Literarische Romantik - Gerhard Kaiser - E-Book

Literarische Romantik E-Book

Gerhard Kaiser

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Beschreibung

Der Band informiert kompakt und auf der Basis der aktuellen Forschungslage über die verschiedenen literarischen Phasen der Romantik in allen Gattungen. Anhand der repräsentativen Vertreter und ihrer wichtigsten Texte stellt Gerhard Kaiser (Göttingen) das geistige und soziale Profil der Epoche fachlich fundiert im Überblick vor. Besondere Schwerpunkte liegen auf Tieck, Schlegel, Novalis, Bonaventura, Brentano, Eichendorff und Hoffmann. Zeittafel und Kurzbiographien ergänzen die Darstellung.

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Seitenzahl: 201

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UTB 3315
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Dr. Gerhard Kaiser ist Privatdozent an der Universität Göttingen und vertritt derzeit eine Professur für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Siegen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-846-33315-0 (E-Book)
ISBN: 978-3-8252-3315-0 (UTB-Bestellnummer)
© 2010 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen www.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. –
Reihenkonzept und Umschlagentwurf: Alexandra Brand Umschlagumsetzung: Atelier Reichert, Stuttgart Satz: Ruhrstadt Medien, Castrop-Rauxel Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen
Hinweis zur Zitierfähigkeit
Diese EPUB-Ausgabe ist zitierfähig. Um dies zu erreichen, ist jeweils der Beginn und das Ende jeder Seite gekennzeichnet. Bei Wörtern, die von einer zur nächsten Seite getrennt wurden, steht die Seitenzahl hinter dem im EPUB zusammengeschriebenen Wort.
Inhaltsverzeichnis
TitelImpressumHinweis zur ZitierfähigkeitEinleitungRomantik im Profil
1 - Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbrudersoder: Was »romantisch« meint und wie man es sich merken kann
BegriffsgeschichteFünf wesentliche Charakteristika der literarischen Romantik
1. Herzensergießungen2. eines3. kunstliebend4. und 5.: KlosterbruderWeiterführende Literatur
2 - »Die Welt muß romantisiert werden« – Frühromantische Gruppenbildung, Literaturpolitik und Programmatik
Wechselnde Gruppenbildungen und Jena als wichtiges ZentrumLiteraturpolitik und Programmatik I: August Wilhelm Schlegels »Kritik an der Aufklärung«Literaturpolitik und Programmatik II: Friedrich Schlegels 116. Athenäums-Fragment und Novalis’ »Romantisierungs«-Postulat
Das Athenäum (1798-1800)Das FragmentDas 116. Athenäum-Fragment und Novalis’ »Romantisierungs«-PostulatWeiterführende Literatur
3 - Wahnsinn, Witz und Waldeinsamkeit: Romantisches Kunstmärchen und romantisches Drama am Beispiel Ludwig Tiecks
Zur Biographie TiecksZur Gattung des KunstmärchensDer blonde Eckbert als ›verdrehte‹ romantische Erzählung von »schwindeligen Identitäten«Zum Drama der Romantik – Der Gestiefelte Kater oder: Eine romantische Beobachtung aufklärerischer Romantikbeobachtung
Weiterführende Literatur
4 - Fragmente und Experimente: Der Roman der Romantik
Ein kurzer Blick auf die Geschichte des RomansSkandal, Allegorie, Arabeske und Liebe als Passion: Friedrich Schlegels Lucinde (1799)
Zur Biographie Friedrich SchlegelsZum Inhalt des RomansZur Form des RomansTranszendentalallegorieArabeskeLiebe als Passion
»Wie in einfachen Worten und Geschichten das Weltall offenbart werden kann«: Novalis’ Heinrich von Ofterdingen (1802)
Zur Biographie Novalis’Zum Inhalt des RomansNovalis’ Experimentalroman als konsequente Umsetzung seines Romantisierungs-PostulatsPotenzierungLogarithmi(si)erung
»Küssen Sie den Hintern, junger Mann, küssen Sie, und damit gut« – Die Nachtwachen ( 1804) von Bonaventura als Anti-OfterdingenWer ist ein Autor? Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte und zum Inhalt des Romans
Von der blauen Blume zur Zwiebel: Die Nachtwachen als Anti-OfterdingenWeiterführende Literatur
5 - »... Schläft ein Lied in allen Dingen«: Die Lyrik der mittleren und späten Romantik
Dezentrierung und Vervielfältigung der geographischen Verdichtungszentren in der mittleren und späten RomantikCharakteristika, Formen und Inhalte der romantischen Lyrik
KontextgebundenheitAbkehr von klassizistischen Formen: Romanische Formen
Invented tradition 1: Patriotische Gebrauchslyrik in Zeiten des Krieges und im Zeichen des »Volkes«Invented traditon 2: Sentimentalische Naivität im Zeichen des »Volkes«Des Knaben Wunderhorn oder Romantisches sampling im Zeichen des ›Volkes‹Clemens Brentano als sentimentalischer Dichter des Naiven und »trauriger unstäter Geist«
Zur Biographie BrentanosBrentano als LyrikerTaugt Eichendorff nichts?Zur Biographie EichendorffsEichendorff als LyrikerWeiterführende Literatur
6 - Wahnsinn mit Methode – Die spätromantische Erzählkunst E.T.A. Hoffmanns
Zur Biographie HoffmannsHoffmanns Erzähldebüt Fantasiestücke in Callot’s Manier. Blätter aus dem Tagebuche eines reisenden Enthusiasten (1814/15)Durchs »elfenbeinerne Tor«: Hoffmanns Erzählprinzip der Mehrdeutigkeit am Beispiel des Ritter Gluck
Mischung der realistischen und phantastischen ElementeSchwebezustand durch darstellungstechnische MittelIntertextuelle Anspielungen und ZitateDie Thematisierung der Kunst und die (zumindest indirekte) - Problematisierung bestimmter Aspekte einer frühromantischen Kunstreligion
Hoffmanns skeptischer Blick auf das ästhetische Prekariat im Goldenen Topf und im SandmannWeiterführende Literatur
7 - »Do not go gentle into that good night« – Eine kurze, unwissenschaftliche Nachbemerkung zur Romantikrezeption
Weiterführende Literatur
Serviceteil
Zeittafel: Wichtige Texte der RomantikSiglenLiteratur
Namenregister
Einleitung
»Es träumt sich nicht mehr recht von der blauen Blume. Wer als Heinrich von Ofterdingen erwacht, muß verschlafen haben«, so der Philosoph und Literaturwissenschaftler Walter Benjamin 1927. Mit der »blauen Blume«, dem wohl bekanntesten Symbol der Romantik, und mit dem Heinrich von Ofterdingen spielt Benjamin an auf den gleichnamigen Roman Friedrich von Hardenbergs (1772-1801), der sich selbst dann den Künstlernamen Novalis zulegte. Was Benjamin damit unter dem gesteigerten Realitätsdruck in der Weimarer Republik zum Ausdruck bringen will, ist: Wer noch in den Träumen und Ideen der Romantik, jener gesamteuropäischen kulturellen Strömung, die in den 1790er Jahren beginnt und fast ein halbes Jahrhundert dauert, schwelgt, der macht sich einer unzulässigen »Weltfremdheit« schuldig. Die Zeit der Romantik, die Zeit des Romantischen also, sei endgültig vorbei.
Und doch tauchen das Romantische und mit ihm die Romantik immer wieder auf, lässt man das 20. und das beginnende 21. Jahrhundert Revue passieren. Sei es – um hier nur zwei Beispiele aus einer nicht allzu fernen Vergangenheit aufzugreifen – dass die Hippiebewegungen der 1960er Jahre und die ökologischen Bewegungen seit den 1980er Jahren, bewusst oder unbewusst, an bestimmte Aspekte der Romantik wieder anknüpfen, sei es, dass Ausstellungen zur Malerei der Romantik oder Bücher zum Thema regen Zuspruch in der kulturraisonnierenden Öffentlichkeit finden: Man denke etwa an die Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in Essen 2002 oder an Rüdiger Safranskis unlängst erschienene erfolgreiche Abhandlung Romantik. Eine deutsche Affäre. Zudem kommt bis heute der Begriff »romantisch« im Alltag in geradezu inflationärer Weise zum Einsatz, wenn es darum geht, eine bestimmte Stimmung, eine bestimmte Situation, bestimmte Gegenstände, Landschaften oder Bilder, Romane, Filme oder Musikstücke zu charakterisieren. Kurzum: Das Bedürfnis nach »Romantischem« lässt sich nicht einfach stillstellen und die Rede vom Romantischen scheint ein steter Begleiter jener umfassenderen historischen Epoche zu sein, die zum Teil durch die Romantik selbst mitbegründet wird: der Moderne. Die Romantik ist, indem sie das Formeninventar und die Selbstreflexivität künstlerischen Ausdrucks nachhaltig erweitert und steigert, Mitbegründerin der kulturellen Moderne und zugleich, dies macht ihre Janusköpfigkeit aus, werden im Namen des Romantischen von Beginn an und immer wieder, vor allem in Zeiten von extremen ökonomischen und sozialen Veränderungsschüben, vehemente rückwärtsgewandte Einsprüche erhoben gegen die Folgen und Irritationen einer solchen Modernisierung. Diese Doppelgesichtigkeit aus Erneuerungsbestreben und Rückwärtsgewandtheit, Revolution und Reaktion, Weltveränderungsanspruch und Weltflüchtigkeit kennzeichnet das Profil der Romantik und gibt auch der literarischen Romantik ihr irritierendes und zugleich auch faszinierendes Gepräge.
Dieses Buch konzentriert sich auf die literarische Romantik und beschränkt sich zudem auf den deutschsprachigen Bereich. Doch selbst dann noch scheint das Ansinnen geradezu vermessen, in einem vergleichsweise knappen Rahmen einen einführenden Überblick geben zu wollen über einen Zeitabschnitt der deutschen Literaturgeschichte, der so reich an höchst widersprüchlichen, spannenden wie versponnenen, progressiven wie rückwärtsgewandten Tendenzen ist. Reicht doch das literarische Spektrum der Romantik – um nur einiges zu nennen – von den philosophischen Fragmenten und den literaturrevolutionierenden Romanexperimenten eines Friedrich Schlegel, Novalis, Bonaventura, den unkonventionellen und ironischen Dramen und Märchenerzählungen eines Ludwig Tieck über die »Kunstvolksdichtung« der Heidelberger Romantik, die patriotischen Schauspiele eines Achim von Arnim, die Lyrik und die Literaturgeschichtsschreibung Joseph von Eichendorffs und die phantastischen Romane und Erzählungen E.T.A. Hoffmanns bis zur katholischen Mystik der späten Texte eines Clemens Brentano oder Joseph Görres. Zudem handelt es sich um einen Zeitraum, der mit der frühen Romantik (erste Hälfte der 1790er Jahre bis 1801 mit den Zentren Jena und Berlin), der mittleren Romantik (mit den Zentren Heidelberg 1805 bis 1808 und Berlin 1809 bis 1822) und der späten, katholisch geprägten Romantik (1820/1830er Jahre mit den Zentren Wien und München) immerhin gleich drei Phasen umfasst, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben. Damit also das Ansinnen einer Einführung nicht zur telefonbuchartigen Aneinanderreihung von Namen, Werktiteln und Jahreszahlen wird, bedarf es einer Auswahl des Beispielhaften sowie einer Reduktion auf das je Charakteristische, d.h. Romantikspezifische dieser Beispiele. Im Folgenden sollen deshalb zunächst nach einem kurzen Blick auf die Begriffsgeschichte fünf wesentliche Charakteristika der literarischen Romantik vorgestellt werden. Im steten Rückbezug auf diese Charakteristika skizzieren dann die weiteren Kapitel das geistige und soziale Profil der literarischen Strömung. Dabei sollen, unter Berücksichtigung aller literarischer Gattungen, einige der exemplarischen Repräsentanten und ihre wichtigsten, in Schule und Studium immer wieder behandelten Texte vorgestellt werden.
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Romantik im Profil
1
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbrudersoder: Was »romantisch« meint und wie man es sich merken kann
Wortgeschichtlich gesehen haben »romantisch« und »Roman« den gleichen Ursprung. Sie gehen auf das altfranzösische Stammwort »romanz« zurück. Mit »romanz« bezeichnete man die romanische Volkssprache im Gegensatz zur lateinischen Gelehrtensprache. Hieraus entwickelte sich dann der Begriff »romance« als Bezeichnung von zunächst in provenzalischer Sprache geschriebenen Vers- und Prosadichtungen, die ritterliche Themen aus dem Umkreis der Roland- bzw. Artussagen zu amourösen und phantastischen Geschichten verwoben. Aus ihm entstand neben der Gattungsbezeichnung »Romanze« auch der Begriff des Romans, der zunächst eine erfundene, erdichtete Prosaerzählung meinte.
Begriffsgeschichte
In diesem – meist eher negativen – Sinne für eine unwahrscheinliche, phantastische und zu Übertreibungen neigende Erzählhaltung hielt sich der Begriff bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es in England und Frankreich zu einer folgenreichen Erweiterung: »Romantisch« konnten nun nicht mehr nur bestimmte Erzählungen sein, sondern – in einem durchaus positiven Sinne – alle Gegenstände, an denen Merkmale des Wunderbaren, Phantasievollen einen Abstand zum Alltäglichen einerseits und zu klassizistischen Ordnungen in der Kunst andererseits markierten (zum Beispiel »romantische« Landschaften). »Romantisch« konnte aber nun |9◄ ►10|auch die Liebe sein; etwa dann, wenn sie sich gegen gesellschaftliche Konventionen (und um den Preis des Liebestodes) behauptete. Im alltagssprachlichen Gebrauch hat sich »romantisch« bis in die Gegenwart hinein als Bezeichnung für eine Haltung oder ein Handeln behauptet, das im Gegensatz zur Rationalität und zum Realismus des »normalen« Lebens steht.
Zeitlich nähern wir uns damit den Anfängen jener literarischen Strömung, um die es hier geht und somit u.a. einem Buch von Wilhelm Heinrich Wackenroder (1773-1798) und Ludwig Tieck (1773-1853), das den Titel Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders trägt.
Fünf wesentliche Charakteristika der literarischen Romantik
Obgleich fast am Anfang der literarischen Romantik stehend, verdichten sich bereits im Titel dieser 1796 (datiert auf 1797) erschienenen Sammlung wesentliche Aspekte der Romantik. Man könnte sogar so weit gehen, und – ein wenig boshaft vielleicht – behaupten, dass wir es hier bereits mit einer Definition des »Romantischen« zu tun haben. Zum Text selbst hier ganz kurz nur so viel:
Es handelt sich um ein durch seine Erzählstruktur – der titelgebende Klosterbruder fungiert als Erzähler der meisten Stücke – verklammertes Sammelwerk von 18 Texten: kunsttheoretische Aufsätze (insbesondere über Malerei, etwa Raffael und Dürer), Briefe, Bildbeschreibungen, Prosa und Poesie, Künstlerbiographik und Essayistik. Sowohl die unsystematische Form als auch ihr Inhalt machen die Herzensergießungen zweifellos zu einem der Gründungsdokumente der deutschsprachigen Frühromantik. Dies erklärt wohl auch Goethes lebenslange Abneigung gegen das Büchlein: Noch im November 1827 bezeichnet er in einem Brief das Buch als »Infektion eines schwindsüchtigen Pfaffenfreundes« (Wackenroder war 1798 mit 24 an einem Nervenfieber gestorben).
Aber zurück zum Titel: Hier verdichten sich, wie in einem Prisma und ohne dass der Begriff des »Romantischen« fiele, doch ganz zentrale Aspekte der deutschsprachigen literarischen Romantik, so dass man sie sich mit Hilfe dieses Titels (wie in einer Art 5-Finger-Lernmethode) immer wieder vergegenwärtigen kann:
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1. Herzensergießungen
Die Herzensergießungen verweisen auf den Gemütszustand des Erzählers sowie auf seine Erzählhaltung, die zugleich eine Lebenshaltung ist: nämlich die der Schwärmerei und des Enthusiasmus (E.T.A. Hoffmann etwa wird später seine ersten Erzählungen von einem fiktiven »reisenden Enthusiasten« erzählen lassen). Die Tradition der enthusiasmierten Rede ist natürlich nicht genuin romantisch, geht sie doch – als Gotterfülltheit, Verzückung, Inspiration – über die Genieästhetik des Sturm und Drang und über die Empfindsamkeit zurück bis auf Platon.
Und dennoch manifestiert sich im schwärmerischen Redegestus der Herzensergießungen ein bewusster Einspruch der beginnenden Frühromantik gegen den zeitgenössischen, aufgeklärten Umgang mit der Kunst, der von einer klassizistischen und rationalistischen Poetik und Ästhetik getragen wird. Stark gemacht wird das Gefühl als jene angemessene Erlebnis- und Ausdrucksweise, in der sich der Kunst im Besonderen, der Welt im Allgemeinen begegnen lässt. Als liebevolle Einfühlung und pietätvolle Andacht richtet sich die Herzensergießung gegen jene
»[k]ritischen Köpfe, welche, an alle außerordentliche Geister, als an übernatürliche Wunderwerke, nicht glauben wollen noch können und die ganze Welt gern in Prosa auflösen möchten.« (W I, 65)
Damit wird natürlich nicht nur ein spezifisches Verhältnis gegenüber der Kunst, sondern auch eine aufgeklärte Denk- und Lebenshaltung insgesamt kritisiert. Die Reden des Klosterbruders sind durchsetzt von einem Wortschatz der Innerlichkeit, der Rhetorik des Erhabenen und Sakralen, der Tradition der Empfindsamkeit und der Sprache des Herzens. So heißt es etwa in dem Abschnitt Wie und auf welche Weise man die Werke der großen Künstler der Erde eigentlich betrachten und zum Wohle seiner Seele gebrauchen müsse:
»Ich vergleiche den Genuß der edleren Kunstwerke mit einem Gebet. [ …] Der aber ist ein Liebling des Himmels, welcher mit demüthiger Sehnsucht auf die auserwählten Stunden harrt, da der milde himmlische Strahl freywillig zu ihm herabfährt, die Hülle irdischer Unbedeutendheit, mit welcher gemeiniglich der sterbliche Geist überzogen ist, spaltet, und sein edleres Innere auflöst und auseinanderlegt; dann knieet er nieder, wendet die offene Brust in stiller Entzückung, gegen den Himmelsglanz und sättiget sie mit dem ätherischen Licht; dann steht er auf, froher und wehmüthiger, volleren und leichteren Herzens, und legt seine Hand an ein großes gutes Werk.« (W I, 106f.)
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2. eines
Das klingt ein wenig konstruiert, aber wir haben es hier mit den »Herzensergießungen« eines Klosterbruders zu tun und nicht mit der klosterbrüderlichen Sicht auf die Kunst überhaupt. Was sich hierin andeutet, das ist die vor allem für die Frühromantik bedeutsame und oft im Rückbezug auf den Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) vollzogene Hochschätzung des Subjekts, das auf sich selbst, d.h. auf die Bedingungen seiner Möglichkeit reflektiert, und das die Welt außerhalb seiner selbst, das »Nicht-Ich«, wie es bei Fichte heißt, erst in ihrem Sosein »setzt«. Diese Hochschätzung der Individualität gilt auch und gerade für den Künstler, was sich etwa zeigt, wenn Friedrich Schlegel in seinem berühmten 116. Athenäums-Fragment (s. dazu unten) ganz in der Tradition der Genieästhetik des Sturm und Drang darauf besteht, »daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide« (FS, 183).
3. kunstliebend
Fast untertrieben ist das schmückende Beiwort »kunstliebend«, artikuliert sich im Klosterbruder doch geradezu eine Kunstfrömmigkeit, eine Sakralisierung der Kunst, die für die Romantik prägend und konstitutiv sein wird. Bereits in einem Brief Wackenroders vom 11. Dezember 1792 an seinen Freund Tieck bricht sich diese Kunstreligiosität Bahn:
»Nur schaffen bringt uns der Gottheit näher; u der Künstler, der Dichter ist Schöpfer. Es lebe die Kunst! Sie allein erhebt uns über die Erde, u macht uns des Himmels würdig.« (W II, 101)
Der Künstler fungiert als gottähnliches Schöpferindividuum, die Kunst selbst übernimmt gleichsam die Mittlerfunktion der Kirche als autonome, sakramentale Gnadenspenderin. Dass eine solche Überschätzung der Kunst gleichzeitig erhebliche Gefahren der gesellschaftlichen Entfremdung für die beteiligten Künstler mit sich bringt, auch dieser in vollem Umfang erst bei Hoffmann entfaltete Gedanke wird erstaunlicherweise bereits im Klosterbruder angedeutet: am Beispiel des Merkwürdigen musikalischen Lebens des Tonkünstlers Joseph Berglinger. Das Schlussstück der Sammlung (das bedeutendste und umfangreichste) entwirft Konturen des romantischen Künstlers als eines Zerrissenen, die traditionsbildend bis heute sind. Es baut die bis in den Ästhetizismus des 19. und 20. Jahrhunderts wirksame Kontraststellung des geweihten Künstlers gegenüber den gewöhnlichen Menschen, den »Philistern«, in |12◄ ►13|der Weise aus, dass für das Auserwähltheitsgefühl des Künstlers gleichzeitig der Preis seiner Selbstaufopferung zu bezahlen ist. Der Überschätzung der Kunst entspricht ein elitäres Bewusstsein des Genies, das die Musik und den Künstler im Rahmen einer Kunstreligion weiht, seine Auserwähltheit und Genialität aber mit einer radikalen Asymmetrie zum Publikum bezahlt:
»Er gerieth auf die Idee, ein Künstler müsse nur für sich allein, zu seiner eigenen Herzenserhebung, und für einen oder ein paar Menschen, die ihn verstehen, Künstler seyn.« (W I, 142)
Die für die Romantik so charakteristische »Kunstliebe« zeitigt aber noch einen weiteren wichtigen Effekt. So wie der Liebende in Gedanken permanent um das Objekt seiner Liebe kreist, so kreist die romantische Literatur immer wieder um das Objekt ihrer Liebe, nämlich um die Kunst. Insofern reflektiert die romantische Literatur eben auch permanent sich selbst und macht sich selbst zum Thema ihrer Darstellungen, was sich darin niederschlägt, dass die Hauptfiguren der romantischen Erzählungen, Romane und Dramen nicht selten Künstler sind oder zumindest werden wollen.
4. und 5.: Klosterbruder
Der »Klosterbruder« erinnert bildlich an zwei Grundzüge der Romantik: Zum einen an ihre Begeisterung für das Mittelalter, jene »tiefsinnige und romantische Zeit« (N 1, 249). Die zeigt sich nicht nur darin, dass viele romantische Erzählungen und Romane (etwa Novalis’ Heinrich von Ofterdingen) im Mittelalter situiert sind, sondern auch darin, dass das Mittelalter von romantischen Autoren wie A.W. Schlegel (in seinen Berliner Vorlesungen, s. dazu unten) oder Novalis (in seiner programmatischen Studie Die Christenheit oder Europa) als positive Projektionsfläche herangezogen und konstruiert wird, wenn es darum geht, die Zustände in der aufgeklärten, aber als leidenschafts- und geheimnislos empfundenen Gegenwart zu kritisieren . Das Mittelalter wird dann im Rahmen eines dreistufigen Geschichtsschemas zum ursprünglichen »goldenen Zeitalter« stilisiert, aus dessen Paradiesen sich der Mensch der Neuzeit selbst vertrieben habe. Als dritte Stufe wird eine im Zeichen des Romantischen »wiederverzauberte« Welt in die Zukunft projiziert. Neben dieser Funktion einer vergangenheitsorientierten Gegenwartskritik entwerfen die Romantiker mit ihrem eingeschönten Bild des Mittelalters natürlich auch ein Konkurrenzprogramm zur Antikeorientierung der deutschen Klassik.
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Zum anderen steht der »Klosterbruder« für die latente oder auch ganz offene Neigung der Romantiker, jener »nach dem Ueberirdischen durstige[n] Seelen« (N II, 750), zum Religiös-Spirituellen im Allgemeinen, zum Katholizismus (man denke an die Konversion Schlegels, die Reversion Brentanos, an den Katholizismus Eichendorffs) im Besonderen. Die Sinn- und Ordnungsverheißungen eines christlichen Weltbildes gewinnen für die Romantiker vor allem nach dem Abkühlen des frühromantischen Überschwangs zunehmend an Attraktivität. Aber schon 1799 heißt es etwa bei Novalis in Die Christenheit oder Europa:
»Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs.« (N II, 732)
Bei Wackenroder geht diese neue Begeisterung für das Mittelalter und den Katholizismus, die bald von vielen Romantikern geteilt werden sollte, auf seine Nürnberg-Reise im Juni 1793 zurück. In einem seiner Reisebriefe an die Eltern schreibt er:
»Nürnberg ist eine Stadt, wie ich noch keine gesehen habe, u hat ein ganz besonderes Interesse für mich. Man kann sie, ihres Äußern wegen, in der Art romantisch nennen.« (W II, 188)
Wenn Wackenroder an dieser Stelle Nürnbergs mittelalterlich anmutende Architektur mit dem Terminus »romantisch« belegt, deutet sich in seinem Wortgebrauch bereits jene folgenreiche Bedeutungsverschiebung bzw. -erweiterung an, von der am Beginn dieses Kapitels die Rede war: von der älteren Bedeutung des Romanhaften, Wunderbaren oder auch Naturhaft-Pittoresken zum Zentralbegriff einer modernen, dem Lob des klassischen Altertums entgegengesetzten Dichtungstheorie, wie sie insbesondere von den Gebrüdern Schlegel in der Folgezeit vor allem im Athenäum propagiert wurde.
Bevor es im folgenden Kapitel genau um jene Dichtungstheorie und die Gebrüder Schlegel gehen soll, hier abschließend noch einmal die fünf zentralen Charakteristika der deutschsprachigen Romantik in der Übersicht: |14◄ ►15|
Herzensergießungen1.Aufwertung des Gefühlseines2.Subjektivitätkunstliebenden3.Kunstemphase und KunstreflexionKlosterbruders4.Mittelalter als gegenwartskritische Projektionsfläche5.Neigung zum Religiös-Spirituellen, zum Katholischen
Weiterführende Literatur
Kremer, Detlef: Romantik. 2. Aufl. Stuttgart/Weimar 2003 Safranski, Rüdiger: Romantik. Eine deutsche Affäre. München 2007
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2
»Die Welt muß romantisiert werden« – Frühromantische Gruppenbildung, Literaturpolitik und Programmatik
Die Phase der Frühromantik ist vergleichsweise kurz, reduziert sie sich doch – sieht man einmal von den üblichen Inkubationszeiten solcher Strömungen ab – auf die zweite Hälfte der 1790er Jahre. In diese ca. 5 bis 6 Jahre fallen die Freundschaft zwischen Wackenroder und Tieck (die mit dem frühen Tod des Ersteren 1798 endet), zwischen Tieck und Novalis (die mit dem ebenso frühen Tod Novalis’ 1801 endet) sowie zwischen Friedrich Schlegel (1772 – 1829) und Novalis. Ebenfalls hier verortet ist die Zusammenarbeit der Gebrüder Schlegel, die zwischen 1798 und 1800 gemeinsam das erste romantische Publikationsorgan, das Athenäum, herausgeben, die als skandalös geltende Beziehung zwischen Friedrich und der damals noch verheirateten Bankiersgattin Dorothea Veit (1763 – 1839), die Beziehung zwischen August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845) und seiner Frau Caroline (1763 – 1809), die dann wenig später Schlegel für den Philosophen Schelling (1775 – 1854) sitzen lässt.
Wechselnde Gruppenbildungen und Jena als wichtiges Zentrum
Die kurzzeitigen Zentren der instabilen und ständig im Fluss begriffenen, romantischen Geselligkeiten sind Jena, Berlin und dann wieder Jena. Im August 1796 ziehen die Schlegels auf Einladung Schillers, mit dem sie sich später heillos überwerfen, nach Jena und knüpfen dort auch Kontakte mit Fichte. Im Juli 1797, nach dem Zerwürfnis mit Schiller, zieht Friedrich Schlegel wieder nach Berlin, verkehrt dort in den literarischen Salons der Rahel Levin und Henriette Herz und beginnt eine Liebesaffäre mit Dorothea Veit. Hier lernt er auch den Philosophen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) und den Dichter und Übersetzer |16◄ ►17|Ludwig Tieck kennen. Diese Berliner Periode dauert bis in den Spätsommer 1799. Das dritte größere Zusammentreffen, September 1799 bis etwa April 1800, ist das wichtigste – zumindest hat es als Konstitution der sogenannten »Jenaer Romantik« am meisten von sich reden gemacht. Hier treffen August Wilhelm und seine Frau Caroline mit Friedrich und Dorothea, Ludwig Tieck und seiner Frau sowie Novalis zusammen. Auf »Symphilosophie« und »Sympoesie«, also auf eine neue Form gemeinschaftlicher Kulturproduktion unter Wahrung der größtmöglichen Freiheit der beteiligten Individuen zielen Friedrich Schlegel zufolge alle diese vorübergehenden Romantiker-Bünde und die neuen Formen der Geselligkeit in der Frühphase. Das ist groß gedacht und geht natürlich – im Großen und Ganzen gesehen – am Ende schief. Der jugendbewegte Elan des schönen Chaos – die meisten der beteiligten Akteure befinden sich noch in ihren 20ern – verebbt, die Projekte scheitern, die hochfliegenden Pläne, das Experiment einer Gemeinschaftlichkeit ohne Zwang und feste Regeln – sie geraten in den Sog der Fliehkräfte des Allzumenschlichen. Um 1801/02 kommt es zum Zerfall der ohnehin nur lose gefügten Gruppe. Friedrich Schlegel beginnt – auf der Suche nach ordnungsstiftenden ideellen Bezugssystemen – seine Neigung für das Religiöse zu entdecken (die schließlich in seiner Konversion zum Katholizismus 1808 mündet), Novalis stirbt, Tieck – ohnehin eher in der Rolle des etablierten Außenseiters – verlässt Jena zu Beginn des Jahres 1801, Friedrich Schlegel und Schleiermacher überwerfen sich über dem Projekt einer Platon-Ausgabe und die sehr selbstbewusste Caroline Schlegel wird zur Lebensgefährtin Schellings.
Literaturpolitik und Programmatik I: August Wilhelm Schlegels »Kritik an der Aufklärung«
Als August Wilhelm Schlegel zwischen 1801 und 1804 in Berlin seine Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst hält, ist die Konstitutionsphase der deutschen Romantik, die sogenannte Frühromantik, also in gewisser Weise bereits zu Ende.
Und doch sind es erst die Vorlesungen des Berliner Privatgelehrten, die im Sinne einer eigenständigeren denkerischen Leistung zwar nicht sonderlich originell sind, die aber dennoch die einzelnen Ideen des frühromantischen Kreises zum ersten Mal in pointierten Formulierungen zusammenfassen. Damit erst wird die Romantik als ein klar abgrenzbarer Diskurs einem breiteren Publikum vermittelt.
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