Lore-Roman 108 - Ina Ritter - E-Book

Lore-Roman 108 E-Book

Ina Ritter

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Beinahe Tag und Nacht sitzt Dr. Hartmann Grabert in seinem Laboratorium vor dem Mikroskop und sucht nach einem Mittel, mit dem er die furchtbare Krankheit bekämpfen kann, unter der auch seine Frau dahinsiecht. Doch auch jetzt schüttelt er resigniert den Kopf. Wieder nichts ...
Die Verzweiflung in seinem ausgezehrten Gesicht greift Ursula Hübner ans Herz. Schon lange liebt die junge Ärztin ihren Chef, obwohl sie weiß, wie aussichtlos ihre Liebe ist. Alles würde sie tun, um ihm bei seiner Arbeit zu helfen - und so fasst sie den Entschluss, das Serum heimlich an sich selbst zu testen ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 144

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Zum Leiden verdammt

Vorschau

Impressum

Zum Leiden verdammt

Erschütternder Roman um das Schicksal einer jungen Ärztin

Von Ina Ritter

Beinahe Tag und Nacht sitzt Dr. Hartmann Grabert in seinem Laboratorium vor dem Mikroskop und sucht nach einem Mittel, mit dem er die furchtbare Krankheit bekämpfen kann, unter der auch seine Frau dahinsiecht. Doch auch jetzt schüttelt er resigniert den Kopf. Wieder nichts ...

Die Verzweiflung in seinem ausgezehrten Gesicht greift Ursula Hübner ans Herz. Schon lange liebt die junge Ärztin ihren Chef, obwohl sie weiß, wie aussichtlos ihre Liebe ist. Alles würde sie tun, um ihm bei seiner Arbeit zu helfen – und so fasst sie den Entschluss, das Serum heimlich an sich selbst zu testen ...

Dr. Hartmann Grabert hob nicht einmal den Kopf, als seine Assistentin das Laboratorium betrat. Er brummte etwas vor sich hin, das Ursula als Gruß auffasste. Unwillkürlich lächelte sie ein wenig, als sie ihren versunken dasitzenden Chef von hinten betrachtete.

Der Mann drehte vorsichtig an der Einstellschraube des Mikroskops, während sie sich den weißen Kittel anzog. Ohne ein Wort zu sprechen, ging sie zu den Käfigen mit den Mäusen. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, dass wieder einige Tiere verendet in einer Ecke lagen.

»Dr. Grabert, haben Sie schon gesehen ...« Ihre Stimme war unsicher, denn sie wusste genau, was der Tod der Versuchstiere zu bedeuten hatte.

Das Serum, an dem Hartmann Grabert seit Jahren arbeitete, hatte wieder einmal in einzelnen Fällen versagt. Seit Monaten schon wiederholte es sich in regelmäßigen Abständen, dass ein Teil der geimpften Tiere verendete, während die anderen gesund wurden.

»Ja, ich weiß«, knurrte der Mann. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und strich sich durchs Haar.

»Woran mag es nur liegen?«, fragte Dr. Ursula Hübner verzagt.

»Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nicht weiter! Rund achtzig Prozent der Versuchstiere kommen durch ... und die anderen gehen uns ein. Weshalb?«

Ursula ahnte, dass ihr Chef auch diese Nacht durchgearbeitet hatte, denn seine Augen lagen eingesunken in seinem fahlgrauen Gesicht.

Ursula wusste, weshalb Hartmann sich keine Ruhe gönnte, weshalb er in verzweifelter Hast Tag und Nacht arbeitete, um diese furchtbare Krankheit zu besiegen. Seine Frau litt an der gleichen Krankheit, die er bekämpfte. Es konnte sich nur noch um Monate handeln, dann würde sie auf dem Friedhof liegen, wie schon unzählige Menschen vor ihr, die Ärzte hilflos sterben sahen.

Man konnte die Schmerzen lindern, aber die Krankheit nicht heilen. Es war ein verzweifelter Kampf, den Hartmann führte, und am schlimmsten für ihn vielleicht das Bewusstsein, den Erfolg dicht vor sich zu sehen.

Die meisten Versuchstiere, die er mit den gefährlichen Keimen geimpft hatte, wurden durch sein Serum wieder gesund. Die meisten ...

Hartmann zündete sich mit nervösen Fingern eine Zigarette an. Ursula sah, dass der Aschenbecher neben seinem Mikroskop überquoll.

Neben seiner Tätigkeit im Laboratorium hatte er noch eine Station des Krankenhauses übernommen, auf der vorzugsweise Menschen mit der Krankheit lagen, die er erforschte.

»Ich kann es nicht wagen, jemandem das Serum einzuspritzen. Wenn er mir stirbt ...«

Der Mann biss die Lippen fest aufeinander, und die Verzweiflung in seinem Blick griff Ursula Hübner ans Herz. Sie war nicht so hart, wie eine Ärztin vielleicht sein sollte, sie litt mit, wenn Menschen starben, sie bangte mit Hartmann, wenn er seine Versuche unternahm. Und sie war verzweifelt, wenn sie wieder einmal misslangen. Sie setzte sich auf einen Schemel an dem langen Tisch mit den unzähligen Präparaten und Mikroskopen.

»Zigarette?« Hartmann warf ihr eine angebrochene Schachtel hinüber. »Ich habe lange nachgedacht, was ich tun kann. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit: Ich muss mir das Mittel selbst spritzen. Ich muss wissen, wie es wirkt, vielleicht reagieren Menschen anders ...«

»Nein! Herr Grabert, das dürfen Sie nicht tun! Sie wissen doch, was auf dem Spiel steht.«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Sagen Sie mir eine andere Möglichkeit. Wir kommen so nicht weiter. Wollen Sie das Serum etwa in der Station erproben?«

»Es muss noch eine andere Möglichkeit geben.«

»Natürlich. Wir können noch eine neue Versuchsreihe ansetzen. Sie dauert ja nur ein halbes Jahr.« Der Mann drückte seine halb aufgerauchte Zigarette nervös aus. »Meine Frau braucht das Serum schnell. Sie verfällt von Tag zu Tag mehr. Ich habe keine Zeit mehr, verstehen Sie.«

Er gab seinem Drehstuhl einen Schwung und schob ein neues Glasplättchen unter das Mikroskop. Er hatte alles gesagt, was es zu sagen gab. Seine Entscheidung stand fest.

Er wusste genau, was für ein Risiko er auf sich nahm. Einer musste es tragen, und für ihn war es ausgeschlossen, einen fremden, ahnungslosen Menschen mit dieser Gefahr zu belasten.

»Wann ...?«

»Ich werde noch drei Wochen warten. Bis dahin haben wir die letzten Tierversuche abgeschlossen. Und wenn sie genauso enden wie unsere bisherigen ...«

»Drei Wochen«, murmelte Ursula. Sie war wie betäubt und konnte nicht mehr klar denken.

Vielleicht würde er sterben. Seine Aussichten waren nicht allzu groß, und wenn sein Platz frei wurde, gab es niemanden, der sein Lebenswerk fortsetzen konnte.

Was war sein Assistent Udo Limberg im Vergleich zu ihm? Ein netter, sympathischer Kerl, der seinen Dienst zuverlässig versah, im Übrigen aber das Leben genoss.

Hartmann ahnte nicht, dass seine Mitarbeiterin ihn unverwandt anschaute. Er konzentrierte sich ganz und gar auf seine Präparate, und wenn seine Gedanken einmal abschweiften, was sehr selten vorkam, dann wanderten sie zu seinen Patienten und zu seiner Frau.

Alle warteten ja auf ihn, alle schauten zu ihm empor, und deshalb durfte er sich keine Ruhe gönnen.

Es war die zweite Nacht, die er hintereinander im Laboratorium verbrachte, er hatte kaum etwas gegessen, dafür aber unzählige Tassen Kaffee geleert und Zigaretten geraucht.

Eines Tages wird er zusammenbrechen, machte Ursula sich klar. Und wenn er sich mit den gefährlichen Bazillen infiziert, dann wird er apathisch und gleichgültig. Sie kannte die Symptome genau. Die Menschen lebten noch monatelang weiter, aber ihr Interesse an der Umwelt nahm rapide ab.

»Dr. Grabert ...«

Der Mann hörte sie nicht. Er hatte keine Zeit für Unterhaltungen, er musste arbeiten.

»Dr. Grabert!«, wiederholte Ursula ihre Anrede lauter, und wieder sprach sie in den Wind. Sie nahm ihren Mut zusammen, erhob sich, trat hinter ihren Chef und legte ihm leicht die Hand auf den Arm.

Wie aus einem Traum erwachend, wandte Hartmann den Kopf.

»Was gibt es denn schon wieder?«, herrschte er sie unfreundlich an. Er drehte den Kopf schon wieder zurück, und Ursula beeilte sich, ihren Vorschlag auszusprechen.

»Lassen Sie mich den Versuch machen«, presste sie heiser hervor.

Sie war totenbleich, kein Wunder, denn kein Mensch auf dieser Welt würde sich ruhig für solch ein Experiment zur Verfügung stellen.

Dr. Grabert kniff die Augen zusammen.

»Was meinen Sie?«, fragte er.

Ursula Hübner schlug ihm vor, sie mit den Bazillen zu infizieren.

»Auf mich kommt es nicht so an ...«

»Aber Ihr Kind!«, wandte Hartmann grob ein. »Reden Sie keinen Unsinn, Frau Hübner, es kommt überhaupt nicht infrage, dass ich Ihnen diesen Unsinn gestatte. Kümmern Sie sich um die Präparate. Um zehn Uhr mache ich Visite, sagen Sie mir rechtzeitig Bescheid.«

Ursula schüttelte verzagt den Kopf. Sie hätte wissen müssen, dass dieser Mann ihr Angebot abschlagen würde.

Langsam ging sie an ihren Arbeitsplatz, aber sie konnte heute nicht mit gewohnter Präzision schaffen, denn ihre Gedanken kreisten immer wieder um diesen Mann, der sein eigenes Leben aufs Spiel setzen wollte, um anderen zu helfen.

Sie wusste nicht, was kommen würde, aber sie wusste, dass er nicht sterben durfte. Er war wichtiger als sie! Das sagte ihr der Verstand, aber in Wirklichkeit bewegten andere Gründe sie.

Sie liebte ihn, einen Mann, der bestimmt nicht einmal wusste, wie sie aussah. Ursula war überzeugt, dass er sie noch niemals richtig angeschaut hatte. Für ihn war sie eine Mitarbeiterin, er verlangte Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, und alles andere interessierte ihn nicht.

Ihre Liebe war hoffnungslos, das wusste sie, denn Hartmann Grabert war verheiratet und lebte, wie man sich im Krankenhaus zu erzählen wusste, in einer recht glücklichen Ehe.

Bis seine Frau vor einem halben Jahr erkrankt war. Seitdem saß er in jeder freien Minute im Laboratorium, aber schließlich war auch das nur ein Beweis seiner Liebe. Er wollte seiner Frau helfen ...

Ursulas Blick wanderte nach rechts zum Glasschrank, für den nur Hartmann und sie die Schlüssel hatten. Sein Inhalt war gefährlich wie eine Dynamitladung. In kleinen Kulturschalen züchteten sie dort die gefährlichen Bazillen. Wie oft hatte sie eine Spritze damit gefüllt und sie Mäusen oder Kaninchen injiziert.

Wenn man es bei einem Menschen tat, würde man es ein Verbrechen nennen. Es sei denn, man nahm seinen eigenen Arm ... Ihr Blick hing an dem Schrank, dessen Glas die Sonnenstrahlen reflektierte.

Neben ihr arbeitete Dr. Grabert weiter. Er war ruhig, weil er einen Entschluss gefasst hatte, zu dem er sich erst durchringen musste. Aber jetzt gab es keine Bedenken und kein Zögern mehr.

Drei Wochen Frist, dann würde er sich die gefährliche Spritze in den Arm schieben. Ursula Hübner schüttelte den Kopf. Sie würde es nicht dulden. Und wusste, dass es nur ein einziges Mittel gab, um das zu verhindern.

***

Die kleine Heide lief der Mutter bis zur Tür der Wohnung entgegen, als sie hörte, dass sich der Schlüssel von außen drehte. Für sie war der Tag sehr lang, sie wartete sehnsüchtig auf die Stunde der Heimkehr, in der sie der Mutter auf den Schoß klettern und ihr alles erzählen konnte, was ihr kleines Herz bedrückte.

Tagsüber sorgte ein Mädchen für Klein-Heide, und abends nahm sich Ursula die Zeit, sich mit ihrer Tochter zu beschäftigen.

Nur heute wollte es ihr einfach nicht gelingen. Mit ihren Gedanken war sie bei Hartmann, der sein eigenes Leben riskieren wollte, um das anderer Menschen vielleicht zu retten.

»Du hörst mir ja gar nicht zu!«, beschwerte sich das Mädchen. »Ich finde das gar nicht nett! Du bist so wenig hier und ...« Die Äuglein füllten sich mit Tränen.

Ursula riss sich zusammen. Es wurde Zeit, dass sie das Abendessen bereitete und Heide dann schlafen legte. Es war eine Gewohnheit, dass sie sich dann an das Bettchen ihres Kindes setzte und ihm noch eine schöne Geschichte erzählte.

Heide wurde es nicht müde, die gleichen Märchen immer wieder zu hören. Sie bestand darauf, dass die Mutter sie stets mit genau den gleichen Worten erzählte und korrigierte sie, wenn sie es einmal wagte, einen neuen Ausdruck zu gebrauchen.

An diesem Abend war sie mit ihrer Mutter ganz und gar nicht zufrieden. Mitten im Märchen, an der spannendsten Stelle, brach sie nämlich ab und starrte vor sich hin, als habe sie alles vergessen.

Das Kind schaute sie großäugig an, und in seinem kleinen Herzen regte sich Angst. Ihr Händchen tastete scheu zur Seite und legte sich dann auf Ursulas Arm.

Die Mutter schreckte zusammen.

»Mach schön die Augen zu und schlaf jetzt, mein Liebling. Ich muss noch einmal fort.«

Ihre Unruhe trieb sie ins Krankenhaus zurück. Sie musste sehen, ob Hartmann auch diese Nacht wieder im Labor saß und arbeitete. Vielleicht brauchte er Hilfe? Sie wollte jedenfalls schauen, wie es dort aussah.

Der lange Raum war hell erleuchtet. Ihr Schritt hallte von den Wänden wider, als sie die Tür geschlossen hatte und auf ihren Chef zuging. Ein zärtliches Lächeln blühte um ihren Mund auf, als sie sah, was Hartmann tat.

Der Mann hatte den Kopf auf die gekreuzten Arme gelegt und schlief fest. Neben ihm stand das Mikroskop.

Jetzt sah er nicht mehr aus wie der Respekt einflößende Arzt, sondern wie ein Mann, den man lieben musste. Im Schlaf entspannten sich seine Züge, aber die tiefen Schatten der Erschöpfung unter seinen Augen wichen nicht.

»Du darfst es nicht tun«, flüsterte Ursula mit bleichen Lippen.

Sie kannte sich in der Geschichte der Medizin aus, sie wusste von vielen Opfern, die Forscher schon gebracht hatten. Hartmann durfte nicht die Reihe der Toten verlängern. Jeder andere, nicht er!

Der Mann stöhnte auf, öffnete die schweren Lider und blinzelte ins Licht. Sein Pflichtbewusstsein war stärker als seine tiefe Erschöpfung.

»Muss arbeiten«, knurrte er.

»Sie müssen erst einmal ausschlafen, Herr Grabert!«

Der Arzt schüttelte den Kopf. Er riss seine Augen mit sichtbarer Anstrengung weiter auf, und es dauerte Sekunden, bis er seine Mitarbeiterin erkannte.

»Sie?«, fragte er und gähnte. »Ist schon wieder Morgen?« Er sprach langsam, suchte nach Worten, weil die Müdigkeit seine Gedanken lähmte. Aber der Befehl in ihm war stärker als alles andere: Du musst arbeiten, du hast keine Zeit zum Schlafen, du musst schneller sein als der Tod! »Geben Sie mir eine Spritze Pervitin!«, befahl Hartmann heiser. »Ich kann mich so nicht konzentrieren.«

»Nein!« Ursula wusste selbst nicht, woher sie den Mut nahm, ihm zu widersprechen.

»Was?«, fragte der Mann. »Geben Sie mir die Spritze, ich habe keine Zeit!«

»Nein, ich gebe Ihnen keine Spritze, und ... seien Sie doch vernünftig, Herr Grabert. Es hat keinen Zweck ...« Ursula war dem Weinen nahe, als sie auf ihn zutrat. »Seien Sie doch vernünftig!«

Aus geröteten Augen starrte Hartmann sie an.

»Ich glaube, Sie sind verrückt geworden«, murmelte er undeutlich. Er war es nicht gewohnt, dass irgendjemand ihm widersprach.

»Sie werden jetzt nach Hause fahren und dort schlafen, Dr. Grabert. Ich dulde einfach nicht, dass Sie Ihre Gesundheit ruinieren.«

»So, Sie dulden nicht ...« Der Mann nickte vor sich hin. »Ich werde Sie überhaupt nicht fragen, meine Liebe. Sie sind viel zu jung, um zu begreifen, was auf dem Spiel steht. Verdammt noch mal, glauben Sie, ich sitze hier zu meinem Vergnügen?«, schrie er sie plötzlich an. Zum ersten Mal, seitdem Ursula mit ihm zusammenarbeitete, verlor er seine Beherrschung. »Ich habe keine Lust, mich bevormunden zu lassen! Entweder Sie parieren, oder Sie fliegen!«

Ursulas Gesicht zuckte. Am liebsten hätte sie ihn an sich gezogen und über sein Haar gestrichen, ihn beruhigt wie einen kleinen Jungen, für den das Leben zu schwer geworden ist.

Hartmann holte tief Luft. Sein Ausbruch hatte ihn erschöpft. Er schloss die Augen und atmete schwer. Schweißtropfen liefen über seine Stirn. Minuten vergingen, bis er sich wieder gefasst hatte. Dann stand er schwerfällig auf und ging an einen Schrank, in dem Medikamente verschlossen waren.

»Bleiben Sie sitzen, ich gebe Ihnen die Spritze.« Ursula drückte ihn auf seinen Drehstuhl zurück.

Über die schmalen Lippen des Mannes zuckte ein Lächeln.

»Sie sind eine vernünftige Frau«, murmelte er.

Ursula sagte nichts, und ihre Hände waren ganz ruhig, als sie die Ampulle absägte und eine Spritze füllte. Sie wusste, was sie zu tun hatte ...

»So, in zehn Minuten sind Sie wieder auf Deck, Herr Grabert«, meinte sie mit gespielter Munterkeit, als sie die lange, dünne Nadel in seinen Arm drückte.

»Sagen Sie mal, was machen Sie eigentlich noch um diese Zeit hier?«, fragte der Arzt, als ihm zum ersten Mal zum Bewusstsein kam, dass Ursulas Arbeitszeit schon lange vorbei war.

Die junge Frau warf ihm einen schnellen Blick zu.

»Ich hatte meine Aktentasche vergessen.« Sie war plötzlich sehr glücklich, obwohl es dafür gar keinen triftigen Anlass gab. Was bedeutete es schließlich schon, dass Hartmann sie einmal angeschaut hatte?

»Sie sind hübsch, Frau Hübner. Seltsam, dass mir das noch nie aufgefallen ist.« Der Arzt lächelte über sich selbst, als Ursula die Spritze aus seinem Arm herauszog. »In fünf Minuten kann ich weitermachen. Ein Glück, dass es solch ein Zeug gibt. Ich wüsste nicht, wie ich es sonst schaffen sollte ...«

Die Silben wurden am Schluss seines Satzes immer undeutlicher. Er schwankte auf seinem Drehstuhl leicht hin und her, und Ursula beeilte sich, ihn zu halten. In Sekundenschnelle war Dr. Grabert eingeschlafen, denn Ursula hatte ihm ein starkes Beruhigungsmittel gespritzt.

Sie ließ ihn behutsam auf den Boden gleiten. Für die nächsten Stunden gab es keine Arbeit für Dr. Grabert, sein Körper würde Zeit haben, sich von den Strapazen zu erholen, und wenn er erwachte ...

Vielleicht wirft er mich dann hinaus, machte Ursula sich klar. Er war kein Mann, der einen Widerspruch gegen seine Anordnungen duldete. Er wusste immer und in jedem Falle ganz genau, was er wollte.

Zwei Krankenträger, die Ursula holte, trugen ihn hinaus. Sie kannten seine Adresse, und Ursula ließ es sich nicht nehmen, ihn zu begleiten, weil sie in seiner Villa erklären wollte, was mit ihm geschehen war.

Es war nach Mitternacht, als sie den Klingelknopf drückte. Hinter einem Fenster des Hauses brannte noch Licht. Eine alte, verbissen aussehende Frau öffnete ihnen. Sie war angekleidet und ihr Blick alles andere als freundlich, als sie Ursula draußen stehen sah.

Die junge Ärztin nannte ihren Namen. Sie hatte nicht den Eindruck, dass er die fremde Frau interessierte.

»Ich bringe Dr. Grabert«, fuhr sie tapfer fort. Es war ungeheuer schwer für sie, unter dem forschenden Blick dieser kalten Augen zu sprechen.

Keine Miene im Gesicht der Frau veränderte sich, als sie ihr eigenmächtiges Vorgehen eingestand.

»Sie haben meinem Schwiegersohn eine Spritze gegeben?« Die alte Frau schob den Kopf vor, um Ursulas Gesicht im trüben Licht der Lampe vor dem Hause besser erkennen zu können. »Das wird Sie noch teuer zu stehen kommen, meine Liebe. Warten Sie ab, bis mein Schwiegersohn erwacht ...« Zum ersten Mal verzerrten sich ihre vorher glatten und gleichmütigen Züge. »Er muss arbeiten, es geht schließlich um meine Tochter! Ich dulde nicht, dass Sie sich in unser Leben einmischen! Wie kommen sie dazu, so etwas zu tun?«

Ursula hatte es erklärt: Dr. Grabert würde zusammenbrechen, wenn er sich nicht etwas mehr Ruhe gönnte. Diese alte Frau musste es doch begreifen.

Aber sie dachte an ihre Tochter und nicht an den Schwiegersohn. Sie war eine Mutter und egoistisch, wie Mütter in solchen Fällen nun einmal sind.

***

»Wo bin ich?«, murmelte Dr. Grabert, als er aus seinem tiefen, ohnmachtähnlichen Schlaf erwachte.