Lore-Roman 119 - Ina Ritter - E-Book

Lore-Roman 119 E-Book

Ina Ritter

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Beschreibung

Mit gnadenloser Härte treibt Graf von Bramstetten seine Tochter Angelika in einer eiskalten Dezembernacht aus dem Haus, um dadurch der Schande zu entgehen, die sie ihm mit der Geburt eines unehelichen Kindes bereitet hat. Stundenlang irrt die junge Mutter mit ihrem Säugling durch den Schneesturm, ehe sie mit allerletzter Kraft vor dem Häuschen der Müllersleute Hartwig zusammenbricht.
Verzweifelt versuchen die einfachen Leute, Angelika und ihrem Kindchen zu helfen. Doch während es dem Baby rasch besser geht, scheint Angelika keinen Lebenswillen mehr zu haben. Von Stunde zu Stunde wird sie schwächer ...

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Von den Eltern verstoßen

Vorschau

Impressum

Von den Eltern verstoßen

Erfolgsroman um das Schicksal der Komtess Angelika

Von Ina Ritter

Mit gnadenloser Härte treibt Graf von Bramstetten seine Tochter Angelika in einer eiskalten Dezembernacht aus dem Haus, um dadurch der Schande zu entgehen, die sie ihm mit der Geburt eines unehelichen Kindes bereitet hat. Stundenlang irrt die junge Mutter mit ihrem Säugling durch den Schneesturm, ehe sie mit allerletzter Kraft vor dem Häuschen der Müllersleute Hartwig zusammenbricht.

Verzweifelt versuchen die einfachen Leute, Angelika und ihrem Kindchen zu helfen. Doch während es dem Baby rasch besser geht, scheint Angelika keinen Lebenswillen mehr zu haben. Von Stunde zu Stunde wird sie schwächer ...

»Was soll das? Wie kommst du zu dem Kind? Rede, spanne uns doch nicht länger auf die Folter! Was für ein Kind ist das?«

»Es ist mein Kind. Meine kleine Angelika.«

Angelika steht bewegungslos. Das Entsetzen der Eltern übertrifft ihre schlimmsten Erwartungen. Werden sie ihr verzeihen können?

Über ihr abgehärmtes Gesicht laufen Tränen und tropfen auf das blütenweiße Kissen. Wieder erhebt das kleine Wesen auf ihrem Arm seine kleine, aber durchdringende Stimme.

»Es hat Hunger ...«

»Dein Kind?« Die Mutter ist aufgesprungen und zeigt mit ausgestrecktem Finger auf ihre Tochter. »Dein Kind? Wirklich dein Kind?« Fassungslos schüttelt sie den Kopf.

»Das kann doch nicht sein, du bist doch gar nicht verheiratet ...« Graf von Bramstetten versteht den ganzen Auftritt nicht mehr. Wie kann Angelika sagen, dass das kleine Wesen auf dem Arm ihr Kind sei?

Die Mutter fasst sich zuerst.

»Schließ die Tür, Ferdinand, es ist nicht nötig, dass die Dienstboten sofort von unserer Schande erfahren.«

Mit schweren Schritten, wie ein Greis, befolgt Graf Ferdinand den Befehl seiner Frau. Das Heulen des Sturmes, das vorher in unverminderter Lautstärke zu hören war, wird jetzt schwächer. Aber es ist immer noch eine schaurige Begleitmusik für ihre folgenden Fragen.

Sie bietet ihrer Tochter keinen Stuhl an. Anklagend steht sie vor ihr, schaut aus kalten Augen in Angelikas abgehärmte Züge.

»Was willst du hier?«

Unter dem eisigen Klang dieser Frage zuckt Angelika zusammen. Sie antwortet nichts darauf. Wenn eine Mutter so etwas fragt, sind Worte überflüssig.

»Wer ist der Vater?« Graf Ferdinand packt Angelikas Arm. »Wer ist der Schuft, der dich ins Unglück gebracht hat? Nenne mir den Namen, ich werde ihn töten, mit meiner Hundepeitsche zu Tode prügeln!«

Das kleine Geschöpf an Angelikas Brust stößt ein leises Wimmern aus.

Doch nur die Mutter hört es. Die beiden Großeltern stehen mit zornfunkelnden Augen vor ihrer Tochter und verlangen Rechenschaft.

»Ich muss dem Kind die Brust geben ...«

»Den Namen!«, wiederholt Graf Ferdinand schneidend. Die Zornesadern an seiner Stirn treten pulsierend hervor, sein Gesicht ist bläulich rot angelaufen. Sein ganzer Körper zittert vor Erregung. »Sprich! Oder weißt du etwa den Namen selbst nicht?«

Aus traurigen Augen schaut das junge Mädchen auf die Eltern. Ein bitteres, fast verächtliches Lächeln spielt um seinen Mund.

»O doch. Ich kenne den Vater meines Kindes. Aber er ist tot. Wir wollten heiraten, da hat er, um die Kautionssumme zusammenzubekommen, am Grunewald-Rennen teilgenommen. Das Pferd war unberechenbar und hat ihn abgeworfen. Er hat sich bei dem Sturz das Genick gebrochen.«

Angelika wankt zu einem Sessel und lässt sich nieder. Die Trauer um Helmut von Gewitsch ist kaum zu ertragen. Das Kind, das sie unter dem Herzen trägt, ist sein Vermächtnis. Es ist die Krönung ihres kurzen Glücks – und keine Sünde!

Ein eisiges Schweigen liegt über dem Raum. Die Stimme der Tochter hat den Grafen einen Moment ernüchtert. Eigentlich ist sie ja zu bedauern, aber wieder packt ihn der Jähzorn, als das kleine Wesen aufwimmert.

»Und was soll jetzt geschehen? In unserem Hause ist kein Platz für eine ledige Mutter! Wir sind eine anständige Familie ...«

Niemand schaut nach oben, wo eine andere junge Frau sich über die Brüstung des Geländers beugt und mit hämischem Lächeln die Szene beobachtet. Es ist Martina, die zweite Tochter der Bramstettens. Sie ist gespannt, was der Vater jetzt tun wird.

Wenn er Angelika hinauswirft, dann sind meine Kinder – Hertha und Gerold – einmal die alleinigen Erben von Bramstetten, denkt sie habgierig.

»Vater ist überraschend Opa geworden!« Langsam schreitet Martina die Stufen hinab. »Herzlichen Glückwunsch!«

Graf Ferdinands Gesicht, das vorher dunkelrot gewesen war, bekommt jetzt eine fast bläuliche Farbe.

»Raus!«, knirscht er und wirft der Schwester Angelikas einen hassvollen Blick zu. »Mach, dass du wieder nach oben kommst!«

»Gern. Ich möchte die rührende Versöhnungsszene durchaus nicht stören.« Martina kichert und schreitet dann ebenso langsam, wie sie gekommen war, wieder hinauf.

Zusammengesunken sitzt Angelika im Sessel. Sie hat das Gefühl, als ob ihr Herz sich in einen Stein verwandelt hätte. Sie ist innerlich leer und wie ausgebrannt. Wird sie jemals wieder lachen können? Müde erhebt sie sich.

»Vater, in deinem Hause ist kein Platz für mich. Ich werde dich nicht mehr länger belästigen. Du kannst dir alle weiteren Worte sparen, ich gehe schon!« Fest ergreift Angelika das Kissenbündel. »Aus dem Hause gejagt! Du bist jetzt heimatlos, mein Liebling.« Dann strafft sich ihre zarte Gestalt, und sie schaut ihren Vater stolz an. »Versuche nie, meinen Aufenthaltsort zu erfahren. Für dich bin ich tot, denn du hast durch deine Worte mein Herz getötet!«

Auch von der Mutter muss sie sich verabschieden.

»Leb wohl, Mütterchen.« Wie verändert ihre eben noch so harte Stimme klingt, als sie Gräfin Sonja mit ihren Blicken umfängt. Ein trockenes Schluchzen steigt ihr die Kehle hinauf. »Leb wohl ...«

Mit der freien Hand öffnet sie die Tür. Heulend fährt der Sturm hinein, die dichten Flocken stehen fast wie eine Wand vor ihr. Das junge Mädchen stemmt seinen Oberkörper gegen die entfesselte Naturgewalt. Dann schreitet es tapfer ins Freie.

Wie versteinert schaut Gräfin Sonja ihrer Tochter nach. Sie hat nicht die Kraft in den Füßen, ihr nachzueilen und sie zurückzuholen.

»Ferdinand«, fleht sie, aber es ist, als ob die Stimme aus einem Grabe käme.

Mit zusammengebissenen Zähnen, die Wangenmuskeln gespannt, starrt Graf Ferdinand durch die Tür hinaus. Es ist schon früh dunkel geworden. Ein Schatten schreitet durch das Schneetreiben und ist nach wenigen Metern schon nicht mehr zu sehen. Unwillkürlich macht er zwei Schritte auf die Tür zu.

»Angelika«, flüstert er und streckt wie suchend die Hände nach ihr aus. Er taumelt ein paar Schritte auf den Ausgang zu und bricht dann zusammen.

Seine Hand krallt sich in die Weste in Höhe des Herzens, während ein unartikuliertes Stöhnen aus seiner Brust kommt. Schweißtropfen rinnen von seiner Stirn.

»Ferdinand«, schreit Gräfin Sonja gellend auf. Dann umfängt eine wohltuende Ohnmacht ihre Sinne.

***

Angelika kann kaum noch gehen, kraftlos lehnt sie sich gegen einen dicken Eichenstamm. Jetzt ruhen können! Schlafen ...

Sie sehnt sich unsagbar nach Ruhe. Wie schön wäre es, wenn sie jetzt die Augen schließen und für immer einschlafen könnte.

Wo mögen die nächsten Menschen wohnen, irgendwo muss doch hier die Mühle Hartwigs sein. Angelika kennt sonst jeden Weg und Steg, aber das Schneetreiben und die Aufregung haben ihr völlig die Orientierung genommen.

»Mein Liebling«, schluchzt sie. Heiße Tränen rinnen ihr über die Wangen, werden eisig kalt, bevor sie das Kissen erreichen. Ganz fest hüllt sie das kleine Wesen in das schützende Kissen ein.

Sie setzt sich ausruhend am Fuße des Stammes nieder. Gegen ihren Willen schließt sie die Augen. Minuten vergehen. Tanzende Flocken umhüllen sie, sinken langsam nieder. Ihr Mantel ist vollkommen weiß. Der Schnee taut von ihrem Gesicht und rinnt in kleinen Bächen den Hals hinab auf die Brust.

Der Kopf der jungen Frau zuckt hoch. Verständnislos schaut sie sich um. Wo ist sie nur? Es dauert Sekunden, bis sie ihre Lage erfasst hat. Dann durchzuckt sie ein heißer Schreck. Sie hat tatsächlich geschlafen.

Doch hier geht es nicht um ihr Leben, was liegt schon daran? Ihr Kindchen soll noch nicht sterben. Seinetwegen will sie leben, seinetwegen weiterkämpfen, bis sie ein schützendes Dach erreicht hat. Was dann kommt ... Sie will noch nicht weiterdenken.

Fest umfasst sie das Bündel und nimmt erneut den Kampf mit den Naturgewalten auf. Plötzlich steht sie vor einem Zaun. Sie kann nicht weiter. Wenn sie doch wenigstens ein paar Meter weit sehen könnte! Soll sie rechts oder links an dem Hindernis entlanggehen?

Ein Gatter! Ein Weg! Mit froststarren Händen hebt Angelika den Riegel hoch und beschleunigt ihre Schritte. Ist da nicht auch ein Licht? Sie versucht, die Dunkelheit zu durchdringen.

Schneller! Sie fühlt ihre Kräfte erlahmen. Wenn sie sich nicht gewaltsam zusammenreißt und bald eine Unterkunft erreicht, wird es mit ihr zu Ende gehen.

Sie ist schweißnass, als sie endlich deutlich das Viereck eines Fensters unterscheiden kann. Mit der Faust klopft sie dagegen. Einmal, zweimal, immer wieder. Hört man sie?

Die Tür, sie muss die Tür suchen! Vielleicht befindet sich eine Glocke an ihr, die die Menschen herbeiruft. Sie taumelt weiter. Ist da nicht ein Eingang?

Noch zwei Meter zur Tür. Ob sie es schafft? Die Beine scheinen gar nicht mehr zu ihrem Körper zu gehören. Auf den Knien, mit der linken Hand sich stützend, kriecht sie weiter und achtet nicht auf den Schmerz. Zwei Stufen hoch. Eine schützende Wand vor dem Eingang vermindert die Gewalt des Sturmes.

Angelika ruht einen Moment aus. Die letzten Meter haben ihre Kräfte völlig erschöpft. Sie hebt die Augen und erblickt die Klingel. Gleich wird sie aufstehen und den Knopf drücken, freundliche Leute werden die Tür öffnen und ihr heißen Kaffee einflößen, und Angelika, ihre süße kleine Angelika, ist gerettet.

Gleich wird sie den Knopf drücken. Gleich. Angelika schließt die Augen. Gleich ... ist ihr letzter Gedanke.

***

»Ein fürchterliches Wetter«, stellt Müller Hartwig fest und schaut über den Rand seiner Zeitung auf seine strickende Frau. »Ich kann mich nicht besinnen, dass wir die letzten Jahre schon einmal solchen Sturm hatten. Hoffentlich wehen keine Ziegel vom Dach, zwei hatten sich gelockert. Ich wollte sie schon immer wieder einzementieren, aber ...«

»Hat es da nicht ans Fenster geklopft?« Frau Martha hebt lauschend den Kopf.

Doch nur das Heulen des Windes ist zu hören. Die trockenen Äste des Baumes vor dem Hause knacken, die Dachziegeln scheppern.

»Wer sollte jetzt wohl kommen? Bei diesem Wetter traut sich kein Mensch vor die Tür, man sieht ja die Hand vor Augen nicht.«

»Mir war aber so, als ... Willst du nicht lieber einmal nachsehen?« Eine unerklärliche Unruhe hat die Müllerin befallen.

Was war das? Die Frau lauscht erneut. Sollte sie sich schon wieder täuschen?

Das ist doch Kinderweinen? Sie hält in ihrer Arbeit inne. Da, wieder ganz deutlich! Diesmal ist keine Täuschung möglich. Ein kleines Kind ist vor ihrem Haus und weint.

Resolut reißt sie die Tür auf, mag auch der Wind den Schnee hereintreiben. Draußen muss ein Mensch stehen, der Einlass begehrt.

Schneetreiben, sonst nichts!

Träumt sie denn? Martha schüttelt den Kopf. Sie gehört bestimmt nicht zu den Frauen, die an übermäßigen Einbildungen leiden. Jetzt ist wieder das Kinderweinen da, viel lauter als vorher.

Ihr Blick fällt auf den Boden. Dort liegt jemand, von dort kommt auch das Kinderweinen.

»Berthold, komm her«, übertönt ihre Stimme den Sturm. »Ein Mensch in Not!«

Sie sieht nicht auf das verblüffte Gesicht ihres Mannes, sondern zeigt stumm auf die zusammengesunkene Gestalt am Boden. Zuerst greift sie nach dem Kissenbündel, aus dem das Weinen ertönt.

»Ein Kind«, flüstert sie ehrfürchtig, »ein ganz kleines Kind!«

Als Mutter und Tochter in der warmen Stube auf dem Sofa liegen, schlägt Martha vorsichtig das feuchte Kissen auseinander.

»Armes Hascherl«, murmelt sie, »du bist ja fast erfroren.« Sie reibt die kleinen Glieder des Kindchens. »So zart, dass man es gar nicht richtig anfassen mag.« Geschickt hantiert sie herum, tut drei Dinge gleichzeitig.

Ihr Mann kommt sich völlig überflüssig vor. Er steht stumm neben dem Sofa und schaut auf Angelika, die leblos daliegt.

»Was stehst du da? Rufe gleich den Arzt an! Der Mutter scheint es nicht gut zu gehen, aber ich muss mich erst um das Kleine kümmern. Nun geh schon«, herrscht sie ihn an, als er einen Moment zögert. »Und sage dem Arzt, er möge sich beeilen, es geht vielleicht um Leben und Tod«, ruft sie ihrem Mann noch nach.

»Er wird versuchen, in einer halben Stunde da zu sein«, teilt er ihr mit, als er wenig später ins Zimmer zurückkommt. »Bei diesem Wetter wird es nicht ganz einfach sein, hierherzukommen.«

»Hoffentlich hast du ihm die Sachen auch dringend genug gemacht«, erwidert Frau Martha, ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen. Sie hat Klein-Angelika auf dem Schoß und schaut beglückt in das zufriedene Gesichtchen der Kleinen.

»Zieh die Frau aus und trag sie ins Bett«, befiehlt sie.

»Weißt du, wer das ist?« Müller Hartwig deutet auf das wie tot daliegende Mädchen.

Der Blick seiner Frau folgt seinem ausgestreckten Arm.

»Ich habe sie noch gar nicht angeschaut, aber ...« Ihre Augen werden ganz groß, ihr Blick wandert dann von der Frau zu dem Kind auf ihrem Arm. »Das ist doch ...«

»Ja, das ist das junge gnädige Fräulein, die Komtess Bramstetten. Und dann unter solchen Umständen vor unserer Haustür? Verstehst du das? Was mag dort vorgefallen sein?«

»Wir werden es ja erfahren. Im Moment ist es wichtiger, wir kümmern uns um die Komtess«, schneidet der Mann ihr das Wort ab.

Wenig später liegt Angelika in dem breiten Doppelbett des Müllerehepaares.

Ihr Atem geht rasselnd, immer wieder muss ihr Müller Hartwig den Schweiß von der Stirn wischen.

Nach einer ihm unendlich lang erscheinenden Zeit tritt endlich Sanitätsrat Werner durch die Tür. Er wirft nur einen Blick auf das Mädchen, dann werden seine eben noch gemächlichen Bewegungen schneller. Gespannt setzt er sein Hörrohr auf ihre Brust und horcht auf die Geräusche, die ihm anscheinend nichts Erfreuliches verraten.

Sein Gesicht ist sehr ernst, als er sich aufrichtet und dem Müller in die Augen schaut.

»Sie hat eine schwere Lungenentzündung«, knurrt er und reibt sich nachdenklich die Hände. »Vielleicht gelingt es dem Lebenswillen der Komtess, die Krankheit zu überwinden. Aber sie ist sehr schwach und von der Geburt her noch besonders hinfällig. Es ist ein Kaiserschnitt gewesen, habe ich bei meiner Untersuchung festgestellt. Und das arme Hascherl dort ist bestimmt nicht älter als einen Monat. Ist es da ein Wunder, dass die Komtess zusammenbricht?«

»Sie darf nicht sterben ...« Frau Hartwig schlägt ihren Schürzenzipfel vor das Gesicht. Stoßweises Schluchzen erschüttert ihren Körper. »Soll das arme Kindchen vielleicht die Mutter verlieren?«

»Unser aller Leben liegt in Gottes Hand.« Der Arzt weiß selbst, dass seine Worte nur ein schwacher Trost sind. »Ich werde mit Ihrer Erlaubnis von hier aus im Schloss anrufen und den Herrschaften mitteilen, dass die Komtess bei Ihnen liegt. Sie machen sich sonst vielleicht unnötige Sorgen.«

Schweigend verlässt Dr. Werner die Wohnstube und geht zum Telefon in der Diele. Seine Züge verdüstern sich noch mehr, als er auf die Stimmen am anderen Ende der Leitung hört.

»Ich komme sofort«, verspricht er und hängt dann den Hörer an.

»Graf Bramstetten hat einen Schlaganfall erlitten, man hat mich schon überall zu erreichen versucht. Ich muss auf schnellstem Wege ins Schloss.« Kurz gibt er der Müllerin die notwendigsten Anweisungen und verspricht, bald wiederzukommen.

Dann sucht er in seinem Wagen den Weg zum Schloss. Das Schneetreiben hat noch nicht nachgelassen. Der Scheibenwischer ist kaum imstande, die dichten Flocken fortzuwischen. Doch unbeirrbar fährt der gewissenhafte Arzt durch die Nacht.

»Endlich kommen Sie«, begrüßt ihn Gräfin Sonja auf der Treppe. »Ich mache mir solche Sorgen um meinen Mann. Er liegt in seinem Zimmer und ... aber Sie sehen es ja gleich selbst.«

Die Züge der Gräfin sind verstört. Noch liegt Ferdinand ohne Bewusstsein. Kein Arzt war zu erreichen gewesen. Sie zittert, als sie die Klinke zur Tür des Schlafzimmers niederdrückt.

Stumm zeigt sie auf das Bett. Der Sanitätsrat ergreift seine Tasche und macht sich eilends an die Arbeit.

»Ich brauche heißes Wasser, lassen Sie es bitte besorgen.« Die Gräfin eilt selbst, um seinen Wunsch zu erfüllen. Dieses untätige Warten hat an ihren Nerven gezerrt. Den geliebten Mann leiden zu sehen und nicht helfen können ... es ist furchtbar.

»Frau Gräfin ...« Der Arzt sucht nach tröstenden Worten. »Ihr Gatte wird bald wieder wohlauf sein. Es ist alles nicht so schlimm.«

Zwei tränenfeuchte Mutteraugen schauen ihn an.

»Alles nicht so schlimm? Meine Tochter ist fort!«

Aufs Neue gibt sie sich ihrem Schmerz hin. Angelika, ihre liebe kleine Angelika, irrt im Schneesturm draußen umher. Auf ihrem Arm trägt sie ihr Kindchen, ein kleines Mädchen, ihre Enkelin. Zu spät ...