Linguistische Stil- und Textanalyse - Ulrike Krieg-Holz - E-Book

Linguistische Stil- und Textanalyse E-Book

Ulrike Krieg-Holz

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Beschreibung

Diese Einführung stellt umfassend Textmerkmale und zentrale Aspekte der Stilistik vor. Untersucht wird, wie sich stilistisch relevante Textelemente isolieren und analysieren lassen. Darüber hinaus wird gezeigt, wie ihre potentielle Stilwirkung beschrieben und interpretiert werden kann. Dazu wird ein Instrumentarium für die Analyse von Texten aus verschiedenen Bereichen zur Verfügung gestellt, das es ermöglicht, stilistische Phänomene sowohl auf der Makroals auch auf der Mikroebene zu betrachten. Neben der systematischen Beschreibung der für die Stilanalyse notwendigen Einzelaspekte – etwa der stilistischen Möglichkeiten des Deutschen auf der Ebene des Wortschatzes und der Grammatik – wird besonders auf die Typisierung komplexer stilistischer Muster eingegangen. Am Beispiel verschiedener Kommunikationsbereiche wird zudem gezeigt, wie stilistische Kategorien in die Textsortenklassifikation integriert werden können, um bestimmte Teilmengen von Texten überschaubarer zu machen.

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Ulrike Krieg-Holz / Lars Bülow

Linguistische Stil- und Textanalyse

Eine Einführung

A. Francke Verlag Tübingen

 

 

© 2016 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Inhalt

1. Text als linguistischer GegenstandWeiterführende Literatur:1.1 TextualitätsmerkmaleWeiterführende Literatur:1.2 TextualitätshinweiseAbgrenzungs- und GliederungshinweiseVerknüpfungshinweiseHinweise auf die thematische Zusammengehörigkeit2. Ebenen der Textbeschreibung2.1 Textebene2.1.1 Textgliederung2.1.2 Textkonstitution2.2 SatzebeneZur Beschreibung von SätzenWortartenPhrasenKonstituententestsSatzbautypenSatzartenKlammerstrukturen und Topologie2.3 WortebeneFlexionWortbildung3. Parameter der Stilbeschreibung3.1 Stil und Stilistik: AllgemeinesDer sprachwissenschaftliche StilbegriffMethoden der StilbeschreibungZentrale Begriffe der Stilanalyse3.2 Einzelne stilistische Phänomene anhand der Textebenen3.2.1 Textaufbau3.2.2 Satzbau und Morphologisches3.2.3 Lexik und Wortbildung3.2.4 Generelles zur Verwendung der Einzelelemente3.2.5 Stilfiguren3.3 Komplexe stilistische Phänomene3.3.1 Zur Typologie stilistischer Handlungsmuster3.3.2 Inhaltlich determinierte stilistische Muster3.3.3 Strukturell determinierte stilistische Muster4. Textsorten und Textklassifikation4.1 Vorschläge zur Textsortenklassifikation im Überblick4.2 Zum Textsortenbegriff4.3 Dimensionen der Textsortenbeschreibung4.3.1 Situative Aspekte4.3.2 Funktionale Aspekte4.3.3 Thematische Aspekte4.3.4 Äußere Form und Strukturiertheit4.3.5 Sprachlicher Stil5. Anwendungen5.1 Forensische LinguistikAufgabenbereiche der Forensischen LinguistikAutorenerkennungFragestellungen und MethodenAnalysebeispiele5.2 KiezdeutschZur Entwicklung und EinordnungStil oder VarietätKiezdeutsch als StilphänomenAnwendungsbeispiel5.3 SchreibdidaktikWeiterführende Literatur:LiteraturverzeichnisTextnachweiseAbbildungsnachweise

1.Text als linguistischer Gegenstand

Am Anfang jeder textanalytischen Überlegung sollte die Frage nach der Definition des Untersuchungsgegenstandes stehen: Was ist ein Text?

 

Prinzipiell wird das Spektrum unterschiedlicher Textauffassungen durch zwei extreme Positionen eingegrenzt. Die eine bezeichnet als ‚Text‘ alles das, was an beobachtbar geäußerter Sprache – wie auch immer realisiert – vorliegt. Die andere Position bezieht den Textbegriff auf das Funktionieren von Sprache jenseits der Satzgrenze. Diese Blickrichtung vom Satz zum Text soll hier den methodologischen Ausgangspunkt bilden, von dem aus verschiedene Herangehensweisen an die linguistische Beschreibung von Texten entwickelt werden bzw. die Analyse der Wesensmerkmale von Texten erfolgt.

 

In der Struktur einzelner Sprachen können u.a. folgende Ebenen erscheinen:

Text

Satz

Wortgruppe

Wort

Minimale Elemente (bedeutungstragende: z.B. Morpheme, bedeutungsunterscheidende: z.B. Phoneme)

Der Begriff ‚Text‘ bezeichnet in diesem Zusammenhang zunächst die sprachliche Struktur oberhalb der Struktur des Satzes. Dementsprechend wird der Text aufgefasst als ein übersatzförmiges, d.h. transphrastisches Gebilde (vgl. engl. phrase ‚Satz‘). Das bedeutet jedoch nicht, dass eine textlinguistische Analyse erst oberhalb der Satzebene beginnt. Vielmehr bedarf sie auch der systematischen Betrachtung der Elemente auf tieferliegenden Ebenen der Sprachbeschreibung. Es bedeutet ebenfalls nicht, dass ein Text immer unbedingt aus Einheiten zusammengesetzt ist, die als Sätze definiert werden können. Das heißt, Texte können – wie noch zu zeigen sein wird (vgl. Kap. 3 und 4) – grundsätzlich nicht ausschließlich durch grammatische Einheiten (wie die des Satzes) bestimmt werden, sonst müssten zahlreiche, für einzelne Textsorten besonders charakteristische Textelemente von vornherein von der Analyse ausgeschlossen werden. Dazu würde der Slogan SOS-Kinderdorf – Wir sind Familie! einer Werbeanzeige ebenso gehören wie Brot im Tank als Überschrift zum Thema „Herstellung des Biokraftstoffs E10 aus Getreide“ in einer überregionalen Tageszeitung.

Mit der Blickrichtung vom Satz zum Text verbindet sich eine Perspektive, die den Text als etwas Ganzes Lesbares und in sich mehr oder weniger Geschlossenes betrachtet. Dabei geht es weniger um solche Fälle wie den Zettel mit der Aufschrift Prüfung! an einer Bürotür, die sehr weite Definitionen des Begriffes ‚Text‘ einschließen (vgl. Kap. 1.1), sondern vor allem um komplexere sprachliche Gebilde, wie es die spätlateinische Wurzel des Wortes Text(lat. textus ‚Gewebe, Geflecht‘, abgeleitet vom Verb texere ‚weben, flechten‘) in Analogie zur Struktur von Textilien bereits suggeriert.

Der Begriff der ‚Textualität‘ bezeichnet dabei die Menge an Eigenschaften, die ein sprachliches Gebilde zu einem Text machen. Dazu muss zunächst die Frage beantwortet werden, welche Gemeinsamkeiten etwa zwischen einem Buch, einem Zeitungsartikel, einem Brief, einer Printanzeige oder einer Internetseite bestehen. Auf dieser Grundlage kann dann der Frage nachgegangen werden, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein sprachliches Gebilde, also eine bestimmte Ansammlung sprachlicher Erscheinungsformen, als Text wahrgenommen wird. Diese Bedingungen an Texte und deren spezifische Eigenschaften werden in der sprachwissenschaftlichen Forschung mit den Termini ‚Textualitätskriterien‘ oder ‚Textualitätsmerkmale‘ erfasst. Die Bestimmung und Beschreibung dieser Textualitätskriterien bzw. Textualitätsmerkmale ermöglicht dann eine Definition des Begriffes ‚Text‘ (vgl. Kap. 1.1).

Texte signalisieren Textualität durch bestimmte Hinweise, sog. Textualitätshinweise, die wiederum auf der Grundlage der Textualitätsmerkmale bestimmt und systematisiert werden können (vgl. Kap. 1.2). Sowohl die Textualitätsmerkmale als auch die Textualitätshinweise bestehen dabei aus sprachlichen und außersprachlichen Komponenten.

 

Wichtig ist an dieser Stelle der Hinweis, dass sich der Ausdruck ‚Text‘ in diesem Buch ausschließlich auf die schriftbasierte Kommunikation bezieht. Die grundlegende Unterscheidung zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch scheint auf den ersten Blick unproblematisch, sie wird innerhalb der Sprachwissenschaft traditionell mit dem Begriff des Mediums verbunden. Schriftlichkeit wurde im Allgemeinen komplementär zur Mündlichkeit wahrgenommen und daher im Vergleich mit dieser und in Abgrenzung von dieser definiert und charakterisiert. Der Begriff der Schriftlichkeit umfasst neben den gesellschaftlichen Traditionen und Funktionen des Schreibens vor allem die Merkmale und die Charakteristik geschriebener Texte, ihre Textkonstitution und die Bindung an die Schriftsprache unter dem Gesichtspunkt des sprachlichen Systems. Dabei ist vorerst von elementarer Bedeutung, ob eine Äußerung aufgeschrieben ist oder nicht. Die kognitiven Produktions- und Verarbeitungsprozesse unterscheiden sich beim Schreiben und Lesen deutlich vom Sprechen und Zuhören, was zum Teil an den Eigenschaften des Mediums liegt. So gilt das Schreiben in der Regel als langsamer und als stärker geplanter Prozess, worauf besser strukturierte und kohärentere Texte zurückgeführt werden, die komplexer aufgebaut und in mehreren Arbeitsgängen konzipiert, überarbeitet und korrigiert werden können.

Die Ausdrucksvielfalt der geschriebenen Sprache ist gegenüber der gesprochenen Sprache einerseits eingeschränkt, weil sie nicht über paraverbale Ausdrucksformen verfügt (z.B. Lautstärke, Stimmqualität, Rhythmus) oder mit nonverbalen Ausdrucksformen verbunden ist (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Blickverhalten usw.). Andererseits verfügt sie über Ausdrucksmittel, die die gesprochene Sprache nicht hat und die oft als Kompensationsformen interpretiert werden. In der geschriebenen Sprache entsprechen dem Parasprachlichen im engeren Sinne dabei weniger die häufig genannten Satzzeichen, sondern eher die sehr stark differenzierbaren Schrifttypen und Schriftgrößen sowie die besonderen Eigenschaften der Trägermedien.

Schriftlichkeit ist generell gekennzeichnet durch Einwegigkeit (deshalb Monologizität), durch die Reduktion der para- und nonverbalen Kommunikationsmöglichkeiten, die auf der syntaktischen, lexikalischen und textlinguistischen Ebene kompensiert werden müssen1, durch fehlende Synchronie von Produktion und Rezeption sowie durch das Fehlen des unmittelbaren pragmatischen Kontextes, wodurch weitere verbale Kompensationen notwendig sind. Alle vier Punkte werden häufig als pragmatische Defizite von Schriftlichkeit zusammengefasst, d.h., die Spezifika der schriftlichen Kommunikation gelten als Mängel, die durch größere sprachliche Anstrengungen kompensiert werden müssen, dafür aber auch die größere kulturgeschichtliche Leistung darstellen.

Modernere Bestimmungen des Konzepts der Schriftlichkeit nehmen neben der medialen Umsetzung vom phonischen ins graphische Medium eine konzeptionelle Schriftlichkeit an, die auf bestimmte Merkmale der Kommunikationssituation (vgl. Kap. 4.3.1) zurückgeführt wird. Dazu gehört beispielsweise das Kriterium der raum-zeitlichen Distanz der Kommunikationsteilnehmer.

Schriftliche Texte stellen den Gegenstandsbereich der Textlinguistik dar. Die Textlinguistik wird in der germanistischen Forschung als eigenständige linguistische Teildisziplin angesehen. Sie wird in der Regel von der Gesprächsanalyse abgegrenzt, die einen eigenständigen Beschreibungsrahmen für die mündliche Kommunikation bildet.

Definition:

Die Textlinguistik ist eine sprachwissenschaftliche Disziplin, die sich mit den formalen und funktionalen Eigenschaften von schriftlichen Texten beschäftigt. Im Fokus stehen dabei die satzübergreifende Analyse sprachlicher Regularitäten und das Ziel, die konstitutiven Merkmale der sprachlichen Einheit ‚Text‘ zu bestimmen.

In anderen Sprachwissenschaften hat die Textlinguistik mitunter eine andere Position. So wird sie im angloamerikanischen Raum in der Regel als Teilbereich einer umfassenden Diskursanalyse (discourse analysis, DA) gesehen.

Weiterführende Literatur:

Coseriu, Eugenio: Textlinguistik. Eine Einführung. Narr Francke Attempto, Tübingen 2007.

Hausendorf, Heiko/Kesselheim, Wolfgang: Textlinguistik fürs Examen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008.

Schubert, Christoph: Englische Textlinguistik. Eine Einführung. Erich Schmidt, Berlin 2008.

1.1Textualitätsmerkmale

Im Gegensatz zum Alltagsverständnis von Text beruhen sprachwissenschaftliche Textdefinitionen auf Überlegungen zu den Kriterien, die einen Text zu einem Text machen, die also die Bedingung für Textualität sind. Sie werden im folgenden Textualitätsmerkmale genannt.

Eine frühe, über lange Zeit etablierte Textdefinition stammt von de Beaugrande/Dressler (1981), die davon ausgehen, dass genau sieben dieser Textualitätsmerkmale erfüllt sein müssen, damit ein Text zustande kommt. Es sind die Kriterien:

Kohäsion

Kohärenz

Intentionalität

Akzeptabilität

Informativität

Situationalität

Intertextualität

Das erste der sieben Merkmale ist die Kohäsion. Sie bezieht sich auf die Art, wie Texte auf der Textoberfläche durch grammatische Formen miteinander verbunden sind. Bei dieser grammatischen Beziehung zwischen den Einheiten eines Textes handelt es sich häufig um satzübergreifende Relationen, d.h. solche Phänomene, die für eine transphrastische Analyse von Bedeutung sind.

Das Merkmal der Kohärenz umfasst nicht die grammatischen Mittel, sondern die Bedeutungsaspekte von Texten wie etwa Kausalitäts-, Referenz- und Zeitbeziehungen, also die inhaltlichen Zusammenhänge. Es geht dabei um die Herstellung und um das Verstehen von Textsinn durch die Verknüpfung des im Text repräsentierten Wissens mit dem Weltwissen der Kommunikationsbeteiligten. Sinn bedeutet in diesem Zusammenhang die im Text aktualisierte Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks, Textsinn die Gesamtheit der einem Text zugrunde liegenden Sinnrelationen, die mit der realen Welt natürlich nicht übereinstimmen müssen.

Die beiden Merkmale Kohäsion und Kohärenz gehören zu den textinternen Merkmalen von Texten, eben weil sie sich auf die inhärente grammatische und semantische Struktur eines Textes beziehen. Demgegenüber gelten die übrigen Merkmale als textexterne, die die kommunikativen und pragmatischen Eigenschaften von Texten betreffen.

Das Kriterium der Intentionalität bezieht sich auf die Absicht des Textproduzenten, einen kohäsiven und kohärenten Text zu erzeugen, um ein bestimmtes kommunikatives Ziel zu erreichen. Mit dem Kriterium der Akzeptabilität wird die Erwartung des Textrezipienten beschrieben, dass ein Text zusammenhängend und für ihn in irgendeiner Weise nützlich oder relevant ist.

Unter Informativität wird das Ausmaß an Erwartbarkeit oder Bekanntheit der dargebotenen Textelemente verstanden. Das bedeutet, je weniger die Inhalte erwartet oder bekannt sind, umso höher ist der Grad an Informativität. Um Textualität herzustellen, ist dabei jedoch ein Mindestmaß an neuer Information notwendig.

Mit dem Kriterium der Situationalität wird versucht, die Faktoren zu beschreiben, die einen Text für eine Kommunikationssituation relevant machen. Dazu gehört beispielsweise der Aspekt der juristischen Relevanz, der dazu führt, dass Verträge oder Versicherungspolicen in der Regel länger sind als ein Kochrezept.

Das letzte Kriterium ist die Intertextualität, die auf zweifache Weise verstanden werden kann: 1. als Bezug auf die Textsorte und 2. als Bezug auf andere Texte. Im ersten Fall geht es um die Differenzierung von Klassen von Texten mit typischen Mustern von Eigenschaften. So haben Kleinanzeigen, Beipackzettel, Bedienungsanleitungen oder Sonette bestimmte formale und inhaltliche Merkmale. Im zweiten Fall betrifft Intertextualität bestimmte Textsorten wie Kritiken, Buchbesprechungen oder Parodien, bei denen das Verständnis stark von der Vorkenntnis anderer Texte, auf die Bezug genommen wird, abhängt.

Auch wenn die genannten Kriterien von vielen Autoren aufgegriffen werden, bedeutet dies durchaus nicht, dass sie allgemein gültig und unumstritten sind. Nach wie vor sind die Bestimmung von Textualitätsmerkmalen und die damit verbundene Terminologie vielfältig. Als unverzichtbar wird in der Regel die Kohärenz dargestellt, da sie sich auf die Sinnkontinuität eines Textes bezieht. Diese wird vielfach als das dominierende Textualitätsmerkmal angesehen, weil sie zentral für das Zustandekommen eines Textes ist. Das erklärt zugleich auch, warum ein einzelnes Wort (wie das oben genannte Prüfung!) hier nicht als prototypischer Text betrachtet wird, denn in diesem Fall erübrigt sich natürlich das Kriterium der Kohärenz.

Das Kriterium der Kohäsion, der grammatischen Abhängigkeiten und semantischen Beziehungen in einem Text, scheint auf den ersten Blick sehr wichtig. Sie kann jedoch fehlen, wie der folgende Text – ein Gedicht von Sarah Kirsch, bei dem in großen Teilen auf Kohäsion verzichtet bzw. bewusst gegen ihre Regeln verstoßen wird – zeigt:

Ich in der Sonne deines Sterbemonats

Ich in der Sonne deines Sterbemonats

Ich im geöffneten Fenster

Ich betreibe Gewohntes: trockne

Gewaschenes Haar

Schaukeln fliegen

Am Augenwinkel vorbei, Wespen

Stelzen auf faulenden Birnen

Angesichts weißer Laken

Schreit der Wäschereihund: er ist noch klein

 

Flieg Haar von meinem Kamm

Flieg zwischen Spinnenfäden

Schwarzes Haar totes Haar

Eben noch bei mir

(Sarah Kirsch1)

Dessen ungeachtet soll Kohäsion hier als Textualitätsmerkmal definiert werden, weil wohl die Mehrzahl aller Texte über diesen an der Textoberfläche signalisierten Zusammenhang verfügen. Texte, die (die Regel bestätigende) Ausnahmen davon bilden, kompensieren fehlende Kohäsion häufig – so zeigt auch das o.g. Gedicht – durch Musterhaftigkeit, im Sinne einer besonderen Strukturiertheit. Bei zahlreichen Texten bzw. Textsorten treten Kohäsion und Musterhaftigkeit kombiniert auf. Das heißt, diese Texte können überwiegend kohäsiv sein (Fließtext), zugleich jedoch Bestandteile aufweisen (z.B. Überschriften, Schlagzeilen), die an der Oberfläche allein durch die Musterhaftigkeit des Textes/der Textsorte die Zusammengehörigkeit der Textelemente anzeigen. Aus diesem Grund wird das Textualitätsmerkmal Kohäsion im Folgenden ergänzt durch das Kriterium der Musterhaftigkeit. Musterhaftigkeit bezieht sich auf die Beschreibungsebene der Textgliederung, also die äußere Form und Strukturiertheit von Texten. Sie schließt ein weiteres wichtiges Kriterium für die Definition von Texten scheinbar unweigerlich mit ein: die Begrenztheit.

Das Kriterium der Intentionalität soll hier nicht als eine notwendige Bedingung für Textualität angesehen werden, sondern vielmehr als grundlegende Voraussetzung für jegliche Art von Kommunikation. Die Intention des Textproduzenten, ein bestimmtes kommunikatives Ziel zu erreichen, ist jedoch ein wichtiger Parameter für die Klassifikation und Beschreibung von Textsorten, weshalb der handlungsorientierte Charakter des Intentionalitätskriteriums in den Beschreibungsansatz von Textsorten einfließen wird (vgl. Kap. 4.3.2 textexterne Determinanten von Textsorten: Textfunktion). Um eine eher allgemeine Voraussetzung für erfolgreiches Kommunizieren handelt es sich auch beim Kriterium der Akzeptabilität, das erst dann annähernd objektiv und adäquat beschrieben werden kann, wenn es in Relation zu einer Textsorte gesetzt wird. Denn neben dem allgemeinen Weltwissen und der Fähigkeit, beim Verstehen eines Textes Sinn zu stiften, spielt das Textsortenwissen eine wichtige Rolle dafür, ob ein Rezipient einen bestimmten Text – ein Gedicht, einen Kinderreim, ein Vertragsformular oder einen Lebenslauf – akzeptabel findet oder nicht. Deshalb wird das Kriterium der Akzeptabilität hier ebenfalls als wichtiger Bestandteil der Textsortenbeschreibung und Klassifikation angesehen, und zwar im Sinne von stilistischer Angemessenheit der Textgestaltung sowie Aspekten von Normerwartung und Normverstoß in Abhängigkeit zur konkreten Kommunikationssituation (vgl. Kap. 4.3.1 und Kap. 4.3.5).

Das Kriterium der Informativität ist im oben dargestellten Sinne insofern problematisch, als es einen Text, der nur Bekanntes enthält, als nicht informativ kennzeichnet. Demzufolge müsste ein Text, der nur Unerwartetes und Unbekanntes enthält, äußerst informativ sein. Informativität kann allerdings auch als Thematizität verstanden werden, d.h. als grundlegende Eigenschaft des Textes, ein Thema zu haben, denn athematische Texte existieren nicht. Während die thematische Zusammengehörigkeit eine wichtige Bedingung für die Texterstellung darstellt, die sich im Textualitätsmerkmal der Kohärenz und den damit verbundenen sprachwissenschaftlichen Konzepten widerspiegelt (Formen der Wiederaufnahme, Frames, Scripts s.u.), kann das Thema eines Textes wiederum ein bedeutsames Kriterium für eine Textsortensystematik sein (z.B. Wetterbericht, Traueranzeige; vgl. Kap. 4.3.3).

Ebenfalls ein entscheidendes Kriterium für die Klassifikation von Textsorten ist die Situationalität (vgl. Kap. 4.3.1). Sie stellt ein allgemeines textexternes Merkmal von Kommunikation dar, weil jede Form von Kommunikation in einen bestimmten situativen Kontext eingebettet ist. Zu diesem situativen Kontext gehören zeitliche und räumliche Konstellationen ebenso wie die Charakterisierung der Interaktionsteilnehmer. Die situative Dimension der Text- bzw. Textsortenbeschreibung betrifft zudem die Unterscheidung von Kommunikationsbereichen (Kap. 4.2) und den medialen Aspekt. Der mediale Aspekt besteht zunächst in der traditionellen Gegenüberstellung zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation. Darüber hinaus betrifft er die Frage nach den Massenmedien und den anderen Formen der technisch vermittelten Kommunikation. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die mediale Verfasstheit eines Kommunikationsproduktes (z.B. Anteil an Text, Bildern oder graphischen Darstellungen, Eigenschaften der Trägermedien wie Papierqualität, Farben usw.).

Der Begriff der Intertextualität stammt aus der Literaturwissenschaft, wo er einst im Sinne der ‚Auflösung/Entgrenzung‘ des Textbegriffs die Forschungsdiskussion nachhaltig beeinflusst hat, mittlerweile jedoch ausgefasert und zum Etikett für schwer zu überschauende Forschungsrichtungen geworden ist. Innerhalb der Sprachwissenschaft gehört zum Kriterium der Intertextualität vor allem der Aspekt, dass Texte einen direkten oder vermittelten Bezug zu vorgängigen und nachgängigen Texten haben können und dass Texte – selbst wenn sie auf keinen praktischen Effekt im engeren Sinne abzielen – das spätere kommunikative Verhalten beeinflussen. Das Ausmaß eines solchen Einflusses kann mehr oder weniger groß und mehr oder weniger sichtbar sein: z.B.

Mondgedicht

…, –

fertig ist das Mondgedicht.

(Robert Gernhardt2)

Deutlich erkennbar ist der Einfluss, wenn der Textproduzent explizite Bezüge herstellt, d.h., wenn er den gelesenen Text oder Passagen daraus wiederholt, zusammenfasst, übersetzt, kommentiert, interpretiert oder bewertet. Dabei besteht aus sprachwissenschaftlicher Sicht ein wichtiger Punkt in der sprachlich fassbaren Markierung intertextueller Bezüge im Text, weil ihre unterschiedliche Ausprägung ein Kriterium für die Beschreibung von Texten/Textsorten sein kann. Derartige intertextuelle Bezüge sind textsortenspezifisch geprägt und lassen sich konkret an einzelnen Textsortenexemplaren nachweisen. Sie sind für einige Textsorten charakteristisch (z.B. Rezension). Andere Textsorten sind gerade nicht als kooperative Texte angelegt, sie streben zumindest primär keine Interaktion zwischen Text-Produzenten an (z.B. einseitige Kommunikationsformen in den Massenmedien). Kooperativ sind sie dennoch insoweit, als auf jeden Text und jede Textsorte in irgendeiner Form (Kritik, Zustimmung usw.) reagiert werden kann. In diesem Verständnis ist Intertextualität ein Kriterium, das eine große Bandbreite an Abstufungen enthält und daher als brauchbares Merkmal, das entweder erfüllt ist oder nicht, kaum anwendbar ist.

Gegenüber dieser Form von Intertextualität, die die konkreten Beziehungen zwischen Einzeltexten betrifft und als sog. „spezielle“ oder auch „syntagmatische“ Intertextualität bezeichnet wird, kann die „allgemeine“ oder „paradigmatische“ (auch „texttypologische“) Intertextualität als ein generelles Textmerkmal aufgefasst werden. Es bezieht sich auf die grundsätzliche Textsortengeprägtheit aller Texte. Diese intertextuelle Prägung von Texten spiegelt sich in der mentalen Repräsentation von Textmustern und Textsorten, denn die Kommunikationsbeteiligten setzen bei der Textproduktion und Textrezeption ihre im Bewusstsein gespeicherte kommunikative Erfahrung und das entsprechende Wissen über andere Texte intuitiv oder bewusst ein. Intertextualität wird in diesem Sinne als integrale Komponente vorheriger Kommunikationserfahrung betrachtet, durch die sich gleiche oder ähnliche Texte in Bezug auf Invarianten und Varianten im Sprachbewusstsein miteinander verbinden, verallgemeinert werden und so Prototypen und Strukturmodelle herausbilden können. Das bedeutet, der Aspekt der allgemeinen Intertextualität bzw. der intertextuellen Prägung als generelles Merkmal von Texten fällt mit dem Textualitätsmerkmal der Musterhaftigkeit zusammen, wobei zur Vereinfachung der Terminologie im Umkreis der Intertextualitätsproblematik eine Beschränkung auf den Begriff ‚Musterhaftigkeit‘ vorgeschlagen wird.

Demzufolge können vier Merkmale erfasst werden, die zusammen für die Bestimmung dessen ausreichen, was aus einem lesbaren Etwas einen Text macht. Textualität schließt also folgende Merkmale ein:

Kohärenz

Kohäsion

Musterhaftigkeit

Begrenztheit

Aus dieser Menge der für einen Text konstitutiven Eigenschaften kann eine Definition von Text abgeleitet werden. Eine mögliche Definition von Text lautet deshalb folgendermaßen:

Definition:

Ein Text ist ein begrenztes sprachliches Gebilde, das einen thematischen Zusammenhang aufweist, in der Regel innertextuell verknüpft ist und/oder durch Musterhaftigkeit den Zusammenhalt seiner Elemente an der Textoberfläche signalisiert.

Weiterführende Literatur:

De Beaugrande, Robert Alain/Dressler, Wolfgang Ulrich: Einführung in die Textlinguistik. Niemeyer, Tübingen 1981.

Fix, Ulla/Poethe, Hannelore/Yos, Gabriele: Textlinguistik und Stilistik für Einsteiger. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Peter Lang, Frankfurt am Main 2001.

Krause, Wolf-Dieter (Hrsg.): Textsorten. Kommunikationslinguistische und konfrontative Aspekte. Peter Lang, Frankfurt am Main 2000.

Vater, Heinz: Einführung in die Textlinguistik. Struktur, Thema und Referenz in Texten. Wilhelm Fink, München 1994.

1.2Textualitätshinweise

Textualität kommt – wie oben näher ausgeführt wurde – dann zustande, wenn ein sprachliches Gebilde bestimmte Merkmale aufweist. Eine sprachliche Erscheinungsform als Text zu analysieren, bedeutet deshalb zunächst, Hinweise auf diese Textualitätsmerkmale zu rekonstruieren. Dazu gehören:

Hinweise auf die thematische Zusammengehörigkeit

Kohärenz

Verknüpfungshinweise

Kohäsion

Abgrenzungshinweise

Begrenztheit

Gliederungshinweise

Musterhaftigkeit

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Verhältnis zwischen Textualitätshinweisen und sprachlichem Ausdruck nicht immer eins zu eins ist, sondern auch in derselben sprachlichen Form verschiedene Textualitätshinweise zusammenfallen können. Ein Beispiel dafür ist die Überschrift dieses Unterkapitels („1.2 Textualitätshinweise“). Sie liefert einerseits einen Hinweis für die Textgliederung, der erkennen lässt, wo eine neue textuelle Einheit beginnt und wie ihr Stellenwert innerhalb des gesamten Textes ist. Andererseits liefert sie einen thematischen Hinweis, durch den verstanden werden soll, worum es in einer textuellen Einheit geht und auf welche Weise das Thema der textuellen Einheit mit dem Textganzen verbunden ist.

Abgrenzungs- und Gliederungshinweise

Die Begrenzbarkeit sprachlicher Erscheinungsformen nach außen und ihre Gliederung nach innen stehen zueinander in enger Beziehung, weshalb sie gemeinsam erläutert werden sollen. Woher wissen wir, wo ein Text anfängt und wo er aufhört? Woher wissen wir, welche Untereinheiten er enthält, was dazugehört und was nicht?

Es gibt Hinweise auf Textgrenzen, die dem Leser signalisieren, wo eine textuelle Einheit beginnt und wo sie aufhört. In seltenen Fällen geben diese Signale Wörter wie Anfang oder Ende, häufiger gibt das Schriftbild mit seinen Seiten- und Zeilenumbrüchen, Leerzeichen, Schrifttypen, Schriftgrößen und vielen anderen Hervorhebungen derartige Zeichen. Relevant kann auch die Materialität der Schrift sein. So unterscheiden sich etwa die Textgrenzen eines Buches von denen eines Briefes: Buchdeckel vs. Briefumschlag.

Bisher fehlen in der germanistischen Forschungs- und Lehrliteratur klare operationale Kriterien für eine Klassifizierung der Abgrenzungs- und Gliederungshinweise von Texten. Prinzipiell scheint es bei der Beschreibung textueller Grenzen und Muster darauf anzukommen, Einheiten nachzuzeichnen, die im Text schon vorgezeichnet sind, und diese dann unter Berücksichtigung ihrer Produktions- und Rezeptionsbedingungen nach der Art ihrer Materialität zu klassifizieren. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Abgrenzungs- und Gliederungshinweisen innerhalb und außerhalb des eigentlichen Textes, wobei im Zentrum des linguistischen Interesses naturgemäß die innersprachlichen Hinweise zu Textgrenzen und Textmustern stehen.

Abgrenzungshinweise außerhalb des Textes sind besonders leicht zu identifizieren, wenn sie mit den materialen Grenzen des Zeichenträgers zusammenfallen und somit sinnlich stark wahrnehmbar, d.h. greifbar, spürbar und deutlich sichtbar sind. Dies kann bei einem Bucheinband, der den Anfang und das Ende der Lektüre suggeriert, ebenso der Fall sein wie bei einzelnen, losen bedruckten oder beschriebenen Zetteln oder Blättern wie einem Beipackzettel, bei dem die materiale Einheit einen Hinweis auf die Ganzheit des Aufgedruckten oder -geschriebenen gibt.

Schwerer kann die Abgrenzung von einzelnen Texten innerhalb eines Zeichenträgers sein (z.B. einer Erzählung in einem Sammelband, einer Anzeige in einer Zeitung). Zu den Abgrenzungshinweisen außerhalb des eigentlichen Textes zählen dann bestimmte Merkmale des Layouts/Designs wie beispielsweise der schwarze Trauerrand um eine Todesanzeige. Neben diesen Abgrenzungshinweisen außerhalb des Textes existieren in der Regel innerhalb des Textes zahlreiche Hinweise auf die Ganzheit des Textes. Sie sollen im Folgenden Ganzheitshinweise genannt werden.

Abb. 1:

Buchcover (Gudula List „Wie Kinder soziale Phantasie entwickeln“)

In Abhängigkeit von der Textsorte und der materialen Grundlage eines Textes können sich Ganzheitshinweise auf verschiedenen Ebenen befinden. Im Falle eines Buches (vgl. Abb. 1) gehören dazu sprachlich-typographische Hinweise wie der Titel (z.B. Wie Kinder soziale Phantasie entwickeln), Titeleien (Titelangaben) wie Autorenangaben (z.B. Gudula List), Verlagsangaben (z.B. narr/francke/attempto) und die Angabe der ISBN-Nummer (vgl. Abb. 1). Derartige Angaben sollen dazu dienen, im Inneren des Textganzen Anfang und Ende zu markieren. Dabei stehen die Ganzheitshinweise, wenn die Textgrenzen den materialen Grenzen des Zeichenträgers entsprechen, zumeist an einem prominenten Ort für die typographische Gestaltung, auf dem Einband. Dies ist bei Büchern ebenso der Fall wie etwa bei umfangreicheren Werbeprospekten (vgl. Abb. 2). Hier stehen an Stelle eines Titels und des Autorennamens der Name des beworbenen Produkts und des Herstellers/des Unternehmens.

Abb. 2:

Verlagsprospekt (Narr/Francke/Attempto-Verlag „Neuheiten\1. Halbjahr 2016“)

Ferner können zu den Ganzheitshinweisen diejenigen Elemente gezählt werden, die darauf aufmerksam machen, dass der „eigentliche“ Textinhalt erst beginnt bzw. an dieser Stelle bereits endet. Dazu gehören Begrüßungs-, Anrede- und Verabschiedungsformeln ebenso wie das Wort Ende bei bestimmten Textsorten. Gerade bei den Eröffnungs- und Beendigungshinweisen kann vielfach jedoch keine scharfe Unterscheidung zwischen Ganzheits- und Gliederungshinweis vorgenommen werden. So sind in jedem Fall bei einem Zeitungsartikel die Überschrift und das Kürzel des Autorennamens bzw. der Agentur als Ganzheitshinweis, also als innersprachlicher Abgrenzungshinweis, anzusehen, zugleich stellt gerade die Überschrift ein wichtiges Gliederungsmerkmal der Textsorte dar. Wie die Beispiele zeigen, werden Textgrenzen zudem oft mehrfach angezeigt. Im Falle eines Briefes können dies z.B. die materiale Einheit, sprachlich-typographische oder metasprachliche Hinweise (z.B. Post Scriptum) sein.

Gliederungshinweise beziehen sich stets auf ein Textganzes, dessen innere Struktur weiter unterteilt werden kann. Dazu gehören Hinweise, die dazu beitragen, dass ein Textganzes in Teiltexte eingeteilt werden kann, die Teiltexte in weitere Teiltexte, wodurch sich eine hierarchische Relation zwischen textuellen Unter- und Obereinheiten ergibt.

Genauso wie bei den Abgrenzungshinweisen kann bei den Gliederungshinweisen zwischen textinternen und -externen unterschieden werden. Außersprachliche Gliederungshinweise ergeben sich in vielen Texten gleich auf den ersten Blick durch das Druck- oder Schriftbild (Drucksatz) und die darin zum Ausdruck kommenden typographischen Möglichkeiten der Textgestaltung, des Layouts (z.B. Zeilenumbrüche, Freiräume, links- und rechtsbündiger Druck). Die Synthese von außersprachlichen und innersprachlichen Gliederungshinweisen zeigt sich beispielsweise deutlich bei Überschriften oder Titeln, die zum einem über einer textuellen Einheit stehen und graphisch durch verschiedene Mittel hervorgehoben werden können (andere Schriftgröße, Fettdruck usw.) und sich zum anderen durch eine bestimmte Musterhaftigkeit auf der sprachlichen Ebene auszeichnen.

Für innersprachliche Gliederungshinweise soll hier – analog zum Begriff des stilistischen Handlungsmusters – der Terminus ‚Musterhinweis‘ vorgeschlagen werden. Musterhinweise bestehen zunächst aus metakommunikativen Hinweisen wie dem Wort Inhaltsverzeichnis oder der Überschrift Zu diesem Buch in diesem Lehrbuch. Musterhinweise ergeben sich zudem durch das Vorhandensein bestimmter Textelemente wie z.B. der Dachzeile, der Hauptzeile/Schlagzeile und der Unterzeile in journalistischen Textsorten oder der Adresse des Empfängers, der Anschrift des Empfängers, der Orts- und Datumsangabe, der Betreffzeile, der Anrede und Mitteilung sowie der Grußformel und Unterschrift bei einem Geschäftsbrief. Wie die Beispiele zeigen, sind Hinweise auf Musterhaftigkeit – ebenso wie andere Gliederungs- und Abgrenzungshinweise – immer auch Hinweise auf Textsorten oder Kommunikationsbereiche, die aus der Vertrautheit von Lektüreanlässen und Lektürekontexten resultieren und sich folglich wahrnehmungs- und wissensabhängig ergeben. Dies betrifft in besonderem Maße auch die Musterhaftigkeit des textuellen Gewebes, die sich einerseits in komplexen stilistischen Merkmalen wie den konvergenten und divergenten stilistischen Mustern (vgl. Kap. 3.3), andererseits in speziellen, durch die Textanordnung bedingten Hinweisen spiegelt.

Modelle für Musterhinweise, die aus der Textanordnung resultieren, gelten als typisch für den Kommunikationsbereich der Belletristik und die damit verbundene primäre Textfunktion ‚Ästhetisch Unterhalten‘. Aus dieser Unterhaltungsfunktion ergibt sich vielfach eine charakteristische Formorientierung. Ein typisches Beispiel dafür sind die Reimformen in einem Gedicht:

Es ist alles eitel

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.

Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;

Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,

Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.

Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein,

Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.

Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

 

Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.

Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehn?

Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;

Als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.

Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!

(Andreas Gryphius, 16371)

Auch in anderen Kommunikationsbereichen können sich Musterhinweise aus der Art der Textanordnung ergeben. Innerhalb der Gebrauchstextsorten geschieht dies zum einen häufig bei Texten, die ebenfalls – wenn auch sekundär – der Unterhaltung dienen sollen und in denen durch betont auffällige bzw. abweichende Textgestaltung versucht wird, die Aufmerksamkeit des Lesers zu steuern (z.B. Werbeanzeigen). Musterhaftigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang zumeist Figuriertheit in der Form und/oder im sprachlichen Ausdruck, die oft mit dem Auftreten rhetorischer Figuren einhergeht (z.B. Alliteration: Bitte ein Bit!) und kaum von komplexen stilistischen Handlungsmustern abzugrenzen ist (Kap. 3.3). Ganz andere, jedoch sehr deutliche Hinweise auf Musterhaftigkeit der Textanordnung ergeben sich innerhalb der Gebrauchstextsorten außerdem aus Aufzählungen, die als alphabetische oder numerische Listen und Verzeichnisse textuelle Untereinheiten oder auch textuelle Ganzheiten (z.B. Telefonbuch) bilden können.

Die genannten Beispiele zeigen, dass Musterhinweise häufig auf Wiederholungen basieren. Dies kann – wie im Falle der Alliteration – die Wiederholung einzelner Buchstaben des Alphabets sein. Es kann ebenso die Wiederkehr von bestimmten Graphem- und Phonemkombinationen2 sein, die zu verschiedenen Reimvarianten (wie Endreim, Binnenreim, Anfangsreim usw.) führt. Auch aus der Wiederholung von Wörtern und syntaktischen Konstruktionen können textsortenspezifische Musterhinweise resultieren. Typische Beispiele dafür sind sogenannte ‚Schlüsselwörter‘ in Texten der Unternehmenskommunikation wie z.B. das Wort Freude in der Marketingkampagne des Unternehmens BMW oder die Wiederholung abschnittsförmiger Einheiten innerhalb von Liedtexten.

In der folgenden Übersicht wird die terminologische Differenzierung von Abgrenzungs- und Gliederungshinweisen nochmals zusammenfassend abgebildet (vgl. Abb. 3).

Abb. 3:

Abgrenzungs- und Gliederungshinweise im Überblick

Verknüpfungshinweise

Texte sind sinnvolle Verknüpfungen sprachlicher Zeichen in einer bestimmten Abfolge. Als charakteristisch für diese Abfolge gilt der Anschluss satzförmiger Einheiten aneinander und die damit einhergehende Bildung einer übersatzförmigen Einheit. Dies ist nicht zwingend erforderlich, denn ein Text kann auch aus Einheiten bestehen, die nicht als Sätze zu definieren sind. Besteht ein Text jedoch – zumindest partiell – aus Sätzen, so wird die Frage nach den Formen der Textverknüpfung relevant, im anderen Fall wird der Zusammenhalt des Textes stärker auf der Ebene der Textgliederung (vor allem durch Musterhaftes) angezeigt und ergibt sich dann wahrnehmungs- und wissensabhängig (vgl. Kap. 2.1.1).

 

Textverknüpfung wird durch grammatische und lexikalische Elemente an der lesbaren Textoberfläche bewirkt und beruht auf semantischen Beziehungen innerhalb eines Textes. Gerade hinsichtlich dieses semantischen Aspekts stimmt sie mit einem Kohäsionsbegriff überein wie er von Halliday/Hasan (1976) eingeführt wurde.1

The concept of cohesion is a semantic one; it refers to relations of meaning that exist within the text, and that define it as a text. (Halliday/Hasan 1976, S. 4)

Hinweise auf Textverknüpfung signalisieren einerseits bestimmte grammatische Elemente. Dazu gehören vor allem Pro-Formen, sog. Stellvertreterwörter, die zum inhaltlichen Zusammenhang eines Textes beitragen, indem sie auf andere Elemente des Textes verweisen. Hinsichtlich der Verweisrichtung kann zwischen ‚anaphorisch‘ und ‚kataphorisch‘ unterschieden werden. Dabei beziehen sich anaphorische Elemente auf einen vorangehenden Teil des Textes, kataphorische Elemente weisen auf Elemente eines Textes voraus. Pro-Formen referieren auf denselben außersprachlichen Gegenstand oder Sachverhalt wie ihr Bezugselement und verbinden damit einen Ausdruck mit anderen Sprachzeichen des textuellen Gewebes. Wegen ihrer zumindest vordergründigen semantischen Leere stellen sie zugleich Suchanweisungen im Text dar. Textverknüpfungshinweise gehen auch von grammatischen Elementen aus, die dem Rezipienten zu verstehen geben, wie bereits Gelesenes und noch zu Lesendes zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen, indem sie die logische Beziehung zwischen Vorgänger- und Nachfolgertext durch Konnektoren spezifizieren. Die Verbindung von Sätzen zu einem Text wird zudem durch Interpunktion angezeigt, weshalb von den verschiedenen Interpunktionszeichen ebenfalls starke Verknüpfungshinweise ausgehen. Darüber hinaus beruht Textverknüpfung auch auf der beständigen Wiederholung bzw. dem kontinuierlichen Auftreten einzelner grammatischer Merkmale, vor allem der sogenannten Tempuskonstanz. Hinweise auf Textverknüpfung unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Richtung, sondern auch ihrer Reichweite, der Größe der verknüpften Einheiten und der Spezifik der angezeigten Beziehung. Sie werden traditionell in ihrer grammatischen Relation zum Satz erfasst, obwohl sie ihre eigentliche Wirkung oft erst auf der Ebene des Textes entfalten. Die ausführliche Beschreibung der einzelnen grammatischen Verknüpfungszeichen erfolgt deshalb in Zusammenhang mit der obersten Ebene textlinguistischer Beschreibung und Analyse, der Textebene (vgl. Kap. 2.1.2 „Textkonstitution“).

 

Hinweise auf Textverknüpfung geben auch lexikalische Elemente, insbesondere Substantive, Verben und Adjektive als die wichtigsten Vertreter der offenen Wortklassen. Lexikalische Textverknüpfung kommt insbesondere durch Rekurrenz, d.h. die wörtliche Wiederholung von Lexemen, zustande. Zur Einheitlichkeit und inhaltlichen Kontinuität trägt auch partielle Rekurrenz als komplexere Form der lexikalischen Repetition sowie Substitution bei. Unter Substitution wird die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen bei gleichbleibendem Bezug auf einen außersprachlichen Sachverhalt verstanden (sog. „Referenzidentität“; vgl. auch Kap. 3.2.3). Sie basiert auf systematischen Beziehungen im Lexikon, weshalb die Verwendung von Synonymen, Hypero- und Hyponymen, Antonymen u.v.m. ebenfalls einen Hinweis auf die Textverknüpfung darstellen kann.

Hinweise auf die thematische Zusammengehörigkeit

Jeder Text, der informativ und verständlich sein soll, hat ein Thema. Mitunter haben Texte auch mehrere Themen, die miteinander verflochten oder gegeneinander gestellt werden. Hinweise auf die thematische Zusammengehörigkeit umfassen deshalb Hinweise auf die thematische Struktur von Texten, die zur Einführung, Beibehaltung, Entwicklung, Beendigung und gegebenenfalls der Wiederaufnahme von Themen dienen (vgl. Hausendorf/Kesselheim 2008).

 

Hinweise auf die thematische Zusammengehörigkeit erlauben es, die thematischen Stränge eines Textes bzw. seine Informationsstruktur nachzuzeichnen. Sie fallen in vielen Fällen mit Verknüpfungshinweisen zusammen. So dienen Pronomina nicht nur der Textverknüpfung, sondern geben auch einen Hinweis auf die thematische Zusammengehörigkeit, indem sie die Beibehaltung einer bestimmten Thematik im Text anzeigen. Ebenso signalisiert die Substitution den gleichbleibenden Bezug und enthält darüber hinaus eine Variation mit der inhärenten Option zur Themenentwicklung.

Gegenüber derartigen – in grammatischer und lexikalischer Hinsicht fest verankerten – Hinweisen auf die thematische Zusammengehörigkeit ergeben sich andere stärker wissensabhängig, z.B. durch die Vertrautheit mit bestimmten Gebrauchskontexten von Ausdrücken. Es geht dabei um den Teil der Sinnkontinuität von Texten, der vom Rezipienten durch kognitive Prozesse konstruiert wird (vgl. de Beaugrande/Dressler 1981, S. 84f.), weil es der Kontext und sein gespeichertes Weltwissen erlauben, im Text nicht ausdrücklich genannte Schlussfolgerungen zu ziehen.

Solche Hinweise auf die thematische Zusammengehörigkeit, die während des Rezeptionsprozesses durch Interpretation und Inferenz hergestellt werden, lassen sich mithilfe von theoretischen Konzeptionen zur kognitiven Wissensrepräsentation nachzeichnen. Dazu gehören allgemeine Formen der Wissensrepräsentation wie sie im Rahmen der Forschung zur Künstlichen Intelligenz entwickelt wurden: sog. frames und scripts (vgl. Minsky 1977 und Schank/Abelson 1977). Ein Frame bezieht sich auf eine Datenstruktur im Sinne eines Wissensbündels, das mit alltäglichen Standardsituationen verbunden ist und zusammengehörende, hierarchisch geordnete Elemente enthält. Zu einem Frame gibt es typische slots, die mit sog. fillers versehen werden. Der Frame ‚Haus‘ umfasst beispielsweise Slots wie ‚Küche‘, ‚Badezimmer‘ und ‚Adresse‘. Die Wörter eines Textes werden beim Textverstehen als Fillers diesen im Weltwissen gespeicherten Slots zugeordnet oder – falls der Text für bestimmte Slots keine Fillers enthält – durch das Mittel der Inferenz1 aus seiner Weltkenntnis ergänzt. Wenn ein Rezipient die Frames kennt, die in einem Text vorkommen, wird dadurch das Textverstehen erheblich erleichtert (vgl. Schubert 2008, S. 72f.). Dies ist auch bei einem Skript der Fall, welches im Vergleich zum statischen Frame den beteiligten Elementen zusätzlich eine chronologische Reihenfolge zuordnet. Es beschreibt einen charakteristischen Handlungsablauf einschließlich der zugehörigen Gegenstände und Aktanten (beispielsweise die Handlungsroutinen und Akteure beim Einkauf eines Produkts in einem Geschäft).

 

Auch das Isotopiekonzept ist schließlich dazu geeignet, Hinweise auf die thematische Zusammengehörigkeit abzubilden. Isotopiehinweise resultieren aus der Wiederkehr semantischer Merkmale in einem Text. Dabei handelt es sich jedoch nicht um standardisierte lexikalische Beziehungen, sondern um eine textbezogene Aktivierung semantischer Merkmale, die sich relativ und in Differenz zu anderen Lexemen ergibt und einen thematischen Strang bildet.

Gegenüber thematischen Hinweisen, die an der Textoberfläche grammatisch und lexikalisch verankert sind, unterliegen letztere, die sich wissens- und kontextabhängig ergeben, obwohl sie im Text selbst nicht benannt sind, stärker individuellen Aspekten des Textverstehens. Deshalb kann Kohärenz rezipientenabhängig bis zu einem gewissen Grad variieren, je nachdem, wie viel Interpretationsspielraum der Text bietet.

2.Ebenen der Textbeschreibung

2.1Textebene

Die primäre und oberste Ebene der textlinguistischen Analyse ist die Textebene. Entsprechend den o.g. theoretischen Voraussetzungen geht die Beschreibung der Textebene von der Vorstellung aus, dass der Untersuchungsgegenstand ‚Text‘ ein synthetisches Gebilde oberhalb der Satzebene darstellt, das auf vielfältige Weise organisiert ist. Die grundsätzliche Unterscheidung solcher Organisationsformen spiegelt die Binnengliederung dieses Unterkapitels wider, indem zunächst zwischen Aspekten der Textgliederung (Kap. 2.1.1) und Elementen der Textkonstitution (Kap. 2.1.2) differenziert wird. Das Zusammenwirken beider verdeutlichen z.B. bestimmte Ausprägungen komplexer stilistischer Handlungsmuster wie sie insbesondere in Überschriften von Zeitungen, Zeitschriften und Prospekten oder auch in Betreffzeilen von Geschäftsbriefen zu finden sind, die in der Regel durch ein spezifisches Layout vom eigentlichen Text abgegrenzt werden. Es handelt sich um sog. „strukturell determinierte stilistische Muster“ (vgl. Kap. 3.3.3), wie beispielsweise Satzverkürzungen durch Prädikatsauslassung (z.B. Westerwelle erfolgreichster FDP-Chef aller Zeiten; Der neue BMW7er – hellwach, selbst in tiefster Nacht) oder Satzfragmente (z.B. Uniklinik im Finanz-Koma; Sicherheit, die entspannt und begeistert).

2.1.1Textgliederung

Den Ausgangspunkt für die Beschreibung der Gliederung eines Textes bildet die Abgrenzung eines textuellen Ganzen nach außen. In vielen Fällen ist die Festlegung der Außengrenzen unproblematisch, wenn die materiellen Grenzen des Zeichenträgers mit den Textgrenzen übereinstimmen oder eine typische Technik der Textsammlung (z.B. eine Zeitschrift) vorliegt, die klare Hinweise für die Abgrenzung einzelner Texte liefert (z.B. eine Geburtsanzeige innerhalb dieser Zeitschrift).

Die Außengrenzen – in Form von außersprachlichen Abgrenzungshinweisen und innersprachlichen Ganzheitshinweisen – zeigen den Umfang eines Textes an und legen damit zugleich die textuelle Obereinheit fest, auf die sich die weitere Differenzierung von Textteilen bezieht. Die Aufteilung der Innenwelt eines Textes in unterschiedliche (teils hierarchisch strukturierte) Einheiten erfolgt aufgrund von Gliederungs- und Musterhinweisen und basiert zum großen Teil auf einem Musterwissen im Sinne einer Top-down-Verarbeitung. Diese beteiligt unsere Vorerfahrungen, unser Wissen, unsere Erwartungen, unsere Motive und den kulturellen Hintergrund bei der Wahrnehmung der Welt. In Bezug auf die Prozesse der Textproduktion und Textrezeption ist davon auszugehen, dass die Kommunikationsbeteiligten ihre im Bewusstsein gespeicherte kommunikative Erfahrung und das entsprechende Wissen über Texte, das das Ergebnis einer Verallgemeinerung bestimmter Qualitäten von Texten ist, intuitiv oder bewusst einsetzen. Musterwissen ist folglich eine integrale Komponente vorgängiger Kommunikationserfahrung. Es beruht darauf, dass sich durch das Hören und Lesen von Textexemplaren gleiche oder ähnliche Texte im Hinblick auf Varianten und Invarianten miteinander verbinden, verallgemeinert abgebildet werden und somit Prototypen und Strukturmodelle, eben Muster von Texten herausbilden können.

Aus dem Umstand, dass bei der Textproduktion zwangsläufig auf überlieferte Vorgaben, Einheiten und Muster zurückgegriffen wird, resultiert jedoch nicht, dass jeder Text unbedingt ein vorgegebenes Muster realisiert. Denn auch relativ freie Kompositionen, im Sinne von untypischen Kombinationen von Einzelmerkmalen, können dazu geeignet sein, eine Kommunikationsaufgabe optimal/adäquat zu lösen. Ausschlaggebend ist die Frage, wie deutlich eine bestimmte Menge von Texten spezifiziert ist bzw. wie standardisiert eine Textsorte ist. Hinsichtlich einer Textsortenklassifikation (vgl. Kap. 4.3.4) ist demgemäß eine Skala anzunehmen, an deren einem Ende Texte in Formularform1 stehen, am anderen Texte, bei denen die individuelle Aussage- und Gestaltungsabsicht eine zentrale Rolle spielt. Dazwischen befinden sich Textsorten, die mehr oder weniger stark standardisiert sind und insofern als kommunikative Routinen auf der Textebene bezeichnet werden können, als sie einander unter verschiedenen Gesichtspunkten sehr stark ähneln.

Abb. 4:

Beispiel Geschäftsbrief (Narr Francke Attempto Verlag 2016)

Gliederungs- und Musterhinweise kennzeichnen nicht nur bestimmte (oft hierarchische) Relationen zwischen textuellen Einheiten, sondern können durch ihren Bezug auf ein Textganzes zugleich auch eine thematische Verbindung der gegliederten Textteile bewirken. Im Falle von stärker standardisierten bzw. formalisierten Textsorten wie einem Geschäftsbrief (vgl. Abb. 4) sind Gliederungs- und Musterhinweise wie die Platzierung von Anschrift, Datumsangabe, Betreff, Anrede- und Verabschiedungsformen großenteils normiert und vorgegeben, während bei denjenigen Textsorten, bei denen die individuelle Aussage- und Gestaltungsabsicht des Textproduzenten eine weit größere Rolle spielt, nur noch bestimmte Eckdaten angegeben werden können. Die Ebene der Textgliederung lässt sich deshalb bei diesen zuletzt genannten, wenig standardisierten Textsorten insbesondere anhand der Frage, in welchem Ausmaß ein Text eine Textsorte repräsentiert und wie er mit den entsprechenden Vorgaben umgeht, beschreiben. Dies wird im Folgenden exemplarisch an der Textsorte ‚Werbeanzeige‘ gezeigt, weil Werbeanzeigen die Aufmerksamkeit des Rezipienten erregen sollen und deshalb sehr verschieden gestaltet sind, um jede Stereotypisierung zu vermeiden. Gleichwohl ergeben sich Gemeinsamkeiten vieler ein- bis zweiseitiger Printanzeigen bezüglich der äußeren Gliederung des Textes in mehrere, meistens drei funktionale Textelemente. Im Schema des dreiteilig gegliederten Werbetextes sind dies Schlagzeile, Fließtext und Slogan:

Besonders auffällig sind die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Schlagzeile (Headline), die sich nicht zwangsläufig über der Gesamtanzeige befinden muss, sondern auch zwischen Bild und Fließtext, innerhalb des Bildes oder seltener am Anzeigenrand platziert sein kann. Schlagzeilen können auch aus zwei oder mehreren sich ergänzenden Teilen bestehen (Topline und/oder Subheadline) oder einem optisch hervorgehobenen Kurztext. Ein eindeutiges Identifikationsmerkmal der Schlagzeile ist ihre Typographie, denn sie erscheint im Vergleich zu anderen Textelementen fast ausnahmslos in fetteren und größeren Lettern oder ist in Form von Kursiv- und/oder Versal- und/oder Sperrdruck usw. hervorgehoben.

In den meisten Anzeigen findet sich in variierender Position ein Fließtext (Copy), der der differenzierten Produktpositionierung dienen soll, indem er das Thema der Schlagzeile näher ausführt und präzisiert oder das Bildmotiv der Anzeige sprachlich formuliert bzw. mit weiteren Angaben ergänzt. Der Fließtext kann auch ein lediglich graphisches Kommunikationselement der Anzeige sein, das insbesondere bei kurzzeitig betrachteten Anzeigen allein durch die Form eines zusammenhängenden Schriftblocks eine gewisse Glaubwürdigkeit erzeugt. Das heißt, dem Fließtext als kommunizierendem Anzeigenelement können prinzipiell zwei Funktionen zugeordnet werden: eine informatorische, denn dem Leser soll Wissenswertes über das Beworbene mitgeteilt werden, und eine suggestive, die Kompetenz und Glaubwürdigkeit vermittelt und damit zur Übernahme der werblichen Behauptungen führen soll.

Hinsichtlich der Textlänge und der äußerlichen Gestalt variieren Fließtexte sehr. Längere Texte enthalten vielfach Gliederungsmerkmale wie Einzüge, Absätze oder Zwischenüberschriften (Sublines). Letztere sollen dem Rezipienten einen Überblick über die einzelnen Textabschnitte ermöglichen, indem sie deren Inhalt prägnant zusammenfassen. Sie können so vor allem dem wenig involvierten Leser einen komprimierten Eindruck über die im Fließtext enthaltenen Informationen verschaffen. Zu diesem Zweck werden auch häufig einzelne Wörter oder Wortgruppen innerhalb des Textes unterstrichen, fett oder andersfarbig gedruckt, um auch beim flüchtigen Betrachten der Anzeige die Wahrnehmung der wichtigsten Informationen über das Beworbene zu ermöglichen. Weitere Gestaltungsmerkmale bilden Vorlauftexte (sog. Intros), die meistens fett oder halbfett gedruckt sind und sich insofern gegenüber dem Rest des Fließtextes abheben. Sie dienen als Vorspann, mit dem durch Teilinformationen die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf das Thema des Gesamttextes gelenkt werden soll. In vielen Anzeigen folgen auf den Fließtext sog. Claims, d.h. kurze Zusammenfassungen, die inhaltlich eng an den jeweiligen Fließtext gebunden sind. Sie treten nicht in anderen Anzeigen auf, die dasselbe Produkt unter verändertem Aspekt bewerben, und sind dadurch von Slogans abzugrenzen.

Der Slogan wird anzeigen-, häufig auch medienübergreifend eingesetzt und als eine Textkonstante verstanden, die unabhängig vom jeweiligen Werbemittel an ein bestimmtes zu Bewerbendes gebunden ist. Er beinhaltet immer den Firmen-, Marken- oder Produktnamen, da es eine seiner wichtigsten Funktionen ist, diesen Namen bekannt zu machen. In der Regel befindet sich der Slogan an einer exponierten Position innerhalb der Printanzeige, vorzugsweise am unteren rechten Ende.

Neben diesen drei zentralen Textelementen haben vor allem Bildmotive eine besondere Bedeutung für die Gliederung von Printanzeigen, denn unabhängig vom Involvement2 des Rezipienten werden Bilder fast immer als erstes und am längsten betrachtet, wodurch dem Bild als Anzeigenelement eine herausragende kommunikative Funktion zukommt.

Die Bildelemente von Werbeanzeigen können nach ihrer Funktion in Key-Visual, Catch-Visual und Focus-Visual unterschieden werden, wobei das erstgenannte „Schlüsselbild“ in der Regel das Beworbene selbst, etwa ein konkretes Produkt, abbildet. Mit dem Begriff ‚Catch-Visual‘ wird der künstlerisch gestaltete Bezugsrahmen bezeichnet, der das Beworbene jeweils situativ umgibt. Das Catch-Visual soll folglich als Blickfang fungieren, indem es den Blick des potentiellen Rezipienten auf sich zieht, um ihn danach auf das Key-Visual zu dirigieren.

Die Bezeichnung ‚Focus-Visual‘ erfasst bestimmte Wiederholungen von Teilen des Bildmotivs, wobei es sich in der Regel um einzeln stehende, kleinere Bildelemente handelt, die die Realität stark abstrahieren und der Erklärung bestimmter Verwendungs- oder Einsatzbedingungen des Beworbenen dienen sollen. Dementsprechend liegt ihre Funktion auch darin, dem Rezipienten das Verständnis bestimmter sprachlich beschriebener Vorgänge durch Abbildungen zu erleichtern.

Hinsichtlich der funktionalen Unterscheidung einzelner Text- und Bildelemente ist zudem zu bemerken, dass Schlagzeilen und Bildelemente normalerweise insofern in ihrer Funktion übereinstimmen, als sie den Rezipienten zum Betrachten der gesamten Anzeige veranlassen sollen. Dabei können sie sich in vielen Fällen kommunikativ ergänzen, indem etwa durch Wechselbeziehungen zwischen Schlagzeile und Bildelement das Erzielen witziger Effekte ermöglicht wird. In Bezug auf die Form der Informationsvermittlung sind Bilder gegenüber sprachlichen Anzeigenelementen prinzipiell weniger eingeschränkt, sie sind vielfach nicht klar abgrenzbar und enthalten zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten. Deshalb haben die sprachlichen Elemente innerhalb von Text-Bild-Zusammenhängen oft die Funktion, die Interpretation einzuschränken bzw. sie in eine vom Produzenten intendierte Richtung zu lenken.

 

 

Beispielanalyse

 

Anhand dieser – hier nur grob skizzierten – Beschreibungskriterien lassen sich nun einzelne Vertreter der Textsorte ‚Werbeanzeige‘ im Hinblick auf die Ebene der Textgliederung beschreiben. Dies soll exemplarisch an der Printanzeige „Audi“ (vgl. Abb. 5) gezeigt werden:

Die einseitige Printwerbung ist in vier ungleich große Felder unterteilt, deren farbliche und typographische Gestaltung die inhaltliche Zusammengehörigkeit des linken oberen Viertels mit dem rechten unteren Viertel signalisiert. Verstärkt durch den Doppelpfeil wird eine semantische Beziehung zwischen der abgewandelten Form des Produktnamens Audi ultra (für Audi TTRS) und der Wortneubildung Leichtgeschwindigkeit nahe gelegt. Funktionell sind die Textteile als Schlagzeile zu interpretieren, das Textelement Die Zukunft automobilen Leichtbaus entsprechend als Subheadline. Durch die Zusammensetzung der beiden Textteile zur Aussage Audi ultra >> Leichtgeschwindigkeit entsteht zugleich ein bestimmter Typ des strukturell determinierten stilistischen Handlungsmusters (vgl. Kap. 3.3.3). Die Verwendung solcher stilistischer Muster gilt wiederum als typisches Textsortenmerkmal von Werbeanzeigen (vgl. Kap. 4.3.5) und ist dabei vor allem an syntaktisch reduzierte Textsortenelemente wie Schlagzeile oder Slogan gebunden, die die zweigliedrige Minimalstruktur des deutschen Satzes (Subjekt und Prädikat) in der Regel unterschreiten. Typisch für Slogan- und Schlagzeilenelemente ist darüber hinaus ihre Extrastellung, die erheblich zur Figurierung und Stilisierung beiträgt. Im Beispieltext nimmt das Sloganelement Audi Vorsprung durch Technik gemeinsam mit dem Firmenlogo eine Einzelposition im oberen rechten Anzeigenviertel ein. Der Fließtext findet sich demgegenüber am linken unteren Ende und weist deutliche Gliederungsmerkmale wie Absätze, Fettdruck oder Schriftartwechsel auf, die eine drei- bis vierfache Unterteilung bewirken.

Abb. 5:

Werbeanzeige (Audi TTRS3)

Formal stellt die Überschrift Der Audi TTRS mit 4,5 kg/PS Leistungsgewicht dabei erneut ein strukturell determiniertes stilistisches Muster dar, das inhaltlich als Verdichtung von Informationen des darauf folgenden kohärenten Haupttextes zu deuten ist. Inwiefern die Internetadresse www.audi.de/vorsprung-durch-technik (letzter Zugriff: August 2016) als separates Teilelement des Fließtextes zu verstehen ist, bleibt offen: dafür sprechen Fettdruck und fehlendes Satzschlusszeichen, dagegen die syntaktische Integration in die vorhergehende Äußerung. Getrennt durch einen Absatz schließt sich ein weiterer kurzer Textabschnitt an, in dem stichpunktartig zwei technische Angaben genannt werden.

Als zentrales Bildelement ist die Abbildung des beworbenen Produktes (das Schlüsselbild) im rechten unteren Anzeigenviertel anzusehen, das als Referenzobjekt zum Anzeigentext eindeutig identifizierbar ist. Außerdem bildet eine Abbildung den Hintergrund des oberen linken Viertels. Dieses Focus-Visual dient zur Erklärung des produktspezifischen Zusatznutzens (Audi Space Frame-Bauweise), indem es durch Visualisierung das Verständnis der sprachlich beschriebenen Produkteigenschaften erleichtern soll.

Die Analyse macht deutlich, dass sich die Printanzeige „Audi“ anhand der oben genannten Kriterien, die Eckdaten für die Gestaltung der wenig standardisierten Textsorte ‚Werbeanzeige‘ angeben, bezüglich der Ebene der Textgliederung gut beschreiben lässt:

Als Außengrenzen, die die textuelle Obereinheit festlegen, sind die Ränder der Zeitschriftenseite zu betrachten. Auch wenn diese nur teilweise mit den materiellen Grenzen des Zeichenträgers (ADAC Motorwelt 11/2011) übereinstimmen, so gelten doch eine oder zwei Seiten umfassende Printanzeigen als sinnlich stark wahrnehmbar – zumal es sich um eine typische Technik der Textsammlung (Zeitschrift) handelt, die vielfach selbige integriert. Die Textgliederung der Printanzeige weicht deutlich von anderen, vor allem den in Zeitschriften üblichen journalistischen Darstellungsformen ab, woraus wiederum deutliche Abgrenzungs- und Ganzheitshinweise4 resultieren.

In Bezug auf bestimmte Gliederungshinweise, die die außersprachliche Gestaltung betreffen, sind hauptsächlich die typographischen Besonderheiten des Layouts zu nennen. Musterhinweise ergeben sich hingegen durch das Vorhandensein der typischen Textelemente sowie der Musterhaftigkeit des textuellen Gewebes. So kommen ebenso wie zentrale Bildelemente alle drei funktionalen Textelemente (Schlagzeile, Fließtext und Slogan) im untersuchten Textsortenexemplar vor. Die Schlagzeile ist zweiteilig gegliedert, wobei der erste Teil, der den Produktnamen enthält, zusammen mit der Subheadline abgebildet ist, während der zweite Teil auf den produktspezifischen Zusatznutzen verweist und eine Einheit mit dem Schlüsselbild herstellt. Die Spaltung der Schlagzeile wirkt ebenso wie die Vierteiligkeit des Anzeigenhintergrundes einer stereotypen Gestaltung des Werbemittels entgegen.

 

Den Musterhinweisen können auch die verwendeten stilistischen Handlungsmuster zugeordnet werden, die hier in allen drei funktionalen Textelementen vorkommen und damit sowohl zur Stilisierung des Textes beitragen, als auch die Möglichkeit implizieren, von üblichen Formen des expliziten Bewertens abzuweichen.

Alles in allem ergibt sich daraus, dass das analysierte Textsortenexemplar als repräsentativer Vertreter der Textsorte ‚Werbeanzeige‘ angesehen werden kann, weil es einerseits der Erwartungsnorm entspricht, andererseits deutlich als Ergebnis einer individuellen Lösung der Kommunikationsaufgabe interpretiert werden kann.

Auch wenn die Problematik der Gliederung von Texteinheiten innerhalb von weniger standardisierten Textsorten hier am Beispiel ‚Werbeanzeige‘ diskutiert wird, scheint in diesem Zusammenhang erstens der Hinweis wichtig, dass es längst nicht für alle Textsorten vergleichbare Beschreibungskriterien gibt. Für den weitaus größeren Teil der in der Kommunikationsgemeinschaft vorkommenden Textsorten liegen lediglich grobe Beschreibungs- bzw. Klassifikationsvorschläge vor (vgl. Kap. 4.1), die die Ebene der Textgliederung kaum berücksichtigen. Zweitens ist prinzipiell auf die Verschiedenartigkeit von wissenschaftlichen Analyseergebnissen und einer Textsortenkompetenz im Sinne von Sprachbewusstsein hinzuweisen. Denn Textsorten stellen nicht nur das Ergebnis der theoretisch-analytischen Tätigkeit von Linguisten5 dar, die die kommunikative Realität mehr oder weniger detailliert abzubilden versuchen, sondern haben vor allem eine durch vielfältige intuitive Lernprozesse ausgebildete Existenz im Sprachbewusstsein der Kommunikationsteilnehmer. Dies spiegelt sich u.a. in selbständigen Benennungen von Textsorten wider, in denen sich das Alltagswissen der Sprecher über situationsgebundene Differenzierungen von Texten niederschlägt. Dabei ist zu beachten, dass das Sprachbewusstsein – also die Fähigkeit, über Sprache reflektieren zu können, sprachliche Ausdrucksmittel bewusst einzusetzen und zu bewerten – eine graduelle Größe ist. Sie reicht vom Sprachgefühl als dem relativ ungenauen, methodisch nicht kontrollierten Bewusstwerden einzelner Aspekte der Sprachfähigkeit bis zum wissenschaftlich reflektierten Sprachbewusstsein. Auch für den Bereich der Textsorten trifft diese Graduierung zu, wobei das bewusste Reflektieren über Textsorten in hohem Maße von der Lebenserfahrung, der Bildung und den beruflichen Kontexten des Sprechers abhängt. Aus dem Einfluss dieser Parameter ergeben sich unterschiedliche Grade an Textsortenkompetenz, worunter die Fähigkeit verstanden wird, auf der Grundlage eines mehr oder weniger bewussten Wissens über Textsortenqualitäten in der sprachlichen Kommunikation operieren zu können. Ein bestimmtes Maß an Textsortenkompetenz befähigt Sprecher zugleich, aufgrund bestimmter Gliederungs- und Musterhinweise mehr oder weniger intuitiv Einheiten und Hierarchien innerhalb von Texten zu identifizieren. Derartige Einheiten ergeben sich in vielen Texten unmittelbar durch das Druck- oder Schriftbild, sie werden dann z.B. verallgemeinernd als ‚Absatz‘ o.ä. bezeichnet oder textsortenspezifisch benannt (z.B. Lead).

Textuelle Einheiten kennzeichnen nicht nur bestimmte (häufig hierarchische) Relationen innerhalb eines Textes, sondern können durch den Bezug auf ein Textganzes auch die thematische Verbindung der Textteile bewirken. So ist im Falle von Überschriften, die ebenfalls zur typographischen Gliederung textueller Einheiten beitragen, einerseits zwischen solchen zu unterscheiden, die den Stellenwert der textuellen Einheit für das Textganze angeben. Andererseits gibt es Überschriften, die sich auf das Thema der dazugehörigen textuellen Einheit beziehen, und drittens solche, die gleichermaßen Hierarchie- bzw. Gliederungshinweise sowie Themahinweise darstellen. Im erstgenannten Fall handelt es sich um reine Gliederungsüberschriften, die auf die hierarchische Struktur der Teiltexte eines Textganzen verweisen und sich in einem System der Unter- und Überordnung befinden (z.B. Erster Teil, Erstes Kapitel). Enthalten solche Gliederungsüberschriften neben einer numerischen oder alphabetischen Angabe, die auf den hierarchischen Stellenwert verweist, auch thematische Aussagen, handelt es sich um Mischformen aus Gliederungs- und Themahinweisen, die sowohl der Orientierung des Lesers als auch der Einführung in die textuelle Thematik dienen (z.B. 2.1.1 Textgliederung). Thematische Überschriften stehen wie Titel über der textuellen Einheit und werden graphisch durch verschiedene Mittel hervorgehoben. Charakteristisch für solche thematischen Überschriften ist in sprachlicher Hinsicht eine bestimmte Figuriertheit (vgl. Kap. 3.3).

Die Ebene der Textgliederung bezieht sich primär auf die Erfassung und Beschreibung wahrnehmungsabhängiger Aspekte von Texten, die sogar dann als Textualitätshinweise erkannt werden, wenn die Sprache in einem Text (einer Fremdsprache) weder gelesen noch verstanden werden kann. Im Vergleich dazu setzen die Elemente der Textkonstitution bereits eine sehr spezialisierte Wahrnehmung voraus, die die Basis für das Verständnis sprachlicher Einheiten ist. Da Hinweise auf Musterhaftigkeit vielfach in der Lage sind, Verknüpfungshinweise zu ersetzen, tragen sie entsprechend auch zur Textkonstitution bei.

Weiterführende Literatur:

Adamzik, Kirsten: Textlinguistik. Eine einführende Darstellung. Niemeyer, Tübingen 2004.

Hausendorf, Heiko/Kesselheim, Wolfgang: Textlinguistik fürs Examen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008.

Krause, Wolf-Dieter (Hrsg.): Textsorten. Kommunikationslinguistische und konfrontative Aspekte. Lang, Frankfurt am Main 2000.

2.1.2Textkonstitution

Zur Textkonstitution tragen eine Reihe von verschiedenen Faktoren bei, die bereits in Verbindung mit Verknüpfungshinweisen und Hinweisen auf die thematische Zusammengehörigkeit genannt wurden und traditionell in Zusammenhang mit den Begriffen ‚Kohäsion‘ und ‚Kohärenz‘ stehen. Prinzipiell werden diese bedingt durch Elemente an der Textoberfläche und Wissensbestände, die sich aus dem Kontext und dem Weltwissen des Rezipienten ergeben (vgl. Abb. 6).

Abb. 6:

Faktoren der Textkonstitution

Textkonstitution durch grammatische und lexikalische Elemente an der Textoberfläche: Kohäsion

Einen wesentlichen Beitrag zur Textkonstitution können grammatische und lexikalische Elemente an der lesbaren Textoberfläche leisten. Obwohl sie natürlich zu einzelnen Sätzen und Satzteilen gehören, bezieht sich ihre Funktion auf die Ebene des Textes, denn sie erlauben Schlüsse über den Zusammenhang der Einzelsätze.

Beruht der Textzusammenhang auf textuellen Zeichenbeziehungen, die an grammatische Funktionswörter und -zeichen gebunden sind – dazu gehören vor allem diejenigen Wortarten, die mehr oder weniger abgeschlossene Klassen bilden – liegt grammatische Kohäsion vor. Sie bildet die grammatikalische Grundlage für die Verknüpfung von Sätzen zu Texten.

 

 

Pro-Formen

 

Als häufiger und deshalb zentraler Typ der Kohäsionsherstellung gilt im Deutschen eine spezifische Form der Wiederaufnahme, die Verknüpfung durch Pro-Formen. Dafür muss jeweils ein Ausdruck vorhanden sein, der den Satz rückwärts, d.h. zum Vorgängersatz bzw. -teilsatz anschließt (Substituens) und einer, der die Möglichkeit eröffnet, einen Nachfolgesatz bzw. -teilsatz anzuhängen (Substituendum). So zeigt etwa das folgende Beispiel eine durchgehende pronominale Verkettung, die erheblich zur Konstitution des Textes beiträgt:

Es war einmal eine kleine, süße Dirnej, diej hatte jedermannk lieb, derk siej nur ansah, am allerliebsten aber ihrej Großmutterl; diel wusste gar nicht, was siel alles dem Kindej geben sollte. Einmal schenkte siel ihmj ein Käppchen von rotem Sammet, und weil ihmj das so wohl stand und esj nichts anderes mehr tragen wollte, hieß es nur das Rotkäppchenj. („Die besten Märchen der Gebrüder Grimm“ 2001, S. 113 [Indizes zur Identifikation von Referenten nicht im Original])

Pro-Formen sind kurze Stellvertreterwörter, die auf andere Elemente des Textes verweisen, um einen semantischen Zusammenhang zu signalisieren. Typische Vertreter sind Pronomina, die in der Regel mit dem Ausdruck, den sie vertreten, in Genus und Numerus übereinstimmen. Für den entsprechenden Vorgang hat sich der Terminus ‚Pronominalisierung‘ etabliert, er bezeichnet die Vertretung eines sprachlichen Ausdrucks durch ein referenzidentisches Pronomen.1

Den Begriff ‚Referenz‘ haben Halliday/Hasan (1976) für die Funktion der Personal- und Demonstrativpronomina eingeführt. Er bezieht sich darauf, dass zwei- oder mehrmals auf denselben außersprachlichen Gegenstand oder Sachverhalt Bezug genommen wird, wobei zwischen einer Pro-Form und ihrem Bezugselement sog. „Koreferenz“ (also ein eindeutiger referentieller Bezug) besteht.

Hinsichtlich der Verweisrichtung sind prinzipiell außersprachliche von innersprachlichen Verweisen zu unterscheiden. Letztere fungieren textverknüpfend und sind damit phorische Verweise, während die zuerst genannten deiktisch zu interpretieren sind. Deiktisch fungieren in Texten etwa selbständig gebrauchte Pronomina.2 Sagt im Falle eines Autokaufs ein Sprecher zu seinem Gegenüber beispielsweise Ich nehme diesen hier und zeigt bei dieser Äußerung gleichzeitig auf ein bestimmtes Fahrzeug, so wird er auf jeden Fall verstanden. Möglicherweise versteht der Hörer durch die Wahl des Maskulinums ‚Ich nehme diesen Wagen hier‘ oder auch etwas anderes wie ‚Ich nehme diesen BMW hier‘, denn es gibt in einer solchen Situationen kein Substantiv, das eindeutig als das Bezugssubstantiv identifiziert werden kann. Weil mit dem Pronomen eindeutig auf einen bestimmten Gegenstand referiert wird, kann auch die Genuswahl zweitrangig sein: z.B. Ich nehme dieses hier (‚Ich nehme dieses Auto hier‘). Beim selbständigen Gebrauch erhält das Pronomen also seine grammatischen Eigenschaften (insbesondere Genus und Numerus) nicht durch eine formale Korrelation mit einem Bezugsausdruck, sondern aus anderen Quellen wie den Eigenschaften des Bezeichneten (vgl. Eisenberg 2006b, S. 167f.). Im Rahmen der Textanalyse sind solche Ausdrücke, bei denen sich das, was sie bezeichnen, nur unter systematischem Bezug auf die Äußerungssituation interpretieren lässt, also als deiktische, als außersprachliche Verweise einzustufen. Sie haben in der Regel die Neuorientierung des Adressaten auf ein Objekt, einen Sachverhalt usw. zum Ziel. Deiktisch gebrauchte Ausdrücke haben eine zeigende Bedeutung.3 Sie werden organisiert mithilfe des Begriffs ‚Origo‘, der die in Raum und Zeit situierte Äußerungssituation bezeichnet. Die Origo ergibt sich durch den Sprecher (ich), der an einem bestimmten Ort (hier) und zu einer bestimmten Zeit (jetzt) spricht. Diese urdeiktischen Ausdrücke ich, hier und jetzt bilden jeweils die Zentren eines Systems von Deiktika, die Personaldeixis, die Raumdeixis und die Zeitdeixis, die die Person-, Raum- und Zeitstruktur von Äußerungen betreffen.

 

Zur Textverknüpfung tragen Pronomina mit phorischer Funktion4 bei, weil sie auf Elemente innerhalb eines Textes verweisen. Beim phorischen Gebrauch wird die Form eines Pronomens von der Form eines anderen Elements, i.d.R. eines Substantivs bestimmt: z.B. An der Ecke stand Niklas. Er sah gestresst aus. Hier hat das Pronomen eine kontextgebundene Wortbedeutung. In Bezug auf die Richtung des Verweises bzw. der Verknüpfung können dabei zwei Varianten unterschieden werden: Geht der Bezugsausdruck wie im oben genannten Beispiel dem Pronomen voraus, liegt eine anaphorische Verknüpfung vor. Folgt der Bezugsausdruck dem Pronomen, wird dies als kataphorische Verknüpfung bezeichnet.

Anaphorische Elemente beziehen sich auf vorangehende Teile des Textes, während kataphorische Elemente auf nachfolgende Textteile vorausweisen.

Der anaphorische Gebrauch von Pronomina ist weitaus häufiger als der kataphorische. Das liegt vor allem daran, dass kataphorische Pronomina schwerer zu verarbeiten sind als anaphorische, weil zunächst offen bleibt, worauf sie sich beziehen. In kataphorischer Position begegnen Pronomen etwa bei Herausstellungen: z.B. Der ist nett, dein neuer Freund (vs. Dein neuer Freund, der ist nett)

Grammatische Vor- und Rückverweise beziehen sich auf Elemente des gleichen Texts, die zu ihrer Interpretation notwendig sind. Dabei kann der Umfang des Elements, auf das hingedeutet wird, erheblich variieren. Es kann sich um einzelne Substantive handeln, auch um komplexe Nominalgruppen, ganze Sätze oder sogar Satzfolgen. Die meisten grammatischen Vor- und Rückverweise operieren in der näheren Textumgebung, das bedeutet, sie bewirken eine Verknüpfung innerhalb eines Satzes oder von Satz zu Satz (z.B. Sebastian war nicht gekommen, das ärgerte mich.). Eine wichtige Rolle bei der Textverknüpfung spielen Personalpronomina, wenngleich nur die Personalpronomina der 3. Person anaphorisch oder kataphorisch verknüpfen können. Charakteristisch für die Personalpronomina der 1. und 2. Person ist eine deiktische Verwendung. Sie wechselt mit der Sprecherrolle: z.B. du bist schuld – nein, du. Die Personalpronomina der 1. und 2. Person bezeichnen die sprechende und die angesprochene Person, die jeweils situationsabhängig variieren. Das heißt, worauf man mit ich und du referiert, ist rein kontextuell fixiert. Es sind außersprachliche Verweise.

Pronominalisierung beschränkt sich jedoch nicht auf Personalpronomina, sondern kann z.B. ebenso durch Relativpronomina (z.B. der, welcher), Demonstrativpronomina (z.B. der, dieser, derjenige) und Indefinitpronomina (z.B. alle, einige, etliche, (irgend)jemand) erfolgen. Während sich Relativpronomina auf die Stellvertreterfunktion beschränken und sich dabei als nebensatzeinleitendes Element auf einen im anderen Satz ausgeführten Satzteil beziehen (z.B. Im Zimmer stand meine Mutter, die / welche gerade nach Hause gekommen war.), können die beiden letzten jedoch auch andere Funktionen übernehmen. Deshalb ist in Abhängigkeit zum jeweiligen Äußerungskontext zu prüfen, ob sie als Verknüpfungselement fungieren oder nicht (z.B. Es war einmal ein Mann, der hatte sieben Söhne. (= phorisch) vs. Der war es. (= deiktisch im Sinne von gestisch)).5

Auch die Verwendung von Possessivpronomina trägt zur Textverknüpfung bei, indem sie einen vorher erwähnten Bezugsausdruck entweder vertreten (z.B. das Seine) oder ein Nomen als hinreichend eingeführt markieren. Im zweiten Fall geht es um Formen von mein, dein, sein, die Artikel ersetzen und sich wie diese verhalten. Charakteristisch ist für die 1. und 2. Person wie bei den Personalpronomina eine deiktische Verwendung, denn sie wechseln mit der Sprecherrolle (z.B. Das ist meine Puppe – nein, meine!) und die Kenntnis der Situation entscheidet über den jeweiligen Besitzer. Possessivpronomina der 3. Person werden wiederum nicht deiktisch, sondern nur phorisch gebraucht: z.B. An der Ecke stand Niklas. Sein Mantel war völlig verdreckt.

Die Verwendung von Pronomina als grammatisches Verknüpfungsmittel stellt zugleich immer einen Hinweis auf die thematische Zusammengehörigkeit von Äußerungen dar. Besonders deutlich wird dies z.B. im Falle der Beibehaltung des Themas am Erzählanfang:

Kluftinger keuchte. Im Augenwinkel sah er die beiden Männer, die sich die Böschung hinunter zu dem kleinen Kahn am Ufer kämpften. Er blickte ihnen nach. Das Bild, das er sah, rief Erinnerungen in ihm wach, an die er lieber nicht rühren wollte. Das Wasser, das Boot … er kniff die Augen zusammen als könnte er so die Bilder verjagen. Als er die Augen wieder öffnete, hatten die beiden Männer den Kahn bereits vom Ufer abgestoßen.

(Volker Klüpfel/Michael Kobr „Laienspiel“ 2009, S. 5)

Zu den grammatischen Mitteln der Textverknüpfung zählen auch die wichtigsten Begleiter des Substantivs im Deutschen, die Artikel. Sie geben Hinweise darauf, wo die Informationen zu suchen sind, mit deren Hilfe die konkrete Referenz eines Ausdrucks bestimmt werden kann. Während mit dem unbestimmten Artikel auf einen einzelnen Menschen, Gegenstand oder Sachverhalt referiert wird, ohne ihn zu identifizieren (z.B. Er wünscht sich einen Freund.