Liebe bricht das Eis - Eden Finley - E-Book
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Liebe bricht das Eis E-Book

Eden Finley

4,0

Beschreibung

Vom NHL-Superstar zum Versager zu Hause – für Westly Dalton kam der Absturz schnell und hart. Völlig unverhofft wurde er zum Vormund seiner fünf jüngeren Geschwister, und auch ein Jahr später fühlt er sich in der neuen Rolle noch kein bisschen angekommen. Sein einziger Lichtblick ist der Job als Coach für das Eishockeyteam der Colchester University. Als der Erfolg der Mannschaft in Gefahr ist, weil einer der besten Spieler aufgrund seiner Noten kurz vor dem Rauswurf steht, muss West den unbeliebten Mathematikprofessor um eine Sonderregelung bitten - mit ungewöhnlichen Konsequenzen. Jasper Eckstein hasst nichts mehr als Sportler, denn die haben Nerds wie ihm zu Schulzeiten das Leben schwer gemacht. Ganz sicher hat er kein Interesse daran, den Daltons zu helfen. Doch manchmal sind Dinge nicht das, was sie zu sein scheinen, und selbst Professoren brauchen womöglich ab und zu ein bisschen Nachhilfe in Liebesdingen … »Liebe bricht das Eis« ist der Abschlussband der fünfteiligen College-Eishockey-Reihe von Eden Finley und Saxon James. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann als Einzeltitel gelesen werden. Um alle Nebengeschichten zu verfolgen, empfiehlt es sich jedoch, die Bände in der richtigen Reihenfolge zu lesen.

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Beliebtheit




EDEN FINLEY SAXON JAMES

 

 

LIEBE BRICHT DAS EIS

 

 

 

EISKALT VERSCHOSSEN 5

Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld

Über das Buch

Vom NHL-Superstar zum Versager zu Hause – für Westly Dalton kam der Absturz schnell und hart. Völlig unverhofft wurde er zum Vormund seiner fünf jüngeren Geschwister, und auch ein Jahr später fühlt er sich in der neuen Rolle noch kein bisschen angekommen.

Sein einziger Lichtblick ist der Job als Coach für das Eishockeyteam der Colchester University. Als der Erfolg der Mannschaft in Gefahr ist, weil einer der besten Spieler aufgrund seiner Noten kurz vor dem Rauswurf steht, geht West mit dem unbeliebten Mathematikprofessor einen ungewöhnlichen Deal ein.

Jasper Eckstein hasst nichts mehr als Sportler, denn die haben Nerds wie ihm zu Schulzeiten das Leben schwer gemacht. Ganz sicher hat er kein Interesse daran, den Daltons zu helfen. Doch manchmal sind Dinge nicht das, was sie zu sein scheinen, und selbst Professoren brauchen womöglich ab und zu ein bisschen Nachhilfe in Liebesdingen …

Über die Autorinnen

Eden Finley schreibt heitere Liebesromane voller Herz, die sich wunderbar für kleine Fluchten aus dem Alltag eignen. Ihre Bücher entstehen meist aus einer schrägen Idee. Ursprünglich schrieb Eden auch in vielen anderen Genres, doch seit 2018 hat sie in der queeren Romance ihr Zuhause gefunden.

Eden lebt mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn in Australien.

 

Saxon James ist eine australische Autorin, die voller Begeisterung über queere Charaktere schreibt. Ihre Bücher umfassen eine breite Spanne – von Young Adult bis zu Unterhaltungsliteratur für Erwachsene ist alles dabei. Eins haben ihre Bücher jedoch gemeinsam: Immer geht es um die Liebe in all ihren wunderbaren Facetten.

Wenn sie nicht gerade schreibt, gönnt sich Saxon jede Menge Kaffee und Schokolade bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Lesen.

Die englische Ausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Puck Drills & Quick Thrills«.

Deutsche Erstausgabe Februar 2024

 

© der Originalausgabe 2021: Eden Finley, Saxon James

© für die deutschsprachige Ausgabe 2024:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,

Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Umschlaggestaltung: Ronja Forleo

Lektorat: Annika Bührmann

Korrektorat: Nina Restemeier

Schlussredaktion: Daniela Dreuth

Satz & Layout: Judith Zimmer

 

ISBN Taschenbuch: 978-3-98906-027-2

ISBN E-Book: 978-3-98906-026-5

 

Druck: Print Group Sp.z.o.o. Szczecin (Stettin)

 

 

www.second-chances-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorinnen

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Weitere Bücher der Autorinnen

KAPITEL 1

WESTLY

Ich marschiere über den Campus, als wäre ich auf einer Mission. Denn das bin ich.

Professor Eckstein hat es gerade auf meine schwarze Liste geschafft, und das ist wirklich schwer. Ich hasse niemanden. Ich werde nur selten wütend, außer auf meinen Bruder Asher, wenn er etwas angestellt hat. Was oft der Fall ist.

Aber nicht mal Asher steht auf meiner schwarzen Liste.

Als Eishockey-Coach und ehemaliger NHL-Spieler hatte ich in meinem Leben bereits mit vielen testosterongesteuerten Kindsköpfen zu tun. Man muss schon ein Arschloch epischen Ausmaßes sein, um mich sauer zu machen. Professor Dreckstein kenne ich noch nicht mal, und es ist ihm trotzdem gelungen, sich bei mir unbeliebt zu machen. Was muss er für ein kaltherziger Mistkerl sein, wenn er einem Studenten Zusatzaufgaben verweigert, obwohl der gerade eine Menge durchmacht?

Mein Bruder hat keine überragenden Noten – da mache ich mir keine Illusionen – und ja, vielleicht könnte er sich mehr Zeit zum Lernen nehmen, aber wann? Wann hätte Asher Gelegenheit dazu? Er geht zum Unterricht, dann zum Training, und zu Hause wartet ein Haufen Kids, für die ich verantwortlich bin, weil unsere Eltern eines Abends essen gegangen sind, einen Unfall hatten und nie wieder zurückgekommen sind. Ich bin der Vormund für fünf Minderjährige, dabei habe ich vor einem Jahr noch Geld auf Partys verprasst und mit allem geschlafen, was sich bewegt.

Die Verantwortung hat mich eiskalt erwischt – schlimmer als ein wütender Eishockey-Enforcer, und es fühlt sich an, als würde ich seitdem immer wieder mit Wucht gegen die Bande geschubst.

Da ich das alles unmöglich allein stemmen kann, habe ich Asher gebeten, seinen Platz in der NHL zurückzustellen und stattdessen in der College-Liga Eishockey zu spielen. Nur, bis er seinen Abschluss gemacht hat und die Kids etwas älter sind. In vier Jahren habe ich diese Quasi-Elternrolle hoffentlich drauf. Asher ist sich vielleicht zu gut dafür, um Hilfe zu bitten, aber ich nicht. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass wir uns um sie kümmern müssen. Wir sind schließlich ihre großen Brüder, und ich wollte nicht, dass sie von Fremden großgezogen werden.

Da Asher so viele Opfer bringt, werde ich alles dafür tun, dass die NHL auch in Zukunft noch für ihn in Reichweite ist. Ich hatte meine Chance, er soll seine bekommen – sobald ich endlich weiß, was ich tue. Der erste Schritt dafür ist, Asher im Team zu halten.

Für meinen sturköpfigen einundzwanzigjährigen Bruder ist es eine große Leistung, dass er sich eingestanden hat, Hilfe zu brauchen, und um zusätzliche Aufgaben gebeten hat, mit denen er seine Note aufbessern kann. Und dieser verdammte Professor weist ihn ab. Warum? Verhält er sich seinen Studenten gegenüber gern wie ein sadistisches Arschloch?

Asher ist nicht auf den Kopf gefallen. Er hat Grips, kann sich aber nur schwer Dinge merken, die ihm egal sind. Ihn interessiert nur Eishockey, und bis vor Kurzem habe ich das verstanden, weil ich genauso war. Jetzt muss ich mich um andere Dinge kümmern und zum Beispiel verhindern, dass meine fünf Geschwister eine traumatische Jugend haben. Leider habe ich bisher keinen guten Start hingelegt. Ich bin der Inbegriff des »Alles in Ordnung«-Memes, bei dem alles in Flammen steht.

Ich habe Asher gerade erst dazu gebracht, sich endlich mehr in seinen Kursen anzustrengen, und dachte, es würde sich auszahlen, aber als er heute zum Training kam, wirkte er nicht einfach nur sauer. Er wirkte besiegt.

Sollte ein Lehrer seine Studenten nicht motivieren?

Obwohl ich keine Ahnung habe, wo ich hinmuss, stürme ich ins Gebäude des mathematischen Instituts. Es ist sechs Jahre her, dass ich selbst hier Student war, und Dreckstein war damals noch kein Professor, deshalb weiß ich nicht, wo sein Büro ist.

Ich gehe an den verschiedenen Hörsälen und Unterrichtsräumen vorbei und überfliege auf der Suche nach seinem Namen die Schilder an den Türen, bis ich ihn am Ende des Gebäudes schließlich finde.

Prof. Jasper Eckstein.

Ohne anzuklopfen, reiße ich die Tür auf.

Der Mann hinter dem Schreibtisch zuckt angesichts meines Überfalls zusammen, dann treffen sich jedoch unsere Blicke, und mir bleibt jedes Wort im Halse stecken. Seine blauen Augen sind die hellsten, die ich je gesehen habe, und sein Kiefer sieht aus wie gemeißelt.

Ich habe einen alten, grummeligen Typen mit grauen Haaren und Bart erwartet. Aber nicht … das hier.

Jasper Eckstein ist purer Sex-Appeal, verpackt als Lehrer einer Sonntagsschule.

Der Anblick seiner hellbraunen Haare, der definierten Muskeln, die beinahe die Nähte seiner Tweed-Jacke sprengen, und sein angenehm neugieriger Gesichtsausdruck lassen mich vermuten, im falschen Büro zu sein. Oder vielleicht teilt sich Eckstein den Raum mit diesem Adonis vor mir. Er ist höchstens Mitte dreißig. Das kann nicht der Professor sein, der den Ruf hat, Sportler zu hassen. Er sieht nicht gemein genug aus, um so verbittert zu sein.

Doch dann zieht er eine finstere Miene und belehrt mich eines Besseren. »Kann ich Ihnen helfen?« Er mustert mich genauso wie ich ihn, bis er schließlich am Logo meines Polo-Shirts hängen bleibt – einem C und einem U und dem Wort Hockey darunter.

»Ich …«

»Sie sind wegen Asher Dalton hier«, unterbricht er mich.

Also bin ich hier richtig, und sein Ruf eilt ihm voraus. »Genau. Ich bin Westly, Ashers …«

»Assistenztrainer. Der Dekan hat allen auf einer Veranstaltung – an der Sie nicht teilgenommen haben – erzählt, wie toll es ist, einen Spieler frisch aus der NHL an der Uni zu haben. Und dann hat er doch tatsächlich damit geprahlt, wie viel sie Ihnen zahlen, während er mir gleichzeitig einreden wollte, dass kein Budget mehr übrig ist, um den mathematischen Fachbereich auszuweiten. Also, ja, ich weiß, wer Sie sind.«

Okay, ich glaube, er ist sogar noch schlimmer als sein Ruf.

»Asher ist …«

Wieder schneidet er mir das Wort ab. »Für meinen Kurs ungeeignet. Er hat noch Zeit, sich abzumelden, ohne dass es sich auf seine Noten auswirkt. Er kann seinen wertvollen Platz im Eishockey-Team behalten und nächstes Semester einen anderen Kurs belegen.«

»Sein Zeitplan ist jetzt schon viel zu eng. Er hat nur um eine Zusatzaufgabe gebeten, um seine Note aufzubessern.«

»Nicht mein Problem. Ich vergebe keine Extra-Punkte. Das habe ich ihm bereits gesagt, und ich werde meine Meinung nicht ändern, nur weil er seinen großen Bruder vorschickt.«

Ich lege den Kopf schräg.

»Sie glauben doch nicht, dass mir derselbe Nachname entgangen ist, Coach Dalton?«

»Was ist Ihr Problem?«, fahre ich ihn an.

»Ihr Sportler seid alle gleich. Ihr denkt, durch Schikane bekommt ihr alles, was ihr wollt und verlangt eine Extrawurst, weil ihr auf Schlittschuhen das Gleichgewicht halten und eine Scheibe ins Netz schießen könnt. Bei mir bekommt niemand eine Sonderbehandlung, schon gar nicht jemand, der es nicht verdient.«

»Wir verlangen keine Sonderbehandlung. Wir bitten nur um etwas Hilfe.«

»Sind Sie deshalb ohne anzuklopfen hier reingewalzt? Hören Sie, ich sage Ihnen dasselbe wie Ihrem Bruder: Ich kann Ihnen nicht helfen.«

Mir liegt ein großes »Lecken Sie mich am Arsch« auf der Zunge, aber ich sehe die offizielle Beschwerde bei der Personalabteilung bereits vor mir.

»Warum arbeiten Sie an einer Sport-Uni, wenn Sie Sport so sehr hassen?«

Die Frage ist rhetorisch, doch als ich mich zum Gehen wende, könnte ich schwören, dass er murmelt: »Das habe ich mich auch schon gefragt.«

 

***

 

Coach Hogan muss mich ermahnen, die Jungs nicht so hart ranzunehmen, daran erkenne ich, dass ich mehr als ein wenig angespannt bin. Über eine Stunde habe ich sie einen Drill nach dem anderen durchführen lassen, ohne ihnen eine Atempause zu gönnen, geschweige denn eine Trinkpause.

Asher scheint der Einzige zu sein, der es genießt, weil er so seine Wut nach der Konfrontation mit Eckstein loswird.

Die Jungs gehen duschen, und ich werde gleich unserem Zeugwart Kole helfen, die Pylonen und Netze wegzuräumen, damit ich das Eis aufbereiten kann, aber erst muss ich selbst etwas laufen. Ich gleite übers Eis und höre in meinem Kopf den Klang einer voll besetzten Arena.

Als ich hier studiert habe, waren wir ein gutes Team, aber nie das beste. Coach Hogan hat in meinem letzten Jahr hier angefangen, und erst da haben wir es in die Frozen Four geschafft, sind allerdings in der ersten Runde rausgeflogen. Diese Jungs … Auf dem Eis befindet sich gerade so viel Talent und Potenzial. Ein paar von ihnen haben Chancen auf die NHL, und so gern ich auch behaupten möchte, dass ich mich von Herzen für sie freue, erfasst mich beim Gedanken an ihre Zukunft im Profisport eine schmerzliche Sehnsucht, denn meine eigene Karriere war nur von kurzer Dauer.

Dann wird die Sehnsucht von Schuldgefühlen erdrückt, weil ich nicht will, dass meine Geschwister je auf den Gedanken kommen, sie hätten mein Leben ruiniert. Sie müssen einen schweren Verlust verarbeiten und trauern, und ich jammere rum, weil ich nicht länger einfach so durchs Leben treiben kann.

Ich laufe noch schneller, bis die Muskeln in meinen Oberschenkeln und Waden brennen, ich schwer atme und mir der Schweiß von der Stirn tropft.

Das Eis unter den Kufen, die kühle Luft in meinem Gesicht … Ich vermisse das Eishockeyspielen. Es ist ein grausamer Kreislauf. Ich vermisse mein sorgenfreies Leben, und dann fühle ich mich schuldig deswegen. Immer und immer wieder setze ich mich derselben emotionalen Qual aus, lasse mir aber nichts anmerken. Ich kann nicht. Es ist meine Aufgabe, mich zusammenzureißen. Für unsere Familie.

Apropos Familie … Ich muss nach Hause, um die Babysitterin abzulösen. Letztes Jahr hat unsere fünfzehnjährige Schwester Zoe auf die Kids aufgepasst, bis Asher und ich nach dem Training zu Hause waren, aber es wurde zu viel für sie. Wem sagst du das, Schwester.

Jetzt kümmert sich eine nette Dame aus der Nachbarschaft, die vor Kurzem in Rente gegangen ist, nachmittags um unsere Geschwister. Sie sorgt dafür, dass der dreizehnjährige Rhys nicht abhaut, die elfjährige Hazel ihre Hausaufgaben macht und die neunjährigen Zwillinge Bennett und Emmett sich nicht gegenseitig umbringen.

Ein ganz normaler Tag im Leben eines alleinstehenden gesetzlichen Vormunds.

Willkommen in meiner Hölle.

KAPITEL 2

JASPER

Warum bin ich eigentlich immer der Böse?

Ich schiebe meine Wut lang genug beiseite, um den Plan für den morgigen Kurs durchzugehen, aber es dauert nicht lange, bis sie wieder an die Oberfläche brodelt.

Für wen hält sich dieser Westly Dalton? Stürmt einfach in mein Büro und regt sich wegen seines Drückeberger-Bruders auf. Typisch Sportler. Erst handeln, dann denken, und sie halten zusammen, obwohl sie nicht im Recht sind, und alle lassen sie damit durchkommen.

Es muss etwas getan werden.

Im Gegensatz zu Coach Dalton weiß ich, dass ich nicht einfach mit dem Fuß aufstampfen und erwarten kann, damit meinen Willen durchzusetzen. Den Dekan wird es nicht interessieren. Westly ist sein Star-Rekrut, und Asher ist ihr Star-Spieler. Der Dekan würde mir mit Sicherheit sagen, dass ich Asher die Punkte geben soll und fertig. Oder schlimmer noch, dass ich Asher bestehen lassen soll, selbst wenn er den Stoff nicht beherrscht.

Die Sportler auf meiner Highschool sind mit diesem Mist durchgekommen, aber in meinem Kurs werde ich es nicht zulassen. Auf keinen Fall. Jeder bekommt die gleichen Chancen, und jeder muss sich anstrengen, um zu bestehen.

Ich reibe mir das stoppelige Kinn. Ich muss mich rasieren.

Meine vernünftige Seite sagt mir, dass ich es gut sein lassen soll. Ich bin standhaft geblieben und habe gewonnen. Der Teil von mir, der sich noch immer mit dem schikanierten Teenager aus der Highschool identifiziert, will ihn in die Schranken weisen. Meine unreife Seite gewinnt.

Coach Hogan ist nicht besser als der Dekan, wenn um seine Mitarbeiter geht, aber während der Dekan unter den Geldmitteln einknickt, die die Sportteams einbringen, hat Coach Hogan diesen Stress nicht und hält seine Trainer und sein Team an der kurzen Leine. Wir sind uns nur selten einig, aber ich weiß, dass es ihm nicht gefallen wird, wenn er erfährt, dass sein Superstar den Lehrkörper unter Druck setzt.

Coach Hogan ist ein Sportler, doch er hat Prinzipien.

Es ist schon spät, als ich über den Campus zur Arena laufe, und wenn ich die vielen dunkelblau-silbernen Windjacken richtig deute, ist das Training wohl gerade zu Ende. Einige aus dem Team erkennen mich, sagen aber nichts, was für mich in Ordnung ist. Zwar lasse ich mich nicht mehr so leicht einschüchtern, doch ich bezweifle, dass ich meine Nervosität in großen Gruppen jemals überwinden werde.

Ich stoße die Tür mit der Schulter auf und zögere kurz, ehe ich mich für eine Richtung entscheide. Ich war noch nie hier und hätte ehrlich gesagt auch nicht erwartet, jemals hier sein zu müssen.

Eine Doppeltür führt zur Eisfläche, und ich entschließe mich, da hindurch die Abkürzung in Richtung Umkleide zu nehmen. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass die Halle leer ist, aber auf dem Eis ist noch jemand.

Erst, als ich näherkomme, erkenne ich, dass es Coach Dalton ist. Er läuft angestrengt und hoch konzentriert und hat mich nicht bemerkt. Die dunklen Haare kleben ihm schweißnass in der Stirn, und ich frage mich, wie lange er schon läuft. Seinem vorgebeugten Oberkörper und den kraftvollen Bewegungen seiner muskulösen Beine nach zu urteilen, hat er noch einiges an Wut loszuwerden. Es wäre beinahe attraktiv, wenn er nicht so ein wilder Höhlenmensch wäre.

Ich schlüpfe unbemerkt an ihm vorbei und gehe den langen Korridor hinunter, bis ich Coach Hogans Büro erreiche. Er sitzt an seinem Schreibtisch und starrt auf den Monitor. Und anstatt wie ein Neandertaler einfach reinzumarschieren, klopfe ich an den Türrahmen.

Es dauert einen Moment, doch dann lehnt er sich zurück und grinst mich selbstgefällig an. »Eckstein. Willst du dich etwa dem Eishockeyteam anschließen?«

»Witzig«, antworte ich. »Und die Sache mit den Nachnamen ist hier vielleicht üblich, aber ich hab dich gebeten, mich Jasper zu nennen.«

»Richtig, Jasper. Was gibt’s? Willst du dich wieder über mein Budget beschweren?«

»Wir beide wissen, dass es unfair ist …«

Er unterbricht mich mit einem lang gezogenen Stöhnen, aber ich rede weiter.

»Mathe ist das Fundament für Arbeitsplätze, die die Wirtschaft ankurbeln. Ingenieure, Ärzte, im Prinzip alles, was mit Computern und Programmierung zu tun hat …«

»Das hatten wir doch schon. Ich beschließe den Etat nicht … Ich schaffe nur das Geld dafür ran.«

Meine Güte. Wieso ist Prahlerei so beliebt? Manchmal fühlt es sich an, als wäre der Rest der Welt durchgedreht. Ich atme tief ein und setze mich ihm gegenüber. »Ich bin nicht hier, um über Geld zu reden. Ich will, dass du deine Trainer und Spieler unter Kontrolle hältst.«

Seine großspurige Art verpufft augenblicklich. »Warum? Was ist passiert?«

Schon besser.

»Asher Dalton fällt in meinem Kurs durch, also habe ich vorgeschlagen, dass er sich abmeldet, um seinen Platz im Team zu behalten. Aber anstatt meinem Rat zu folgen, ist er lieber zu seinem großen Bruder gelaufen. Aus irgendeinem Grund dachte Coach Dalton, ich würde meine Meinung ändern, wenn er in mein Büro marschiert und Forderungen stellt.«

Paul lehnt sich zurück und mustert mich. »Was denn für Forderungen?«

»Er wollte, dass ich Asher Zusatzaufgaben gebe, damit er besteht. Was ich für niemanden tue.« Das ist einer meiner Grundsätze. Wenn dein Kurs das Grundlagenfach für zahllose Abschlüsse ist, kann man normalerweise an einer Hand abzählen, wie viele Studenten es freiwillig belegen. Asher Dalton gehört bei Weitem nicht dazu. Und er ist bei Weitem auch nicht der Erste, der Zusatzpunkte will, weil er sein Kurspensum nicht schafft.

»Ich glaube, du würdest es dir anders überlegen, wenn du die Umstände kennen würdest«, sagt Paul.

»Es interessiert mich überhaupt nicht, ob deine Spieler ihren Platz behalten oder nicht.«

»Ich rede nicht davon, dass er seinen Platz im Team behält.«

Ich runzle die Stirn. Welche anderen Umstände könnte er meinen? Dann fällt es mir ein, und ich muss fast lachen. »Weil er für die NHL bestimmt ist?« Das habe ich öfter über Asher gehört, als ich zählen kann. »Noch mal, interessiert mich nicht. Kein Student ist wichtiger als andere.« Seine fehlenden Gegenargumente reizen mich. »Ernsthaft, diese Universität verhält sich, als wären die Daltons Gottes Geschenk ans Eishockey. Nur, weil sein Bruder professionell gespielt hat, bedeutet das nicht, dass er auch Profi wird.«

»Wird er, weil ihm Buffalo schon einen Vertrag angeboten hat, und das Talent dieses Jungen verschwindet nicht. Weißt du, warum er abgelehnt hat?«

»College-Eishockey war sein Traum?«, erwidere ich sarkastisch. Nichts davon hat etwas mit meinem Kurs zu tun.

»Weil seine Eltern gestorben sind. Asher ist hergekommen, um West zu helfen, ihre fünf Geschwister großzuziehen.«

Oh.

Scheiße.

»Also, ja«, fährt er fort, »vielleicht beeinträchtigt es sein Studium, dass er Vater spielen muss, aber ein versiebter Mathe-Kurs wird ihn einen Scheiß interessieren, wenn er in der NHL spielt.«

Meine moralische Überlegenheit ist schlagartig dahin, und es fällt mir schwer, an meinem Standpunkt festzuhalten. »Er wird es nicht in die NHL schaffen, wenn er aus dem Team fliegt, weil er seinen Notenschnitt nicht halten kann.«

Paul lacht leise. »Ist Mathe so eine große Sache? Wofür muss sich ein Eishockeyprofi mit Zahlen auskennen?«

»Na ja, wie soll er sonst das ganze Geld zählen?«, erwidere ich trocken und weiß nicht, was mich am meisten ärgert: dass ich es nicht wusste, dass ich Mitleid mit ihm habe oder dass ich meine Regel jetzt doch lockern muss. Genau deshalb mische ich mich nicht in das Leben meiner Studenten ein.

Ich sacke zusammen, während Paul die Finger auf dem Tisch verschränkt.

»Also. Diese Zusatzpunkte …«

Schnaubend stoße ich mich vom Tisch ab und verlasse das Büro, ohne ihm zu antworten. Meine Verärgerung hält nicht mal bis zum Ende des Korridors an, wo ich beinahe mit Westly Dalton zusammenstoße.

Er verengt sofort die Augen. »Was machen Sie hier?«

»Verschwinden.« Ich gehe um ihn herum, drehe mich aber unwillkürlich noch einmal zu ihm um. Er ist … was? Ende zwanzig? Und musste schon seinen Traumjob aufgeben und hat seine Eltern verloren.

Nein, nein, nein … Damit fange ich gar nicht erst an.

Ja, ich kann Mitgefühl mit ihrer Situation haben, weil niemand so etwas verdient. Aber ich werde nicht speziell mit ihnen Mitleid haben. Denn wenn ich eines weiß, dann, dass Leute wie Westly und Asher immer wieder auf die Beine kommen, während der Rest von uns auf der Strecke bleibt.

Bedrückt steige ich in mein Auto. Erst jetzt sehe ich die vielen Benachrichtigungen auf meinem Handy, wische sie aber weg, ohne sie mir anzusehen. Dann versuche ich ein weiteres Mal, aus der Gruppe auszutreten. Doch wie beim letzten Mal funktioniert es nicht.

Ich bin nicht sicher, wer mich hinzugefügt hat, aber ich bezweifle, dass mein Austritt jemandem auffallen würde.

In der Gruppe für unser zwanzigjähriges Highschool-Klassentreffen sind ein paar Hundert Leute, und nur ein paar Namen stechen heraus. Und nicht aus gutem Grund.

Thomas Harvey … Clayton Reez …

Zum x-ten Mal stelle ich mir vor, wie ich dort auftauche und diesen Versagern beweise, dass ich es geschafft habe. Ich habe einen tollen Job und ein hübsches Haus. Ich habe meine Zähne richten und meine Augen korrigieren lassen und bin nicht länger dürr und schwach. Dass ich schwul bin, kann und will ich nicht ändern. In meinen Tagträumen bringe ich eine so heiße und charmante Begleitung mit, dass diese Arschlöcher ihre eigene Sexualität auch ein wenig infrage stellen.

Aber das ist egal.

Denn obwohl ich in meiner Vorstellung schlagfertig bin und über allem stehe, zieht sich beim Anblick ihrer Namen meine Brust zusammen, und mein Blutdruck steigt.

Ich sperre mein Handy, ohne die Gruppe zu verlassen – schon wieder –, und versuche, einen Seufzer zu unterdrücken, als ich den Motor starte. Es ist ja nicht so, als würde mir gerade nichts Dringenderes Kopfzerbrechen bereiten.

Wie Asher Dalton.

Und wie zum Teufel ich Zusatzpunkte ins Spiel bringe.

KAPITEL 3

WESTLY

»West, Rhys hat meinen Laptop kaputt gemacht!«, ruft Hazel vom Esstisch, wo sie wie immer festgewachsen ist, sobald sie von der Schule nach Hause kommt, bis ich sie ins Bett schicke. Ist sie nicht mit ihren Hausaufgaben beschäftigt, chattet sie online mit ihren Freunden.

»Ich hab ihn nicht kaputt gemacht. Ich hab den Stecker gezogen«, antwortet Rhys mit der ganzen Energie eines dreizehnjährigen Emos. »Ich musste mein Tablet laden.«

»Der Akku an meinem Laptop ist hin, und wenn er alle ist, ist er tot, tot. Also super tot«, erklärt Hazel.

»Rhys, kümmer dich darum«, sage ich und drehe mich wieder zum Herd.

Ich versuche mich gerade am Abendessen, nachdem ich meinen Boss peinlicherweise anrufen und ihm mitteilen musste, dass ich nicht zum Training kommen kann, weil unsere Babysitterin krank ist. Blaumachen vergrößert meine allgegenwärtigen Schuldgefühle nur noch mehr. Ich fühle mich schuldig, dass ich nicht auf der Arbeit bin, aber wenn ich mich mit dem Team beschäftige, fühle ich mich schuldig, weil ich die Kids zu Hause allein lasse.

Theoretisch hätte ich den Job an der CU nicht annehmen müssen. Dank des Geldes, das ich in der NHL verdient habe – abgesehen von einer beträchtlichen Summe, die ich gleich wieder leichtsinnig verprasst habe –, und der Lebensversicherung unserer Eltern nagen wir nicht am Hungertuch. Aber dieses Geld wird nicht ewig reichen, und Coach Hogan hat mir den Job nach meiner Rückkehr hierher angeboten.

Vielleicht hätte ich auf die Stelle verzichten sollen, bis die Kids älter sind, aber man hat nicht jeden Tag einen Job als Coach auf Collegeniveau in Aussicht, und offene Positionen sind rar gesät. Wenn ich abgelehnt hätte, hätte es meine Chancen ruinieren können, später wieder einzusteigen.

Paul ist ein toller Boss und sehr nachsichtig, was mein Privatleben angeht.

»Er geht nicht wieder an!«, kreischt Hazel.

Seufzend stelle ich die Pfanne ab und verlasse die Küche. Hazel drückt alle paar Sekunden auf den Knopf des Laptops, und zwar mit jedem Mal fester. »Hazel.«

Sie drückt hektisch weiter.

Ich greife nach ihrer Hand. »Hazel. Ich kaufe dir einen neuen.«

Tränen steigen in ihren blauen Augen auf. »Vergiss es.« Sie steht so ruckartig auf, dass der Stuhl hinter ihr umkippt, dann rennt sie die Treppe hinauf. Dieses Verhalten passt überhaupt nicht zu ihr, und ich sehe ihr unschlüssig nach.

»Scheiße, scheiße, scheiße, scheiße«, murmelt Rhys und fährt sich mit den Händen durch die zerzausten, dunkelblonden Haare.

»Wortwahl«, schimpfe ich.

»Du schnallst es einfach nicht, oder?« Nun versucht Rhys, den Computer einzuschalten. »Auf diesem Laptop sind alle Fotos, die Hazel von Mom und Dad hat.«

Oh, Mist.

»Ich hab’s vergessen. Ich hab ihre schräge ›Zieh dem Laptop nicht den Stecker‹-Regel vergessen, okay? Ich hab mir nichts dabei gedacht. Und jetzt … Scheiße, was hab ich nur getan?«

Sag ich doch, ich kann mit so etwas nicht umgehen. Ich kann nicht einfach mit Geld um mich werfen, damit alles wieder gut wird.

Während ich noch mit der Problemlösung beschäftigt bin, schrillt der Rauchmelder in der Küche ohrenbetäubend.

Doppel-Mist.

Ich renne in die Küche und werfe die Pfanne sofort in die Spüle, um Wasser darüber laufen zu lassen. Bei der Menge an Essen, die Asher und ich anbrennen lassen, wäre es wahrscheinlich kostengünstiger, jeden Abend etwas zu bestellen.

Wieder überfallen mich die Zweifel, ob ich das hier wirklich bewältigen kann, doch dann marschiert Asher nach dem Training pfeifend und vollkommen sorglos herein. Es ist seit Langem das erste Mal, dass ich ihn auch nur annähernd glücklich sehe.

Seine dunklen Haare – sie haben den gleichen Farbton wie meine – sind nach der Dusche in der Umkleide noch nass, aber er hat definitiv ein Lächeln auf den Lippen.

»Wer bist du, und was hast du mit Asher Dalton gemacht?«, frage ich.

»Ha, witzig. Sooo witzig. Warum ist Rhys am Durchdrehen? Und …« Er hält inne. »Weint da jemand? Moment, ist das Rauch? Hast du das Essen schon wieder anbrennen lassen?«

Ich sacke in mich zusammen. »Rhys hat den Stecker von Hazels Laptop gezogen, und der Akku ist leer, und jetzt hat sie Angst, dass all ihre Fotos von Dad und June weg sind.« June war Ashers und meine Stiefmutter. Unsere Mutter starb, als Asher noch ein Baby war. Unsere Familie hat viel zu viele Tote zu beklagen, und ich will es meinen Geschwistern einfach nur leichter machen, scheitere aber.

»Können wir ihn in einen Computerladen bringen?«, fragt Asher. »Die können solche Daten oft noch retten. Vielleicht sollten wir ihr auch eine externe Festplatte besorgen. Oder ihren Laptop mit einer Cloud verbinden, damit es nicht noch mal passiert.«

Und genau deshalb habe ich meinen Bruder um Hilfe gebeten. Wir sind uns ähnlich und trotzdem so unterschiedlich. Zwischen uns herrscht ein Gleichgewicht – wenn einer von uns stürmisch ist, ist der andere gelassen. Nur wenn dunkle Wolken über unser beider Köpfe hängen, müssen sich alle in Acht nehmen, weil dann jeden Moment die Hölle losbrechen kann. Aber wenn ich wie jetzt einfach nicht mehr weiterweiß, hat er die verblüffende Gabe, mich runterzufahren und mir zu helfen, wieder rational zu denken.

Wir haben so unsere Probleme miteinander, das werde ich nicht leugnen. Seit dem verhängnisvollen Autounfall geht Asher auf so ziemlich jeden und alles los – mit Ausnahme unserer jüngeren Geschwister. Genau wie ich kann er nicht ertragen, dass sie denken könnten, ihr Verlust hätte unsere Zukunft ruiniert. Deshalb setzt er immer ein Lächeln für sie auf und tut so, als würde er innerlich nicht eingehen. So, wie ich vorgebe, alles unter Kontrolle zu haben und nicht jeden einzelnen Tag zu ertrinken.

Ich weiß, wann Ashers Lächeln gespielt ist, aber heute ist es das ganz und gar nicht. »Warum bist du so glücklich?«

»Ach, nichts Weltbewegendes oder so. Nur Professor Dreckstein …«

Aufrichtige Angst erfasst mich. Angst um meinen Job und Ashers Zukunft. »Bitte sag mir nicht, dass du sein Auto beschädigt oder sein Büro mit Klopapier dekoriert hast.« Ich reibe mir die Schläfen. »Bitte sag mir, dass du ihn nicht umgebracht hast.«

Asher schnaubt. »Du bist heute aber witzig. Wurdest du kürzlich flachgelegt?« Er hebt eine Hand. »Nein, warte, vergiss die Frage. Ich will und muss es nicht wissen.«

Ich will gar nicht witzig sein, allerdings sage ich ihm das nicht. Bei Asher ist jede der genannten Möglichkeiten eine berechtigte Sorge. Klar, Mord ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber so weit nun auch wieder nicht.

»Viel besser«, fährt er fort. »Er hat alles zurückgenommen. Was auch immer du letztens zu ihm gesagt hast, hat funktioniert. Er hat mir einen Test angeboten, den ich zu Hause und mit Buch machen kann, um mir die Zusatzpunkte zu verdienen, die ich brauche, damit ich seinen Kurs schaffe und ein C bekomme.«

Okay, damit habe ich nicht gerechnet. Überhaupt nicht. »Wirklich?«

»Ich war genauso geschockt wie du. Ich hatte mich schon entschieden, den Kurs nicht sausen zu lassen. Kole hat mir Nachhilfe gegeben und meint, dass ich den Stoff gut genug draufhabe, um zu bestehen. Aber jetzt wird es ein kleines bisschen einfacher.«

Ich lasse mir die Unterhaltung mit Eckstein noch einmal durch den Kopf gehen und habe keine Ahnung, wie sie dazu geführt haben soll, dass er seine Meinung ändert.

Oh, verdammt. Muss ich mich jetzt etwa bei ihm bedanken?

Verflucht noch mal.

 

***

 

Zum zweiten Mal seit meiner Rückkehr an die CU gehe ich durch das Gebäude des mathematischen Instituts. Allerdings versuche ich dieses Mal, meinen Stolz hinunterzuschlucken und das Richtige zu tun. Ich weiß nicht, was zu Ecksteins Sinneswandel geführt hat, doch ich will ihn nicht in seinem Glauben bestätigen, Sportler würden sich nur für sich selbst interessieren. Dankbarkeit ist das Mindeste, was er verdient.

Dieses Mal bin ich ruhig genug, um mich an meine Manieren zu erinnern, und klopfe.

»Die Bürozeiten stehen an der Tür.« Seine Stimme ist gedämpft, aber deutlich zu hören, und ich lege den Kopf in den Nacken. Der Typ ist ein Arsch.

Trotzdem trete ich ein. Wie war das mit den Manieren? »Ich bin nicht wegen meiner Noten hier, Sir.«

Ruckartig hebt er den Kopf. »Was denn jetzt noch? Soll ich Asher einfach nur so die Bestnote geben?«

Ich hebe die Hände wie ein aufgeflogener Straftäter. »Ich wollte mich bedanken. Ich … wir wissen das sehr zu schätzen.«

Da ich keine Antwort brauche und auch nicht noch eine hitzige Diskussion mit ihm führen will, mache ich auf dem Absatz kehrt.

»Ich wusste es nicht«, sagt er leise.

Ich sehe ihn über die Schulter an. »Was wussten Sie nicht?«

»Als Asher behauptet hat, dass es mildernde Umstände gäbe, wusste ich nicht, was er meint.«

Ich drehe mich zu ihm um. »Haben Sie gefragt?«

Er schnaubt. »Hören Sie, es tut mir leid, dass ich die falschen Schlüsse gezogen habe, aber nach meiner bisherigen Erfahrung waren es nun mal die logischsten.«

»Warum hassen Sie Sportler so sehr? Sie wissen doch sicher, was auf dem Campus über Sie erzählt wird. Was ist passiert? Hat Ihnen ein Eishockeyspieler das Herz gebrochen?«

Schlagartig wird mir klar, dass er mir seine Sexualität nicht verraten hat, und ich fürchte, dass auch andere Sachen nicht stimmen, die ich über ihn gehört habe. Aber seine folgenden Worte sind noch schlimmer als das enttäuschende »Ich bin hetero«.

»Tatsächlich haben sie mir die Nase gebrochen. Und nicht nur ein Spieler. Ein ganzes Team.«

Meine Augen weiten sich. »W-was?«

»Aber hey, vielleicht sollte ich ihnen dankbar sein? Ihre Eltern haben letztendlich meine Zahnkorrektur bezahlt, und das war echt gut, weil sich meine die nötige Zahnspange nicht leisten konnten.«

Ich blinzle ihn an. Dann noch mal. »Mist, es tut mi…«

»Ich brauche Ihr Mitleid nicht. Es tut mir leid, dass ich angenommen habe, Ihr Bruder wäre ein Drückeberger und würde nur nach einer einfachen Lösung suchen, obwohl offensichtlich viel mehr dahintersteckt. Aber wir müssen das nicht weiter besprechen. Es ist erledigt. Ich lasse ihn in Ruhe, und Sie können sich wieder wie ein Höhlenmensch benehmen. Nur … nicht in meiner Gegenwart.«

»Es tut mir leid«, bringe ich hervor. »Dass ich reingeplatzt bin. Und danke. Noch mal. Dass Sie Asher eine Chance geben. Wenn es eine Möglichkeit gibt, mich zu revanchieren …«

»Gibt es nicht.«

»Nicht mal ein Mittagessen?«

»Lieber nicht.«

Ich lache leise schnaubend. »Alles klar. Falls Ihnen doch was einfällt, melden Sie sich.«

Er nickt, und ich gehe, aber als ich das Büro verlasse, hoffe ich unwillkürlich, dass er mein Angebot annimmt.

Irgendwie bin ich … fasziniert von ihm? Er ist abgebrüht und streng, aber er hat sicher seine Gründe. Mein Interesse hat nichts damit zu tun, wie heiß ich ihn finde.

Na ja, nicht nur damit, wie heiß ich ihn finde.

KAPITEL 4

JASPER

Der Feierabend kann nicht schnell genug kommen. Sobald der Kurs vorbei ist und die letzten Studenten den Raum verlassen haben, hänge ich mir die Tasche über die Schulter und gehe ins Nachbargebäude.

Trotz meines Rufs als Pedant komme ich mit den meisten Leuten gut klar, aber von allen Menschen auf dem Campus habe ich mich mit Dave auf Anhieb am besten verstanden. Er ist ein eins dreiundneunzig großer, bärtiger schwuler Mann, der bildende Kunst unterrichtet, und bei unserem Kennenlernen war ich enttäuscht darüber, dass er verheiratet ist. Jetzt bin ich dankbar, einen Freund zu haben, mit dem ich mich jede Woche treffen kann. Er ist gerade in seinem Kursraum und packt zusammen, als ich komme.

»Bist du so weit?«, frage ich, anstatt ihn zu begrüßen.

Er lacht leise. »Harter Tag?«

»Ich brauche einen Drink.«

»Ich auch, aber weil ich Lust darauf habe und nicht, weil ich irgendwelche Sorgen ertränken muss.« Er zeigt auf eine Skulptur am anderen Ende des Raums. »Ich meine, sieh dir das doch mal an. Sie ist unglaublich talentiert, Jas. Und ich darf sie unterrichten. Mann, wir haben den tollsten Job der Welt, nicht wahr?«

Ich sehe ihn ausdruckslos an, was erneut ein herzliches Lachen in ihm auslöst. Liebe ich meinen Job? Natürlich. Ich finde es erfüllend, dass das, was ich lehre, einen Zweck hat und den Studierenden die Grundsteine dafür liefert, Großartiges zu erreichen – selbst wenn sie es nicht zu würdigen wissen. Aber ich werde nie der Lieblingsprofessor sein. Ich werde nie die leidenschaftliche Begeisterung erleben, die in einem Kurs wie diesem herrscht. »Ich bin ja so entzückt, jeden Tag zur Arbeit zu kommen«, antworte ich.

»Okay, du Brummbär, schütten wir etwas Alkohol in dich.« Dave schließt die Materialien weg, und wir machen uns auf den Weg.

Meistens gehen wir mittwochnachmittags ins McIntyre’s, eine Bar knapp außerhalb des Campus. Mitten in der Woche sind um diese Zeit kaum Studenten da, und sobald sie zahlreicher werden, ist das unser Zeichen, unsere alten Hintern nach Hause zu schwingen.

Ich bin zwar erst achtunddreißig und Dave ist fast fünfzig, aber meistens verhält er sich jünger als ich.

Er holt die erste Runde, schiebt mir ein Bier zu und sieht mich eindringlich an. »Was soll der finstere Blick?«

»Ich hatte diese Woche zu viele Begegnungen mit Eishockeyspielern.«

»Ah …« Dave ist einer der wenigen Menschen, der weiß, was ich auf der Highschool durchgemacht habe. Anscheinend werde ich gesprächig, wenn ich betrunken bin. »Einer deiner Studenten?«

»Ja. Und sein älterer Bruder, der Assistenztrainer, und Paul.« Ich schüttle den Kopf. »Drei Eishockeyspieler mehr, als ich um mich haben will.«

»Also, was ist das Problem?«

»Er wollte Zusatzpunkte, die ich, wie du weißt, nicht vergebe.«

Dave lacht leise.

»Fang gar nicht erst an. Du weißt, warum.«

»Ich sag ja nur …« Er streckt die Hände aus. »… es würde dich nicht umbringen, etwas nachsichtiger zu sein. Du weißt, wie die Leute dich nennen.«

»Dreckstein«, murmle ich. »Man könnte meinen, dass sie sich etwas Originelleres einfallen lassen. Als hätte ich das seit der Junior High nicht schon tausend Mal gehört. Es stört mich nicht.« Na ja, es sollte mich nicht stören. Ich bin ein erwachsener Mann.

»Sehr überzeugend. Immerhin ist Originalität bei gemeinen Spitznamen extrem wichtig.«

»Na schön.« Unwillkürlich muss ich lächeln. »Wann bin ich wie mein Vater geworden?«

»Mach dich nicht fertig. Da müssen wir alle durch. Eines Tages stellst du plötzlich fest, dass du alt wirst. Dann musst du dich entscheiden, ob du die Verwandlung zu Ende bringst … oder mir auf meiner Ebene Gesellschaft leistest.«

»Wie wäre es mit etwas dazwischen?«

»Gibt’s nicht.«

»Wenn du das sagst.«

Dave trinkt aus. »Erzähl mir mehr von diesen sexy Eishockeyspielern.«

»Neues Thema.«

»Von mir aus. Erzähl mir mehr von deinem Klassentreffen …«

»Also, diese Eishockeyspieler …«

Er sieht stolz auf sich aus, denn er weiß, dass er gewonnen hat.

»Was willst du denn hören? Westly ist in mein Büro marschiert und wollte, dass ich Nachsicht mit seinem Bruder habe, ich hab Nein gesagt, dann bin ich los und wollte Paul darüber informieren, was sein Assistenztrainer so treibt, und er hat mir erklärt, dass die Daltons ihre Eltern verloren haben und sich um hundert Kinder kümmern müssen.«

»Na ja, das ist übertrieben.«

»Fünf Kinder, hundert Kinder.« Ich zucke mit den Schultern. »Ist für mich dasselbe.«

»Ein Glück, dass du nicht gut mit Zahlen umgehen können musst … Oh, warte.«

Ich tue so, als würde ich meinen Mittelfinger nach oben kurbeln.

»Wieso wusstest du das nicht? Das mit den Eltern?«, fragt er.

»Wusstest du etwa davon? Danke, dass du mich eingeweiht hast.«

»Ich müsste dich nicht einweihen, wenn du den Kids eine Chance geben würdest.«

»Noch mal, es sind keine Kids. Wir unterrichten Erwachsene, und die müssen auch so behandelt werden.«

Dave lächelt nachsichtig. »Weißt du, was passiert, wenn mir einer meiner Erwachsenen sagt, dass er zum Bestehen Zusatzpunkte braucht? Ich glaube ihm. Dann liegt es an ihm, ob er sich anstrengt oder nicht.«

»Können wir das bitte nicht noch mal durchgehen?« Ich reibe mir die Schläfen. »Du solltest mir eigentlich helfen, den Stress loszuwerden.«

»Na schön, zurück zu den Eishockeyspielern.«

»Da gibt es nichts weiter. Ich habe die Zusatzpunkte genehmigt, dann ist Westly noch mal vorbeigekommen, um sich bei mir zu bedanken und sich zu revanchieren.«

Dave fängt an zu lachen. »Nach all dem hast du tatsächlich nachgegeben?«

»Verklag mich doch.«

»Du wirst auf deine alten Tage noch weich.« Er wiegt den Kopf hin und her, sodass sein Nacken knackt und ich zusammenzucke. »Ich sag dir was … Wenn du Westly das nächste Mal siehst, schick ihn zu mir.«

»Was? Warum?«

»Schau ihn dir doch mal an! Der Mann ist …« Dave leckt sich über die Lippen.

Und so ungern ich auch will, ich verstehe ihn. Im Grunde ist Westly bilderbuchschön. Schwarze Haare, grüne Augen, die gefährlich aussehen, wenn er wütend ist, groß, muskulös, und dann hat er dieses großspurige Stolzieren, das sich einstellt, wenn man jahrelang verehrt wird. Alles, was Westly ausmacht … ist alles, was ich aktiv meide.

»Was hält Greg von deiner Meinung zu Westly Dalton?«

»Er stimmt mir zu.« Dave seufzt sehnsüchtig. »Wenn wir zwanzig Jahre jünger wären …«

»So oder so, es ist erledigt. Ich werde ihn nicht noch mal sehen müssen.«

»Aber er schuldet dir was.«

Ich schüttle den Kopf. »Er schuldet mir gar nichts. Ich lasse mich nicht für die Chance bestechen, meinen Kurs zu bestehen.«

»Es ist keine Bestechung, wenn du die Aufgabe schon gegeben hast. Du würdest nur seine Dankbarkeit annehmen.«

»Es gibt nichts, wofür er dankbar sein muss. Entweder erledigt Asher die Aufgabe oder nicht.«

»Mann, du bist manchmal wirklich ein sturer Bock.« Daves Beleidigung ist voller Zuneigung. Nachdenklich reibt er sich den Bart. Dann leuchten seine Augen plötzlich auf, und das lässt mich misstrauisch werden. »Ich hab’s.«

»Oh-oh.«

»Nein, nein, hör zu. Das könnte sogar perfekt sein.«

»Wenn du es für perfekt hältst, ist es das definitiv nicht.«

»Du brauchst eine Begleitung für das Klassentreffen, oder?«

Ich bereue es, ihn in einem erbärmlichen Moment betrunken gefragt zu haben, ob sein Mann erlauben würde, dass ich ihn für diesen Abend ausborge. »Ich gehe nicht hin.«

»Was? Du musst hingehen. Das ist dein Pretty-Woman-Moment. Aber anstatt ein paar Zicken in einem Modegeschäft werden es die alten Fieslinge aus deiner Schulzeit sein, und statt einen Haufen Geld auszugeben, wirst du ihnen zeigen, wie heiß und erfolgreich du bist.«

»Ich glaube nicht, dass es einen Haufen ehemaliger Sportler interessiert, wie heiß ich bin.«

»Da kommt Westly ins Spiel.«

»Oh nein.« Auf gar keinen Fall werde ich Westly Dalton bitten, mich zu begleiten. Egal, wie oft er noch anbietet, sich zu revanchieren. »Ich werde ihn nicht bitten, mit mir auszugehen. Schlimm genug, dass er von dem Mobbing weiß.«

»Das hast du ihm erzählt?«

»Es ist mir rausgerutscht.«

Dave wischt die Bemerkung beiseite. »Es muss ja nicht er sein, aber stell dir mal den Gesichtsausdruck dieser Hornochsen vor, wenn du mit einem echten NHL-Star auftauchst. Westly hat doch sicher Kumpels.«

»Warum zum Teufel würde mir ein NHL-Spieler helfen wollen?«

»Vielleicht kann Westly einen Gefallen einfordern.«

»Das würde nicht funktionieren«, erinnere ich ihn. »Kein NHL-Spieler würde wollen, dass Gerüchte über seine Sexualität kursieren.«

»Ezra Palaszczuk wäre es egal. Er ist offen schwul, und angeblich stehen Westly und er sich sehr nahe. Wenn man den Medien Glauben schenken darf.«

Also, das wusste ich nicht. Ich bin in Sachen Sport nicht auf dem Laufenden, aber dass dieser Ezra offen schwul lebt, lässt meinen Respekt für den Sport ein winziges bisschen wachsen. Doch wenn man bedenkt, dass dieser Respekt bisher gleich null war, heißt das nicht viel.

»Du wirst es nicht gut sein lassen, oder?«

»Auf keinen Fall. Kannst du dir das vorstellen? Keiner dieser Typen hat es im Eishockey weit gebracht, und dann kommt der kleine Jasper Dreckschwein …«

»Dreckstein?«

»… mit seinem heißen NHL-Spieler. Sie werden dir zu Füßen liegen.«

Das Bild, das er zeichnet, kommt dem, das mir schon eine Weile im Kopf herumspukt, so nahe, dass ich nicht sofort ablehne.

Ich bin halt kleinlich.

Aber auch realistisch, und ich weiß, dass dieser Ezra, selbst wenn er offen schwul und Westlys bester Freund ist, niemals Ja sagen würde. Ein Abend mit mir statt eines Abends in seinem normalerweise glamourösen Leben?

Dave legt sich mit dem Oberkörper auf den Tisch. »Komm schon, Jas. Begib dich auf meine Ebene.«

KAPITEL 5

WESTLY

Der IT-Typ in Burlington erklärt mir, dass er alle Dateien auf Hazels Computer retten konnte, woraufhin ich beinahe über den Tresen springe, um ihn zu küssen. Mit einer Festplatte voller Fotos und einem brandneuen Laptop für Hazel rase ich nach Hause.

Als ich dort ankomme, ist nichts angebrannt und keiner streitet. Ein Wunder.

Asher kocht Abendessen, die Zwillinge spielen leise das Videospiel, auf das sie gerade abfahren, und Rhys und Zoe machen am Esstisch Hausaufgaben. Nur Hazel ist nicht wie sonst dabei.

»Wo ist Hazel?«, frage ich.

»In ihrem Zimmer«, antwortet Asher. »Irgendwas ist los, aber ich bekomme es nicht aus ihr raus.«

»Wahrscheinlich wegen der Fotos.« Ich halte die Festplatte hoch. »Das wird sie aufmuntern.«

Ich mache auf dem Absatz kehrt, um nach oben zu gehen, sehe jedoch Rhys aus dem Augenwinkel. Er hat die Lippen leicht geöffnet, als würde er etwas sagen wollen, und die Augen aufgerissen wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Dann bemerkt er allerdings, dass ich ihn ertappt habe, und wendet hastig den Blick ab.