Liszt - Ludwig Nohl - E-Book

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Ludwig Nohl

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Beschreibung

Nohl zeichnet in seiner Biographie das facettenreiche Bild eines musikalischen Superstars des 19. Jahrhunderts: Franz Liszt. Von seinen atemberaubenden Klaviervirtuosen-Auftritten bis zu seiner visionären Kraft als Komponist und Musikpädagoge – Nohl verknüpft Anekdoten aus Liszts rastlosem Leben mit einer tiefgehenden Analyse seiner Werke. So entsteht das Porträt eines charismatischen Künstlers, der zu den einflussreichsten Köpfen der Romantik zählt. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 156

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ludwig Nohl

Liszt

Eine Musikerbiografie

Ludwig Nohl

Liszt

Eine Musikerbiografie

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2025Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: , 3. Auflage, ISBN 978-3-962817-30-5

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Spruch

Einlei­tung

1. »Les prélu­des.«

2. Di­ve­r­tis­se­ments hon­gro­is.

3. Ca­pric­cio­so.

4. Im­promp­tu.

5. Réfle­xi­ons.

I.

II.

6. Ha­r­mo­nies poéti­ques.

7. Con­so­la­ti­on.

8. Ha­r­mo­nies ré­li­gieu­ses.

9. Pro­me­theus.

Die Haup­t­schü­ler Lis­z­ts.

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Spruch

»Trau­rig und groß ist die Be­stim­mung des Künst­lers!«

Einleitung

Im Ge­gen­sat­ze zu dem Ver­fah­ren bei den ers­ten Bio­gra­fi­en las­sen wir dies­mal, so­wie es auch der Meis­ter in sei­nem ge­wal­tigs­ten Ora­to­ri­um ge­tan, das Le­ben des Hel­den durch sei­ne Ta­ten sich selbst er­zäh­len, die sich denn eben­falls in ste­ter Stei­ge­rung vor uns auf­rol­len.

Da ist zu­nächst sei­ne ers­te Ju­gend­zeit mit ih­rer un­be­greif­ba­ren Vir­tuo­sen­schaft. Es ist ein wah­res Er­drücken der Schlan­gen in der Wie­ge, so spot­tet die­se Kraft je­der Hem­mung und Schwie­rig­keit in der Dar­stel­lung ih­rer Kunst. Da ist die Auf­nah­me neu­er Kei­me aus dem ewig frucht­ba­ren Na­tur­le­ben, vor al­lem aus der dä­mo­ni­schen Welt der Zi­geu­ner. Da ist je­nes Auf­leuch­ten des großen Men­schen in dem großen Künst­ler: es er­steht an der Rei­bung mit ei­nem ver­wand­ten Ge­nie, dem aber an­ders als bei Liszt selbst, das Letz­te, was auch dem künst­le­ri­schen Schaf­fen zu Grun­de liegt, der Ge­ni­us der Mensch­heit nicht auf­ge­gan­gen war, – wir mei­nen den großen Gei­ger Pa­ga­ni­ni, – und es be­tä­tigt sich dann so­fort mäch­tig in der Berüh­rung mit dem ein­zig eben­bür­ti­gen Künst­ler, der ihm im Le­ben be­geg­ne­te, dem er selbst aber auch durchs gan­ze Da­sein treu die große Tat ver­wirk­li­chen half, die wir heu­te in un­se­rem »Bay­reuth« be­sit­zen.

Da ist fer­ner in be­wun­derns­wer­ter Viel­sei­tig­keit die tä­ti­ge An­teil­nah­me an sämt­li­chen ent­schei­den­den geis­ti­gen Fra­gen der Zeit und der Mensch­heit: wir er­fah­ren es stau­nend aus der statt­li­chen Rei­he der »Ge­sam­mel­ten Schrif­ten«, die so­eben vor uns sich auf­tür­men. Da ist sei­ne epo­che­ma­chen­de neue Kunst­tat, die Er­schaf­fung der »Sym­pho­ni­schen Dich­tung«: sie er­gab sich ihm aus sol­cher Be­tei­li­gung an al­lem, was Poe­sie und Le­ben heißt, wie von selbst. Da ist, al­les krö­nend, das letz­te und höchs­te Werk, das er selbst sich ge­setzt, die Er­neu­ung der Kir­chen­mu­sik. Wir ver­such­ten auch dem Lai­en we­nigs­tens das Ent­schei­den­de die­ser Hocht­at an­nä­hernd zu ver­deut­li­chen.

Und da­mit auch nichts We­sent­li­ches in der Skiz­zie­rung ei­nes sol­chen fast über­rei­chen Le­bens feh­le, be­geg­nen wir dem Ge­ni­us zu­letzt noch per­sön­lich in sei­ner Schöp­fung, als »Meis­ter«! Aber so viel lie­ben­de Güte auch hier­bei wal­ten möge, es ist nicht wie Lud­wig Rich­ters ge­müt­lich-ge­mäch­li­cher Bie­nen­va­ter, es ist wie Mi­che­lan­ge­los ge­wal­ti­ger »Herr«, dem die so­eben ge­schaf­fe­ne Eva sich de­mut­voll beugt, es ist wie Pro­me­theus un­ter den ge­lieb­ten Ge­schöp­fen, die sein Hauch erst zum Le­ben be­see­len will. Und in wel­chem Maße dies ge­lun­gen, weiß die Welt aus der großen Zahl sei­ner Meis­ter­schü­ler, de­ren stol­ze Na­men uns das gan­ze Bild um­rah­men.

So wan­deln wir selbst hier wie in ei­ner neu­en Schöp­fung und er­ken­nen, dass un­se­re Tage auch in der rei­nen Kunst der Töne kei­nem an­de­ren Zeit­al­ter et­was nach­zu­ge­ben ha­ben, dass sie viel­mehr dem großen Be­sitz der Ver­gan­gen­heit manch herr­lichst dau­ern­des Edel­stück hin­zu­ge­fügt ha­ben.

1. »Les préludes.«

»Wie­der ein jun­ger Vir­tuo­se, gleich­sam aus den Wol­ken her­un­ter­ge­fal­len, der zur höchs­ten Be­wun­de­rung hin­reißt. Es grenzt ans Un­glaub­li­che, was die­ser Kna­be leis­tet, und man wird in Ver­su­chung ge­führt, die phy­si­sche Mög­lich­keit zu be­zwei­feln, wenn man den jun­gen Rie­sen Hum­mels schwe­re Kom­po­si­ti­on her­ab­don­nern hört«, so lau­tet ein Wie­ner Be­richt über den kaum elf­jäh­ri­gen Kna­ben, und nur ein Jahr spä­ter hö­ren wir Pa­ris förm­lich Wun­der schrei­en über die­se nie ge­se­he­ne Er­schei­nung: wie einst bei dem Kna­ben Mo­zart in Nea­pel muss auch hier das Kla­vier her­um­ge­dreht wer­den, da­mit man se­hen kön­ne, was man bloß zu glau­ben nicht ver­mö­ge. Da­bei wer­den die lie­bens­wür­di­gen mensch­li­chen Ei­gen­tüm­lich­kei­ten des jun­gen Künst­lers an­ge­deu­tet, die spä­ter eben­so das Ent­zücken al­ler Welt wur­den wie sein Spiel. »Sei­ne Au­gen glän­zen von Le­ben, Mut­wil­len und Freu­de, er wird nicht zum Kla­vier ge­führt, er fliegt dar­auf zu, man klatscht, und er scheint über­rascht, man klatscht von Neu­em, und er reibt sich die Hän­de«, heißt es hier, und dann wird das na­tio­na­le Ele­ment, der be­geis­ter­te Un­ge­stüm und die si­che­re Ori­gi­na­li­tät, wie an­de­rer­seits be­zeich­nen­der­wei­se der »männ­lich stol­ze Aus­druck« her­vor­ge­ho­ben, der ihn eben als »hun­ga­ri­sches Wun­der­kind« zeich­ne. Wir wol­len die­sen Spu­ren sei­ner Ei­gen­tüm­lich­keit nach­ge­hen, und zwar vor al­lem nach ei­nem län­ge­ren bio­gra­fi­schen Be­rich­te, der of­fen­bar in den Haupt­zü­gen sei­ner ei­ge­nen Mit­tei­lung ent­spros­sen, am An­fan­ge der drei­ßi­ger Jah­re in der ers­ten Pa­ri­ser Mu­sik­zei­tung, in der vor we­nig Jah­ren ein­ge­gan­ge­nen »Re­vue et ga­zet­te mu­si­ca­le« stand.

Franz Liszt ist am 22. Ok­to­ber 1811 zu Rai­ding bei Öden­burg ge­bo­ren. Das Ko­me­ten­jahr er­schi­en sei­nen El­tern als eine gute Vor­be­deu­tung sei­ner Zu­kunft. Der Va­ter, ei­ner un­be­gü­ter­ten al­tad­li­gen Fa­mi­lie an­ge­hö­rig, ward früh in Ei­sen­stadt Rech­nungs­füh­rer bei je­nem Fürs­ten Ni­co­laus Es­ter­ha­zy, der noch Jo­seph Haydn zu sei­nem Ka­pell­meis­ter hat­te, und wenn er dem ver­ehr­ten Meis­ter des Quar­tetts per­sön­lich auch meist nur im Kar­ten­spiel nahe trat, das der­sel­be als ein­zi­ge Er­ho­lung von sei­ner stets an­ge­streng­ten Ar­beit übte, so weil­te er hier doch im­mer in ei­ner Sphä­re, die von nichts Geis­ti­gem so sehr wie von der Mu­sik er­füllt war und da­her sei­nem ei­ge­nen In­nern die reichs­te Nah­rung bot. Denn auch je­ner bes­te Schü­ler Mo­zarts, der aus­ge­zeich­ne­te Kla­vier­spie­ler Hum­mel, geb. 1778 zu Press­burg, wirk­te jah­re­lang als fürst­li­cher Ka­pell­meis­ter in Ei­sen­stadt und Es­ter­haz, und der Va­ter Liszt ward ihm per­sön­lich nä­her be­freun­det. Nie­mand hielt ihn als Kla­vier­spie­ler so hoch wie er, sein Spiel hat­te ihm einen un­ver­ge­ss­li­chen Ein­druck ge­macht. Aber er war auch selbst von Na­tur in ho­hem Gra­de mu­si­ka­lisch, spiel­te so­gar fast je­des In­stru­ment, be­son­ders Kla­vier und Cel­lo, und war nur durch die Un­gunst der Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­se ab­ge­hal­ten wor­den, sich zum völ­li­gen Mu­si­ker aus­zu­bil­den. Umso mehr über­trug er jetzt alle Träu­me und Hoff­nun­gen des Künst­ler­tums auf den äl­tes­ten Sohn, des­sen sel­te­ne An­la­gen sich schon früh zeig­ten. »Du bist vom Schick­sal be­stimmt, du wirst je­nes Künst­le­r­ide­al ver­wirk­li­chen, das mei­ne Ju­gend ver­geb­lich be­zau­bert hielt, in dir will ich mich ver­jün­gen und fort­pflan­zen«, sag­te er oft zu ihm. Und so sehr er­schi­en ihm schon jetzt al­les in des Kna­ben Da­sein von Be­deu­tung, dass er ein Ta­ge­buch über ihn führ­te und dar­in »mit der klein­lichs­ten und ängst­lichs­ten Pünkt­lich­keit ei­nes zärt­li­chen Va­ters« sei­ne Auf­zeich­nun­gen mach­te. Da heißt es denn zu­nächst aus der Erin­ne­rung je­ner Kin­des­zei­ten:

»Nach der Imp­fung be­gann eine Pe­ri­ode, worin der Kna­be ab­wech­selnd mit Ner­ven­lei­den und Fie­ber zu kämp­fen hat­te, die ihn mehr­mals in Le­bens­ge­fahr brach­ten. Ein­mal, in sei­nem zwei­ten oder drit­ten Jah­re, hiel­ten wir ihn für tot und lie­ßen sei­nen Sarg ma­chen. Die­ser be­un­ru­hi­gen­de Zu­stand dau­er­te bis in sein sechs­tes Jahr fort. In sei­nem sechs­ten Jah­re hör­te er mich ein Kon­zert von Ries in Cis­moll spie­len. Er lehn­te sich ans Kla­vier, war ganz Ohr. Am Abend kam er aus dem Gar­ten zu­rück und sang das The­ma. Wir lie­ßen’s ihn wie­der­ho­len, er wuss­te nicht, was er sang: das war das ers­te An­zei­chen sei­nes Ge­nies. Er bat un­auf­hör­lich, mit ihm das Kla­vier­spiel zu be­gin­nen. Nach drei Mo­na­ten Un­ter­richt kehr­te das Fie­ber zu­rück und nö­tig­te uns zur Un­ter­bre­chung. Die Freu­de am Un­ter­richt raub­te ihm nicht die Lust, mit Kin­dern sei­nes Al­ters zu spie­len, ob­wohl er von nun an mehr für sich al­lein zu le­ben such­te. Er blieb sich in sei­nen Übun­gen nicht gleich, doch im­mer folg­sam bis in sein neun­tes Jahr. Dies war der Zeit­punkt, wo er zum ers­ten Male öf­fent­lich spiel­te und zwar zu Öden­burg. Er spiel­te ein Kon­zert von Ries in Es­dur und fan­ta­sier­te. Das Fie­ber hat­te ihn er­grif­fen, schon ehe er sich ans Kla­vier setz­te, und ward durch das Spie­len noch ver­stärkt. Schon lan­ge zeig­te er großes Ver­lan­gen, öf­fent­lich zu er­schei­nen, er be­wies da­bei viel Un­be­fan­gen­heit und Mut.«

Was aber war, un­ter­bre­chen wir hier zu­nächst den Be­richt, die le­ben­di­ge Quel­le die­ser in­ne­ren Hin­ge­bung an die Kunst so wie der hei­ße Trieb, sie öf­fent­lich zu zei­gen? We­der Fer­di­nand Ries, der bloß die Al­lü­ren sei­nes großen Leh­rers Beetho­ven nach­ahm­te, oder auch Mo­zarts Schü­ler Hum­mel, der Haydn bei Es­ter­ha­zy nach­ge­folgt war, noch die­ser große Va­ter der mo­der­nen In­stru­men­tal­mu­sik selbst, sie konn­ten nicht ent­fernt je­nes »Ge­nie des Vor­trags« er­zeu­gen, von dem man schon da­mals die ers­ten Wun­der­din­ge sah und das eben selbst wie ein schöp­fe­ri­scher Drang die­se ju­gend­li­che See­le er­füll­te und mit hei­ßer Sehn­sucht zum Aus­druck sei­ner selbst, zum öf­fent­li­chen Vor­trag trieb. Denn da heißt es in ei­nem Pa­ri­ser Be­richt der Schu­mann­schen Mu­sik­zei­tung von 1834, er spie­le oft »zart und sanft ele­gisch«, dann wie­der »mit ei­ner sich selbst zer­knir­schen­den Lei­den­schaft«, feu­rig, ja wü­tend, so­dass man mei­ne, das Kla­vier müs­se un­ter sei­nen Fin­gern zer­bre­chen, man höre ihn wäh­rend des Spiels oft stöh­nen, rö­cheln, man sehe ihn Kopf, Au­gen, Hän­de, den gan­zen Ober­leib nach al­len Sei­ten hin hef­tig be­we­gen. Ja ein­mal war er dort ohn­mäch­tig vom Kla­vier her­ab­ge­sun­ken. Wo­her die­se un­er­hör­te Hin­ga­be an die Mu­sik, wo­her die­ses, man möch­te sa­gen Sichaus­le­ben der See­le in sei­nem Spiel?

Es gibt ein selt­sa­mes Volk, das vom Hi­ma­la­ya ver­brei­tet bis zum Ebro und dem schot­ti­schen Hoch­lan­de, nichts auf die­ser wei­ten Got­tes­welt be­sitzt als – sich selbst und die Na­tur. Nicht Haus noch Herd, nicht Staat noch ge­sell­schaft­li­che Ord­nung bin­den es, es hat kei­ne stän­di­ge Tä­tig­keit, kei­nen Be­ruf, der aus Pf­licht und Nei­gung ein fest­ge­kit­te­tes Da­sein aus­mach­te, es hat kei­ne Sit­te, kei­ne Kir­che, kei­nen Gott! Und den­noch lebt die­ses Volk seit den Jahr­hun­der­ten, die wir es ken­nen, un­ver­än­dert in Art und Zahl, doch nir­gends fi­xiert. Es sind die Zi­geu­ner, die so schein­bar nichts be­sit­zen, was die Erde dem Men­schen bie­tet und das Le­ben le­bens­wert macht. Zu­dem noch, wo sie sich zei­gen, auf das In­ner­lichs­te sind sie ver­ach­tet oder doch ge­ring ge­schätzt. Ja­wohl ha­ben sie nichts und sind wie ein von Gott ewig ver­las­se­nes, ewig elen­des Stück Men­schen­ge­schlecht. Aber eins ha­ben sie, und trotz un­se­rer Kul­tur und Kunst, ihre Mu­sik! Und wie sie nun in der Na­tur die vol­len Won­nen ei­nes Da­seins emp­fin­den, das ganz frei ist, frei von al­lem, was die nächs­te Re­gung und Nei­gung hemmt, so las­sen sie in ih­ren Wei­sen, vor al­lem aber in dem im­pro­vi­sier­ten Vor­trag der­sel­ben, die gan­ze gott­ge­ge­be­ne Frei­heit der in­ne­ren Emp­fin­dung in all ih­ren Wal­lun­gen vom stol­zes­ten mensch­li­chen Be­wusst­sein bis zur al­le­rin­nigs­ten Sehn­sucht der See­le nach Mit­tei­lu­ug an gleich­füh­len­de We­sen er­tö­nen: es ist, als wäre ih­nen die­se Mu­sik Welt und Gott, Le­ben und Glück, Son­ne und al­les Ge­dei­hen der Welt, das wir in un­se­rem ei­ge­nen In­nern an­teil­voll wi­der­hal­len füh­len. So hat Liszt selbst uns in ei­ner ei­ge­nen be­mer­kens­werts­ten Schrift die Un­be­greif­lich­keit der Fort­dau­er die­ses in Ato­me auf­ge­lös­ten al­t­in­di­schen Men­schen­stam­mes zu lö­sen ge­sucht, so er­klärt sich die grö­ße­re Un­be­greif­lich­keit, dass ein sol­ches, al­ler sitt­li­chen und geis­ti­gen Le­bens­ba­sis ent­beh­ren­des Volk eine Kunst, und zwar eine von sol­cher Ori­gi­na­li­tät, Tie­fe und Kraft be­sitzt. Hö­ren wir ihn selbst aber wei­ter, um die Wun­der­wir­kung sei­nes ei­ge­nen Vor­trags zu er­fas­sen.

»Das An­den­ken der Zi­geu­ner ver­knüpft sich mit mei­nen Kind­heits­er­in­ne­run­gen und ei­ni­gen ih­rer leb­haf­tes­ten Ein­drücke«, schreibt in den fünf­zi­ger Jah­ren der welt­be­rühm­te »Zau­be­rer aus Un­gar­land«. »Spä­ter wur­de ich wan­dern­der Vir­tuo­se, wie sie es in un­se­rem Va­ter­lan­de sind. Sie ha­ben die Pfäh­le ih­rer Zel­te in al­len Lan­den Eu­ro­pas auf­ge­stellt und ich durch­lief das wir­re Netz von We­gen und Pfa­den, auf dem sie im Lau­fe der Zei­ten um­her­irr­ten, in ei­ni­gen Jah­ren ihre ge­schicht­li­chen Ge­schi­cke ge­wis­ser­ma­ßen in ge­dräng­tem Bil­de wie­der­ho­lend. Ich blieb da­bei gleich ih­nen der Be­völ­ke­rung je­ner Län­der fremd, ver­folg­te gleich ih­nen mein Ide­al in ei­nem un­aus­ge­setz­ten Auf­ge­hen in der Kunst, wenn nicht in der Na­tur.« Und nun ge­steht er sich im Auf­wa­chen je­ner frü­he­s­ten Erin­ne­run­gen, dass we­nig Din­ge in je­nen ers­ten Le­bens­ta­gen ihn so leb­haft er­grif­fen ha­ben, wie das von den Zi­geu­nern an der Schwel­le je­des Palas­tes, je­der Hüt­te auf­ge­ge­be­ne Rät­sel, wenn man ih­nen das Al­mo­sen spen­de­te, um ein paar lei­se ins Ohr ge­flüs­ter­te Wor­te oder ein paar laut ge­spiel­te Tanz­me­lo­di­en, um ein paar Lie­der, wie sie kein Min­strel singt, bei wel­chen Lie­ben­de in Ent­zücken ver­sin­ken und wel­che Lie­ben­de doch nicht selbst er­fin­den kön­nen! Wie oft habe er sich nicht um Lö­sung die­ses Zau­bers ge­fragt, der über al­len wal­te und von kei­nem un­ter ih­nen ge­bro­chen wer­de. Als schmäch­ti­ger Lehr­ling ei­nes stren­gen Meis­ters, eben sei­nes Va­ters, habe er noch kei­nen an­de­ren Aus­blick in die Welt der Fan­ta­sie ge­kannt, als das ar­chi­tek­to­ni­sche Gerüst künst­lich an­ein­an­der ge­reih­ter No­ten, und wenn wir da­bei an alt­vä­te­rische Kom­po­nis­ten wie jene Hum­mel und Ries den­ken, so glau­ben wir ihm dop­pelt, dass es ihn rei­zen muss­te, den Zau­ber zu er­fas­sen, den da sicht­bar­lich vor al­ler An­gen die­se schwie­len­be­deck­ten Hän­de aus­üb­ten, wenn sie mit den Pfer­de­haa­ren über die elen­den In­stru­men­te stri­chen oder so ge­wal­tig her­aus­for­dernd das Me­tall er­klin­gen lie­ßen.

Und nun er­fah­ren wir, wie die­se Kin­der der Na­tur mit ih­rer, dem ge­heims­ten und un­will­kür­lichs­ten Re­gen der Emp­fin­dung ent­spros­se­nen Kunst ihn be­schäf­tig­ten und ihm förm­lich einen in­ne­ren Neid um ihre un­wi­der­steh­li­che Wir­kung in die des Nei­des sonst völ­lig un­fä­hi­ge See­le war­fen. Sei­ne wa­chen Träu­me sei­en von die­sen kup­fer­far­bi­gen, durch den Wech­sel der Jah­res­zei­ten und aus­schwei­fen­der Er­re­gung je­der Art früh­zei­tig wel­ken Ge­sich­tern er­füllt ge­we­sen, von die­sem trot­zi­gen Lä­cheln, den fahl­ro­ten Au­gen, wo ne­ben Blit­zen, wel­che glän­zen ohne zu leuch­ten, eine sar­do­ni­sche Ungläu­big­keit lacht. Im­mer schweb­ten ihm im Geist ihre Tän­ze vor, ihre wei­chen und elas­ti­schen, pral­len­den und her­aus­for­dern­den Be­we­gun­gen da­bei. Halb und halb tauch­te vor sei­nem geis­ti­gen Blick die Ein­sicht auf, »dass statt der Rei­hen­fol­ge neb­lig glanz­lo­ser Tage, wie sie den Hin­ter­grund un­se­rer zi­vi­li­sier­ten Welt bil­den, auf dem sich nur hie und da ei­ni­ge freu­de­strah­len­de oder schmerz­flam­men­de Mo­men­te her­vor­he­ben, die­se Men­schen sich ein tiefe­res Ge­we­be von Freu­de und Leid bil­den, wel­ches, wech­selnd von Lie­be, Ge­sang, Tanz und Wein, wie von vier Ele­men­ten der Wol­lust und des Tau­mels er­weckt und be­schwich­tigt wer­den.«

Sei­ne See­le hat­te sich früh init dem Dä­mo­ni­schen be­rührt, das wie eine Sphinx im In­nern der Na­tur thront, er hat­te die ge­heim­nis­vol­le Macht je­nes Schaf­fens emp­fun­den, das die Welt bil­det und er­hält, er fühl­te sie als sei­ne ei­gens­te in­ne­re Na­tur und Kraft, und sein Herz muss­te im tie­fen Be­wusst­sein die­ses Zau­ber­be­sit­zes umso hö­her auf­jauch­zen, als er sich zu­gleich nicht von je­ner an­de­ren Sei­te mensch­li­chen Hoch­be­sit­zes aus­ge­schlos­sen wuss­te, von der Kul­tur und hö­he­ren Kunst­bil­dung, die auch die­sem tiefs­ten Auss­trö­men na­tür­li­chen Le­bens erst den Adel und die Ho­heit des Ge­dan­kens leiht. Sein Ge­nie leuch­te­te ihm hier vor. Aber, dass es ihm wirk­lich Ge­nie, d. h. schöp­fe­ri­sche Kraft blieb, ver­dank­te er die­ser ste­ten in­ners­ten Berüh­rung mit dem ge­heim­nis­vol­len Wal­ten der schaf­fen­den Mäch­te der Na­tur. Da­her auch schon ein Pa­ri­ser Be­richt vom Jah­re 1834 über sein und das Spiel des ähn­lich dä­mo­ni­schen Pa­ga­ni­ni sagt, die Mu­sik sei ih­nen die Kunst, die den Men­schen sein hö­he­res Da­sein ah­nen las­se und aus dem Trei­ben des ge­mei­nen Le­bens in den Isi­stem­pel füh­re, wo die Na­tur in hei­li­gen, nie ge­hör­ten und doch ver­ständ­li­chen Lau­ten mit ihm spre­che.

Ver­fol­gen wir nun, wie die Wir­kung die­ses Spiels, die also of­fen­bar schon der Kna­be selbst durch sol­ches le­ben­digs­tes Wal­ten­las­sen sei­nes ur­ei­ge­nen Ge­fühls er­zeug­te, sein fer­ne­res Schick­sal be­stimm­te. Denn: »wie Trop­fen ei­ner geist­feu­ri­gen Es­senz schlu­gen die Töne der be­zau­bern­den Gei­ge an mein Ohr«, sagt er von dem großen Zi­geu­ner­vir­tuo­sen Bi­ha­ry, den er im Jah­re 1822 in Wien hör­te. »Wäre mein Ge­dächt­nis aus wei­chem Ton und jede sei­ner No­ten ein Dia­mant­na­gel ge­we­sen, sie wür­den nicht fes­ter dar­in haf­ten. Wäre mei­ne See­le eine von dem in sein Bett zu­rück­ge­kehr­ten Fluss­gott er­weich­tes Erd­reich ge­we­sen und je­der Ton des Künst­lers ein be­fruch­ten­des Sa­men­korn, er hät­te nicht tiefer in mir wur­zeln kön­nen.«

Der Va­ter führ­te ihn jetzt zum Fürs­ten Es­ter­ha­zy, in des­sen Fa­mi­lie ja das mu­si­ka­li­sche Mä­ce­na­ten­tum erb­lich war. Al­lein: »ich glau­be, dass der­glei­chen nur durch Wei­ber bei ihm ge­lin­gen«, schrieb der große Beetho­ven ein paar Jah­re spä­ter, als er ihm wie an­de­ren Fürs­ten sei­ne Mis­sa so­len­nis zur Sub­s­crip­ti­on an­bot, und woll­te sich über­haupt »kei­ner gu­ten Den­kungs­art von ihm ge­gen sich ver­se­hen«. Was soll­te also hier ge­gen­über ei­nem sol­chen blo­ßen jun­gen An­hän­ger in der Kunst Be­son­de­res ge­sche­hen? Der Fürst mach­te ihm ein Ge­schenk von ei­ni­gen hun­dert Fran­cs. »Das war we­nig für den Er­ben von Haydns Mä­cen«, fügt un­ser Be­richt hin­zu. Da­ge­gen in Press­burg, ei­ner grö­ße­ren und ge­bil­de­ten Stadt, fand der Kna­be eine ent­spre­chen­de Auf­nah­me. Ja sechs Ad­li­ge, dar­un­ter die ed­len Gra­fen Ama­dee und Sza­pa­ry setz­ten ihm auf sechs Jah­re ein Ge­halt von sechs­hun­dert Gul­den aus, das des Va­ters Wunsch er­mög­lich­te, dem Kna­ben eine wür­di­ge Aus­bil­dung zu ge­ben.

Bald dar­auf, im Jah­re 1821, fass­te der­sel­be denn auch den Ent­schluss, sei­ne Stel­le auf­zu­ge­ben und sich mit Frau und Kind in Wien nie­der­zu­las­sen. Al­lein jetzt trat ängst­li­che Be­sorg­nis sei­ner Frau, ei­ner ge­bo­re­nen Ober­ös­ter­rei­che­rin, ein, die ih­ren Lieb­ling nicht so der wech­sel­voll be­weg­ten Woge ei­ner Künst­ler­lauf­bahn preis­ge­ge­ben se­hen woll­te und zit­ternd frag­te, was wer­den sol­le, wenn nach Ablauf je­ner Zeit ihre Hoff­nung sich ver­ei­telt zei­ge. »Was Gott will!« rief der neun­jäh­ri­ge Kna­be, der mit stil­lem Ban­gen sol­cher Un­ter­re­dung ge­lauscht, ru­hig aus und hat­te so je­den Ein­wurf und jede Sor­ge der Mut­ter umso mehr be­sänf­tigt, als sie selbst ein in­nig gott­er­ge­be­nes und wahr­haft re­li­gi­öses Ge­müt be­saß.

Sechs­hun­dert Fran­cs war der un­ge­fäh­re Ver­kaufs­preis der Mo­bi­li­en, es hieß also sich ein­rich­ten. Der lie­bens­wür­di­ge und be­schei­de­ne Karl C­zerny war es, den, in Wien an­ge­kom­men, der Va­ter zum Leh­rer des Kna­ben er­wähl­te, denn Czerny war eine kur­ze Wei­le Schü­ler Beetho­vens ge­we­sen und spiel­te fast alle sei­ne Kom­po­si­tio­nen aus­wen­dig. Doch nur die wun­der­glei­che Be­ga­bung des Kna­ben be­stimm­te den über­bür­de­ten Leh­rer zur An­nah­me des­sel­ben, und als er dem­sel­ben gar Beetho­ven zu spie­len gab, hat­te er bald auch des­sen gan­ze Lie­be ge­won­nen. Denn wie moch­te, was Czerny aus päd­ago­gi­schen Grün­den an­fangs be­stimmt, den tro­cken pe­dan­ti­schen Cle­men­ti ein Kna­be spie­len, der sol­chen Feu­er­geist der Mu­sik in sich trug und sol­ches frei quel­len­de Le­ben die­ser Kunst von Ju­gend auf mit Ohren ge­nos­sen hat­te? »Wenn er in die Mu­siklä­den kam, fand er die Stücke, die man ihm gab, nie schwer ge­nug«, sagt un­ser Be­richt. »Einst zeig­te ihm ein Ver­le­ger das H­moll-Kon­zert von Hum­mel, der Kna­be blät­ter­te das Heft durch und mein­te, das sei eben nichts, das wol­le er vom Blat­te spie­len. Und dies be­haup­te­te er auch vor den ers­ten Kla­vier­spie­lern der Stadt. Die Her­ren, über das Selbst­ver­trau­en des Kna­ben er­staunt, nah­men ihn beim Wort und führ­ten ihn in den Saal, wo ein Kla­vier stand. Der Klei­ne führ­te das Kon­zert mit eben so viel Fer­tig­keit wie Si­cher­heit aus.« Es war das­sel­be, mit dem er ein Jahr spä­ter vor Beetho­ven auf­trat.