Lohn für Hausarbeit - Louise Toupin - E-Book

Lohn für Hausarbeit E-Book

Louise Toupin

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Beschreibung

Zu Beginn der 1970er-Jahre entstand die internationale Bewegung ›Lohn für Hausarbeit‹, in der Frauen verschiedenster Hintergründe und Sexualitäten zusammenkamen und gemeinsam kämpften. Ihr Ziel war skandalös und revolutionär zugleich: Der feministische Kampf sollte auf eine neue Grundlage gestellt werden, ausgehend von der Forderung, unsichtbare Hausarbeit anzuerkennen und zu entlohnen. Doch dieses Anliegen wurde oft missverstanden, der Strömung wurde vorgeworfen, Frauen an den Herd zu verbannen. Da sie sich nicht durchsetzen konnte, verlor die Bewegung schon nach wenigen Jahren an Elan. Louise Toupin bringt die Originalität und politische Kraft dieser Bewegung ans Licht, indem sie tief in ihre Ideen und Aktionen eintaucht. Ihr Buch ist das Ergebnis jahrelanger Forschung und porträtiert eine zu Unrecht verblasste Episode in der Geschichte feministischer Ideen. Denn die damaligen Kämpfe, Debatten und Theorien warten mit kritischen Werkzeugen auf, die für viele aktuelle feministische und gesellschaftspolitische Themen wie Care-Arbeit, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Sexualität als Arbeit oder die gesellschaftliche Reproduktion auf globaler Ebene auch heute noch von Nutzen sein können. Interviews mit den Theoretikerinnen und Pionierinnen der Bewegung Mariarosa Dalla Costa und Silvia Federici runden diese erkenntnisreiche Dokumentation ab. [Wir danken dem ›Canada Council for the Arts‹ für die Förderung!]

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Seitenzahl: 641

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Band 4 in der Reihe »Theorien und Kämpfe der sozialen Reproduktion«, herausgegeben von Friederike Beier

Louise Toupin, Aktivistin der Front de libération des femmes du Québec (1969–1971) und Mitbegründerin des Verlags Éditions du remue-ménage, ist pensionierte Dozentin der Université du Québec à Montréal und unabhängige Forscherin. Sie befasst sich in erster Linie mit der Geschichte und Entwicklung der Frauenbewegung und ihren Theorien und Strömungen. Toupin setzt sich insbesondere mit dem Konzept der Anerkennung der unsichtbaren Arbeit auseinander, die typischerweise von Frauen geleistet wird.

Ilse Lenz ist Professorin em. für Soziologie (Geschlechter- und Sozialstrukturforschung) an der Ruhr-Universität-Bochum. Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind u.a. Globalisierung, Geschlecht und Arbeit, Frauenbewegungen im internationalen Vergleich; komplexe soziale Ungleichheiten (Klasse, Ethnizität, Geschlecht, Begehren). Veröffentlichung zum Thema etwa: Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung. 2. Auflage 2010. Wiesbaden: VS Verlag.

Friederike Beier forscht, lehrt und publiziert zu materialistischem Feminismus, sozialer Reproduktion und globaler Gouvernementalität. Als Politologin arbeitet und promoviert sie an der Freien Universität Berlin über die globale Regierung und Quantifizierung sozialer Reproduktionsarbeit. Sie hat eine Tochter und lebt in Berlin. Bei Unrast ist zuletzt der Sammelband materializing feminism. Positionierungen zu Ökonomie, Staat und Identität (Beier, Haller, Haneberg 2018) erschienen.

Louise Toupin

Lohn für Hausarbeit

Chronik eines internationalen Frauenkampfs (1972–1977)

Aus dem Französischen übersetzt von Marie Trepermanmit einem Vorwort von Ilse Lenz

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Louise Toupin:

Lohn für Hausarbeit

Chronik eines internationalen Frauenkampfs (1972–1977)

1. Auflage, Oktober 2022

Titel der Originalausgabe:

Le salaire au travail ménager

Chronique d’une lutte féministe internationale (1972-1977)

© 2014 Les Éditions du remue-ménage

Es wurden alle Anstrengungen unternommen, mit den rechtlichen Inhaber*innen der hier abgedruckten Dokumente Kontakt aufzunehmen. Wir bedauern jegliche Versäumnisse.

Übersetzt und gedruckt mit freundlicher Unterstützung des

eBook UNRAST Verlag, Juni 2023

ISBN 978-3-95405-158-8

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Felix Hetscher, Münster

Satz: Andreas Hollender, Köln

Inhalt

Ilse Lenz: Eine Zeitreise entlang einer Spirale: Von der Hausarbeit zur Fürsorge für alle Geschlechter?

Einführung: Eine politische und eine persönliche Geschichte

ERSTER TEILDas Internationale Feministische Kollektiv: Historische Übersicht und politische Perspektive

Eins – 1972: Der Lohn für Hausarbeit in der Welt des Feminismus

Einblick in den Alltag der Frauen Anfang der 1970er-Jahre

Die zweite feministische Bewegung: In der Bewegung der Neuen Linken

Auf der Suche nach der ›spezifischen‹ Unterdrückung der Frau

Die Hausarbeit: Von der Arbeit ›aus Liebe‹ zur Arbeit ›als Ausbeutung‹

Der Marxismus: Eine unumgängliche Referenztheorie der zweiten feministischen Bewegung

Einige wegweisende Texte zum Thema Hausarbeit

Feministische Vordenkerinnen von »Lohn für Hausarbeit«

Zwei – Der Lohn als machtpolitischer Hebel: Die politische Perspektive

Eine neu aufgelegte marxistische Vision

Eine neue Definition des Frauseins auf Grundlage der Hausarbeit

Ein Lohn als Machthebel

Ein Lohn gegen die Natürlichkeit der Hausarbeit

Heterosexualität als Bestandteil der Hausarbeit

Das besondere Verhältnis afroamerikanischer Frauen zur Hausarbeit

Hausarbeit: Vor, nach und in der Schule

Die disziplinierende Funktion häuslicher Gewalt

Die Lohnlosen und reproduktive Arbeit: Geschlecht, ›Rasse‹, Klasse

Drei – Das Internationale Feministische Kollektiv, 1972–1977

Ein Netzwerk von Gruppen

Das Gründungsmanifest

Gründungskontext des Internationalen Feministischen Kollektivs

»Keimzelle einer Fraueninternationale«

Das IFK als Epizentrum

Eine Kampagne zur Förderung von »Lohn für Hausarbeit«: Die Organisierungsperspektive

Einige der auf den internationalen Konferenzen geführten Debatten

ZWEITER TEILPolitische Mobilisierung rund um die unsichtbare Arbeit von Frauen

Überblick

Vier – Mobilisierung rund um die unsichtbare Arbeit von Frauen zu Hause

Familienbeihilfen

Die Sozialhilfe als erste Form eines Lohns für Hausarbeit

Frauengesundheit und die »Verwaltung« der Gesundheit von Frauen

Kämpfe lesbischer Mütter

Fünf – Mobilisierung rund um die außerhäusliche unsichtbare Arbeit von Frauen

Mobilisierung an Orten der Lohnarbeit

Kämpfe im Maimonides Community Mental Health Center in Brooklyn

Der Kampf der Arbeiterinnen in der Solari-Fabrik (Udine, Italien)

Ein Kampf von Krankenpflegerinnen in England

Trinkgeld vor Gericht: Kämpfe von Kellnerinnen in Kanada

Unterstützung für »Gehsteigarbeiterinnen«

Kämpfe im Sozialwesen und in den Gemeinden

Überlegungen zu kommunalen Einrichtungen in der Region Emilia (Italien)

Unterstützung für ein Frauenhaus: Nellie’s Women’s Hostel in Toronto

Sechs – Aktivitäten von Gruppen an der Peripherie des Netzwerks

Initiativen im französischsprachigen Québec

Die Gruppe Lohn für Hausarbeit in Berlin

L’Insoumise in Genf

Abschließend ...

Epilog: Von gestern bis heute

Interview mit Mariarosa Dalla Costa

Interview mit Silvia Federici

Danksagung

Bibliografie

Endnoten

Eine Zeitreise entlang einer Spirale: Von der Hausarbeit zur Fürsorge für alle Geschlechter?

Ein Vorwort von Ilse Lenz

Dies Buch lädt zu einer Zeitreise ein: Von der Erschöpfung, dem Perfektionsdruck und der Selbstoptimierung, die Frauen im globalisierten Kapitalismus im Norden heute erleben (Schutzbach 2021), begleitet es uns zu dem Internationalen Feministischen Kollektiv (IFK), das in den 1970er-Jahren die internationale Kampagne für Lohn für Hausarbeit (KLH) vorantrieb. Dieses Netzwerk lehnte damals den klassischen linken Weg zur Emanzipation über die Lohnarbeit ab, der »Frauen […] letztlich nur anbietet, doppelt so viel zu arbeiten« (S. 151). Stattdessen entwickelte es einen offenen Raum für Frauen, die in ihrem Alltagsleben die Unterdrückung durch das Patriarchat, das Kapital und den Staat angehen und für ihre Autonomie kämpfen wollten. In diesen Raum traten weiße und Schwarze Aktivistinnen, Hausfrauen, Lesben, Sexarbeiterinnen, Forschende und viele andere ein. Schon ehe es den Begriff der Intersektionalität gab, arbeitete das IFK intersektionale Ungleichheiten heraus und dekonstruierte dadurch implizit die Vorstellung einer einheitlichen ›Frau‹. Auch die weltweite Bewegung für eine solidarische Care-Ökonomie (Winker 2021) leitet sich letztlich von dieser radikalen Kritik von Hausarbeit im Kapitalismus ab.

Dieses Buch von Louise Toupin zur internationalen Kampagne Lohn für Hausarbeit (KLH) erscheint in einem wichtigen Moment. Ausgehend von den multiplen Krisen von heute, die sie zu Beginn anspricht, können wir mit ihm in mehrere Zeiten zugleich blicken: In ein transnationales Netzwerk in der Vergangenheit, das die Hausarbeit oder in heutigen Worten die Sorgearbeit aus dem gesellschaftlich Verdrängten herausholte und damit das feministische Denken weltweit in nur in wenigen Jahren grundlegend veränderte. Zugleich beobachten wir die Krisen der Reproduktion, des Kapitalismus und des Naturverhältnisses in der Gegenwart. Schließlich regt es auch Visionen für die Zukunft an: Wie kann ein gutes Leben aussehen, in dem Fürsorge für alle, Gleichheit und Frieden verwirklicht wären? Deswegen führt für mich diese Zeitreise von damals über die lange Spirale der Veränderungen hin in die Gegenwart zurück zur gleichen Grundfrage: Was bedeutet die Sorgearbeit für die Kritik der Geschlechterungleichheit im Kapitalismus und für transformative Ansätze, die Gleichheit, Gewaltfreiheit, Sorge und Zuwendung unabhängig vom Geschlecht für alle umfassen?

Ich habe all diese Zeiten miterlebt und schreibe sowohl aus der nicht-identifikatorischen Distanz einer Wissenschaftlerin, die zu Ungleichheit, Geschlecht und Feminismus forscht, als auch einer Teilnehmerin, die noch die heftigen Auseinandersetzungen um »Lohn für Hausarbeit« im Ohr und im Gedächtnis hat, die von den Arbeitskonferenzen bis zu dem Glas Wein spät nachts gingen.

Ich habe also eine doppelte Sicht auf die Geschichte, die Louise Toupin so detailliert und respektvoll aufgearbeitet hat. Zunächst möchte ich zusammenfassen, wie ich ihre komplexe Rekonstruktion der internationalen Kampagne für Lohn für Hausarbeit gelesen habe. Mir geht es vor allem um ihre langwirkenden Potenziale, aber auch die Grenzen der Kampagne werden nicht ausgespart. Daraufhin frage ich nach der Bedeutung dieses Ansatzes in der gegenwärtigen sozialen Transformation, die durch den flexibilisierten Kapitalismus und die Pluralisierung von Geschlecht vorangetrieben wird (Lenz 2017).

Das IFK hatte den hohen Anspruch, eine Befreiungsbewegung für die meisten Frauen zu begründen, die sich von ihren alltäglichen Erfahrungen von Unterdrückung und Gewalt herleitet. Dazu entfalteten ihre Vordenkerinnen eine damals revolutionäre Gesellschaftstheorie, die die Frage des Lebens und der Versorgung von und Sorge um Menschen in den Mittelpunkt stellte und von einer Geschlechterperspektive her neu untersuchte. Sie definierten den Begriff der menschlichen oder sozialen Reproduktion, also der (Wieder-)Herstellung von Menschen, für die Gesellschaftstheorie um. Sie lehnten sich an die Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels an und hinterfragten sie zugleich radikal. In ihren Frühschriften hatten Marx und Engels zwar eine Vorstellung der geschlechtlichen Arbeitsteilung beim Erzeugen von Kindern formuliert, führten diese aber auf den natürlichen (männlichen) Trieb der Lohnarbeiter zurück. Die bürgerliche Geschlechter- und Familienideologie schob die ökonomische Bedeutung der unbezahlten Versorgungsarbeit im Haus vollends beiseite und fasste die Hausarbeit als Ausdruck der weiblichen Natur und insbesondere der Liebe der Hausfrau. Das Essen auf dem Tisch, die saubere Wäsche und die Pflege am Krankenbett wurden nicht mehr als unbezahlte Leistungen wahrgenommen, die für die Hauswirtschaft wie auch die Volkswirtschaft relevant waren. Sondern sie erschienen als Liebesdienste, die von der Hausfrau erwartet und eingefordert wurden und nach denen sie bewertet wurde.

Die feministischen Theoretikerinnen der KLH hielten demgegenüber fest, dass Menschen zu gebären und versorgen (Hausarbeit) kein Ausfluss von Natur, biologischer Körperlichkeit oder der natürlichen Liebe der Frau ist, sondern unbezahlte Arbeit für andere Menschen und die Gesellschaft darstellt. Sie erfassten diese Arbeit mit dem Begriff der menschlichen oder sozialen Reproduktion neu und setzten ihn in unmittelbaren Bezug zum Kapitalismus, zum Patriarchat und zum Staat. Sie stellten fest, dass den Frauen die unbezahlte Hausarbeit wie einer Kaste qua Geschlecht aufgeherrscht wurde. Danach leisten sie unbezahlt die Erhaltung der Menschen, die das Kapital als Arbeitskräfte vernutzt. Die Männer in ihrer Zwischenstellung zwischen Kapital und Familie profitieren davon und disziplinieren ihre Ehefrauen, auch unter Einsatz häuslicher Gewalt.

Louise Toupin ruft die damaligen Geschlechterverhältnisse in westlichen kapitalistischen Gesellschaften wieder ins Gedächtnis, die heute im Zeitalter hoher Frauenerwerbsquoten kaum mehr vorstellbar sind. Damals war die große Mehrheit der Frauen Hausfrauen und höchstens vor der Ehe oder dem ersten Kind erwerbstätig. In manchen Ländern musste der Ehemann ihrer Erwerbtätigkeit zustimmen und hatte die Entscheidung über das Familienvermögen, teils auch über ihren Lohn. Hausfrauen waren wirtschaftlich von dem Ehemann abhängig und häusliche Gewalt wurde weder gesellschaftlich als relevantes Problem wahrgenommen, noch ernsthaft sanktioniert. Zudem wirkten auch die kulturellen Normen und Institutionen durchgreifend auf die Subjektivitäten und Lebenswege ein. Die Ehe bildete die anerkannte Lebensform der Frau. Alleinstehende Frauen wurden als ›vertrocknete alte Jungfern‹ ausgegrenzt. Weibliche Homosexualität war tabuisiert und männliche strafrechtlich verboten. Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität existierten als Begriffe noch nicht, sondern wurden später durch die queer-feministische Kritik eingebracht. Aber eben als unbewusste Leitnormen bewirkten sie, dass die heteronormative Ehe rechtlich wie sozial die hegemoniale Lebensform für Frauen wie Männer darstellte. Dass die KLH die materiellen Grundlagen der Abhängigkeit von Frauen im Zusammenhang von Patriarchat und Kapitalismus kritisierte, kann zur Erklärung beitragen, warum sich bald auch Lesben und Schwarze Frauen in ihr engagierten, wie Toupin nachzeichnet.

Der Theorieansatz entwarf entlang der unbezahlten Arbeit eine Wirkungskette von Ungleichheit und Gewalt, in der Geschlechterungleichheit (Patriarchat), Kapitalismus und bald auch Rassismus verkoppelt waren. Ich fasse diese folgenreiche Kette nochmals knapp zusammen: Der Kapitalismus umfasst über die Sphäre der Produktion (Lohnarbeit) hinaus auch die Sphäre der Reproduktion der Arbeitskraft (nicht entlohnte Arbeit). Die unbezahlten Arbeiter*innen sind dem Kapitalismus vermittelt über das Lohnverhältnis unterworfen. Für die Hausfrau bedeutet das: Der Ehemann und Lohnarbeiter hat die Macht, ihre Arbeit zu Hause zu kommandieren und zu kontrollieren und er befindet sich in diesem Kontext in der Position des Unterdrückers. Frauen sollten sich deswegen nicht mit den Unterdrückern organisieren, sondern vielmehr autonom, mit anderen Frauen, ausgehend von ihrem eigenen Unterdrückungsverhältnis: der Hausarbeit. Die Forderung nach Lohn für Hausarbeit wird so zu einem Hebel, um Autonomie und Gemeinschaft mit Frauen in verschiedenen Lebenslagen zu verlangen.

Die Vordenkerinnen der KLH wandten diesen Ansatz an, in den sie ihre verschiedenen Erfahrungen und Sichtweisen zur Analyse des weltweiten Kapitalismus einbrachten. Danach sind alle Gruppen von Nicht-Lohnarbeitenden Teil der Arbeiterklasse, die nicht länger als auf die Lohnarbeitenden begrenzt gesehen wird. Vielmehr werden nun die »Lohnlosen der Erde« (Selma James, vgl. S. 89) einschließlich der Kolonialisierten, der Bäuer*innen des Südens, der Arbeitslosen, der Gefängnisinsass*innen, der Zwangsarbeiter*innen usw. in die hierarchische Organisation des kapitalistischen Produktionszyklus eingereiht und somit können auch sie den Prozess der Akkumulation unterlaufen. »Das eröffnet jeder dieser Gruppen von Menschen die Möglichkeit für einen autonomen Kampf.« (S. 90) Wie zunächst die Hausfrauen werden auch sie als handelnde Subjekte mit der Fähigkeit zum gesellschaftlichen Umsturz in die Geschichte eingeführt. »Sie müssen sich autonom organisieren, um ihre eigene Autonomie und ihre eigene Macht zu entwickeln.« (ebd.)

Das Erbe dieses radikalen Ansatzes ist bis heute in den feministischen und kritischen Diskursen wirkmächtig und zugleich in Fragmenten verstreut. Deswegen ist es sinnvoll, seine drei langfristig wirksamen Pfeiler nochmals zu konturieren: Zum Ersten wird die Hausarbeit als gesellschaftliche Arbeit anerkannt, die wir heute als Care-Arbeit oder Sorgearbeit bezeichnen. Um sie werden im Kapitalismus Ausbeutungsverhältnisse nach Geschlecht, Klasse, Sexualität und ›Rasse‹ organisiert. U. a. Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies und Claudia von Werlhof haben diese Verbindungen dann weltweit erforscht und offengelegt (vgl. Werlhof 1983; Mies 2015). Zum Zweiten arbeitete das IFK die Verbindung von Sexismus und Rassismus im Kapitalismus heraus, also das, was heute Intersektionalität heißt. Zum Dritten schuf es so die Grundlage für ein intersektionales Bündnis von Frauen, dessen Leit- und Zauberwort Autonomie lautete. Das intersektionale Bündnis beruhte eben auf der Autonomie der Kämpfe für geteilte Anliegen und einer gemeinsamen Vorstellung von Gerechtigkeit. Kurz gesagt: Alle Frauen sind dem Kapital und dem Patriarchat untergeordnet, aber je nach Klasse, ›Rasse‹ und Sexualität in unterschiedlichen Formen, und sie entwickeln ihre Kämpfe autonom in einem übergreifenden Bündnis für den Umsturz der Gesellschaft (Dalla Costa 1973).

Klasse, ›Rasse‹ und Geschlecht wurden bereits in den 1970er-Jahren im Feminismus intensiv diskutiert, was die heutige Debatte um Intersektionalität weitgehend vergessen hat. Toupin etabliert hier die Bedeutung der KLH als eigenständigen Theorieansatz zu dieser Frage. Daneben standen zwei weitere Entwicklungslinien: Viele weiße und Schwarze Begründerinnen des radikalen Feminismus waren in der Schwarzen Befreiungsbewegung insbesondere dem Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und dem SDS aktiv gewesen, in denen sie Sexismus und Rassismus zusammen kritisierten (Evans 1979). Weiterhin hatten sich viele Feministinnen mit der Black Panther Partei und der Vorstellung eines autonomen Schwarzen Befreiungskampfs auseinandergesetzt. Im Combahee River Collective organisierte Schwarze lesbische Frauen forderten dann 1977 in ihrer Erklärung eine Schwarze feministische Bewegung und kritisierten den Rassismus der Frauenbewegung wie auch den Sexismus der Schwarzen männlich zentrierten Gruppen. Es ist wichtig, die Vielfalt der Wurzeln der heutigen intersektionalen Ansätze und besonders den Beitrag des KLH dazu wahrzunehmen, anstatt in einen essenzialisierenden Dualismus von weiß und Schwarz zu verfallen. Denn das IFK, in dem sich weiße und Schwarze Aktivistinnen gemeinsam und in autonomen Gruppen organisierten, hatte einen konkreten Ansatz zu einer nach wie vor zentralen Fragestellung entwickelt, nämlich wie Bündnisse unter Respektierung der Autonomie verschiedener Gruppen möglich sind.

In diese Konzeption der Autonomie gingen die Theoretisierungen der Vordenkerinnen des IFK ein, etwa von Mariarosa Dalla Costa, Selma James oder Wilmette Brown. Sie brachten ihre unterschiedlichen theoretischen Vorstellungen und aktivistischen Erfahrungen mit. Zu Recht arbeitet Toupin die Bedeutung des marxistischen Operaismus in Italien für Mariarosa Dalla Costa heraus, der von den Gruppen Lotta Continua und Potere Operaio praktiziert wurde und die Neue Linke jenseits der dogmatischen kommunistischen Parteien weltweit beeinflusste und belebte. Die kommunistischen Parteien folgten damals noch weithin dem Leninismus, nach dem die Partei aufgrund ihrer objektiven Analyse die Linie der Massenbewegung vorgibt. Der Operaismus setzte die Kämpfe demgegenüber am Ort der Unterdrückung an – für die Lohnarbeiter in der Fabrik – und verstand die Autonomie dieser Kämpfe als radikalen Lernprozess. Dementsprechend bildete »Lohn für Hausarbeit« für Dalla Costa einen Hebel, damit Frauen autonom am Ort ihrer Unterdrückung durch den Ehemann und die Familie kämpfen konnten. Dass dieser Kampf als potenzielles Bündnis von Arbeitenden und nicht identitätspolitisch gedacht war, lässt sich daran ersehen, dass in heutiger Sprache ›alle Geschlechter‹ – damals Männer wie Frauen – diesen Lohn erhalten sollten.

Das Verständnis von Autonomie bei Selma James wiederum kam vor allem aus ihrer langjährigen Erfahrung antirassistischer Kämpfe. Sie wuchs in einer jüdischen Arbeiterfamilie in einer Umgebung auf, in der Schwarze, weiße und Lateinamerikaner*innen nah beieinander lebten. Mit fünfzehn Jahren trat sie einer kleinen trotzkistischen Gruppe bei, die der Schwarze Historiker C.L.R. James (1901–1989) leitete. Sie folgte James 1955 nach London und setzte sich mit ihm in Trinidad und Tobago für die Unabhängigkeit ein. Danach engagierte sie sich in der »Campaign Against Racial Discrimination« in England, deren erste organisierende Sekretärin sie war. Aus dieser Erfahrung der Schwarzen-, Armen- und Frauenbewegung an der Basis heraus betonte sie die Bedeutung von Autonomie und Kreativität für soziale Kämpfe: Autonomie war für sie erforderlich, um eigenständige Diskurse und Handlungsmacht zu entfalten.

Wilmette Brown schlug die Brücke vom Ansatz von »Lohn für Hausarbeit« zum Schwarzen lesbischen Feminismus wie auch zu Kämpfen von Sexarbeiterinnen. Die rassifizierte ›heterosexuelle Arbeitsdisziplin‹ schrieb vor, dass Frauen unbezahlte oder schlecht bezahlte Reproduktionsarbeit leisten müssen (ob in ihrem eigenen Heim, im Haushalt weißer und reicher Familien, als Sexarbeiterinnen oder als Mütter mit Sozialhilfe) (Brown 1976 nach Capper 2018: 448). Brown führte aus, was Autonomie für afroamerikanische, rassifizierte und lesbische Frauen bedeutet. Sie müssen ihre Autonomie auf drei Ebenen umsetzen: gegenüber afroamerikanischen Männern, gegenüber weißen Frauen und gegenüber Schwarzen heterosexuellen Frauen (vgl. S. 111 f.).

Die Theoretikerinnen der IFK waren zugleich Aktivistinnen und sie zeichneten sich durch eine packende und verständliche Sprache aus. Sie brachten viele sinnliche Bilder aus dem Alltag ein, um ihre Theorien nachvollziehbar zu machen. Damit unterschieden sich die Texte von den oft formelhaften Texten der Neuen Linken.

So lässt sich das Erbe der KLH an die Neuen Frauenbewegungen in der kreativen Herausforderung zusammenfassen, die Wechselverhältnisse von bezahlter und unbezahlter Arbeit, von Klasse, ›Rasse‹, Sexualität und Geschlecht mit der Autonomie verschiedener Gruppen zusammenzudenken. Weiterhin schlossen diese Gruppen ein Bündnis, das eben nicht auf einer Addition von Identitätspolitiken, sondern auf einem geteilten Anliegen, dem Verlangen nach Gerechtigkeit für alle, beruhte.

Das IFK sah sich als internationale Bewegung, die Frauen an der Basis ansprechen und mitreißen wollte. Ihre internationale Ausrichtung und Organisation verschaffte ihr nach der weltweiten Jugend- und Studierendenrebellion eine besondere Legitimation und verlieh ihr einen globalen Blick, der sich in der Care-Debatte bis heute fortsetzt. Aber die internationale Ausrichtung brachte auch hohe Barrieren für eine gleiche Beteiligung. Denn letztlich war die Vernetzungsarbeit vor der Zeit des Internets auf Kerngruppen in den verschiedenen Ländern beschränkt, die Briefe schrieben, telefonierten, koordinierten und die Leitlinien debattierten.

Wie lässt sich die KLH in heutiger Sicht insgesamt beurteilen? Sie war vieles zugleich – ein transnationales aktivistisches Netzwerk, das revolutionäre feministische Theorien einbrachte und Frauen zu intersektionalen Bündnissen zusammenbrachte. Sie setzte auf eine Massenbewegung von Frauen, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, dass sie ein transnationalesepistemisches Netzwerk bildete, das die Kategorie der Reproduktionsarbeit als analytische Suchperspektive in die feministische Kritik einbrachte und neues Wissen dazu produzierte und weltweit verbreitete. Dieses Wissen bezog sich auf verkörperte vergeschlechtlichte Erfahrungen und Praktiken, die aus dem Kontext des Natürlichen in das Reich des sozialen Handelns von Menschen überführt und also der kritischen Reflektion zugänglich gemacht wurden. In anderen Worten hat die KLH die reflexive Macht und das analytische Arsenal der Feminismen grundlegend um den Reproduktionsbegriff und verkörperte Arbeit erweitert und das macht ihre fortwirkende Brisanz und Relevanz mit aus.

Toupin hebt hervor, dass die KLH weitgehend abgelehnt und ihre Themen marginalisiert wurden. Das mag für die liberalen Genderwohlfahrtsregime in Großbritannien und den USA zutreffen. In der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem konservativen Genderwohlfahrtsregime war die KLH jedoch ab Mitte der 1970er-Jahre ein grundlegender Impuls für Debatten zur Zukunft der Arbeit und des Wohlfahrtsstaats in der Neuen Frauenbewegung (vgl. insgesamt Lenz 2010). Auf der Sommeruniversität für Frauen 1976 trugen Gisela Bock und Barbara Duden ihre bahnbrechende historische Kritik an Hausarbeit im Kapitalismus vor, die dann zu einem Grundtext der feministischen Debatte wurde. Alice Schwarzer, die radikale Gleichheitsfeministin, wandte sich gleich danach gegen den ›Hausfrauenlohn‹, der Frauen in der Familie halten würde. Lesben, Mütter, Sexarbeiterinnen standen der Forderung weitgehend positiv oder offen gegenüber. Differenzfeministinnen begründeten mit der Vorstellung von weiblicher Fürsorge in der Hausarbeit ihre Vorstellung eines grundlegenden Geschlechtsunterschieds. Auf den stark besuchten Tagungen des Vereins Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen (ab 1978) und in seiner Zeitschrift wurde die alleinige Fokussierung auf die Lohnarbeit heftig kritisiert und die unbezahlte Arbeit als unverzichtbare Grundlage feministischer Analysen aufgenommen. Das kennzeichnete auch noch die große Tagung zur Zukunft der Frauenarbeit 1985 und die Tagungen zu Arbeit, Wohlfahrtstaat und globalem Kapitalismus, die Feminist*innen zusammen mit dem Arbeitskreis Frauenpolitik der Grünen Partei organisierten. In Ostdeutschland mit seiner staatlich gestützten Vollzeiterwerbstätigkeit von Frauen stießen Ansätze der KLH nach 1989 auf Skepsis und Ablehnung. Bei aller Kritik am Staatspatriarchat der DDR sahen die ›Ostfrauen‹ Frauenlohnarbeit und gesellschaftliche Infrastruktur für die Reproduktionsarbeit weiterhin als zentral und sie erlebten voller Zorn die Abschaffung des in der DDR geltenden Rechts auf Abtreibung.

Auch die sich herausbildende Frauenforschung übernahm das Leitparadigma von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen kapitalistischem Arbeitsmarkt und ungleichen Familienstrukturen. Die geschlechtliche Arbeitsteilung in Produktion und Reproduktion bildete die Grundlage, um geschlechtliche Ungleichheit zu ermitteln, und sie wurde in vielen Analysen auf den globalen Kapitalismus und das kapitalistische Weltsystem erweitert (Mies 1988; Lenz 2010, 2017).

Was ist seitdem geschehen? Ich kann hier nur knapp einige Linien nachzeichnen. Zunächst gelang es den globalen Frauenbewegungen, die unbezahlte und schlecht bezahlte Reproduktionsarbeit auf UN-Ebene als zentrale Frage zu verankern. In der Vierten Weltfrauenkonferenz von Beijing wurde die unbezahlte Arbeit als eines der zwölf strategischen Handlungsfelder aufgeführt, in denen die nationalen Regierungen tätig werden sollten. Der Einsatz der Frauennetzwerke vor allem aus dem Süden wie etwa DAWN (Development Alternatives with Women for a New Era) und vieler Frauen an der Basis war wesentlich dafür. Ich kann der distanzierten Einschätzung von Silvia Federici zu dieser Entwicklung in dem Interview zum Schluss nicht folgen.

Zum anderen hat der Care-Ansatz über den zweigeschlechtlichen Denkrahmen des heteronormativen Haushalts hinausgedacht und wird nun für die Vielfalt von Geschlecht und Lebensformen weitergeführt, die sich seit den 1980er-Jahren entwickelt hat. Die KLH war in dem Denken der Zweigeschlechtlichkeit im Sinne von ›Frauen‹ und ›Männern‹ verhaftet, auch wenn sie Frauen tendenziell intersektional dachte und so implizit dekonstruierte. Die konstruktivistische Wende von 1990 leitete eine dynamische Pluralisierung von Geschlecht ein, die sich international im globalen Norden, Süden und Osten fortsetzt (vgl. Gevisser 2021; Lenz 2017). Unter ›queer‹ werden nun Lesben, Schwule, Trans*, Inter*, Nichtbinäre und weitere Gruppen verstanden. Sie alle brauchen irgendwann Care und geben sie anderen. Sorgearbeit wird nicht mehr nur mit der ›Hausfrau‹ verbunden, die als Leitfigur verblasst ist. Menschen leben in einer Vielfalt von geschlechtlichen Beziehungs- und Lebensentwürfen und für sie alle ist die Sorgearbeit existentiell, wenn auch in verschiedenen Formen. Aber wie die Coronapandemie zeigte, bleibt Care-Arbeit für Kinder weiterhin tendenziell Müttern zugeordnet, auch wenn sich Väter mehr beteiligen.

Weiterhin haben der alltägliche Einsatz für reproduktive und sexuelle Rechte wie auch die Öffnung des Arbeitsmarkts für die Mehrheit der Frauen, auch der Mütter, die Bedeutung von Kinderversorgung und Hausarbeit seit der KLH grundlegend verändert. Die reale Massenbewegung für reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung und gegen das strafrechtliche Verbot der Abtreibung ab den späten 1960er-Jahren setzte ebenfalls an der Reproduktion an. Leider kommt sie in diesem Buch kaum vor, obwohl ein Vergleich interessant wäre. Hunderttausende Frauen und viele Männer gingen auf die Straßen, machten fantasievolle Aktionen und leisteten zivilen Widerstand durch damals riskante Selbstbezichtigungen im Sinne von »Ich habe abgetrieben« (vgl. Lenz 2010). Sie erreichten entweder die Aufhebung des Abtreibungsverbots für die ersten Monate der Schwangerschaft oder Straffreiheit unter bestimmten Bedingungen wie in Westdeutschland. Ein wachsendes feministisches Bewusstsein und Wissen über Verhütung sowie der Zugang zur Pille ermöglichten, dass nun Frauen selbst über ihre Sexualität und über Kinder entscheiden konnten. Mutterschaft wurde tendenziell vom weiblichen Kollektivschicksal zur persönlichen Wahl und die Kinderversorgung eher zu einer Lebensphase. In den kapitalistischen Gesellschaften sanken die Geburtenzahlen rasch. Frauen, auch Mütter, gingen mehrheitlich auf den Arbeitsmarkt und handelten sich damit ein, »doppelt zu arbeiten«, wie die KLH vorhergesagt hatte. »Eines ist zu wenig – beides ist zuviel« hatten feministische Soziologinnen schon in den 1980ern in einer dichten, bis heute weiterführenden Untersuchung zu Fabrikarbeiterinnen festgestellt (Becker-Schmidt 1984). Der Weg aus der Erschöpfung führt nicht zurück in den Haushalt, sondern zu der Suche nach gesellschaftlichen Lösungen, die auch die Reproduktionsarbeit zugrunde legen müssen.

Denn die Gesellschaft und die Geschlechterverhältnisse haben sich seit der KLH grundlegend verändert. Dazu haben sowohl der Wandel des Kapitalismus und des Wohlfahrtsstaats wie auch die Auswirkungen des Feminismus beigetragen. Ich möchte hier kurz auf vier Entwicklungen verweisen (vgl. ausführlich Lenz 2017): Erstens ist weltweit eine Pluralisierung und Flexibilisierung von Geschlecht zu beobachten, auch wenn die Gegenbewegungen mächtig und die Konflikte darum heftig sind. Zweitens führten der demografische Wandel und die Vielfalt von Lebensformen zu rasch sinkenden Kinderzahlen und einem steigenden Anteil von alten Menschen, die der Fürsorge bedürfen. Drittens beruht der globale flexibilisierte Kapitalismus auf einer Ökonomisierung von Arbeitskraft, die nun qualifizierte Frauen wie auch Migrant*innen einbezieht, auf einer Flexibilisierung und Prekarisierung einer internationalisierten Beschäftigung entlang globaler Wertschöpfungsketten und auf einer erneuten Privatisierung der Reproduktion als individuelles Lebensrisiko. Der Autonomiebegriff wird tendenziell in die kapitalistischen Strategien eingereiht. Setzt doch der globalisierte, flexibilisierte Kapitalismus auf die autonome Subjektivierung seiner hochqualifizierten Arbeitskräfte aller Geschlechter und ethnischer Herkünfte – während die Arbeiter*innen in den unteren Rängen in Dienstleistung und Produktion irregulärer und prekärer Beschäftigung ausgesetzt sind und sich auch angesichts des Umbaus des Wohlfahrtsstaats weitgehend autonom reproduzieren sollen. Überleben können sie teils nur durch mehrere Jobs und gepoolte Einkommen. Der Familienlohn, der dem ›Versorger‹ eine real sorgende Hausfrau zur Verfügung stellen würde, wird zum Privileg der Reichen und der oberen Mittelschicht. Viertens haben sich die geschlechtlichen Machtverhältnisse verändert: Gleichheit wurde zur globalen, durch die UN bekräftigten Norm. Frauen müssen nicht mehr die Revolte in Küche, Bett und Kinderzimmer anstreben, um Macht auszuüben. In den meisten demokratischen Gesellschaften werden sie an politischen und gesellschaftlichen Machtpositionen beteiligt, wenn auch weiterhin als Minderheit. Dasselbe gilt auch für Lesben und Schwule und beginnt, wenn auch langsam, für Trans*personen. Diese Teilhabe lässt sich als grundlegender Demokratisierungsprozess einschätzen. Sie bedeutet aber auch eine Differenzierung innerhalb der bisher nach Geschlecht und ›Rasse‹ Ausgeschlossenen (vgl. Lenz 2020).

Meine These lautet, dass sich gegenwärtig eine Transformation zu einer flexibilisierten Geschlechterordnung abzeichnet, deren Ausgang offen ist. Ihre Entwicklungen sind zutiefst widersprüchlich: Die Vorstellungen von Geschlecht werden pluralisiert und flexibilisiert, aber zugleich in Diversitätsstrategien eingebunden, die auf erhöhte Effektivität und Legitimität der herrschenden Systeme hinauslaufen können. Frauen haben eigene Lohnarbeit und eigenes Geld, aber nach wie vor sind sie es, die überwiegend für Sorgearbeiten zuständig sind, und so stehen sie am Rand von Überarbeitung und Erschöpfung. Der Zutritt der bisher Ausgeschlossenen zu politischen Machtpositionen wirkt im Sinne einer Demokratisierung, aber er kann auch zu einer Vereinnahmung von Feminismen für den Kapitalismus, Rassismus oder Imperialismus führen. Angesichts der neoliberalen ökonomistischen Leitideologien droht, dass die menschliche Reproduktionsarbeit erneut privatisiert und verdrängt wird.

So bringt uns der mögliche Übergang zu einer flexibilisierten Geschlechterordnung in einer großen Spiralbewegung zurück zur Frage der Reproduktion und Care. Deshalb ist dies ein Buch zur rechten Zeit, das ich mit großer Spannung und Freude gelesen habe. Die Grundtexte von Vordenkerinnen der KLH wie Mariarosa Dalla Costa (2022) und Silvia Federici (2021) wurden bereits im Unrast Verlag veröffentlicht. Darum freue ich mich besonders, dass nun das transnationale Netzwerk für Lohn für Hausarbeit sichtbar und zugänglich wird, das bis heute inspirierend wirkt.

Zitierte Literatur:

Becker-Schmidt, Regina; Knapp, Axeli Gudrun; Schmidt, Beate (1984): Eines ist zuwenig – beides ist zuviel: Erfahrungen von Arbeiterfrauen zwischen Familie und Fabrik. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft.

Bock, Gisela / Duden, Barbara (1976): Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus. In: Berliner Dozentinnen (Hg.): Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen. Berlin: Courage-Verlag. S. 118–199.

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Dalla Costa, Mariarosa (1973). Frauen und der Umsturz der Gesellschaft Neuauflage 2022. Münster: Unrast Verlag.

Evans, Sarah (1979). Personal Politics: The Roots of Women’s Liberation in the Civil Rights Movement and the New Left. New York: Alfred Knopf.

Federici, Silvia (2021). Revolution at Point Zero: Hausarbeit, Reproduktion und feministischer Kampf. Münster: Unrast Verlag.

Gevisser, Mark (2021): Die pinke Linie. Weltweite Kämpfe um sexuelle Selbstbestimmung und Geschlechtsidentität. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Lenz, Ilse (2010): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag.

Lenz, Ilse (2017): Genderflexer? Zum gegenwärtigen Wandel der Geschlechterordnung. In: Evertz, Sabine; Lenz, Ilse; Ressel, Saida (Hg.) (2017): Geschlecht im flexibilisierten Kapitalismus. Neue UnGleichheiten. Wiesbaden: VS Verlag, S. 181-222.

Lenz, Ilse (2020): Globaler flexibilisierter Kapitalismus und prozessuale Intersektionalität: Die Veränderungen nach Geschlecht und Migration in den Berufsrängen in Deutschland. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 2020, 45, S. 403 – 425. https://link.springer.com/article/10.1007/s11614-020-00432-x (10.8.2022).

Mies, Maria (1988): Patriarchat und Kapital. Neuauflage 2015. München: bge-verlag.

Schutzbach, Franziska (2021): Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit. München: Droemer.

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Winker, Gabriele (2021): Solidarische Care-Ökonomie. Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima. Bielefeld: transcript.

In Erinnerung an meine Mutter und meine Tanten, Hausfrauen, die sich ihr Leben mit einem Lohn zweifellos anders hätten vorstellen können.

EINFÜHRUNG: Eine politische und eine persönliche Geschichte

»Unser Platz in den Geschichtsschreibungen der Frauenbewegung und den antikapitalistischen Kämpfen im Allgemeinen ist uns nun sicher. Alle Texte, die innerhalb der letzten Jahre zur Frauenbewegung geschrieben wurden, kamen nicht umhin, ›Lohn für Hausarbeit‹ zu erwähnen […]. Wir stehen für die Absicht, eine neue Frauenbewegung aufzubauen, die international organisiert ist und auf einer Perspektive basiert, welche revolutionäre Implikationen für den gesamten antikapitalistischen Kampf hat. Was wir mit dieser politischen Perspektive machen werden – wie wir sie entwickeln und organisieren – sollte von nun an unser wichtigstes Anliegen sein.«

Montreal Power of Women Collective, April 1975[1]

»Du solltest dein Buch ›Die Desaparecidos der feministischen Bewegung‹ nennen.«

Mariarosa Dalla Costa, 1994[2]

In diesem Buch geht es um eine aus dem Bewusstsein des gegenwärtigen Feminismus fast gänzlich verschwundene Bewegung. Diese entstand zu Beginn der sogenannten ›zweiten Welle‹ des westlichen Feminismus und wurde »Lohn für Hausarbeit« oder, je nach Land »salaire pour/contre le travail ménager«, »wages for housework« oder »salario al lavoro domestico« genannt. Was es mit dieser Bewegung auf sich hatte, mit ihren Texten und Kämpfen, möchte ich in diesem Buch näher beleuchten und werde sie hierzu von ihrem Ursprung mit der Gründung des Internationalen Feministischen Kollektivs (IFK, 1972) bis hin zu ihrem Höhepunkt (1977), in dessen Folge einzelne Strömungen des Netzwerks eigene Aktivitäten unter anderen Namen fortsetzten, zurückverfolgen.

Die dieser feministischen Strömung zugrunde liegenden Ideen und Handlungsstrategien entsprangen zunächst Mariarosa Dalla Costas bahnbrechendem Text »Frauen und der Umsturz der Gesellschaft«.[3] Sie befassten sich nicht nur mit den rein materiellen Aufgaben der ›Hausarbeit‹ oder der ›häuslichen Arbeit‹ und ihrer Entlohnung, sondern thematisierten die Vielschichtigkeit, Unsichtbarkeit und Missachtung jener Arbeit in Familien und Gemeinschaften, die mehrheitlich von Frauen geleistet wird und ebenso notwendig wie wertschöpfend ist. Diese lange vor allem unter den Gesichtspunkten der Unentgeltlichkeit, der Liebe und der angeblich frauenspezifischen Selbsthingabe betrachtete Tätigkeit wurde dank der zweiten Welle des Feminismus[4] und seiner Theoretikerinnen erstmals als tatsächliche Arbeit, mehr noch, als Gegenstand der Ausbeutung betrachtet. Die Strömung »Lohn für Hausarbeit« identifizierte genau diese Art der Arbeit zum ersten Mal als das verborgene Gesicht der Lohngesellschaft und als ihre nicht entlohnte Seite. Als Arbeit, die mit dem Aufkommen der Industriegesellschaft und dem Kapitalismus entstand und den Platz von Frauen in der gesellschaftlichen Organisation und in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung definiert. Somit hat diese feministische Strömung zum ersten Mal das Problem der sozialen Reproduktion und den Platz, den Frauen in ihr einnehmen, konkret thematisiert.

Die Anerkennung der Hausarbeit als tatsächliche Arbeit und dazu als Gegenstand der Ausbeutung war von Beginn an eines der wichtigsten theoretischen Anliegen westlicher Denkerinnen des neuen Feminismus der ›zweiten‹ Welle, und die mit ihr verbundenen Fragen führten zu einer beträchtlichen Menge unterschiedlichster Analysen und Diskussionsbeiträge. Die Idee, Frauenkämpfe auf das konkrete Thema der Hausarbeit und ihrer Entlohnung zu fokussieren, ist jedoch spezifisch auf die Gruppen der Bewegung »Lohn für Hausarbeit« zurückzuführen.[5]

Überraschenderweise findet man allerdings trotz des Aufschreis, mit dem die Debatte sowohl in der akademischen als auch in der aktivistischen feministischen Welt in den 1970er- und frühen 1980er-Jahren begleitet wurde, heute nur wenige Spuren ihrer Existenz. Umso schwieriger gestaltete sich die Suche nach der für den Anstoß der Debatte verantwortlichen Strömung. Betrachtet man den wissenschaftlichen Diskurs, wird »Lohn für Hausarbeit« hier fast vollkommen übergangen. In nur wenigen historiografischen Berichten findet die Debatte überhaupt Erwähnung; der Beitrag, der von ihr für die Kritik und Dekonstruktion des Arbeitsbegriffs ausging, wird in keiner der relevanten Untersuchungen oder Literaturstudien erwähnt. Auch das Thema Hausarbeit an sich findet bei Wissenschaftler*innen kaum noch Anklang.[6]

Eine transnationale Bewegung mit einzigartiger Zusammensetzung …

Die Denkströmung bestand aus einer aktivistischen Bewegung, die sich als transnational verstand, was ein Novum für die zweite Welle des westlichen Feminismus war. Ab 1972 umfasste sie aktive Gruppen in Italien, England, den Vereinigten Staaten und Kanada (vor allem im englischsprachigen Teil Kanadas) sowie in der Schweiz und in Deutschland. Nicht wenige bezeichneten die Bewegung sogar als »Keimzelle einer Fraueninternationale«.[7]

Das mit ihr entstehende Netzwerk umfasste ein breites Spektrum an Aktivistinnen, was auch ein eher ungewöhnlicher Umstand für die damalige Zeit war. Ihre Perspektiven und Betrachtungsweisen waren so breit gefasst, dass sich nicht nur weiße heterosexuelle Frauen in ihnen wiederfanden. Auch Lesben, rassifizierte Frauen, Sozialhilfeempfängerinnen, Arbeiterinnen aller Art – wie Kellnerinnen, Krankenschwestern, Pflegepersonal und selbst Sexarbeiterinnen – wurden von ihnen angesprochen: Einige unter ihnen gründeten sogar eigene Gruppen innerhalb des Netzwerks und entwickelten individuelle Grundausrichtungen mit sehr originellen und eindringlichen Analysen aus ihren jeweiligen Positionen heraus. In manchen Ländern entwickelten sich zudem eigene Männer-Arbeitsgruppen um diesen Ansatz herum.

All diese Gruppen formten zusammen das Netzwerk Internationales Feministisches Kollektiv (IFK). In den Ländern, in denen die Gruppen in unterschiedlichen Größen entstanden, waren sie in mehreren Bereichen des Frauenkampfs zugleich aktiv: unsichtbare Seiten der Arbeit im Haushalt sowie der bezahlten Arbeit von Frauen, aber auch Abtreibung, medizinische Praktiken, Sterilisationen, Gebärbedingungen, Frauengesundheit, Sexualität, Sozialhilfe, Familienbeihilfen, Wohnverhältnisse, Bildung, häusliche Gewalt, Prostitution/Sexarbeit, usw.

In jedem dieser Bereiche stellten die Aktivistinnen Verbindungen zur unsichtbaren und unbezahlten Arbeit von Frauen her. Die Kämpfe rund um die Arbeit im Haushalt und in der Familie wurden hierdurch auf andere Kämpfe im Bereich der sozialen Reproduktion im Allgemeinen ausgedehnt, die so zu weiteren Anwendungsfeldern für die Idee von »Lohn für Hausarbeit« wurden. »Zum ersten Mal wurde das fragmentierte Leben der Frauen als ein Ganzes gesehen«, erklärte eine der Aktivistinnen, die ich interviewte. Die unbezahlte Hausarbeit war ein Prisma, durch das man die vielen Facetten der Machtlosigkeit von Frauen über ihr eigenes Leben als gesellschaftliches Ganzes betrachten, verstehen und neu zusammensetzen konnte. Frauen werden zu großen Teilen nicht für die Arbeit bezahlt, die sie unaufhörlich für die Familie ausüben: Das ist der ›kleinste gemeinsame Nenner‹ aller Frauen auf der Erde in einer kapitalistischen Gesellschaft, auch wenn er sich je nach Klassenzugehörigkeit, Ethnisierung oder Rassifizierung der jeweiligen Person stark unterscheidet. Die Arbeit der Hausfrau ist gemäß der Definition der Bewegung »Lohn für Hausarbeit« die der Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft.

… und umstrittenen Strategien

Obwohl viele Frauen und Frauengruppen einen Großteil der Analyse teilten, welche die Theoretikerinnen von »Lohn für Hausarbeit« entwickelten, waren nur wenige von ihnen bereit, eine konkrete Kampagne zur Forderung eines solchen Lohns durchzuführen. Tatsächlich löste die Forderung nach einem Lohn überall, wo sie diskutiert wurde, hitzige Debatten innerhalb der Frauenbewegung aus und es lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass diese Frage auf die eine oder andere Weise die gesamte westliche feministische Bewegung der 1970er-Jahre betraf.

Gleichzeitig lehnte die Frauenbewegung im Westen insgesamt die Strategie von »Lohn für Hausarbeit« ab. Man sah in ihr einen Rückschritt gegenüber der Forderung der Frauen nach Gleichberechtigung und nicht ihre eigentliche Voraussetzung, wie die Begründerinnen und Aktivistinnen der Strömung argumentierten. Die Strategie, eine Entlohnung von Hausarbeit zu fordern, wurde von der Frauenbewegung als Abkehr vom Ziel der Vergesellschaftung von Hausarbeit angesehen (Kindertagesstätten, öffentliche Dienstleistungen etc.). Die Frauenbewegung entschied sich entgegen dieser Strategie dazu, all ihre Anstrengungen darauf zu verwenden, den Arbeitsmarkt für Frauen zugänglich zu machen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, Elternzeit zu erhalten und öffentliche Dienstleistungen zu schaffen, um den Zugang zu Lohnarbeit zu erleichtern. Das Aushandeln der Zuständigkeiten für die Arbeiten im Haushalt und in der Familie wurde privaten Absprachen zwischen den Partner*innen, der ›Aufgabenteilung‹, überlassen. Kurzum, die strategische Ausrichtung der Frauenbewegung ließ die Sphäre der sozialen Reproduktion außen vor, damals wie heute. Stattdessen lautete ihr strategisches Ziel: Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Einwände gegen den Lohn für Hausarbeit

Eine Entlohnung hätte den Effekt, Frauen im Haus zu halten oder, je nach Fall, sie erneut ans Haus und noch stärker an ihre Verantwortlichkeiten zu binden. Das würde zu einem Rückschritt in der Befreiung der Frau führen.Die Entlohnung der Hausarbeit würde jeden Ansatz einer Aufgabenteilung zwischen den Partner*innen zunichtemachen und die Praxis der häuslichen Kinderbetreuung untermauern.Aufgrund der geringen Familiengröße (2–3 Kinder) ist diese Forderung überholt.Mit der Entlohnung der Hausarbeit würde der Staat sich nicht mehr verpflichtet fühlen, öffentliche Dienstleistungen einzurichten. Wahrscheinlich würden Frauen aufgrund der Entlohnung die Pflege von kranken, behinderten und alten Menschen übernehmen müssen. Es bestünde die Gefahr, dass Pflegeheime für ältere und behinderte Menschen geschlossen werden. Somit wären die Auswirkungen hinsichtlich der gesellschaftlichen Forderungen von Frauen eventuell verheerend.Einmal entlohnt, würde die Hausarbeit in Hinblick auf Stundenanzahl, Qualität der Arbeit usw. kontrolliert werden. Wer würde diese Kontrolle ausüben? Der Ehepartner? Der Staat? Und unter welchen Bedingungen?Der Lohn für Hausarbeit würde die geschlechtliche Rollenteilung festschreiben und Frauen in ihrer traditionellen Rolle als Ehefrau und Mutter halten.Ein Lohn würde Frauen von der Gemeinschaft isolieren.Ein Lohn würde die Unterdrückung, der sie zum Opfer fallen, festschreiben.Ein Lohn würde keinerlei Auswirkungen auf die Armut haben.Die Entlohnung der Hausarbeit würde wahrscheinlich nicht zur Aufwertung derselben führen. Man denke nur an einige andere von Frauen ausgeübte Berufe, die nicht durch Entlohnung aufgewertet wurden (Putzfrauen, Kellnerinnen, Wäschereiarbeiterinnen, etc.).Im Rahmen der sich aktuell vollziehenden Dezentralisierung von Arbeitsplätzen werden heute viele Lohnarbeiten von zu Hause aus ausgeübt. Wie würde sich dann die Aufteilung zwischen bezahlten Tätigkeiten der Reproduktion und der Produktion gestalten?Ein Lohn für Hausarbeit würde diejenigen diskriminieren, die außerhalb des Hauses arbeiten und die Hausarbeit vor und nach ihrer bezahlten Arbeitszeit erledigen. So würden diejenigen, die ›die doppelte Arbeit‹ erledigen (die mehr an einem Arbeitstag leisten), bestraft werden.Ein Lohn für Hausarbeit würde Frauen jede Chance nehmen, ihr Recht auf gesellschaftliche Arbeit klar anerkannt zu bekommen.Ein solcher Lohn würde Frauen nahelegen, dem Arbeitsmarkt fernzubleiben, und wäre der Verbesserung ihrer Situation in der Gesellschaft abträglich.

Diese Liste an Einwänden gegen einen Lohn für Hausarbeit stammt wortwörtlich aus Dokumenten der drei bedeutendsten Gewerkschaften von Québec.[8]

Angesichts der Entwicklung der Haus- und Care-Arbeit heute kann man rückblickend hinterfragen, ob dies eine erfolgreiche Strategie war. Was sind heute konkrete Ergebnisse dieser Strategie? Mitnichten soll es darum gehen, die enormen Anstrengungen in Abrede zu stellen, die in den letzten Jahrzenten von Frauenbewegungen unternommen wurden, um die Implementierung verschiedener Maßnahmen zu erreichen, die in vorbildlicher Weise etwa in Nordamerika umgesetzt und Teil der öffentlichen Politik wurden.[9] Doch eine kurze Bilanz weist einige Trends auf, die einer genaueren Diskussion bedürfen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Eine Erfolgsstrategie?

In den Ländern unserer Hemisphäre scheinen junge berufstätige Mütter sich heute in einem ›doppelten Arbeitstag‹ zu befinden und zu verausgaben: Sie rennen nicht nur ständig von der Kindertagesstätte zum Arbeitsplatz und wieder zurück, sondern erledigen zusätzlich noch einen Großteil der häuslichen Arbeit; die häusliche Aufgabenteilung mit dem Partner (sofern es einen gibt) ist nicht immer selbstverständlich. Aktuelle Zahlen belegen dies: »Trotz wichtiger Fortschritte im Bereich der häuslichen Aufgabenteilung zwischen den Partnern*innen bleiben Frauen immer noch die Hauptverantwortlichen für die Kinderbetreuung, da sie dieser nach den Daten der allgemeinen Umfrage von 2010 im Schnitt 50 Stunden pro Woche und damit doppelt so viel wie Männer widmen.«[10] Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass erwerbstätige Mütter immer noch weniger verdienen als erwerbstätige Frauen ohne Kinder, denn das »Mutterschafts- oder Elterngeld gleicht die Hälfte des Lohnverlusts aus«.[11]

Stress, Erschöpfung im Beruf, psychische Belastung, Vervielfachung der im eigenen Verantwortungsbereich liegenden Aufgaben, Leistungsdruck, all dies scheint zum Schicksal vieler Frauen mit Kindern zu gehören. Gleichzeitig werden die Kriterien, was eine ›gute Mutter‹ ausmacht, konstant schwerer zu erfüllen. Interviews mit jungen feministischen Müttern zeigen, dass sie dieser Tendenz nicht entgehen. Sie bleiben »die Hauptverantwortlichen für die Arbeit der sozialen Reproduktion, also für die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen, die Hausarbeit und die Familienorganisation«. Junge Feministinnen beklagen den Umstand, dass »die Arbeit der sozialen Reproduktion weder anerkannt noch wertgeschätzt wird, sie stellen Ungleichheiten bei der Arbeitsteilung und den Elternrollen fest und bemerken zudem, dass Geschlechterrollen sich nicht so schnell ändern, wie man meinen würde«.[12] Sie schlussfolgern: »Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist derzeit nicht gegeben.« Daher »glauben [sie], dass es notwendig ist, in der Frauenbewegung wieder eine Debatte über die Frage der sozialen Reproduktion anzustoßen.«[13]

Auch heute noch sind es vor allem Frauen, die für die soziale Reproduktionsarbeit verantwortlich sind. Neben Webseiten, die in Québec entstanden, damit junge Mütter sich über die Herausforderungen der Arbeit im Haushalt und der Familie austauschen können, feiern zeitgleich Blogs über ›Rabenmütter‹ große Erfolge.[14] Wenn die finanziellen Mittel vorhanden sind, wird häufig entschieden, andere, meist ärmere Frauen für bestimmte Aufgaben im Haushalt und in der Pflege einzustellen; viele von ihnen kommen hierfür von weit her.

Direkte Ausbeutungsverhältnisse zwischen Frauen: Ein Novum

Somit nimmt die Reproduktionsarbeit heute ein weltweites Ausmaß ohnegleichen an. Frauen am anderen Ende der Erde verlassen ihre eigenen Familien und lassen diese von Frauen in ihrem Umfeld pflegen, um dem Aufruf wohlhabenderer westlicher Frauen zu folgen, sie ›zu retten‹ und zu unschlagbaren Preisen häusliche Arbeit und familiäre Sorgearbeit anzubieten. Es ist von einer »Krise der Reproduktion«[15] die Rede.

Dieses Phänomen wird auch als »Globalisierung mütterlicher Liebe«, als »neues Gold der Welt« oder aber als »Pflegeschwund« (care drain) bezeichnet.[16] Es heißt sogar, wir erlebten die Entstehung eines neuen Phänomens in der Geschichte des Kapitalismus: die ›Verdopplung weiblicher Arbeit‹, welche jegliche feministische Aufmerksamkeit der Welt verdient hätte.

»Parallel zur zunehmenden Prekarisierung und Verarmung einer wachsenden Zahl von Frauen […] erleben wir demnach eine Steigerung des ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals eines bedeutenden Anteils berufstätiger Frauen. So sehen wir zum ersten Mal in der Geschichte des Kapitalismus die Entstehung einer Schicht von Frauen, deren direkte Interessen (nicht, wie zuvor, vermittelt durch die Männer: Vater, Ehegatte, Liebhaber…) fundamental den Interessen derer entgegengesetzt sind, die von der Zunahme der Teilzeitarbeit und schlecht bezahlter und gesellschaftlich nicht anerkannter Dienstleistungsjobs sowie allgemein von Prekarität betroffen sind.«[17]

Einige Theoretikerinnen der Bewegung »Lohn für Hausarbeit« verstehen diesen Rückgriff auf weibliche Arbeitskraft aus armen Ländern heute als »eine neokoloniale Lösung der ›Hausarbeits-Frage‹« und als Teil der neuen geschlechtsspezifischen und internationalen Arbeitsteilung.[18] Ist dies das (natürlich unbeabsichtigte) Ergebnis oder einer der ›absurden Effekte‹ der Strategie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Aufgabenteilung?

Die Bedeutung, die heutzutage der Frage der Reproduktionsarbeit auf globaler Ebene für den Feminismus zukommt, könnte an sich schon eine ausreichende Motivation sein, die von »Lohn für Hausarbeit« entwickelten Analysen erneut zu lesen. Es ist eine Gelegenheit, wertvolle intellektuelle und aktivistische Ressourcen (wieder) zu entdecken, die uns heute noch als Werkzeuge dienen können, mit deren Hilfe wir die Problematik der sozialen Reproduktion und ihre Entwicklungen verstehen können, ebenso wie die zentrale Rolle, die die Mehrheit der Frauen auf der ganzen Welt noch immer in ihr einnehmen.

Seit jene Texte geschrieben wurden, haben sich die Erklärungsansätze und das Vokabular für die Benennung der Dinge und Kontexte, in denen Frauen sich entwickeln, stark verändert. Aber die Revolte gegen die Ungerechtigkeit der anwachsenden Last, die die Reproduktionsarbeit für Frauen repräsentiert und zu der nun auch noch die Pflege abhängiger Angehöriger hinzukommt,[19] ist immer noch präsent. Junge Feminist*innen halten es sogar für notwendig, »die Debatte über die Frage der sozialen Reproduktion innerhalb der Frauenbewegungen erneut zu beleben«. Auch einige (wenige) Akademiker*innen kehren zu dieser Frage zurück: »Regierungsprogramme, aber auch die Prämisse der Frauenbewegung, dass die Frau sich durch die Arbeit verwirklicht, müssen überdacht werden.«[20] Dieses Buch kann diese Debatte durch einen historischen Kontext und interessante Quellen bereichern. Gleichzeitig gab es in meinem Fall auch andere, persönliche Gründe, die Texte von Neuem zu lesen und dieses Buch zu schreiben.

Zu Beginn eine große Frustration

Obwohl ich Mitte der 1970er-Jahre ein Alter erreicht hatte, das es mir ermöglicht hätte, an einer der Kollektive von »Lohn für Hausarbeit« beteiligt zu sein, blieb mir dies aus einem anderen einfachen Grund verwehrt: Ein solches Kollektiv existierte im französischsprachigen feministischen Québec nicht, und dies obwohl in anderen anglophonen Provinzen Kanadas und sogar eine Zeit lang im englischsprachigen feministischen Montreal zeitgleich einige Kollektive entstanden. In Québec entstand keines der Kollektive, weil die frankophone Frauenbewegung in Québec dies sehr mehrheitlich ablehnte.

Daher konnte ich an dieser feministischen ›Internationale‹ nicht teilhaben, obwohl eine Mehrheit der Frauen aus meiner eigenen damaligen Bezugsgruppe, dem feministischen Verlag Editions du remue-ménage, die Forderungen von »Lohn für Hausarbeit« unterstützte. Das Gründungsteam der Editions du remue-ménage hatte den Verlag sogar mit dem expliziten Ziel gegründet, Texte der Bewegung zu übersetzen und zu veröffentlichen! Das erste Buch, das 1976 in diesem neuen Verlag erschien, Moman travaille pas, a trop d’ouvrage (Mama arbeitet nicht, hat zu viel zu tun), ein vom Kollektiv Théâtre des cuisines verfasstes und aufgeführtes Theaterstück, warf die Frage nach der Hausarbeit und ihrer Anerkennung auf.[21] Das Stück wurde in ganz Québec aufgeführt und trug wesentlich (wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten) zur Diskussion über die Perspektive von »Lohn für Hausarbeit« bei.[22]

Die Affinität des ersten Teams von Remue-ménage zu diesem Kampf hatte sogar dazu geführt, dass einige von uns im Oktober 1975 in Toronto an einer der internationalen Konferenzen des Internationalen Feministischen Kollektivs, wie sich das Netzwerk der Gruppen von »Lohn für Hausarbeit« nannte, teilnahmen. Wir partizipierten an der Konferenz als Zuhörerinnen und Sympathisantinnen, da wir als solche keine Lohn-für-Hausarbeit-Gruppe bildeten. Wir konnten dort nichtsdestotrotz, auf Französisch, die besondere Situation und Geschichte der frankophonen Frauen in Québec schildern.

Der Umstand, diese feministische ›Internationale‹ und ihre politische und philosophische Tragweite zwar antizipiert, aber nicht wirklich an ihr teilgehabt zu haben, ist für mich bis heute Quelle einer großen Frustration. Ich habe tatsächlich lange mit dem Gefühl gelebt, an etwas Bedeutsamem für den feministischen Kampf, etwas Zentralem für das Verständnis der Rolle der Frauen in der Gesellschaft, im Norden wie im Süden, sowie der Wege, diese zu ›unterwandern‹, vorbeigeschlittert zu sein.[23]

Eine intersektionale Perspektive avant la lettre

»Frauen und der Umsturz der Gesellschaft«, von Mariarosa Dalla Costa und Selma James,[24] sowie »Zum Verhältnis von Geschlecht, Rasse und Klasse«,[25] »Lohn gegen Hausarbeit«,[26] und weitere im Le foyer de l’insurrection[27] (dt.: Der Brennpunkt des Aufstands) übersetzte Texte waren für mich allesamt große intellektuelle Entdeckungen, die zum Aktivismus anregten. In diesen Texten der ersten radikalen Feministinnen erschien das Patriarchat endlich nicht mehr als ein ewiges und zeit- wie geschichtsloses System – im Gegenteil! Ohne zu behaupten, den ›Ursprung‹ des Patriarchats zu erklären, schrieben diese Analysen ihm jedoch eine konkrete historische Gestalt zu. Die Hausarbeit, in der Art, wie sie verrichtet wird, wurde als eine historische Form der sozialen Reproduktion gesehen, die der kapitalistischen Gesellschaft inhärent ist. Sie wurde nicht länger als ›rückständiges Anhängsel‹ der Lohnarbeit analysiert, sondern stellte die eigentliche Form der vom Kapitalismus etablierten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung dar. Der Kapitalismus erneuere und reorganisiere das Patriarchat auf dieser Grundlage. Mit anderen Worten: Das Patriarchat wird nach diesen Analysen in der kapitalistischen Lohngesellschaft durch die den Frauen zugewiesene kostenlose Hausarbeit verkörpert.

Die Analysen der Bewegung »Lohn für Hausarbeit« erschienen mir damals als die bedeutsamste Artikulation des Zusammenhangs von Patriarchat und Kapitalismus – als eine vielversprechende Verknüpfung einer (unorthodoxen) Marx’schen Analyse der Produktionsweise mit einer feministischen Analyse der Reproduktion auf internationaler Ebene. Was damals als ›antipatriarchalische und antikapitalistische‹ Perspektive bezeichnet wurde, heißt im heutigen soziologischen Vokabular ›Benennung der Geschlechterverhältnisse bzw. Klassenverhältnisse‹. Das Trio sex, race and class leitete ein, was heute als ›intersektionale‹ Analyse bezeichnet wird, der Vorläufer zu einer übergreifenden Analyse von Herrschaftsverhältnissen. Diese Analyse von Unterdrückungen und ihrer Interdependenz sowie die Solidarität zwischen Frauen trotz ihrer Unterschiede, die wir damals so sehr anstrebten, wurde durch die Strategie von »Lohn für Hausarbeit« vorgebracht.

Diese Perspektive bot Anfang der 1970er-Jahre in der Tat völlig neue Analysen und ein umfassendes Verständnis der verschiedenen Aspekte der Unterdrückungssituation, die die Mehrheit aller Frauen erleben. Sie bot einen roten Faden, der die diversen, ansonsten unverständlichen Aspekte dieser Situation miteinander verband: Frauen wurden nicht für die gesamte von ihnen geleistete Arbeit bezahlt, obwohl sie die zentrale Säule der Reproduktion der Gesellschaften darstellten.

Dieser Fokus auf die Arbeit hat für das Thema der (heterosexuellen) Liebe komplett neue Analysen hervorgebracht, die in vielerlei Hinsicht sogar revolutionär waren, besonders was das Lesbisch-Sein und die Sexarbeit angeht. »Lohn für Hausarbeit« hat im Hinblick auf Letztere eine ganz neue Perspektive entwickelt. Sexarbeiterinnen organisierten sich daraufhin in Gruppen, um für ihre Rechte einzustehen, luden uns ein, sich mit ihrem Kampf solidarisch zu zeigen, und gingen mit den Gruppen von »Lohn für Hausarbeit« selbst überraschende, ›widernatürlich‹ anmutende Allianzen ein, was eine starke symbolische Wirkung hatte. Derselbe Fokus gab auch auf Sozialhilfe angewiesenen Frauen ihre Würde zurück. Afroamerikanische Frauen haben innerhalb der Lohn-für-Hausarbeit-Bewegung Texte entworfen, die den Ursprung des ›Schwarzen Feminismus‹ bilden.[28] Die Perspektive von »Lohn für Hausarbeit« nahm jene Debatten vorweg, die heute über die Realität der Care-Arbeit geführt werden, wie jene über die Lohngerechtigkeit, die Anerkennung von Errungenschaften und Kompetenzen oder über die Anerkennung der unsichtbaren Arbeit von Frauen in der Landwirtschaft und in kleinen, von Ehepaaren geführten Unternehmen. Und nicht zu vergessen: Diese Perspektive führte zum Paragraf 120 der finalen Deklaration der UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi im Jahre 1985, der sich für eine Anerkennung des Beitrags der Frauen (ob entlohnt oder nicht) in allen Entwicklungssektoren aussprach und dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts der Länder befürwortete.[29] Diese Perspektive ermöglichte es, Unterschiede zwischen Frauen zu überwinden, indem sie ihnen die Möglichkeit gab, Allianzen zu schmieden, ohne sich einem gleichmachenden Standard zu unterwerfen.

Auf einer persönlicheren Ebene bedeutete diese Idee für manche unter uns, was eine Aktivistin des Kollektivs L’Insoumise (auf Deutsch etwa: die Aufständige/Widerspenstige) folgendermaßen beschrieb: »Eine Art, das Schicksal unserer Mütter zu ›rächen‹, der Arbeit vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Generationen von Müttern und Großmüttern wieder Würde zu verleihen.«[30] Ja, die Perspektive von »Lohn für Hausarbeit« bedeutete auch dies.

Diese Ausführungen sollen verdeutlichen, dass mein Feminismus in erster Instanz durch diese unvergleichliche Perspektive geprägt wurde. Ich hielt stets an der tiefen Überzeugung fest, dass es wichtig ist, dass heutige Generationen von Frauen und Feministinnen den Reichtum dieses Denkens kennenlernen, das zur Zeit des Internationalen Feministischen Kollektivs erarbeitet worden ist und von manchen seiner Haupttheoretikerinnen seither angewandt und im Zuge der Reorganisation der Weltwirtschaft weiterentwickelt wird.

Ein Buch mit langem Werdegang

Jedes Geschichtsbuch hat seine eigene Geschichte, die seines Entstehungskontexts. Hier also die Geschichte dieses Buches. Selbst wenn die Idee zu diesem Forschungsvorhaben schon lange in meinem Kopf reifte, nahm sie erstmals im Rahmen eines Post-Doc-Projekts, finanziert durch den Conseil de Recherche en sciences humaines du Canada, zwischen 1994 und 1996 Gestalt an, welches mich im Herbst 1994 tatsächlich nach Italien, um genauer zu sein, an das Europäische Hochschulinstitut in Florenz führte. Eines seiner Forschungszentren, das europäische Forum, untersuchte in jenem Jahr die Frage der Arbeitszeit aus einer geschlechtsspezifischen Perspektive. Die unsichtbare Reproduktionsarbeit der Frauen stand im Mittelpunkt dieser Thematik.

Das Forschungsvorhaben über die Geschichte des Internationalen Feministischen Kollektivs der Lohn-für-Hausarbeit-Bewegung, welches ich den Verantwortlichen des Instituts vorlegte, sollte es mir ermöglichen, den europäischen Teil des Netzwerks zu untersuchen. Da Norditalien gewissermaßen die ›Wiege‹ der Strategie von »Lohn für Hausarbeit« ist, war das Europäische Hochschulinstitut in Florenz ideale Basis und optimaler Ausgangspunkt meiner Forschung in Italien, aber auch in Deutschland und der Schweiz (und in Großbritannien, wie ich mir zu Beginn erhofft hatte). Der intellektuelle, akademische und materielle Rahmen, den mir das Institut bot, sowie die Forschungsaktivitäten des europäischen Forums (Workshops, Seminare, Konferenzen) würden für den Erfolg dieses Projekts von großer Bedeutung sein.

So kam es, dass ich in Italien Mariarosa Dalla Costa, Leopoldina Fortunati und Giovanna Franca Dalla Costa von der italienischen Lohn-für-Hausarbeit-Gruppe sowie Gisela Bock von der deutschen Gruppe kennenlernte. Auch Genéve Viviane Luisier, Alda De Giorgi und Suzanne Lerch von dem Lohn-für-Hausarbeit-Kollektiv L’Insoumise habe ich kennengelernt. Ich konnte ihre persönlichen Archive einsehen, zu denen sie mir alle spontan Zugang gewährten, sowie die Archive der Dokumentationszentren in Italien, insbesondere in Mailand und Bologna. In Paris traf ich zudem Marie-Christine Gaffory, Aktivistin und ›Waisenkind‹ der Bewegung (weil es in Frankreich keine Lohn-für-Hausarbeit-Gruppen gab[31]). Trotz mehrerer Versuche war es mir jedoch nicht möglich, Selma James zu treffen.[32]

Als ich nach Nordamerika zurückkehrte, traf ich mich in Brooklyn mit Silvia Federici von der New Yorker Lohn-für-Hausarbeit-Gruppe und Hauptinitiatorin der anderen amerikanischen Gruppen. Judy Ramirez, die Schlüsselfigur der Gruppe in Toronto, konnte ich damals nicht ausfindig machen. Jedoch konsultierte ich das Archiv der kanadischen Frauenbewegung an der Universität Ottawa, in dem eine Aktivistin der Gruppe Wage for Work aus Toronto (Francie Wyland, der ich sehr dankbar bin) das Archiv der Gruppe hinterlegt hatte. Dieses Dokumentationsmaterial war für mich sehr wertvoll, weil es viele Dokumente der anderen Gruppen des internationalen Netzwerks enthält.

Aufgrund des beispiellosen Charakters dieser Forschung, der Verstreutheit und Mehrsprachigkeit der entsprechenden Dokumente sowie der Entfernungen, die mit einer solchen internationalen Suche verbunden sind, konnte ich sie in den zwei Jahren, die das Postdoc-Stipendium umfasst, nicht abschließen. Als Dozentin und unabhängige Forscherin konnte ich nur sporadisch an dem Thema weiterarbeiten, was die lange Zeitspanne zwischen dem Beginn dieses Geschichtsprojekts und seiner Fertigstellung erklärt. Letztlich konnte ich mich dank eines Stipendiums der Universität von Québec in Montreal 2012 und 2013 ganz der Fertigstellung und dem Schreiben dieses Buches widmen.

Davon abgesehen gab es noch andere Faktoren, die eine Rolle gespielt haben. Insbesondere Silvia Federici, die mich davon überzeugte, die Recherche abzuschließen und zu veröffentlichen. Wir hatten im Laufe der Jahre immer wieder E-Mail-Kontakt und uns versprochen, uns wiederzusehen, um ein Interview über ihren intellektuellen Werdegang abzuschließen, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet worden war. Eine Konferenz in Montreal im März 2012, zu der sie eingeladen war, bot uns die Gelegenheit zu einem Treffen. Sie überzeugte mich davon, dass ich das gesamte in meinem Besitz befindende Material dringend so vielen Menschen wie möglich zur Verfügung stellen müsse, bevor ich mich … sozusagen … gen Himmel verabschieden würde.

Im Endeffekt wurde mir klar, dass diese Forschung in gewisser Weise und in vielerlei Hinsicht ein Rendezvous mit meiner eigenen intellektuellen und kämpferischen Geschichte ist – eine Art Kreis, den es zu schließen galt, zwischen Jugend und Weisheit … Mich motivierte aber vor allem auch der Wunsch, der heutigen Jugend feministisch-historische Denkwerkzeuge zur Verfügung zu stellen, um die Frage der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der sozialen Reproduktion und ihre neuen Formen im Zeitalter der neoliberalen kapitalistischen Globalisierung anzugehen. Und schließlich habe ich den drängenden Wunsch, das reiche intellektuelle Erbe, das die Perspektive von »Lohn für Hausarbeit« ausmacht, durch dieses Buch der Vergessenheit zu entreißen, damit es in der Geschichte des feministischen Denkens und der heutigen feministischen Bewegung eine herausragende Rolle spielen kann. Dieses Buch ist in diesem Sinne eher ein Versuch – der von anderen vollendet werden kann.

Warum 1972–1977?

Das Netzwerk der Gruppe »Lohn für Hausarbeit« hat im Laufe seines Bestehens unterschiedliche Phasen durchlebt. Zunächst eine Phase der Entstehung und Organisierung in den Jahren 1972 bis 1977 unter dem Namen Internationales Feministisches Kollektiv. Darauf folgte eine Periode der Reorganisation, die um 1977 und 1978 anfing und von einem Rückzug mancher Gruppierungen, der Ankunft neuer sowie der Weiterführung von Aktivitäten älterer Gruppen geprägt war. Der Name Internationales Feministisches Kollektiv wurde ab diesem Moment nicht mehr verwendet, auch wenn manche der Gruppen ihre Aktivitäten unter anderem Namen fortführten.[33]

Der Zeitraum der Studie ist somit zeitlich auf das Bestehen des Internationalen Feministischen Kollektivs begrenzt. Dies ist die Phase der Entstehung des Netzwerks, der Debatten über seine Zusammensetzung, über die Definition seiner Grundlagen, über die Organisation der Kampagne »Lohn für Hausarbeit« und über die theoretische Perspektive, die der Kampagne zugrunde liegt. Es ist die Phase der internationalen Konferenzen. Es ist für jedes nationale Kollektiv eine intensive Phase des Schaffens und der Publikation von Zeitschriften, Broschüren und Flugblättern jeglicher Couleur, die die diversen Demonstrationen begleiteten. Kurz, es ist eine Zeit des Aufbruchs auf allen Ebenen, die eine wichtige Materialsammlung hinterlassen hat.

Es ist auch die Phase vor den großen Zerwürfnissen und der Abtrennung mancher Gruppierungen von dem ursprünglichen Netzwerk. Mir schien es praktisch unmöglich, die letzteren Ereignisse auf eine für die feministische Geschichte sinnvolle Weise zu behandeln. Selbst nach 25 Jahren[34] hatten die damaligen Aktivistinnen immer noch Mühe, über diese Zeit zu sprechen, und wollten dies auch nicht einfach so tun. Es schien mir daher sinnvoll, die Rekonstruktion dieses Teils der Geschichte des Netzwerks anderen zu überlassen.

Die von mir befragten Aktivistinnen sprachen am liebsten über die Zeit des Bestehens des IFK, also der Zeit von 1972 bis 1977. Für viele war es ein entscheidender Moment in ihrem Leben. Manche sprachen rückblickend sogar von einem »verlorenen Paradies«. Es war die Zeit der großen feministischen Mobilisierungen, als, wie Silvia Federici es beschreibt, »wir das Gefühl hatten, Teil einer großen historischen Transformation zu sein«. Diese »erste Phase des neuen Feminismus«, wie sie die Historikerin Gisela Bock (Initiatorin der Berliner Lohn-für-Hausarbeit-Gruppe) in einem Interview bezeichnete, war in den Erinnerungen der von mir befragten Gründungsaktivistinnen der verschiedenen nationalen Kollektive eine Zeit, in der Frauen gemeinsam das Gefühl hatten, sich in einer Position der Macht zu befinden.

»Wir bildeten eine Gemeinschaft, wir konnten uns leicht mobilisieren, wir hatten Wind in den Segeln und wir fühlten, dass wir die Fähigkeit hatten, das Leben sofort zu verändern«, erklärte eine der Insoumises der Genfer Gruppe. Diese Aussage wurde von einer anderen Insoumise bestätigt, die mir von »der immensen Macht der Frauen zu jener Zeit« erzählte, »die vereint die Fähigkeit hatten, die Herrschaft zurückzudrängen«. »Wir fühlten uns gefährlich«, fuhr sie fort, »wir spürten, dass wir gemeinsam, vereint für eine Sache, Macht hatten.« Ja, erinnert sie sich, »wir hatten durchaus Macht in der Stadt Genf«.

Das Ende dieses Zeitraums fällt historisch gesehen auch mit dem Ende der Ära des Feminismus der zweiten Welle zusammen. Dieser neue Abschnitt, der, zumindest in Europa, je nach Land zwischen 1978 und 1979 begann, war das Ende der großen feministischen Mobilisierungen. Die Jahre 1978/79 läuteten das Ende einer historischen Phase ein, indem vor allem in mehreren europäischen Ländern repressive Gesetze erlassen und durchgesetzt wurden (insbesondere in Italien, aber auch in Deutschland und sogar in der Schweiz).

Von diesem Zeitpunkt an erlebten die meisten aktivistischen Gruppen, auch die der westlichen Frauenbewegung, eine Phase der Krise, in der viele Teile der Frauenbewegung aufgerufen waren, sich neu zu definieren, sich neu zu orientieren oder gegebenenfalls ihre Aktivitäten zu unterbrechen. Über die weitere Entwicklung der Genfer Frauenbewegung seit diesen Jahren sagte eine andere Insoumise: »Wir richteten mehr und mehr Energie auf die Schaffung von Dienstleistungen. Nach und nach ging die Dimension der MLF (Mouvement de libération des femmes) verloren und nach und nach nannte sich niemand mehr MLF«.[35] Die Zeit des Bestehens des Internationalen Feministischen Kollektivs von 1972 bis 1977 überschneidet und deckt sich mit dieser Phase des neuen Feminismus.

Genauer gesagt …

Zur Vervollständigung dieser Untersuchung habe ich mich auf verschiedene Quellen gestützt: die Veröffentlichungen der nationalen Kollektive (Bücher, Zeitungen, Broschüren, Pressemitteilungen, Flugblätter und Presseberichte), die Veröffentlichungen des IFK, die persönlichen Archive von Aktivistinnen, die ich getroffen habe, mein eigenes und das meiner Freundinnen, insbesondere das von Nicole Lacelle,[36] die Canadian Archives of the Women’s Movement, die an der Universität Ottawa aufbewahrt werden, verschiedene Dokumentationszentren in Italien, insbesondere in Bologna und Mailand, sowie auf Informationen, die mir einige der führenden Persönlichkeiten der nationalen Kollektive von »Lohn für Hausarbeit« zur Verfügung stellten, die ich auf meinem Weg traf und mit denen ich mich auch im weiteren Verlauf austauschte.[37]

Da wir uns hier auf nahezu unerforschtem Terrain bewegen, muss diese Arbeit über das Internationale Feministische Kollektiv und die von ihm vertretene Vision als historische ›Skizze‹ mit den ihr innewohnenden Interpretationsmängeln betrachtet werden. Dies umso mehr, als dass ich mich hauptsächlich auf das konzentriert habe, was mich an der Bewegung interessiert und was meiner Meinung nach für heutige feministische Fragen relevant ist, insbesondere ihre theoretischen Beiträge und einige ihrer Kämpfe.