Chinas wuchs gleichzeitig auch das Interesse an dem, was jenseits der Grenze lag. Bedienstete des Kaisers wurden beauftragt, die Regionen hinter den Bergen zu erkunden und Berichte zu verfassen. Eine solche Quelle sind die Shi Ji, die von Sima Qian, dem Sohn des Oberhistorikers (Taishi) am kaiserlichen Hof, niedergeschrieben wurden. Er setzte diesen Bericht selbst dann noch fort, als er in Ungnade gefallen und kastriert worden war, weil er es gewagt hatte, einen ungestümen General zu verteidigen, der Soldaten in eine Niederlage geführt hatte.[43] Gewissenhaft schilderte Sima Qian, was er über die Geschichten, Volkswirtschaften und Heere der Völker im Indus-Tal, in Persien und Zentralasien herausgefunden hatte. Die Königreiche Zentralasiens seien angeschlagen, hielt er fest, weil sie von Nomaden unter Druck gesetzt würden, die von chinesischen Truppen vertrieben worden seien und sich nunmehr anderen Regionen zugewandt hätten. Die Bewohner dieser Königreiche seien «im Gebrauch der Waffen schwach», schrieb er, «aber geschickt im Handel», etwa auf den blühenden Märkten in der Hauptstadt Baktra, «wo alle Arten von Waren gekauft und verkauft werden».[44]

Der Handel zwischen China und der Außenwelt kam langsam in Gang. Die Festlegung der Routen an der Wüste Gobi entlang war nicht einfach, insbesondere hinter dem Jadetor, jenem Grenzposten, den Karawanen auf ihrem Weg nach Westen passieren mussten. Die Reise von einer Oase zur nächsten war beschwerlich, ganz gleich, ob der Weg durch die Wüste Taklamakan oder über die Pässe des Tienschan oder des Pamir führte. Es galt, extremen Temperaturen standzuhalten – einer der Gründe, weshalb das baktrische Kamel so sehr geschätzt wurde. Die Tiere waren robust genug, den harten Bedingungen der Wüste zu trotzen. Sie spürten tödliche Sandstürme lange vor den Menschen aufkommen, beobachtete ein Schriftsteller, und «rückten sofort knurrend zusammen» – ein Signal für die Händler und Karawanenführer, «ihre Nasen und Münder zu bedecken, indem sie sie in Filz einwickelten». Doch auch das Kamel war dabei nicht unfehlbar; in den Quellen liest man von einer Vielzahl verendeter Tiere und Skelette, an denen die Reisenden vorbeigekommen seien.[45] Bei so schwierigen Rahmenbedingungen mussten hohe Gewinne winken, damit es sich lohnte, derartige Risiken in Kauf zu nehmen. So wurden auf den Tausende Kilometer entfernten Märkten von Baktrien neben Bambus und Stoffen aus Sichuan in erster Linie seltene und kostbare Waren zum Verkauf angeboten.[46]

Der Handel mit Seide hatte darunter den größten Anteil. Seide erfüllte im Altertum eine Reihe wichtiger Funktionen, abgesehen von ihrem Wert für Nomadenvölker. Unter der Han-Dynastie wurde der Stoff neben Münzen und Getreide für die Bezahlung von Truppen verwendet. In mancher Hinsicht war er die verlässlichste Währung: Die Herstellung großer Mengen von Geldmünzen sorgte für Schwierigkeiten, wie auch der Umstand, dass China nicht vollständig auf den Geldhandel eingestellt war. Vor allem die Auszahlung des Soldes gestaltete sich problematisch, weil die Kriegsschauplätze häufig in abgelegenen Regionen lagen, wo Münzen so gut wie wertlos waren. Getreide hingegen verrottete im Lauf der Zeit. Deshalb wurden Ballen mit Rohseide ganz regulär zur Bezahlung verwendet oder etwa auch als Bußgeld, wie im Fall eines buddhistischen Klosters in Zentralasien, das damit Verstöße gegen die Vorschriften ahndete.[47] Seide wurde sowohl zu einer internationalen Währung als auch zu einer Luxusware.

Die Chinesen regulierten den Handel, indem sie einen formellen Rahmen für die Kontrolle jener Kaufleute schufen, die von außerhalb kamen. Eine bemerkenswerte Sammlung von fünfunddreißigtausend Texten aus der Garnisonsstadt Xuanquan, nicht weit von Dunhuang, zeichnet ein lebendiges Bild vom Alltag in einer Stadt, die am Eingang des Gansu-Korridors lag. Von diesen auf Bambus- und Holztafeln geschriebenen Texten erfahren wir, dass sich Besucher, die nach China einreisten, an gekennzeichnete Routen halten mussten, dass man ihnen Pässe aushändigte und sie regelmäßig von Beamten gezählt wurden, um zu gewährleisten, dass sich alle, die das Land betreten hatten, auch irgendwann wieder auf die Heimreise begaben. Wie heutzutage in einem Hotel wurde über jeden Besucher Buch geführt und dokumentiert, wie viel er für Lebensmittel ausgab, woher er kam, welchen Titel er hatte und wohin die Reise ihn führte.[48] Es galt insbesondere, für den Zoll den Wert der Waren zu dokumentieren, die gekauft und verkauft wurden. Diese früh eingeführten, ausgefeilten Methoden enthüllen, wie der kaiserliche Hof in der Hauptstadt Chang’an (das heutige Xi’an) und vom 1. Jahrhundert n. Chr. an in Luoyang mit einer Welt umging, die vor seinen Augen zu schrumpfen schien.[49] Wir halten Globalisierung für ein modernes Phänomen, aber schon vor zweitausend Jahren war sie Realität, eine Tatsache, die Chancen bot, Probleme schuf und technologischen Fortschritt anstieß.

 

Wie der Zufall es wollte, regten Entwicklungen in Tausenden Kilometern Entfernung die Nachfrage nach Luxusgütern stark an – und erweiterten zugleich die Möglichkeiten, sie zu bezahlen. In Persien wurden die Nachfahren von Seleukos um 247 v. Chr. von einem gewissen Arsakes, dessen Herkunft unklar ist, abgesetzt. Dessen Nachfahren, die sogenannten Arsakiden, festigten ihre Macht und schickten sich an, ihren Einfluss auszudehnen. Geschickt plünderten sie die Kammern der Geschichte, um griechische und persische Auffassungen zu einer neuen Identität zu verschmelzen. Das Ergebnis war eine Phase der Stabilität und des Wohlstands.[50]

Für den stärksten Anreiz sorgten jedoch die Ereignisse im Mittelmeerraum. Eine kleine Stadt in einer nicht gerade vielversprechenden Lage an der Westküste Italiens hatte es geschafft, von einer unbedeutenden Provinzstadt zu einer Regionalmacht aufzusteigen. Rom eroberte einen Stadtstaat an der Küste nach dem anderen und dominierte schließlich das westliche Mittelmeer. Um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. setzte sich die Stadt weit höhere Ziele. Und ihr Blick war ganz nach Osten gerichtet.

Rom hatte sich zu einem außerordentlich aggressiven Staatswesen entwickelt, das das Militär verherrlichte und Gewalt billigte. Man vergnügte sich bei Gladiatorenkämpfen und feierte die Herrschaft über fremde Völker und die Natur. In der ganzen Stadt erinnerten Triumphbogen die geschäftige Bevölkerung tagtäglich an die Erfolge des Heeres. Militarismus, Furchtlosigkeit und Ruhmsucht wurden bewusst als die Hauptmerkmale einer ehrgeizigen Stadt gepflegt, deren Einflussbereich sich immer weiter ausdehnte.[51]

Das Rückgrat der römischen Macht war die Armee, die nach hohen Maßstäben gedrillt und ausgebildet wurde. Von Legionären wurde erwartet, dass sie innerhalb von fünf Stunden über dreißig Kilometer marschierten und obendrein mehr als fünfundzwanzig Kilogramm an Ausrüstung schleppten. Eine Heirat war nicht nur unerwünscht, sondern ausdrücklich verboten, damit die Rekruten einander verbunden blieben. Einheiten mit außerordentlich fähigen, durchtrainierten und begeisterten jungen Männern, die gelernt hatten, auf ihr Können zu vertrauen, und glaubten, vom Schicksal auserwählt zu sein, waren der Fels, auf dem Rom erbaut wurde.[52]

Die Eroberung Galliens (in etwa das Gebiet des heutigen Frankreichs, der Niederlande und Teile Westdeutschlands) im Jahr 52 v. Chr. brachte so große Beute ein, dass sogar der Goldpreis im Römischen Reich korrigiert wurde.[53] Doch in Europa gab es kaum noch Orte zu erobern – und die wenigsten davon waren vielversprechend. Was Imperien bedeutend machte, waren Städte, die Einkünfte erzeugten, auf die man wiederum Steuern erheben konnte; was sie aus kultureller Sicht außergewöhnlich machte, waren Handwerker, die neue Ideen entwickelten, wenn Schirmherren um ihre Dienste wetteiferten und sie für ihre Fertigkeiten reich belohnten. Es war unwahrscheinlich, dass etwa die Britischen Inseln einträgliche Erweiterungen für Roms Territorium bildeten: Wie Briefe auf Schiefertafeln dokumentieren, die Legionäre aus Britannien nach Hause schickten, war diese Provinz ein Synonym für harte und sinnlose Isolation.[54]

Roms Transformation in ein Imperium hatte wenig mit Europa zu tun, geschweige denn mit der Herrschaft über einen Kontinent, der wenig zu bieten hatte an jenen Ressourcen und Städten, die Verbraucher und Steuerzahler magnetisch anzogen. Erst die Umorientierung zum östlichen Mittelmeerraum und darüber hinaus läutete eine neue Ära ein. Erfolg und Ruhm des Reiches gingen zuallererst auf die Eroberung Ägyptens zurück, dann aber vor allem darauf, dass es im Osten Fuß fasste.

Das seit fast dreihundert Jahren von den Nachfahren des Ptolemaios, eines Leibwächters von Alexander dem Großen, regierte Ägypten hatte einen sagenhaften Reichtum mit Hilfe des Nils angehäuft, dessen Hochwasser alljährlich für eine ergiebige Getreideernte sorgte. Der Ertrag genügte nicht nur, um die einheimische Bevölkerung zu ernähren, sondern ergab einen stattlichen Überschuss, dank dem sich das an der Mündung des Flusses gelegene Alexandria, will man einem zeitgenössischen Autor glauben, zur größten Stadt der Welt entwickelt hatte. Er schätzte die Zahl der Bewohner im 1. Jahrhundert v. Chr. auf rund dreihunderttausend.[55] Der Getreidetransport wurde sorgfältig überwacht, die Kapitäne mussten jedes Mal, wenn sie ihre Kähne beluden, einen Eid auf den König ablegen. Daraufhin erhielten sie von einem Repräsentanten des königlichen Sekretärs eine Quittung. Erst dann wurde das Getreide zum Beladen freigegeben.[56]

Rom hatte schon seit langem ein Auge auf Ägypten geworfen. Es nutzte seine Chance, als Königin Kleopatra nach der Ermordung von Julius Cäsar in einen unerbittlichen Machtkampf verwickelt wurde. Nachdem sich die ägyptische Herrscherin bei der Schlacht von Actium im Jahr 30 v. Chr. auf Gedeih und Verderb mit Marcus Antonius verbündet hatte, sah sie sich schon bald einem römischen Heer gegenüber, das mit Octavius an der Spitze, einem Meister der politischen List, auf Alexandria vorrückte. Nach einer Reihe defensiver Entscheidungen, die grobe Nachlässigkeit mit eklatanter Unfähigkeit kombinierten, beging Kleopatra Selbstmord, indem sie sich von einer giftigen Schlange beißen ließ oder – die genauen Umstände sind ungeklärt – sich selbst ein Gift verabreichte. Ägypten fiel wie eine reife Frucht.[57] Octavius hatte Rom als General verlassen; er kehrte als oberster Herrscher zurück, mit einem neuen Titel, den ihm kurz zuvor der dankbare Senat verliehen hatte: Augustus. Rom war ein Imperium geworden.

Die Eroberung Ägyptens veränderte Roms Schicksal. Jetzt, wo das Reich die üppigen Ernten des Niltals kontrollierte, fiel der Getreidepreis, was der Staatskasse bei den Ausgaben einen erheblich größeren Spielraum verschaffte. Die Zinssätze stürzten ab, von rund zwölf auf vier Prozent; das schürte wiederum den Boom, der mit einem Zufluss billigen Kapitals einhergeht: den Anstieg der Grundstückspreise.[58] Die Einkommen schnellten so dramatisch in die Höhe, dass Augustus die finanzielle Schwelle für die Mitgliedschaft im Senat um fünfzig Prozent anheben konnte.[59] Wie Augustus selbst gerne prahlte, traf er Rom als «eine Stadt in Backsteinen» an, hinterließ sie aber in Marmor.[60]

Der wachsende Reichtum war die Folge von Roms skrupelloser Steuerpolitik und der Ausbeutung von Ägyptens gewaltigen Ressourcen. Steuereinzieher schwärmten im ganzen Land in Gruppen aus, um eine neue Kopfsteuer zu erheben, die alle Männer im Alter von sechzehn bis sechzig Jahren entrichten mussten. Ausnahmen wurden nur in wenigen Sonderfällen gewährt, etwa für Priester, die sich von der Zahlung befreien lassen konnten, nachdem ihre Namen sorgfältig in den Büchern der Tempel eingetragen waren.[61] Das war Teil eines Systems, das ein Historiker einmal «Apartheid der Antike» nannte; das Ziel war es, möglichst viel Geld nach Rom fließen zu lassen.[62]

Die Aneignung fremder Einkünfte wiederholte sich an anderen Orten, während die Tentakel der wirtschaftlichen und militärischen Expansion immer weiter griffen. Nicht lange nach der Annexion Ägyptens wurden Steuerschätzer nach Judäa geschickt, um eine Volkszählung durchzuführen. Auf diese Weise sollte gewährleistet werden, dass die Steuern korrekt berechnet wurden. Einmal angenommen, das gleiche Modell wie in Ägypten, nach dem sämtliche Geburten und Todesfälle sowie die Namen aller erwachsenen Männer erfasst werden mussten, wurde auch hier angewandt, dann wäre die Ankunft von Jesus Christus auf der Welt von einem Beamten registriert worden, der sich weniger dafür interessierte, wer der Säugling und seine Eltern waren, als vielmehr dafür, ob ein potenzieller Soldat und ein künftiger Steuerzahler auf die Welt gekommen war.[63]

Rom gingen die Augen über angesichts der Welt, mit der das Reich im Osten in Berührung kam. Asien hatte schon damals den Ruf, dem Müßiggang und der feinen Lebensart zu frönen. Es sei unbeschreiblich wohlhabend, schrieb Cicero, seine Ernten der Stoff von Legenden, die Vielfalt der Erzeugnisse unglaublich und die Größe der Herden schlichtweg atemberaubend. Die Exporte aus der Region waren gigantisch.[64] Asien war so reich, dass die Römer meinten, seine Bewohner könnten es sich leisten, sich ganz dem eitlen Vergnügen zu widmen. Es sei kein Wunder, dass römische Soldaten im Osten den Kinderschuhen entwachsen würden, schrieb der Historiker Sallust: Hier würden die Soldaten lernen, wie man liebt, wie man sich betrinkt und wie man an Statuen, Bildern und Kunst Gefallen findet. Das war kaum eine gute Sache, zumindest wenn es nach Sallust ging. Asien mochte ein «üppiges Leben» und «reichlich Sold» gebracht haben, aber «der verführerische Reiz des Landes hatte in der Zeit der Ruhe die rauen Krieger bald verweichlicht».[65] So gesehen war der Osten das Gegenteil all dessen, wofür das strenge, kriegerische Rom stand.

Augustus selbst unternahm große Anstrengungen, um herauszufinden, was jenseits der neuen Grenzen im Osten lag. Expeditionstruppen wurden in das Königreich Axum im heutigen Äthiopien und ins Königreich der Sabäer im Jemen verlegt, während der Golf von Aqaba bereits erkundet worden war, als die römische Herrschaft in Ägypten noch gefestigt wurde.[66] Im Jahr 1 v. Chr. befahl Augustus, auf beiden Seiten des Persischen Golfs eine detaillierte Studie über den Handel in diesen Regionen durchzuführen und zu dokumentieren, welche Verbindungen es zwischen den Seewegen und dem Roten Meer gab. Er beaufsichtigte auch die Erkundung der Landwege, die durch Persien bis tief nach Zentralasien führten. Ein Text, der unter dem Titel Stathmoi Parthikoi (Parthische Stationen) bekannt wurde, entstand um diese Zeit; er führte die Entfernungen zwischen zentralen Punkten im Osten auf und beschrieb gewissenhaft die Provinzen von Zeugma am Euphrat bis Alexandria in Arachosia, der heute zweitgrößten Stadt Afghanistans (Kandahar).[67]

Die Horizonte der Kaufleute wurden erheblich erweitert. Laut dem Historiker Strabon segelten schon wenige Jahre nach der Besetzung Ägyptens jährlich einhundertzwanzig römische Schiffe von dem Hafen Myos Hormos am Roten Meer aus nach Indien. Der Handel mit Indien wurde nicht eröffnet, sondern explodierte förmlich, wie aus einem außerordentlich reichen archäologischen Fund auf dem Subkontinent hervorgeht. Römische Amphoren, Lampen, Spiegel und Statuen von Göttern wurden an zahlreichen Grabungsstätten geborgen, etwa in Pattanam, Kolhapur und Coimbatore.[68] An der Westküste Indiens und auf den Lakkadiven wurden so viele Münzen aus der Zeit Augustus’ und seiner Nachfolger gefunden, dass manche Historiker gar meinen, die lokalen Herrscher im Osten hätten römische Gold- und Silbermünzen als eigene Währung benutzt oder sie eingeschmolzen, um das Metall wiederzuverwenden.[69]

Tamilische Schriften aus dieser Zeit erzählen eine ähnliche Geschichte und dokumentieren aufgeregt die Ankunft römischer Kaufleute. Ein Gedicht spricht von «kühlem und wohlriechendem Wein», der von den Römern auf «guten Schiffen» gebracht worden sei, ein anderes schwärmt geradezu ekstatisch: «Die wunderschönen, großen Schiffe […] kommen, bringen Gold, teilen den weißen Schaum auf den Gewässern des Periyar und kehren dann mit Pfeffer beladen wieder heim. Hier hört die Musik des anrollenden Meeres nie auf, und der große König überreicht den Besuchern die seltenen Erzeugnisse des Meeres und der Berge.»[70] Eine andere Quelle liefert eine lyrische Schilderung der europäischen Händler, die sich in Indien niederließen: «Die Sonne beschien die offenen Terrassen, die Vorratsschuppen am Hafen und all die Türmchen mit ihren Fenstern wie Rehaugen. An den verschiedenen Stellen […] lenkte der Anblick der Wohnstätten [der Männer aus dem Westen] die Aufmerksamkeit des Beschauers auf sich; ihre Wohlhabenheit ist unverändert.»[71] Das Itinerar Stathmoi Parthikoi enthüllt, welche Waren aus dem Westen Indiens sich die Römer wünschten. Es zählt auf, wo Kaufleute wertvolle Mineralien wie Zinn, Kupfer, Blei sowie Topas erwarben und wo man ohne weiteres Elfenbein, Edelsteine und Gewürze beschaffen konnte.[72]

Der Handel mit Häfen in Indien beschränkte sich jedoch keineswegs auf Produkte, die aus dem Subkontinent stammten. Wie Ausgrabungen in der ägyptischen Hafenstadt Berenike am Roten Meer gezeigt haben, fand auch eine ganze Palette von Waren aus so fernen Gegenden wie Vietnam und Java den Weg in den Mittelmeerraum.[73] Hafenstädte an der West- und Ostküste Indiens dienten als Depots für Güter, die aus ganz Ost- und Südostasien herbeigeschafft wurden, um sie weiter nach Westen zu transportieren.[74] Darüber hinaus gab es die Waren und Produkte des Roten Meeres, seinerseits eine geschäftige Handelszone, die das Mittelmeer mit dem Indischen Ozean verband.[75]

Roms wohlhabende Bürger waren mittlerweile imstande, die exotischsten und ausgefallensten Düfte und Geschmäcke zu genießen. Kommentatoren mit guten Verbindungen beschwerten sich, dass beinahe obszön viel Geld ausgegeben wurde, und klagten über die modische Zurschaustellung des Überflusses.[76] Diese Stimmung wird sehr gut im Satyricon