Nachhilfe fürs Herz - Eden Finley - E-Book

Nachhilfe fürs Herz E-Book

Eden Finley

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Beschreibung

Asher Dalton ist nicht gerade für sein sonniges Gemüt bekannt. Nach dem tragischen Unfalltod seiner Eltern hat er seine Karriere als Eishockeyprofi aufgegeben, um gemeinsam mit seinem Bruder West die jüngeren Geschwister aufzuziehen. Doch Asher ist von seinem neuen Leben komplett überfordert, seine Noten leiden, und er muss wohl oder übel das Nachhilfeangebot von Kole annehmen, wenn er wenigstens im College-Eishockeyteam bleiben will. Auch wenn er genau weiß, dass man sich vom Sohn des Trainers lieber fernhalten sollte … Eine verlorene Wette zwingt Kole Hogan, den Zeugwart für das Collegeteam seines Dads zu spielen, dabei hasst der Medizinstudent Eishockey. Doch der unnahbare Asher fasziniert ihn, und schon bald muss Kole sich fragen, wie viel er zu riskieren bereit ist … »Nachhilfe fürs Herz« ist der vierte Band der fünfteiligen College-Eishockey-Reihe von Eden Finley und Saxon James. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann als Einzeltitel gelesen werden. Um alle Nebengeschichten zu verfolgen, empfiehlt es sich jedoch, die Bände in der richtigen Reihenfolge zu lesen.

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EDEN FINLEY

SAXON JAMES

 

NACHHILFE FÜRS HERZ

 

EISKALT VERSCHOSSEN 4

Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld

Über das Buch

Asher Dalton ist nicht gerade für sein sonniges Gemüt bekannt. Nach dem tragischen Unfalltod seiner Eltern hat er seine Karriere als Eishockeyprofi aufgegeben, um gemeinsam mit seinem Bruder West die jüngeren Geschwister aufzuziehen. Doch Asher ist von seinem neuen Leben komplett überfordert, seine Noten leiden, und er muss wohl oder übel das Nachhilfeangebot von Kole annehmen, wenn er wenigstens im College-Eishockeyteam bleiben will. Auch wenn er genau weiß, dass man sich vom Sohn des Trainers lieber fernhalten sollte …

Eine verlorene Wette zwingt Kole Hogan, den Zeugwart für das Collegeteam seines Dads zu spielen, dabei hasst der Medizinstudent Eishockey. Doch der unnahbare Asher fasziniert ihn, und schon bald muss Kole sich fragen, wie viel er zu riskieren bereit ist …

Über die Autorinnen

Eden Finley schreibt heitere Liebesromane voller Herz, die sich wunderbar für kleine Fluchten aus dem Alltag eignen. Ihre Bücher entstehen meist aus einer schrägen Idee. Ursprünglich schrieb Eden auch in vielen anderen Genres, doch seit 2018 hat sie in der queeren Romance ihr Zuhause gefunden.

Eden lebt mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn in Australien.

 

Saxon James ist eine australische Autorin, die voller Begeisterung über queere Charaktere schreibt. Ihre Bücher umfassen eine breite Spanne – von Young Adult bis zu Unterhaltungsliteratur für Erwachsene ist alles dabei. Eins haben ihre Bücher jedoch gemeinsam: Immer geht es um die Liebe in all ihren wunderbaren Facetten.

Wenn sie nicht gerade schreibt, gönnt sich Saxon jede Menge Kaffee und Schokolade bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Lesen.

Die englische Ausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Line Mates & Study Dates«.

Deutsche Erstausgabe Dezember 2023

 

© der Originalausgabe 2021: Eden Finley, Saxon James

© für die deutschsprachige Ausgabe 2023:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,

Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Umschlaggestaltung: Ronja Forleo

Lektorat: Annika Bührmann

Korrektorat: Nina Restemeier

Schlussredaktion: Daniela Dreuth

Satz & Layout: Second Chances Verlag

 

ISBN: 978-3-98906-024-1

 

www.second-chances-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorinnen

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

DANKSAGUNG

KAPITEL 1

ASHER

Ich werde etwas Unvernünftiges tun.

Das waren meine Worte, bevor ich es tatsächlich durchgezogen habe und übers Ziel hinausgeschossen bin. Weil ich letzte Nacht nicht einfach nur was Unvernünftiges getan habe. Ich habe es grundlegend verbockt.

Gut gemacht, Asher, du ewiger Kindskopf.

Die Person, die sich von hinten an mich schmiegt, bewegt sich, und ich schließe die Augen und murmle leise: »Wie gern wäre ich jetzt zu Hause.« Allerdings gibt es dabei ein gigantisch großes, riesiges, lächerliches Problem. Ich bin hier zu Hause. Es ist Ezra Palaszczuk, der aus meinem Bett und diesem Haus verschwinden muss, bevor ihn meine kleinen Geschwister mit mir sehen. Oder noch schlimmer, bevor mein älterer Bruder ihn sieht.

Ich stoße Ezra mit dem Ellbogen an und flüstere: »Du musst gehen.«

Das tiefe Stöhnen war gestern Abend, als ich betrunken war, noch sexy, doch jetzt lässt es mich erschaudern. Nicht, weil er ein Typ ist, sondern weil er er ist. »Komm schon, ich dachte, wir könnten uns noch etwas amüsieren, bevor du mich rausschmeißt.«

»Mein Bruder bringt dich um.«

»Westly? Bitte, er kann mir nie lange böse sein. Er liebt mich.«

Ich weiß. Genau deshalb habe ich überhaupt erst mit Ezra geschlafen.

Der Alkohol ist ein grausamer Geselle. Er verwandelt ein hinterhältiges Was-wäre-Wenn in die Realität. Ich hätte noch damit warten sollen, mit dem besten Freund meines Bruders zu schlafen, und zwar bis West mich richtig auf die Palme bringt. Stattdessen habe ich es aus einer betrunkenen Laune heraus für eine brillante Idee gehalten, mit Bostons heißestem Verteidiger rumzumachen.

Niemand hat Eishockeyspielern jemals unterstellt, dass sie klug sind. Selbst ich weiß, dass das eine Grenze überschreitet.

Ja, ich hätte es durchaus getan, um eine Reaktion von Westly zu bekommen, aber zur Abwechslung war das mal nicht der Fall.

Warum, warum, warum musste Ezra meinen Bruder ausgerechnet dann besuchen, als ich … ich erschaudere, verletzlich war? Igitt, widerlich. Verschwinde, du nutzlose Emotion.

Ezra streicht mit seiner großen Hand über meine Brust, und ich stoße ihn erneut mit dem Ellbogen an.

»Verschwinde«, murmle ich.

»Na schön.« Er steht auf und schlüpft in seine Jogginghose, kann sie jedoch nur bis zu den Oberschenkeln hochziehen, bevor laute Schritte auf der Treppe zu hören sind und meine Schlafzimmertür aufgeschoben wird. »Schlafzimmer« ist eine sehr lose Definition, weil es eigentlich der Keller des alten Schindelhauses unserer Eltern ist. Es ist dunkel, eiskalt und die provisorische Schiebetür, die West für »meine Privatsphäre« eingebaut hat, hat kein Schloss. Wenn ich mir jedoch nicht mit meinen Geschwistern ein Zimmer teilen will, muss ich entweder hier schlafen oder im Garten zelten.

»Asher, du musst …« West wird still, als er sieht, wie Ezra sich die verfluchte Hose anzieht. Der harte Blick meines Bruders richtet sich auf mich, und Zorn tritt in seine grünen Augen, die meinen so ähneln.

»Schon mal was von Klopfen gehört?«, schnauze ich.

Die Hälfte der Zeit weiß ich nicht mal, woher meine Feindseligkeit kommt. Könnte an verschiedenen Dingen liegen. Ganz oben auf der Liste stehen der Verlust unseres Vaters und unserer Stiefmutter durch einen Autounfall vor einem Jahr und die Tatsache, dass West mir Schuldgefühle eingeredet hat, damit ich meinen Platz in der NHL aufgebe und ihm helfe, unsere Geschwister großzuziehen. Er hat gesagt, dass er Hilfe braucht und keine Nanny einstellen will, dass er das Leben der Kids nicht noch mehr auf den Kopf stellen will, als es nach dem Verlust unserer Eltern schon ist. Natürlich hat West mir die Wahl gelassen, aber es hat sich nicht wie eine angefühlt. Ich hätte sie nicht allein in Westly Daltons Händen gelassen. Wenn West seine Karriere in der NHL für sie aufgeben kann, kann ich meine verschieben.

Vielleicht will mich Buffalo nach meinem College-Abschluss noch, vielleicht auch nicht, aber bis dahin ist mein vierjähriger Exklusiv-Vertrag mit Buffalo abgelaufen und ich kann es als Free Agent versuchen.

In der Zwischenzeit gehört mein Leben nicht mehr nur mir, sondern auch West, Zoe, Rhys, Hazel, Bennett und Emmett.

Okay, vielleicht kenne ich den Grund für meine Feindseligkeit doch, aber das ändert nichts.

Mir einzugestehen, dass ich ein unvernünftiger Mistkerl bin, hält mich nicht davon ab, einer zu sein. Es ist unmöglich, das Arschloch in mir im Zaum zu halten. Also habe ich es aufgegeben.

West verschränkt die Arme über seiner breiten Brust und meidet meinen Blick, während er zu Ezra sagt: »Da du jetzt bekommen hast, was du wolltest, kannst du zurück nach Boston verschwinden.« Dann dreht er sich zu mir. »Du musst Hazel, Bennett und Emmett zum Training bringen.« Er macht auf dem Absatz kehrt und verlässt den Raum.

Das ist alles? Mehr bekomme ich nicht dafür, mit seinem Ex-Teamkameraden geschlafen zu haben? Ich weiß nicht, ob ich sauer sein oder Angst haben soll.

Wenn West wütend ist, brüllt er. Unsere Schreiduelle waren der Inbegriff von Geschwisterrivalität. Aber seit Dad gestorben ist, interessiert er sich nicht mehr für Streitereien. Entweder ist es das, oder er unterdrückt das alles und explodiert eines Tages.

Ich wende mich an Ezra. »Was meinte er damit, dass du bekommen hast, was du wolltest?«

»Es hat mal Spaß gemacht, mit deinem Bruder auszugehen, aber seit er nach Hause gezogen ist, meint er immer nur, dass er nicht weggehen und die Kids allein lassen kann und dass er ein totaler Langweiler ist.«

Ich reibe mir die Schläfen. »In Boston hättest du doch sicher mehr Auswahl gehabt.«

»Ja, aber ich hatte gehofft, dass dein Bruder endlich mein Angebot annimmt und mal ausgeht, wenn ich hier raus fahre.«

Ich schnaube. »Unwahrscheinlich. Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber sein Leben hat sich im letzten Jahr drastisch verändert.«

»Genau deshalb verdient er einen Abend, an dem er sich amüsieren kann.«

Ich will Ezra unbedingt fragen, was an einem solchen gemeinsamen Abend so abgeht, weil mein Bruder … vage ist, was sein Partyleben betrifft.

Die Gerüchte, die in Eishockey-Kreisen über ihn kursieren, sind wilde Geschichten, mit denen nicht mal ich mithalten könnte, und ich hatte nie den Mut, ihn zu fragen, ob sie wahr sind oder nicht. Es gibt Dinge, die ich über meinen Bruder einfach nicht wissen will.

Ich drehe mich auf den Bauch und lege mir das Kissen über den Kopf. Ich bin verkatert, und Ezra schwafelt immer noch.

»Auf einmal hat sich West in Mr Ernst-und-Verantwortungsvoll verwandelt. Das ist bizarr. Und nervig. Es hat eine kosmische Verschiebung im Universum gegeben, und so was ist unnatürlich.«

Versteht er den Wink nicht?

»Warum bist du noch hier?«

»Letzte Nacht warst du um einiges netter.«

»Alkohol macht mich nett. Hau. Ab.«

»Ich gehe schon.«

Ich schiele unter dem Kissen hervor, als Ezra mir meine Klamotten zuwirft.

»Aber du musst aufstehen und die Kids zum Eishockey bringen.«

Ich bin wie ein Taxiunternehmen. Obwohl, wenn ich ehrlich bin, stört es mich nicht, sie herumzukutschieren und zum Eishockey zu bringen. Sie haben beide Elternteile verloren und jetzt versuchen zwei Nichtsnutze, die keine Ahnung haben, was sie tun, sie sicher durch ihre Teenagerzeit zu bringen. Sie müssen sich schon mit genug Mist herumschlagen, ohne sich ihr Gewissen zusätzlich mit meinem ruinierten Lebensplan zu belasten. Es ist nicht ihre Schuld, dass ihre Eltern gestorben sind. Es war ein verfluchter Elch auf der Straße, der sie zu Waisen gemacht und West aus seinem Element katapultiert hat, sodass er Hilfe braucht.

West tut vielleicht verantwortungsbewusst, aber mir kann er nichts vormachen.

Einmal ein Nichtsnutz, immer ein Nichtsnutz.

Deshalb kämpfe ich nicht mehr dagegen an.

Schließlich stehe ich auf und ziehe mich an. Es ist der Beginn eines verdammt langen Sommers. West arbeitet als Trainer im Sommercamp der CU. Zoe und Rhys sind alt genug, um allein bleiben zu können, aber ich bin für Hazel, Bennett und Emmet verantwortlich, die zum Glück ihr eigenes privates Tagescamp haben. Währenddessen muss ich in den Sommerferien extra Kurse an der Uni belegen, weil mein erstes Jahr nicht gut lief. Ich gehe nicht davon aus, dass es im zweiten Jahr besser wird, aber wenn ich Eishockey spielen will, muss ich einen C-Schnitt halten. Mittlerweile kann ich das nur noch erreichen, indem ich mir zusätzliche Punkte verdiene. Toll.

Ich will einfach nur Eishockey spielen. Wenn das Universum kein grausames Miststück wäre, würde ich jetzt in Buffalo meinen NHL-Traum leben, anstatt Eishockey auf College-Niveau zu spielen.

Ich halte an der Tür inne. Wie soll ich mich verhalten?

Wenn es stimmt, dass jeder einen Engel und einen Teufel in sich hat, sagt mir mein Engel, dass ich mich entschuldigen soll, doch der Teufel in mir lässt es nicht zu. Es tut mir leid kommt mir nicht oft über die Lippen. Wenn überhaupt.

Ich gehe nach oben und höre West und Ezra in der Küche.

»Willst du mich verarschen?«, zischt West. »Mein kleiner Bruder?«

Ich verstecke mich hinter der Ecke, wo sie mich nicht sehen können.

»Es war nur Sex«, erwidert Ezra. »Wen juckt’s?«

West seufzt. »Ich kann das nicht machen, und er sollte es auch nicht. Begreifst du es nicht? Ein falscher Schritt, und wir verlieren das Sorgerecht für unsere Geschwister.«

Mir dreht sich der Magen um, und ich glaube nicht, dass es etwas mit meinem Kater zu tun hat.

»Okay. Tut mir leid. Kommt nicht wieder vor«, sagt Ezra.

»Ganz genau. Fahr wieder nach Boston, Ez.«

»Wenn du das willst.« Ezra stampft zur Tür, und dann taucht er vor mir auf. Er grinst mich großspurig an. »Man sieht sich, Little Dalton.«

Ich hasse, hasse, hasse diesen Spitznamen. Little Dalton, Mini Dalton … jeder in der Eishockey-Welt nennt mich so, und es nervt mich. Ich werde immer verglichen und muss ständig die Erwartungen erfüllen, die Westly Dalton aufgestellt hat.

Ezra verschwindet, und die Tür schließt sich mit einem Klicken hinter ihm.

Als ich um die Ecke komme, packt West das Mittagessen für die Kids ein. Jetzt sollte ich etwas sagen, aber mir fällt nichts ein. Ich bin überraschend platt. Normalerweise blühe ich unter Spannung auf, doch ich weiß, dass ich es dieses Mal vermasselt habe.

Er sieht mich aufgebracht an und öffnet den Mund, doch dann schlurft Bennett an mir vorbei zum Kühlschrank.

In einem epischen brüderlichen Blickduell, das West und ich über die Jahre hinweg perfektioniert haben, fallen Worte, ohne dass wir sie tatsächlich aussprechen.

Bennett verschwindet mit dem Orangensaft. Ich könnte schwören, dass dieser Junge zur Hälfte aus Saft besteht. Und zum Glück spüren Neunjährige die Anspannung in einem Raum nicht. Oder vielleicht doch, und er ist klug genug, seinen Hintern so schnell wie möglich hier rauszuschaffen.

»Warum bist du so?«, setzt West an.

Das ist eine gute Frage. Ich will antworten, dass es möglicherweise daran liegt, dass ich mit meinen einundzwanzig Jahren schon zu viel verloren habe und mich alles und jeder mal kann, aber er hebt eine Hand.

»Vergiss es. Ich weiß, warum du diesen Mist machst.« Sein ganzer Körper sackt niedergeschlagen zusammen.

»Es hat nichts bedeutet.« Als würde es das besser machen. Kodex unter Teammitgliedern. Fang nichts mit Geschwistern an. Wobei wir auch nicht klassisch etwas miteinander anfangen. Es war nur einmal. Und wie er bereits sagte, es war lediglich Sex.

»Und schon wieder verlierst du das große Ganze aus den Augen.« West legt die Hände auf die Kücheninsel. »Was ist nötig, damit du dich diesen Sommer zusammenreißt, dich im Unterricht mehr anstrengst und mir ohne dein typisches Aufmerksamkeit heischendes Verhalten hilfst?«

»Du kannst mich mal.« Selbst, wenn er nicht unrecht hat. Er … kann mich einfach.

»Du wärst in deinem ersten Jahr fast vom College geflogen. Reiß dich zusammen und hör auf, mich zu provozieren. In den nächsten acht Wochen besteht dein Leben aus Kids, lernen und noch mehr lernen. Verstanden?«

»Hurra. Was für ein Spaß.« Obwohl es nicht so ist, als hätte ich etwas Besseres zu tun. Der einzige Freund, den ich im letzten Jahr gefunden habe, zieht nach Montreal.

Ohne Cohen habe ich im Grunde kein Sozialleben.

»Ich muss los«, verkündet West. »Pack das hier fertig ein und fahrt dann. Sie dürfen nicht zu spät zum Aufwärmen kommen.«

Das weiß ich, will ich fauchen, aber mir fehlt die Energie.

West schiebt sich an mir vorbei, und es kostet mich all meine Kraft, das Mittagessen der Kids nicht an die Wand zu werfen.

Obwohl unsere Mom gestorben ist, als ich noch zu klein war, um mich an sie zu erinnern, kann ich mich sehr wohl erinnern, dass mir schon mein ganzes Leben gesagt wurde, ich müsste gesündere Bewältigungsstrategien als meine »Ausbrüche« finden. Es war einmal Eishockey. Jetzt ist es Sex. Und Adrenalin. Das Gefühl, jemanden so sauer zu machen, dass ich nicht mehr sicher sein kann, ob ich dafür eine geknallt bekomme oder nicht. Danach sehne ich mich.

»Streitest du dich schon wieder mit West?« Die leise Stimme meiner elfjährigen Schwester Hazel lässt mich zusammenzucken.

»Überhaupt nicht«, lüge ich und drehe mich zu ihr um.

Während West und ich mit unseren dunklen Haaren und den grünen Augen wie Brüder aussehen, kommen Hazel und unsere anderen Halbgeschwister nach unserer Stiefmutter. Sie haben hellere Haare und blaue Augen.

Mein Blick wird weicher. Von allen Menschen auf der Welt kann ich nur von meinen jüngeren Geschwistern behaupten, dass ich sie wirklich liebe. »Ich hab verschlafen, und West ist sauer, dass ihr zu spät zum Training kommt.«

»Ist das alles?« Sie glaubt mir nicht, aber ich werde sie oder die anderen nicht in unseren Mist hineinziehen.

»Versprochen.«

»Können wir los?«, fragt sie.

»Jap. Ich muss nur noch euer Mittagessen einpacken.«

»Ich helfe dir.«

Fünf Minuten später fahren wir los, und sobald ich sie abgesetzt habe, widerstehe ich dem Drang, die Uni zu schwänzen. Es fällt mir schwer, aber ich schleppe mich trotzdem zum Campus. Wenn ich weiter für die Colchester spielen will, muss ich diese Kurse belegen.

Ich bereue es, sobald der erste Kurs beginnt, weil mir das alles schon zu viel ist.

Das wird definitiv ein langer Sommer.

KAPITEL 2

KOLE

Der Sommer ist viel zu schnell vorbei.

Den Großteil habe ich als Praktikant in der Stem Cell Foundation in New York verbracht und bin dann wie jedes Jahr in den letzten beiden Wochen mit Mom und Dad nach Miami geflogen. Das sind die einzigen beiden Wochen im Jahr, in denen wir eine Pause von Dads unablässigem Gerede über die Liebe seines Lebens bekommen. Nein, nicht meine Mom. Eishockey. Als Cheftrainer des Eishockeyteams der Colchester University nimmt es den Großteil seiner Zeit ein. Dad und ich verstehen uns nie besser als in Miami.

Das ist beschissen, weil wir gut miteinander klargekommen sind, bis ich vierzehn wurde und festgestellt habe, dass es nicht reicht, einen Sport zu machen, den ich hasse, um Dads Anerkennung zu gewinnen. Als ich meinen Eltern eröffnet habe, dass ich schwul bin, haben sie mich umarmt und mir gesagt, dass sie mich lieben und unterstützen. Als ich jedoch erzählt habe, dass ich mit dem Eishockey aufhöre? Dad hat fast einen Monat lang kaum mit mir gesprochen.

Deshalb fühlt es sich wie eine gewaltige Zeitverschwendung an, in die Eishalle und nicht zur Lerngruppe zu gehen.

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du dich auf diese lächerliche Wette eingelassen hast«, sagt Katey. Dieses Jahr sind ihre Haare pink wie Kaugummi, und sie hat sich kürzlich die Nase piercen lassen, aber ihr Gesicht ist zart, und sie hat große Augen, wodurch sie wie eine Masturbationsfantasie aus einem Anime aussieht. Wenn man auf so was steht. Ich tue es nicht, und deshalb sind wir beste Freunde.

»Zu meiner Verteidigung muss man sagen, dass ich letzte Saison nicht gedacht hätte, Dads Team würde es ohne Foster Grant in die Regionalmeisterschaften schaffen.«

»Die Titelverteidiger der Frozen Four? Sollen es nicht in die Regionalmeisterschaften schaffen? Muss dein Kopf mal untersucht werden?«

Okay, vielleicht interessiert sich jeder in meinem Leben mehr für Eishockey als ich. Mom zerrt mich hin und wieder zu einigen Heimspielen, um Dad zu unterstützen, und ich lasse es über mich ergehen, weil wir drei anschließend essen gehen. Es sieht vermutlich nicht so aus, doch Coach Hogan ist ein Familienmensch, und es ist großartig, dass Mom und er nicht nur immer noch zusammen sind, sondern sich tatsächlich noch mögen.

Das will ich auch eines Tages. Nicht unbedingt eine traditionelle Ehe und Kinder, aber jemanden, der so für mich da ist, wie es meine Eltern füreinander sind.

Bis dahin gibt es viele queere Typen auf dem Campus, mit denen ich mich noch nicht amüsiert habe.

»Warum lächelst du?«, will Katey wissen.

»Einfach so.«

»Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch, den ich kenne, der über eine verlorene Wette lächelt. Willst du wirklich ein Jahr lang den Laufburschen spielen?«

»Zeugwart, nicht Laufbursche, vielen Dank auch.« Es gelingt mir nicht, überheblich zu klingen. »Und natürlich nicht. Dafür musste ich meinen Platz im LGBTQ-Community-Komitee aufgeben, aber ich habe verloren, also muss ich das Beste daraus machen. Es gibt immer einen Lichtblick.«

»Igitt. Dein Optimismus ist unnatürlich.«

»Was habe ich denn davon, Trübsal zu blasen? Es wird nichts ändern. Außerdem muss ich ja mit niemandem reden, also kann ich meine Kopfhörer einstecken und mir Vorlesungen anhören.«

»Was für ein Spaß.«

»Solidarische Miene, bitte.«

Sie klimpert mit den Wimpern, und das süße Lächeln, das sie sonst unseren Professoren zuwirft, erscheint auf ihren Lippen. »Ein paar Hinweise, Babe.« Sie zählt an den Fingern ab. »Die blaue Linie ist kein Euphemismus für Drogen, du darfst Puck-Bunnys nicht streicheln und vor allem, wenn es um die Spieler geht, denk daran, was deine Momma immer gesagt hat: Nur gucken, nicht anfassen.«

»Keine Sorge, sie spielen Eishockey. Das killt die Lust sofort.« Dank meiner Mitspieler aus meiner Kindheit und Dad ist mir klar, dass Eishockeyspieler einzig und allein an Eishockey interessiert sind. Typen ohne jegliche Persönlichkeit verlieren sofort zehn Punkte auf der Attraktivitätsskala.

»Wir sehen uns morgen, Balljunge«, trällert Katey.

»Selbst ich weiß, dass es im Eishockey keine Bälle gibt.«

»Ja, aber es klingt besser als Puckjunge. Bis später.«

Ich schiebe die Tasche auf meiner Schulter höher und öffne die Tür. Zum Glück sind noch keine Sportler hier, da das Training erst in gut einer Stunde beginnt, aber Dad wollte, dass ich früher komme, um einige der Assistenztrainer kennenzulernen.

Ich gehe durch einen Flur mit Trophäenschränken und bleibe vor dem riesigen Foto des Gewinnerteams der Frozen Four aus der vorletzten Saison stehen. Auch wenn Eishockey und ich niemals Freunde werden, macht mich die Erinnerung daran glücklich, wie aufgeregt Dad an diesem Abend war.

Die letzte Saison war eine andere Geschichte. Anfangs waren sie total chaotisch, haben sich dann irgendwie zusammengerissen und es in die Regionalmeisterschaften geschafft und wurden dann von Lebensmittelvergiftung und Verletzungen heimgesucht. Eigentlich ist es unfair, dass sie verloren haben, denn sie haben nicht schlecht gespielt – sie hatten vier Spieler weniger. Es ist allerdings eine Schande, dass es nicht ein paar Spiele früher passiert ist, denn dann wäre ich jetzt nicht hier.

Ich wünschte, ich hätte dieselbe Leidenschaft für Eishockey wie Dad, aber auf dem Eis zu sein hat sich wie eine Pflicht angefühlt, und als mir klar wurde, wie anders Dad mich behandelt hat, wenn ich gespielt habe, habe ich es gehasst.

Zu Hause war er immer herzlich und ruhig. Auf dem Eis hat er mich wie jeden anderen Spieler behandelt. Es ist nicht so, dass ich eine Sonderbehandlung wollte, aber Dad im Coach-Modus ist krass und einschüchternd und jemand, den ich nicht sehr mochte. Dadurch habe ich das Spielen verabscheut, doch Dad konnte das nie verstehen.

Memo an alle Eltern da draußen: Beurteilt euer Kind nicht danach, was ihr mögt.

Ohne anzuklopfen betrete ich Dads Büro. Zwei andere Personen sind bereits da, die Dad mir als Assistenztrainer Dalton und Beck vorstellt. Beck erkenne ich als Spieler aus der letzten Saison.

»Das ist mein Sohn Kole«, erklärt Dad. »Er hat nicht geglaubt, dass wir es in die Regionalmeisterschaften schaffen, und wegen dieser Fehleinschätzung ist er dieses Jahr unser Zeugwart. Wenn ihr etwas braucht, wendet euch an ihn.«

»Stets zu Diensten.«

Dad durchschaut meinen Sarkasmus und sieht mich eindringlich an. »Du wirst es ernst nehmen. Das ist vielleicht nicht dein Ding, aber ich erwarte, dass alles glatt läuft.«

»Du hast einen Eishockey-Phobiker eingestellt, keinen Vollpfosten. Ich schaff das schon.«

»Das will ich hoffen.«

»Nichts für ungut …«, sagt Beck und klingt dabei, als würde er das genaue Gegenteil meinen. »Aber weißt du überhaupt etwas über Eishockey?«

»Ich weiß genug.«

»Er hat sieben Jahre gespielt«, wirft Dad ein, und seine Enttäuschung ist klar und deutlich zu hören. Man sollte meinen, dass er sechs Jahre später darüber hinweg ist. »Wir sind durchgegangen, was ich von ihm erwarte. Er kommt schon klar.«

»Aber es geht nicht nur um die Ausrüstung, oder?«, fragt Dalton und mustert mich. »Er wird auch mit dem Team zu tun haben. Glaubst du wirklich, dass du mit testosterongetriebenen Diven zurechtkommst?«

Diese Formulierung erinnert mich an die Typen, mit denen ich normalerweise schlafe, und ich kann ein leises Lachen nicht unterdrücken. »Ja, die Diven sind kein Problem. Die Ausrüstung ist kein Problem. Ich weiß, wie all der Klimbim heißt, und beim Zählen kann ich gleichzeitig diese tollen Sachen namens Addition und Subtraktion – es ist unglaublich.« Drei Sportler starren mich an, ohne meine Stichelei zu würdigen. »Na schön. Seit der siebten Klasse bin ich buchstäblich immer Klassenbester, und so sehr ich auch versucht habe, es nicht zu tun, kenne ich mich mit Eishockey aus und weiß, was gebraucht wird. Ich komme mit den Sportlern klar, weil es mich einen Scheißdreck interessiert, was ein Haufen Athleten von mir denkt, und wenn einer es übertreibt, ziehe ich die Daddy-Karte.«

Dad seufzt, als hätte er wirklich gehofft, dass ich mich von meiner besten Seite zeige. Doch obwohl ich schnippisch bin und nicht hier sein will, werde ich es ernst nehmen. Es ist nur eine Saison, dann werde ich wieder in die Freiheit entlassen.

»Na los, das Team ist gleich da.« Dad steht auf, und Beck folgt ihm.

Ich will gerade zur Tür hinausgehen, als Dalton mich zurückruft.

»Coach Hogan spricht in den höchsten Tönen von dir.«

»Das will ich auch hoffen. Er ist mein Dad. Es wäre ziemlich mies von ihm, wenn er über mich herzieht.«

Aus irgendeinem Grund zögert Dalton. »Na ja, also, ich wollte nur sichergehen, dass du wirklich alles über diesen Job weißt.«

»Ausrüstung herumschleppen, neue Ausrüstung bestellen und mich von fünfundzwanzig Eishockeyspielern wie ihren Laufburschen behandeln lassen. Wie schwer kann das sein?«

»Da sind auch noch andere Dinge. Zum Beispiel …« Coach Dalton wendet den Blick ab. »Die Spieler auf Linie halten. Dafür sorgen, dass sie sich bei Auswärtsspielen nicht aus dem Hotel schleichen. Uns Bescheid sagen, falls du was von Drogenmissbrauch oder Regelverletzungen mitkriegst.«

Ich verenge die Augen. »Mir war nicht klar, dass petzen in der Jobbeschreibung stand.« Genau das brauche ich, wütende Spieler, die den Typen finden wollen, der sie verpfiffen hat, weil sie sich amüsiert haben.

»Mein Bruder Asher spielt im Team. Er ist ein hervorragender Spieler, aber ein wandelndes Pulverfass. Das Problem ist, dass dein Dad ihn nicht in der Aufstellung lässt, wenn er Mist baut.«

»Das ist nicht mein Problem. Klingt, als wäre es deins.«

»Als würde er auf mich hören«, erwidert Coach Dalton. »Hör zu, ich bitte dich nur darum, ein Auge auf ihn zu haben und mir Bescheid zu sagen, falls er etwas tut, was er nicht tun sollte.«

»Ich meine das jetzt nicht böse, aber warum sollte ich das wollen?«

»Du hast gesagt, es wäre dir egal, was ein Haufen Eishockeyspieler über dich denkt. War das dein Ernst?«

»Na ja, schon …«

»Dann ist es dir auch egal, ihn in seinem Zimmer einzuschließen, wenn es sein muss.«

»Mir ist es vielleicht egal, aber soweit ich weiß, ist das Gesetz ziemlich deutlich, was das Gefangennehmen von anderen Menschen angeht.«

Endlich lächelt er leicht, doch selbst das sieht aus, als würde es ihn Kraft kosten. Wenn ich Dalton genauer ansehe, erkenne ich nur tief sitzende Erschöpfung. Angefangen bei seinen müden Augen bis hin zu seinen herabhängenden Schultern … Ich habe Mitleid mit dem Mann.

Genug Mitleid, um seiner Bitte nachzukommen? Ich bin nicht sicher, ob es gelogen ist, dass Zeugwarte auch als Wärter fungieren oder nicht, aber bin ich bereit, es trotzdem zu tun?

»Mir gehen die Möglichkeiten aus, und ich weiß nicht mehr, was ich mit ihm machen soll.« Daltons Stimme klingt kraftlos. Nein, geradezu besiegt.

Nach einem weiteren Blick in Daltons ausdrucksstarke grüne Augen habe ich meine Antwort.

»Na schön«, schnaube ich. »Ich versuche, den missratenen Sohn im Zaum zu halten. Aber ich kann nichts versprechen.«

»Nein, natürlich.« Er fährt sich mit einer Hand durch die Haare. »Doch es hilft schon, dass ihn noch jemand im Auge behält.«

Wie schlimm kann der Typ schon sein?

Eine halbe Stunde später bekomme ich die Antwort, als eine jüngere Version von Coach Dalton ein paar Minuten zu spät in die Umkleide stapft. Sie haben beide dieselben dunklen Haare und grünen Augen, aber Coach Dalton hat einen Dreitagebart. Sein Bruder ist glattrasiert. Er wirft seine Tasche mit einem lauten Knall ins Fach und lässt sich dann auf die Bank fallen, als interessierte es ihn nicht, dass ihn alle im Raum anstarren.

Wahrscheinlich wäre er gut aussehend, wenn er nicht so eine finstere Miene ziehen würde, aber nach einem einzigen, drohenden Blick ist eins klar: Asher Dalton bedeutet Ärger.

Schon jetzt weiß ich, dass ich diesen Kerl nicht im Auge behalten werde – ich werde sein Babysitter sein.

Und sehen wir den Tatsachen ins Auge, wahrscheinlich versage ich dabei.

KAPITEL 3

ASHER

»Schlampig!«, brüllt mein Bruder, als mein Pass den Schläger meines Teamkameraden verfehlt.

Hey, so viel hat er den ganzen Sommer nicht mit mir gesprochen, also immerhin.

Offensichtlich hat es ein paar Stunden gedauert, bis der Schock, Ezra und mich zusammen zu sehen, zu ihm durchgedrungen ist, doch dann hat er ein ganz neues Level der Wut erreicht, und ich habe eine neue Fähigkeit bei ihm freigeschaltet: Bestrafung durch Schweigen.

Und, verdammt, vielleicht hat es funktioniert, denn ich habe den ganzen Sommer über getan, was er von mir verlangt hat. Ich habe wie besessen gelernt. Ich habe die Kids zum Eishockey gebracht. Ich bin zur Uni gegangen. Ich habe mich ruhig verhalten. Und trotzdem bin ich gerade so mit einem C durch alle Kurse gekommen.

Was habe ich vorzuweisen? Einen geschwächten Körper und schlampiges Spiel. Himmel, ich bin langsamer als viele der Neulinge da draußen. Das passiert, wenn man die ganze Zeit im Haus verbringt und nicht trainiert. Ich weiß nicht, wie die Nerds das machen.

Nach der Folter meines Bruders kommt Coach Hogan mit Technikübungen.

»Zur Linie und dann rückwärts übersetzen, los.«

Wir bekommen keine Pause, bevor schon die nächste folgt.

»Dot-Drill.«

Immer und immer wieder, ein Drill nach dem anderen. Coach Hogan lässt nicht nach.

Meine Lunge brennt, und meine Muskeln fangen an zu krampfen. Obwohl nur lausige acht Wochen vergangen sind, bin ich absolut nicht in Form. Memo an mich: Üben, wie man auf dem Laufband liest oder so was.

Coach Hogan bläst in seine Pfeife. »Box-Drill!«

Wir alle stöhnen.

Er ist sonst nicht so. Er ist pingelig, doch beim Training nie so sadistisch wie jetzt. Einige der Jungs in der Umkleide haben erzählt, dass er beim ersten Training des Jahres alle Geschütze auffährt, aber das kann ich nicht wissen – ich bin letzte Saison als Späteinsteiger dazugekommen.

Einige der Neulinge fragen sich murmelnd, wie ich denn für die NHL ausgewählt wurde, wenn ich langsamer eislaufe als eine Schildkröte im Schlamm, allerdings sind sie nicht so leise, wie sie denken.

Ich würde ihnen gern sagen, dass sie mich am Arsch lecken sollen, aber ich kann nicht atmen, geschweige denn sprechen.

Und dann tritt der schlimmstmögliche Fall ein. Mir dreht sich der Magen um, und mein Mittagessen versucht, wieder nach oben zu kommen. Ich sprinte zur Seitenlinie, damit ich es zur Spielerbank schaffe und mich in einen Mülleimer übergeben kann.

»Das könnte ein neuer Rekord sein«, stellt Coach fest. Ich drehe den Kopf, als er auf seine Armbanduhr sieht. »Alles klar. Training ist vorbei. Und einer kümmert sich darum, dass Dalton genug trinkt.«

Rossi, der diesjährige Captain, hilft mir vom Eis.

Bringt mich um. Das werden sie mich nie vergessen lassen.

Der vertraute Drang, einen Streit vom Zaun zu brechen, flammt in mir auf. Wenn sie von meinem miesen Verhalten abgelenkt sind, konzentrieren sie sich wenigstens nicht darauf, wie schwach ich bin. Mir ist es lieber, gehasst als für einen Witz gehalten zu werden.

Und ja, auch wenn ich mit erhobenem Kopf in die Umkleide komme, wird um mich herum gekichert.

Toll. Einfach toll. Vielleicht hätte ich mich letztes Jahr eher an Rossi oder Simms halten sollen, stattdessen habe ich mich mit einem Typen angefreundet, der seinen Abschluss macht. Allerdings wäre das schwer gewesen, da ich im Zentrum der ersten Reihe gespielt habe – eine Position, auf die es sowohl Rossi als auch Simms abgesehen hatten.

Ich ziehe mich an meinem Fach aus und ignoriere alle um mich herum. Als ich nur noch im Jockstrap dastehe, hält mir jemand eine Flasche Gatorade vors Gesicht.

»Danke«, murmle ich.

»Kein Problem. Ich weiß aus Erfahrung, wie hart Coach einen antreiben kann.« Das sagt er zwar, aber als ich den Kopf drehe, steht keiner meiner Teamkollegen vor mir.

Der Typ ist vielleicht ein oder zwei Zentimeter kleiner als ich mit meinen eins fünfundachtzig, hat dunkelblonde Haare, warme, grünbraune Augen und ein süßes Lächeln. Für einen Eishockeyspieler ist er zu dünn.

Er beugt sich zu mir. »Am ersten Tag geht er immer zu weit. Tut vor den Neuen gern so, als wäre er ein harter Hund, aber ich verrate dir ein kleines Geheimnis.« Er senkt die Stimme. »Darunter ist er ein echter Teddybär.«

Coach Hogan ein Teddybär? Ist der Typ high?

»Wenn du das sagst.«

»Ich bin Kole.« Sein umwerfendes Lächeln wird breiter. »Kole Hogan.«

Ich verziehe das Gesicht. »Coach ist …«

»Mein Dad. Und ich bin dieses Jahr euer Zeugwart, wenn du also etwas brauchst, lass es mich wissen, und ich gebe es dir.«

Mein Schwanz zuckt. Seine Worte sollten nicht sexuell klingen, aber mein Körper nimmt sie anscheinend trotzdem so auf. In Gedanken weise ich ihn an, sich verdammt noch mal zu beruhigen, weil Sex mit einem Kaktus weniger gefährlich wäre, als mit Coachs Sohn rumzumachen, selbst wenn der zerstörerische Teil in mir bereits die negativen Auswirkungen genießt, die so einem One-Night-Stand folgen würden.

Während ich beobachte, wie Kole seinen Blick über meinen fast nackten Körper wandern lässt, frage ich mich unwillkürlich, ob die sexuelle Anspielung nicht doch gewollt war.

Ich räuspere mich. »Danke für das Getränk.«

Geh weg, Asher. Geh weg, bevor du etwas ashertypisches sagst oder tust.

»Kein Problem.«

Ich trete zurück und gehe zu den Duschen, stelle jedoch fest, dass ich immer noch die Flasche und nicht mein Handtuch in der Hand habe.

Verflucht noch mal. Kole steht noch immer an meinem Fach, als ich zurückmarschiere und die Sachen tausche. Dann lacht er leise, als ich wieder gehe.

Allerdings fällt mir dann auf, dass ich noch meinen Jockstrap habe. Damit ich nicht noch ein weiteres Mal zurückmuss, ziehe ich ihn auf der Stelle aus und werfe ihn durch die Umkleide.

 

***

 

West ist vor mir zu Hause, weil wir getrennt gefahren sind, und sobald ich das Haus betrete, merke ich, dass die Hölle losgebrochen ist.

Willkommen in meinem Leben.

Die Zwillinge schreien einander wegen eines Xbox-Spiels an, das sie gerade spielen, Zoe brüllt West an, dass sie zu jung ist, um auf vier Kinder aufzupassen, während West und ich albernes Eishockey spielen, und Hazel sitzt mit geräuschunterdrückenden Kopfhörern und dem Laptop vor sich am Esstisch.

Alles klar.

Ich wende mich an Bennett und Emmett. »Wisst ihr was? Wenn ihr das Problem nicht unter euch löst, spielt keiner von euch Xbox.«

Das bringt sie ziemlich schnell zum Schweigen.

Jetzt ist Zoe an der Reihe. »Warum bist du zu jung, um auf die anderen aufzupassen?«

»Weil sie nicht auf mich hören«, kreischt sie. »Rhys ist weggegangen. Ich weiß nicht, wohin. Ich hab versucht, euch anzurufen. Er ist einfach … gegangen.«

»Er ist gegangen«, wiederhole ich. »Er ist dreizehn.« Warum zum Teufel hielt er es für okay, so spät noch wegzugehen?

»Ja! Was sollte ich denn machen? Die anderen hierlassen und ihm hinterherlaufen? Das ist zu viel Druck. Es ist unfair.«

Oh, Schätzchen, du willst mit mir über unfair reden?

Ich werfe ihr meinen finsteren »Willst du mich verarschen?«-Blick zu, doch dann steigen Tränen in ihre blauen Augen, und ich erinnere mich daran, dass sie fünfzehn ist. Ich bin einundzwanzig und komme selbst kaum mit dem Chaos klar, das drei Kinder unter zwölf und ein Dreizehnjähriger mit sich bringen.

Letztes Jahr hat unser System funktioniert. Zoe war an den Nachmittagen bei den Kids, bis West und ich vom Training zurück waren, und West ist zu Hause geblieben, wenn das Team Auswärtsspiele hatte. Ich schätze, alle hier im Haus hatten einen Hormonschub, oder vielleicht waren sie letztes Jahr einfach zu deprimiert, um sich danebenzubenehmen. Vielleicht ist Zoe müde, was ich verstehen kann. Egal warum, offensichtlich funktioniert es nicht mehr, und wir sollten Zoe nicht so viel zumuten.

Ich schlage einen sanfteren Tonfall an. »Okay, wir machen Folgendes. Zoe … nimm ein Bad oder was auch immer ihr Frauen so tut, um euch zu entspannen. West, du kannst bei den Eltern von Rhys’ Freunden anrufen, und ich suche ihn hier in der Gegend. Zu Fuß kann er nicht weit gekommen sein.«

West nickt und geht in die Küche, um den Ordner mit den Namen der Eltern und ihren Kontaktdaten zu holen. »Warte, wer sind Rhys’ Freunde?«

Es spricht! Allerdings weiß ich nicht, ob die Frage direkt an mich oder allgemein an alle gerichtet war.

»Da wären Tom, Harrison … Weißt du was, fang bei Harrison an«, schlage ich vor. »Er wohnt in der Nähe und sie sind beste Freunde, weil sie den ganzen Sommer zusammen rumgehangen haben.«

West blinzelt mich an, als wollte er fragen, woher ich das weiß, aber es ist nicht schwer. Im Gegensatz zu ihm bin ich tatsächlich aufmerksam. West scheint sich die meiste Zeit auszuklinken. Er ist zwar da, aber nicht wirklich hier.

»Okay.« Er sieht auf den Ordner hinab.

»Nachname Ford«, sage ich.

Er hebt den Kopf. »In Rhys’ Klasse gibt es einen Jungen namens Harrison Ford?«

Ich lache. »Nein, aber du solltest mal dein Gesicht sehen. Sein richtiger Nachname ist Greer.«

West zeigt mir den Mittelfinger, und ich freue mich tatsächlich darüber. Ja, endlich ein Hauch von Normalität! Während West die Nummer raussucht und wählt, drehe ich mich zu Hazel und nagle sie mit meinem besten »Du weißt doch was«-Blick fest.

Ich kann mit all meinen Geschwistern mit einem einzigen Blick kommunizieren. »Wo ist er?«, frage ich sie.

Sie zeigt auf ihre Kopfhörer und schüttelt den Kopf.

»Wo. Ist. Er?«

Hazel seufzt und zieht einen Hörer vom Ohr. »Er wollte sich mit einem Mädchen treffen. Im Park.«

»Einem Mädchen? Aus der Schule?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Ich glaube, aus dem Internet.«

»Er trifft ein Mädchen, das er online kennengelernt hat?«, kreische ich. »Welcher Park?«

»Der mit der Hundewiese. Glaube ich. Keine Ahnung, er hat erzählt, dass sie mit einem Hund spazieren geht. Ich fand sein Geschwafel widerlich, also hab ich nicht weiter zugehört.«

Ich sagte ja, dass ich meine Geschwister liebe? Manchmal machen sie es mir wirklich schwer.

»West, ich gehe ihn suchen.« Obwohl ich nach dem mörderischen Training todmüde bin und es draußen stockdunkel ist, renne ich zum Park. Er ist nur anderthalb Blocks entfernt.

Ich schwöre, wenn mein kleiner Bruder in einen Sexhandelsring gelockt wurde, hetze ich meinen inneren Liam Neeson auf diese Typen.

Atemlos und verschwitzt erreiche ich den Park, kann aber nirgendwo jemanden entdecken. Die Straßenlaternen beleuchten die Fläche ein wenig, allerdings nicht vollständig.

Die einzige Person, die ich sehen kann, ist ein Typ mit einem Hund in einem eingezäunten Spielbereich neben mir. Abgesehen von einem gelegentlichen Bellen oder Knurren ist der ganze Park still.

Keuchend atme ich ein, bin aber nicht sicher, ob mir die Luft vom Rennen ausgegangen ist oder weil ich keine Kontrolle darüber habe, wo Rhys ist.

Verflixt und zugenäht, Rhys kann nicht weg sein. Wir können es nicht jetzt schon vermasselt haben.

Ich drehe mich im Kreis und raufe mir die Haare. Echte Angst breitet sich in mir aus.

Das darf nicht wahr sein. Das darf nicht wahr sein.

Druck bildet sich auf meiner Brust, und ich reibe mir das Brustbein, um den Schmerz zu lindern.

»Hey.« Die Stimme hinter mir ist vertraut, aber nicht die, auf die ich hoffe.

Kole steht hinter mir, und ich blinzle über diesen Zufall. »Verfolgst du mich?«

»Genau, ich stalke dich.« Er senkt die Stimme und murmelt: »Verfluchte Eishockeyspieler und ihre Egos.«

»Tut mir leid. Ich kann nicht klar denken.«

»Alles in Ordnung?«, fragt er.

Ich betrachte erst ihn und dann seinen … was er wohl einen Hund nennt. Sieht eher wie eine Art Höllenhund oder so was aus.

»Asher?«

Ich schüttle den Gedanken ab. »Äh, mein Bruder. Er …« Ich kann die Worte nicht aussprechen.

»Coach Dalton?«

»Nein. Mein jüngerer Bruder. Er ist dreizehn. Er ist weggegangen, als wir beim Training waren und …«

Hinter uns ertönt ein lautes Lachen vom Kinderspielplatz. Ich erkenne es sofort.

»Rhys?«, brülle ich.

Dann höre ich ein laut gezischtes »Mist, das ist mein Bruder«.

Ich marschiere zum Klettergerüst, aus dem zwei Paar Beine herausragen. Erleichterung und Wut erfassen mich gleichermaßen. Ich bin kurz davor, Rhys anzuschreien, weil er so unvorsichtig war, jemand Unbekanntes zu treffen, als das Gesicht des Mädchens erscheint.

»Moment mal, ich kenne dich. Du gehst auf Rhys’ Schule.« Ich sehe Rhys an. »Hazel hat gesagt, dass du mit jemanden zusammen bist, den du online kennengelernt hast.«

Rhys schnaubt. »Hältst du mich wirklich für so naiv? Ich erzähle Hazel nie was. Sie würde es allen an der Schule verraten.«

»Geh nach Hause, bevor ich deine Eltern anrufe«, sage ich zu dem Mädchen und mustere dann meinen Bruder. »Schwing deinen Hintern nach Hause, bevor West dich umbringt. Und dann mich als Zugabe, nur so zum Spaß.«

Die beiden stürzen los, und auch wenn ich weiß, dass er jetzt in Sicherheit ist, rast das Adrenalin noch durch meine Adern.

Ich atme tief ein und versuche, mich zu sammeln, bevor ich wieder nach Hause gehe. Meine Hände zittern, und meine Brust brennt. Autsch, nein, es tut jedes Mal weh, wenn ich Luft hole.

Oh, Scheiße, fühlt sich so eine Panikattacke an?

Ich darf nicht zulassen, dass meinen jüngeren Geschwistern was passiert. Die Vorstellung, noch jemanden zu verlieren …

Ich schlucke schwer und zucke zusammen. Alles tut mir weh.

Eine Hand legt sich beruhigend auf meine Schulter. »Atme. Es geht ihm gut. Alles ist gut.«

Ich will zurückweichen und meine üblichen Mauern hochziehen – das Arschloch sein, als das ich bekannt bin. Aber ich bin müde. So schrecklich müde. Ich schiebe es auf die pure Erschöpfung, dass ich Kole erlaube, mich so zu sehen.

Kole lacht leise, und zuerst denke ich, er lacht über mich. Ich balle die Hände zu Fäusten, beiße die Zähne zusammen und bereite mich auf einen Kampf vor, doch als ich den Kopf hebe, konzentriert sich Kole auf etwas anderes. »Verdammt, ich glaube, du hast deinem kleinen Bruder echt Feuer unterm Hintern gemacht. Er rennt so schnell, dass er so wie im Cartoon eine Staubwolke hinter sich herzieht.«

Schnaubend folge ich seinem Blick zu meinem Bruder, der tatsächlich schneller rennt, als ich vermutlich eislaufen könnte. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und schreibe West, dass Rhys auf dem Heimweg ist. Meine Hände zittern immer noch, während ich versuche, von meinem Adrenalinhoch herunterzukommen.

»Deine Eltern sollten ihn für Leichtathletik anmelden«, schlägt Kole vor.

»Hm, vielleicht.« Ich stecke mein Handy ein, und genau wie vorhin in der Umkleide, wandert mein Blick über Koles weiche Gesichtszüge. Seine dunkelblonden Haare wirken in diesem Licht eher braun, aber seine grünbraunen Augen scheinen heller.

Ein knurrender Hund schiebt seine Schnauze zwischen uns, und ich zucke ein Stück zurück.

»Hades, hör auf, so eine Sau zu sein«, mahnt Kole.

Ich verschlucke mich beinahe. »Äh, was?«

»Er knurrt immer, wenn ihm keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Er ist eine Rampensau.«

»Er sieht aus, als würde er mir die Hand abbeißen, wenn ich versuche, ihn zu streicheln.«

»Deshalb will er die Aufmerksamkeit.« Kole kniet sich hin und krault seinen Hund, der glücklich über die Zuneigung hechelt. Der Anblick ist so … rein und … das Gegenteil dessen, was ich bin.

»Fremde schenken sie ihm nicht, weil er so wild aussieht. Hades, bist du ein wilder Junge?« Koles Babystimme ist irgendwie hinreißend.

Nein, nicht hinreißend.

Was zum Teufel stimmt nicht mit dir, Asher? Reiß dich zusammen.

Ich muss hier weg. »Ich sollte, also, wieder nach Hause zurück. Sichergehen, dass West nicht Rhys umbringt, dass die Zwillinge sich nicht gegenseitig umbringen und Zoe sich nach ihrer Panikattacke beruhigt hat.« Meine Augen weiten sich. »Oh, wow, mir ist gerade aufgefallen, dass das eine Menge Informationen waren. Spulen wir noch mal zurück. Ich … gehe nach Hause.«

Kole legt den Kopf schräg. »Warum musst du das alles machen und nicht deine Eltern?«

Das wäre die perfekte Gelegenheit, die Mitleidskarte auszuspielen. Meine Eltern sind tot. Meine Geschwister und ich sind Waisen. Wenn das Wort Waisen nicht schon reicht, damit sich die Leute unwohl fühlen, dann spätestens mein gleichgültiger Tonfall, aber heute Abend spielt mein Mund einfach nicht mit. Nach dem, was gerade mit Rhys passiert ist, könnte ich es nicht ertragen, das übliche Mitleid auf Koles Gesicht zu sehen.

»Sie sind … äh … nicht da.«

»Echt Mist. Wollen wir zusammen gehen? Wir müssen in dieselbe Richtung.« Er deutet auf die Straße, in der Rhys verschwunden ist.

Wieder ist der Drang da, ihn abzuweisen, doch plötzlich habe ich überhaupt keine Stimme mehr. Ich kann ihn nur mit einer Handbewegung bitten, voranzugehen. Das kriege ich hin.

Ich habe letztes Jahr Freunde gefunden … na ja, einen Freund. Aber ich schaffe das noch mal. Cohen schien mich trotz meiner Einstellung zu mögen. Ich habe ihn und seinen Freund wiederholt bewusst provoziert. Sie sind locker damit umgegangen, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass Cohens Freund mir ein paar Mal am liebsten eine reingehauen hätte. Es wäre mir sehr entgegengekommen.

Abgesehen davon, scheint die Katastrophe vorprogrammiert zu sein, wenn ich mich ausgerechnet mit Kole anfreunde. Ich bin ein Versager. Manchmal absichtlich. Und bei Kole zu versagen ist riskant, wenn ich darauf angewiesen bin, es mir mit Coach nicht zu versauen.

»Asher?«, fragt Kole, und mir wird klar, dass ich abgedriftet bin.

»Richtig. Gehen.«

Einfach gehen.

Mit Coachs Sohn.

KAPITEL 4

KOLE

Asher Dalton ist … überraschend.

Er hat die Hände tief in die Hosentaschen geschoben und die Schultern so hochgezogen, als würde er sich wie in einem Schildkrötenpanzer darin zurückziehen wollen. Alles an ihm ist hochgradig angespannt. Abwehrend. Ganz anders als vorhin in der Umkleide. Dort waren seine grünen Augen intensiv und dunkel. Hier draußen im Licht der Straßenlaternen sind sie matt und voller Niedergeschlagenheit. Seine Mundwinkel hängen nach unten, und Schweigen breitet sich zwischen uns aus, als wir die Hundewiese verlassen.

Als ich Asher vorhin gesehen habe, dachte ich zuerst, er würde einen Dealer treffen oder so. Coach Daltons Bitte um Hilfe hat mich sofort vermuten lassen, dass er auf die Dinge abfährt, die ihn aus dem Team fliegen lassen könnten, und so unruhig und nervös, wie er war … Nun ja, dass er nach seinem kleinen Bruder sucht, wäre mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Da ich nun den wahren Grund für sein nervöses Zucken kenne, bin ich unwillkürlich fasziniert.

Heute Nachmittag habe ich ihn als problembeladenes Arschloch abgestempelt. Jetzt ist er … ein liebevoller Bruder?

Das passt nicht zusammen.

Ich versuche, ein Lächeln zu unterdrücken, als er wieder in meine Richtung sieht. »Hab ich was zwischen den Zähnen?«

»Ich frage mich, wie lange es dauert, bist du …« Er deutet auf Hades. »… das erklärst.«

»Meinen Hund?« Ich stelle mich ahnungslos, weiß aber genau, wonach er fragt.

»Ja, der arme Kerl. Was ist mit seinem Gesicht passiert?«

Ich habe ihn schon so viele Jahre, dass es mich nicht mehr betroffen macht, aber jedes Mal, wenn Hades jemanden Neues kennengelernt, kommen die Fragen. »Ich habe ihn aus dem Tierheim. Man konnte uns dort nur sagen, dass ein Bullterrier in ihm steckt, aber auch noch viele anderen Rassen. Eine richtige Promenadenmischung. Als die Tierrettung ihn befreit hat, war er in ziemlich schlechter Verfassung.« Offensichtlich. »Sie meinten, dass es Säure war.« Ich werde nicht oft wütend oder will Menschen verletzen, aber wenn ich daran denke, was der arme Hades durchgemacht hat, zieht sich immer etwas tief in meiner Brust zusammen. Er hat ein Ohr verloren und eine Seite seines Gesichts wurde verätzt, sodass ein Auge verschlossen ist und seine Zähne an einigen Stellen sichtbar sind. Die Mitarbeiter hatten Sorge, dass er durch seine Erfahrungen zu aggressiv wäre und nicht mehr genug Vertrauen fassen könnte, um ein neues Zuhause zu finden, aber er ist genau wie jeder andere Hund, der sich nach Liebe und Zuneigung sehnt – er hat nur zufällig ein verstümmeltes Gesicht.

»Du hast deinen Hund, dem das Gesicht weggeätzt wurde, nach einem Zeichentrickcharakter benannt, der Feuer auf dem Kopf hat?«