Liebeszauber über Kreta - Haidee Sirtakis - E-Book

Liebeszauber über Kreta E-Book

Haidee Sirtakis

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Beschreibung

Die lose miteinander verbundenen Romane »Vertrauen ist ein zerbrechliches Geschenk", »Unter Kretas Sternen" und »Zeit zu lieben" finden unter der Sonne Kretas ihren Abschluss. Naomi kann ihre unglückliche Beziehung zu Andrea nicht retten, lernt jedoch schon bald Isabelle kennen – strikt hetero. Aber sie verbringen immer mehr Zeit miteinander, Zeit, in der Naomis Gefühle für Isabelle immer intensiver werden. Die Angst, dass ihre Gefühle nie erwidert werden, gräbt sich tiefer, und Naomi glaubt, sehenden Auges ins nächste Unglück zu stürzen ... Währenddessen wollen sich Regina und Chiara auf Kreta nochmals (symbolisch) das Ja-Wort schenken, was plötzlich an unvorhersehbaren Ereignissen zu scheitern droht ...

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Haidee Sirtakis

LIEBESZAUBER ÜBER KRETA

Roman

© 2017édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-230-5

Coverfoto: © Ivanov Alexandr – Fotolia.com

1

Verträumt schaute Naomi auf das glitzernde Meer hinunter, das sanfte Wellen schlug und unendlich schien. Sie lächelte glücklich dem wundervollen Sonnenuntergang entgegen. Traumhaft. Was für ein atemberaubender Anblick. Ach . . . ich freue mich so sehr auf unseren gemeinsamen Urlaub, begann sie innerlich zu schwärmen. Verliebt schielte sie zu Andrea hinüber, die mit gerunzelter Stirn auf die Uhr blickte und ungeduldig an ihrer Unterlippe herumknabberte.

Naomi stieß einen Seufzer aus. »Schatz . . . wir landen gleich. Wir haben Urlaub. Auf Kreta kann für uns doch mal für ein paar Wochen die Zeit stehenbleiben«, flüsterte sie mit zärtlicher Stimme und hauchte ihrer Liebsten einen Kuss auf die Wange. »Ich liebe dich«, sagte sie mit weicher Stimme.

Mit einem genervten Augenrollen warf Andrea Naomi einen düsteren Blick zu. »Ach, du schon wieder . . . immer die hoffnungslose Romantikerin und Träumerin«, entgegnete sie und schüttelte missmutig den Kopf. »Falls es dir noch nicht aufgefallen ist . . . wir haben eine halbe Stunde Verspätung«, seufzte sie schlecht gelaunt und verzog das Gesicht. »Das fängt ja gut an«, knurrte sie und knetete ihre Hände, fast so, als müsste sie sich Mühe geben, sich zu beherrschen.

Eng an Andrea geschmiegt streichelte Naomi ihr zärtlich über den Rücken. »Warum denn so ungeduldig?«, fragte sie leise und schaute ihre Freundin verunsichert an. Sie räusperte sich. »Und wa. . . warum so ruppig?«

Andrea schloss die Augen und legte seufzend den Kopf in den Nacken. Dann atmete sie tief durch. »Mensch, Naomi . . . bis wir im Hotel ankommen, ist es schon spät . . . sehr spät«, antwortete sie in aggressivem Ton und strich sich durch ihr kurzes schwarzes Haar. »Ich will heute unbedingt noch in diesen Club, von dem ich dir erzählt habe. Dort soll voll die Post abgehen. Das will ich mir unter gar keinen Umständen entgehen lassen«, sagte sie fest entschlossen.

Ungewollt stiegen Naomi Tränen in die Augen. Das ist doch nicht zu fassen! Andrea ist dieser Club tatsächlich wichtiger, als mit mir gemütlich in den ersten gemeinsamen Urlaub zu starten. Wie gern würde ich einfach nur ein wenig mit meinem Schatz draußen sitzen und in den Sternenhimmel schauen. Innerlich schüttelte sie den Kopf über das soeben Erlebte, drehte sich von Andrea weg und starrte traurig aus dem Fenster hinaus, wo der Himmel in den verschiedensten Rottönen leuchtete.

Schnell wischte sie sich über die Augen. Aber Andrea scheint das Nachtleben am allerwichtigsten zu sein. Warum eigentlich? Party kann man doch auch zu Hause haben, gehört bei uns ja eh zum Alltag. Aber hier . . . das Meer, die Sterne, die Sonne, der Sand . . .. Niedergeschlagen zuckte sie die Schultern. Soweit ich mich erinnern kann, waren Andrea Partys schon immer unglaublich wichtig . . . wichtiger als ich und meine Bedürfnisse. Dabei sehne ich mich doch so sehr nach Zärtlichkeit, Harmonie und Zweisamkeit, seufzte sie innerlich.

Auf Kreta gelandet standen Naomi und Andrea kurze Zeit später am Gepäckband und wollten ihre Koffer abholen. Naomi wartete geduldig. Andrea äußerst angespannt und auf den Zehenspitzen wippend. Naomi fühlte Andreas innere Nervosität. Dafür hatte sie im Verlauf des letzten Jahres ein gutes Gespür entwickelt. In so einem Moment knisterte stets die Luft um sie herum. Doch war es kein schönes Knistern, sondern eher so eins, als würde im nächsten Moment eine Explosion stattfinden.

Deshalb beschloss Naomi, sich jetzt ganz ruhig zu verhalten, Andrea nicht unnötig aufzuregen und am besten erst einmal gar nichts mehr zu sagen.

Während sie so wartete, schweifte Naomis Blick auf die gegenüberliegende Seite des Gepäckbands.

In Gedanken versunken beobachtete sie, wie eine junge Frau mit einem jungen Mann offensichtlich eine hitzige Diskussion führte. Sie sah, wie der Kerl wütend eine Tasche auf den Boden warf, jähzornig aufstampfte und der Frau einen bösen Blick zuwarf.

Hm . . . also glücklich sieht anders aus, schoss es Naomi durch den Kopf, als sie die Frau voller Mitgefühl betrachtete. Immer noch abwesend ließ sie nun ihren Blick an der Schönheit hochwandern und sah schließlich direkt in ihre braunen Augen. Naomi erschrak und fühlte sich bei etwas Unerlaubtem ertappt.

Und dennoch gelang es weder Naomi noch dem anderen Mädel, zuerst wegzusehen. Es schien, als sei die Zeit stehengeblieben. Sie ist bestimmt nicht viel älter als ich. Oder etwa doch? Ist ja immer so eine Sache mit dem Alter. Naomi hielt inne. Ich schätze sie so auf achtzehn Jahre. Jetzt war sie über sich selbst verärgert. Was mache ich mir eigentlich für unnötige Gedanken? Was soll das denn? Die junge Frau interessiert mich doch gar nicht. Also kann es mir auch egal sein, wie alt sie ist.

Doch Naomi fühlte sich außerstande, sich von den wunderschönen Augen ihres Gegenübers zu lösen. Die Gesichtszüge der jungen Frau wurden weicher, und sie lächelte Naomi zurückhaltend an.

Naomi errötete bis unter die Haarwurzeln, lächelte aber verlegen zurück. Dann drehte sie sich abrupt zur Seite. Was . . . was war das denn eben? Sie räusperte sich und schaute beschämt zu Boden.

»Das wurde auch Zeit!«, knurrte Andrea und katapultierte Naomi somit ziemlich unsanft in die Realität zurück. Sie beugte sich vor und hob einen Koffer vom Band. »Das ist meiner. Hoffentlich kommt deiner auch bald«, murmelte sie angespannt und schaute ungeduldig um sich.

Naomi zuckte gelassen die Schultern. »Bestimmt dauert es nicht mehr lange«, sagte sie leise, während ihr Blick noch einmal zu der jungen Frau und dem Mann neben ihr schweifte. Offenbar hatten die beiden all ihre Gepäckstücke, denn nun marschierte der junge Kerl ziemlich schnell davon, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob seine Begleitung auch mithalten konnte und nicht plötzlich in der Menschenmenge verloren ging.

Irgendwie kommt mir das bekannt vor, dachte Naomi und musste ob dieser Erkenntnis schwer schlucken.

Unvermittelt knallte neben Naomi ein Koffer auf den Boden. »Hier, das ist deiner. Endlich können wir weiter. Typisch Süden . . . da dauert alles immer eine Ewigkeit«, brummte Andrea und marschierte zielstrebig – genauso wie der Typ von vorhin – durch die Halle.

Naomi blieb wie vom Donner gerührt stehen und wurde sich darüber klar, was sich da gerade abspielte.

»Schatz . . . was soll das denn? Jetzt stress doch bitte nicht dermaßen«, beschwerte sie sich lautstark.

Wie erstarrt blieb Andrea stehen, drehte sich mit funkelnden Augen um und fixierte wütend Naomis Blick. »Mein Gott . . . Du Sensibelchen. Jetzt komm endlich. Ich habe Urlaub und will heute noch etwas erleben«, gab sie gehässig zurück und zog dann völlig unbeeindruckt weiter.

Naomi schloss kurz die Augen und schluckte schon wieder schwer. Dann riss sie sich zusammen. Traurig griff sie nach ihrem Rollkoffer, rannte im Laufschritt hinter Andrea her und hatte alle Mühe, sie in dem Chaos nicht aus den Augen zu verlieren. Du bist heute ja wieder einmal besonders mies gelaunt. Hoffentlich wird das trotzdem ein schöner Urlaub . . . und kein Alptraum!

Andrea saß als Erste im Shuttle, der die Gäste bei den verschiedenen Hotels abladen würde. Naomi setzte sich neben Andrea und beobachtete interessiert all die Menschen, die langsam aber sicher den Bus bestiegen. Alle schienen gute Laune zu haben und waren ganz offensichtlich in Urlaubsstimmung. Nur Andrea saß mit versteinerter Miene da und wirkte unendlich genervt.

Ach . . . mein Schatz. Entspann dich doch endlich, dachte Naomi traurig, wagte aber immer noch nicht, groß etwas zu ihrer Freundin zu sagen. Lächle doch mal wieder. Es ist doch jetzt alles gut.

Andrea stieß einen schweren Seufzer aus. »Wie ätzend ist das denn?«, knurrte sie und schaute einem älteren Ehepaar zu, das sich gemächlich dem Bus näherte. »Die lassen sich ja ewig Zeit. Typisch Rentner. Mist! Nun wird es noch später, bis wir endlich in diesen Club können«, wetterte sie und blitzte die älteren Herrschaften böse an.

Unmöglich, wie du dich benimmst . . . Andrea. In Naomi begann es zu brodeln, doch sie schwieg weiter. Aus Erfahrung wusste sie, dass das in so einer Situation für alle das Beste war. Andrea musste sich erst ein wenig beruhigen und runterfahren. Erst dann würde man wieder halbwegs normal mit ihr reden können.

Zischend schlossen sich die Bustüren. Andrea atmete erleichtert auf. »Endlich. Wurde auch langsam Zeit«, brummte sie. Dann folgte ein schneller Blick auf die Uhr. »Wenn wir im Hotel angekommen sind, müssen wir uns echt beeilen.« Sie warf Naomi einen entschlossenen Blick zu. »Uns in Schale werfen, damit wir sofort durchstarten und uns so richtig ins Insel-Nachtleben stürzen können«, meinte sie jetzt etwas besser gelaunt.

Naomi zuckte gleichmütig die Schultern. Ja doch. Alles klar. Hauptsache für dich stimmt’s, dachte sie und wandte sich Andrea zu. »Wenn du das möchtest«, murmelte sie, »dann machen wir das eben so.« Sie schloss die Augen und versuchte, positiv in den bevorstehenden Abend beziehungsweise die Nacht zu blicken. Vielleicht ist Andrea ja bald wieder richtig gut drauf. Also machen wir das eben mit dem Clubbesuch. Ist schon okay. Schließlich will ich meine Freundin glücklich sehen. Und vor allem möchte ich, dass sie wieder bessere Laune kriegt. Innerlich seufzte sie. Und da ist es völlig egal, ob ich lieber mit dir . . . Andrea . . . nah am Wasser sitzen und in die Sterne schauen möchte oder nicht. Hauptsache, du bekommst deinen Willen, und es geht dir gut. Bist du gut drauf, dann bist du nämlich auch zu mir nett, und wir sind beide zufrieden. Die Welt ist dann in Ordnung.

Eine Stunde später kamen Naomi und Andrea endlich in ihrer Unterkunft an. Beide schnappten sich ihre Koffer, die der Busfahrer bereits auf den Gehsteig gestellt hatte, und checkten im Expressverfahren an der Rezeption ein. Ohne sich groß in der Hotelhalle umzusehen, stiegen sie in den Fahrstuhl, fuhren in die vierte Etage, um kurz darauf die Tür zu ihrem Hotelzimmer aufzuschließen.

Andrea hievte ihren Koffer aufs Bett und öffnete ihn schwungvoll. »Hm . . .« Mit dem Zeigefinger tippte sie sich an die Lippen. »Was ziehe ich denn bloß an? Was passt denn am besten für diesen Club?« Mit sich selbst beschäftigt, schien sie gar nicht zu merken, dass Naomi verdutzt aus der Wäsche guckte, um gleich darauf genervt Richtung Decke zu starren.

Naomi raufte sich die Haare und stieß einen solch lauten Seufzer aus, dass Andrea nun endlich doch mal zu ihr hinüberschaute.

»Was ist denn?«, fragte Andrea barsch. Ihre Augen funkelten Naomi an. »Mensch, Naomi . . . was ist denn los mit dir? Träumst Du mal wieder? Warum ist dein Koffer noch nicht geöffnet?« Entschlossen kam sie auf Naomi zumarschiert und wollte schon nach dem Koffer greifen, wohl in der Absicht, den Prozess ein wenig zu beschleunigen. Schlussendlich hatte der Club nicht ewig offen, und es war schon reichlich spät.

»Lass das! Das bringt auch nichts«, rief Naomi und hielt den Koffer mit beiden Händen fest. »Das hier . . . ist . . . ist gar nicht mein Koffer«, stotterte sie kaum hörbar und raufte sich ein zweites Mal die Haare. Sie schluckte schwer. Das darf doch nicht wahr sein! Wo . . . wo, um Himmels willen, ist bloß mein Koffer geblieben? Was mache ich denn jetzt?

Andrea ließ sich wie ein Kartoffelsack aufs Bett plumpsen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Naomi entsetzt an. »Wie? Das ist nicht dein Koffer?«, fragte sie ganz verdattert. »Mach doch jetzt bitte keine Witze. Natürlich ist das dein Koffer!«, meinte sie ziemlich überzeugt.

Energisch schüttelte Naomi den Kopf. »Nein, ist er nicht«, sagte sie entschieden. »Mein Koffer sieht zwar genau gleich aus . . . wie dieser hier, aber er hat in der Mitte ein sechsfarbiges Regenbogenband.« Sie atmete einmal tief durch. »Dieses Band hier ist aber siebenfarbig.« Mit hängenden Schultern setzte sie sich neben Andrea aufs Bett. Gemeinsam starrten sie eine gefühlte Ewigkeit an die gegenüberliegende Wand.

In der nächsten Sekunde sprang Andrea wie von der Tarantel gestochen vom Bett. »So ein Mist aber auch, heute geht echt alles schief!«, schrie sie und schlug mit der flachen Hand gegen die Wand. »Ich will endlich in diesen Club . . . verdammt . . . und jetzt . . . jetzt hast Du nicht einmal anständige Klamotten, um dich dort mit mir blicken zu lassen«, fauchte sie Naomi an. »Das hat mir jetzt echt noch gefehlt!«

In Naomis Kopf begann ein Wasserfall zu rauschen. »Super . . . ganz toll. Dich scheint echt nur dieser Club zu interessieren. Ich . . . ich bin dir doch völlig egal«, zischte sie aufgebracht. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie sehr mich dein Wutausbruch verletzt?

Andrea verdrehte die Augen und winkte energisch ab. »Das stimmt doch gar nicht«, protestierte sie. Desinteressiert ließ sie Naomi stehen, ging zurück zu ihrer Bettseite und durchforstete ihren Koffer nach passenden Kleidungsstücken.

Tssss . . . Andrea . . . du bist so etwas von egoistisch, ging es Naomi durch den Kopf. Du Ich-Mensch. Manchmal denke ich wirklich, dass wir gar nicht zusammenpassen. Immer nur du, du und nochmals du. Dann kommt lange nichts . . . und schließlich wieder du. Du bist dermaßen selbstverliebt, dass mir fast übel wird, schimpfte Naomi lautlos. Ich ertrage das einfach kaum noch. Ich kann bald nicht mehr. Lange lasse ich mir das von dir jedenfalls nicht mehr bieten, tobte es in ihr weiter.

Doch dieses lautlose Schimpfen nahm ein abruptes Ende, als Naomis Mobiltelefon plötzlich klingelte. Naomi fuhr dermaßen zusammen, dass sie sich reflexartig eine Hand an die Brust hielt. Dann schielte sie aufs Display. Eine unbekannte Nummer. Wer kann das sein?, fragte sie sich innerlich. Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm sie den Anruf entgegen.

»Ja . . . Hallo«, sagte Naomi und räusperte sich.

Die Verbindung war schlecht . . . von einem Rauschen begleitet. »Hallo . . .«, sagte sie deshalb noch einmal.

Am anderen Ende holte jemand tief Luft. »Hallo . . . Spreche ich mit Naomi?«, fragte eine verunsicherte Frauenstimme.

Naomi schluckte und hielt einen Moment inne. Was für eine weiche, ja fast schon zärtliche Stimme, dachte sie und fühlte ein angenehmes Kribbeln auf der Haut. »Ja . . . Naomi . . . das . . . das bin ich«, stotterte sie wirr und erntete dafür auch gleich einen bösen Blick von Andrea. »Ja, hier ist Naomi«, sagte sie nun schon etwas gefasster und straffte die Schultern.

»Schön«, meinte die andere Frau. »Das freut mich. Ich bin Isabelle.« Einen langen Moment war es ganz still. »Es sieht ganz danach aus, als wäre Ihr Koffer aus Versehen bei mir gelandet«, meinte sie freundlich.

In Naomis Gesicht zeichnete sich ein Lächeln. »Bei Ihnen?« Mit der Hand strich sie sich übers Gesicht. »Sie haben meinen Koffer?«, fragte sie und eilte zu dem fremden Gepäckstück hinüber, das immer noch mitten im Zimmer stand. »Und Sie sind also Isabelle?«, fragte sie ganz aufgeregt und starrte angestrengt auf den Kofferanhänger, auf welchem der Name ›Isabelle‹ stand.

Am anderen Ende atmete es hörbar erleichtert aus. »Ja, genau. Dann haben Sie also meinen Koffer. Das ist ja wunderbar. Ich habe Ihr Gepäck und Sie ganz offensichtlich meins«, stellte Isabelle erfreut fest. »Was für ein Zufall, und was für ein Glücksfall.«

Naomi spürte schon wieder so ein eigenartiges Kribbeln auf der Haut. Was für eine zarte Stimme sie doch hat . . . und sie ist so nett.

Andrea hatte das Telefonat genauestens mitverfolgt und kam nun zielstrebig auf Naomi zumarschiert. »Und? Wann bekommst du nun endlich deinen Koffer?«, fragte sie mürrisch und zeigte demonstrativ auf ihre Uhr. »Je eher wir starten können, desto besser.«

»Jetzt warte doch mal einen Moment, Andrea«, gab Naomi genervt zur Antwort und hielt das Handy etwas zur Seite. »Ich bin am Telefon«, erklärte sie, drückte das Mobiltelefon wieder an ihr Ohr und wandte sich von Andrea ab.

Andrea starrte Naomi hinterher und schüttelte missmutig den Kopf. »Ich will endlich in diesen Club«, knurrte sie. »Mach also gefälligst vorwärts und trödle nicht unnötig in der Gegend herum!«

Naomi entfernte sich ein paar Schritte und blieb beim Fenster stehen. Sie hörte, wie Isabelle mit jemandem im Hintergrund sprach. Ein Wort gab das andere, aber worum es genau ging, konnte Naomi nicht wirklich verstehen. Anhand des Tonfalls bekam sie jedenfalls mit, dass es keine schöne Unterhaltung war.

Auf einmal hörte sie einen lauten Seufzer in der Leitung. »Naomi . . . sind Sie noch da?«, ertönte es jetzt wieder deutlich aus dem Handy.

»Ja, natürlich.«

»Schön.« Isabelle räusperte sich. »Ich kann Ihnen den Koffer in zwei Stunden ins Hotel bringen. Ich habe zwar ein Auto, aber leider schaffe ich es nicht früher.« Sie seufzte erneut. »Ich habe jetzt einen wichtigen Termin . . . und den kann ich unmöglich verschieben«, meinte Isabelle in entschuldigendem Ton. »Tut mir wirklich leid.«

Diese Stimme.Einfach umwerfend. Naomi wurde von einer sanften Hitzewelle durchflutet. »Das . . . das ist schon in Ordnung. Ich warte einfach hier im Hotel auf Sie«, sagte sie und schluckte. Was für eine nette Frau. Sie bringt mir einfach so meinen Koffer, dachte sie. »Sie . . . Sie müssen sich nicht extra beeilen«, flüsterte sie.

Im selben Augenblick durchbohrten Andreas Augen sie mit einem glühenden Blick. WennBlicke töten könnten, fuhr es Naomi ungewollt durch den Kopf.

Naomi riss sich zusammen. »Und Isabelle, es . . . es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie mir meinen Koffer bringen«, stammelte sie verlegen und konnte sich ihr komisches Verhalten irgendwie nicht so recht erklären.

»Das mache ich doch gern.« Einen Moment war es ganz still. Isabelle hüstelte. »Dann bis in zwei Stunden. Ihre Hoteladresse habe ich ja . . . steht auf dem Kofferschild«, sagte sie leise und mit einem vergnügten Lachen in der Stimme.

Naomi musste sich erneut zusammenreißen. Sie hätte dieser wundervollen Stimme einfach ewig lauschen können. »Ähm . . . ja . . . bis in zwei Stunden . . . und vielen, vielen Dank«, flüsterte sie und beendete den Anruf.

Als sie das Mobiltelefon zur Seite legen wollte, fühlte sie, wie feucht ihre Hände während dieses Telefonats geworden waren. Hm . . . eigenartig. Wahrscheinlich ist das alles gerade ein bisschen viel für mich. Andrea, die sich ins Nachtleben stürzen will. Ein falscher Koffer . . . und ich bin hundemüde.

Andrea baute sich breitbeinig vor Naomi auf. »Was schäkerst du denn hier in der Gegend herum? Und dazu noch mit einer Fremden?« Deutlich verstimmt schaute sie Naomi an. »Und warum erst in zwei Stunden? Es kann doch nicht sein, dass wir jetzt so lange hier herumsitzen müssen«, fauchte sie aufgebracht und blitzte Naomi böse an.

»So ist es aber. In zwei Stunden bekomme ich meinen Koffer.« Naomi straffte die Schultern und blitzte Andrea aus zusammengekniffenen Augen an. »Wenn es dir nicht passt, so musst du halt ohne mich losziehen«, sagte sie etwas schroff. Ich könnte gut auf diesen Club verzichten. »Schließlich ist es nicht selbstverständlich, dass die Frau mir meinen Koffer bringt«, sagte sie bestimmt und schaute Andrea dabei fest in die Augen.

Andrea starrte Naomi verblüfft an. »Sag mal . . . wie redest du denn auf einmal mit mir?« Von oben bis unten musterte sie Naomi eindringlich. »Kann es sein, dass dir die Inselluft nicht gut bekommt?«, murmelte sie und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Ach . . . lass mich doch in Ruhe. Es geht einfach nicht . . . nicht mehr, dass du mich immer wie ein kleines Kind behandelst«, versuchte Naomi ihr Verhalten von eben, das selbst für sie neu und gewöhnungsbedürftig war, zu rechtfertigen.

Völlig verblüfft starrte Andrea Naomi aus großen Augen an. »Sag mal . . . tickst du noch richtig?« Sie baute sich direkt vor Naomi auf und drückte den Rücken durch. Zwischen ihre Nasenspitzen hätte jetzt nicht einmal mehr ein Blatt Papier gepasst. Andrea drohte mit erhobenem Zeigefinger. »Sprich nie wieder in diesem Ton mit mir«, herrschte sie Naomi an. »Nie wieder! Mit mir spricht man nicht so, werte Dame. Niemand spricht mit mir so, und erst recht nicht du!«, fauchte sie und zerriss Naomi mit ihrem Blick geradewegs in der Luft. »Merk dir das!«

Ängstlich wich Naomi ein paar Schritte zurück. Augenblicklich wurde ihr heiß und kalt gleichzeitig. Oh nein! Jetzt ist sie schon wieder sauer und mies drauf. Dann spürte sie, wie ihr ein eisiger Schauer den Rücken hinunterlief. »Ist ja schon gut. Entschuldige bitte . . . mein Schatz«, gab sie nun kleinlaut nach und hob beschwichtigend die Hände. Warum bist du nur immer so grob zu mir, Andrea?, fragte sie sich innerlich und wischte sich unauffällig mit der Hand über die Augen. Ich sehne mich so sehr nach Zärtlichkeit . . . nach deiner Liebe. Was muss ich denn noch alles tun, damit ich das von dir bekomme?

Inzwischen hatte Naomi so ihre Zweifel, ob ihre Sehnsucht, ihre Bedürfnisse nicht nur reines Wunschdenken ihrerseits waren. Schließlich war sie jetzt schon bald zwei Jahre mit Andrea zusammen, und Andrea war zu Naomi in letzter Zeit oft alles andere als liebevoll gewesen. Immer öfters wurde sie von Andrea angeschnauzt und links liegengelassen. Dass ihre Freundin auch einmal auf sie Rücksicht nahm, war zur Seltenheit geworden.

Allmählich beruhigte sich Andrea wieder. Zum Glück. Naomi waren Andreas Gefühlsausbrüche nämlich immer ein Graus. Von einer auf die nächste Sekunde konnte Andrea, in Naomis Augen manchmal wegen einer Kleinigkeit, völlig ausflippen. Dann vergriff sich Andrea leider oft – aus Naomis Sicht viel zu oft – im Ton und konnte auch sonst ziemlich aggressiv werden.

Das Einzige, was Naomi dann tun konnte, war Ruhe zu bewahren und zu kuschen, damit Andrea nicht noch mehr explodierte.

Wenn Naomi ehrlich zu sich selbst war, so konnte sie mit Andreas extremen Gefühlsschwankungen nur schlecht umgehen, ja eigentlich waren sie kaum noch zu ertragen.

Nun mussten Naomi und Andrea also irgendwie diese zwei Stunden Wartezeit überbrücken. Beide stießen einen lauten Seufzer aus und legten sich nebeneinander aufs Bett. Eine gefühlte Ewigkeit starrten beide die Decke an.

Dann drehte sich Andrea zu Naomi um. »Ich ruhe mich ein bisschen aus. Damit ich dann später fit bin«, meinte sie nun schon viel versöhnlicher. Sie schaffte es sogar, Naomi ein Lächeln zu schenken.

Naomi fiel ein Stein vom Herzen. Sie war froh, dass ihr Schatz sich so schnell wieder beruhigt hatte. »Ja, mach das«, entgegnete sie leise. Zum Glück hat sich Andrea wieder eingekriegt. Mir geht’s dann immer gleich viel besser. Hoffentlich bleibt das auch so.

Andrea schloss die Augen und wandte sich von Naomi ab. Naomi ließ ihren Blick sanft über ihre geliebte Andrea streifen. Dabei ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Ich liebe dich so sehr, mein Schatz. Ich wünsche mir von ganzem Herzen einen schönen Urlaub mit dir. Verträumt presste sie die Lippen zusammen und schaute wehmütig zum Fenster hinüber. Und ich wünsche mir so sehr, dass wir uns lieben und Zeit für Zärtlichkeiten haben und uns dafür auch die nötige Zeit nehmen. Im Alltag kommt viel zu oft etwas dazwischen. Innerlich begann sie zu schwärmen, wie schön der Urlaub – zusammen mit ihrer Andrea – werden könnte. Zunehmend entspannte sie sich und schlief nach einer Weile zufrieden neben Andrea ein.

Plötzlich klingelte das Zimmertelefon und riss die beiden aus einem tiefen Schlaf. Erschrocken sahen sie sich in der ungewohnten Umgebung um, bis sie schließlich das Telefon auf der Kommode neben dem Schrank entdeckten.

Andrea hechtete zum Apparat hinüber. Mit einem ruppigen »Ja«, meldete sie sich. Es schien, als müsste sie erst richtig wach werden. Gähnend strich sie sich durch ihr kurzes Haar und hörte aufmerksam auf das, was am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde.

»Das ist ja wunderbar«, meinte sie sichtlich erfreut. »Sie sollen hochkommen. Wir erwarten die beiden«, sagte sie und beendete den Anruf.

Naomi schaute Andrea schlaftrunken, aber mit hoffnungsvollem Blick an. Etwa mein Koffer?

Andrea lächelte kurz. Dann hatte sie bereits die Zimmertür weit aufgerissen und wartete im Türrahmen. Sie blickte zu Naomi hinüber, die immer noch auf dem Bett lag. »Dein Koffer trudelt gleich ein«, meinte sie gutgelaunt und rieb sich die Hände. »Endlich!«

Mit großen Augen starrte Naomi ihren Schatz an. Jetzt erst realisierte sie, dass das hier kein Traum war. Eilig sprang sie vom Bett, rannte ins Bad und versuchte hektisch, irgendwie ihre Haare zu bändigen. Wie peinlich ist das denn, so völlig verschlafen fremden Leuten zu begegnen. Normalerweise machte sie sich vor einem Treffen immer zurecht, plante genug Zeit fürs Stylen und alles ein. Aber von der ganzen Reise fühlte sie sich dermaßen kaputt und müde, dass sie am liebsten weitergeschlafen hätte. Aber das ging nun einmal nicht. Schließlich erwartete sie sehnsüchtig ihren Koffer.

Durch die Badezimmertür hörte sie Andreas Stimme und auch die Stimme der Frau, mit der sie, Naomi, am Handy gesprochen hatte. Augenblicklich wurde ihr ganz warm, und ein wohliger Schauer durchströmte sie. Diese Frau hat wirklich eine unglaublich sanfte Stimme. Ich mag diese Stimme. Ohne sich weiter Gedanken zu machen, verließ Naomi das Bad und marschierte in Richtung Zimmertür.

Auf halbem Weg traf sie fast der Schlag. Das gibt’s doch nicht. Das kann nicht sein. Sie rieb sich die Augen. Das . . . das ist doch das Mädel vom Flughafen, das sich mit seinem Begleiter gestritten hat . . . und das mich so umwerfend angelächelt hat. Sie hat wirklich ein wundervolles Lächeln.

Ehe Naomi noch einen klaren Gedanken fassen konnte, winkte Andrea ihr auch schon energisch zu. »Los, komm jetzt endlich. Die beiden bringen dir deinen Koffer«, brummte sie unfreundlich.

Augenblicklich bekam Naomi feuchte Hände und errötete bis unter die Haarspitzen. Nichtsdestotrotz musste sie jetzt zu den beiden hin. Und da war es wieder. Dieses charmante, unwiderstehliche Lächeln der anderen Frau.

Komischerweise gaben sich die beiden nicht die Hand, sondern nickten sich nur zu. Stattdessen rieben sie sich zeitgleich die Handflächen an ihren Jeans ab. Naomi fühlte sich augenblicklich von diesen wunderschönen braunen Augen in ihren Bann gezogen und gleichzeitig von dieser zarten Stimme sanft umhüllt.

Die andere Frau strahlte Naomi immer noch an. »Ich bin übrigens Isabelle. Darf ich gleich Du sagen?«, fragte sie schließlich. Leicht verunsichert blickte sie zu Boden.

Naomi strich sich eine braune Haarsträhne hinters Ohr. Langsam, aber sicher fand sie ihre Sprache wieder. Sie räusperte sich. »Klar doch. Ich bin Naomi«, meinte sie nun gespielt lässig und streckte Isabelle freundlich die Hand entgegen.

Isabelle lächelte und schüttelte Naomis Hand. »Freut mich«, entgegnete sie. Einen langen Moment wollten sich ihre Fingerspitzen gar nicht mehr voneinander lösen. Die beiden schauten sich tief in die Augen.

Was ist das denn? Diese Augen ziehen mich geradezu magisch an, dachte Naomi und strich sich erneut durchs Haar. Reiß dich zusammen. Die Frau hat dir nur deinen Koffer gebracht und verschwindet gleich wieder aus deinem Leben, versuchte sie sich zu beruhigen. Außerdem ist sie mit ihrem Freund da. Und doch, da ist irgendwas, oder bilde ich mir das gerade nur ein?

Andrea klatschte ungeduldig in die Hände und holte die beiden recht unsanft aus ihrem Schwebezustand und somit auf den Boden der Tatsachen zurück. »Können wir jetzt bitte endlich die Koffer tauschen? Ich will heute noch weg«, sagte sie unfreundlich und gab Naomi einen groben Stoß in den Oberarm. »Hol doch bitte Isabelles Koffer«, sagte sie in befehlendem Ton.

Fast zeitgleich bekam Isabelle einen ziemlich heftigen Schubser von dem Mann, der neben ihr stand und dem Naomi bis jetzt noch keine Beachtung geschenkt hatte. »Ich will heute auch noch weg. Mach endlich vorwärts«, giftete er Isabelle an.

Isabelle warf dem jungen Kerl einen bösen Blick zu. »Mensch, Lars . . . stress doch nicht so rum!«, fauchte sie ihn an. Dann lächelte sie gleich wieder und strahlte Naomi regelrecht an. »Das ist übrigens Lars, mein Freund«, sagte sie und ließ ihren Blick zwischen Naomi, Andrea und Lars hin und her wandern.

Obwohl Naomi schon wieder so eigenartig warm wurde, erwiderte sie gleich Isabelles umwerfendes Lächeln. »Wenn wir schon dabei sind . . .«, sie warf einen Blick zu Andrea hinüber, »das ist Andrea, meine Freundin«, erklärte sie.

Alle nickten, und ein peinliches Schweigen breitete sich aus. Jeder schaute irgendwie verlegen in eine andere Richtung.

Lars schien Langeweile zu haben. Er nahm eine Bierdose aus der Jackentasche und öffnete sie geräuschvoll. Dann wippte er ungeduldig auf den Zehenspitzen hin und her. »Bitte, Isabelle . . . ich möchte jetzt wirklich um die Häuser ziehen«, knurrte er und trank einen großen Schluck Bier. »Beeil dich doch endlich.«

»Ja doch.« Isabelle verdrehte genervt die Augen und lächelte gekünstelt. Das Ganze schien ihr irgendwie peinlich zu sein. Sie zuckte die Schultern. »Männer . . . typisch Mann eben«, stöhnte sie und machte eine entschuldigende Geste.

Ziemlich aufgebracht musterte Andrea Isabelle von oben herab. Ihre Augen verengten sich. »Warum denn typisch Mann?«, fragte sie aggressiv. »Ich möchte doch auch schon längst das Nachtleben genießen«, sagte sie und stemmte die Hände in die Hüften. »Und ich bin kein Mann, sondern eine Frau.«

Isabelle starrte Andrea mit offenem Mund an. »Ist ja schon gut. Okay?«, meinte sie beschwichtigend und raufte sich verlegen die Haare. »Ist wohl wirklich völlig geschlechtsunabhängig«, murmelte sie leise. Man sah ihr an, dass sie sich in ihrer Haut nicht recht wohl fühlte. »Dann . . . dann sollten wir uns jetzt wohl wirklich besser beeilen«, meinte sie und strich sich übers Gesicht.

Naomi lächelte zuckersüß, um diese peinliche Situation irgendwie zu überspielen. Andrea . . . manchmal bist du einfach unmöglich. Sie kratzte sich an der Schläfe. »Ganz offensichtlich haben wir es hier mit zwei von der ungeduldigen Sorte zu tun«, stellte sie amüsiert fest. »Dann tauschen wir jetzt mal besser ganz schnell die Koffer«, meinte sie übertrieben fröhlich.

Im Eiltempo wurden die Gepäckstücke ausgetauscht, und alle verabschiedeten sich rasch voneinander. Naomi sah Isabelle noch einen langen Moment hinterher, wie sie federleicht und anmutig die Treppe hinunterschwebte und schließlich ganz ihren Blicken entschwand.

Andrea spürte, dass sie ihrem langersehnten Ziel endlich näherkam. Schnell zog sich Naomi ein glitzerndes T-Shirt und eine enge Jeans an. Ihr schulterlanges Haar glänzte im Licht. Andrea war nun zufrieden, und so konnten sie endlich in Richtung Club aufbrechen.

Am liebsten hätte Naomi heute noch mit Andrea zusammen ein bisschen auf dem Balkon gesessen, dem Meeresrauschen eine Weile zugehört und wäre dann früh ins Bett gegangen. Aber da Naomi wusste, dass Andreas Nerven an diesem Tag eh schon überstrapaziert worden waren, gab sie diesbezüglich keinen Mucks mehr von sich und fügte sich einfach wortlos dem Wunsch ihrer Freundin.

Damit Andrea ab jetzt nur noch gut gelaunt war, betonte Naomi selbst noch, wie sehr sie sich auf den Clubbesuch freute. Andreas Laune stieg im Sekundentakt, und so stand einem ausgelassenen Diskobesuch nichts mehr im Weg.

Endlich beim Club angekommen, stand den beiden ein kräftiger, von oben bis unten tätowierter Türsteher im Weg. »Ausweiskontrolle!«, schnauzte er befehlsgewohnt.

Andrea und Naomi zuckten leicht zusammen, doch dann lächelten sie den Mann zuckersüß an. »Aber klar doch«, meinte Andrea zuvorkommend und zuckte ihre Identitätskarte.

Der Türsteher nickte zufrieden, bevor er sich Naomis Ausweis widmete. Hörbar stieß er einen Seufzer aus. »Hübsche Frau . . .«, etwas mitleidig schaute er Naomi an, »sie sind leider zu jung. Ich kann sie hier nicht reinlassen. Zutritt ist erst ab achtzehn.«

Bei diesen Worten schnellte Andreas Kopf zurück, obwohl sie einen Fuß bereits im Clubinneren hatte. In ihren Augen begann es eigenartig zu funkeln.

»Das darf doch jetzt nicht wahr sein«, stöhnte sie und drehte sich einmal um die eigene Achse. »Verdammter Mist! Geht heute denn eigentlich alles schief?« Wutentbrannt raufte sie sich die Haare. »Ach Mensch, Naomi . . . warum nur bist du noch keine achtzehn. Verdammt«, schnauzte sie Naomi vorwurfsvoll an und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. »Ist diese Insel eigentlich verhext? Oder was soll der Mist?«

Naomi wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Augenblicklich fühlte sie sich schlecht, und sie fürchtete, sich im nächsten Moment übergeben zu müssen. Am liebsten wäre sie vor Scham im Erdboden versunken. Warum nur bin ich noch keine achtzehn? Warum nur komme ich mir immer wie ein kleines Kind vor? Ihr war klar, dass Andreas nächster Wutanfall nicht lange auf sich warten lassen würde. Ihr soeben stattgefundener Ausraster war aus Erfahrung erst der Anfang.

»Ach, Schatz«, flüsterte Naomi niedergeschlagen. »Mach du dir einen schönen Abend. Ich gehe zurück ins Hotel«, meinte sie versöhnlich und hoffte, dass sich dieser Zwischenfall so ganz schnell wieder beheben lassen würde.

Andrea winkte energisch ab. »Ach, Mäuschen . . . das geht doch nicht.« Um ihre Mundwinkel zuckte es auffällig. »Ich kann dich hier auf der Insel doch nicht einfach allein lassen. Ich bin ja quasi für dich verantwortlich«, knurrte sie. Dann lächelte sie den Türsteher freundlich an. »Schade . . . sehr schade«, meinte sie, packte einen Kaugummi aus und beförderte ihn in den Mund. »Aber da kann man nichts machen.« Sie nahm Naomi an der Hand und marschierte mit ihr davon. Wortlos kehrten die beiden ins Hotel zurück.

Verunsichert blickte Naomi Andrea von der Seite an. »Bist du jetzt sehr sauer?«, fragte sie, obwohl sie sich gar nicht recht getraute, diese Frage überhaupt zu stellen.

Andrea blitzte Naomi kurz an. »Natürlich bin ich sauer. Aber wenn wir jetzt als Entschädigung noch Sex haben, so könnte mich das wenigstens etwas versöhnlicher stimmen.«

Innerlich stieß Naomi einen schweren Seufzer aus. Sie fühlte sich mies und hundemüde. »Klar doch . . . wir haben ja schließlich Urlaub«, entgegnete sie gespielt gelassen. Das kann ja noch eine lange Nacht werden, aberHauptsache du kriegst jetzt deinen Willen . . . deinen Sex und somit keine noch schlechtere Laune.

Andrea öffnete energisch die Tür, packte Naomi wortlos an den Schultern und stieß sie grob in ihr Hotelzimmer hinein. Mit dem rechten Fuß verpasste sie der Tür einen Tritt, dass diese laut ins Schloss knallte. »Dann wollen wir mal sehen, ob wir diesen miesen Tag nicht doch noch zu einem guten Ende bringen können«, meinte sie salopp und musterte Naomi dabei lüstern. Sie bugsierte Naomi weiter in Richtung Bett, riss ihr kurzerhand die Kleider vom Leib und holte sich in dieser Nacht, was sie haben wollte, bis sie schlussendlich Stunden später erschöpft neben Naomi einschlief.

Noch lange lag Naomi wach, ungewollte Tränen rannen ihr übers Gesicht. Ihrer Erschöpfung zum Trotz fand sie bis zum Morgengrauen keinen Schlaf, weil sie über die Ereignisse der letzten Stunden, ihre lieblose Beziehung und nicht zuletzt ihre verletzten Gefühle nachgrübelte . . .

2

Regina und Chiara hatten sich wenige Tage zuvor in Basel das langersehnte Ja-Wort gegeben und somit ihre Partnerschaft endgültig offiziell eintragen lassen. Die beiden waren überglücklich miteinander, verliebt wie am ersten Tag und konnten es kaum erwarten, in Kürze nach Kreta in die Flitterwochen aufzubrechen. Da die offizielle Eintragung ihrer Partnerschaft für beide eher eine bürokratische Formsache ohne jegliche Tiefe und Herzlichkeit gewesen war, hatten sie beschlossen, ihre Hochzeit nach ihren Wünschen und Vorstellungen auf Kreta noch einmal symbolisch zu feiern.

Auf dieser wunderschönen Sonneninsel sollte also schon bald eine romantische, von Liebe erfüllte Zeremonie am Strand bei Sonnenuntergang stattfinden. Gemeinsam mit ihren Freundinnen und Trauzeuginnen Michi und Thea, Sandra, Reginas bester Freundin, Manfred, Naomis Vater und inzwischen Sandras Lebensgefährte, wollten sie dieses einschneidende Ereignis im passenden Rahmen feiern.

Regina und Chiara saßen zu Hause auf der Terrasse und gönnten sich am frühen Morgen eine Tasse Kaffee. Erst wenige Stunden zuvor waren sie mit einem seligen Lächeln auf den Lippen eingeschlafen, nachdem sie sich die halbe Nacht geliebt hatten.

»Ach, Schatz«, meinte Regina mit weicher Stimme. »Ich freue mich schon so auf Kreta«, sagte sie und begann übers ganze Gesicht zu strahlen. »Auf der Insel werde ich dich endlich richtig heiraten dürfen . . . mit allem, was uns beiden wichtig ist und genau so, wie du es verdient hast.«

Chiara war sichtlich gerührt und streichelte Regina über den Handrücken. »Ich freue mich riesig. Vor allem auf unsere Trauung am Strand . . . im Beisein unserer Freundinnen und Manfred«, meinte sie, während sich ihre Lippen behutsam Reginas näherten. Lange und zärtlich schaute sie dabei ihrer Liebsten in die Augen. »Ich würde dich jetzt so gern lieben und dich fühlen lassen, wie unendlich viel du mir bedeutest«, raunte sie verführerisch.

Regina verdrehte spielerisch die Augen. »Doch nicht etwa schon wieder?« Verschmitzt zwinkerte sie Chiara zu. »Es ist doch erst ein paar Stunden her.« Sie hob eine Augenbraue. »Du bist und bleibst einfach unmöglich«, flüsterte sie ihr ins Ohr und ließ ihre Zungenspitze sanft über Chiaras Ohrläppchen gleiten, was Chiaras Kehle ein leises Stöhnen entlockte. »Aber genau das – unter anderem –liebe ich so sehr an dir.« Tief tauchte sie in Chiaras Blick ein. »Bitte tu mir einen Gefallen und bleib für immer so unmöglich . . . für mich«, flüsterte sie schon fast flehend und hauchte ihrem Schatz einen Kuss auf die Stirn.

»Lass uns reingehen. Ich möchte dich jetzt so gern fühlen«, wisperte Chiara und reichte Regina einladend die Hand.

Regina zwinkerte ihrer Liebsten ein weiteres Mal zu. »Ich kann dir einfach keinen Wunsch abschlagen«, raunte sie und küsste ihren Schatz leidenschaftlich. »Will ich auch gar nicht.« Voller Verlangen zog sie Chiara in den Wohnsalon und schloss die Terrassentür hinter sich ab. In ihrer Ungeduld küssten sie sich schon auf dem Weg ins Schlafzimmer leidenschaftlich und ließen unterwegs ein paar Kleidungsstücke zu Boden fallen.

Plötzlich klingelte Reginas Handy. Gespielt streng warf Chiara Regina einen tadelnden Blick zu, ließ dabei verführerisch ihren BH zu Boden schweben und blies Regina, in Richtung Schlafzimmer tänzelnd, einen Luftkuss zu.

Regina stieß einen tiefen Seufzer aus, jede Zelle in ihr fing augenblicklich Feuer. Sie wollte ihrer Frau ganz nah sein . . . sie fühlen . . . sie schmecken und lieben. In ihrem Gesicht konnte man lesen, wie sehr sie es bedauerte, diesen Anruf entgegennehmen zu müssen.

»In ein paar Minuten werde ich alles wiedergutmachen, meine geliebte Frau, das verspreche ich dir«, flüsterte sie mit bewegter Stimme. Dann riss sie sich mit Mühe zusammen und nahm den Anruf geschäftsmäßig entgegen. Doch leider kam sie zu spät und vernahm nur noch ein Klickgeräusch. Offenbar wurde am anderen Ende gerade der Hörer aufgelegt.

»Dann eben nicht«, meinte Regina lässig und begann vor Chiaras Augen im Zeitlupentempo ihren BH zu öffnen. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf dich freue«, raunte sie. Sie räusperte sich. »Ich kann eben einfach nie genug von dir bekommen.«

Doch schon wieder wurde ihr Liebesspiel jäh unterbrochen. Dieses Mal in Form einer SMS. Regina war momentan wegen ihrer Kunstausstellungen sehr gefragt und wurde oft von Ausstellungsverantwortlichen kontaktiert. Auch dieses Mal wollte Regina sich zu einhundert Prozent korrekt verhalten, doch fühlte sie sich ganz offensichtlich zwischen ihrer Frau, die eine so wundervolle Geliebte war, dass sie ihr wirklich fast nicht widerstehen konnte und dieser Kurzmitteilung hin- und hergerissen.

Chiara stieß einen gespielten Seufzer aus. »Nun lies schon«, forderte sie Regina mit zärtlicher Stimme auf. Verschwörerisch zwinkerte sie ihrer Liebsten zu. »Damit du nachher auch wirklich ganz und gar bei der Sache . . .«, sie räusperte sich und errötete leicht, »bei mir bist und ich deine vollste Aufmerksamkeit genießen kann.«

Regina hob anzüglich die Augenbrauen und warf Chiara einen gespielt düsteren Blick zu. »Soso . . . wie darf ich das denn bitte schön verstehen? Willst du dich etwa bei mir beschweren?«, fragte sie keck, aber mit einem Schmunzeln.

Mit einem verführerischen Lächeln ging Chiara auf Regina zu, legte ihr zärtlich die Arme um den Nacken und zog sie leidenschaftlich an sich. »Nein . . . ich habe wirklich keinen Grund, mich zu beschweren«, flüsterte sie Regina ins Ohr, während ihre Fingerspitzen über Reginas Rücken streichelten. »Also, lies jetzt bitte deine Nachricht. Danach ziehen wir uns aber endgültig ins Bett zurück.«

Regina nickte. Es fiel ihr schwer, sich von Chiara zu lösen. Hastig griff sie deshalb nach dem Handy und las den Text laut vor.

Da stand: »Bald wird dein großer Tag kommen. Ich hoffe, dass er für dich in unvergesslicher Erinnerung bleiben wird. Ihr seid so ein schönes Paar. Passt gut aufeinander auf und genießt euer junges Glück.«

Mit gerunzelter Stirn starrte Regina einen Moment aufs Display, wobei sie aus unerklärlichen Gründen ein ungutes Gefühl überkam.

Chiara war nun endgültig mit ihrer Geduld am Ende. Sie konnte es kaum noch erwarten, ihre Liebste nun endlich verführen zu dürfen. Zärtlich schmiegte sie sich an Regina und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen.

Regina stöhnte leise auf. Jede Zelle in ihr begann lichterloh zu brennen. Leidenschaftlich erwiderte sie Chiaras Kuss. Dann hielt sie inne und schaute ihren Schatz leicht verunsichert an. »Hm . . . die SMS kommt von einer mir unbekannten Nummer, kennst du die Nummer?«, wollte sie von Chiara wissen und suchte im Gesicht ihrer Liebsten nach einer Antwort.

Chiara warf nun ebenfalls einen Blick auf die Mitteilung. »Mir sagt die Nummer auch rein gar nichts«, flüsterte sie und zuckte irritiert die Schultern. »Wer könnte das denn sein? Hast du da vielleicht eine Vermutung?«

Mit nachdenklichem Gesicht schaute Regina einen Moment zum Fenster hinaus. »Hm . . . gute Frage«, antwortete sie und strich sich durch ihr kurzes braunes Haar. »In letzter Zeit habe ich einige Bilder an neue Kundinnen und Kunden verkaufen können.« Ihr Blick schweifte nochmals aufs Display. »Aber die neusten Nummern habe ich noch nicht gespeichert.« Sie rieb sich die Arme, da ihr aus unerfindlichen Gründen die Haare zu Berge standen.

Dann schenkte sie Chiara ein verliebtes Lächeln. »In deiner Anwesenheit wird mir eben immer ganz anders«, raunte sie und dachte angestrengt nach. Dann nickte sie entschieden. »So muss es sein. Die SMS ist bestimmt von einer neuen Kundin«, murmelte sie leise. »Ich werde mich später bei ihr bedanken.« Nun legte sie das Handy endgültig zur Seite und wandte sich voller Hingabe ihrer Frau zu.

»So, jetzt stört uns aber niemand mehr.« Verschwörerisch zwinkerte sie Chiara zu. »Ich stelle das Telefon einfach auf lautlos. Jetzt gibt es nur noch dich und mich«, wisperte sie, bugsierte ihre Liebste sanft ins Schlafzimmer hinein und gab ihr einen leichten Stoß, damit sie rücklings aufs Bett fiel.

Die letzten Kleidungsstücke fielen lautlos zu Boden. Voller Verlangen tauchte Regina tief in Chiaras Blick ein. »Ich will dich so sehr«, raunte sie. »Ich kann es kaum erwarten.« Ihre Fingerspitzen streichelten zärtlich über Chiaras weiche Haut, während ihre Zungenspitze die Knospen ihrer Liebsten erst sanft und dann immer fester umspielte.

Chiara öffnete die Schenkel und drückte sich Regina verlangend entgegen. »Bitte leg dich auf mich«, wisperte sie und schloss die Augen.

Regina ließ sich nicht zweimal bitten. Voller Begehren schob sie sich auf Chiara, drückte ihrer Liebsten ihr Lustzentrum entgegen und fühlte, wie nass sie bereits war. Ihre Säfte vermischten sich miteinander und entzündeten ein Feuer purer Ekstase. Im Rhythmus ihrer Sehnsucht, ihres Verlangens rieben sie sich fest aneinander . . . immer fordernder und wilder, bis sie fühlten, wie sie gemeinsam ihrer Erlösung entgegenschwebten.