Long Tunnel - Alan Dean Foster - E-Book

Long Tunnel E-Book

Alan Dean Foster

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Beschreibung

Flinx in Love

Flinx, ein empathischer Mutant, besucht die Heimatwelt seiner Leibwächterin, der Flugechse Pip. In letzter Minute retten die beiden die Genforscherin Clarity, die von Ökoterroristen entführt wurde, die die Entwicklung von Luxusprodukten aus den Rohstoffen von Long Tunnel verhindern wollen. Sie fliehen in die unterirdischen Höhlen des Planeten, die der Flora und Fauna von Long Tunnel Schutz vor dem mörderischen Klima der Oberfläche bieten. Da wird Flinx von Unbekannten entführt, um einer Gruppe Wissenschaftler als Forschungsobjekt zu dienen. Doch die rechnen nicht mit Flinx' Freunden ...

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ALAN DEAN FOSTER

LONG TUNNEL

Roman

FÜRALLE LESER,

die Flinx und Pip seit 1972 treu geblieben sind

und sie wiedersehen wollten.

Und ganz besonders für Betty Ballantine,

die als erste in ihnen und mir

gewisse Möglichkeiten sah und die mithalf,

uns drei zum Leben zu erwecken.

1. Kapitel

Der Mann am Ende des Tisches verhielt sich so, als betrachte er sein Benehmen wie eine Verkleidung. An einem anderen Ort hätten die Eindringlichkeit seiner Sprache und Gesten unnatürlich erscheinen mögen, doch für seine derzeitige Umgebung war sie durchaus angemessen. Er war ein rundlicher Typ, gekrönt von einem kurzgeschnittenen Busch wirrer Haare, die sich bis zum Hemdkragen hinunterkräuselten. Im Gegensatz zu seiner Hetzrede war seine Kleidung schlicht und sauber. Wenn er den Mund geschlossen hielt, sah er völlig durchschnittlich aus. Desgleichen seine fünf Gefährten, bis auf einen. Mit dieser einen Ausnahme war keiner von ihnen besonders groß oder muskulös. Sie variierten in der Farbe, wenngleich daran nichts Ungewöhnliches war. Sie waren unterschiedlich alt. Sie stammten aus unterschiedlichen Verhältnissen und von unterschiedlichen Welten.

Was sie in diesem kleinen Raum zu diesem speziellen Zeitpunkt zusammengebracht hatte, war ein glühender Fanatismus, ein Band, stärker als Epoxen oder Durlexkabel – eine Sache, für die zu sterben jeder bereit war. Sie waren wahre Gläubige, und sie wussten ohne einen Anflug von Zweifel, dass ihre Sache gerecht war.

Als sie darüber sprachen, waren sie wie verwandelt. Bei solchen Gelegenheiten streiften sie ihre Alltagspersönlichkeiten und ihr Alltagsleben genauso leicht ab, wie eine Eidechse ihre alte welke Haut zurücklässt. Sie saßen einander gegenüber, frisch und glänzend, wie heilige Kreuzzügler, als die sie sich betrachteten. Jeder brachte etwas anderes in ihre Sache ein. Der Mann, der gerade sprach, sorgte für Geld. Eine Frau diente mit Kraft und körperlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Der Mann neben ihr war überaus scharfsinnig. Die sechs ergänzten sich gegenseitig, wobei sie auch noch der gleichen Leidenschaft frönten.

Sie waren die Anführer einer ständig wachsenden Gruppe und waren von ihren Gefährten ausgewählt worden, die schweren Entscheidungen zu treffen, die Ziele und die verschiedenen Aktionen festzulegen.

Der Mann, der gerade redete, war seinen Mitstreitern unter dem Namen Spinne bekannt. Dies war eine zutreffende Beschreibung seines Verstandes, nicht seiner äußeren Erscheinung. Wenn er von der Sache sprach, dann sah er nicht mehr so freundlich aus. Die Augen schienen ihm aus dem Gesicht zu quellen, und der Mund verzerrte sich zu einer humorlosen Fratze.

Keiner von ihnen kannte den richtigen Namen der anderen. Es war sicherer so. Die anderen hatten Namen gewählt wie Flora und Lizard und Ormega – Identifikationen, welche sie der natürlichen Umgebung der Welt entnommen hatten, die zu erhalten sie sich entschlossen hatten. Im Mittelpunkt ihres Strebens und Glaubens stand die Ökologie, der sie fraglos und unaufhörlich huldigten. Sie hatten unnatürliche Beziehungen aufgenommen, um damit die natürlichen zwischen den Rassen und Arten besser erhalten zu können. Beziehungen, die zu zerstören die Bevölkerung des Commonwealth sich geschworen hatte. Das jedenfalls war ihre Überzeugung.

Sie waren nicht allein in ihren Ansichten, aber sie waren in ihren Methoden auf sich gestellt. Sie hatten den entscheidenden Schritt von der Vernunft hinüber ins Reich der Religion getan, in ein Gebiet, wo Ungläubige als Ketzer galten, die mit jedweden Mitteln aufgehalten und ausgeschaltet werden mussten. Jahrelang hatten sie abgewartet, ihre Kräfte gesammelt, die Handlungsmöglichkeiten ihrer Organisation bis an die Grenzen ausgelotet – durch raffinierte Tests hier oder scheinbar unbedeutende Handstreiche dort. Eine Chemiefabrik wurde sabotiert, der Bau eines Raumhafens plötzlich unterbrochen, einige wichtige Wahlen wurden durch Geld, Überredung oder gelegentlich sogar Erpressung beeinflusst: alles im Namen der Sache. Mit jedem neuen Erfolg, jedem erreichten Ziel wuchs ihr Selbstvertrauen und wurden neue Rekruten geworben und aufgenommen.

Bis vor kurzem. Die Organisation wurde längst nicht mehr nur als unbequem, als gelegentliche Störung empfunden. Sie galt nun offiziell als ein Problem, wenngleich noch als ein eher geringes. Ein klares Auftreten in der Öffentlichkeit zog eine genauere Kontrolle durch die Machthaber nach sich, was wiederum größere Schwierigkeiten bei der Anwerbung von neuen Anhängern zur Folge hatte. Sie predigten nicht mehr den bereits Bekehrten. Ihre Organisation stand mittlerweile auf dem Fundament einer überzeugten Gefolgschaft. Sie konnten entweder stagnieren und sich gegenseitig aufreiben, oder sie schafften den großen Sprung vorwärts. Es wurde Zeit, dass sie sich von einer Sache, einem Anliegen, zu einer weitläufigen Bewegung mauserten.

Diesen Schritt zu tun, bedeutete, dass sie sich dem Commonwealth insgesamt offenbaren mussten. Es bedeutete, dass sie eine Erklärung abgeben, ihren Standpunkt verkünden mussten, so dass niemand sie ignorieren konnte, und zeigen mussten, wie weit zu gehen sie bereit waren, um ihre Überzeugung zu verteidigen. Es wurde Zeit für einen ganz entscheidenden Schritt, für ein spektakuläres Schauspiel, das ihnen die Art universeller Aufmerksamkeit eintrug, die sie bisher gescheut hatten, die sie jetzt jedoch forderten. Es wurde Zeit für eine Demonstration in einer Größenordnung, die ausreichte, um ihnen die doppelte, wenn nicht gar dreifache Anzahl von Zweiflern zuzuführen.

Es war an der Zeit, den Mächten der Zerstörung klarzumachen, dass sie eine ernstzunehmende Kraft darstellten.

So kam es, dass die sechs sich in dieser engen und stickigen Kammer versammelt hatten, unter ihren angenommenen Namen, die sie mittlerweile als ihren einzigen wichtigen empfanden, um zu beschließen, wo, wann und wie sie diese Erklärung abgeben wollten. Obgleich sie keinen offiziellen Anführer hatten, redete Spinne zuerst und am längsten, weil er unter ihnen der sprachmächtigste war.

Wenn er von der Sache erfüllt war, konnte Spinne alle in seinen Bann schlagen. Sein Körper war ein Fehler im Familienerbgut. In dieser rundlichen, gemütlichen Hülle wohnte die Seele einer hochgewachsenen düsteren Gestalt, deren spirituelle Vorfahren einst die Folterkammern der Inquisition bevölkert hatten. Er zögerte nie, stellte sich niemals in Frage. Weil er wusste. Wusste, was richtig war, was gerecht war, was getan werden musste. Seine Gefährten hörten ihm respektvoll zu. Alle fühlten so wie er, konnten ihre Empfindungen aber nicht genauso gekonnt ausdrücken.

Es war in dieser Zeit für sie gefährlich, sich an einem Ort zu versammeln. Als Folge früherer Aktivitäten hatte die Organisation Angriffe hinnehmen müssen, wenngleich sie noch keinen Todesfall zu beklagen hatte. Aber diese Aktivitäten hatten mehr als nur das übliche Interesse von Seiten der Regierenden geweckt, zumindest genügend Interesse, damit die sechs weitläufige Umwege hatten auf sich nehmen müssen, um unbehelligt diesen Treffpunkt zu erreichen. Jeder von ihnen war sicher, dass er oder sie es unbeobachtet geschafft hatten. Extreme Vorsicht war ihr Schutzschild, Anonymität ihre Sicherheit. Niemand wusste, auf welchen Welten die Organisation Interessengruppen und Aktionszellen unterhielt. Die Regierung war hartnäckig, aber schwerfällig und leicht zu narren.

Bald wäre das alles nicht mehr nötig. In einem einzigen erschütternden Schlag im Namen von Mutter Natur würden sie aus freiem Willen den Mantel des Geheimnisses abstreifen und sich dem verwirrten Commonwealth offenbaren. Jede Nachrichtensendung, jedes TriDi würden ihren Namen und ihr Anliegen verkünden. Ihre reinigende Geste würde eine Lawine der Unterstützung auslösen, welche die verkommenen Industrialisten in die Knie zwingen würde, und eine neue Ära gegenseitiger Achtung und Liebe würde in diesem Teil der Galaxis anbrechen.

Es wäre kein Zufallsschlag, natürlich nicht. Sie waren genauso intelligent, wie sie total ihrer Sache verschrieben waren. Sogar ein Akt, der aus Reklamegründen vollzogen wurde, musste ein legitimes Anliegen haben.

Angesichts des Umfangs der Krebsgeschwulst mangelte es ihnen nicht an Zielen für ihre Aktion. Es war soviel zu tun, und es war nur so wenig Zeit verfügbar. Nun, endlich, nach so vielen Jahren des Planens und Aufbauens und des Wirkens im verborgenen konnten sie mit ihrer richtigen Arbeit beginnen. Von jetzt an müssten die Regierungen, die großen Konzerne und gierigen Ausbeuter sich mit dem Racheengel der an die Öffentlichkeit tretenden Organisation befassen.

Und wenn jemand von ihnen im Lauf dieser Entwicklung sterben müsste? Sie waren sich schon vor langer Zeit dahingehend einig geworden, dass die Rechtmäßigkeit ihrer Sache es wert war, das Leben dafür zu lassen. Was zählte schon ein einzelnes Leben hier und da, wenn die Existenz ganzer Welten auf dem Spiel stand?

Spinne beendete den Vortrag mit einer kurzen Zusammenfassung der augenblicklichen Lage, ehe er der Frau zu seiner Rechten auffordernd zunickte. Sie nannte sich Flora. Ihre Augen waren blau, und ihr Haar hatte den Glanz gesponnenen Goldes. Sie war größer als jeder der Männer, Stock ausgenommen, der ruhig auf der anderen Seite des Tisches saß. Ihr Körper war wie die Wüstenhitze. Wenn sie ihn länger betrachteten, glaubten Männer Halluzinationen zu haben. Starruhm und Erfolg hätte sie im TriDi-Netz erringen können, aber solche Oberflächlichkeiten interessierten sie nicht. Sie hatte viel mehr mit Spinne und Stock und den anderen an diesem Tisch gemein. Die Sache erfüllte sie auf eine Weise wie keinen anderen je zuvor.

Sie war Biologin und kein Starlet. Wenn sie redete, verbarg die natürliche Verlockung ihrer Stimme die Intensität ihrer Hingabe an die Sache. Ihre Entschlossenheit und ihre militärische Ausbildung hatten schließlich den anfänglichen Widerstand der Organisation gegen ihre Schönheit überwunden. Nun wurde sie nur als ein Soldat wie die anderen betrachtet. Ganz allein hatte sie zwei Regierungen dazu gebracht, deren Ansichten in Angelegenheiten zu ändern, für die ihre Gefährten kämpften: in einem Fall durch ihre Überzeugungsgabe, im anderen durch Erpressung.

Nun hielt sie etwas hoch, das aussah wie ein Stück Gewebe, etwa einen halben Meter im Quadrat und fünf Zentimeter dick.

»Wisst ihr alle, was das ist? Es ist ein neues Produkt und zur Zeit in begrenzter Menge nur auf dem Luxusmarkt erhältlich.« Die vollkommenen Konturen ihres Mundes verzogen sich. »Ich sage euch, was es ist: die neueste und schlimmste Perversion der natürlichen Ordnung im Namen des Profits.«

»Verdidionvlies, nicht wahr?«, meinte Ormega, während sie sich etwas vorbeugte, um mehr erkennen zu können.

Flora nickte knapp. »Ein bisher unberührter Organismus von einer noch unverdorbenen Welt. Er wurde genetisch verändert, um den Komfort für einige wenige Reiche zu steigern, jedoch werden bereits Pläne entwickelt, die Kosten durch erhöhte Produktion zu senken.« Aus ihrem Mund klang es wie ein Fluch mit flammenden Ausrufezeichen. »Mit anderen Worten, die Bastarde, die für diesen Plan verantwortlich sind, wollen den gesamten Planeten in Besitz nehmen.« Spinne faltete die Hände auf dem Bauch. »Eine vollkommene Welt für unsere erste größere öffentliche Aktion. Diesmal gibt es keine mildernden Umstände. Es ist ja nicht so, dass dieser Abschaum irgendwelche Getreidearten genetisch verändert, um hungernde Kinder zu ernähren. Diesmal handelt es sich um den willkürlichen Versuch, eine natürliche Umgebung aus reiner Gewinnsucht völlig zu verändern. Wir werden dagegen einschreiten, werden die Versuche in Grund und Boden stampfen und dem Ganzen derart vehement einen Riegel vorschieben, dass jede andere Firma in diesem Bereich es sich dreimal überlegt, ob sie etwas ähnliches auf einer anderen jungfräulichen Welt in Angriff nimmt.

Wie ihr alle wisst, beschränkten unsere Operationen sich bisher darauf, hier eine Rasse, dort eine Lebensform zu retten. Diesmal, meine Freunde, wartet eine ganze Welt auf uns und ihre Rettung. Wir stehen vor der Möglichkeit, für alle Zukunft die Ruhe und Ungestörtheit eines kompletten ökologischen Systems zu sichern. Diesmal greifen wir mit einem Schwert an und nicht mehr mit einem Skalpell!

Das Ganze wird teuer und gefährlich. Jeder, der aussteigen möchte, kann es jetzt tun, und niemand wird wegen dieser Entscheidung geringgeschätzt. Wenn unsere erste Erkundungsmission uns die Informationen verschafft, die wir brauchen, werden unsere Erfolgschancen entscheidend verbessert.«

»Ich glaube, ich bin mit diesem Verdidionvlies und seiner Herkunft nicht so vertraut wie ihr anderen.« Ormega war die einzige andere Frau in diesem Sechser-Rat. Sie war klein und dunkel und sehr viel älter als Flora, aber zwischen ihnen bestand eine starke Verbindung. Sie waren sozusagen Bischöfe in der gleichen Kirche. Ormega war nicht neidisch auf Floras Jugend und Schönheit, und Flora respektierte die Erfahrung und das Wissen der anderen Frau.

»Es ist ein komplizierter und in höchstem Maße anpassungsfähiger Organismus, wie viele der bisher katalogisierten Lebensformen auf dieser Grenzwelt«, erklärte Flora, während sie ihre Probe auf den Tisch legte. »Der Struktur nach ähnelt der Stoff den Moosen, obgleich er sehr viel weiter entwickelt ist als seine Verwandten von der Erde oder auf Hivehom oder auf einem der anderen feuchten Planeten. Anfangs ging man davon aus, dass seine Reaktionen rein piezoelektrischer Natur sind, doch weitere Untersuchungen der Ausbeuter weisen daraufhin, dass es doch weitaus komplizierter ist.« Sie lächelte wölfisch. »Wir fangen schon seit einiger Zeit ihren geheimen konzerninternen Funkverkehr ab.

In seinem natürlichen Zustand reagiert es nicht besonders nutzbringend, doch diese seelenlosen Leute haben seine DNS verändert.«

»Wozu wurde es denn modifiziert?«, fragte Lizard.

»Zu Teppich.« Flora spuckte das Wort geradezu aus. »Nur zu Teppich.«

»Du meinst, damit Leute darauf herumgehen können?«, murmelte Ormega. »Ein lebendes Wesen?«

»Es kann einiges an Gewicht tragen. Darauf zu treten, scheint keinerlei ernste Verletzungen hervorzurufen. Seht mal!«

Flora legte das Stück lebende Materie auf den Fußboden. Jeder erhob sich oder drehte seinen Stuhl, um besser sehen zu können. Während sie zuschauten, trat Flora in die Mitte des dichten Gewächses. Die grünen und rostroten Ranken reagierten, indem sie sich zu dem Fuß hin reckten, um zusätzlichen Halt anzubieten.

»Wenn man sich zu der einen oder anderen Seite neigt«, erklärte Flora, »dann verschiebt der Teppich sich, um einen in die Richtung zu schieben, in die man gehen will.« Die Gefährten beobachteten, dass die glänzende Substanz sich leicht nach links bewegte wie eine dichtgestaffelte Marschsäule von Ameisen.

Vorsichtig stieg sie von dem Stück lebenden Teppichs herunter. Die Ranken kamen zur Ruhe. »Es ist ein Gemeinschaftsorganismus, der in viel größeren Stücken gezüchtet werden kann. Oder es können Teile davon miteinander verbunden und dann so geformt werden, dass sie in jeden Raum passen. Seine Feuchtigkeit holt der Organismus sich aus der Luft, und außerdem ist er nicht auf die Photosynthese angewiesen, daher braucht er kein Licht. Darauf zu gehen, ist genauso, als liefe man auf einem Luftpolster, und dazu verströmt er noch einen ganz schwachen hibiskusähnlichen Duft.« Ihre herrlichen blauen Augen blitzten, und ihre Stimme wurde härter. »Aber er wurde nicht geschaffen, um als Bodenbelag für einen privilegierten Teil der Menschheit zu dienen.«

»In seinem natürlichen Zustand«, erklärte Spinne weiter, »reagiert das Vlies, indem es sich von Druckbelastung zurückzieht, und nicht indem es sich hinbewegt, um beim Tragen zu helfen. Eine weitaus natürlichere und vernünftigere Reaktion. Dies«, – er wies mit einem Kopfnicken auf das modifizierte Gewächs –, »ist eine Scheußlichkeit. Das darf gar nicht existieren!«

Flora holte einen winzigen Parfümflakon aus der oberen Tasche ihres Overalls und schüttete den Inhalt in die Mitte des quadratischen Verdidionvlieses. Spinne warf eine kleine Zündkapsel darauf. Die sechs schauten schweigend zu, wie das mutierte Moos zu Asche verbrannte.

Keinem der Anwesenden kam der Gedanke, dass das Objekt ihrer Abscheu möglicherweise beim Verbrennen größere Schmerzen zu erleiden hatte als dabei, mit Füßen getreten zu werden, aber das tat nichts zur Sache. Es war kein natürliches Gewächs mehr, sondern nur noch ein Produkt perversen Experimentierwahns. Es durfte nicht existieren. Daher verschwendeten sie nicht mehr Gedanken an seine Zerstörung, als sie an die Vernichtung derer verschwenden würden, die für diese biologische Gräueltat verantwortlich waren. Das Vlies – ebenso wie die, welche für seine Existenz verantwortlich waren – bedurfte keines Mitgefühls oder Verständnisses. Es sonderte noch für einige Zeit einen beißenden Rauch ab, bis auch die letzte Zelle verkohlt war.

Ehe die letzte Rauchschwade sich verflüchtigt hatte, erhob sich der Mann, der sich Lizard nannte, und ergriff das Wort. Er war schlank, ohne glatt zu wirken, und er hatte auch kein längliches Gesicht wie Stock. Er war eigentlich eine völlig durchschnittliche Erscheinung, etwa mittelgroß und von normaler Statur und jünger als die meisten seiner Gefährten. In vieler Hinsicht machte diese totale Durchschnittlichkeit ihn zum gefährlichsten Mitglied der Gruppe. Sie gestattete ihm, sich unbehelligt in Menschenmengen zu bewegen, Leuten über die Schulter zu schauen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und sich mit dem Mantel der Harmlosigkeit zu umgeben.

Sein Gewerbe war ähnlich unauffällig. Desgleichen sein Privatleben. Nicht einmal seine Frau ahnte etwas von seiner Zugehörigkeit zur Organisation. Sie wäre zu Tode erschrocken, wenn sie erfahren hätte, dass er eine der sechs Führungspersönlichkeiten in einem ihrer Meinung nach harmlosen Freizeitklub war.

Aber immer, wenn Lizard über Angelegenheiten sprach, die der Organisation besonders am Herzen lagen, verwandelte er sich unversehens. Sein Ausdruck wurde angespannter, und über dem linken Auge entstand ein nervöser Tic, der je nach Eindringlichkeit seiner Rede mehr oder weniger stark ausgeprägt war.

Im Augenblick beherrschte er seine Gefühle völlig. Kühle Köpfe waren nötig, nun da sie sich entschlossen hatten, sich einer korrupten Zivilisation zu erkennen zu geben. Kühle Köpfe waren nötig, um ihre Mission erfolgreich durchzuführen. Lizard war schon mehr als einmal als Vorhut der Organisation tätig geworden.

Er war auch verantwortlich für das übergroße Bild, das nun an der Wand gegenüber von Spinnes Platz aufleuchtete. Weder der Tisch noch die Wände, noch der Fußboden schienen etwas so Raffiniertes zu verbergen wie einen holographischen Projektor, was ebenfalls Lizards besonderen Fähigkeiten zu verdanken war. Er konnte technische Geräte genauso unsichtbar in eine bestimmte Umgebung einbauen, wie er es verstand, in einer Menschenmenge unterzutauchen. Homogenisierungstechnologie nannte er dieses Gebiet.

Das Hologramm zeigte einen kleinen Ausschnitt der Galaxis. Während die sechs Verschwörer das Bild betrachteten, veränderte es sich, bis nur noch die Sterne des Commonwealth zu sehen waren. Dann wichen auch diese Himmelskörper aus dem Bild, bis nur noch ein unauffälliger Stern übrig war, der von nur fünf Planeten umkreist wurde.

Als der dritte Planet in die Hologrammmitte wanderte, verharrte das Bild, und die Welt begann vor ihnen wie ein Tänzer auf einer Bühne zu hüpfen und sich zu drehen. Lizard nahm seinen Vortrag wieder auf und rasselte eine Litanei von technischen Daten herunter. Seine Gefährten bekundeten nur flüchtiges Interesse an Informationen über Gravitation und Durchmesser. Was sie interessierte, war die einzigartige und bisher unbehelligte Ökologie dieser Welt.

»Long Tunnel«, sagte Lizard gerade. »Bisher wurde nur ein winziger Teil erforscht, aber das reicht aus, um Vermutungen über die natürlichen Werte zu nähren, die dieser Planet aufweist. Obgleich die Atmosphäre durchaus atembar ist, erweist sich das Klima als überaus unwirtlich. Ein ziemlich unfreundlicher Ort.«

»Wenigstens etwas«, flüsterte Ormega.

»Zu wenig, leider.« Lizards linke Augenbraue begann zu zucken. »Ihr wisst ja, wie der Feind ist. Wenn er einen Vorteil wittert, dann wird das Wetter allein nicht ausreichen, ihn aufzuhalten.« Er wandte sich wieder dem Hologramm zu.

»Bisher gibt es nur eine Niederlassung. Und die ist kaum mehr als ein wissenschaftlicher Außenposten.« Er wies mit dem Finger auf einen bestimmten Punkt. Indem es auf seine Körperwärme reagierte, verwandelte sich das Bild und zeigte schließlich einen leicht gekrümmten Teil Planetenoberfläche. Komplizierte Wolkenformationen trieben darüber hinweg.

»Die Firma, wegen der wir uns speziell Sorgen machen, ist der Ableger eines größeren Handelshauses.« Seine Augen glitzerten jetzt, und die Stimme bekam einen ätzenden Klang. »So klein der Firmenableger auch ist, so kann man das von dem Schaden nicht behaupten, den man in sehr kurzer Zeit angerichtet hat. Das Tempo, mit dem das bedauernswerte Verdidionvlies auf den Markt gebracht wurde, mag dafür als Beweis dienen.«

Gemurmel wurde unter den Gefährten laut, während er den Finger wieder senkte. »Im Augenblick ist der Umfang kommerzieller Entwicklung noch begrenzt. Unglücklicherweise gibt es nichts auf dem Markt, das dem Vlies gleicht. Die Nachfrage steigt im gleichen Maß, wie seine Vorzüge bekannt werden. Diejenigen, die es bestellen, wissen nichts und scheren sich auch nicht um die Tatsache, dass die Entwicklung ein Verbrechen wider die Natur ist.

Wir hätten uns hier nicht versammelt, wenn wir über das Ernten eines natürlichen Gewächses diskutieren würden, aber das Vlies ist die schlimmste Abart unkontrollierter genetischer Manipulation. Und die Firma, die das verbrochen hat, arbeitet intensiv daran, noch viele andere Lebensformen nach ihren Bedürfnissen zu verändern.« Seine Stimme hob sich, und der Tic über dem Auge beschleunigte sich.

»Das Verdidionvlies ist nur der Vorläufer einer ganzen Kollektion von Scheußlichkeiten. Die wehrlosen Lebensformen von Long Tunnel sind besonders anfällig für genetische Veränderungen. Für diejenigen, für welche die Ausbeutung der Unschuldigen etwas Selbstverständliches ist, dürfte die Welt eine biologische Goldgrube sein!« Als ihm bewusst wurde, dass er fast brüllte, bemühte er sich um eine gemäßigtere Lautstärke.

»Ich habe ihre Vorschläge für weitere biologisch manipulierte Produkte gesehen, die hergestellt werden sollen, indem die entsprechenden Lebensformen von Long Tunnel genetisch manipuliert werden.

Die meisten gehen auf Ideen eines einzigen brillanten, aber moralisch verkommenen Geistes zurück, nämlich den des Chefs ihrer Abteilung für Biotechnologie. Dieses Individuum ist das einzige Rad in der Konzernmaschine, von dem ich glaube, dass es nicht ohne weiteres ersetzbar ist. Eine gewisse handwerkliche Geschicklichkeit auf dem Gebiet der Biologie ist billig zu haben. Aber Phantasie und Intuition sind unbezahlbar.«

»Hat der Betreffende auch dieses Vlies entwickelt?«, wollte Stock wissen.

Lizard nickte.

»Dann, so glaube ich, müssen wir tatsächlich handeln.« Floras Gesicht bot jetzt keinen lieblichen Anblick mehr. »Während wir diese spezielle Person ausschalten, werden wir auf einen Streich erfahren, was wir wissen müssen, um unsere Mission zur allgemeinsamen Zufriedenheit abzuschließen wie auch zukünftige Eingriffe in die natürliche Ordnung zu verhindern.«

»Das war meine Absicht.« Spinne faltete die Hände wieder auf dem Bauch, während er sich in seinem Sessel zurücklehnte. »Long Tunnel ist sowohl ein passender wie auch günstiger Ort, an dem wir unsere kleine Offenbarungsparty veranstalten können. Die dort gegen die Natur begangenen Verbrechen sind von der schlimmsten Art, doch ist die Firma, welche dahintersteht, weder zu klein noch zu groß, als dass wir nicht wirkungsvoll gegen sie vorgehen können. Überdies hat man bisher in diesen ansonsten unberührten Planeten nur eine einzige Wunde gerissen. Eine Wunde, meine Freunde, die wir schließen und heilen werden. Gleichzeitig werden wir uns der Öffentlichkeit vorstellen, unsere Feinde warnen und den Krebs heilen, ehe er sich vollends ausbreiten kann. Sind wir uns darin einig?«

Es bedurfte keines Handzeichens, nicht einmal Worte waren nötig, wenngleich einige Gefährten zustimmend nickten.

Spinne wandte sich an Lizard. Die beiden Männer waren individuelle Teile eines großen Ganzen, jeder wie das Bein eines Insekts, das mitarbeitet, den Körper in eine bestimmte Richtung zu tragen.

»Ich gehe davon aus, dass deine Leute einsatzbereit sind.«

Lizard nickte entschlossen. »Bereit und begierig. Sie haben lange trainiert. Sie sind ganz wild auf die Chance, endlich etwas tun zu können.«

»Sie werden ihre Chance bekommen. Wir alle werden diese Chance haben.« Spinnes brütender Blick wanderte um den Tisch. »Jetzt brauchen wir uns nicht mehr im Schatten aufzuhalten. Wir beschränken uns nicht mehr auf die Herausgabe von Manifesten oder auf Annoncen in irgendwelchen obskuren Fax-Blättern. Wir betteln bei den großen TriDi-Netzen nicht mehr um Zeit für unsere Spots. Nach Long Tunnel wird unser Name in aller Munde sein. Ganz Commonwealth wird wissen, wofür wir einstehen. Die Unentschlossenen werden sich unserer Sache anschließen. Dann können wir ernsthaft damit beginnen, den Drang nach Ausbeutung abzubauen, der viel zu lange schon die Regierungspolitik bestimmt!«

Sie hätten wahrscheinlich auf ihre Entscheidung und auf sich selbst angestoßen, wenn nicht jeder von ihnen weder Alkohol konsumiert noch irgendwelche anderen berauschenden Substanzen genommen hätte. Wie sollte man auch sonst die Reinheit der natürlichen Welt predigen, wenn man nicht einmal den eigenen Körper sauber halten konnte? Sie berauschten sich nur an einem: an der Leidenschaft für die Sache. Die wahre Sache, der heilige Krieg gegen die skrupellosen Verderber zahlreicher Lebensräume, gegen die Luftverschmutzer und die DNS-Gangster.

Es gab noch andere Organisationen, die vorgaben, mit diesem Ziel tätig zu sein, aber die sechs kannten sie als das, was sie in Wirklichkeit waren: schwach, zaghaft und letztendlich unwirksam. Nur die an diesem Tisch Versammelten waren die wahren Einsatztruppen in dem bevorstehenden ökologischen Heiligen Krieg.

Lizard tat etwas, und das Hologramm verschwand, als hätte es nie existiert. Man erhob sich von den Plätzen und verließ nacheinander den Versammlungsraum, man unterhielt sich flüsternd, war erregt, hielt sich aber unter Kontrolle. Jeder wusste, was er zu tun hatte, damit die Operation ein Erfolg wurde. Und sie musste ein Erfolg werden. Den Räuberbaronen und ihren Frankenstein-Dienern war viel zu lange freie Hand gelassen worden. Nun wurde es Zeit, sie zu amputieren.

Sie unterhielten sich weiterhin leise und trennten sich schnell. Die Zeit hatte sie Geduld gelehrt; die Erfahrung hatte ihnen beigebracht, vorsichtig zu sein. Während sie das unauffällige Gebäude verließen und in wartende Fahrzeuge stiegen oder sich dem nächsten öffentlichen Transportsystem anvertrauten, gingen sie in Gedanken bereits ihre nächsten Schritte durch, und jeder konzentrierte sich auf die ihm zugeteilte Rolle.

Ganz gewiss sahen sie überhaupt nicht aus wie die Mitglieder der Führungsgruppe einer aufblühenden Terroristenorganisation.

2. Kapitel

Während Alaspin eine ganze Menge Besucher anlockte, so waren doch nur wenige davon Touristen. Die Mehrheit waren Wissenschaftler, für die ein unfreundliches Klima lediglich eine unbedeutende Behinderung ihrer Forschungen darstellte. Hier wenigstens bot sich ihnen ein gleichförmiges Hindernis. Das Wetter in den weitläufigen, mit hohem Gras bewachsenen Savannen und in dem dichten Dschungel, der sie säumte, veränderte sich von Monat zu Monat nur geringfügig. Es gab eigentlich nur zwei Wetterverhältnisse: nass und nicht ganz so nass.

Die Wissenschaftler kamen, um die Tausende von Tempeln und Ruinen zu untersuchen, die von einer hochentwickelten Zivilisation zurückgelassen worden waren, die zu scheu gewesen war, um sich selbst einen Namen zu geben, und die daher in Ermangelung eines solchen Namens Alaspinianer getauft worden waren. Sie hatten ausführliche Berichte von ihren Reisen durch diese Region des Weltraums hinterlassen, doch so gut wie nichts über sich selbst.

Dabei hatten sie in primitiven Bauwerken aus Stein und Holz gelebt und gearbeitet. Nichts war über ihr Verschwinden bekannt, wenngleich die Theorie eines rassischen Selbstmords viele Anhänger hatte. Es war fast so, als ob sie, verblüfft von ihren Leistungen, vor rund siebzigtausend Jahren einfach verschwunden wären. Andere meinten, sie wären weggezogen. Denn wenn sie wirklich einen rassischen Selbstmord begangen hätten, wo waren dann ihre Überreste?

Besonders instabile Körper, meinten die Selbstmordanhänger. Oder sie waren im Dschungel verbrannt worden. Dies waren Theorien über Theorien, die auch von Natur aus ruhige, gelassene Xenoarchäologen um den Verstand zu bringen vermochten, allesamt unbeweisbar, denn unter den Millionen von Schnitzereien und Aufzeichnungen, die auf kleinen Würfeln aus Metall mit mikroskopisch kleinen Gravuren zurückgelassen worden waren, gab es nicht eine einzige Darstellung eines Alaspinianers. Es existierten wohl zahllose Bilder von Tieren und Landschaften und Konstruktionen, aber von den Leuten, die das alles geschaffen hatten, existierte nichts.

Es war eine jener Welten, auf denen die Thranx sich wohler fühlten als ihre menschlichen Verbündeten. Das heiße feuchte Klima war wie der Hauch frisch verdampfter Luft daheim. Die größeren, auf Dauer erbauten Forschungseinrichtungen wurden alle von den Thranx betrieben, während ihre menschlichen Gefährten sehr schnell kamen und gingen, sich ein paar Informationen verschafften, damit es für einen Artikel oder einen Doktortitel reichte, ehe sie wieder auf kühlere trockenere Welten flohen.

In den Grenzregionen, am Rand der Wildnis, waren mehr Prospektoren als Wissenschaftler anzutreffen. Auf Alaspin gab es reichliche Vorkommen wertvoller Mineralien. Viele von denen, die sich selbst Prospektoren nannten, mieden jedoch die weiten fruchtbaren Ebenen der Savannen zugunsten der Suche in zahllosen Ruinen, wo das Graben einfacher war und die ›Erze‹ in höherer Konzentration gefunden wurden. Tatsächlich sogar in reinem Zustand. Zwischen den Prospektoren und den Wissenschaftlern war ein ständiger Kleinkrieg im Gange.

Für jene, die sich der Forschung verschrieben hatten, waren die Prospektoren Grabschänder und Zerstörer einer immer noch kaum untersuchten fremdartigen Hinterlassenschaft. Einige der rücksichtsloseren und weniger sorgfältigen Forscher waren durchaus bereit, ein gerade neu entdecktes Bauwerk auf der Suche nach einem einzigen verkäuflichen Artefakt auseinanderzureißen, womit der gesamte Fundort für wissenschaftliche Studien nutzlos wurde.

Unterdessen beklagten sich die Prospektoren, die nicht aus großzügigen Forschungsfonds schöpfen konnten und vorwiegend dank ihrer Gewitztheit in einer feindseligen Umgebung überlebten, dass die Regierung sich stets auf die Seite der großen Institute stellte, wo sie doch mehr Fundorte und Ruinen ausgegraben hatten, die zu studieren man tausend und mehr Jahre gebraucht hätte. Sie meinten, dass jeder zusätzlich eröffnete Fundort, den sie entdeckten, weitere wissenschaftliche Erkenntnisse erbrachte und sie nicht etwa minderte.

Zwischen diesen Gruppen existierte noch eine kleine Schar von Hybriden, die von beiden Seiten akzeptiert wurden, einzeln auftretende Individuen, die sowohl Prospektoren wie auch Wissenschaftler waren, Reisende, in denen der Drang zu lernen ständig gegen ihre Geldgier ankämpfte.

Von den Streitenden und ihren ständigen Auseinandersetzungen hielten sich jene fern, die nach Alaspin gekommen waren, um ihr Glück auf andere Art und Weise und mit anderen Dingen zu machen. Sie kamen, um den Bedürfnissen sowohl der Wissenschaftler wie auch der Prospektoren dienlich zu sein. Für Geld, da niemand nach Alaspin kam, weil es dort etwa so gesund war. Das Klima war furchtbar, und die eingeborenen Lebensformen reagierten feindselig. Nicht jeder Wissenschaftler wurde von einem anerkannten Institut unterstützt. Nicht jeder Prospektor wurde von einer größeren Firma oder einer kriminellen Vereinigung unterhalten. Daher brauchte man Läden, Zerstreuungsmöglichkeiten und gewisse Serviceeinrichtungen, die einfach und wirkungsvoll funktionierten. Die Leute, die solche Unternehmen betrieben, waren die einzigen wirklichen Bürger von Alaspin. Sie brauchten den Planeten zum Leben. Sie richteten sich auf einen langen Aufenthalt ein, ganz im Gegensatz zu den Wissenschaftlern, die von der großen Entdeckung träumten, oder den Prospektoren, die auf den einen großen Schlag hofften, der vielleicht im nächsten von Weinranken überwucherten Tempel, im nächsten jungfräulichen Fluss verborgen lag.

Und schließlich war da Flinx.

Er gehörte zu keiner der anerkannten Gruppen, die über die feuchte Oberfläche Alaspins flitzten. Er war nicht gekommen, um nach Bodenschätzen zu suchen, und er wollte auch keine Forschung betreiben, obgleich er sich intensiv mit allem beschäftigte, was ihm begegnete. Seine eigentliche Absicht war es, etwas Einsamkeit zu finden.

Die Wissenschaftler hielten ihn für einen recht seltsamen Studenten, der an seiner Doktorarbeit werkelte. Die Prospektoren erkannten einen Einzelgänger auf den ersten Blick und hielten ihn für einen der Ihren. Wer sonst außer einem Prospektor besaß eine alaspinianische fliegende Schlange, einen Minidrach, der ihm ständig auf der Schulter saß? Wer sonst mied nähere Bekanntschaften oder beiläufige Gespräche? Nicht dass der junge Mann sich bewusst abweisend verhielt. Die Anwesenheit seines grauenvoll tödlichen Schoßtiers hielt die Neugierigen erfolgreich von ihm fern.

Zu jenen, die frech oder auch ahnungslos genug waren, um sich auf der Straße oder im Speisesaal des kleinen Hotels in seine Nähe zu wagen, war er stets höflich und zuvorkommend. Nein, er sei kein Student. Auch kein Prospektor. Er arbeite auch nicht für eine der planetaren Dienstleistungsfirmen. Er sei auf Alaspin, gab er freimütig zu, um eine Heimkehr zu ermöglichen. Nachdem sie das gehört hatten, zogen sich die Frager ausnahmslos zurück, ratloser als vor ihrem Versuch, ihn näher kennenzulernen.

Flinx behandelte alles, was ihm begegnete, mit Höflichkeit, sowohl diejenigen, die ihn ausfragten, als auch alle jene, welche Pips einzigartige blaue und rosafarbene funkelnde Färbung erkannten und eilig auf die andere Straßenseite wechselten, wenn sie ihn kommen sahen. Je älter er wurde, desto mehr war er von der Menschheit fasziniert. Bis vor kurzem hatte es ihm seine Unreife verboten, den einzigartigen, vielschichtigen Organismus angemessen zu würdigen, den die menschliche Rasse darstellte.

Was die Thranx betraf, so waren sie auf ihre Art genauso interessant. Ihr Gesellschaftssystem unterschied sich grundlegend von dem der Menschen. Dennoch kamen die beiden Rassen überaus gut miteinander aus – trotz ihrer unterschiedlichen Ziele und Auffassungen. Ja, er entwickelte sich zu einem Kenner der verschiedenen Arten und Rassen, ungeachtet ihrer Größe und Gestalt und ihrer vielfältigen Skelettformen. Das kam zum Teil daher, dass er in Wirklichkeit nach jemandem suchte, der genauso einzigartig war wie er selbst. Bisher hatte er ein solches Wesen nicht gefunden.

Während er seinen Gedanken nachhing, schärfte er eine Machete. Es war ein außerordentlich primitives Werkzeug, eigentlich nicht mehr als ein ziemlich großes Stück geschliffenen Metalls. Billige Laserschneider waren in jedem Werkzeugladen in Mimmisompo käuflich zu erwerben, aber er hatte sich statt dessen für diese Antiquität entschieden. Mit einem Schneider zu zielen und den Auslöser zu betätigen, vermittelte nicht das gleiche Gefühl tiefer Befriedigung, wie er es beim Schwingen der schweren Klinge empfand. Ein Schneider arbeitete sauber und geräuschlos. Beim Einsatz der Machete roch man den Erfolg seiner Bemühungen, wenn man sich durch die grünen und violetten Stängel und gestreiften Blätter hackte. Dieses Zerstörungswerk verursachte ihm kein schlechtes Gewissen, denn er wusste, wie kurzzeitig es war. Innerhalb einer Woche würde der Weg, den er sich geschlagen hatte, längst verschwunden sein. Wenn ihn nämlich die Pflanzen aufs neue zuwucherten, um das Sonnenlicht aufzunehmen, das bis auf den Dschungelboden drang.

Um ihn herum ragten hohe Bäume auf. Besonders fasziniert war er von einem, der vorwiegend aus dicken Wurzelsträngen und einem kurzen Stamm bestand. Er war überwuchert von Schmarotzerpflanzen mit einem Gewirr von hellroten Blüten. Schwärme von winzigen blauschwarzen Insekten wimmelten um trompetengleich geformte Blütenkelche. Vierflügelige Verwandte der terranischen Lepidoptera drängten heran und stritten sich um einen günstigen Platz an der Nektarquelle.

Weniger dekorative Lebewesen versuchten sich durch seine Stiefel zu beißen, die drei Zentimeter und mehr im grauen Schlamm versanken, durch den er watete. Sie witterten Blut. Der Hochfrequenzabweiser, der an seinem Gürtel befestigt war, wehrte die meisten geflügelten Vampire von ihm ab. Das langärmelige Hemd und die Hose waren mit starken Antipheromonen getränkt, desgleichen der breitkrempige Hut. Bisher hatten das Geräusch, das ihn umgab, sowie der Gestank ihn unversehrt bleiben lassen.

Obgleich ihm das nicht bewusst war, unterschied er sich in seiner äußeren Erscheinung nur unwesentlich von Dschungelforschern alter Zeiten. Solche Männer hätten für die Chemie und Elektronik sogar getötet, die die schlimmsten Geißeln Alaspins in sicherer Entfernung hielten. Die Thranx brauchten zum Glück keine komplizierten Schutzvorrichtungen. Nur wenige Käfer konnten sich durch ihre Chitinhülle bohren. Auch brauchten sie die Kühlvorrichtung nicht, die in seine Hose eingebaut war und für angenehme Temperaturen sorgte, indem sie seinen Schweiß wiederverwendete. Es war nicht lebensnotwendig, aber es lieferte einen luxuriösen Ausgleich zu anderen Unannehmlichkeiten.

Es war auch teuer, aber Geld war etwas, worüber Flinx sich nicht den Kopf zerbrach. Wenngleich er nicht ausgesprochen reich war, so hatte er doch dafür gesorgt, finanziell weitgehend unabhängig zu sein.

Ein vielstimmiges Summen drang ihm ans Ohr. Er hatte ihre Anwesenheit längst gespürt, ehe er sie hörte. Pip entrollte sich auf seiner Schulter und schwang sich in die Luft. Dort waren sie wieder, in den Bäumen rechts von ihm.

Jeder war größer als der größte Kolibri. Sie schossen in gestaffelter Formation auf ihn zu und umtanzten seinen Kopf. Er lächelte sie liebevoll an, dann wandte er sich um und setzte seinen Marsch zu dem See fort, den er auf der Luftkarte gefunden hatte. Er war ihm als geeigneter Ort erschienen, um dort endgültig Abschied zu nehmen.

Die Wirklichkeit ist weitaus schöner als das Bild, dachte er, während er sich durch die letzten Ausläufer des Unterholzes arbeitete und an einem steilen Ufer stand. Es war noch recht früh. Nebel stieg von der spiegelglatten Oberfläche des Sees auf und milderte die scharfen Konturen der Bäume und Schlingpflanzen, die das gegenüberliegende Ufer säumten. Es waren Traumgebilde, in Gold gefasst, leuchtende Bilder, die aufstiegen, als strebten sie der von Dunst umhüllten Sonne entgegen.

Die weite Fläche reizte seine Mitreisenden. Sie schossen hinaus über die Wasserfläche und kreisten fröhlich um Pip. Sie war der Stern, um den sie sich anordneten.

Bis zu diesem Tag. Der Zeitpunkt war nahe, und er wusste es. Er wusste es, weil er es im Geist seines Schoßtieres spüren konnte. Pip war eine Empathie-Telepatin, fähig, Gefühle ihres Herrn zu wecken wie auch zu empfangen. Das halbe Dutzend Nachkommen, das in verwirrenden Kreisen um sie herumsegelte, war in ähnlicher Weise begabt.

Sie waren während eines Besuchs auf dieser ihrer Heimatwelt empfangen worden, und an diesen Ort hatte Flinx sie zur Entwöhnung zurückgebracht, obgleich dieser Begriff eigentlich auf fliegende Schlangen nicht anwendbar war. Er glaubte, dass dies der richtige Schritt sei, allerdings konnte er nicht genau feststellen, inwieweit diese Auffassung ihm selbst entsprang oder durch Pip ausgelöst worden war. Nun wusste er, dass er richtig entschieden hatte. Er hatte die Anwesenheit der Jährlinge genossen, aber nun wuchsen sie sehr schnell. Sieben Meter lange, hochgradig giftige empathische Minidrachs waren mehr, als eine Person ertragen konnte; daher hatte er die verlorenen Söhne zurückgebracht.

Schlangen waren sie nur dem Namen nach, denn denen ähnelten sie am meisten. Sogar die Xenotaxonomen nannten sie Miniaturdrachen, obgleich sie mit den ausgestorbenen terranischen Dinosauriern weitaus enger verwandt waren. Er konnte ihre Verwirrung spüren, als er dort mit der Machete in der rechten Faust am Ufer stand.

Wogen mütterlicher Abneigung breiteten sich um Pip aus wie die Kreise auf einem Teich, dessen Oberfläche durch einen Stein bewegt worden war. Diese Wogen spülten über ihre Abkömmlinge, drangen auf sie ein und vertrieben sie. Nach und nach setzte sich ihr Instinkt dort durch, wo das Verständnis noch fehlte. Während sie in immer größer werdenden Kreisen um sie herumflogen, spürte Flinx, wie die Bindungen zwischen Mutter und Sprösslingen schwächer wurden. Sie zerrissen nicht vollständig, sondern verloren nur stetig an Intensität. Es war ein zugleich schöner wie auch schmerzhafter Anblick, und er erfüllte ihn mit einem rechtschaffenen Gefühl des Friedens.

Er fragte sich nicht länger, ob er richtig gehandelt hatte, als er sie hierher gebracht hatte. Der Tanz der Minidrachs dauerte an, und die unglaublich beweglichen Körper schossen und flitzten hin und her, wobei sich die Sonne in den glänzenden Schuppen funkelnd widerspiegelte. Am Ende lösten sie sich einer nach dem anderen ganz aus der Formation, wie Kinder, die ausprobieren, wie weit sie sich von ihren Eltern entfernen können, ohne zurückgerufen zu werden, um schließlich zwischen den Bäumen am gegenüberliegenden fernen Ufer des Sees zu verschwinden. Nun waren sie endgültig auf die Welt zurückgekehrt, welche sie hervorgebracht hatte. Flinx atmete tief ein.

»Gut gemacht«, sagte er laut, wohl wissend, dass die Worte nicht verstanden würden, dass aber Pip genau begriff, was er empfand. »Das wär's, altes Mädchen. Zeit für dich und mich zurückzugehen. Es wird allmählich warm.«

Pip kaum augenblicklich zu ihm zurückgeflogen, hielt blitzartig inne und verharrte etwa einen Meter vor seinem Gesicht. Die lange spitze Zunge zuckte vor gegen seine Nase und seine Augen, ehe das Wesen sich drehte und sich auf seinem Nacken und seinen Schultern niederließ.

Er gestattete sich einen letzten Blick auf den See, dessen Oberfläche immer noch so glatt war wie Glas. Dann wandte er sich um und ging auf dem Weg zurück, den er sich durch den Dschungel geschlagen hatte. Wenn Pip wirklich Bedauern darüber verspürte, ihre Nachkommenschaft davonfliegen zu sehen, so ließ sie es sich nicht anmerken. Falls er überhaupt etwas bei ihr spürte, so war es eine unendliche Zufriedenheit.

Natürlich konnte er nicht mit letzter Sicherheit entscheiden, ob das, was er empfand, dem entsprach, was sie empfand, oder ob ihre Gefühle nichts anderes waren als eine Reflexion seiner eigenen Gefühle. Seine seltsame Sensibilität war nach wie vor ein unergründliches Geheimnis für ihn, obgleich er sie jedes Jahr besser zu beherrschen schien. Es war genauso, als versuchte man, eine Nebelschwade festzuhalten. In dem einen Augenblick war die Begabung zuverlässig und fast greifbar, und schon im nächsten, wenn er versuchte, sie gezielt einzusetzen, rührte sich nichts, aber auch gar nichts.

Er gab sich große Mühe, dieses Rätsel zu verstehen. Während er sich durch den Schlamm wühlte, versuchte er nach Möglichkeit eine Berührung mit der Vegetation in der nächsten Umgebung zu vermeiden. Im Dschungel schien jedes Blatt irgend etwas mit Zähnen Bewehrtes oder Giftiges unter sich zu verstecken. Er fing an, seine Fähigkeiten zu respektieren, wertzuschätzen, anstatt sich vor ihnen zu fürchten oder sie gar zu hassen. Wenn ihre Wirksamkeit doch nur etwas besser vorhersagbar gewesen wäre! Es war schwierig, einen Zaun zu bauen, wenn einem irgend etwas stets den Hammer wegnahm, ehe man auf den Nagel traf. Bisher hatten seine Talente ihm mehr Schwierigkeiten als Nutzen eingebracht. Unglücklicherweise musste er lernen, damit zu leben. Er konnte sie genauso wenig ablegen, wie er sich selbst verstümmeln konnte.

Pip rührte sich auf ihrem Platz, als dieser Widerstreit der Gefühle in ihm ablief. Er verharrte und wandte sich um, als er das Summen vernahm.

Ein einzelner junger Minidrach schwebte lärmend vor ihm. Als er sich zu ihm umwandte, wich der Jährling zurück, bis er etwa zwei Meter entfernt war. Dort verharrte er und starrte ihn eindringlich an.

Flinx wusste, dass er nicht das erste menschliche Wesen war, das eine enge emotionale Verbindung mit einem Minidrach eingegangen war. Es gab Geschichten von anderen Prospektoren, die ähnliches getan hatten. Er selbst hatte einen solchen Typen vor mehr als einem Jahr kennengelernt. Der Minidrach dieses Mannes, Balthasar, hatte sich mit Pip gepaart. Aber er hatte noch nie von jemandem gehört, der sich mit mehr als nur einer fliegenden Schlange verbunden hätte. Ein Mensch, ein Minidrach. Das war die Regel. Der Jährling musste verschwinden.

»Hau ab! Sieh zu, dass du wegkommst!« Er sprang auf ihn zu, fuchtelte mit den Armen und der Machete. Das kleine Lebewesen zog sich einen weiteren Meter zurück. »Flieg weg! Verschwinde! Du hast bei mir und deiner Mutter nichts mehr zu suchen! Es heißt Abschied nehmen!« Er jagte den Minidrach. Dieser schoss zwei Meter rückwärts und hielt inne, wobei er sich schwebend hinter dem mächtigen Stamm eines Baumes mit blauer Rinde versteckte.

Flinx drehte sich um und setzte seinen Marsch fort. Er hatte kaum zwanzig Meter zurückgelegt, als er erneut das Summen vernahm. Als er sich verärgert umdrehte, landete der Jährling schnell auf einem einladenden Ast, legte die gefältelten Flügel eng an den schlanken Körper und schwang den Schwanz um das Holz.

»Was ist los mit dir?« Er schaute auf Pip hinab, die stumm ihren widerspenstigen Sprössling anstarrte. »Du hast da ein Kind, das das Nest nicht verlassen will. Was gedenkst du zu tun?«

Flinx staunte ständig über die Gedankenfülle, die durch Gefühle vermittelt werden konnte. Pip verstand nicht ein Wort, das er gesagt hatte, doch das daraus entstehende Gefühl war deutlich erkennbar. Sie streckte sich, breitete die Flügel aus und schoss auf ihren Nachkommen zu.

Der Jährling fiel beinahe vom Baum, als er versuchte, ihrem Angriff zu entgehen. Flinx schaute zu, wie die beiden Minidrachs um Baumstämme und Äste herumhuschten und die dort hausenden Lebewesen aufscheuchten und in alle Richtungen davonjagten.

Schließlich kehrte Pip etwas außer Atem zurück und hockte sich wieder auf seine Schulter. Diesmal blieb er einfach stehen und wartete. Eine Minute verstrich, eine zweite, ehe er das erwartete Summen wieder hörte. Der Jährling verharrte in der Gabel zweier dicker Äste, offensichtlich erschöpft, aber genauso offensichtlich nicht gewillt, sich vertreiben zu lassen. Als Flinx spürte, wie Pip sich auf seiner Schulter anspannte, legte er ihr eine Hand auf den Hals, um sie zu beruhigen.

»Still!« Sie fühlte es, ohne zu verstehen. Ihr Atem wurde ruhiger. »Alles in Ordnung.«

Der Sprössling fing das gleiche Gefühl auf und schwebte auf ihn zu. Er betrachtete das Lebewesen, während es sich um sein linkes Handgelenk schlang.

»Nein, du kannst nicht hierbleiben. Verstanden?« Er schlenkerte die Hand ruckartig zur Seite und schleuderte so die fliegende Schlange in die Luft. Sobald er die Hand wieder sinken ließ, kehrte der Minidrach zurück und klammerte sich an seinen Arm, ein leuchtendbuntes Armband mit funkelnden roten Augen.

Er schleuderte es mehrere Male von sich. Jedes Mal landete es wieder an seinem Handgelenk oder seinem Unterarm. »Was zum Teufel soll ich mit dir anfangen?« Wenn eine fliegende Schlange tatsächlich katzbuckeln konnte, dann tat der Minidrach genau das. Er vergrub den Kopf unter einem Flügel.

Reizend, verdammt noch mal, dachte er. Jeder von Pips Sprösslingen war reizend gewesen, allerliebste kleine lederartige Skulpturen. Jeder von ihnen enthielt genug Neurotoxin in den Giftdrüsen, um ein Dutzend erwachsene Männer in genauso vielen Minuten zu töten. Das war nicht mehr so reizend.

Die Ausstrahlungen des Minidrachs waren schwach und unbestimmt wie die seiner Mutter. Zuneigung, Verwirrung, Einsamkeit, Angst, Ratlosigkeit – alles durcheinander. Da der Intelligenzgrad der fliegenden Schlange weit unter dem eines Menschen lag, waren die Empfindungen nicht genau zu definieren.

Dieser war sehr klein, selbst für einen einjährigen Minidrach. Pip war sich ganz eindeutig unschlüssig und versuchte ihre Aufmerksamkeit zwischen ihrem Herrn und ihrem Sprössling aufzuteilen. Er fragte sich, wie sie wohl reagieren würde, wenn er gegenüber dem Kind handgreiflich würde. Wenn er genügend Wut gegen das Junge aufbaute, dann würde sie es wohl irgendwie schaffen, das Kleine zu vertreiben, selbst wenn sie es dabei verletzen müsste.

Seiner Größe nach zu urteilen, war es wahrscheinlich als letztes geschlüpft, infolgedessen hatte es wenig Lust, entwöhnt zu werden. Aber er hatte nicht die Absicht, auf Alaspin einen Tag länger zu bleiben als unbedingt nötig, ganz gewiss nicht, um die Gefühle eines widerspenstigen halbwüchsigen Minidrachs zu schonen. Auf dieser Welt hatte er nichts mehr zu tun, und er wollte nichts mehr sehen. Er wollte sich nur wieder auf den Weg machen, wohin auch immer. Er brauchte keine zusätzliche Lebensform, die in seinem Schiff ein Chaos verursachte. Er seufzte laut. Das tat er seit kurzem recht häufig, wie er feststellte.

»Viel hältst du ja nicht davon, oder?« Ein winziger bunter dreieckiger Kopf linste unter einem Flügel hervor. »So geht es aber nicht. Ein Minidrach, ein Mensch. Man kann keine empathische Dreierbeziehung haben.« Der Minidrach reagierte nicht.

Vielleicht war er noch nicht reif genug. Sicherlich war er der Tollpatsch des ganzen Geleges. Flinx hob den linken Arm, bis ihre Augen sich auf gleicher Höhe befanden.

»Wenn du schon hierbleiben willst, dann musst du wenigstens einen Namen haben. Was ist kleiner als Pip? Knöpfchen? Nein, eher eine Krabbe.

Ach, ich meine, dass man dich Scrap nennen sollte.«

Das war seiner Meinung nach durchaus passend. Der kleine Muskelring spannte sich um seinen Arm, ob nun als Reaktion auf die Namensgebung oder einfach nur des festeren Halts wegen, das konnte Flinx nicht beurteilen. Viel Platz nähme er ja nicht weg, sagte Flinx sich. Pip könnte ja an Bord der Teacher auf ihn aufpassen, wo es Brocken und Fetzen und Abfall von ganz anderer Art gab. Das Wesen würde sich dort richtig zu Hause fühlen.

Der große Minidrach hatte es sich jetzt wieder an seinem Hals gemütlich gemacht, da die Feindseligkeit des Herrn gegenüber dem Sprössling sich verflüchtigt hatte. Pip achtete nicht mehr auf den Jährling. Offenbar meinte sie, alles getan zu haben, um ihren mütterlichen Pflichten nachzukommen. Wenn ihr Herr das Junge nicht mehr von sich stieß, dann sah sie keine Notwendigkeit, es ihrerseits zu tun.

Er dachte nicht mehr an den neuen Gefährten, während er seinen Weg zurückverfolgte. Alaspin war keine freundliche Welt. Es war die Heimat einer eindrucksvollen Ansammlung von fleischfressenden und giftigen Lebensformen, die in ihren Fressgewohnheiten keinen Unterschied zwischen einheimischer und fremdweltlicher Beute machten. Wie Flinx bereits bei seinen vorherigen Besuchen festgestellt hatte, war dies kein Ort, um Risiken einzugehen, kein Land zum Erholen und Besichtigen. Daher dachte er weder an Pip noch an Scrap, während er darauf achtete, wohin er die Füße setzte, und dabei die schlammigen Eindrücke zu treffen versuchte, die er hinterlassen hatte, als er sich seinen Weg zum See freigeschlagen hatte. Blätter und Ranken streichelten ihm das Gesicht, und bei jeder Berührung zuckte er instinktiv zurück.

Obgleich es Dschungel gab, die noch unwirtlicher waren als die auf Alaspin, empfand er diesen als ausgesprochen bedrohlich. Er hatte niemals den Wunsch gehabt, sich den Scouts anzuschließen, diesen halbwahnsinnigen Männern, Frauen und Thranx, die jeweils die ersten waren, die den Fuß auf eine neuentdeckte Welt setzten. Nicht einmal Pip konnte ihn vor Parasiten und winzigen Blutsaugern beschützen. Er umklammerte krampfhaft die altertümliche Machete. Wenigstens, so dachte er, waren die Ahnen schlau genug, diese Dinger aus Titan herzustellen. Alles andere wäre einfach zu schwer gewesen, um es wirkungsvoll einzusetzen.

Nach weiteren dreißig Metern gelangte er zu der kleinen Lichtung, wo sein Kriecher wartete. Dies war der Punkt, bis zu dem er mit dem Gefährt hatte vordringen können. Die Maschine konnte ohne Schwierigkeiten über Wasser und durch die meisten Dschungelformationen fahren, aber dicht beieinander stehende dicke Bäume hielten sie an.

Daher war er gezwungen gewesen, sie hier zurückzulassen und den restlichen Weg bis zum See zu Fuß zurückzulegen.

Der Kriecher sah aus wie ein überdimensionales Chromkanu auf Rädern mit einer Kuppel aus PlexMix und mit einem Gelenk in der Mitte. Die auf Hochglanz polierten Seitenflächen reflektierten eine Menge glühenden Sonnenschein, was hier unter den Bäumen nicht so wichtig war, jedoch zur Kühlung geradezu lebensnotwendig wurde, wenn das Fahrzeug draußen auf einem See oder einem Fluss unterwegs war. Gitterkonstruktionen schützten die Unterseite und bewahrten die empfindliche Technik vor Beschädigungen. Das Fahrzeug war nicht viel breiter als der Fahrersitz; daher konnte es zwischen Bäumen hindurchschlüpfen, die es nicht umzulegen vermochte. Tatsächlich handelte es sich bei dem Fahrzeug um einen riesigen mobilen Wärmeaustauscher, der seine Insassen in relativem Komfort durch die feuchte und heiße Landschaft Alaspins kutschierte.

Flinx hatte den Kriecher in Mimmisompo gemietet, wobei er mit einer KredKarte zahlte, deren Guthaben, wenn auch nicht gerade astronomisch hoch, zumindest den Angestellten, der den Mietvertrag ausfüllte, die Augenbrauen heben ließ. Der Kriecher bewegte sich auf Doppelprofilen vorwärts, eines vorn und das andere hinten. Er konnte drei Passagiere befördern, die hintereinander hinter dem Fahrer Platz nehmen mussten. Es gab keine anderen Passagiere außer Pip, und er brauchte wirklich kein so großes Fahrzeug, aber es war das kleinste gewesen, das er so kurzfristig hatte auftreiben können. Daher hatte er schulterzuckend den viel zu hohen Preis bezahlt. Das Fahrzeug war auf dem Wasser sogar noch schneller als zu Lande. Ein Luftwagen wäre noch schneller gewesen, aber so etwas konnte man in Mimmisompo nicht mieten. Die Prospektoren und die Wissenschaftler hatten sie alle besetzt und transportierten damit ihre Freunde und ihre Versorgungsgüter. Flinx war nur mit Geld und ohne Beziehungen aufgetreten. In einer kleinen Pioniersiedlung kann letzteres manchmal als Tauschobjekt und Zahlungsmittel weitaus wichtiger sein. Daher war er gezwungen gewesen, sich mit dem Kriecher zufriedenzugeben.

Nicht so schlimm! Er hatte sich nur wenige Tage außerhalb der Stadt aufgehalten und befand sich bereits auf dem Rückweg. Da er auf dem Hinweg einen Weg geschaffen hatte, würde er nur noch ein Viertel der Zeit brauchen, um zum Fluss zurückzukehren, wobei er vorsichtig die belaubten Hindernisse umfuhr, die der Kriecher nicht hatte beiseiteschieben können. Wenn er erst einmal den Fluss erreicht hätte, dann ginge die Weiterfahrt flussabwärts, und er würde nicht gegen die Strömung kämpfen müssen. Er freute sich schon darauf, eine Nacht im Hotel verbringen zu können anstatt in der engen Koje im Kriecher.

Mimmisompo stand am Rand eines weitläufigen Sandstrandes, wo es in der wolkenarmen Jahreszeit sauber und trocken und in der feuchten triefnass war. Der Raumhafen befand sich ein Stück weiter landeinwärts. Er besetzte eines der höherliegenden Gebiete in dieser Region und war sicher vor den jahreszeitlichen Hochwassern. Es war nicht gerade ein Ort, den man sich aussuchte, um sich dort zu erholen, doch Flinx war geradezu begierig, wieder dorthin zurückzukehren.

Auf der obersten Sprosse der Leiter, die seitlich am Kriecher angebracht war, hielt er inne, strich mit dem Magnetschlüssel über die Verriegelung und hörte ein Klicken, als sie sich öffnete. Ein Schwall kalter Luft fächelte ihm entgegen, als er einstieg, sich in seinen Sitz zwängte und einen Schalter betätigte, um die Tür hinter sich zu schließen. Wahrscheinlich war es gar nicht nötig, hier mitten im Urwald das Fahrzeug zu verriegeln, aber er hatte schon sehr frühzeitig gelernt, dass ›mitten in der Wildnis‹ eine Gegend sein konnte, die häufig von höchst unangenehmen Typen frequentiert wurde, und während die Wahrscheinlichkeit, dass jemand auf den Kriecher stieß, nur sehr gering war, fühlte er sich doch sicherer, wenn die Chancen allein auf seiner Seite lagen. Der Anblick eines teuren Kriechers, der offen und unbewacht im Dschungel herumstand, mochte sogar für einen ehrlichen Prospektor eine allzu große Verlockung darstellen.

Der mentale Nachgeschmack der fünf davongeflogenen Minidrachs war völlig aus seinem Bewusstsein gewichen, jedoch hing ihr Duft immer noch in der Kabine des Kriechers. Er war leicht süßlich, aber nicht unangenehm. Der Recycler würde ihn schon bald entfernt haben. Gebogene Stahlstäbe verstärkten die ansonsten durchsichtigen PlexMixwände und das gewölbte Dach. Nachdem er kurz seine Umgebung in Augenschein genommen hatte, begann er die Instrumente einzuschalten. Gelbe Bereitschaftslichter wechselten zu Grün und meldeten Betriebszustand.

Wie jede moderne Maschine brauchte der Kriecher nur einen kurzen Moment, um ein Selbst-Prüfungsprogramm laufen zu lassen und seinen einwandfreien Zustand zu melden. Danach schaltete Flinx den Recycler auf höhere Leistung und holte ein Handtuch hervor, um sich das Gesicht abzutrocknen. Man musste vorsichtig sein, wenn man Umgebung und Milieu wechselte. Während die Klimaanlage, die er trug, seinem Körper angenehme Bedingungen geschaffen hatte, war sein Gesicht der Luft ausgesetzt gewesen. Schweiß rann ihm über die Stirn und die Wangen, lief am Hals herunter und versickerte im Hemdkragen. Die Kombination von Luftklimatisierung und Schweiß konnte einem schneller eine Erkältung einbringen als alle anderen Gefahren, die der Mensch kannte.

Es war eigentlich nur eine Frage der persönlichen Entscheidung. Er hätte einen Helm tragen können und sich total vom lokalen Klima abschotten können, doch irgendwie schien das beim Abschied der kleinen Minidrachs genau das Verkehrte zu sein. Daher hatte er den Helm im Kriecher zurückgelassen und die Hitze und Feuchtigkeit auf dem kurzen Marsch durch den Dschungel ertragen.

Nachdem er das durchnässte Handtuch beiseite gelegt hatte, nahm er einen tiefen Schluck gekühlten Fruchtsaft aus der Speiseleitung des Fahrers, ehe er den Motor anwarf. Der Elektroantrieb summte melodisch hinter ihm. Pip glitt ihm von der Schulter, um sich in ein Ausrüstungsfach neben dem Sitz hinter ihm zu hocken. Wenn sie wegen des Abschieds ihrer fünf Sprösslinge traurig oder melancholisch war, so zeigte sie es nicht.

Scrap hatte kaum Lust, sich einen Sitzplatz zu suchen. Trotz Flinx' ständigen Versuchen, ihn vom Handgelenk zu lösen, beharrte der Minidrach darauf, weiterhin dort hängenzubleiben. Schließlich gab Flinx seine Versuche auf und setzte den Kriecher in Bewegung. Das Kind war überhaupt nicht schwer, und über kurz oder lang würde es sich sowieso langweilen und sich von selbst einen anderen Platz suchen.

Der Pfad, den er vom Fluss aus geschaffen hatte, war einfach zu verfolgen. Schnellwuchernde Dschungelpflanzen kämpften bereits um ihren Anteil an dem neugeschaffenen Zugang zum Himmel. Er bog um eine enge Kurve, knickte den Kriecher in der Mitte ab, um sich damit um einen drei Meter dicken Baumstamm zu schlängeln. Das Fahrzeug knickte auch vertikal ein, als er danach durch ein ausgetrocknetes Flussbett fuhr.

Nun da er erledigt hatte, weshalb er nach Alaspin gekommen war, sah er sich zu der Überlegung gezwungen, was er als nächstes tun sollte. Das Leben war nicht länger einfach. Früher war es einfach gewesen, damals auf Moth, als er sich um nichts anderes hatte kümmern müssen, als trocken zu bleiben und genug zu essen zu bekommen und sich vielleicht ein bisschen Luxus zu leisten und Mutter Mastiff auszuhelfen, wenn die Geschäfte schleppend liefen. Die letzten vier Jahre hatten sein Leben unglaublich schwierig gemacht. Er hatte mehr gesehen und erlebt, als die meisten Menschen in einer ganzen Lebensspanne sahen und erlebten, halbwüchsige Jungen schon gar nicht.

Er war immer noch sehr jung, aber sowohl körperlich als auch geistig gewachsen. Tatsächlich fast neun Zentimeter. Entscheidungen ließen sich nicht mehr so einfach fällen, und eine Wahl ließ sich nicht mehr spontan und unbehelligt treffen. Neunzehn Jahre alt zu sein, brachte eine Menge Verantwortung mit sich, für ihn noch mehr als für die meisten. Von dem Gefühlsballast ganz zu schweigen, der damit einherging und sich nicht einfach wegdrängen ließ.

Er hatte eine Menge erlebt, sagte er sich, während er den Kriecher durch den Halbdämmer des Dschungels lenkte, aber das meiste hatte ihm nicht sonderlich gefallen. Im großen und ganzen waren die Menschen und die Thranx für ihn eine Enttäuschung gewesen. Zu viele Individuen waren bereit und gewillt, ihre Prinzipien und Freunde zu verkaufen, wenn der richtige Preis geboten wurde. Selbst grundsätzlich gute Menschen wie der Händler Malaika versuchten letztendlich nur ihre eigenen Interessen zu wahren. Mutter Mastiff machte da keine Ausnahme, aber sie hatte wenigstens nichts Scheinheiliges an sich. Sie genoss es, geizig und geldgierig zu sein. Er erfreute sich an ihrer Ehrlichkeit. Sie war der beste Mensch, der sie sein konnte, wenn man ihre traurigen Lebensumstände bedachte.

Und was sollte aus ihm werden? Ein ganzes Universum von Möglichkeiten lag vor ihm. Vielleicht zu viele. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wonach er greifen sollte.

Und es waren nicht nur gewichtige Fragen der Philosophie und Moral, die im Augenblick auf ihn einstürmten. Da war zum Beispiel auch das zunehmend faszinierende und komplizierte Phänomen des anderen Geschlechts. Da er die meiste Zeit der letzten vier Jahre damit verbracht hatte, nur am Leben zu bleiben, waren Frauen für ihn noch immer ein überaus reizvolles Geheimnis.

Es hatte einige gegeben. Die schöne und leidenschaftliche Lauren Walder vor vielen Jahren auf seiner Heimatwelt Moth. Atha Moon, Maxim Malaikas Leibpilotin. Ein paar andere, jünger und weniger erinnerungswürdig, die wie kleine blaue Flämmchen durch sein Leben getanzt waren und Erinnerungen hinterlassen hatten, die gleichermaßen brannten wie ihn verwirrten. Er fragte sich, ob Lauren sich wohl an ihn erinnerte, ob sie immer noch in ihrer seltsamen Fischerhütte arbeitete oder ob sie schon von dort weggezogen war, vielleicht sogar den Planeten verlassen hatte. Ob er in ihrer Erinnerung immer noch der ›Stadtjunge‹ war.

Er straffte sich in seinem Sitz. Damals war er kaum mehr als ein Kind gewesen, und schüchtern dazu. Vielleicht war er immer noch ein richtiger Junge, aber nun war er bei weitem nicht mehr so schüchtern. Er sah auch nicht mehr jungenhaft aus. Das machte ihm Sorgen. Jede Veränderung bereitete ihm Unbehagen, denn er konnte sich niemals sicher sein, ob sie das Ergebnis eines natürlichen Wachstumsprozesses war oder sich aus seiner unnatürlichen Herkunft ergab.

Man mochte nur einmal die Körpergröße betrachten. Er hatte erfahren, dass es bei den meisten jungen Männern zur normalen Entwicklung gehörte, wenn sie ihre volle Körpergröße bis zum siebzehnten oder achtzehnten Lebensjahr erreichten. Dennoch hatte er seine volle Jungengröße im Alter von fünfzehn Jahren erreicht und dann aufgehört zu wachsen. Nun jedoch war er plötzlich und unerklärlicherweise in zwölf Monaten weitere neun Zentimeter gewachsen, und nichts wies darauf hin, dass diese Entwicklung bald aufhören sollte. Hatte er vorher größenmäßig knapp unter dem Durchschnitt gelegen, so war er jetzt knapp überdurchschnittlich groß. Größe veränderte die Lebenssicht, die man hatte, genauso wie die Betrachtungsweise der Umwelt.

Leider wurde es schwieriger, unauffällig zu bleiben. Er fühlte sich weniger als Junge und statt dessen mehr als Mann – doch, wenn ein Junge zum Mann wurde, sollte er dann in bestimmten Dingen nicht genau Bescheid wissen? Flinx stellte fest, dass er nun weitaus verwirrter und unsicherer war als mit sechzehn, und das betraf nicht nur die Frauen.

Wenn überhaupt jemand das Recht hatte, verwirrt und unsicher zu sein, dann war es Philip Lynx, alias Flinx. Er war kein normaler Geist in einem normalen Körper. Es war besser, dauernd verwirrt zu sein als ängstlich. Er schaffte es, die Angst zu unterdrücken, sie zu verdrängen, sie in die finstersten Nischen seines Geistes zu verbannen. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass es im Grunde seine Verwirrtheit und seine Angst waren, die ihn davon abhielten, mit Angehörigen des anderen Geschlechts in engeren Kontakt zu treten. Er wusste nur, dass er wachsam war.

Wenn doch nur Bran Tse-Mallory oder Truzenzuzex da wären, um ihn zu leiten! Er vermisste sie sehr, fragte sich, wo sie wohl sein mochten und was sie wohl gerade taten, welche Geheimnisse sie mit ihren einmalig scharfsinnigen Geistern erforschten. Ein eisiges Frösteln erfasste ihn, als er sich sagte, dass sie ebenso gut auch tot sein konnten.

Nein, unmöglich! Diese beiden waren unsterblich. Beide waren lebende Denkmäler, Geist und Intelligenz, eingeschlossen in die Ewigkeiten überdauernde Materie, beide Teile, die zusammen ein großes Ganzes bildeten. Sie mussten ihr eigenes Leben leben, sagte er sich zum tausendsten Mal, sie mussten ihrer eigenen Bestimmung folgen. Man konnte nicht von ihnen erwarten, dass sie Zeit erübrigten, um einen seltsamen jungen Mann zu unterrichten, ganz gleich wie interessant er auch sein mochte.

Da er als Junge immer alles allein geschafft hatte, würde ihm das als Erwachsenem gewiss ebenso gelingen. Er würde verdammt noch mal alles mögliche selbst herausfinden, sich darüber Klarheit verschaffen, anstatt von anderen zu erwarten, dass sie es für ihn täten. Warum sollte er es nicht schaffen? Er war zu bestimmten Dingen fähig, zu denen – soweit er wusste – niemand sonst fähig war.

Sie haben mich recht gut ausgestattet, dachte er bitter. Meine pränatalen Ärzte. Die schurkischen Männer und Frauen, die sich seine DNS verschafft hatten, um damit zu spielen. Was hatten sie eigentlich bei ihm und seinen ungeborenen Testgefährten zu erreichen gehofft? Wären sie heute stolz auf ihn, oder wären sie von ihm enttäuscht, wie sie es offensichtlich von allen anderen waren? Oder wären sie ganz einfach nur neugierig, total unberührt und gleichgültig? Diese Frage blieb rein spekulativer Natur, da sie längst tot oder hirngelöscht waren.

Nun, ihr Produkt bereitete sich darauf vor, ein eigenes Leben aufzubauen, unabhängig und unbeobachtet. Er war bereits kreuz und quer durch das Commonwealth gereist in dem Bemühen, seine natürlichen Eltern zu finden, um schließlich zu erfahren, dass seine Mutter tot und die Identität seines Vaters ein Geheimnis war, welches sich im Dunst und den Gerüchten verlor, die seine Herkunft umgaben.