Liebe und Tod - Hermann Kinder - E-Book

Liebe und Tod E-Book

Hermann Kinder

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Beschreibung

Kein Mitbringsel zum Rendezvous, sondern Schläge ins Illusionsgenick. Meisterlich ausgeklügelte Psycho- bzw. Typogramme mit ironiegeladenen Sprachblitzen und bürgerlich-verklemmte Moralvorstellungen sprengenden Donnerschlägen. Jede der in bloßstellender Intimität aufs Papier geschafften Geschichten gewinnt den großen Themen Liebe, Sex und Leidenschaft neue, schaurig-schöne Aspekte ab. Solche radikalen Liebes- bzw. Leidensgeschichten hat man selten zu lesen bekommen.

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Seitenzahl: 106

Veröffentlichungsjahr: 2017

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»Es gibt Fragen, die sich immer stellten; und immer offenbarte eine Zeit ihr Gesicht in den Antworten auf diese Fragen. Was ist unser Leben? Georg Büchner antwortete: ›Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wem man hinabsieht.‹ Die spezifische Erlösung unserer Ära ist die Verdrängung.«

Ludwig Marcuse

Inhalt

A

Der Hunger nach Liebe

B

Familienbande

C

Spieglein

D

Gelungen

E

Wissenschaft und Zärtlichkeit

F

Eingeschlossen

G

Die Verwandlung

H

Die Frau

I

Schweiß

J

Die Imaginationshaube

K

Weichspieler

L

Glückliche Entfernung

(ohne tragischen Ausgang)

M

Der Leuchtfisch

N

Die Rückverwandlung

O

Abenteuer eines Radfahrers

p

Verpuppung des Automaten

Q

Messerscharfe Lösung

R

Die Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft

S

Wahrer Fall einer alten Liebe

T

Pericolo vipere

U

Vereint schlagen

V

Kampf der Narzißten (Liebe 83)

W

Aliberts Geheimnis

X, Y

Löwe und Zauberer

Z UND Z

Der endlich gestillte Hunger nach Liebe

Umlaute undsoweiter – Versuch über das Positive

Der Hunger nach Liebe

Nach zähest errungenem Aufstieg besaß A neben dem Üblichen ein weitläufiges Eigenheim von acht Zimmern, gelegen oberhalb eines bekannten deutschen, früher schlängligen, jetzt rechtschlichtigen Flusses. Ihrer knappen Zeit wegen hatte sie den verwilderten zierparkartigen Umschwung einem Gartenbaubetrieb überantworten müssen, welcher das Gelände in einen vierzehntäglich abzumotorenden Rasen umwandelte. As heimisches Dasein verlief in gemacher Ordnung, da ihr eine Frau unter der Woche den Haushalt versorgte. Weil A, wollte sie ihre ungewöhnliche Position halten oder gar ausbauen, als Frau doppelt gefordert war, kehrte sie stets erst spät heim, so daß sie die Aufwartefrau oder auch die Aufwartefrauen, welche die Arbeitsvermittlungsfirma jeweils schickte, lediglich aus den hinterlassenen Checklisten mit angekreuztem Besorgten und angekreuztem morgen zu Besorgenden kannte, die jedoch regelmäßig mit einem freundlichen Gruß unterzeichnet waren. Suchte A abends nicht in Erschöpfung und noch in der nicht abgestreiften Leibwäsche unverzüglich das Bett auf, so saß sie, nachdem sie ihr elegantes Kostüm mit einem eleganten Hauskleid vertauscht hatte, in indischen Pantoffeln vor der Stereoanlage und lauschte, die Hände im Schoß, Wagners Tristan, den sie über alles liebte. Nach und nach beschlich sie hierbei aber ein Gefühl der inneren Leere, weshalb A, welche die Vierzig längst überschritten hatte, ernstlich erwog, ob sie sich nicht einem Manne nähern solle. Dies Gefühl verklumpte sich im Laufe der Zeit dermaßen, daß A, wiewohl sie doch hinreichend erfahren hatte, daß sich das Verhältnis von Stunden des gemeinsamen Frohseins zu den langen Tagen voller Gefühl des Bedrängtseins äußerst ungünstig gestalten konnte, dennoch gründliche Anstalten in sowohl kleidungsmäßiger wie auch seelischer Hinsicht traf, um bei geschäftlichen Privatanlässen wie Dienstjubiläumsumtrunken mit einem Kollegen in Kontakt zu geraten. Doch weideten die Kollegen des gleichen, aber auch des höheren wie unteren Dienstgrades solche offenherzig vorhergetragene Vertraulichkeit lediglich dazu aus, sich noch in der Tiefgarage des Amtes gewissermaßen ebermäßig entleeren zu wollen und darauf, weil A diesem Andrang einen Hodenkniff entgegensetzte, A schneidend fühlen zu lassen, wie gänzlich unverdient sie ihre Position innehabe, so daß schließlich A folgerichtig das Bedürfnis nach Geselligkeit vom Geschäft ab und einem stilvoll eingerichteten Café zuwendete, in welchem sich im Kopfumdrehen die Bekanntschaft zu einem vorgeblich aktenblätternden Manne ergab, der seinerseits ebenso von einem gewissen Gefühl der Leere bedrängt zu sein glaubhaft machen konnte. Ein Wochenende der erregendsten Zufriedenheit, ja: fast des Glücks stellte sich ein. Schon beim zweiten Wochenende jedoch – wiederum, da der Mann es tunlicher fand, wenn er A, A nicht ihn besuche, in As Haus – verlangte der Mann von A, daß sie ihm die Krawatte binde, schleuderte den Aschekegel seiner Zigarre auf den echten Teppich statt in den sichtlich zugeschobenen Kristallascher, gab sich, sobald sich seine geschlechtlichen Bemühungen ausgezahlt hatten, erschöpft, ließ sich hierauf bis in den hellen Morgen aufmunternd liebkosen, ohne selbst auch nur einen einzigen Finger zu regen, wobei er seine verheirateten Sorgen mitleiderzwingend auswalzte, aber nicht mit einem einzigen: Und du? sich nach As beruflichen, haushälterischen und zumal weiblichen Nöten erkundigte. Wie geschmacklos und unpraktisch sie eingerichtet sei, hatte sich A vorwerfen zu lassen, wie seine Frau es trefflich verstehe, das Ei exakt hartweich zu kochen, während das von A zubereitete Ei sich allenfalls noch zum Täuschen blindbrütender Stockenten verwenden lasse; Korkenzieher und Vaselinetopf fanden sich erst nach Tagen wieder am unrichtigen Ort, ein gewisses Videoband gar nicht mehr. Als sich A beim Waschen ihrer Haare über die Badewanne beugte, drang der Mann nicht nur ohne jegliche Ankündigung in sie ein, sondern stieß hierbei unter übelstem Mundgeruch schweinige Wörter aus, so daß A sich genötigt sah, ihn mittels einer durch einen simulierten Hustenanfall hervorgerufenen Kontraktion der Muskeln hinauszudrängen und fortan diese Liebe ohne Zögern zu beenden. Aber noch immer war A voller Sehnsucht. In den Mittagspausen suchte sie ein Kaufhaus auf, wo sie, nachdem sie dem heftigen Wunsch, im flüchtigen Vorübergehen eine Männerhand zu streifen, aus Furcht vor abfälligen Ekzemen nicht hatte nachgeben können, beim Durchgraben des Schlüpfer-Ständers Männern in die Augen blitzte. Sofort aber speichelten die Männer und leckten mit ihren tabakig belegten Zungen derart lüstern in den Mundwinkeln umher, daß A sich darauf beschränkte, abends zu Tristan und kaffeebepudertem Eierlikör ein Männermodenheft auf dem Schoß zu besehen. Hierbei stieß sie auf eine Anzeige, welche sich als wahrer Glücksfall ihres Lebens erwies. Dem Gefühl der Leere abzuhelfen, handelte A kurzentschlossen und bestellte. In das sowieso nur nutzlos leerstehende, früher einmal für ein möglicherweise zu adoptierendes Kind vorgesehene Zimmer wurde nun das amerikanische Home-Landescape-Studio eingebaut. A ergab sich völlig der Natur. Sonntags bestieg A in Schottenrock und Wildlederstiefeln das auf mittelschweren Gehwiderstand eingestellte Rollband und wanderte, umwolkt von Wagner und dem Duft der Latschenkiefern, hinan, während auf der Leinwand die Häuser im Tal niedlich sich verkleinerten, sie hüpfte von Steinplatte zu Steinplatte den plötzlich auf der Leinwand auftauchenden rotweißroten Wanderzeichen nach, wurde umstochen von gelbschnäbligen Bergdohlen und spürte den Felswind im schweißigen Nackenhaar, näherte sich dem Gipfel, erreichte den Gipfel, trat an den Rand der Felswand, um zu dem gut tausend Meter tiefer gelegenen See hinabzuschauen, sah auf dem wie glattgestrichenen See ein Boot, einen Mann, einen aufrecht nackt im Boot stehenden Mann, sah und verlor das Gleichgewicht und kippte und stürzte, auftupfend von Nadelnase zu Nadelnase, an der tausend Meter hohen Felswand entlang hinab.

Familienbande

Von früh auf gut erzogen, den Eltern in Liebe ergeben zu sein, verriet B niemals den Vater, wenn sie, vorzeitig von der Nadelarbeit heimgeschickt, ihn auf dem Kanapee überraschte mit einer der Lehrtöchter, deren Willigkeit er im Schuhgeschäft erprobte, indem er den linken Fuß mit der neuen Galosche vom Stiefelbock her langsam ein Stück weiter der knienden Verkäuferin zu, ja: fast in sie hinein schob. Verriet ebensowenig die Mutter, wenn die, den Rest der allerletzten Citronencremeschnitte noch unter dem Gaumen, knapp rechtzeitig vor Vaters Dienstschluß vom Café heimgerannt war, wo sie eilends Mop und Feudel auslegte, die Stühle umkehrte und den Teppich aufschlug, in einer eigens recht verschmutzten Schürze mit Töpfen und Kellen hantierte, um dem eintretenden Vater mit kunstvoll wasserverschwitzten Haaren entgegenstöhnen zu können über die vielzuviele, niederdrückende Hauslast, weshalb er noch auf das Essen ziemlich warten müsse, sofern er es nicht vorziehe, das gewohnte Gasthaus alleine aufzusuchen und saure Zipfel zu essen. Kam der Vater spät zurück, stank er nach Bier und Handelsgold, weshalb ihm die Mutter den erschöpften Leib verweigerte. Die ersten kleinen Liebelschaften Bs scheiterten am schlagkräftigen Einspruch der Eltern, denen das Geschwerrl von der Straße, dem Hinterhaus und dem Schwimmverein zu wenig präsentierte. Als sich B ernsthaft verliebt hatte in einen stillen Kommis, legte sie der Vater übers Knie, hob den Rock auf, zog die Hose hinunter und schlug sie so lange, bis die Mutter B dem Vater entriß und sie wochenlang einsperrte, damit sie in sich gehe. Von elterlicher Fürsorge gezwungen, das Gymnasium zu verlassen und nicht, was ihr Wunsch war, Dentistin zu werden, hatte B nach der Absolvierung einer Haushaltungs- und Kunstgewerbeschule die Mutter im Haushalt zu unterstützen. Dem zu entkommen, gab B im 27. Lebensjahr dem Liebesdrängen eines dem Vater genehmen Bankbuchhalters mit Aussicht auf baldige Beförderung nach. Der Bankbuchhalter wurde jedoch nicht befördert, da ein Krieg begonnen hatte. Eine gewisse Weile nach jedem Heimaturlaub, später: Lazarettaufenthalt, des Bankbuchhalters im Kriegsdienst gebar B fünf männliche Leibesfrüchte, welchen sie fortan mit ganzer Kraft, zumal da der auch posthum nicht ehrenhalber beförderte Bankbuchhalter an der Ostfront verschollen blieb, ihr ferneres Leben widmete. Mehr als zwanzig Jahre war B nun den fünf Knaben eine liebende und treusorgende Mutter, richtete ihnen morgens, bevor sie die zur Verbesserung ihrer Kriegerwitwenrente übernommene Stelle in einer Heißmangelei aufsuchte, das Frühstück und Schulbrot und nähte ihnen nach Nachtessen und Schlafgebet Hemden, Hosen, Jacken, strickte Pullover und Socken, ja: schusterte selbst Stiefel, welche jedoch von den Knaben wegen ihrer augenscheinlichen armseligen Selbstgemachtheit alsbald an der Spitze mittels Nagel und Schere durchlöchert wurden, um klagend die große Zeh hindurchstecken zu können, worauf B einzugestehen hatte, daß sie nur fähig war, zu kleines Schuhwerk herzustellen. Da die fünf erwachsenen Söhne möglichst rasch aus dem Liebeszwinger ihrer sie riesenschlangenhaft umhegenden Mutter entkommen wollten, entfernten sie sich zwecks weiterer Ausbildung möglichst bald, im Zuge derer sie sich schnell in andere Frauen, respektive Lebenskreise einnisteten, vor denen sie sich ihrer immer kleiner, älter und dümmer werdenden Mutter so schämten, daß sie B weder besuchten noch einluden. Jetzt vollzog sich mit B eine vollkommene Wandlung. Von heute auf morgen verließ sie den Ort, an dem sie ihr ganzes langes Dasein in Liebe zu Eltern, Bankbuchhalter und Söhnen verbracht hatte. In einer ihr gänzlich fremden Gegend des Landes mietete sie sich die erstbeste Wohnung, um ihr Leben von Grund an neu zu beginnen. Diese hastig bezogene Wohnung war jedoch zu eng, da sie die ihr in vielen Jahrzehnten zugekommenen, teils noch ererbten Möbel so sehr über- und ineinanderschachteln mußte, daß ihr derart wenig Platz zu bleiben schien, daß sie sich nicht traute, wie sie sich fest vorgenommen hatte, den Hinterbliebenenfrauenverein am neuen Ort zu sich einzuladen. Auf den Aufbau eines geselligen Lebens mithin verzichtend, begann B stattdessen im Alleingang die ihr entgangene Allgemeinbildung nachzuholen, indem sie die von ihren Söhnen zurückgelassenen und von ihr in liebendem Andenken mitgenommenen Schulbücher zu studieren begann. Dies jedoch mußte sie schon bald aufgeben, weil sie feststellen mußte, daß sie das Lesen verlernt hatte, aus welchem Grunde sie sich ganz auf den Fernsehapparat konzentrierte, der allerdings ein älteres Modell war und nach spätestens einer Viertelstunde aussetzte, so daß B vom Nachmittag bis Mitternacht vor dem grauen Schneegestöber des Bildschirmes saß, eine Beschäftigung, die sie nur dadurch überstehen konnte, daß sie zu rauchen und zu trinken sich angewöhnte, wobei sie sich der Marken bediente, die auch ihre Söhne bevorzugt hatten, da sie sich nicht dazu entschließen konnte, ihres Vaters Handelsgold zu rauchen. Einmal setzte der Fernseher gegen Abend plötzlich wieder ein. B sah vergnügte alte Leute einen warmen und hellen Strand entlangbummeln. B sprang auf, entschlossen, von nun an ihr Leben zu ändern und fortan zu eigenem Genuß hinzubringen. Betrunken jedoch, dazu wegen der Dunkelheit der Wohnung, in der alle Lampen defekt waren, welche vordem die elektrokundigen Söhne – oft als Geburtstagsgeschenk – repariert hatten, dazu schwach aus Unterernährung, weil sie die fremden Geschäfte am fremden Ort möglichst mied, stürzte B über den Stiefelknecht des Vaters, brach sich ein Bein, tastete sich mehrere Tage und Nächte lang kriechend durch das in unvertrauter Anordnung verschachtelte Möbellabyrinth, erreichte auch endlich die Wohnungstür, richtete unter heftigen Schmerzen den Oberleib auf, versuchte, die Klinke zu fassen, glitt aber ab, wurde schwächer und verhungerte wie verdurstete an der Innenseite der Wohnungstür. Ein Sohn, welcher es liebte, einmal in zwei Jahren sie aufzusuchen, unangemeldet, um die Mutter tränenreich in die freudigste Überraschung stürzen zu sehen, fand sie skelettiert und teilweise mumifiziert vor. Umgehend benachrichtigte er seine Brüder, damit diese den Hausrat beseitigen, eine der liebenden Zuneigung entsprechend erschütterte Traueranzeige aufgeben und ein Beerdigungsinstitut zwecks Abwicklung der restlichen Besorgungen beauftragen möchten, da er selbst betreffs Scheidung und neuer Liebesbeziehung leider unabkömmlich sei.

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